It’s raining – Teil 7

Billy

Mir lief es eiskalt den Rücken herunter.

„Keine Sorge, ich mach das Schwein alle, der kommt uns nicht mehr in die Quere.“

Vorsichtig stellte ich meine Flasche auf den Tisch und erhob mich. Es konnte sich nur um Matthew handeln, über den die beiden diskutierten. Ich war völlig geschockt, dass diese Typen hier auftauchten. Langsam und darum bemüht, ganz normal zu wirken, ging ich an ihnen vorbei, um die Cafeteria zu verlassen.

Auf ihrer Höhe konnte ich nicht anders und schaute einem der beiden ins Gesicht. Er schaute auf und wieder lief es mir kalt den Rücken herunter. Ich hatte noch nie solch hasserfüllte Augen gesehen.

Ich wendete mich wieder ab und lief normal die Tür hinaus. Leider hatte ich doch Aufmerksamkeit erweckt, denn die zwei Typen waren ebenfalls aufgestanden.

„He, warte mal“, rief mir der eine hinter her.

Ich hatte keine Lust zu warten und lief los, wer weiß, was die mit mir anstellen würden, wenn sie mich erst mal in ihrer Mangel hatten. Nur wusste ich nicht wohin. Mein Handy lag im Rucksack in Matthews Zimmer, nur dahin konnte und wollte ich auf keinen Fall laufen. Ich hörte, wie hinter mir die Tür der Cafeteria aufgestoßen wurde.

„Bist du dir sicher… ist er das?“

„Ja, ich habe ihn im Wagen von Matthew gesehen…“

Scheiße! So langsam stieg die Angst in mir auf. Ich sah die Tür zum Flur und rannte einen Stock höher. Unten vernahm ich die Flurtür. Wenn ich jetzt hier raus gehen würde, könnten die das da unten hören. Also kämpfte ich mich noch ein Stockwerk höher.

„Der ist rauf gelaufen… komm“, hörte ich es von unten.

Hier verließ ich das Stockwerk. Da es genauso gebaut war wie der dritte Stock, fand ich schnell den Aufzug. Wie ein Verrückter drückte ich auf den Knopf, dass der Fahrstuhl kommen würde.

Verzweifelt schaute ich immer wieder zur Flurecke, wo die beiden jederzeit auftauchen konnten. Ich hörte Stimmen. Mit der Hand wischte ich die Schweißtropfen von der Stirn.

„Willst du nach unten?“

„Aaaaaaaaaaaaaah“, schrie ich laut, total erschrocken.

„Junger Mann, was ist mit dir?“

Eine kleine alte Frau stand hinter mir.

„Entschuldigen Sie, Sie haben mich erschreckt…“, meinte ich.

„Kein Problem… ähm, fährst du auch hinunter?“

Ich nickte. Die Stimmen vom Flur kamen näher. Ich rechnete jede Sekunde damit, dass die zwei Typen in meinen Flur einbogen. In diesem Moment ertönte das Gongzeichen und der Fahrstuhl öffnete sich. Mit einem Schritt war ich drinnen.

Die alte Dame folgte mir im Zeitlupentempo.

„Irgendwo muss er doch hier sein.“

Oh man, ging das nicht schneller? Endlich hatte die Frau auch ihren zweiten Fuß im Aufzug und die Tür schloss sich. Ich konnte noch eine Hand sehen, hatte aber anscheinend Glück. Im dritten Stock angekommen, verließ ich den Fahrstuhl wieder.

Ich lief direkt ins Schwesternzimmer.

„Nicht du schon wieder…“

Schwester Doreen stand vor mir.

„Schwester Doreen, es ist wirklich ein Notfall. Die zwei Typen, die Matthew zusammengeschlagen haben, sind hier im Krankenhaus und suchen ihn.“

„Ganz langsam zum Verstehen. Woher weißt du das?“

Auf dem Flur waren Stimmen zu hören. Vorsichtshalber verbarg ich mich etwas hinter der Tür des Schwesternzimmers.

„Ich war in der Cafeteria unten“, sprach ich leise weiter, „und da hörte ich die zwei, wie sie sagten, sie wollen Matthew endgültig alle machen, damit er sie nicht verpfeifen kann.“

„Wie sehen die aus?“

Schwester Doreen schien mich ernst zu nehmen, sie nahm sogar den Telefonhörer zu sich.

„Beide zirka 1,85 cm groß, tragen beide Jacken der Cathedral High School.“

„Dritter Stock, ich brauche dringend den Sicherheitsdienst und die Polizei sollte auch verständigt werden. Code 347… zwei Personen!“

Sie legte den Hörer wieder auf.

„Und du bist dir ganz sicher?“, fragte Schwester Doreen, „ich habe nämlich keine Lust mich wegen dir bis auf die Knochen zu blamieren.“

„Sie haben mich gesehen und sind mir dann in den vierten Stock gefolgt. Dort konnte ich sie abhängen.“

Ich fuhr zusammen, denn es klopfte an der Tür.

Tassilo

„Was ist hier los?“

Direx Collins stand plötzlich neben uns. Als wir die Sicht frei gaben, schien er wohl zu verstehen, was los war. Ella rieb sich immer noch ihre Hand.

„Mrs. Cavendish… Sie? Habe ich Ihnen nicht ausdrückliches Zutrittsverbot erteilt, ich werde wohl noch mal mit Ihrem Vater reden müssen.“

Dann wandte er sich an die anderen Schüler.

„So, Sie haben genug gesehen. Ich würde vorschlagen, Sie gehen alle ins Schulgebäude, der Unterricht fängt gleich an.“

Der Pulk, der sich mittlerweile um uns herum angesammelt hatte, wurde von anderen Lehrern, die dazu gekommen waren, aufgelöst. Maude kam langsam wieder zu sich. Misses Feagan, unsere Sportlehrerin, gesellte sich zu uns.

„Ella, sauberer Schlag, du solltest bei den Boxern anfangen.“

Ella wurde rot.

„Du hast sie niedergestreckt?“, fragte Collins schockiert.

„Reine Notwehr“, kam es von Misses Feagan, bevor Ella irgendetwas dazu sagen konnte.

„Sie haben es gesehen?’“

„Ja!“

Maude redete irgendwelches, unverständliches Zeugs und versuchte aufzustehen. Misses Feagan beugte sich zu ihr herunter.

„Willst du nicht noch etwas sitzen bleiben, oder soll ich dir aufhelfen?“

Maude schaute unserer Sportlehrerin ins Gesicht.

„Fassen Sie mich ja nicht an“, keifte Maude.

„Einen anderen Ton, wenn ich bitten darf Mrs. Cavendish!“, kam es von Collins

Ella schaute mich an, doch ich schüttelte den Kopf.

„Okay“, meinte Misses Feagan, „dann bleib im Dreck sitzen, bis die Polizei kommt.“

„Die Polizei?“, schrie Maude plötzlich und stand auf, „die Dreckschlampe da hat mich nieder geschlagen.

Maude wollte nach Ella greifen, doch die Sportlehrerin war schneller. Sie griff nach Maudes Hand und verdrehte den Arm so, dass sie Daniels Schwester gegen die Mauer drücken konnte.

„Ganz ruhig junges Fräulein, hier wird niemand angegriffen und auch nicht Dreckschlampe genannt. Sir, gehen Sie ruhig in die Schule, ich habe das hier im Griff und da ich jetzt noch keinen Unterricht habe, kann ich auf die Polizei warten.“

Direx Collins war so geschockt, dass er keinen Ton heraus brachte. Er nickte nur und lief in die Schule.

„Du Miststück lass mich los…, du tust mir weh!“

„Ach jetzt duzen wir uns auch noch.“

Unserer Sportlehrerin schien dies zu gefallen, aber Daniel auf alle Fälle nicht. Er war nach wie vor total blass und zitterte.

„Sollen wir hineingehen…?“, fragte ich leise.

Daniel antwortete nicht, er starrte nur auf seine Schwester.

„Was haben wir denn da?“, fragte Ella plötzlich und bückte sich nach einem roten Buch.

„Was ist das?“, fragte ich interessiert.

Daniel löste sich plötzlich aus seiner Starre und nahm Ella das Buch weg.

„Wie kommst du an Olivers Tagebuch?“, fuhr er seine Schwester an.

Ich nahm vorsorglich mein Handy heraus und rief noch mal Mr. Cavendish an.

„Das geht dich einen Dreck an, du Scheißschwuchtel…aua!“

Misses Feagan hatte Maudes Arm etwas höher gedrückt.

„Na… na, wer wird denn hier ausfallend werden.“

Mit dem Gesicht zur Wand blieb Maude nichts anderes übrig, als sich der Situation zu ergeben. Misses Feagan ließ dennoch keinen Millimeter lockerer. Maude wollte etwas sagen, doch die Sportlehrerin fiel ihr ins Wort.

„Früchtchen, dieses Mal hast du es übertrieben. Ich hasse normalerweise Gewalt, aber wenn ich mich verteidigen muss…“

Sie sprach nicht weiter. Ein Wagen bremste hinter uns und zwei Constables sprangen aus dem Wagen.

„Guten Morgen die Herren, kann ich Ihnen diese Dame anvertrauen. Hausfriedensbruch, versuchter tätlicher Angriff, Beleidigung eines hochgestellten Beamten“, begrüßte Misses Feagan die beiden.

„Solche Bürger wünsche ich mir öfter, da würde unsere Arbeit um einiges leichter. Können Sie später zu uns kommen, damit wir ein Protokoll aufnehmen können?,“ fragte der eine Constable, während der andere eine sich wehrende Maude in Empfang nahm.

„Kein Problem, ich werde auch gleich den Vater der jungen Dame mitbringen, der sicher bald hier eintreffen wird.“

Bei diesen Worten schaute Daniel auf.

„Mein Dad kommt?“

„Die junge Frau ist Ihnen bekannt?“, fragte einer der Constables.

„Ja“, antworteten Daniel und Misses Feagan gleichzeitig.

„Sie ist schon einmal hier auffällig geworden und hat Schüler unserer Schule belästigt.“

„Sie ist meine Schwester…“, fügte Daniel noch hinzu.

„Gut, dann sehen wir Sie beide mit dem Vater auf der Police Station.“

„Wir werden kommen“, sagte unsere Sportlehrerin.

Maude wurde ins Auto verfrachtet und die Constables fuhren ab.

„Okay Daniel, ich geh schnell hinein, informiere den Alten und komme wieder heraus. Ihr zwei bleibt bitte bei Daniel und fahrt nachher auch mit, falls irgendwelche Fragen entstehen.“

Und schon war Misses Feagan verschwunden. Ich musste leicht grinsen, ebenso wie Ella, weil sie Direx Collins den Alten genannt hatte. Daniel starrte wieder auf Olivers Tagebuch.

„Willst du darin lesen?“, fragte Ella.

„Ich weiß es nicht…“, er schaute auf, „Leute, ich muss mich für meine Schwester entschuldigen, sie…“

„Quatsch Daniel“, unterbrach ihn Ella, „für die kannst du überhaupt nichts. Man kann sich alles aussuchen, nur seine Verwandtschaft nicht.“

„Woher hast du den klugen Spruch?“, fragte ich.

„Von meinem Vater, wenn Grandma und Grandpa zu Besuch kommen.“

Jetzt lächelte auch Daniel.

„Ich gebe Ella Recht, Schatz! Du musst dich nicht entschuldigen.“

Daniels Kopf fuhr hoch und er schaute mich mit großen Augen an.

„Was denn?“, fragte ich.

„Du…, du hast mich zum ersten Mal Schatz genannt…“

Ich musste lächeln.

„Du bist doch mein Schatz, oder?“

Als Antwort bekam ich einen Kuss.

„Jungs hört auf, ich werde neidisch!“

Das war die Stimme unserer Sportlehrerin, die unbemerkt zurück gekehrt war. Erschrocken fuhren wir auseinander und wurden rot.

„Süß, oder?“, fragte Ella und sie und Misses Feagan fingen an zu lachen.

„Sehe ich also richtig, dass ihr beide ein Paar seid?“, fragte unsere Sportlehrerin.

„Ja“, sagte ich und Daniel nickte zustimmend.

„Gut, dann denke ich, wir werden ein wenig zusammen trainieren.“

„Trainieren?“, fragte ich.

„Ja, in Selbstverteidigung, denn Daniels Schwester wird nicht die Letzte sein, die euch öffentlich angreift.“

„Au ja, darf ich auch mitmachen?“, fragte Ella begeistert.

„Mal sehen, ich weiß nicht, ob man dir noch etwas beibringen kann, dein Schlag vorhin war hammermäßig!“

Ella wurde wieder rot und rieb an ihrer Hand. Im gleichen Augenblick fuhr Marco mit der Limousine vor. Andrew, Daniels Vater sprang heraus.

„Alles klar mit dir Daniel?“, war seine erste Frage, ohne uns zu begrüßen.

Daniel nickte.

„Mister Cavendish, ich bin Misses Feagan, die Sportlehrerin an der Schule.“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er schüttelte.

„Ihre Tochter wurde von der Polizei mitgenommen…, wir sollen uns nachher auf der Police Station melden.“

Er seufzte und sein Blick fiel auf das Tagebuch.

„Woher hast du das?“

„Das…, das hat Maude mitgebracht“, antwortete Daniel.

„Ich weiß nicht, wie sie da dran gekommen ist, es lag im Tresor.“

„Du kennst den Inhalt?“

Andrew antwortete darauf nicht, sondern wies uns an, in den Wagen zu steigen. Wir folgten alle seiner Anweisung und der Wagen setzte sich in Bewegung.

„Da ihr alle irgendwie davon betroffen seid und ich denke, dass man Misses Feagan vertrauen kann…, ja ich weiß was im Tagebuch von Oliver steht.“

„Wer ist Oliver, wenn ich fragen darf“, kam es von Misses Feagan.

„Mein verstorbener Sohn…, er hat sich umgebracht.“

„Das tut mir leid.“

„Was passiert jetzt mit Maude?“, fragte ich, denn ich fand es unpassend, jetzt darüber zu reden.

„Schwierige Frage, Tassilo. Meine Frau und ich haben schon lange darüber gesprochen. Wir werden sie wahrscheinlich in ein Mädcheninternat nach Schottland schicken.“

„Wegen mir?“, fragte Daniel unsicher.

„Wie kommst du da drauf, dass wir sie wegen dir hinschicken?“

„Oliver ist schon wegen mir gegangen…“

Ich sah, wie Misses Feagan und Andrew Blicke wechselten.

„Junge, wer hat dir denn den Mist eingeredet?“, fragte Andrew, „Olivers Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, war alleine seine Entscheidung.“

„…und recht egoistisch“, rutschte es der Sportlehrerin heraus.

„Sie haben vielleicht Recht, Misses Feagan,  aber Sie kennen die Hintergründe nicht, die ihn in den Tod getrieben haben und da ist meine Tochter Maude leider nicht ganz unschuldig daran. Deswegen auch das Internat. Es wird sehr streng geführt und ändert vielleicht ihre Art, wie sie mit anderen Menschen umgeht, ich habe da anscheinend völlig versagt.“

„Das können Sie so nicht sagen. Gut ich kenne Sie nicht persönlich, aber Kinder rutschen auch durch ihr Umfeld oft ab und wenn ich mir Ihren Sohn Daniel betrachte, was ich jetzt so in kurzer Zeit mitbekommen habe, dann liegt es sicher nicht an Ihrer Erziehung.“

„Danke…“

*-*-*

Nachdem wir auf der Police Station alle unsere Aussagen abgegeben hatten, ließ uns Andrew wieder in die Schule fahren, weil Daniel darauf bestanden hatte, weiter am Unterricht teilzunehmen.

Wir kamen genau zur Mittagszeit zurück, wo großer Andrang in der Kantine herrschte.

„Ich habe keinen Hunger“, meinte Daniel und setzte sich gleich an einen freien Tisch.

„Soll ich dir wenigstens etwas zu trinken mitbringen?“, fragte ich.

„… einen Tee vielleicht.“

„Okay, bis gleich und nicht weglaufen!“

„Wo soll ich denn hin?“

Am liebsten hätte ich ihm jetzt einen Kuss gegeben, aber da hier gerade fast die ganze Schule anwesend war, vermied ich das besser. So stellte ich mich mit Ella an.

„Das war heftig“, meinte sie.

„Was denn?“

„Das heute Morgen. Eigentlich habe ich mir schon immer gewünscht, dass mein Leben etwas aufregender wird, aber auf so etwas wie vorhin kann ich gut verzichten.“

„Da gebe ich dir Recht und Daniel tut das überhaupt nicht gut. Was mir einfällt, hättest du Lust, am Wochenende mit zum Leuchtturm zu fahren?“

„Da fragst du noch? Klar fahr ich mit, wenn ihr einen Platz frei habt.“

„Ich muss nur noch einmal mit Mum reden, aber ich denke, das geht klar.“

„Spitze!“

„Wo habt ihr euch denn herum getrieben?“, hörten wir die Stimme von Jack.

Hinter ihm standen Betty, Nick und Robert, alle mit einem Tablett bewaffnet und auf eine Antwort wartend.

„Hat niemand etwas erzählt?“, fragte Ella.

„Nein, der Direx redete zu leise mit Mr. Johnson und der sagt uns ja nie etwas“, antwortete Betty.

„Wir waren auf der Police Station“, antwortete ich leise.

Vier Augenpaare schauten uns entgeistert an.

Billy

Doreen schob sich an mir vorbei.

„Die Herren wünschen?“, hörte ich sie sagen.

„Wir suchen Matthew Kingsley. Wir gehen mit ihm in eine Klasse und wollten ihn besuchen.“

Ich erkannte die Stimme sofort wieder, sie gehörte zu einem der beiden Typen, die mich verfolgt hatten.

„Das tut mir Leid, meine Herren. Mr. Kingsley hatte einen Rückfall und befindet sich wieder auf der Intensivstation.“

Ich war verwundert, wie gut Doreen lügen konnte, da Matthew tatsächlich keine fünf Meter weiter in einem der Zimmer lag. Plötzlich wurde es laut auf dem Flur und ich getraute mich, auf den Flur zu schauen.

Sicherheitsleute hatten die zwei in Sekundenschnelle überwältigt, sodass die sogenannten Klassenkameraden nun auf dem Boden lagen.

„Sind das die zwei?“, versicherte sich Schwester Doreen bei mir.

„Ja“, sagte ich.

Einer der beiden hob den Kopf.

„Das wirst du noch bitter bereuen…“, kläffte er mich an.

Doreen beugte sich vor, griff in dessen Haare und zog daran.

„Auaaaa.“

„Nichts wird der bereuen. Ihr wandert jetzt in den Bau!“

„Ihr könnt uns gar nichts“, schrie der andere, „mein Dad hat die besten Anwälte der Stadt!“

„… die euch nichts bringen, denn es gibt Zeugen, die euch gesehen haben“, ergänzte Doreen.

Im nächsten Augenblick tauchten Cops auf, die die zwei in Gewahrsam nahmen und abführten.

„Ich glaube ich wasche mir erstmal die Hände. Soviel Dreck habe ich schon lange nicht mehr angefasst“, meinte Doreen.

Ich musste grinsen und folgte ihr.

„Doreen?“, begann ich.

„Ja…, was ist denn noch? Das war doch genug Aufregung in meinem ach so tristen Leben.“

„Ich wollte mich noch bei Ihnen entschuldigen…“

„Für was?“

„Dass ich Sie gestern so angefahren habe.“

„Schon vergessen junger Mann. Du hast mich ausnahmsweise nur mal zur falschen Zeit erwischt.“

„Danke.“

„Rausch ab, dein Freund wartet sicher schon.“

Ich nickte und verließ das Schwesternzimmer. Sie kam hinter mir her.

„Und wenn etwas ist, komm ruhig zu mir.“

Ich bedanke mich noch mal bei Doreen und ging zu Matthew zurück. Als ich das Zimmer betrat, war er schon wach.

„Was war denn das für ein Lärm auf dem Flur?“

„Kennst du zwei Typen…“, begann ich und beschrieb die zwei recht ausführlich. Auch was in der letzten halben Stunde passiert war.

Matthew wurde ganz bleich im Gesicht.

„Edward und Mike…“, stammelte er.

„Du kennst sie…, du wusstest wer dich so zugerichtet hat?“

„Nein…, aber du hast sie sehr gut beschrieben… Sie sind beide in meiner Klasse. Sozusagen die Obergurus, ihre Väter sind die mit dem meisten Geld. Seit ich abgelehnt hatte, in ihrer Baseballmannschaft zu spielen, wollten sie nichts mehr mit mir zu tun haben.“

„Ja, das werden sie auch für eine ganze Weile nicht, denke ich mal“, sagte ich und setzte mich neben Matthew aufs Bett.

„Wie hast du geschlafen…, hast du irgendwie Schmerzen?“, fragte ich.

„Es geht… erträglich. Nur dieses ständige hier herum liegen nervt.“

„Solange du an den Maschinen hängst, kannst du nirgends hin.“

*-*-*

Auf Wunsch von Mum war ich am Abend mit ihr zurück gefahren. Schweren Herzens hatte ich mich von Matthew getrennt.

„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, morgen kannst du ihn sicher wieder besuchen.“

Ich antwortete nicht und schaute weiter nach draußen.

„Mum, pass auf“, rief ich, als ich plötzlich etwas am Straßenrand wahrnahm.

Mum wich etwas aus und wir sahen, dass dort recht viel Wasser stand. Der Regen hatte wohl sein Maximum erreicht, es floss nichts mehr ab. Etwas langsamer, aber dafür auch sicherer würden wir später zu Hause ankommen.

„Wenn es nicht bald aufhört zu regnen, wird unsere Zufahrtstraße in die Stadt auch noch überschwemmt.“

Noch leicht erschrocken konzentrierte ich mich nun auch auf die Straße, in der Hoffnung, dass uns eine weitere Überraschung dieser Art erspart bleiben würde. Am Haus angekommen, half ich Mum ihre Mitbringsel ins Haus zu tragen.

Im Haus war es dunkel. Da Dads Wagen vor dem Haus stand, hatte ich angenommen, er wäre auch da.

„Wo ist Dad?“, fragte ich.

„Ich weiß nicht, ich dachte, er wäre schon zu Hause, sein Wagen steht schließlich vorm Haus.“

„Dad?’“, rief ich und brachte die Sachen in die Küche.

Es kam keine Antwort. Mum schaute mich besorgt an. Sie lief die Treppe hinauf. Wenig später kam sie kopfschüttelnd wieder zurück.

„Im Schlafzimmer ist er auch nicht.“

„Wo könnte er sein, draußen ist es fast dunkel“, meinte ich.

Plötzlich hörten wir auf der Veranda Schritte. Mit einem verwunderten Blick zu Mum ging ich zur Tür und öffnete diese. Als erstes ließ ich einen Schrei von mir, danach begann ich heftig zu lachen. Mum kam ebenfalls an die Tür und wusste sofort, warum ich so reagiert hatte.

Sie hob ihre Hand vor den Mund und begann zu kichern.

„Hört auf zu lachen! Ich finde das nicht lustig!“

Draußen stand Dad… total eingeschmiert mit Lehm, Grasbüschel und dazu noch tropfend nass.

„Was… was ist denn mit dir passiert?“, lachte ich weiter.

Dad war indes versucht, das Haus zu betreten.

„Halt, so kommst du mir nicht ins Haus!“, meinte Mum, aber richtig ernst konnte man sie nicht nehmen, denn auch sie lachte mittlerweile.

„Soll ich mich hier draußen etwa ausziehen…, wenn das die Nachbarschaft sieht“, kam es ärgerlich von Dad.

„Du meinst wohl, die sitzen alle mit Fernglas am Fenster…“, prustete ich los, „die wohnen doch alle viel zu weit weg.“

Inzwischen lag ich schon fast am Boden und konnte mich einfach nicht mehr beruhigen.

„Ich bring dir ein Badetuch, dann kannst du dich darin einwickeln, die Klamotten mach ich dann weg“, meinte Mum kichernd.

„Bah!“, gab Dad von sich und begann sich auszuziehen.

Mum kam in kürzester Zeit mit zwei Badetüchern zurück.

„Was ist denn eigentlich passiert?“, fragte Mum.

„Du weißt doch… hinter dem Haus ist der kleine Bach und der hat sich irgendwie verstopft und ist übergelaufen. Damit nicht alles in den Keller läuft, hatte ich begonnen, das Holz und die restlichen Sachen aus dem Bach zu ziehen, damit das Wasser wieder abläuft.“

„Ja… hast du es denn nicht fertig gebracht?“, fragte ich, kurz vor einer weiteren Lachattacke.

„Doch, aber nur, weil ich den letzten Baumstamm nicht richtig zu fassen bekam… und ich bin ausgerutscht. Mein unfreiwilliger Sturz ins Wasser hat den Rest weggespült.“

Mir liefen mittlerweile schon die Tränen.

„Aber warum bist du dann so… ähm… matschig?“, wollte Mum wissen.

Dad schaute verschämt zu Boden.

„Beim Rausklettern bin ich noch mal gestolpert und in den… Matschhaufen gefallen.“

Jetzt war alles zu spät. Auch Mum sank zu Boden und lachte genauso laut wie ich.

„Ha… ha… ich weiß, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“

Er streckte mir die Zunge raus und zog sich weiter aus.

„Hör auf…“, lachte ich nur noch lauter, „ich mach mir gleich in die Hosen.“

Er zischte und entledigte sich dem letzten schmutzigen Kleidungsstück. Nur in Shorts stampfte er an uns vorbei und rannte die Treppe hinauf. Mum sammelte lachend Dads Sachen ein und brachte sie in den Keller.

*-*-*

Ich lag auf dem Bett und las noch mal in Tassilos Email, als sich meine Zimmertür öffnete.

„Da bist du ja…“

Dad kam nur mit einem Handtuch auf den Hüften zu mir ans Bett und setzte sich neben mich.

„Deine Mutter hat mir vom Vorfall im Krankenhaus erzählt. Ist alles in Ordnung bei dir?“

„Ja… wieder, aber ich hab mir vor Angst fast in die Hosen gemacht.“

„Das wäre ja fast das zweite Mal heute gewesen.“

Ich musste wieder grinsen.

„Und es sind die, die Matthew zusammen geschlagen haben?“

„Ja, ich habe ihre Unterhaltung zufälligerweise mit angehört.“

„Da hast du ja echt Glück gehabt.“

Ich nickte. Plötzlich spürte ich einen spitzen Finger in der Seite und ließ einen lauten Schrei von mir.

„Das war für eben“, meinte Dad grinsend und verließ mein Zimmer wieder.

Das schrie geradezu nach Rache. Ich düste ihm hinterher und erwischte ihn gerade noch, als er ins Schlafzimmer wollte. Ich wusste, wie kitzelig er war und stürzte mich einfach auf ihn. Gemeinsam fielen wir auf das Bett.

Vom Lärm angelockt stand Mum plötzlich im Zimmer.

„Also Jungs, wenn ich euch im Kindergarten anmelden soll, sagt mir Bescheid… diese Männer… nur Quatsch im Kopf.“ Sie schüttelte ihren Kopf und verließ das Schlafzimmer wieder. Dad hatte seine Arme um mich geschlossen.

„Eigentlich schade, dass du schon so groß bist.“

„Warum?“, fragte ich.

„Früher genoss ich es, wenn du bei mir gelegen bist und dich an mich gekuschelt hast.“

„Das kannst du heute noch haben.“

„Nicht dass dein Freund neidisch wird. Was würde er denken, wenn ich hier fast nackt mit meinem fast erwachsenen Sohn Arm in Arm liege?“
„Er würde sich wundern…“

„Warum?“

„Dass ich plötzlich auf alte Männer stehe“, sagte ich und fing wieder an zu lachen.

*-*-*

Am nächsten Morgen beschloss ich, George anzurufen. Ich hatte die Bilder von Tassilo an Dads Drucker fein säuberlich ausgedruckt und bereit gelegt. Eine halbe Stunde später stand er vor der Tür.

„Hallo Billy. Ich habe gehört, dass ein Überfallkommando hier war.“

Ich schüttelte ihm die Hand.

„Hallo George, ein was?“

„Die Jungs…, Aiden, Samuel und Takumi.“

„Ja, die waren hier, stimmt. Sind sehr nett.“

„Gut das freut mich.“

„Dein Neffe war allerdings nicht so begeistert, dass du herum erzählst, dass er schwul ist.“

„Oh…“

„Ja oh, vielleicht solltest du ihn besuchen und das mit ihm klären, bevor du eine Horde süßer Schnuggel auf ihn loslässt.“

„Okay… ich habe meine Lektion gelernt. Aber deswegen bin ich nicht hier. Du hast gesagt, dein Freund aus England hat Bilder geschickt?“

„Ja, hier im Wohnzimmer. Ich habe sie für dich ausgedruckt, dann kannst du dir sie besser anschauen.“

So folgte mir George ins Wohnzimmer und ich gab ihm die ausgedruckten Bilder.

„Super, genau so habe ich mir das vorgestellt. Meinst du, Tassilo wäre bereit, einige Bilder hier her zu schicken, damit wir sie ausstellen können? Für die Fracht und alles weitere würde natürlich das Museum aufkommen.“

„Ich weiß zwar, er fand die Idee verrückt, dass sich hier in Amerika jemand für seine Bilder interessiert, aber ich werde ihn fragen. Und du willst die echt ausstellen?“

„Ja klar, von so einem Naturtalent muss man einfach etwas zeigen. Das darf nicht im Verborgenen bleiben.“

George betrachte sich noch mal die Blätter.

„Matthew war also sauer auf mich.“

„Öhm… ja.“

„Darüber habe ich nicht nachgedacht…“

„Das solltest du ihm sagen, nicht mir.“

„Wann fährst du wieder zu ihm hin?“

„Eigentlich erst morgen wieder.“

„Hättest du vielleicht Lust, mit mir eine Spritztour in die Stadt zu unternehmen und ihn zu besuchen?“

„Klar, was für eine Frage, wenn du mir fünf Minuten Zeit gibst, bin ich sofort fertig.“

Er lachte, während ich hoch in mein Zimmer sprintete, um mich schnell umzuziehen. Genau fünf Minuten später stand ich frisch gestriegelt wieder vor George.

„Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich vorher noch kurz in der Galerie vorbei.“

„Kein Problem.“

Wenig später saß ich neben George in seinem Wagen.

„Darf ich dich etwas fragen?“

„Was denn?“, fragte George.

„Also etwas Privates über dich.“

„Schieß los, ich habe eigentlich keine Geheimnisse.“

„Warum lebst du alleine, warum hast du keinen Partner?“

„Gute Frage…, aber ich habe mich für ein Leben alleine entschieden und das bleibt auch so.“

„Fühlst du dich nicht ab und zu einsam?“

„Doch schon und falls du das auch noch fragen wolltest… ich hatte auch eine lange feste Beziehung, aber ich wurde verlassen. Diesen Schmerz, den ich damals fühlte, wollte ich nie wieder spüren, deshalb der Entschluss, alleine zu bleiben.“

Heftig, fand ich.

„Und wenn dir einmal Mr. Right über den Weg läuft?“

„Hm…, ich glaube, den müsste ich mir selbst backen“, meinte George lachend, „meine Ansprüche sind einfach zu hoch, als dass sie jemand erfüllen könnte.“

„Aha…“

„Was schwirrt dir im Kopf umher?“

„Ich weiß nicht…, Tassilo hat unsere Beziehung beendet, weil er dachte, so weit entfernt voneinander würde die Beziehung abkühlen und kaputt gehen.“

„Da würde ich ihm Recht geben.“

„Und ich spürte den gleichen Schmerz wie du, denke ich mal jetzt.“

George nickte und bog auf die Interstate.

„Aber ich habe mich in Matthew verliebt, obwohl ich mir schwor, ich möchte keinen Freund mehr.“

„Ist Matthew Tassilo ähnlich, also ich meine jetzt nicht vom Aussehen her.“

„Ja, da brauche ich nicht lange überlegen. Sie sind sich ihn ihrer Art, mit Dingen umzugehen, wie sie sich geben, sehr ähnlich.“

„Siehst du, das ist der Grund, warum ich niemanden mehr wollte. Jeden, den ich anschließend kennenlernte, verglich ich mit John und irgendeine graue Zelle sagte dann zu mir, Finger weg, der lässt dich vielleicht auch irgendwann sitzen.“

„An so etwas habe ich nie gedacht…“

„Aber du verstehst was ich meine?“

„Ja, aber man kann doch nicht alle, die sich ähnlich sind, miteinander vergleichen.“

„Auch da gebe ich dir Recht, aber du weißt ja… im Alter wird man komisch…“

Ich schaute zu Georg hinüber und sah, wie er grinste.

„Wie hast du Tassilo kennen gelernt, wenn ich fragen darf?“

Diesmal musste ich grinsen, aber nicht über Georges Frage, sondern weil ich mich sofort wieder an die Geschichte beim Sportfest erinnerte. Ich fing einfach an zu erzählen.

„Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem wir uns über den Weg gelaufen waren. Es war beim Sportfest an der Schule. Tassilo hatte die Schule gewechselt und war neu in unsere Klasse gekommen. Der Tag war eigentlich schon fast gelaufen, als der letzte Sprint anstand.“

„Bist du ein guter Läufer?“, unterbrach mich George.

„Nein, das war nur von der Schule aus. Privat bin ich nie gelaufen. Also zurück zum Schlusslauf. Ich war weit an der Spitze, bis ich am Rand der Laufbahn einen Typen wahrnahm, der mich sehr faszinierte. Da passierte es. Irgendwie war ich falsch aufgetreten, auf alle Fälle verlor ich mein Gleichgewicht und stolperte über meine eigenen Füße.“

George fing an zu lachen.

„Na ja, der Schwung, den ich drauf hatte, verursachte ein regelrechtes Überschlagen meines Körpers und ich kam erst neben der Laufbahn wieder zum Liegen. Sofort umringten mich andere Schüler und lachten.“

„Verständlich, das hat sicher auch lustig ausgesehen.“

„Ein Lehrer drängte sich dann durch die Menge um mich. Er fragte mich, ob alles in Ordnung sei, aber außer einer leichten Prellung des Ellenbogens war nur mein Ego heftigst angekratzt. Der Pulk um mich löste sich auf, nur dieser Junge stand noch da und sah etwas betreten drein.“

„Tassilo?“

„Ja, aber da wusste ich seinen Namen noch nicht. Ich lief dann zu meinen Sachen, zog meinen Trainingsanzug über, verpackte den Rest und schulterte die Tasche. Erst einmal eine Dusche, dachte ich. Da fiel mein Blick zu dem Jungen, der da immer noch alleine stand.“

„Glaube ich gerne, wenn man neu an einer Schule ist, wo man niemanden kennt…, muss schrecklich sein.“

„Danke, das steht mir nächste Woche auch noch bevor.“

„Entschuldige, daran habe ich nicht gedacht, aber ich denke, du findest hier schnell neue Freunde, aber erzähl bitte weiter…“

„Okay. Ich fasste mir also ein Herz und lief zu ihm. Ein kleines Gespräch entwickelte sich, in dem ich dann auch erfuhr, dass er Tassilo hieß. Ich verabschiedete mich und wollte nur noch unter die Dusche. Danach war Tassilo verschwunden.“

„Einfach so?“

„Ja und es dauerte dann auch einige Tage, bis ich Tassilo wieder sah. Es war auf dem Heimweg von der Schule gewesen. In seiner Schuluniform hatte er richtig fesch ausgesehen und ich ertappte mich dabei, wie ich diesen Jungen regelrecht mit meinen Blicken auszog.“

„Die Jugend von heute“, kicherte George.

„Wieso…, hast du so etwas noch nie gemacht?“

Georges breites Grinsen war mir Antwort genug.

„Na ja, ich wollte irgendwie in seiner Nähe sein, so beschloss ich, ihn einfach näher kennen zu lernen. Ab diesem Tag war selten ein Moment gewesen, an dem wir nicht zusammen abhingen und ein paar Wochen danach geschah das, was ich mir insgeheim schon die ganze Zeit gewünscht hatte.“

„Ihr seid im Bett gelandet?“

„Nein…, also so etwas würde ich nie machen!“

Mein scheinheiliges Grinsen sagte George jedoch etwas anderes.

„Wir waren wie immer zusammen, redeten über Gott und die Welt, na ja und irgendwann offenbarte sich Tassilo mir und das Gespräch wurde mit einem langen Kuss besiegelt. Das war der Anfang einer zweijährigen Beziehung.“

„Süß!“

„Süß?“

„Ja, ich finde die Geschichte süß und irgendwie romantisch. Aber mit Matthew lief das anders, oder?“

Ich spürte, wie sich das Blut in meinem Gesicht sammelte.

Tassilo

„Ihr wart wo?“, fragte Nick.

„Lasst uns an den Tisch gehen, dann erzähle ich euch alles“, meinte ich.

So holte sich jeder sein Essen und wir kehrten zusammen an den Tisch zurück, an dem Daniel alleine auf uns wartete. Ich wunderte mich, dass er so abwesend schien, bis ich das aufgeschlagene rote Buch vor ihm sah.

Ich stellte seine Tasse Tee ab und setzte mich neben ihn. Die anderen begrüßten ihn und setzten sich zu uns. Daniel nickte jedem zu.

„Alles klar bei dir?“, fragte ich leise.

Er schüttelte den Kopf und schob Olivers Tagebuch zu mir. Ella hatte das natürlich mitbekommen und fing dann einfach an zu erzählen. Während die anderen an Ellas Lippen hingen und ihr Essen vertilgten, konnte ich mich besser um Daniel kümmern.

„Soll ich das lesen?“, fragte ich wieder leise.

Er nickte. Da ich mittlerweile selbst auch keinen Hunger mehr hatte, schob ich mein Essen weg und nahm das Buch.

2006, Juli 07

 

Daniel hat sich wieder in den Schlaf geweint. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen oder auch nicht, wie ich mit seinem Problem umgehen soll. Diese Liebe, wie sie Daniel spürt, kann ich einfach nicht erwidern.

Ich habe keine Probleme damit, dass er sich mehr zu Jungs hingezogen fühlt als zu Mädchen. Sicher nicht, eher das Gegenteil, aber dass er gerade mich ausgesucht hat, seinen Bruder, wird für mich langsam selbst zu einem Problem.

Ich sah zu Daniel, der immer noch starr auf den Tisch schaute. Ich widmete mich wieder dem Tagebuch.

Es ist ein schönes Gefühl, ihn neben mir liegen zu haben, seine Wärme zu spüren, ihn ruhig atmen zu hören. Aber mehr empfinde ich nicht, möchte nicht mehr empfinden.. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Daniel jede Möglichkeit sucht, mich mal nackt anzutreffen.

Aber ich weiß nicht, wie ich ihm klar machen soll, dass ich seine Liebe nicht erwidern kann, auf alle Fälle nicht so. Klar liebe ich ihn, aber eben als meinen kleinen Bruder. Es tut weh, wenn ich sehe, wie er sich jeden Tag quält.

Niemand weiß über ihn Bescheid, er hat nur mich zum Reden. Niemand weiß über mich Bescheid.

Ich hörte auf zu lesen und klappte das Buch zu, denn ich spürte, dass die anderen mir immer mehr Aufmerksamkeit schenkten. Ella war an dem Punkt der Erzählung angekommen, als sie Maude nieder geschlagen hatte.

„Ja und dann hat sie Daniels Schwester mit der Faust volle Kanne ins Gesicht geschlagen“, unterbrach ich Ellas Erzählung.

„Und sie ging zu Boden“, fügte Daniel hinzu.

Ich sah zu ihm. Er lächelte, aber sein Blick war immer noch traurig. Er nahm Olivers Tagebuch wieder an sich und packte es in seine Tasche, dabei flüsterte er mir so etwas wie – später – zu.

„Du hast sie echt niedergehauen?“, fragte Betty entsetzt.

Ella nickte.

„Auf Tassilo lass ich nichts kommen, schon gar nicht von so einer Tussi.“

Die anderen schauten zu Daniel, der aber immer noch lächelte.

„Dann kam Misses Feagan“, meinte er und Ella fing an, jede noch so kleine Einzelheit zu erzählen, was dann abgelaufen war.

„Ich möchte auch in Selbstverteidigung bei Misses Feagan“, sagte Jack und alle fingen an zu lachen.

Die Pause war schnell vorbei und auch der restliche Tag zog an mir vorbei, ohne viel Aufmerksamkeit zu schüren. Lediglich Daniel munterte mich ab und zu mit einem Lächeln auf.

Ich bewunderte ihn, dass er trotz der Geschichte am Morgen so gut seine Fassung bewahren konnte, denn was noch alles im Tagebuch stand, wusste ich nicht. Aber ich konnte mir vorstellen, dass es noch einige Enthüllungen gab, letztendlich auch, warum sich Oliver umgebracht hatte.

*-*-*

Lewis war gekommen und flachste schon die ganze Zeit mit Daniel herum, während ich bei Mum in der Küche stand und beim Aufräumen half.

„Sie verstehen sich sehr gut“, sagte ich.

„Ja und ich denke, Lewis tut das sehr gut.“

Sie lehnte sich gegen das Buffet und schaute mich an.

„Weißt du, Lewis zeigt nicht, wie es ihm wirklich geht. Er hilft dir…, Daniel und anderen Menschen, aber an sich denkt er nicht.“

Mum seufzte und räumte die Teller weg.

„Hast du noch nie versucht mit ihm zu reden?“

„Unzählige Male Tassilo, aber er blockt immer wieder ab.“

„Das ist auf die Dauer nicht gut, soviel habe ich schon gelernt.“

„Ich weiß Tassilo, aber ich weiß mir trotzdem nicht zu helfen.“

„Darf ich es mal probieren?“

„Ja, mach dir aber bitte nicht allzu große Hoffnungen.“

„Okay, kein Problem.“

„Habt ihr etwas zu trinken?“, unterbrach Lewis unsere Unterhaltung, als er mit einem lachenden Daniel unterm Arm die Küche betrat.

„Was wollt ihr beide denn?“, fragte Mum, während ich schon Gläser aus dem Schrank holte.

„Einen Whiskey“, kicherte Daniel, der sogleich für die Antwort einen Finger in die Seite gebohrt bekam.

„Was willst du?“, fragte Mum geschockt.

„Einen Orangensaft“, kicherte er weiter und Mum schaute wieder beruhigt.

„Ich schließe mich an“, sagte Lewis und ließ Daniel herunter.

Ich lief zum Kühlschrank, entnahm den Orangensaft und füllte die zwei Gläser. Danach servierte ich richtig Dienerreif die Getränke.

„Danke der Herr“, meinte Lewis, während ich eine kleine Verbeugung machte.

Wir saßen nun alle vier am Küchentisch.

„Darf ich einen Vorschlag machen?“, kam es plötzlich von Daniel.

„Um was geht es denn?“, fragte Mum.

„Um Tassilos Bilder. Da ist doch wer, der sich für seine Bilder interessiert.“

„Ja und?“, meinte ich.

„Ihr drei tut so viel für mich, da wollte ich mich erkenntlich zeigen.“

„Du weißt aber, dass du das nicht musst“, erwiderte ich.

„Ja, aber ich will etwas tun.“

„Und was für ein Gedanke schwebt dir da vor?“, fragte Lewis.

„Also wenn der, der sich für Tassilos Bilder interessiert, sie auch haben will, wie wäre es denn, wenn wir nach Amerika fliegen?“

Mum war etwas irritiert und sagte zuerst mal gar nichts, dafür fing Lewis an.

„Das kann sich im Augenblick keiner von uns leisten, Daniel“, warf Lewis ein.

„Das muss auch nicht sein…, meine Familie verfügt über einen Privatjet und Dad stellt uns den sicher zur Verfügung.“

„Wir vier nach Amerika, falls jemand eine Ausstellung mit Tassilos Bildern macht? Verstehe ich das richtig?“, fragte Mum etwas abwesend.

Man konnte deutlich sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Aber auch ich selbst versuchte das Chaos, welches sich gerade in meinem Kopf bildete, zu unterdrücken, denn sollte es soweit kommen, würde ich auch Billy wieder sehen.

Billy

George fragte nicht weiter nach, anscheinend war ihm mein rotes Gesicht Antwort genug. Mittlerweile waren wir in der Innenstadt angelangt und vor einem alten Gebäude parkte George seinen Wagen ein.

„Wir sind da“, meinte er und stieg aus.

Ich folgte ihm. Von außen sah es aus, als würde sich ein kleiner Laden hinter der Fensterscheibe befinden. Nur die kleinen Leuchtbuchstaben über der Tür ließen erahnen, dass es sich um eine Galerie handelte.

Gallery 4 you

Ein komischer Namenszug, dachte ich mir noch, als ich die kleine Stufe nahm und eintrat. Hinter der Tür lag ein riesiger Raum, der so von außen nicht erkennbar war. In einem Eck stand ein großer Schreibtisch, hinter dem eine Frau saß.

In ihrer dicken Brille spiegelten sich die Deckenfluter, die den Raum erhellten. Ein kleiner Gong, ausgelöst durch die Ladentür, erweckte ihre Aufmerksamkeit.

„Nanu George, hast du etwas vergessen? Du hast dir den Mittag doch frei genommen.“

„Hallo Katie, nein ich wollte dir nur kurz etwas zeigen und dann bin ich schon wieder weg. Das hier ist übrigens Billy Fox, der Junge, der den Maler kennt, von dem ich dir erzählt habe.“

„Ein Freund dieses Engländers?“, meinte sie im Aufstehen.

„Ja und ich habe dir Abzüge der Bilder mitgebracht“, sprach George weiter.

Er reichte ihr die Blätter, die ich noch vor einer Stunde erst gedruckt hatte.

„Nicht schlecht, du hast wirklich nicht übertrieben. Und wie stehen die Chancen, dass  wir die Bilder ausstellen können? …oh entschuldigt… ich bin Katie, die Kollegien von George“, meinte sie und reichte mir dir Hand.

„Billy…“, sagte ich, obwohl sie meinen Namen eben schon gehört hatte.

„Was meinst du, junger Mann, wird dein Freund uns die Bilder zur Verfügung stellen?“

„Ich muss ihm natürlich erst zurück schreiben, aber ich denke schon“, antwortete ich.

„Gut“, sagte sie und lief wieder zum Schreibtisch zurück.

„Ich lass dir die Blätter einfach mal da“, kam es von Georg und legte ihr die Ausdrucke auf den Tisch, „und schon bin ich wieder weg.“

„Viel Spaß“, wünschte sie noch und nickte mir zu.

„Werden wir haben“, erwiderte George und schob mich zur Ladentür, „wir sehen uns morgen.“

„Ja, bis morgen“, antwortete Katie, ohne von den Blättern aufzuschauen.

*-*-*

George und Matthew unterhielten sich nun schon recht lange, während ich auf dem Flur auf und ab lief.

„Hallo Billy“, ich dachte du kommst erst morgen wieder.

Doreen stand an einem Wagen vor einem der Zimmer. Ich schaute auf und lächelte sie an.

„Nein, ein Freund hat mich mit genommen, er ist gerade bei Matthew.“

Sie kam zu mir gelaufen.

„Lust auf einen Kaffee?“, fragte sie.

Eigentlich trank ich nur Tee, aber bei dem Kaffeekonsum dieser Leute hier sollte ich mir das Kaffeetrinken wirklich angewöhnen.

„Klar, warum nicht.“

„Dann folge mir mal unauffällig ins Schwesternzimmer.“

Ich lächelte und folgte ihr sogleich. Im Zimmer der Schwestern waren noch ein Pfleger und eine andere Schwester.

„Doreen, wen hast du dir denn da aufgegabelt…, ist der nicht etwas zu jung für dich?“

Doreen baute sich vor dem Mann auf und stemmte die Hände in die Seiten.

„Lieber Toby und wenn er zu jung für mich wäre, dann würde dich das nichts angehen!“

Ich versuchte mein Grinsen zu verbergen, aber da die andere Schwester bereits übers ganze Gesicht grinste, fiel mir das recht schwer.

„Allerliebste Doreen, du willst mich doch nicht etwa dumm sterben lassen?“

„Noch dümmer als du schon bist? Geht ja gar nicht.“

Jetzt konnte ich nicht anders und kicherte leise.

„Doreen, wie stellst du mich vor diesem jungen Mann hin, der bekommt ja einen schlechten Eindruck von mir.“

„Sei froh, wenn er dich überhaupt wahrnimmt!“

Jetzt ging überhaupt nichts mehr, genau wie die andere Schwester fing ich nun auch an zu lachen.

„Libby, das ist der junge Mann, der zu Matthew gehört.“

Diese nickte und wandte sich mir zu.

„Dann musst du Billy sein?“, kam es von ihr und streckte mir ihre Hand entgegen.

„Ja“, antwortete ich und schüttelte ihr die Hand.

„Du bist mit Matthew zusammen?“, fragte der Pfleger schockiert.

Er fragte das, als wäre es das Normalste auf der Welt.

„Ähm ja…“

„Na toll. Ich sag ja, Jungs sind entweder beschissen oder vergeben.“

„Toby, nicht so negativ, du wirst auch noch deinen Traummann finden“, kicherte Libby.

„Ja, wer will denn so einen Alten wie mich?“

„Du bist gerade mal siebenundzwanzig Jahre alt und redest wie ein alter Mann“, sagte Doreen, „und wann willst du in Rentenstand gehen?“

„Sobald ich euch Mädels alleine den Laden schmeißen lassen kann.“

Jetzt fingen Doreen und Libby laut an zu lachen, während ich amüsiert in der Ecke stand und schmunzelte.

„Jetzt hör dir doch mal diesen Dreikäsehoch an, als wäre er der wichtigste Mann hier auf dem Stockwerk“, meinte Doreen.

„Na ja, ich weiß nicht, ob man ihn überhaupt als Mann bezeichnen kann, er beteuert ja immer unten zu liegen“, sagte Libby leise.

Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und begann zu husten.

„Billy?“, hörte ich eine Stimme auf dem Flur.

Da nur George hier wusste, dass ich da war, verließ ich das Schwesternzimmer und schaute nach.

„Da bist du ja…, was ist dir denn passiert?“

„… am Kaffee verschluckt.“

„… jetzt renn doch nicht weg, hier ist ein Tuch zum Abwischen… oh.“

Toby war mir gefolgt und hatte begonnen, mich abzutupfen, als er George erblickte. Er rempelte mich an.

„Ist das dein großer Bruder?“, fragte Toby laut, so dass es George hören musste.

Zum Glück hatte ich die Tasse abgestellt und nicht getrunken, denn eine blödere Anmache gab es ja wohl nicht. Doch der Herr vor mir schien darauf anzusprechen. George schaute plötzlich so verklärt und legte den Kopf etwas schief.

„Nein, das ist der Onkel meines Freundes.“

„Noch zu haben?“

Ich wusste nicht, ob Toby mit Absicht so laut sprach. Ihm musste doch klar sein, dass George alles hören konnte, oder war das irgendeine billige Masche?

„Toooby?“, hörte ich Doreen rufen, „der Patient auf 219 ruft.“

Sein Blick war etwas enttäuscht.

„Ja, ich komme.“

Während Toby mir das Tuch reichte und George sich neben mich stellte, zog er los.

„Wer war das denn?“, fragte George.

„Toby, ein Pfleger auf dieser Station, siebenundzwanzig Jahre alt und noch zu haben“, antwortete ich wahrheitsgemäß und grinste.

George grinste ebenfalls.

*-*-*

Ich saß auf dem Bett neben Matthew und hielt seine Hand in der meinen. Wir schmachteten uns einfach nur an, während George irgendetwas von der Jugendgruppe erzählte.

„Willst du wieder mitfahren, oder suchst du dir eine andere Mitfahrgelegenheit?“, fragte mich George plötzlich.

„Hä…, ach so, ich rufe Mum an, ob sie mich mitnimmt oder Dad.“

„Gut, dann werde ich mich mal verabschieden.“

Es klopfte und die Tür ging auf. Herein kam Toby mit einem Tablett voll Essen.

„So…, Essenszeit“, hörte ich ihn sagen, obwohl er noch nicht in unsere Richtung schaute.

So hatte er George natürlich auch noch nicht entdeckt. Das änderte sich schnell, als er die Tür zugezogen hatte und fast sein Tablett fallen gelassen hatte.

„Haa…hallo“, stotterte er plötzlich.

„Also Jungs, ich bin dann weg und Mathi, ich komme dich natürlich wieder besuchen und ruf mich an, wenn du etwas brauchst.“

„Danke George, werde ich machen“, antwortete Matthew.

George trat noch ans Bett und umarmte Matthew sanft, so gut es eben ging. Toby stand währenddessen starr an der Tür und hatte immer noch das Tablett mit Matthews Essen in der Hand.

„Und du meldest dich bitte, sobald du was von Tassilo hörst, okay?“

„Ja, klar mache ich sofort“, antwortete ich.

George lief an einem sprachlosen Toby vorbei, lächelte ihn verträumt an und verließ das Zimmer. Tobys Kopf folgte in Zeitlupe und starrte nun immer noch auf die bereits verschlossene Tür.

„Was es wohl zu essen gibt heute?“, meinte Matthew und grinste mich dabei an.

„Äh… was?“, kam es von Toby, während er sich zu uns umdrehte.

„Was gibt es zu Essen?“, fragte Matthew noch mal, während ich mir das Lachen verbiss.

„Lauter leckere Sachen“, antwortete Toby und wurde plötzlich hektisch.

Er zog den Klapptisch heraus, stellte das Tablett so heftig ab, dass die Sachen darauf fast auf Matthew gerutscht wären, wenn ich meine Hand nicht dazwischen gehalten hätte.

„Du fütterst Mathi… äh ähm… Matthew doch sicher?“, fragte Toby.

Er wartete nicht einmal die Antwort ab, sondern rannte sofort aus dem Zimmer.

„Hast du auch den Amorengel gesehen?“, fragte ich kichernd.

„Den was?“

„Den Amorengel, der einen Pfeil auf Tobys Hintern abgeschossen hat.“

„Ach so, den meinst du. Aber ich glaube, das war eine ganze Ladung voll, so wie der sich benommen hat.“

„So, ich muss dich also füttern?“

„Jaaaa“, antwortete Matthew und legte einen Dackelblick auf, der seines Gleichen suchen konnte.

„Gut, wo ist denn das Lätzchen?“, meinte ich und suchte gespielt selbiges.

Zur Antwort bekam ich nur eine heraus gestreckte Zunge. Ich nahm den Deckel des kleinen Behälters ab und zum Vorschein kam eine Suppe. Jetzt fragte ich mich wirklich, ob ein Latz nicht doch besser gewesen wäre und grinste wieder.

Ich nahm den Löffel und probierte die Suppe.

„He, das ist meine“, beschwerte sich Mathew sofort.

„Weiß ich doch, aber ich muss doch wissen, wie heiß sie ist und ob ich pusten muss.“

Matthew funkelte mich grinsend an. Ich füllte den Löffel wieder und schob ihn Richtung Matthews Mund.

„So einen für Papa“, sagte ich und bevor ich den Löffel zurückziehen konnte, verschüttete ich den Inhalt, weil Matthew zu kichern anfing.

„Einen Moment“, sagte ich und tupfte Matthew mit dem Tuch von Toby, das ich immer noch hatte, trocken.

Dann stand ich auf und besorgte mir bei Doreen wirklich ein Lätzchen, welches Matthew sich nur unter Protest anlegen ließ. So versuchte ich es dann zum zweiten Male und hatte Erfolg, ihn ohne Verschütten zu füttern.

*-*-*

Abends saß ich mit meinen Eltern beim Abendessen.

„Was schaust du so besorgt, Oliver. Stimmt irgendetwas auf der Arbeit nicht?“, fragte Mum plötzlich.

„Nein, da ist alles in Ordnung, aber ich habe eine Unterhaltung mitbekommen, dass der Fluss bei uns in der Nähe einen sehr hohen Wasserstand hat und man befürchtet, wenn es so weiter regnet und es ist auch weiterhin gemeldet, dass er über die Ufer treten könnte.“

„Aber der ist doch ein paar Kilometer entfernt, ich habe mindestens eine halbe Stunde mit Matthew dorthin gebraucht, als wir mit dem Motorrad unterwegs waren“, warf ich ein.

Dad schaute mich an.

„Zwischen uns und dem Fluss ist es aber flach, es gibt keine große Steigung.“

„Du meinst, wir könnten etwas abbekommen?“, fragte nun auch Mum besorgt.

„Ja…, auf alle Fälle kümmere ich mich morgen darum, was wir machen können, damit unser Haus nicht voll läuft.“

„Aha…“, meinte Mum.

Tassilo

„Seit dem Abendessen bist du so ruhig…, habe ich etwas falsch gemacht?“

Daniel schaute mich fragend an. Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf, während ich ihn zu mir aufs Bett zog.

„Nein hast du nicht. Ich bin nur etwas nachdenklich.“

„…etwas?“

Ich nickte und Daniel kuschelte sich in meinen Arm.

„Mir geht deine Idee durch den Kopf, dass wir die Bilder selbst nach Amerika bringen könnten.“

„Also doch wegen mir.“

„Nein. Mir kam nur der Gedanke, dass ich Billy wieder sehen werde.“

„Ist das schlimm?“

„Nicht schlimm… nein, aber ich weiß nicht, wie das sein wird. Ich habe mittlerweile einen sehr süßen Freund und er hat auch jemanden kennen gelernt. Als er England verließ, schwor er mir ewige Liebe, obwohl wir uns getrennt hatten.“

„Du… liebst ihn noch.“

Daniel rückte etwas ab, aber ich zog ihn gleich wieder an mich heran.

„Ja, klar liebe ich ihn noch, aber dieses Gefühl ist anders geworden, Daniel, verstehst du?“

Er schüttelte den Kopf und schaute mich dabei ängstlich an.

„Als allererstes Daniel, ich liebe dich und ich möchte mit dir zusammen sein, okay?“

Er nickte.

„Im Augenblick gibt es nichts Schöneres, als bei dir zu sein, deine Nähe zu spüren, dein Lächeln zu sehen… dich lieben zu dürfen.“

Sein ängstlicher Blick wich und auf seinen Lippen zeichnete sich ein kleines Lächeln ab.

„Das mit Billy ist vorbei, damit habe ich abgeschlossen. Halt, das ist nicht ganz richtig, klar denke ich darüber noch nach. Ich weiß aber auch, dass ich die Zeit, die ich mit Billy verbracht habe, nicht wieder zurück holen kann und um ehrlich zu sein, ich möchte es auch nicht mehr…“

„Warum?“

„Wegen dir.“

„Wegen mir?“

„Hast du mir eben nicht zugehört?“

„Doch… ähm ja, das war schön.“

„Deswegen, weil ich dich eben liebe.“

„Und warum bist du dann so nachdenklich?“

„Weil ich nicht weiß, wie ich mich gegenüber Billy verhalten soll. Ich weiß nicht, was er für mich noch empfindet.“

„Du hast gesagt, er hat auch jemanden gefunden, dann wird er wohl ebenso fühlen, wie du es gerade tust?“

„Bist du sicher?“

„Das fragst du mich? Du bist der erste Mensch, in den ich mich verliebt habe, wie soll ich wissen, wie andere empfinden?“

„Entschuldige.“

„Du brauchst dich doch nicht entschuldigen. Ich wollte nur damit sagen, dass ich wohl der schlechteste Ratgeber in Sachen Liebe bin, den es gibt.“

Ich seufzte und schmiegte mich enger an Daniel.

„Jetzt warten wir erst mal ab, was dein Billy auf deine Mail antwortet und ob die deine Bilder überhaupt wollen…“

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