Meeresrauschen – Teil 2

Samstag, 11.04.

Jost brachte gerade die beiden Tassen an, als mein Kleiner mit einem Gesicht ankam, mit der er bei jedem Milchverarbeitungsbetrieb in der Sauermilchproduktion hätte anfangen können.

„Was ist los?“ „Das war gerade Henning.“ „Und was wollte er? Wissen, ob wir schon wach sind, damit wir die Fähre nicht verpassen?“ „Ne, schlimmer. Wir brauchen nicht mehr …“ „Schatz, bitte, du weißt, ich liebe dich, aber bitte sprich nicht so in Rätseln. Wieso können wir wieder fahren? Ich dachte, du solltest ihm die Leitungen machen?“ „Eigentlich ja, aber das ist auf später verschoben, er braucht jetzt dringender erst einmal ein neues Dach?“ „Äh?“ „Das Gewitter von gestern Abend, du erinnerst dich?“ „Schwach! Ich weiß nur noch, wie du geklammert hast, als es donnerte.“ „Du schon wieder! Da draußen muss es wohl noch schlimmer gewesen sein. Auf jeden Fall hat gestern der Blitz bei ihm eingeschlagen und nun fast ist der gesamte Dachstuhl weg. Henning meint, das Studio sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Alles schwarz und verkohlt.“ „Oups, da haben wir ja wohl noch mal Glück gehabt, wir hätten ja da wohnen sollen.“ Flo wurde bleich, daran hatte er wohl im Moment auch nicht gedacht.

Jost hatte die ganze Zeit daneben gestanden. „Aber ich dache, für so etwas gibt es Blitzableiter?“ „Normalerweise schon, aber du siehst es ja! Anscheinend hat die Technik nicht funktioniert, oder weiß der Henker! Henning meinte, es würde heute Mittag ein Brandsachverständiger von der Feuerwehr und von seiner Versicherung rauskommen und sich den Schaden ansehen. Wir könnten im Moment eh nichts machen und würden nur stören.“ „Ist klar, er hat jetzt wohl alles andere im Kopf.“ Ich schaute ihn mitfühlend an, ich wusste, wie er an seinem Onkel hing.

„Aber was sollen wir denn jetzt machen, mein Kleiner?“ „Gute Frage, Großer. Ich weiß es auch nicht! Du musst ja noch was tun, damit wir uns das Wochenende hier leisten können.“ „Äh?“ „Du wolltest das Zimmer bezahlen, wenn ich dich erinnern darf?“ „Hab ich das gesagt?“ Jost grinste. „Hast du, ich bin Zeuge!“

Ich zuckte mit den Schultern und gab mich geschlagen. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich genau, was ich in meinem Portemonnaie hatte: Genau 145 Euronen und etwas Klimpergeld. Gut, ich hatte ja noch die stille Reserve in der Brieftasche von 150 für Notfälle, also genug, um die Übernachtung zahlen zu können. Was mein Gatte im Geldbeutel hat, wusste ich nicht, er aber meistens auch nicht! Es ist schon mehr als öfters vorgekommen, dass er mich jovial zum Essen eingeladen hat, ich aber hinterher die Zeche übernehmen musste. Männer!

Um Missverständnissen vorzubeugen, ich weiß immer, was ich mit mir führe. Obwohl in einer modernen Branche arbeitend, bin ich, was Zahlungsmittel angeht, doch eher altmodisch. Bargeld lacht und wenn man in einem Laden steht, und dem Typen an der Kasse beides hinhält, Bargeld und Plastik, gibt es bei Ersterem meistens noch Rabatt.

Ich muss es ja zugeben, ich verfüge auch über zwei Kreditkarten. Aber die eine läuft über die Firma und die andere wurde mir – für alle Fälle – von meiner Mutter aufgenötigt. Gut, Mama hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich sie für uns nutzen würde, aber wenn wir schon losziehen, dann bitteschön auf eigene Rechnung! Mir ist eine selbst bezahlte Mantaplatte lieber, als Kaviar auf Pump. Bin ich altmodisch?

„Gut, also dann …“ „Also was?“ „Also dann frühstücken wir erst mal in aller Ruhe, denn das ist ja im Preis drinnen. Wir können uns dann immer noch überlegen, was wir mit dem Wochenende anfangen. werden. Ich brauche erst einmal eine vernünftige Unterlage, um überhaupt denken zu können. Jost, bringst du uns noch mal zwei Kaffee?“

Er tat, wie ihm geheißen. Flo schaute mich fragend an. „Was denkst du?“ „Tja, du bist der Entführer. Mach du einen Vorschlag.“ „Immer ich! Aber gut, ich hab mich so auf das Wochenende mit dir gefreut, mal weg von zu Hause, mal nur wir allein, nur wir beide.“

In diese Augen könnte ich mich verlieben, wenn ich ihnen nicht schon längst verfallen wäre. „Können wir denn nicht hier bleiben? Ich hab doch eh alles für heute Abend abgesagt und vor morgen Nachmittag werden wir sowieso nicht erwartet.“ „Können könnten wir schon, nur …“ „Nur was, Marius? Wo ist das Haar in der Suppe?“ Er war leicht gereizt, jedenfalls seine Stimme klang so.

„Die Übernachtung wäre ja kein Problem, Schatz, aber ich muss für mindestens sechs, sieben Stunden an den Rechner, und wahrscheinlich auch online gehen. Kannst du dir vorstellen, wie viel die hier für eine Einheit nehmen? Ich bin meinem Geld ja nicht böse, du bist jeden einzelnen Cent wert! Aber zum Fenster rauswerfen will ich es auch nicht. Und ehrlich gesagt, ich habe keine Lust, mehr als das Doppelte für Telefon auszugeben, als unbedingt nötig. Du weißt, wie lange es dauert, die Seite zum testen auf den Server zu laden, und ich hab nur ein Modem an den Rechnern. Du weißt, was ich von Internetcafes halte. Ich glaube nicht, dass ich da einen Laptop anschließen kann.“

„Danke, dass ich dir was wert bin!“ Er warf mir einen Kuss zu. „Aber daran hab ich gar nicht gedacht! Bei Henning hättest du ja einfach den Laptop ans Netzwerk anschließen können.“ Er biss in sein Brötchen. „Dann lass uns zu Ende frühstücken und dann ganz langsam los.“ „Wie du befiehlst, mein Entführer, wie du befiehlst.“

Jost brachte frischen Kaffee. „Und? Wie habt ihr euch entschieden?“ „Marius muss ja noch was tun für unseren Lebensunterhalt. Ihm dürfe die Telefonrechnung zu hoch werden.“ „Jaja, jetzt bin ich wieder der Buhmann.“ „Telefon? Was willst du mit Telefon?“ Ich erklärte ihm kurz den Sachverhalt und er nickte nur. Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat, denn er ging ohne ein Wort wieder in die Küche.

„Was war das denn für ein Abgang?“ „Gute Frage, die Nächste bitte. Gibst du mir bitte noch ein Brötchen?“ „Hier sind gleich Zwei!“ „Zwei? Flo, sehe ich so verhungert aus?“ „Das nicht, aber wozu hab ich dich denn entführt? Da kannst du mir auch mein Frühstück machen.“ „Ja, Kind, die Mami schmiert dir gleich ein Brötchen. Was möchte der Kleine denn drauf haben? Leberwurst und Rübenkraut? Oder doch lieber Gauda mit Senf? Sag’s fein der Mami!“ Ich grinste.

Jost kam mit Erkan zum Tisch. „Wir haben euch einen Vorschlag zu machen. Ihr müsst ihn aber nicht annehmen, wenn ihr nicht wollt.“ Flo grinste: „Das haben Vorschläge nun mal so an sich, man kann sie annehmen, man kann es aber auch sein lassen. Nur …“ „… man sollte den Vorschlag erst einmal kennen, ehe man sich positiv oder negativ entscheidet!“, vollendete ich den Satz.

„Also, wenn ihr nichts dagegen habt, könnt ihr gerne bleiben, allerdings nicht hier im Hotel, sondern bei uns. Erkan hat DSL in seiner Bude und wenn du Internet brauchst, dann kannst du seinen Anschluss nutzen.“ „Äh, ich dachte, ihr lebt nicht zusammen!“ „Tun wir auch nicht, aber wir wohnen! Im gleichen Apartmenthaus.“ Jost lachte und Erkan fiel ein.

„Hat sich halt so ergeben, wir haben, wie ihr, die gleiche Adresse.“ „Erkan wohnt Parterre und ich hab meine Gemächer im ersten Stock, von daher fällt es auch telefonmässig nicht auf, wenn er bei mir ist oder ich bei ihm! Schnurlos sei Dank! Wenn ihr wollt, könnt ihr heute Nacht bei Erkan schlafen.“ „Äh, Danke. Aber was macht ihr?“ „Wir? Das gleiche wie ihr, allerdings ein Stockwerk höher.“ Diesmal grinsten wir alle. „Nein, das meinte ich nicht. Aber überlasst du jedem Fremden so mir nichts dir nichts deine Wohnung? Ich kenne zwar die Gastfreundlichkeit der Türken, aber das die soweit geht, war mir neu.“

Diesmal musste Erkan lachen. „Marius, du und Flo, ihr seid keine Fremden! Nicht mehr! Ich hab euch schon nackt gesehen und ihr mich auch! Und wir haben ja schon schließlich eine gemeinsame Nacht in einem viel zu engen Bett hinter uns!“ Er grinste über beide Backen. „Nein, ist wirklich kein Problem. Ob Jost und ich nun unseren freien Abend bei mir oder ihm verbringen, ist egal. Wir würden eh zusammen sein, also wo soll das Problem liegen?“ „Ihr habt heue Abend frei?“ „Haben wir! Wir wollten eh zusammen kochen und dann ins Kino. Aber wenn ihr bleibt, dann machen wir was gemeinsam? Also, was ist nun? Nehmt ihr an?“

Ich schaute meinen Flo an, auch sein Grinsen wurde breiter. „Also, lieber Erkan, ich bin hier nur das Entführungsopfer, mich darfst du nicht fragen! Stell die Frage dem Banditen hier, der muss entscheiden, ich in ja nur die Geisel.“ „Wenn das so ist, Marius, dann bleibt mir nur eins zu sagen!“ Flo räusperte sich. „Lieber Erkan! Lieber Jost! Wir nehmen die Einladung gerne und dankend an, aber das Essen heute Abend geht auf uns!“

Ich rechnete im Stillen nach, ob ich dann doch noch an die Reserve gehen müsste, bei meinem Gatten weiß man ja nie. Er kennt zwar seine Scorerpunkte und seine Strafzeiten aus dem Eff-Eff, aber fragt man ihm nach seinem Kontostand, so erntet man, wenn nicht gerade der Erste ist, lediglich ein klägliches Schulterzucken.

„Kommt gar nicht in die Tüte. Wir gehen nicht essen, wir kochen selber, d.h. Erkan steht am Herd und schwingt die Töpfe. Wozu habe ich mir einen Koch angelacht?“

Flo wurde etwas ernster: „OK, aber dann ist der Einkauf unsere Sache, wir haben schließlich kein Gastgeschenk mitgebracht.“ Jost nickte. „Stimmt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf.“ Er zwinkerte mit den Augen in Richtung Flo. „Vorschlag: Ihr holt uns hier um zwei ab, da haben wir Feierabend. Dann gehen wir zwei beiden einkaufen und unsere Gatten arbeiten. Wir kochen bei Erkan, er hat die bessere Küche!“ Wie logisch!

„Also, abgemacht. Äh, Jost, bis wann müssen wir das Zimmer geräumt haben?“ „Bis zehn.“ Ich schaute auf die Uhr, es war kurz nach acht. „Na, Schatz, was machen wir beiden denn dann bis zwei?“ „Genießen wir erst einmal unser Frühstück. Denn es lohnt sich nicht mehr, sich hinzulegen, würde ja nur ne Stunde Schlaf bedeuten und dann ist man hinterher müder als vorher.“ „Stimmt, mein Engel, auch wenn ich deinen verschlafenen Blick so liebe. Aber den ganzen Tag dich und dein verknattertes Gesicht ertragen zu müssen, wäre einfach zuviel.“ „Danke, werde ich mir merken!“ „Hier!“ Ich reichte ihm einen Kugelschreiber. „Was soll ich damit?“ „Es dir aufschreiben, Flo, es dir aufschreiben!“ Ich kann auch manchmal schnippisch sein, sagte ich dass schon?

Wir frühstückten in aller Ruhe, gönnten uns jeder noch ein zweites Ei und zum Abschluss ein Glas Sekt und eine Zigarette danach. Ich blickte auf meine Uhr, es war viertel nach neun. „Sollen wir?“ „Jepp, gehen wir packen.“

Erkan kam aus der Küche. „Na, hat’s geschmeckt?“ „Jepp, hat es, mein Lieber. Mein Gatte hat lange nicht mehr soviel gefrühstückt, er beschränkt sich normalerweise auf Kaffee und Zigaretten.“ Flo hatte sich mittlerweile erhoben und tätschelte mir meinen Bauch. „Äh, Erkan!“ „Ja?“ „Ein Problem habe ich noch?“ „Wo drückt der Schuh, Marius?“ „Was soll ich mit meinen Sachen machen?“ „Welchen Sachen?“ „Na, ich habe zwei Laptops und so einiges andere an Computerklamotten bei mir. Die würde ich nur ungern den ganzen Tag mit mir rumschleppen oder im Auto lassen.“ „Ach so!“ Er griff in die Tasche und gab mir einen Schlüsselbund. „Hier! Der mit der roten Plastikumrandung ist für die Haustür, der Blaue für die Haustür. Wenn ihr reinkommt, den Flur rechts und dann die zweite Tür links. Hängt ne türkische Fahne an der Tür, könnt ihr also nicht verfehlen!“ „Danke, mein Lieber!“ „Da nicht für, Melek!“ Mich wunderte bei diesem Türken überhaupt nichts mehr.

Jost störte die traute Runde. „Schatz, irgendwas fiept in der Küche.“ „Na, dann werde ich mal. Der Ofen ist soweit, ich werde dann mit den Vorbereitungen für das Mittagessen anfangen. Falls wir uns nicht mehr sehen sollten, wir treffen uns dann später bei mir. Den Schlüssel habt ihr ja.“ „Danke nochmals, ich könnt Dich knutschen!“ „Ich dich auch, Marius, aber der Senior ist da, da kommt das nicht so gut.“ Er zwinkerte mir zu und verschwand in Richtung Küche.

„Äh, was ist denn los?“ „Schatz, erklär du ihm das mal, ich muss mal eben dringend irgendwo hin. Ihr entschuldigt mich kurz!“ Ich nahm die Beine in die Hand und machte, dass ich zum Klo kam. Als ich meine Notdurft beendet hatte, waren die beiden immer noch ins Gespräch vertieft. Nicht, dass ich eifersüchtig war, aber mein Flo braucht normalerweise etwas länger, um mit Fremden warm zu werden.

„Na, ihr zwei! Alles geklärt?“ „Ja, Schatz, haben wir. Sollen wir hoch und packen?“ „Jepp. Dann las uns mal!“ Er zwinkerte Jost zu, nahm mich am Arm und wir gingen zur Treppe, hoch zu Zimmer 12, allerdings nicht wie das letzte Mal, als wir wie Diebe in der Nacht die Stiege hoch schlichen.

Ich ging ins Bad, um mich zu rasieren. „Willst du dich schick machen?“ „Wieso?“ „Na, es ist Samstag und du rasierst dich? Zuhause läufst du kratzig rum um diese Uhrzeit!“ „Engelchen!“ Ich ging auf Flo zu und drückte ihm einen rasierschaumgeschwängerten Kuss auf die Wange. „Engelchen! Wir sind aber nicht im Waldmannskotten und außerdem, wenn wir eingeladen sind, mache ich das auch samstags!“ Ich ging wieder zurück zum Spiegel und setzte gerade die Klinge an, als mein Flo von hinten ankam und mich umpackte. Er ließ seinen Händen freien Lauf und wohin die beiden wanderten, brauche ich ja wohl nicht zu verraten, oder?

„Flo, willst du, dass ich mich schneide?“ „Besser nicht, du weißt, ich kann kein Blut sehen. Ich könnte dir keine Erste Hilfe leisten.“ „Würdest mich also verbluten lassen?“ „Im Leben nicht, ich würde Erkan rufen.“ Ich knuffte ihn. „Mach nur so weiter, vielleicht tausche ich dich ja ein!“ „Gib es zu! Du machst das nur wegen dem kleinen Türken und nicht wegen mir! Ich habe doch deine Blicke gesehen!“ „Schatz, was soll das? Du weißt, ich liebe nur dich, gut Erkan ist lieb und nett, aber kein Vergleich mit dir. Er wird dir nie das Wasser reichen können, und außerdem ….“ „Was?“ „Außerdem sind wir eingeladen und da geht man ordentlich hin, hat mir jedenfalls meine Mutter beigebracht. Wo soll ich mich denn rasieren, wenn nicht hier? Etwa auf dem Bahnhofsklo?“ Mein Gatte grummelte. „Aber Flo! Es ist schön!“ „Was?“ „Dass du ohne Grund nach fast drei Jahren immer noch so schnell eifersüchtig wirst!“

Diesmal zog ich ihn an mich und küsste ihn leidenschaftlich. Ich hatte Zeit und Raum vergessen, tauchte nur in seine Augen und ließ mich treiben. Irgendwann war es Flo’s Stimme, die mich in die Realität zurückholte. „Wenn wir bis zehn hier raus sein sollen, solltest du dich beeilen, oder willst du doch unrasiert?“ „Wenn du mich so mitnimmst?“ „Dich würde ich überall mit hinnehmen, egal wie du aussiehst. Aber rasiert gefällst du mir noch besser!“ Er knuffte mich und überließ mich dann doch um kurz nach halb dem Badezimmerspiegel.

Wir verließen das Zimmer so wie wir gekommen waren. Mein Gatte schleppte die Reisetasche, ich die Technik.

„Ich wollte ja schon immer mal!“, Flo grinste mich schelmisch an und drückte die Rezeptionsglocke. Kurze Zeit darauf erschien ein Mittfünfziger, der gewisse Ähnlichkeit mit Jost hatte. Die Wahrscheinlichkeit lag nahe, dass es sich um seinen Vater handelte, den besagten Senior. Etwas Goldenes blitzte an seinem Revers auf. Ich glaube, es war ein Abzeichen, dass ich irgendwo schon einmal gesehen hatte, aber ich konnte es im Moment nicht zuordnen.

„Ich hoffe, die Herren hatten einen angenehmen Aufenthalt.“ „Hatten wir!“ „Können wir sonst noch etwas für Sie tun?“ „Nichts, außer der Rechnung.“ „Wird erledigt! Jost, kommst du mal.“ Er schaute mich an. „Sie müssen entschuldigen, aber seitdem wir so einen Abrechnungscomputer haben, brauche ich immer zehn Versuche für eine Rechnung. Ich muss mich erst noch an das Dingen gewöhnen, früher reichte ja eine Quittung, aber heute …“ Er ließ den Satz unvollendet und starrte mehr oder minder durch mich hindurch ins Leere. „Jost, wo steckst du denn schon wieder?“ „Bin schon unterwegs Papa! Habe gerade das Leergut und das Altglas ins Auto gebracht.“

Der Gerufene kam leicht zerzaust aus der Küche, sah uns erst freudig an, dann jedoch etwas ernster in Richtung seines Vaters. „Ah, die Herren wollen abreisen.“ Ich erkannte den Blick und wurde etwas förmlich. „Leider ja, wir wollen heute Nachmittag noch zu lieben Freunden weiter.“ „Ich verstehe.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, Flo konnte sich das Grinsen auch nicht verkneifen: „Sehr liebe Freunde sogar!“

„Wenn das so ist, dann! Was haben wir? Zimmer 12, eine Übernachtung, die Halbpension und die Getränke von gestern. Moment.“ Ich rechnete im Stillen mit. Von der Preisliste, die oben im Zimmer an der Tür hing, wusste ich, dass das Doppelzimmer 70 Euro die Nacht ohne und 80 mit Frühstück kostete, Halbpension – sagte er ja gestern – 10 Euro mehr pro Nase, macht Hundert, plus die Getränke, ich rechnete noch mal mit so 20 bis 25 Euronen. Mit dem Inhalt des Portemonnaies dürfte es knapp werden, also doch ran an die Brieftasche und das Gedrückte.

„So, da macht dann genau 91 Euro!“ Ich stutzte. Meine Hand fuhr dann von der Innen- zur Gesäßtasche hinunter. Soviel hatte ich noch! Jost fuhr unbeirrt fort. „Da Sie via Internet gebucht haben, macht das zweimal 37,50 und für gestern Abend stehen hier 16 Euro.“ Na ja, dachte ich, er muss das verbuchen, mir soll es egal sein.

„Den Sekt von heute morgen haben Sie?“ „Ach, den Piccolo?“ „Genau eben jenen welchen!“ Ich grinste. „Oh, den hätte ich glatt vergessen. Dann sind es 94,50.“ Ich reichte ihm zwei Fünfziger. „Stimmt so, der Rest ist für die Kaffeekasse.“ „Danke, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß mit ihren Freunden!“ „Den werden wir haben!“

Mit einem Lächeln auf den Lippen verließ ich die Rezeption, oder besser, den Teil des Tresen, der die Rezeption darstellte.

Flo schnappte sich die Tasche und war schon durch die Tür. Ich hatte zwar Erkans Schlüssel in der Tasche, aber für welches Schloss der bestimmt war, konnte ich nicht sagen. Ich hatte vergessen, ihn nach der Adresse zu fragen. Auch Emden verfügt über mehr als zwei Wohnhäuser, wie sich allein beim Anblick des Straßenzuges rund um den „altehrwürdigen“ Anker schließen ließ.

Wir verstauten unsere Sachen, vielleicht wusste ja mein Eishockeygott, wohin er seine Mühle zu steuern hätte, denn er hatte sich, während ich nach dem Frühstück mal für kleine Königstiger, ja mit Jost unterhalten. Allerdings mussten sie über alles, aber nicht über das Wesentliche, sprich die Unterkunft für die kommende Nacht, gesprochen haben. Denn sein Blick war ebenso fragend wie meiner.

„Na, dann wird ich mal wieder rein und fragen.“ Ich stieg aus und ging wieder in Richtung Anker. Im Schankraum war nur der alte Jost, von seinem Sohn und seinem Liebsten keine Spur.

„Haben Sie etwas vergessen?“ „Äh, ja.“ Himmel, was sollte ich sagen? Ich war für den Alten ja ein normaler Hotelgast, ich konnte ihn ja schlecht nach der Adresse seines Sohnes fragen, bei dessen Freund wir die Nacht verbringen sollten oder besser selbiges auch wollten. Ich kam allerdings nur leicht ins stottern. „Äh, wir wollen ja heute Nachmittag noch zu Freunden und irgendwie müssen wir die Zeit bis dahin ja totschlagen. Die Ärmsten müssen samstags arbeiten.“ Ich schaute mitleidig.

„Machen Sie und ihr Begleiter doch einen Stadtrundgang mit. Die Führungen beginnen um elf in der Nähe vom Rathausplatz, der ist ganz einfach zu finden. Da müssen Sie …“ Gut, der Plan an sich war zwar nicht unbrauchbar, denn ich kannte Emden bis dahin ja nur von der Durchfahrt zur oder von der Insel, aber der wohlgemeinte Rat half mir aber in meiner Situation auch nicht viel weiter.

Unhöflich fiel ich ihm ins Wort. „Die Idee ist ja nicht schlecht, aber der Herr von gerade, ich glaube, dass war Ihr Sohn, …“ „Sie meinen Jost!“ „Genau. Der sprach gestern Abend …“ „Tut mir leid, da muss ich Sie enttäuschen. Den können wir jetzt nicht fragen, der ist zum Getränkemarkt, der ist erst in einer Stunde wieder da.“ Mist, wie kam ich jetzt an Erkan bzw. seine Adresse ran? Ich hatte nämlich keine Lust, mich mehr als nötig als Colombo zu betätigen. Von Erkan kannte ich ja nicht einmal seinen Nachnamen, den von Jost schon, der war ja auf der Rechnung. Aber ob er oder Jost auch im Telefonbuch eingetragen waren? Auf stundenlanges Warten im Auto hatte ich auch keine wirkliche Lust, eine Tätigkeit, die – laut Aussage eines Herren Matula – 90% der Detektivarbeit ausmacht.

Neuer Anlauf. „Na, er und der Koch stritten sich noch darüber, ob es sich lohnen würde oder nicht. Vielleicht weiß der ja … “ „Erich?“ „Erich? Nein, wie ein Erich sah der aber nicht aus.“ ‚Eher wie ein Erkan!’, ergänzte ich im Stillen. „Moment mal.“ Er ging in Richtung Küchentür. „Erich, kommst du mal!“ Einen Augenblick später erschien Erkan. „Was ist, Chef?“

Ich war leicht erstaunt, Erkan grinste. „Erich, der junge Mann fragt, worüber ihr gestern Abend gestritten habt und wo er jetzt hin …, äh?“ Er starrte in meine Richtung. Bis jetzt war ja noch kein einziges Wort über irgendeine Örtlichkeit gefallen und wenn Erkan jetzt nicht blitzschnell reagieren würde, stünde ich da wie ein begossener Pudel. Aber Gott, Jehova, Allah, Buddha oder wem auch immer sei Dank, der kleine Türke schaltete.

„Ach Chef, das meinen Sie! Ich dachte, sie sollten zur Kesselschleuse, die ist ja einmalig in Europa. Der Junior wollte sie in die Kunsthalle schicken. Er meinte, da wäre es auch besser wegen des möglichen Regens, den sie angesagt haben.“ Beim Wort Kunsthalle musste der Alte schlucken, anscheinend mochte er das Geschenk des Verlegers an seine Heimatstadt nicht besonders.

Die Situation war gerettet, ich blickte mich um und entdeckte, neben der Rezeptionsglocke, einen Aufsteller mit kleinen Stadtplänen von Emden. Ich nahm mir einen Solchen, holte einen Kugelschreiber aus meiner Innentasche hervor und reichte beides dem fast brusthaarlosen Türken. Mein Blick fiel auf den Alten. Die Sonne, die durchs Fenster hereinfiel, spiegelte sich an der Nadel in seinem Revers.

„Wenn Sie mal so freundlich wären, und beides einzeichnen könnten?“ Ich kniff ihm ein Auge zu. „Aber selbstverständlich. Augenblick!“ Der Alte beäugte ihn, während er den Plan auseinander faltete. Er hatte anscheinend verstanden, denn er malte drei Kreise und schrieb eine Nummer.  „So, dass wären zum einen die Kunsthalle und zum anderen die Schleuse. Und wenn Sie doch lieber was gutes Essen wollen, nehmen Sie die Mitte.“ Er drückte mir den Plan zusammengefaltet in die Hand. „Vielen Dank. Was kriegen Sie für den Plan?“ „Nichts, ist ein Werbegeschenk der Stadtverwaltung für Fremdengäste.“

Ich verließ den Anker und ging Richtung Knut. Mein Göttergatte war schon ganz ungeduldig. „Was hat das denn schon wieder so lange gedauert?“ „Jost war nicht da und ich musste eine Klippe umschiffen.“ „Eine Klippe? Du sprichst wieder einmal in Rätseln, mein Liebster!“ Ich zog sein Gesicht zu mir und drückte ihm einen Kuss auf den Mund, um ihn ruhig zu stellen.

Ich klärte ihn auf und er konnte, nachdem ich geendet hatte, sich auch eines Lachens nicht erwähren. „Und, was machen wir?“ „Tja, ich würde vorschlagen, wir steuern erst einmal in Richtung Bett!“ „Du denkst immer nur an das EINE!“ „Wenn ich dich sehe!“, ich grinste, „Nein, aber ich habe keine Lust, den ganzen Computerkram den ganzen Tag mit mir rumzuschleppen oder im Wagen zu lassen.“ „Stimmt auch wieder! Also, auf zu Erkan.“ Er drehte den Schlüssel um und brauste los.

Ich nahm den Plan und dirigierte ihn durch die Stadt und das ohne größere Schwierigkeiten, Na ja, die zwei Einbahnstraßen waren auf dem Plan ja nicht eingezeichnet gewesen, also woher konnte ich das wissen? Wir kamen schließlich und endlich doch an, zwar auf einigen Umwegen, aber wir waren schlussendlich am Ziel.

Mein Göttergatte parkte gerade vor dem Haus Nummer 17 ein, als mein Mobilknochen klingelte. Ich drückte die grüne Taste. „Hier ich! Wer da?“ Die Nummer war unterdrückt. „Schwesterchen! Wie ist die Lage?“ Flo blickte zu mir. „Claudia?“, flüsterte er, ich nickte. „Nein, Claudia, wir sind nicht bei Henning und wir werden auch nicht zu ihm fahren. Ich glaube, ihr müsst euch einen neuen Urlaubsort suchen.“ – „Nein, bei Henning hat der Blitz eingeschlagen, das Dach ist weg!“ – „Weiß ich auch nicht, er hat einen Dachschaden!“ – „Svenja, nun mal halblang. Ich weiß auch nichts Genaues – ich gib dich mal weiter!“ Ich reichte Flo das Teil. „Flo hier!“ – „Kann ich auch nicht genau sagen! Ich habe heute Morgen mit Henning telefoniert.“ – „Claudia, wir haben gestern die letzte Fähre verpasst und mussten in Emden übernachten. Es gab ein Gewitter und da hat bei Henning der Blitz eingeschlagen. Ich werde gleich noch mal mit ihm sprechen.“ – „Ob euer Urlaub gefährdet ist, weiß ich auch nicht.“ – „Svenja!“ – „Claudia Svenja Bärwald! Nu schrei mich nicht so an! Ich werde gleich telefonieren und dich dann nachher anrufen, wenn ich was Neues weiß.“ – „Ja, tschüss!“ Er drückte die rote Taste. „FRAUEN!“

Ich blickte ihn mitleidsvoll an. „Was hat sie denn?“ „Frag mich was Leichteres!“ Ich legte meine Hand auf seinen Schenkel. „Flo!“ „Ach Schatz, deine Schwester ist wirklich kompliziert. Sie meint tatsächlich, es wäre Absicht, dass ihr Urlaub torpediert wird.“ „Bitte?“ „Ich weiß es doch auch nicht, aber dein Schwesterherz muss mal wieder allein sein, die Zwillinge quäken, Felix im Laden, und ich glaube, sie hat ihre Tage!“ „Dann ist Svenja unausstehlich!“

Um fragenden Blicken entgegenzustehen, meine Schwester heißt mit vollem Namen Claudia Svenja Bärwald geborene van Aarp. Normalerweise ist sie Claudia, die gutgelaunte, lebenslustige und äußerst liebenswerte, familienorientierte Frau. Aber wehe, sie hat ihre Launen (und die kriegt sie normalerweise mindestens einmal im Monat), dann mutiert die liebe Claudia zur wehrhaften Svenja. Svenja ist aufmüpfig, egoistisch, auf sich bezogen, die geborene Emanze halt, die hinter allem und jedem das Übel vermutet. Der Name Svenja kommt dabei übrigens von ihrer Patentante, der ersten Frau unseres vielgeliebten Oberbürgermeisters. Damals war er noch Student und sie eine kleine, städtische Schreibkraft, die ihn mit einer Scheinschwangerschaft mehr oder minder zur Ehe nötigte.

Wenn mein Bruder oder ich als Kinder etwas ausgefressen hatten, wurden wir beim vollen Namen gerufen. Wenn es hieß: Alexander-Günther (Großvater mütterlicherseits) oder Marius-Friedrich (Großvater väterlicherseits). Dann wussten wir, dass irgendetwas im Busche war, aber Claudia war immer Claudia, egal was sie angestellt hatte. Sie wurde nie zur Claudia-Svenja, sondern mutierte gleich zu Svenja, dem Biest. Und dann war Holland sprichwörtlich in Not.

Wir packten Knut aus und trotteten über die Straße. Wir hatten Glück, es kam gerade jemand aus der Haustür, das leidige Suchen nach dem richtigen Schlüssel entfiel also.

Ich stellte Linus ab und kramte nach dem richtigen Schlüssel – der Blaue passte auf Anhieb. Vielleicht sollte ich heute Lotto spielen. Ich drückte die Klinke herunter und wir betraten Erkans Reich. Die Wohnung war, sagen wir einmal, sehr übersichtlich, zwar nur etwas über vierzig Meter im Quadrat, aber nett und gut geschnitten.

Vom ungefähr drei Quadratmeter großen Flur ging es links in eine Art Wandschrank, rechts in Badezimmer. Der Architekt hatte sich was einfallen lassen, denn in dem knapp zweieinhalb mal drei Meter großem Nassbereich waren die normalen Badezimmerutensilien so geschickt angeordnet, man konnte mit zwei Mann bequem nebeneinander hantieren und hatte sogar noch Platz für eine Waschmaschine.

Folgte man dem Flur, so trat man in den Wohnbereich, der, ich schätze einmal, so dreieinhalb mal sechs Meter maß. Man lief auf eine große Ottomane zu, die vor dem Panoramafenster stand, daneben der Ausgang zur Terrasse. Auf der linken Seite befanden sich nach- oder besser nebeneinander Bücherregal, Schreibtisch, Computer, Stereoanlage, Fernseher und was der moderne Mensch noch so an Kommunikationsdingen benötigt. Diese Schreibtisch-Technik-Wand endete an einer halben Mauer. Ich spähte über selbige und fand die halboffene Küche. Man hatte wohl diese Bauweise gewählt, damit die innenliegende Küche besser mit Frischluft versorgt werden konnte.

In der Mitte der rechts liegenden Wand befand sich ein durch einen Vorhang aus den späten Sechzigern oder frühen Siebzigern geschützter Bogen, der ins Allerheiligste, sprich Erkans Schlafzimmer, führte. Über Geschmack lässt sich ja bekannter weise trefflich streiten, obwohl man es ja eigentlich nicht tun sollte, aber was man an braunen Strickkordeln mit beige eingewebten Holzperlen schön finden kann, bleibt mir ein Rätsel. Flo dachte anscheinend das Gleiche, als er, die Schnüre beiseite schiebend, unsere Reisetasche auf Erkans Bett schmiss.

Im Gegensatz zur Küche, die von all möglichen Gerätschaften fast überquoll, war das Schlafzimmer eher griechisch, sprich spartanisch, eingerichtet. Ein Schrank, der die ganze Breite der rechten Wand einnahm, ein anderthalb Meter breites Bett, ein Nachtisch mit Lampe und Radiowecker und vor der linken Fensterecke ein „Stummer Diener“, die Wände waren kahl und hätten einen neuen Anstrich ruhig vertragen können.

Ich schaute auf die Uhr, es war viertel vor elf. „Und was machen wir zwei Hübschen mit dem angefangenen Vormittag?“ „Gute Frage? Irgendwelche Vorschläge? Jetzt fang bitte nicht wieder mit dem Entführungskram an.“ Mein Gatte grinste.

Ich zog den Plan, den ich mir im Anker eingesteckt hatte, aus der Gesäßtasche. Nachdem ich ihn ausgebreitet hatte, brabbelte ich vor mich her bzw. in meinen nicht vorhandenen Bart:  „OK, also, wir hätten da zum einen Stadtrundgang im Angebot. Des Weiteren entnehme ich diesem lustigen Faltblatt der Stadttouristik, dass es auch eine Kanalfahrt, also quasi Emden vom Wasser aus gibt. Man kann dann aber auch in die Kunsthalle, zur Kesselschleuse oder …“ Ich schaute in die wundervollsten blauen Augen, die ich kenne. „… Oder wir machen nichts und gehen ins Bett und machen dann da was. Das sind, zusammengefasst, die Möglichkeiten, die wir bis zwei haben, mein Engel.“

Ich grinste meinen blondgelockten Göttergatten schelmisch an, ich gab’s ja zu, gelockt ist übertrieben, so lang wurden sie nie, dass man darin richtig wuseln konnte. Schade eigentlich, aber diesem Fetisch konnte ich bisher bei noch keinem Mann, der mehr war als eine flüchtige Bettbekanntschaft, so richtig ausleben. Meine bisherigen Beziehungen, gut, jetzt rechnen wir die Jugendschwärmeiereien mal nicht mit, denn Beziehungen waren dass ja nicht, jedenfalls von meiner heutigen Sichtweise dies Thema betreffend aus gesehen, konnte man an einer Hand, eher an zwei Fingern, abzählen. Da waren Johnny während der Bundeswehrzeit und jetzt Flo. Lars, der mich mehr oder minder seelisch unterstützend durch das ABI brachte und Stefan, der mich zu Beginn meines Studiums unter seine Fittiche nahm, waren zwar mehr als so genannte Lebensabschnittsgefährten, aber mein Herz besaßen sie nie zu 100%.

Aber zurück zu den Haaren, ich schweife mal wieder ab. Es war keine Saison und da durften die Haare schon etwas länger sein und man konnte sie wachsen lassen. Flo ging nur noch alle zwei Monate zum Frisör und nicht mehr alle zwei Wochen, wie während der Liga. Sobald es wieder aufs Eis ging, fielen die Haare, sehr zu meinem Leidwesen. Ich müsste wohl noch bis an sein Karriereende warten, um eine Prinz-Eisenherz-Ausgabe in Blond zu kriegen.

„Irgendwelche besonderen Wünsche, Marius? Sag aber jetzt nicht Bett!“ „Also, den Stadtrundgang können wir wohl vergessen. Der startet normalerweise um 11:00.“ Ich blickte auf meine Uhr. „Ich habe keine Lust, mich jetzt abzuhetzen und durch die halbe Stadt zu laufen, damit wir pünktlich am Stadtgarten sind.“ „Stimmt, alte Männer kommen ja schnell aus der Puste. Solltest weniger rauchen, mein Schatz!“

Manchmal konnte er schnippisch sein, mein kleiner Kufenflitzer. „Und eine Bootsfahrt dürfte ebenfalls nicht so prall sein, bei den Temperaturen.“ Flo hatte Recht, das Thermometer zeigte nicht einmal 19 Grad und von See kam ein leichter Wind auf. Ich wusste zwar nicht, in welchen Booten man durch die Kanäle schipperte, aber Rückzugsmöglichkeiten gab es auf solchen Wasserfahrzeugen eher weniger.

„Also bleiben Kunsthalle und Schleuse!“ „Stimmt!“ „Wir nehmen dann die Schleuse!“, entschied ich. Mein Flo war leicht irritiert. „Meinst du, nur weil ich Klempner bin, hätte ich keinen Sinn für so was?“ „Schatz, du bist sehr kunstsinnig, aber erstens weiß ich nicht, welche Ausstellung gerade läuft und auf finnische Industrieruinenfotographie der 50er habe ich wirklich keine große Lust, oder Du?“

Er schüttelte ebenfalls den Kopf. „Außerdem hätten wir für das Museum nur eine gute Stunde Zeit, wenn wir zu Fuß gehen. Lohnt sich also nicht!“ „Wieso nur eine Stunde?“ „Irgendwo hab ich mal gelesen, dass man beim Museumsbau schlicht die Parkplätze vergessen hat oder so. Die Besucher müssen in ein nahe gelegenes Parkhaus ausweichen, also Wagen lohnt sich nicht. Wenn wir dann noch eine Kleinigkeit essen wollen und dann noch mal eine halbe Stunde Rückmarsch einkalkulieren, müssten wir spätestens um kurz vor eins wieder da raus, wenn wir vor den beiden wieder hier sein wollen.“

Mein Gatte nickte zustimmend. „Und die Schleuse?“ „Liegt auf dem Weg in Richtung Innenstadt, von hier aus gesehen. Ich würde sagen, wir besichtigen das Wunderwerk der Technik und bummeln dann durch die Stadt.“ „Dann machen wir das so.“ Er kam auf mich zu und zog mich an sich. Seine Lippen vereinigten sich mit den meinen und seine Zunge umspielte die meinige. „Schatz!“ „Ja?“ „Dürfte auch besser sein?“ „Wieso?“ „Weil wir dann noch etwas Zeit für uns haben.“ Er grinste und ließ seine Hand in Richtung meines Schritts fahren und drückte zu. „Den hab ich heute Nacht richtig vermisst.“ Er zog einen leichten Flunsch und erstickte meine mögliche Antwort mit einem langen Kuss.

Es war dann doch viertel nach elf, als wir das Apartmenthaus verließen.

Es dauerte keine zehn Minuten und wir kamen bei der einzigen in Betrieb befindlichen Kesselschleuse Europas an. Es ist schon imposant zu sehen, was da von einem eher unbekannten Berliner Regierungsbaumeister namens Germelmann entworfen worden war und nach nur zehnmonatiger Bauzeit im Februar 1887 in Betrieb ging. Das Wunderwerk an technischer Errungenschaft der wilhelminischen Ära verbindet den Ems-Jade-Kanal, den Emder Stadtgraben, das Fentjer Tief sowie das Faldendelft miteinander und wird jährlich von 2800 Schiffen, größtenteils Sportboote, genutzt. Ihre endgültige Form mit vier Kammern erhielt sie aber erst bei ihrer ersten Renovierung von 1911 bis 13, denn Germelmanns Werk erreichte schon bald nach Fertigstellung seine Kapazitätsgrenze, er ging vielleicht deshalb nicht in die Architekturgeschichte ein.

Die Schleuse besteht aus einer Zentralkammer, dem so genannten 33 Meter breiten Kessel (daher auch der Name), und vier weiteren, etwas kleineren Schleusenkammern. Man fährt in die erste Kammer und wartet, bis der Wasserstand dieser Kammer dem des Kessels entspricht, fährt dann in den Kessel ein, dreht in die richtige Richtung, und man fährt wieder raus – so einfach. Na ja, die Entwässerung des Ems-Jade-Kanals steht heute im Vordergrund, ansonsten würde es dort öfter heißen: Land unter im Hinterland.

Wir liefen in der Anlage herum und schauten uns um, wobei das größere Interesse an der Technik eindeutig bei Flo lag als bei mir. Während er immer die Arbeits- und Funktionsweise verstehen und nachvollziehen will, egal ob es sich um eine Mikrowelle oder, wie in diesem Falle, um Schleusen handelt, bin ich eher daran interessiert, was zum Schluss hinten rauskommt.

Ich geh mal zum Schleusenhaus, mein Engel! Kommst du mit?“ „Ne, alte Männer brauchen Ruhe. Ich werde mich hier auf die Bank setzen, eine rauchen und mich erst mal von dem Schuh im Stein befreien.“ Während ich mich also setzte und dem Fremdkörper in der Fußbekleidung meiner rechten unteren Extremität widmete, zog er von dannen. Ich blickte ihm nach, am Himmel zogen dunklere Wolken auf.

Ich steckte mir eine an und starrte ins Leere. Irgendwie fühlte ich mich matt und ausgelaugt, die Nacht war wohl doch zu kurz. Ich dachte an den Auftrag von Deppermann, die bevorstehenden Klausuren, unsere beiden neuen Emder Freunde, an Alles und an Nichts.

Ich hatte die Augen wohl halbgeschlossen, als mein Kapitän mich aus diesen wirren Gedanken riss. „Schatz, ich habe mit dem Schleusenwärter gesprochen, wir können die nächste Schleusung vom Fahrstand oder wie das heißt aus beobachten, wenn wir wollen. Wollen wir?“ Ich blickte in seine Augen. „Wir wollen!“ Ich erhob mich gemächlich und wir gingen in Richtung des Wärterhäuschens. Eigentlich wollte ich ja nicht, aber was macht man nicht alles für seinen Liebsten?

Flo klopfte an der einfach aussehenden Holztür, die den Eingang zum Schleusenhaus bildete, ich vermutete eine Auflage des Denkmalschutzes, unter dem die ganze Anlage seit ihrer Komplettrenovierung in den 80 Jahren stand. Ich stand schräg hinter ihm und blickte durch das Fenster in das innere des Fahrstandes. Die Gestalt, die sich da jetzt zur Tür aufmachte, kam mir irgendwie bekannt vor, ich wusste allerdings nicht, woher.

Die Tür sprang auf. „Ah, da sind Sie ja! Ihren Bekannte gefunden?“, tönte der Bass des weißbehemdeten Mannes. „Ja, Herr Schulze-Pelkmann, darf ich Ihnen vorstellen?“ Flo trat einen Schritt beiseite und gab so den Blick auf mich frei. Ich erstarrte genau wie mein Gegenüber. Der Mittfünfziger fand allerdings schneller seine Stimme wieder. „Sie? – Raus, Sie Schwein. Sehen sie zu, dass sie Land gewinnen, Sie perverser Kinderschänder oder ich ruf die Polizei!“ Er drehte sich um, schmiss die Tür Flo vor der Nase zu und fluchte auf Platt.

„Was war das denn?“ Flo blickte mich mitfühlend an. Mittlerweile hatte ich mich auch einigermaßen wieder gefangen, allerdings muss ich immer noch kreideweiß gewesen sein, denn Flo griff nach meinem Ellenbogen und führte mich vom Ort des Geschehens.

„Marius, wer war das? Und wieso bezeichnet er dich als Kinderschänder? Ich dachte, du würdest hier niemand kennen!“ „Dachte ich auch, aber Flo …“ „Ja?“ „Ich brauch jetzt erst einmal was zu trinken!“

Flo schaute sich um und dirigierte mich in Richtung des nahe gelegenen Kaffees, das wir auf dem Weg zur Schleuse entdeckt hatten. Wir ließen uns an einem der freien Tische nieder, mir ging es wirklich nicht blendend. „Ich bestell dann mal.“ Flo entschwand ins Innere des Lokals und kam nach kurzer Zeit mit zwei vollen Cognacschwenkern wieder. „Die Bedienung meint, wir sollten besser reinkommen, es würde gleich regnen. Aber ich sagte, du bräuchtest frische Luft. Hier! Der Kaffee kommt gleich“ Er stellte beide Gläser ab. Ich nahm eines, setzte an und kippte das Zeug in einem Schluck hinunter.

Es brannte auf meiner Zunge, ich schüttelte mich. „Das tat gut!“ Flo nickte. „Kriegst jetzt wenigstens wieder etwas Farbe ins Gesicht. Hier!“ Er schob mir auch das zweite Glas herüber. Ich stoppte ihn allerdings auf halben Weg. „Ne, gleich, ich bin doch kein Alki!“ „Und kein Kinderschänder! Also! Was war das gerade?“

In diesem Moment brachte die Kellnerin zwei Tassen Kaffee. Sie deutete auf das leere Glas. „Ja, noch einen, bitte!“

Nachdem ich den Inhalt des Zuckerpäckchens in den Türkentrank gerührt hatte, nippte ich an dem Kaffee. Auch er brannte, jedenfalls war das der Eindruck, den meine Geschmackspupillen von dem Bohnentrunk hatten. Flo sagte nichts, ließ mich gewähren. Er wusste, ich musste erst einmal verdauen und würde dann von selbst anfangen.

„Also, mein Engel. Das … Das war gerade mein ehemaliger Schwiegervater!“ Flo zog die Stirn in Falten. „Der Vater von Johnny?“ Ich nickte schweigend, mein Gegenüber allerdings hatte wohl mehr als nur eine Frage auf den Lippen.

„Ich weiß, ich hab dir von damals nie viel erzählt, vielleicht war das ein Fehler, ich weiß es nicht. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich den Kerl je wieder treffen würde.“ Ich setzte die Tasse ab und steckte mir eine neue Zigarette in den Mundwinkel. Ich hielt ihm die Packung hin, er nahm auch eine.

Wir rauchten schweigend. „Du weißt, Johnny kam damals bei einem Autounfall ums Leben.“ Mein Kapitän nickte. „Und der Kerl von eben wollte mich damals vom Friedhof schmeißen!“ Ich schüttelte mich, diesmal allerdings vor Ekel.

„Kanntest du ihn denn nicht?“ „Nein, Gott bewahre. Als ich Johnny damals kennen gelernt habe, waren seine Eltern schon lange geschieden. Seinen Vater hab ich das erste Mal auf der Beerdigung gesehen. Das einzige, was ich wusste, dass er nach der Scheidung zurückgegangen ist nach Ostfriesland. Ich wusste allerdings nicht wohin, über ihn wurde nie gesprochen und, ehrlich gesagt, es hat mich auch nicht besonders interessiert.“

Ich drückte die Kippe aus. „Johnny und ich, wir lebten ja in der Einliegerwohnung seiner Mutter in Hannover. Gut, während wir beim Bund waren ging das, aber Johnny war ja schon entlassen und meine Dienstzeit war auch kurz vor ihrem Ende. Drei Tage vor seinem Tod haben wir dann den Mietvertrag für eine gemeinsame, größere Wohnung unterschrieben. Ich hatte meinen Studienplatz in Hannover und er ist wieder angefangen zu arbeiten in seiner alten Firma als Groß- und Außenhandelskaufmann. Eigentlich lief alles prima, …“

„Willst du mir die Geschichte erzählen?“ Diesmal stutze ich. „Haben wir soviel Zeit?“ „Wir haben alle Zeit der Welt, mein Engel. Und was zu essen kriegen wir hier auch. Aber wenn, bitte klar und deutlich und nicht so viele Sprünge, ja?“

Er hatte gesprochen und ich fügte mich. „Wo soll ich anfangen?“ „Am Anfang! Wie habt ihr euch kennen gelernt?“ „An einem regnerischen Samstagnachmittag in der Teeküche.“ Ich grinste. „Ich hab in der Grundi ja Fernschreiber gelernt und bin dann zum Fliegerhorst versetzt worden. Johnny hat da als Dispatcher Dienst geschoben. Na ja, wir haben uns bei meinem ersten Wochenenddienst zum ersten Mal gesehen. Wir kamen so ins quatschen während der Kaffeepause. Was soll ich sagen, er war mir sympathisch, aber Schwul beim Bund?“ Ich schüttelte auch im Nachhinein den Kopf. Die Situation für Schwule beim Bund ist irgendwie Schizophren. Man wird nicht mehr wegen seiner Homosexualität ausgemustert, wie es früher der Fall war, sondern nur noch wegen der psychologischen Folgen, die das „Anders-Sein“ mit sich bringt. Das kommt zwar auf das gleiche raus, ist aber offiziell nicht dasselbe. Das verstehe wer will.

„Ich wusste ja nicht, ob er auch. Gut, da waren einige Anzeichen, aber Nichts Genaues weiß man nicht. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt und haben die Pause lang überzogen, ich kriegte von meinem Feldwebel meinen ersten Anschiss.“ „Komm zum Wesentlichen!“ „Gut. Er fragte, was ich an dem freien Abend machen wollte. Ich sagte, nach Hannover fahren und mal die Kneipenszene abchecken, vielleicht Disco oder so. Er fragte mich, ob ich ihn mitnehmen könnte, sein Wagen wäre in der Werkstatt und die Zugverbindungen wären samstags die Hölle. Na ja, ich hab ihn nach dem Dienst mit nach Hannover genommen und ihn am Hauptbahnhof abgesetzt.“ „Und dann!“ „Na, ich bin in die Sauna gefahren.“

Ich trank den letzten Schluck Kaffee. „Nach knapp einer halben Stunde dachte ich, ich träume. Ich traute meinen Augen nicht. Er lief mir über den Weg, in der Sauna! Er blieb stehen, ich blieb stehen, er guckte, ich guckte. Er fing an zu lachen, ich fing an zu lachen und wir fielen uns in die Arme. Na ja, von Stund an waren wir ein Paar.“

Ich trank den zweiten Weinbrand wieder in einem Zug, ich wollte wohl die aufkommenden Gefühle betäuben, die mich bei dem Thema überkamen. Mein Flo, der an seinem Glas nur genippt hatte, schob mir das Produkt aus billigem Bleikristall rüber. Ich danke ihm auch heute noch für das Verständnis, dass er mir nicht nur da entgegenbrachte.

„Wir brauchten uns nur anzuschauen, und wir wussten, was der andere gerade denkt, wie er gleich reagieren wird, was er sagen wird. Irgendwie …“ „Das perfekte Paar?“ „So ungefähr. Es war, als wären wir füreinander bestimmt gewesen. Mehr als eineiige Zwillinge, wenn du so willst. Wir machten alles zusammen, waren fast symbiotisch.“

Ich kramte nach meinen Zigaretten.

„Die freie Zeit während des Dienstes verbrachten wir dann meistens bei ihm und seiner Mutter. Er hatte die Einliegerwohnung im Haus von Katharina gehabt. Für die kurze Zeit ging das ja, aber wenn man mal mehr als zwei Tage zusammen war, ging man sich dennoch gehörig auf die Nerven. Es war einfach zu klein.“ „Aber wir hängen doch auch die ganze Zeit aufeinander, Marius.“ „Nein Schatz, du gehst deinem Beruf nach und ich meinem Studium. Aber Johnny und ich machten alles zusammen, er brachte mich ins Theater, ich ihn zum Bowling. Also…“

Erst jetzt zündete ich mir den Glimmstengel an.

„Na ja, was wir gemacht haben, brauche ich wohl nicht zu sagen. Wir waren die Harmonie schlechthin. Wir haben dann beschlossen, gemeinsam was aufzubauen. Ich hab mich in Hannover um einen Studienplatz beworben und ihn auch gekriegt. Da war aber klar, das die Behausung zu klein sein würde.“ „Ja, aber wir sind, wenn wir daheim sind, ja auch meistens in einem Zimmer, mein Engel.“ „Ach Flo, ja, aber du hast dein eigenes Zimmer und ich habe auch mein eigenes Reich. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber wir hätten eine Rückzugsmöglichkeit, wenn wir sie denn nutzen wollten. Allein die Tatsache, dass es diese Örtlichkeit gibt, bedeutet doch viel; jedenfalls mir. Und du weißt, wenn ich für Klausuren lerne, bin ich unausstehlich. Du bist dann beim Training oder lässt mich in Ruhe, aber wir wohnten damals auf weniger als 35 Quadratmetern in Langenhagen. Allein die räumliche Nähe hätte uns irgendwann umgebracht, da bin ich mir sicher. Und wenn nicht die, dann zumindest seine Schwester Stefanie, die mehr bei uns rumhing als mit ihren Freundinnen.“ Ich griente bei dem Gedanken an die kleine Brünette. „Es ist ja so cool, einen schwulen Bruder zu haben, der mit seinem Freund zusammenlebt. Schwule sind ja soooo interessant!“

Ich trank jetzt auch Flos Glas aus. „Ich hab da drinnen belegte Brötchen gesehen? Auch eins?“ Mein Flo, ich liebe ihn. Ich nickte nur und er verschwand und kam, als ich gerade die Zigarette ausdrückte, mit zwei Käsebrötchen und zwei Weinbrand an.

Voll Heißhunger biss ich in das Teil. Die Kellnerin brachte noch einen Kaffee. So gestärkt fuhr ich fort. „Das Schlimmste kommt aber erst noch!“ Ich steckte mir noch eine Zigarette an und überlegte kurz, ob ich den vierten Wienbrand auch noch kippen sollte. Ich entschied mich dann doch dagegen, obwohl der Gedanke verlockend war. Irgendwie wollte ich vergessen, aber ich wollte die Geschichte, die mich lange Jahre so bewegt hat, auch endlich loswerden.

„Das Dumme war, wir konnten uns nicht einigen, in welchen Farben wir die Küche einrichten wollten.“ Ich schaute meinen Gemahl an. „Ich war für Rot und Grau, Johnny wollte Blau und Weiß. Wir waren am Tag vor seinem Tod in etlichen Möbelgeschäften, von IKEA bis Porta und haben nach Küchen gesucht. Zuhause ging die Diskussion weiter. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr und bin ins Bett, denn ich musste ja um halb sechs raus, Sieben war Dienstbeginn und ne halbe Stunde musste man rechnen. Es goss in Strömen den Morgen. War keine angenehme Fahrt zur Kaserne.“

Ich trank den Rest Kaffee und starrte ins Leere. „Wir hatten uns für den Nachmittag in Garbsen verabredet. Ich nach dem Dienst zum Möbelhaus und hab gewartet und gewartet. Über eine Stunde, als er nicht kam, war ich richtig sauer, ans Handy ging niemand und bei seiner Mutter konnte ich auch keinen erreichen. Ich bin dann zu uns gefahren und wollte ihm gehörig den Marsch blasen“

Ich stockte. „Vor dem Haus sah ich den Notarzt stehen und bin sofort rein. Unten fand ich niemanden. Ich dann hoch, Stefanie nahm mich heulend in die Arme und stammelte, Johnny sei Tod! Unfall! Auf dem Weg nach Garbsen! Katharina war zusammengebrochen, daher der Notarzt. Ich versuchte, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, ging aber schlecht. Ich hatte an dem Morgen alleine gefrühstückt und ihn pennen lassen, denn ich wollte den Tag nicht mit der Fortsetzung der Küchenstreitigkeiten beginnen. Wir sind also im wütend auseinander …“

Meine Stimme stockte, jetzt brauchte ich doch den Cognac.

Flo sah mich teilnahmsvoll an. „Deshalb willst du immer so lange reden, wenn wir uns mal in der Wolle haben?“ Ich nickte. „Du!“ „Ja?“ „Ich mag das auch nicht! Auch wenn mir manchmal die Augen bei deinem ganzen Gerede zufallen, aber wer im Streit Schlafen geht, steht mit Streit auch wieder auf, und dazu liebe ich dich viel zu sehr, um mir das selber anzutun.“ Er nahm meine Hand und drückte sie.

„Stefanie ist dann bei ihrer Mutter geblieben und ich bin dann ins Krankenhaus, um ihn zu identifizieren. War kein sehr schöner Anblick!“ „Kann ich mir vorstellen. Wie ging’s weiter?“ „Nun ja, ich hab erst mal in der Kaserne angerufen und mir frei genommen, das war das kleinste Problem. Dann musste ja die Beerdigung vorbereitet werden und das ganze. Katharina konnte man zu nichts gebrauchen, so fertig war sie und Stefanie war ja gerade erst achtzehn, als das passierte. Mehr oder minder die ganze Sache blieb an mir kleben!“

„Aber konnte dir denn keiner helfen? Wo waren Hiltrud und Urban?“ „Schatz, meine Eltern hätten mir sicherlich geholfen, aber die waren aus Anlass ihres dreißigsten Hochzeitstages irgendwo in Namibia auf Elefantensafari. Meine Schwester war im achten Monat mit den Zwillingen schwanger und Alexander stand mitten im Examen und musste sich um die Kleine kümmern, da seine Liebste mit Beinbruch im Krankenhaus lag. Es kam eins zum Anderen.“

„Wenn es kommt, dann meistens Dicke. Sorry, der Spruch ist platt.“ Er verzog leicht das Gesicht. „Stimmt, aber er trifft zu. Frag mich bitte nicht wie, aber irgendwie haben wir die ganze Sache dann doch irgendwie geschafft. Nur mit einem hab ich nicht gerechnet.“ „Mit was?“ „Mit Johnnys Vater!“ „Dem Typ von eben?“ „Jepp. Ich kannte ihn ja nicht und er wurde auch mit keiner Silbe erwähnt. Johnny und ich waren ja schon ein Jahr lang zusammen und ich habe mir nichts dabei gedacht. Na ja, er blockte immer ab, wenn es um seinen Vater ging und auch Katharina und Stefanie wurden immer einsilbig, wenn er erwähnt wurde. Ich konnte zwar ahnen, dass da was nicht stimmte, aber ich hab nicht weiter nachgehakt. Wie alt war ich damals auch? Gerade mal knappe zwanzig!“

Ich blickte meine Kleinen an. „Ich brauch etwas Bewegung.“ „Gut, gehen wir, du kannst ja auch beim Laufen erzählen.“ „Stimmt, bin ja multitaskingfähig!“

So langsam kamen die Lebensgeister wieder, auch trotz der hochgeistigen Getränke, die ich intus hatte. Flo ging in den Laden und kam nach kurzer Zeit wieder. „Wir können!“ Ich erhob mich und folgte ihm, denn er bestimmte die Richtung.

„Wo war ich?“ „Bei Johnnys Vater! Aber mal eine ganz andere Frage. Wie hieß er eigentlich richtig?“ „Wer?“ „Na, Johnny! Ich glaube nicht, dass Johnny sein Geburtsname war!“ „Stimmt.“ Ich grinste. „Johann Clemens Schultze genannt Pelkmann, gesprochen mit Bindestrich.“ „Wirklich nicht gut, irgendwie – bäuerlich!“ „Wieder richtig. Sein Vater war Bauer, im wahrsten Sinne des Wortes.“ „Wie das?“ „Hab ich auch erst später erfahren. Johnnys Großeltern wollten die Hofnachfolge geregelt wissen, bevor sie seinem Vater oder seinem Onkel den Hof überschreiben wollten. Es muss einen echten Wettlauf unter den beiden Brüdern gegeben haben, wer als erster heiratet und einen männlichen Erben präsentiert.“

Wir passierten die Feuerwehr und standen wieder einmal vor Wasser. Ich glaube, der Abschnitt hieß Falderndelft, aber ich kann mich auch irren. „Du, da ist ein kleiner Park, sollen wir uns nicht lieber setzen?“ Mein Gatte kann mitfühlend sein, wenn er will. Er konnte ahnen, dass es jetzt ans Eingemachte ging, wie man so schön sagt.

Wir erreichten eine Bank und setzten uns. Ich zückte die Schachtel. „Du rauchst zuviel!“ „Ich weiß!“

„Was soll ich sagen? Es gab ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Brüdern. Der eine heiratete zwar früher, aber dafür kam bei dem anderen das Kind eher. Also mehr oder minder Gleichstand. Allerdings hat Johnnys Vater die Rechnung ohne seine Frau gemacht. Katharina kam aus Hannover, war ein Kind der Stadt, war jung und hatte was anderes im Kopf, als morgens um fünf die Kühe zu versorgen. Sie hatte ja ihren Sohn und zwei Jahre später kam dann Stefanie. Sie meinte, es würde reichen, wenn sie für die Kinder sorgen würde und sie wollte auch noch was vom Leben haben. Aber auf dem Land? Na ja, sie hatte wohl auch ihre Schwierigkeiten mit ihren Schwiegereltern, jedenfalls, Johnnys Eltern haben sich dann scheiden lassen, als er gerade mal elf war. Sie ist dann zurück nach Hannover, zurück zu ihren Eltern.“

Ich drückte den Glimmstengel aus. „Es hat dann noch erheblichen Streit ums Sorgerecht gegeben. Er hat mal Stefanies Ballettlehrer verprügelt, weil er beim Training angeblich seine Tochter begrabscht hat, was allerdings nicht stimmte. Und ganz ausgeflippt ist er, als Johnny dann auch noch mit dem Theaterspielen begann und Gesangsunterricht genommen hat.“ „Kann ich mir vorstellen!“ „Na ja, er hat dann nochmals kräftig Hand angelegt, als Johnny dann in den letzten Schulferien nicht zu ihm auf den Bauernhof wollte sondern lieber ins Theatercamp nach Amsterdam. Der Schauspiellehrer bekam ein sattes Schmerzensgeld wegen eines gebrochenen Kiefers und sein Vater eine Bewährungsstrafe. Von da an war jedweder Kontakt abgebrochen und er Persona non grata in Hannover!“

„Aber zur Beerdigung kam er?“ „Ja, es war ja sein Sohn, der da zu Grabe getragen wurde. Ich habe Katharina mehr oder minder noch dazu überredet, sie wollte erst nicht. Hätte ich besser auf sie gehört, wäre das Ganze nicht passiert!“ „Was?“ Ich blickte in seine Augen und umklammerte seine Hand. „Er kam mit seiner gesamten Sippschaft in einem Bulli angefahren, erst zum Haus in Hannover, eine Stunde vor der Beerdigung. Ich öffnete ihm die Tür und roch schon die Fahne, die er hatte. Aber ich kannte ihn ja nicht und ließ die Leute rein.“

Ich blickte stumm vor mich hin. „Der erste Klops kam dann im Flur bei der Vorstellung. Wer ich denn sei? Der neue Liebhaber seiner Ex-Frau vielleicht?“

Ich schüttelte mich, denn die alten, längst vergessenen Erinnerungen kamen wieder hoch. „Ich verneinte diese dämliche Frage und stellte mich als der vor, der ich war, nämlich Johnnys Freund. Er muss mich da allerdings nicht richtig verstanden haben, denn in dem Moment kam Stefanie und sagte nur: ‚Papa!’, da wusste ich, wen ich da ins Haus gelassen hatte.“

Ich strich Flo über den Kopf. „Dann bei der Trauerfeier fing er an zu lachen, als die Altistin anfing mit „Morning has broken“, er rülpste bei „So nimm denn meine Hände“ und pfiff bei „Candle in the Wind“. Wirklich peinlich!“

„Kann ich mir vorstellen.“ „Als der Sarg dann aus der Kapelle getragen wurde und wir, d.h. Katharina, Stefanie und ich am Ausgang standen und die ganze Gemeinde uns kondolierte, fing er an zu Pöbeln. Was ich denn da machen würde? Er müsse da stehen, denn er hätte ja seinen Sohn verloren! Was ich mich erdreisten würde, seine Stelle einzunehmen. Ich hätte ja seinen Sohn verführt und hätte kein Recht, zu trauern, ich sei ja nur ein perverses Arschloch! Ich solle am besten verschwinden!“

Er nahm mich in den Arm und wir blieben minutenlang still neben einander sitzen. Nach einer Weile drückte er meine Schulter. „Ich glaube, wir sollten langsam los!“ Ich blickte auf die Uhr. „Du hast Recht!“ Es war kurz nach eins.

„Hast du Hunger?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Komm, du musst was essen, oder du pennst mir am Rechner gleich ein. Außerdem müssen wir was gegen deine Fahne tun.“ Er grinste mich an.

Es war komisch, aber Flo ging einfach zur Tagesordnung über, so, als ob nichts geschehen wäre, als ob ich da gerade keinen Seelenstriptease vor ihm vollführt hätte. Gut, Flo kannte mich wohl besser als ich mich selbst. Er wusste, ich würde jetzt nichts mehr sagen, würde mich einigeln. Ich kann mir zwar die Probleme anderer anhören und meistens auch die richtigen Ratschläge erteilen, aber ich auf der Couch? Nein, ich war immer der Mensch auf dem Sessel, ich war die seelische Müllhalde, auf die man seine Probleme werfen konnte.

Er ahnte wohl, dass ich irgendwann darüber weiter reden müsste, aber er drängte mich nicht. Das würde er nie machen, er fing mich diesmal auf und ich hatte keine Angst, mich fallen zu lassen, denn ich wusste, er ist da. Für dieses, nennen wir es Verständnis, bin ich ihm heute noch unheimlich dankbar. Hab ich schon gesagt, dass ich diesen Kufenflitzer über alles liebe?

Mein Kapitän dirigierte mich durch die Straßen. Wir kamen an einem kleinen holländischen Imbiss vorbei. „Lust auf Frikadeln?“ Ich nickte und er holte zwei dieser Fleischprodukte, die in Größe und Form an Bratwürste erinnern, aber keine sind, da sie ohne Darm in eine gerade Form gepresst werden. Sie bestehen eigentlich aus einer Mischung aus gemahlenem Schweine-, Rind- oder Geflügelfleisch und werden mit Weizen- oder Sojamehl gebunden. Sie werden frittiert und nach Wunsch mit verschiedenen Saucen und Beilagen serviert, ich bevorzugte die Variante „speciaal“ mit Curry-Ketchup, Flo hat nimmt sie lieber mit „Frietsaus“, einer speziell gewürzte Mayonnaise, aber gehackte, rohe Zwiebeln dürfen auf keinen Fall fehlen.

Ich hatte dieses Fastfood-Erlebnis der besonderen Art zum ersten Mal, als ich mit beim Auswärtsspiel in Grefrath war und meinen kleinen Hunger in der Frittenschmiede der dortigen Eissporthalle stillen wollte. Ich machte wohl den gleichen Fehler wie die meisten Leute, die nicht an der niederländischen Grenze wohnten. Ich dachte, als ich das Wort nur las, mir würde eine gewöhnliche Frikadelle serviert, aber vertan, vertan sprach der Hahn und stieg von der Ente. Etymologisch haben sie zwar den gleichen italienischen Ursprung, aber Art und Weise der Herstellung stehen doch diametral gegenüber.

So gestärkt machten wir uns auf den Heimweg in die fremde Wohnung, die heute Nacht unsere Schlafstätte sein sollte. Ich packte meine Gerätschaften aus, als Flo mich auf ein Bild im Regal aufmerksam machte. „Du, wer ist denn der Typ im weißen Gewand hier auf dem Bild?“ Er deutete auf einen Bilderrahmen, der drei ältere Herren zeigte, einen davon in weißem Priesterornat, und drei jüngere Männer. Einen erkannte ich als Erkan. „Gute Frage, die nächste bitte!“

Wir waren gerade mit dem Aufbau fertig. Flo hatte mir geholfen, meine kleine Peanuts-Lösung mit Spike, dem kleinen Bruder von Woodstock (für Uneingeweihte: gemeint sind Router), als sich ein Schlüssel in der Tür umdrehte und unsere Gastgeber in selbiger standen.

Die beiden kamen auf uns zu und wir begrüßten uns, als ob wir uns Jahre nicht gesehen hätten, dabei waren nicht einmal vier Stunden seit unserem letzten Zusammentreffen vergangen.

„Erkan?“ „Ja?“ „Wie soll ich ins Internet?“ „Äh?“ „Soll ich über deinen Rechner oder kann ich direkt ans Modem?“ „Mir egal, du bist der Experte.“ „Wenn ich selbst rein soll, dann brauch ich für Spike die Zugangsdaten von deinen Provider.“ „Spike?“ „Der kleine silberne Kasten mit den beiden Strippen, auch Router genannt.“ Flo half mir aus der Patsche. „Warte mal!“ Erkan ging zum Rollcontainer unter dem Schreibtisch und gab mir einen Schnellhefter. „Hier. Das sind die Internetunterlagen. Das Passwort findest du da auch irgendwo!“ Er gab mir den Ordner, einfach so.

Jost drängte zum Aufbruch. „Ich will ja nicht euren Technik-Talk stören, aber wenn wir heute Abend essen wollen, müssen wir zum Einkaufen. Auch wenn wir keine Kleinstadt mehr sind, aber bis vier müssen wir spätestens die Liste abgehakt haben, denn da machen die meisten Geschäfte hier zu. Wir brauchen noch ein Huhn, Krabben und vor allen Dingen Feigen?“ „Was gibt es denn?“ „Lasst euch überraschen!“ Erkan wieder. „Wir machen einen Ausflug durch die drittgrößte Küche der Welt – ich koche türkisch!“

Eigentlich eine logische Konsequenz bei einem vom Bosporus stammenden Koch, wie ich fand.

Gut, ich kenne Döner in allen Variationen vom Türken um die Ecke, aber der blank rasierte Koch führte mich, als unsere Gatten das Appartement zwecks Einkauf verlassen hatten, in die Geheimnisse der türkischen Küche ein.

Er meinte, es sei in der Türkei üblich, dreimal am Tag sitzend zu essen. Man fängt  wie überall üblich mit dem Frühstück – „Kahvalti” an. Das bestünde typischerweise aus Brot, Schafskäse, grüne und schwarze Oliven, Tomaten, Gurken, Konfitüre und Tee. Den Lunch isst man entweder zu Hause oder in einem „Lokanta”, wo man kleinere heiße Gerichte isst, z.B. Suppen, und traditionelle Gerichte, wie „Lahmacun”, verschiedene „Döner”-Arten und viele gegrillte Fleischsorten mit Salat, als Beilage und Desserts inklusive frisches Obst. Das Abendessen beginnt, wenn alle Familienmitglieder nach Hause kommen und ihre Tageserlebnisse am Tisch austauschen. Das Menü besteht aus drei oder mehr verschiedenen Gerichten nach einander und beginnt in der Regel um Acht; Nahe Verwandte, beste Freunde oder Nachbarn essen öfters mit, ohne direkt Eingeladen zu sein. Meistens fängt das Diner mit kleinen Aperitifs, „Meze” genannt an. Man trinkt Wein oder das Nationalgetränk „Raki”. Ansonsten fängt das Abendessen mit Suppe, gefolgt von Fleisch- und Gemüsegerichten mit Salat an. Danach werden Olivenöl-Gerichte wie „Dolma” – gefülltes Gemüse oder gefüllte Weinblätter serviert, gefolgt von süßen Desserts und frischem Obst. Nach dem Essen wird Tee und Türkischer Kaffe genossen.

Er hatte für den Abend geplant: Raki – Rote Linsensuppe – Krabben in Öl – Gefüllte Weinblätter – Tscherkessen-Hühnchen und zum Nachtisch, vor dem Mokka, gefüllte Feigen. Mir lief schon das Wasser im Mund zusammen.

Während er anfing, in der Küche Ordnung zu schaffen, obwohl? Unordentlich sah sie eigentlich nicht aus! Da bin ich von Flo und mir im Waldmannskotten schlimmeres gewohnt.

Na ja, ich startete Snoopy, der mit der Meldung: „Kann CHARLIE BROWN (d.h. den Server) nicht finden“ aufwartete. Ich mag die Figuren von Charles Monroe Shulz und habe nicht von ungefähr die am heimischen Netzwerk beteiligten Gerätschaften nach Figuren aus der wohl berühmtesten Comicserie der Welt – jedenfalls meiner Ansicht nach – benannt.

„Ach Erkan?“ Ich klickte die Meldung weg. „Ja, mein Lieber?“ „Wieso nennt Dich Josts Vater eigentlich Erich?“ „Ganz einfach, er war froh, einen Koch gefunden zu haben, der etwas mehr kann als Schnitzel und Bratkartoffeln. Aber …“ „Aber was?“ Er kam auf mich zu und umfasste mich. „Na ja, kannst du dir das nicht denken?“ „Nein!“ Ich blickte in fast zwei schwarze Augen, die sich den meinigen in diesem Augenblick näherten. Er küsste mich leidenschaftlich, ich wollte eigentlich nicht, aber ließ es doch geschehen.

„Erich!“ „Nein, bitte nicht du auch!“ „Also, erkläre es mir!“ Er räusperte sich. „Na ja, der Alte meinte, es sei nicht gut für ein deutsches Geschäft wie dem Anker einen türkischen Koch zu haben, auch wenn der auf dem Petersberg bei einem Sternekoch gelernt hat und seine Lehre als Landesbester abgeschlossen hat, mit Urkunde von der Landeshandwerkskammer Nordrhein-Westfalen.“

Ich war verwundert, der kleine Türke überraschte mich immer wieder.

„Jost Vater ist etwas – sagen wir radikaler, auch in seinen Ansichten. Wenn der wüsste, dich ich schwul bin und mit seinem Sohn mehr teile, als nur die Adresse, dann wüsste ich, was ich machen würde.“ „Und was wäre das?“ „So schnell wie möglich weg hier.“ „Und warum?“ Er starrte mich an.

„Gut, er würde dir und euch das Leben zur Hölle machen, aber es gibt doch mehr als den Anker. Ihr könnt doch überall anfangen.“ „Wir? Das ist ja gerade das Problem, das ich habe.“ „Äh?“ „Jost und ich haben zusammen in Königswinter gelernt und uns da ineinander verliebt. Ich war dann nach der Lehre ein Jahr im Vierjahreszeiten in München, habe es aber vor lauter Sehnsucht nach ihm nicht ausgehalten und bin dann hier nach Emden. Kannst du dir das vorstellen? Von München hierher?“ Ich nickte.

„Für Jost war von Anfang an alles klar, er würde nach der Lehre zurückgehen, als Junior anfangen und irgendwann den Laden hier übernehmen und ausbauen. Aber es ist sein Plan, nicht meiner oder unserer.“ Eine nicht zu überhörende Resignation lag in seiner Stimme.

Diesmal stand ich auf und zog ihn an mich. Unsere Lippen vereinigten sich und meine Zunge spielte mit der seinen. „So, ehe wir was machen, was wir beide bereuen könnten, machen wir das, was mir machen sollen: arbeiten. Also, ab in die Küche und ich sehe auch zu, dass ich fertig werde.“

Ich fütterte Spike mit den entsprechenden Daten und schon war ich im Netz. Ich baute eine Verbindung mit Charlie Brown auf und schon war ich auf dem heimischen Server. Aber anstatt sofort mit der Arbeit anzufangen, checkte ich erst mal meine Mails.

Während ich da so die geistigen Ergüsse mancher Absender, man könnte auch Werbemüll zu diesen Elaboraten sagen, mehr oder minder überflog, ging mein Blick auf Wanderschaft und blieb wieder bei dem Bild auf dem Regal stehen.

„Du, wer ist eigentlich der Herr in der weißen Soutane?“ „Wo?“ „Das Bild da, auf dem Regal!“ Erkan kam näher und nahm das Bild in beide Hände. Er reichte es mir und zeigte auf den Bildmittelpunkt. „Das ist seine Allheiligkeit, Bartholomios der Erste.“ Ich stutze. „Ich kenne zwar seine Heiligkeit, den Papst, aber eine Allheiligkeit?“ Erkan grinste. „Na, das ist der offizielle Titel des Patriarchen von Konstantinopel. Seine Allheiligkeit Bartholomios, durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom, und Ökumenischer Patriarch. Er ist fast ein Papst, aber nur fast.“

Ich blickte ihn fragend an. „Na, dann werde ich dich mal in die Welt von uns Orthodoxen einführen. So gut wie die drei hier …“ Er deutete auf die Personen, die auf dem Bild um ihn herum standen, „ … kann ich das zwar nicht, aber versuchen werde ich es.“ „Wer sind die denn?“ „Mein Onkel und mein Bruder. Der neben meinem Onkel ist mein Vater.“

Er verschwand wieder in Richtung Küche. „Wo soll ich anfangen?“ „Am Anfang bitte!“ „Gut, am Anfang war das Wort …“ „Na, etwas später kann es schon sein!“ „Wie du willst. Also …“ Während er mir mehr oder minder die Geschichte der Kirche insgesamt und die der Ost-Kirche im Besonderen erzählte, schnitt er Zwiebeln, hackte Knoblauch, setzte die Brühe an, rührte einen Teig, und, und… und.

Ehrlich gesagt, ich hatte bis dahin nicht soviel Ahnung von der Materie, von der Kirche im Allgemeinen und der Orthodoxie und ihrem Leben in der westeuropäischen Diaspora im Besonderen. Er brachte die ganze Sache jedoch allgemeinverständlich gut rüber. Ich wusste hinterher, dass seine Allheiligkeit wohl Ehrenoberhaupt aller Orthodoxen ist, aber nicht die Gewalt seines römischen Kollegen hat. Während der oberste Brückenbauer an der Spitze einer Organisation steht und entsprechend Macht über alle kirchlichen Mannen unter ihm hat, ist der Patriarch nur Primus inter Pares (Erster unter Gleichen).

„Aber sag mal, woher weißt du das alles?“ „Wieso?“ „Tja, ich bin zwar auch Christ und hab auch immer brav den Konfirmandenunterricht besucht, aber du hast ja mehr oder minder die gesamte Kirchengeschichte runtergebetet, wenn man das so sagen kann!“ Er musste lachen. „Na ja, ist halt familiär bedingt. Mein Onkel war früher so was wie der Chefbuchhalter der Verwaltung des Patriarchen, mein Opa ist Priester, mein Bruder auch und zwar als persönlicher Sekretär des Vorsitzenden der Finanzsynode und mein Vater ist mittlerweile stellvertretender Leiter der Metropolitenverwaltung hier in Deutschland. Du siehst, ich bin ziemlich klerikal vorbelastet.“

Wir lachten beide. Während des Vortrages hat sich seine Stimmung gebessert. „Aber sag mal, wieso ist denn dein Opa Priester. Der darf doch keine Kinder haben, oder gibt es kein Zölibat bei euch?“

Hätte ich bloß mal nichts gefragt, es folgte ein zweiter Vortrag. Ich erfuhr, dass das Sakrament der Weihe ist in drei Stufen aufgeteilt ist. Die erste Stufe ist das Diakonat, die zweite das Priestertum und die dritte die des Bischofs. Es können zwar nur Männer geweiht werden, aber nur Bischöfe, die zugleich auch immer Mönche sind, sind zum Zölibat verpflichtet. Aber: Keine Regel ohne Ausnahmen. Bischöfe kommen nicht zwangsläufig aus dem unverheirateten Klerus, denn es werden häufig verwitwete Priester zum Hirten geweiht. Priester und Diakone dürfen verehelicht sein, allerdings müssen sie dieses vor ihrer Weihe tun und bei einer Trennung sich nicht wieder verheiraten.

Wer jedoch Karriere machen will, der sollte unbeweibt bleiben, genau wie bei den Katholen.

„Und dein Bruder?“ „Der ist mit Kirche verheiratet. Der wird seinen Weg machen und ganz nach oben!“ „Will der mal Patriarch werden?“ Ich meinte das eher im Spaß, aber Erkan wurde ernst. „Ja. Er ist einer der wenigen, die es ohne Schwierigkeiten mit der Regierung werden können!“ „Wie das?“ Ich war erstaunt.

„Na ja, das Patriarchat von Konstantinopel ist zwar in der orthodoxen Welt mehr oder minder das wichtigste, hat aber nur 3,5 Millionen Gläubige, und die Wenigsten leben in der Türkei, die meisten im Osten von Griechenland. Das ist nur eine Folge des Türkisch-Griechischen Krieges.“ „Wann war der denn?“ „Der letzte? Von 1920 bis 1922.“ „Aha.“ „Nachdem das osmanische Reich mehr oder minder zerstückelt wurde, …“ „Es gab ein türkisches Versailles?“ „So in der Art. Nur war das der Vertrag von Sèvres. Gebietsmäßig wurde ziemlich abgespeckt: der Irak, die arabische Halbinsel, Syrien, der Sinai, Jordanien, der Libanon, Armenien, Kurdistan wurden eigenständig oder gingen an andere. Thrakien und Smyrna, die Gegend um Izmir, sollten selbstständige Staaten werden. Na ja, der Sultan unterschrieb, um seinen Thron zu retten, aber dazu sollte es nicht mehr kommen. Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, rief die Republik aus und es kam zum Krieg.“ „Bürgerkrieg?“ „Wie man will, wir nennen es Befreiungskrieg. Atatürk mobilisierte und koordinierte. Seine Truppen haben es geschafft, die schon im Land stehenden fremden Armeen zu schlagen. Sèvres wurde ja ne ratifiziert und durch den Vertrag von Lausanne ersetzt. Ostthrakien, Armenien, Kurdistan und Smyrna blieben türkisch. Es kam allerdings zu einem gewollten Massenumzug. Die in Kleinasien ansässigen Griechen mussten nach Griechenland, die dort wohnenden Türken zurück in die Türkei. Meine Familie ist dann von Izmir nach Istanbul gezogen, um näher bei ihrem geistigen Führer zu sein. Sie waren schon immer sehr kirchlich eingestellt.“

„Aber ich verstehe immer noch nicht, warum das deinen Bruder dazu prädestinieren sollte, Patriarch zu werden.“ „Ach, der Vertrag von Lausanne besagt, dass Ihre Allheilichkeit türkischer Staatsbürger sein muss. Errol ist sogar in Istanbul geboren. Deswegen!“

„Aber für dich ist es Izmir und nicht Smyrna, Istanbul und nicht Konstantinopel, oder?“ „Für mich? Gute Frage? Was bin ich?“ „Ein sehr liebenswertes Wesen, mein Engel.“ „Danke für die Blumen, aber im Ernst. Was bin ich? Ich bin in Bonn geboren, als Sohn türkischer Eltern. Ich bin Türke für die Deutschen, für die Türken bin ich Deutscher. In Deutschland und der Türkei gehöre ich einer religiösen Minderheit an. Und ich bin schwul. Ich bin also ein Vertreter der Minderheit der Minderheit in der Minderheit.“ Ich war baff erstaunt, irgendwie eine logische Konsequenz, die er da zog.

„Aber du bist du, ein Mensch! Und nur das zählt!“ „Marius, ich bitte dich! Wo lebst du?“ „Im Hier und Jetzt!“ „Im Hier und Jetzt? Ich bitte Dich! Meine Eltern wollen mich im nächsten Monat verheiraten, weil sie denken, dass es das Beste für mich und die Familie sei! Mein Chef ist ein rassistisches Arschloch, das mich unter Wert bezahlt! Mein Freund verfolgt seine eigenen Ziele. Ich sitze zwischen allen Stühlen!“

Ich blickte ihn schweigend an. „Erkan. Mal eine Frage. Wie haben deine Eltern reagiert, als du von München nach Emden gezogen bist?“ „Wieso willst du das wissen?“ „Keine Gegenfragen! Wie haben sie reagiert?“ „Marius, ich bin sowieso der Verlierer in unserer Familie. Ich war das Nesthäkchen! Meine Schwestern und mein Bruder haben studiert, sind gemachte Menschen. Ich aber habe mit Ach und Krach nur meine Mittlere Reife gemacht. Mein Vater hat mir dann die Lehrstelle auf dem Petersberg besorgt, selbst dazu war ich selbst nicht in der Lage. Das einzige Mal, wo er stolz auf mich war, war, als ich die Auszeichnung gekriegt habe zum Abschluss. Als ich dann aus München weg bin, dachten sie, München wäre zu groß, ich war alleine. Ich brauche Überschaubarkeit, auch in meinem Umfeld. Mutter meinte, es wäre sicherlich eine unglückliche Affäre, ein Mädchen, was mich vertrieben hätte, weshalb ich weg wollte. Für meinen Vater war es nur eine Enttäuschung mehr, eine von vielen, die ich ihm bereitet habe. Wenn ich keine Kinder haben werde, wird unser Name aussterben. Und das schmerzt meine Leute!“

Ich war wie versteinert. „Und was wäre, wenn du deinen Eltern die Wahrheit sagen würdest?“ Ich bereute die Frage schon, als ich sie ausgesprochen hatte.

„Die Wahrheit? Wer will die denn wissen? Was aus mir wird, ist mir egal, aber wenn ich vor der Hochzeit kneife, dann ist meine Familie entehrt. Und wenn ich offen sagen würde, dass ich schwul bin, dann könnte mein Bruder seine Karriere vergessen, der Bruder eines möglichen Patriarchen eine Schwester? Meine Mutter würde vielleicht noch zu mir halten, aber alle anderen würden sich nur noch von mir abwenden, und das mit Recht. Ich bin eine einzige Enttäuschung. Auch wenn es in der Türkei Schwule gibt, aber man wird, wenn überhaupt, nur geachtet, wenn man der ist, der fickt. Ich aber bin der Passive, die Frau, der Gefickte. Dafür wird keiner Verständnis haben.“ Er schluchzte. „Das Beste ist wohl, ich bring mich um!“

Ich nahm ihn in die Arme und streichelte über seinen Kopf. „Psst. Alles wird gut. Mir wird schon was einfallen, mach keine unüberlegten Sachen!“ Ich drückte ihn fester an mich.

In meinem Kopf reifte eine Idee, nein, Idee wäre zuviel gesagt, eher ein Gedanke kam mir in den Sinn. „Erkan?“ „Ja?“ „Wann bist du weg aus München?“ „Vor anderthalb Jahren, wieso?“ „Wann genau?“ „Mitte August. Im September bin ich hier angefangen.“ „War jemand vom weiblichen Personal schwanger, zur damaligen Zeit?“ „Wieso willst du das wissen?“ „Antworte einfach!“ „Cordula war schwanger, aber was soll das?“ „Cordula Wer?“ „Strauß!“ Ich grinste ob des Namens. „Wer war sie?“ „Eine von der Rezeption! Marius, was soll das?“ „Wie alt war sie? War sie verheiratet?“ „Mensch, Cordula war 23 und ledig. Es hat einen großen Aufstand gegeben, sie ist dann gefeuert worden. Sie hat mir richtig leid getan.“ „Hast du noch ihre Nummer?“ „Wieso fragst du?“ „Weil du sie anrufen wirst!“ „Wieso sollte ich?“ „Weil wir ein paar Informationen brauchen!“ „Welche Informationen?“ „Nun, wir müssen herausfinden, wann sie ihrem Kind das Leben geschenkt hat, welches Geschlecht es hat und ob ein Vater angegeben wurde, in der Geburtsurkunde.“

„Wieso willst du das wissen?“ „Tu mir und dir bitte den Gefallen und ruf sie einfach an.“ „Aber was soll ich ihr sagen?“ „Na, du hättest aufgeräumt und wärst über ihre Adresse gestolpert. Da wäre dir die ganze Geschichte wieder eingefallen und du wolltest dich mal erkundigen.“ „Ja, aber welchen Sinn soll das haben?“ „Den Sinn kann ich jetzt noch nicht genau sagen, aber vertrau mir einfach und ruf sie an. Ja?“ „Ich weiß zwar nicht, was du damit willst, aber bitte.“ Er drehte sich um, ging zum Regal und holte ein kleines ledernes Notizbuch vor.

Er nahm das Telefon und wählte eine Nummer. Er stellte den Lautsprecher auf Mithören. Ich setzte mich auf die Ottomane, mit Zettel und Stift bewaffnet. Ich formulierte einige Zettel vor, auf einem stand Name, auf dem anderen Geburtsdatum, der dritte Bogen trug die Aufschrift Vater, versehen mit einem großen Fragezeichen.

Ich konnte die Stimme besagter Cordula hören, wie sie mit Erkan sprach. Er brachte die kleine Notlüge, er hätte ihre Nummer beim Aufräumen wieder gefunden, glaubwürdig vor. Nach acht, neun Minuten hatten wir die notwendigen Informationen. Ich bedeutete meinem kleinen Türken das Gespräch zu beenden, was er dann auch schlussendlich nach drei Versuchen tat. Diese Cordula hätte sicherlich noch gerne weiter gesprochen, aber die Zeit drängte.

„Kannst du mir jetzt sagen, was das Ganze soll?“ „Sofort. Gib mir mal bitte das Telefon.“ „Hier!“ Er schaute mich an wie der ungläubige Thomas. „Was machst du?“ „Ich liefere dir den Grund, die Hochzeit abzusagen, ganz ohne Gesichtsverlust, für dich und deine Familie.“ Ich wählte eine Nummer in München.

Ich hörte eine Bandansage. Nach dem ominösen Pfeifton schrie ich nur in den Hörer: „V4 an V3 – brauche Hilfe! Jemand da?“ Ich hatte Glück, denn es rappelte tatsächlich in der Leitung. „Marius, mein Lieber. Wie ist es?“ „Jessica, bist du es?“ „Ja, bin ich. Was gibt es?“ „Ich brauche mal Thomas!“ „Der ist in der Wanne. Moment, ich bring ihm mal das Telefon.“ Ich hörte Schritte und eine sich öffnende Tür und Jessicas Stimme, die meine Anwesenheit am anderen Ende der Leitung verkündete. „Schatz, dein Leibfux.“ Gegrummel im Hintergrund. „Einstein, altes Haus. Was gibt’s so wichtiges, dass du mich beim Baden störst?“ „Äskulap! Gut, das ich dich erreiche. Ich brauch deine Hilfe.“ „Was liegt an? Steckst du in Schwierigkeiten?“ „Ich nicht, lieber Thomas, aber ein sehr guter Freund von mir.“ Ich schaute auf Erkan.

„Schieß los! Wie kann ich helfen?“ „Kannst du es mit deinem ärztlichen Ethos vereinbaren und eine Bescheinigung ausstellen, dass jemand nicht der Vater eines Kindes sein kann und du demjenigen rätst, sich wegen seiner Qualität des Spermas in ärztliche Untersuchung zu begeben?“ „Ein Spermiogramm! Kein Problem, aber ohne Untersuchung? Nu erklär mir das mal!“ „Thomas, ich habe hier ein Bild der Mutter und des Kleinen vor mir liegen, aufgenommen kurz nach der Geburt. Das Baby ist eindeutig ein Mischling, Vater offensichtlich ein Mensch schwarzer Hautfarbe. Aber derjenige, um den es geht, hat die gleiche Haut wie du und ich!“ Auch ich kann lügen, aber lüge ich, wenn ich ein nicht vorhandenes Bild beschreibe und lediglich meiner Phantasie freien Lauf lasse?

„Wenn das so ist, kein Problem. Schick mir am besten die Daten und ich mache das fertig und jage es Montag mit der Post raus.“ „Gut, werde ich machen, aber du müsstest mir noch einen Gefallen tun!“ „Welchen?“ „Könntest du die letzte Ziffer der Jahreszahl falsch schreiben? Eine Position weiter links?“ „Du meinst, wenn ich dich richtig verstehe, nur mal so als Beispiel, aus einer Neun eine Acht machen?“ „Genau!“ „Einstein. Du weißt, ich stehe mit den Dingern auf Kriegsfuß. Ich kann mich gerne mal vertippen. Sonst noch was?“ „Nein, im Moment erst einmal nicht. Ich, besser wir, danken dir. Ich melde mich dann nach meiner Klausur“. „Mach das“ „Und Thomas, nochmals Danke!“ „Da nicht für! So, und nu lass mich weiterbaden. Ich erwarte dann deine Mail und ich mach das Ganze noch dieses Wochenende fertig. Bis die Tage!“ Thomas legte auf.

„Was war das denn?“ „Das war Teil eins!“ Ich nahm den Hörer und wählte erneut, diesmal eine Mobilnummer. „Kahr! Wer stört?“ „Wilhelm! Ich bin es, dein Einstein!“ „Marius, altes Haus, ich bin im Dienst. Du kannst mich auch billiger erreichen. Hast du die Nummer?“ „Nein, leider nicht griffbereit! Gib sie mir noch einmal, bitte!“ Ich notierte eine Nummer der Uniklinik in Mainz, wo mein lieber Freund und Zipfelbruder gerade seinen Dienst schob.

„Rechtsmedizinisches Institut Mainz, Dr. Kahr!“ „Willi?“ „Ja!“ „Marius hier!“ „Altes Haus, was liegt an? Ewigkeiten nichts mehr von meinem besten Präsiden gehört! Was macht die Homepage des Verbandes?“ „Willi, jetzt nicht. Ich hab ein kleines Problem, das ich allein nicht lösen kann!“ „Was hast du gemacht?“ „Ich nichts. Es geht um einen guten Freund von mir. Der ist in argen Schwierigkeiten!“ „Was ist los?“ „Nun, Erkan, dass ist der mit den Problemen, ist im letzten Jahr von München aus nach Emden, eine Freundin von ihm wurde schwanger und er sollte der Vater sein. Aber der Vaterschaftstest war negativ, nur die Frau lässt nicht locker, die will an sein Geld!“ „Genau wie meine Verflossene, die will auch immer nur an mein Bestes.“ „Wie, mit Susanne ist Schluss?“ „Ja, ich hab sie in flagranti erwischt und rausgeschmissen!“ „Wann?“ „Vor knapp zwei Monaten, du hattest Recht mit deinem Verdacht an Sylvester. Und ich hab dich deshalb noch angeschrieen, ich Idiot! Die angemessene Entschuldigung kommt persönlich auf der Verbandstagung im Mai.“ „Brauchst du nicht!“ „Werde ich aber, ist doch Ehrensache! Aber zurück zum Problem. Ich brauche eine Speichelprobe von allen Beteiligten.“ „Muss das sein?“ „Ja, da kann ich nichts machen! Ist vorgeschrieben!“ „Mist, dann wird er wohl zahlen müssen. Wir kommen nämlich nicht an das Kind ran, dass ist das Problem!“ „Tja, er muss er erstmal zahlen und es dann auf den Prozess ankommen lassen, leider.“ „Was soll’s? Na ja, uns Äskulap hat den privaten Vaterschaftstest durchgeführt und ihm geraten, ein Spermiogramm zu machen.“ „Unser Thomas? Unser V3?“ „Ja, er war in München bei meinem Leibburschen in Behandlung. Ich hab ihn erst später kennen gelernt.“ Was ja auch stimmte.

„Ja, sag das doch gleich! Was schreibt er denn?“ „Warte mal!“ Ich raschelte mit Papier. „Erkan Charagüzel stellte sich am blablabla in meiner Praxis vor. Er verlangte Aufklärung, ob er Vater des am 21.08.2003 geborenen Connor Josef Strauß, Sohn der Cordula Franziska Strauß, wohnhaft blablabla sein kann. Nach den durchgeführten Untersuchungen kann medizinisch eindeutig festgestellt werden, dass der o.g. Patient nicht Vater des Kindes ist. Dann kommt euer Kauderwelsch und dann der letzte Absatz: Dem Patienten wird darüber hinaus angeraten, ein Spermiogramm anfertigen zu lassen. München – Datum – Unterschrift Dr. med. Thomas Busiol.“ „Das reicht mir, wenn Äskulap das gemacht hat, dann brauch ich nichts Weiteres. Frag mal deinen Freund, wann er irgendwann nach dem Gutachten eine Woche Zeit hatte.“

Ich schaute Erkan an. Der zuckte mit den Schultern. „Ich hatte zwischen den Jahren frei. Musste erst an 6. Januar wieder anfangen.“ „Hast du gehört, Willi?“ „Ja, hab ich. Bin ja nicht taub. Ich brauch noch seinen genauen Namen, Anschrift, Geburtsdatum, Krankenkasse und Versichertennummer.“ „Warte, ich gebe ihn dir selber.“ Ich reichte Erkan den Hörer. Er gab bereitwillig Auskunft.

„Herr Doktor, ich danke Ihnen.“ „Lass mal den Doktor weg, ich bin der Willi. Wenn du ein Freund von Marius bist, dann bist du auch mein Freund. Grüß ihn schön von mir, da kommt gerade ein Kalter rein! Sag ihm, ich trinke heute Abend einen auf ihn und melde mich Montag.“

Erkan war verwirrt, mein Willi wieder. Ein sehr guter Freund und Bundesbruder, mit dem ich mehr als eine Nacht durchgemacht habe, ohne allerdings was zu machen. Er war eine Hete durch und durch, aber trotzdem konnte man mit ihm Pferde stehlen. Er war einer der Wenigen, die in meiner Verbindung wussten, dass ich schwul bin, aber er machte nie ein Aufheben darum, er ging einfach zur Tagesordnung über.

Ich werde nie vergessen, wie er extra für meinen 25.sten Geburtstag seine Susanne in Italien im Urlaub zurückließ und mit seiner Maschine, einer alten BMW, über die Alpen nach Westfalen gebrettert ist, nur um sein Versprechen zu erfüllen, mit mir ein Bier auf mein „Vierteljahrhundert“ zu trinken. Das hatte er mir nach achtzehn Bier auf unserer ersten gemeinsamen Kneipe gegeben.

„So, mein Schatz, ich glaube, wir brauchen was zu trinken!“ Erkan zuckte mit den Achseln und ging in die Küche. Ich hatte ja die Daten, die der kleine Türke Willi gegeben hatte, mitgeschrieben. Ich machte die Mail an Thomas fertig und schickte sie ab. Erkan kam mit zwei Gläsern Raki zurück.

„So, jetzt erkläre mir mal, was das ganze sollte. Ich hab nur Bahnhof verstanden.“ Er reichte mir eins der Gläser und wir stießen an. „Das war gerade dein Alibi für die Absage der Hochzeit.“ „Wie das?“ „Ganz einfach! Willst du die Frau heiraten, die dein Vater für dich ausgesucht hat?“ „Nein, natürlich nicht! Ich kenn sie ja noch nicht einmal.“ „Also!“ „Also was? Sprich deutlich, ich bin Türke.“ Er grinste.

„Nun, ich spare mir jetzt jeden Kommentar, was ich von dieser Art der Verbindung halte.“ Ich würgte. „Eine solche Ehe wird in der Regel dann abgesprochen, wenn sie beiden beteiligten Familien irgendwelche Vorteile bringt. Der Hauptgrund für deinen Vater dürfte wohl gewesen sein, dass sein Name nicht ausstirbt. Dein Bruder darf ja nicht, wegen des Zölibats, deine Schwestern gehen ja auch nicht, die haben ja wahrscheinlich die Namen ihrer Männer angenommen, also bleibst nur du als Stammhalter. Logisch?“ „Ja.“ „Also, wenn dein Vater unbedingt Enkel haben will, du aber keine kriegen kannst, weil du unfruchtbar bist …“ „Bin ich aber nicht!“ „Auf dem Papier schon! Deine Unfruchtbarkeit wird von Spezialisten in München und von einem Rechtsmedizinischen Institut bestätigt. Also: Keine Kinder für Erkan.“

Er nickte. „Da du das weißt, wäre es dem anderen Teil gegenüber äußerst schäbig, wenn die Heirat doch stattfinden würde. Sobald die Schreiben eintreffen, wirst du sie deinen Eltern zeigen. Dann wird sich dein Vater wohl oder übel damit abfinden müssen, dass es mit einer Namensvererbung nichts wird, deine Mutter wird ihre Vermutungen bestätigt wissen und alle leben glücklich und zufrieden. Wenn ich deinen Vater richtig einschätze, wird er zwar etwas brauchen, aber er wird deine Entscheidung, nicht zu heiraten, verstehen. Im Gegenteil, du würdest die Ehre der Familie eher beflecken, wenn du an der Heirat festhalten würdest.“

„Ich könnte dich knutschen!“ „Dann tue es doch!“ Er kam auf mich zu und seine Lippen senkten sich. „Aber warum tust du das alles für mich? Wir kennen uns doch kaum!“ „Du kleiner dummer Türke! Ich mag dich! Deshalb tue ich das. Na ja, ich habe es ja lediglich nur angeleiert, ausführen und mit den Konsequenzen leben, musst du. Auf jeden Fall gewinnst du so die Zeit, die du brauchst, um nachzudenken! Nachzudenken über dich, deine Zukunft und deinen Jost!“ Ich küsste ihn.

„Du?“ „Ja?“ „Was riecht da so komisch?“ Aus der Küche drang ein leichter Geruch zu uns herüber. „Mist! Die Milch!“ Erkan rannte in die Küche und versuchte zu retten, was zu retten war. Aber es war leider ein Satz mit X. „Ich werde wohl improvisieren müssen!“ „Macht nichts, wird bestimmt gut!“

Ich machte mich wieder an den Rechner. „Erkan!“ „Marius?“ „Wie spät haben wir eigentlich?“ „Wieso? Hast du noch was Bestimmtes vor?“ „Nein, aber ich frage mich langsam, wo unsere beiden Geliebten bleiben! Es ist kurz vor fünf.“ In dem Moment rumpelte es an der Tür und die beiden kamen mit einigen Tüten herein. „Ihr habt ja anscheinend ganz Emden aufgekauft!“ „Hör auf. Wir waren in vier Läden, um den Gockel hier zu kriegen! Im türkischen Supermarkt wurden wir dann fündig. Hier Schatz!“

Jost drückte seinem Liebsten einen Kuss auf den Mund und das Federvieh in die Hand. „Bitte, dein Turn!“

„Und, was habt ihr so gemacht!“ Flo kam auf mich zu und küsste mich. „Viel, aber zum Programmieren bin ich nicht gekommen. Na ja, jedenfalls nicht soweit, wie ich sein wollte.“ „Was habt ihr denn gespielt? Tetris?“ „Nein, was viel wichtigeres haben wir gemacht, d.h. eigentlich hat Marius gemacht, ich hab nur dabei gesessen. Aber das erzählen wir euch später. Jemand Tee?“ Flo kniff mir in die Seite. „Gerne!“

Erkan servierte den Tee in türkischen Gläsern und die drei setzten sich auf die Ottomane, ich rollte mit dem Schreibtischstuhl zum Tisch. „Was machen wir jetzt?“ „Ich wollte noch ne Runde Joggen gehen. Kommt jemand mit?“ Flo schaute in die Runde. „Auf mich musst du verzichten, Schatz, ich mach lieber Gehirnjogging.“ Er grinste mich an und warf mir einen Kuss zu. „Außerdem muss ich noch etwas tun. Ihr entschuldigt mich.“

Ich rollte Richtung Schreibtisch und fing an zu tippen. „Was ist mit dir, Erkan?“ „Ne, besser nicht. Ich hab ja noch das Huhn, daran kann ich auch meine überschüssigen Energien auslassen!“ Er grinste. „Na ja, ich muss sowieso noch was ausbügeln!“ „Was denn?“ „Mir ist da ein kleines Missgeschick passiert!“ Jost schaute fragend seinen Liebsten an. „Warst du mit was anderem beschäftigt?“ „Ja, mit dem Telefon. Mir ist dabei die Milch angebrannt, oder wieso sollte ich denn bei den Temperaturen die Terrassentür offen haben?“ „Sorry.“

„Wie es aussieht, werden wir wohl oder übel alleine laufen müssen. Du kommst doch mit, Jost, oder hast du auch was anderes vor?“ „Ne, einer muss dir ja den Weg zeigen. Aber bitte nicht so schnell, ja?“ „Versprochen. Ich werde extra langsam laufen.“ „Na, dann werde ich mich mal umziehen.“ Sagte, sprachs und ging. „Ich wird mich dann auch mal fertig machen.“

Mein Schatz eilte in Schlafzimmer und hantierte mit der Reisetasche. Es dauerte keine drei Minuten, und er stand in seinem dunkelblauen Laufanzug aus Lyra vor uns im Wohnzimmer. Erkan schmunzelte. „Man könnte meinen, du wärst …“ „Sei froh, dass er nur den anhat. Sein Neongelber in der Wäsche!“ Wir mussten alle lachen.

„Hier mein Schatz!“ Ich reichte Flo das Telefon. „Was soll ich damit?“ „Na, erst einmal Onkel Henning anrufen und dann Claudia. Hast du ihr versprochen!“ „Kannst du nicht mit deiner Schwester?“ „Kann ich, aber auch dazu musst du erst einmal mit Henning sprechen.“

Er wählte und sein Gesicht wurde immer strahlender, je länger er sprach. „Leute. Es gibt gleich was zu feiern. Die Brandschau war gut, wenn man das so sagen kann. Henning braucht zwar ein komplett neues Dach, aber am Haus selbst sind keine Schäden. Er meint, in zwei Wochen wäre alles wieder wie neu. Claudia und die Zwilling können also kommen. Sie werden allerdings bei Oma im Haus nächtigen müssen. Er weiß nicht, ob der Innenausbau bis dahin auch fertig ist. Die Bauarbeiter kommen Montag und fangen mit dem Abriss des Dachs an.“

„Na, dass ist doch mal ne gute Nachricht. Schwitzende, muskelbepackte Bauarbeiter!“ Ich grinste. „Du schon wieder. Du denkst doch immer nur an das eine!“ „Wenn ich dich sehe!“ Ich zog meinen Flo an mich und küsste ihn leidenschaftlich. Wir wurden unsanft unterbrochen. „Na, dann kann ich mich ja wieder umziehen, wenn ihr …“ Jost stand in der Tür. „Nein, ich komm schon, der Lüstling hier wollte sich nur verabschieden.“ „Muss Liebe schön sein!“ „Ist sie Jost! Ist sie!“ Mein Flo wieder.

Nachdem die beiden abgedackelt waren, widmete ich mich meiner Arbeit und Erkan dem Huhn. Er hatte in Nullkommanix das Huhn in Salzwasser gekocht, das Fleisch vom Knochen gelöst und quer zur Faser eingeschnitten. Er zerstieß gerade Knoblauch und die Nüsse.

„Du, Marius?“ „Ja?“ „Aber was soll ich machen, wenn mein Vater noch so ein Test verlangt?“ Ich war etwas perplex. Ich stand auf und ging in die Küche und umfasste den am Herd stehenden von hinten. „Dann mein Lieber, brauche ich nur deine Versichertenkarte und den Termin.“ „Äh?“

Ich drehte ihn zu mir um, wir sahen uns an. „Mein lieber Erkan, das einzige Risiko an der ganzen Geschichte ist, der Arzt darf dich nicht kennen! Ich werde dann als Erkan Charagüzel in die Praxis, ins Röhrchen wichsen und das war es dann!“ „Du willst für mich?“ „Ja, wir haben ungefähr die gleiche Statur und mit einem Frisörbesuch deinerseits …“ Ich grinste ihn an und gab ihm einen Kuss.

„Ich weiß, dass ich nie Vater werden kann. Schon seit ich sechzehn bin.“ „Du bist …?“ „Ja, ich bin unfruchtbar. Habe leider nur einen zu 10% normal arbeitenden Hoden, der andere hängt da nur so mit sich rum. Daher ist meine Spermienanzahl weit unter Normalniveau und die Schwimmfähigkeit der kleinen Freunde ist fast gleich Null!“ „Aber woher weißt du?“ „Ach, ich war damals auf Klassenfahrt, wir machten eine Schnitzeljagd und waren relativ früh fertig. Henrik, Marc, Nadja und ich. Na ja, wir haben dann unseren Sieg gefeiert und sind in der Kiste gelandet.“ „Alle miteinander?“ „Nein, alle nacheinander über Nadja rüber. Ich könnte heute noch kotzen, das Wichsen und knutschen mit Marc, als Henrik auf ihr lag und sich abmühte, war viel besser …“ „Und dann?“ „Dann wurde Nadja schwanger und wir alle mussten zum Test. Damals war man noch nicht so weit wir heute, wir mussten noch ins Röhrchen … Na ja, das Ergebnis kennst du.“

„Du Ärmster!“ „Wieso? Was will ich mit Kindern? Ich hab meine Nichten und Neffen und wenn ich die ab und an sehe, dann reicht das völlig.“ „Magst du keine Kinder?“ „Doch! Am liebsten gut durchgebraten!“ Ich grinste und küsste ihn.

„Nein, Marius, jetzt mal im Ernst! Stört dich das nicht?“ „Ja, es stört mich was daran!“ „Und was?“ „Na, ich krieg immer Komplexe, wenn ich mir einen Porno anschaue.“ „Wie das?“ „Na, die Hengste spritzen über eine Unmenge und das meterweit und bei mir? Zwei, drei Tröpfchen und das war es dann!“ „Du Ärmster!“ Diesmal nahm er mich in den Arm und küsste mich.

„Du!“ „Ja?“ „Ich glaube, wir sollten mal wieder zu unseren Tätigkeiten zurück.“ „Meinst du?“ „Ja, ich meine, lieber Erkan. Unsere Gatten können jederzeit hier auftauchen und wir sollten ihnen doch keinen Grund zur Eifersucht geben, oder?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ach ich weiß auch nicht!“ „Was denn?“ „Na. Ich sehe euch beiden, Flo und dich. Ihr seid irgendwie … Da ist eine Vertrautheit, die ich bei euch spüre. Darum beneide ich euch. Das ist anders als bei Jost und mir.“ Die Sache wurde brenzlig.

„Hast du mal mit Jost darüber gesprochen?“ „Über was?“ „Na, über das wir uns die ganze Zeit unterhalten. Das du wegen ihm München aufgegeben hast, wie du dich hier fühlst und das Alles!“ Ich drückte ihn. „Und vor allen Dingen, was du bei ihm fühlst oder halt nicht!“ „Nein, leider. Ich wollte ja immer, aber wenn ich den Mut dazu hatte, ergab sich keine Gelegenheit. Es kam immer was dazwischen. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt könnte. Ihn vor die Wahl zu stellen? Was mache ich, wenn er nein sagt?“ „Tja, das ist das Risiko, dass du eingehen musst. Das ist das Leben! Wenn er dich so liebt, wie du ihn, dann wird er zu dir stehen und mit dir kommen! Wenn nicht, dann musst du alleine sehen, wie du klar kommst.“ „Ich hab Angst!“ „Ich weiß!“

Ich schloss ihn fest in meine Arme, seinen Tränen ließ er freien Lauf.

„Störe ich?“ Flo stand plötzlich im Raum. „Schatz, schon wieder hier?“ „Ja, und wie mir scheint, gerade noch im rechten Augenblick!“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein Kleiner, du störst nicht. Gib mir mal dein Mobilteil. Ich muss mal eben telefonieren.“ Er reichte es mir wortlos und sah Erkan an, direkt in sein verweintes Gesicht. Er zog ein Taschentuch aus seiner kleinen Hosentasche und ging auf Erkan zu. „Hier! Putz dir erst mal die Nase, du Heulsuse!“ Er stupste ihn in die Seite. „Was hat der böse Mann mit dir gemacht?“ „Gar nichts und doch alles. Alles ist anders, seid ihr hier seid!“

Ich ging auf die Terrasse und steckte mir erst einmal eine an. Ich sog den Rauch tief in mich und drückte die Kurzwahltaste zwei. Mein Mobilteil war unter eins gespeichert, Sebi, sein Trainer unter der Drei. Die Zwei war Heiner, sein Vater.

Es bimmelte. „Schatz, was ist los, dass du deinen alten Vater an einem Samstagabend anrufst? Krach mit Marius?“ Ich grinste. „Nein, lieber Schwiegerpapa, dein Sohn, was mein Gatte ist, hat keinen Stress mit mir!“ „Marius! War ja auch nur Spaß.“ „Ich weiß!“ „Was verschafft mir denn die Ehre?“ „Heiner, es kann sein, dass ich deine Hilfe brauche!“ „Wie soll ich dir hier von Franken aus helfen? Was ist los? Rede schon, du westfälischer Dickschädel!“ „Den verbitte ich mir! Aber Spaß beiseite. Kennst du jemanden, der einen Koch gebrauchen kann?“ „Einen Koch?“ „Ja, einen Koch!“ „Na ja?“ „Was?“ „Wo hat er denn gelernt?“ „Auf dem Petersberg, war Bester Lehrling seines Jahrgangs in NRW. Ist dann nach München ins Vierjahreszeiten und der Liebe wegen zurück zu seinem Hotelfachmann nach Emden.“ „Schwul?“ „Jepp!“ „Na, ich wer mich mal umhören, was sich machen lässt. Bis wann brauchst du eine Antwort?“ „Am besten bis gestern!“ „So schlimm?“ „Ja, so schlimm. Ist ne längere Geschichte, denn ich weiß nicht, ob diese Liebe das Wochenende überstehen wird.“ „Nicht gut! Einen Koch könnte ich erst in zwei Monaten gebrauchen, denn da geht meine Hauswirtschafterin in Mutterschutz. Aber nach Günthers Herzinfarkt suchen wir eher ein Paar, das uns entlasten kann, also Hotel und Küche. Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten.“ „Ja, Papa! Du bist alt, ich weiß!“ „Ich warne dich, Bursche. Mit dir nehme ich es noch alle mal auf. Aber ich werde mich mal gleich umhören. Ich glaube, das Kurhotel im Nachbarort sucht einen Koch, aber Genaues kann ich dir nicht sagen.“ „Danke dir trotzdem. Aber tu mir einen Gefallen, ja?“ „Welchen?“ „Schick die Antwort bitte auf mein Handy. Flo muss ja nicht unbedingt mitkriegen, dass ich …“ „Das du mal wieder Schicksal spielst?“ „Genau!“ „Kein Problem und grüß mir meinen Sohn. Marius?“ „Ja?“ „Hab dich lieb!“ „Ich dich auch, Schwiegerpapa. Und die besten Wünsche von uns beiden an Günther!“ „Werde ich ausrichten. Ich melde mich, spätestens morgen.“ „Danke.“ „Schönen Abend noch, ihr beiden!“

Ich schnippte den Zigarettenstummel in die Büsche und machte mich auf ins Wohnzimmer. Erkan schien sich gefangen zu haben. Er hielt zwar noch immer Flos Taschentuch in der Hand, aber es rannen keine Tränen mehr.

„Na, ihr zwei Hübschen!“ Beide schauten mich an. „Schatz, schöne Grüße von deinem Erzeuger!“ Flo grinste. „Großer, ich hätte dir auch so die Nummer gegeben, du hättest nicht auf meine Kosten mit meinem Paps telefonieren müssen.“ „Du bist charmant wie immer!“ „Ich weiß!“ „Aber damit es dir nicht so geht wie Günther, geh besser duschen. Du bist verschwitzt mein Schatz, und dich habe keine Lust, Krankenschwester zu spielen, obwohl das sicherlich einen gewissen Reiz hätte. Du völlig wehrlos in meinen Händen!“ Ich grinste verschmitzt.

„Du kannst es nicht lassen! Aber wo du recht hast, hast du recht.“ Er ließ von Erkan ab und ging ins Schlafzimmer. Ich ging auf Erkan zu. „Alles wird gut! Vertrau mir!“ Ich legte meine Hand um seine Schulter. Er zitterte immer noch.

Flo schob den Vorhang zurück. Er stand da, wie Gott ihn erschaffen. „Ich geh jetzt duschen!“ Er taperte in Richtung Badezimmer.

„Kann ich dich allein lassen?“ „Ja, ich muss eh noch was machen, wir wollen ja gleich essen.“ Ich küsste Erkan und folgte Flo ins Bad. Ich schmiss meine Klamotten auf den Boden und bin zu meinem Schatz unter die Dusche.

Ich zog den Vorhang hinter mir zu und umarmte meinen Schatz. Flo sah mich liebevoll an und nahm mich in seine Arme. „Großer! Du zitterst ja!“ „Vor Glück, mein Engel. Ich habe dich und bin ich froh, dass es so ist!“ Wir küssten uns.

„So, und nun klär mich mal auf. Was habt ihr gemacht und wieso hat Erkan geweint?“ Ich fasste, so gut es ging, die Geschehnisse des Nachmittags zusammen. Der kleine Türke tat mir leid. Ich mochte ihn irgendwie und erkannte, dass er innerlich zerrissen sein musste. Seine Situation war nicht einfach. Ich hatte ja erfahren, dass der nach seiner Ehrenrunde vom Gymnasium runter ist und dann die Realschule auch nur mit Ach und Krach gemeistert hat. Er hat da wohl gemerkt, mit sechzehn, siebzehn, dass er anders ist, anders als die Anderen. Und bei dem ganzen klerikalen Hintergrund ist seine Einstellung, die quasi einer Selbstzerfleischung gleichkommt, wohl nachzuvollziehen.

„Hattest du wirklich den Eindruck, er könnte sich was antun?“ „Ehrlich gesagt, Flo, ich weiß es nicht genau. Er liebt Jost, aber er ist sich nicht sicher, ob die Liebe auf Gegenseitigkeit beruht. Es scheint mir, als ob er auf einen Beweis dieser Liebe wartet.“ „Meinst du wirklich?“ „Ja, und wir sind daran nicht ganz unschuldig, mein Engel!“ „Wieso?“ „Na, die beiden sind hier in der schwulen Diaspora. Erkan mag keine Fernbeziehung, da geht es ihm wie mir. Er ist dann nach einem Jahr der Trennung zurück zu seinem Jost, seiner Jugendliebe. Er hat die Möglichkeiten, die München ihm bot, nicht genutzt, vermutlich weil er sie nicht nutzen wollte. Oder zumindest zum damaligen Zeitpunkt nicht nutzen konnte. Und dann kommen zwei, die ganz natürlich mit sich selbst und ihrer Liebe umgehen.“ „Wir also!“ „Genau. Für uns zwei beiden, die wir wissen, was wir von- und aneinander haben, ist es ganz natürlich, einen anderen mal zu küssen, ihn in den Arm zu nehmen, zu Shakern, ohne daraus eine Staatsaffäre zu machen.“ „Du meinst, wir haben ihm einen Garten gezeigt, und er will unbedingt die Früchte …“ „So ungefähr. Das Problem ist nur, es geht nicht allein um die Früchte in Nachbars Garten. Er weiß nicht, wie er mit dem Wissen um diesen Garten richtig umgehen soll. Wenn er ihn betritt, wird es kein Zurück mehr geben. Er muss das, was er kannte, zurücklassen. Aber er hat gerade erst erkannt, dass es da noch was anderes gibt.“

„Und die Aktion mit Thomas und Willi?“ „Die wird ihm erst einmal Zeit verschaffen. Auch wenn es eine Notlüge und keine Lösung ist, aber der erste Druck, nämlich die bevorstehende Hochzeit, ist erstmal weg. Wir müssen Zeit gewinnen, alles andere wird sich zeigen!“ „Wir …?“ „Ja, wir. Denn wir haben die Geister gerufen. Er hätte sich ohne uns nie so weit vorgewagt. Also sind wir irgendwie verantwortlich.“ „Großer, das ich glaube auch. Jost meinte nämlich heute beim Einkauf, wir wären wie eine Droge für Erkan. So frei und ungezwungen hätte er ihn nie gesehen, wie in den letzten Stunden.“ „Und?“ „Nichts, aber eines ist merkwürdig. Er scheint irgendwie besorgt zu sein. Kannst du dir vorstellen, er und Erkan haben sich zu Anfang ihrer Beziehung nur im Dunkeln geliebt. Erkan wollte das nicht. Jost meinte, es hätte Jahre gedauert, ehe er Erkan zum ersten Mal nackt im Hellen gesehen hat.“ Mir fiel die Szene von gestern Abend wieder ein.

„Was machen wir nun?“ „Erst mal abtrocknen“ Ich krieg langsam Schwimmhäute zwischen den Zehen, Kleiner! Dann essen und abwarten, wie sich die Sache entwickelt. Wir können Erkan nur helfen, aber er muss diese Hilfe auch wollen.“ „Stimmt. Hast du eigentlich ein Handtuch mitgebracht?“ „Nein, ich dachte, …“ Wir lachten und riefen unisono: „Erkan!“

Der kleine Türke kam nach einer Minute ins sein Badezimmer. „Na, habt ihr es unter der Dusche getrieben?“ Ich grinste Flo an. „Leider nicht, wir brauchen aber was von dir!“ „Was?“ „Handtücher!“ „Moment!“ Er verließ das Bad und war kurze Zeit später wieder da.

Flo hatte inzwischen den Vorhang zurückgezogen, als Erkan mit den Frottees wieder zurückkam. Der kleine Türke konnte den Blick von uns nicht abwenden. „Wenn ich das so sehe, hätte ich gerne mitgeduscht, aber einer muss sich ja ums Essen kümmern, leider!“ „Du Ärmster!“ Flo trat aus der Dusche heraus und drückte Erkan an sich. „Aber du kannst mir ja den Rücken trocken rubbeln. Der alte Mann da kann das ja schon selber!“ Er grinste und Erkan warf mir das andere Handtuch zu und widmete sich Flos Rückseite.

Allerdings kam er nicht weit, denn nach kurzen Schlüsselgeräuschen an der Haustür stand Jost in der Tür. „Na, was macht ihr denn da?“ „Die türkische Gastfreundschaft genießen!“ Mein Flo wieder.

Erkan verschwand schweigend in Richtung Küche, gefolgt von Jost, der etwas ungläubig guckte. Flo und ich beeilten uns und sind, nur mit den Handtüchern bekleidet, ins Schlafzimmer. Flo warf mir meinen Jogginganzug entgegen und stieg selber in seinen. Jost war ja auch ziemlich leger bekleidet, in seinen braunen Leggings.

Ich verstaute meine Jeans und sonstigen körperlichen Habseeligkeiten in die Reisetasche und kämmte mich. Na ja, kämmen war zuviel, ich strich einfach mein Haar nach hinten und das war es dann mit der Stylingprozedur.

Ich blickte auf die Uhr. Es war zehn vor acht. „Erkan, wie lange brauchst du noch?“ „Viertelstunde!“ „Dann kann ich mir ja noch Zigaretten holen. Jost, weißt du, wo hier eine Bude ist?“ „Bude?“ „Kiosk.“ „Ach so, warte, ich komm mit. Denn wenn ich dir den Weg beschreiben würde, würdest du ihn nie finden. Ist etwas kompliziert hier. Schatz! Wo ist mein Handy?“ Er schaute sich um. „Ach da! Im Anker ist heute eine kleine Feier und falls Paps anruft, ich steck’s mal besser ein.“ Ich ging zurück ins Schlafzimmer und holte mein Portemonnaie. „Wir können!“

Draußen vor der Tür steckte ich mir erst mal eine an. „Auch eine?“ „Gerne!“ Ich gab Jost Feuer. „So! Welche Richtung?“ „Hier entlang!“ Ich folgte ihm. „Die Luft tut gut.“ „Kann ich mir vorstellen, nach deinen ganzen Weinbränden, und den ein oder anderen Raki hattest du heute Nachmittag auch schon!“ „Woher weißt du?“ „Ich hab Erkans Spezialabfüllung in der Küche gesehen. Und die war gestern noch voller als gerade!“ „Na ja, brauchte einfach einen!“ „Hast du den Schock mit deinem Ex-Schwiegervater gut verdaut?“ „Hat Flo erzählt?“ „Hat er. Muss ja nicht einfach gewesen sein für dich. Ich glaube, ich wäre ausgerastet.“ „Na ja, ich war baff erstaunt. Ich hätte nie gerechnet, den Kerl ausgerechnet hier wieder zu sehen.“ „Kann ich mir vorstellen. Wir müssen jetzt links.“ Wir gingen um die Ecke.

„Na ja, man kann nicht alles haben!“ „Was meinst du?“ „Na, in der Beziehung zu Johnny hatte ich in Katharina eine hervorragende Schwiegermutter und einen beschissenen Schwiegervater, bei Flo ist es umgekehrt. Heiner und ich verstehen uns blendend.“ „Weil er auch schwul ist?“ „Das auch, aber nicht ausschließlich! Menschlich klappt es. Und mit seinem Onkel Henning verstehe ich mich auch. Also, Familienanschluss ist gegeben.“ „So, da wären wir!“

Ich kaufte gleich zwei Päckchen, man wusste ja nie, wie lange der Abend dauern würde. Nachdem Jost auch seinen Einkauf getätigt hatte, machten wir uns auf den Rückweg. „Und wie sieht es bei dir aus?“ „Wie meinst du?“ „Na, dein Verhältnis zu Erkans Eltern.“ „Äh …“ „Falsches Thema?“ „Nein, aber seine Eltern habe ich damals in der Lehre kennen gelernt, war ab und an bei ihnen. Sie wohnten ja in Bonn, nicht weit vom Petersberg entfernt. Ich mochte sie, aber sie durften ja nicht wissen, dass wir ein Paar sind, bei ihrem Hintergrund!“ „Gut, aber kommst du damit klar?“ „Das wir unsere Liebe vor ihnen verstecken müssen?“ „Das auch!“ „Na, es ist genauso wie mit meinen Eltern. Die haben zwar toleriert, dass es von mir keinen Nachwuchs geben wird, aber akzeptiert haben sie es nie. Bei meiner Mutter bin ich mir nicht so sicher, aber mein Vater würde der Schlag treffen, wenn ich ihm Erkan als Schwiegersohn präsentieren würde!“ „Warum?“ „Na ja, mein Produzent ist, sagen wir, sehr konservativ. Gegen ihn war Franz-Josef Strauß ne linke Socke.“ Ich grinste, denn den Namen Strauß hatte ich an diesem Nachmittag bereits schon einmal gehört.

„Als Paps dann in den Stadtrat kam, war klar, dass ich sofort nach der Lehre zurück muss! Es war von vorneherein klar, dass ich eines Tages den Anker übernehmen werde, nur der Tag kam früher als gedacht.“ „Wie das?“ „Na ja, es fehlte eine Kraft hier und als Erbe muss man ja wohl in den saueren Apfel beißen. Ich hab dann München sausen lassen und bin zurück.“ „Du hast München sausen lassen?“ „Ja, Erkan und ich haben uns damals gemeinsam im Vierjahreszeiten beworben, er als Koch und ich als Assistent des Direktors. Wir sind auch beide genommen worden. Nur, ich habe die Stelle nie angetreten.“ „Warum?“ „Ich folgte dem Ruf der Familie, als guter Sohn! Was meinst du, wie es mir ging? Weit weg von meinem Liebsten!“ „Beschissen?“ „Das ist noch gestrunzt! Ich hasse Fernbeziehungen!“ „Nicht nur du!“ „Stimmt, die sind bescheiden.“ „Aber wie kam Erkan dann wieder zu dir hier nach Emden?“ „Nun, das war komisch. Ich brauchte einige Zeit, um mich hier einzuarbeiten. Na, ich hab einige, Na ja, besser etliche Unregelmäßigkeiten in der Küche entdeckt und musste dann, so nach knapp einem Jahr, den Koch entlassen. Ich schrieb das Erkan und drei Tage später stand er hier auf Matte. Ich war einfach nur happy!“ „Kann ich mir vorstellen!“

Wir gingen rechts um die Ecke, wieder Richtung des Appartementhauses. „Jost, mal ne kurze Frage.“ „Welche?“ „Ist aber sehr intim!“ „Kein Problem! Ich muss ja nicht antworten!“ „Stimmt auch wieder. Also: Hast du Erkan mal nach seinen Motiven gefragt?“ „Wie meinst du?“ „Na ja, ich habe zwar keine Ahnung von der Gastronomie, aber ich kann mir vorstellen, dass eine Anstellung in einem renommierten Hotel ein Sprungbrett für die eigene Karriere darstellt.“ „Stimmt!“ „Also, dein Erkan gibt seine Stellung im berühmten „Vierjahreszeiten“ – mir nichts, dir nichts – von heute auf morgen auf und kommt hier nach Emden, um im Anker zu arbeiten. Und der Anker ist ja wirklich kein Haus, um Staat in seinem Lebenslauf zu machen, oder?“ „Du meinst …“ „Genau, ich meine! Erkan mag auch keine Fernbeziehungen, genau wie du. Er litt unter der Trennung und war froh, dir helfen zu können. Er wollte es und tat es auch, er pfiff auf seine eigene Karriere. Und jetzt bedenk mal seinen Hintergrund! Er musste sich und seiner Familie auch etwas beweisen. Was meinst du, wie seine Familie den Umzug aufnahm?“ „Du, Marius?“ „Ja?“ „So hab ich das noch nie gesehen!“ „Solltest aber mal darüber nachdenken!“ „Werde ich gleich machen, aber erst nach dem Raki!“

Er steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür zur Nummer 17.

„Na, ihr beiden! Irgendwas angebrannt?“ „Großer! Alles gekriegt?“ Ich grinste ihn an, ging auf ihn zu, küsste ihn. Er strahlte mich an. „Der Abend dürfte gerettet sein!“ Er grinste und unsere Zungen spielten miteinander.

„So, nun mal Pause!“ Jost verteilte vier Gläser Raki. „Danke!“ „Thanks!“ Wir stießen an. „Auf einen netten Abend!“ „Cherrio!“

Erkan wurde ernst. „So, nun mal alle um den Tisch!“ Flo und er hatten während unserer Abwesenheit die Möglichkeit zum Abendmahl aufgebaut. Es gab chilenischen Rotwein zur Roten Linsensuppe, die herrlich duftete und noch besser schmeckte. Ich hätte nie gedacht, dass Linsen so gut schmecken können. Es war fast biblisch. Wir brachen das Fladenbrot und aßen es während der Suppe.

Der zweite Gang, die in Öl gebackenen Krabben, waren nicht so nach Flos Geschmack, er ist halt kein Fischmagen. Dafür entschädigten ihn die anschließenden mit Pinienkernen und Reis gefüllten Weinblätter und das Huhn mit der Walnusssauce. Es waren, wenn man in ein Restaurant geht, zwar alles in allem nur Vorspeisen, aber auch vier Vorspeisen hintereinander können satt machen.

„Ich glaube, ich brauche eine Pause!“ „Die kommt sowieso! Ich muss mich jetzt um die Feigen kümmern. Kann etwas dauern!“ Erkan erhob sich und marschierte in Richtung Küche. Flo stapelte die Teller und dackelte hinterher. „Na, dann können wir uns ja religiös betätigen?“ „Wie meinst du, Marius?“ „Na, wir bringen ein Rauchopfer dar!“ Jost lachte. „Warte, ich hole mal den Aschenbecher!“ Er ging an den Schreibtisch und setzte sich dann hinterher neben mich, während des Essens hatte er mir gegenüber gesessen. Er schaute mich an.

„Du!“ „Ja?“ „Ich hab über das, was wir draußen besprochen haben, nachgedacht.“ „Hab ich mitgekriegt, du hast ja kaum was gesagt.“  „Ja, ich war in Gedanken immer noch draußen.“ „Und, schon ein Ergebnis gefunden?“ „Nein, leider“.

„Nicht so gut. Ich glaube, dein Erkan möchte endlich von dir wissen, woran er bei dir ist!“ „Hat er was gesagt?“ „Nicht direkt. Er ist nicht dumm. Er sieht uns, mich und Flo, und spürt da eine Vertrautheit, die er bei euch vermisst.“ „Darüber hat er nie gesprochen!“ „Du aber auch nicht!“ „Stimmt, ich war einfach nur happy, als er hier aufschlug und Zeit war nicht gerade einfach für mich und uns hier.“

„Na, was führt ihr denn so wichtige Gespräche?“ „Flo, nichts besonderes. Dein Marius wollte gerade anfangen, über den heutigen Nachmittag zu sprechen.“

Ich war erstaunt. Ich überlegte, ob ich ihm in die Parade fahren sollte oder nicht. Ich entschied mich für letzteres, denn es war ja schlussendlich eine Sache zwischen ihm und seinem Türken. „Aber verraten habe ich noch nichts, den die Hauptperson fehlte ja!“

Während wir uns über die noch warmen, nach Rotwein duftenden Feigen hermachten, erzählte ich von der Idee, wie man meiner Meinung nach Erkan vor seiner bevorstehenden Hochzeit bewahren könnte.

„Und wenn ich seinen Vater richtig einschätze, wird er das Geständnis positiv auffassen.“ „Hoffe ich auch. Mir ist zwar nicht wohl bei dem Gedanken, meine Eltern belügen zu müssen, aber was soll es! Auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an!“ Ich grinste den kleinen Türken an. „Stimmt. Mundus vult decipi, ergo decipiatur!“ Leichtes Erstauen auf Emder Seite. „Die Welt will betrogen werden, also sei sie betrogen.“

Flo grinste, er kannte meine Vorliebe für lateinische Floskeln.

Es war mittlerweile kurz vor elf und es lag eine gewisse Anspannung in der Luft, fast wie vor einem Gewitter. Ich wusste nicht, ob es gut sein würde, wenn es zwischen den beiden hier und jetzt zu einer Aussprache kommen würde. Gut, manchmal können solche klärenden Gespräche reinigenden Charakter haben, aber oftmals tragen sie nur zur Verhärtung der Fronten bei. Irgendwie waren wir in einer Zwickmühle. Durch das Auftauchen von Flo und mir hat es in der Beziehung von Jost und seinem Erkan erkennbare Risse gegeben. Gut, diese Spannungen mussten zwar schon vorher vorhanden gewesen sein, aber bis dato waren sie unter einer dicken, selbst angelegten Schicht Putz verborgen, die jetzt langsam zu bröckeln begann.

Es galt, eine Klippe zu umschiffen und erst einmal Zeit gewinnen. Denn beide mussten für sich und ihre eventuell gemeinsame Zukunft nachdenken.

„Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich könnte jetzt etwas Bewegung vertragen! Wer kommt mit auf einen kleinen Spaziergang um den Block?“ „Marius, Schatz, bist du krank? Du willst freiwillig laufen?“ „Nein, Flo, nur faul und voll!“ Ich grinste meinen Kufenflitzer an, zog dabei aber die Augenbrauen hoch. „Na, was ist nun? Muss ich allein in die Nacht?“ „Nicht böse sein, mein Engel, aber ich war ja schon joggen und noch mal raus? Lieber nicht!“ Den gleichen Blick warf ich Erkan zu. „Ne, lass mal. Flo und ich werden dann hier klar Schiff machen, und außerdem wollt ich gleich noch unter die Dusche. Ich fang langsam an zu müffeln.“ Er verzog sein Gesicht. „Na Jost, dann bleiben wir zwei ja nur noch übrig!“ „Jepp, aber willst du so raus?“ „Wie?“ „In Jogginghose?“ „Stimmt, ist ja nicht gerade eine laue Sommernacht da draußen. Werde dann mal eben …“ Ich stand auf und ging in Richtung Schlafzimmer.

„Bin in fünf Minuten wieder da.“ Ich hatte die Hose schon gewechselt, als ich die Tür zufallen hörte. Ich zog mein Handy aus der Jogginghose, ich hatte eine SMS. „Hallo Dickschädel! Stelle ist noch frei, er kann sich im Laufe der Woche vorstellen. Daten folgen morgen. Aber wir würden auch beide nehmen, falls …! Grüß meinen Sohn und dicken Kuss von uns beiden. H & G“

„Das hast du ja wieder gut hingekriegt!“ Flo stand hinter mir. „Was?“ „Na, du gehst spazieren und ich darf abwaschen.“ Er zog einen liebenswerten Flunsch. „So was nennt man Arbeitsteilung!“ Ich grinste und küsste ihn. „Ne, aber ist auch besser so. Nimm dir mal Jost zur Brust, der war so schweigsam den ganzen Abend über. Zwischen den beiden ist so Einiges nicht in Ordnung, wie ich finde.“ „Sehe ich genauso. Was meinst du, sollen wir es zum Gewitter kommen lassen?“ „Klärendes Gespräch wäre besser, ich mag nämlich nicht im Regen stehen.“ Unsere Lippen vereinigten sich noch einmal.

Ich blickte ihm tief in die Augen. „Was haben wir nur gemacht?“ „Gute Frage, ich nehme den Publikumsjoker!“ „Gibt es nicht!“ Er legte die Stirn in Falten. „Na, das Einzige, was man uns vorwerfen könnte, ist, dass wir Erkan wachgerüttelt haben. Seine Probleme waren ja schon vor uns da, wir haben ihn nur damit konfrontiert. Was er daraus macht, wie er damit umgeht, ist letztlich seine ureigenste Sache.“ „Wo du Recht hast, hast du wahr! Das gleiche gilt allerdings auch für Jost, da scheint auch nicht alles Gold zu sein, was da glänzt.“ „Gut, du nimmst dir Jost vor und ich red mit Erkan. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht wieder hinkriegen, mein Großer!“ Ich hatte Shirt und Pullover übergezogen und wandte mich schon wieder Richtung Vorhang.

„Aber Flo, kurze Frage noch?“ „Bitte?“ „Wie tauschen wir die Ergebnisse unserer äh Einzelgespräche aus? Wir können ja schlecht erst ins Schlafzimmer und Kriegsrat halten.“ „Stimmt auch wieder! Aber warte! Wir bauen es in die Begrüßung ein. Wenn wir mit Schatz anfangen, ist die Stimmung positiv, beim Vornamen neutral, und ohne Anrede sollten wir zusehen, dass wir Land gewinnen.“ „So wird es gemacht! Der Rest wird sich finden! Ach, ich hätte da eine Stelle für ihn, nur so zur Info!“ „Du?“ „Nicht ich. Ein Kurhotel in Franken!“ „Ach, deswegen der Anruf bei Paps!“ Ich nickte und küsste ihn noch einmal auf die Stirn. Wir gingen zu Erkan ins Wohnzimmer.

„Warum macht ihr das alles?“ „Was?“ „Na, das Alles! Flo und du, ihr tretet in mein Leben und von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es gestern noch war. Ich hatte noch nie eine Begegnung mit solchen Folgen!“ „Das ist vielleicht der Grund, warum! Flo und ich sind ja nicht ganz unschuldig daran, wie dir jetzt zumute ist. Wir mögen dich und daher versuchen wir, was zu machen.“ „Aber die Probleme waren ja schon vorher da, nur …“

Ich nahm ihn in die Arme. „Ich weiß, aber wir waren diejenigen welchen, die die Geister riefen. Und uns soll’s ja nicht so gehen, wie dem Zauberlehrling.“ „Zauberlehrling?“ Flo stand mittlerweile hinter mir. „Und sie laufen! Nass und nässer, wirds im Saal und auf den Stufen: welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister, hör mich rufen! Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Ballade von Goethe, durfte ich mal auswendig lernen.“

Es rumpelte an der Tür, Jost stand in selbiger und spielte mit seinem Schlüssel. „Bin schon fertig.“ Ich zog mir nur noch die Jacke an und bin auf ihn los. „Bis gleich, Engelchen.“ „Bleibt nicht zu lange weg – so lange brauchen wir ja auch nicht, um die Spülmaschine einzuräumen.“ Er warf mir einen Kuss zu und wandte sich dann wieder Erkan zu, der regungslos in der Küche stand.

„Große Runde oder kleine?“ „Jost, nehmen wir die mittlere Tour.“ Wir verließen das Haus Nummer siebzehn und machten uns auf den Weg. „So, jetzt mal Butter bei die Fische! Du wolltest mit mir reden! Also! Hier bin ich! Der Spaziergang ist ja nicht rein zufällig, oder? Und sag jetzt nicht, du machst immer einen Abendsparziergang!“ Im Schein der Straßenlaterne konnte ich ein Grinsen auf dem Gesicht meines Gegenübers erkennen. „Nein, es stimmt, ich wollte mit dir reden. Vor Erkan wäre es … Na ja, sagen wir, es hätte peinlich werden können. Aber das können wir gleich machen, aber erst einmal …“ Ich kramte nach einer Zigarette. „Mist!“ „Was?“ „Suchtstengel vergessen!“ „Hier!“ Er bot mir eine an. Der Sparziergang war gerettet.

„Jost, kommen wir gleich zur Sache. Es ist was faul im Staate Dänemark, um mal klassisch anzufangen. Du solltest, wenn dir was an Erkan liegt, baldmöglichst was unternehmen.“ „Jetzt sag mir mal, was ich machen soll, Marius!“ Ich blickte mein Gegenüber starr an und sog den Rauch tief ein. „Jost, wenn ich die passende Antwort wüsste, wären wir jetzt nicht hier!“ „Wie?“ „Na ja, ich hab heute lange mit Erkan gesprochen. Er ist, sagen wir es mal so, verzweifelt!“ „Wie das?“ „Verzweifelt ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber …“ Jost schaute mich an. „Du, da ist eine Bank, wir brauchen nicht laufen!“ „Auch gut, oder besser!“

Ich setzte mich und rang nach Worten. „Wieso ist Erkan verzweifelt?“ „Na, er hat wohl größere Panik, als er zugeben mag.“ „Kann ich verstehen. Eine bevorstehende Hochzeit wäre auch nicht nach meinem Geschmack!“ „Stimmt, aber das ist nicht der Hauptgrund meiner Ansicht nach!“ „Sondern welcher?“ „Nun, wenn man mich fragen würde, würde ich sagen, der Grund liegt tiefer. Ich bin zwar nicht Freud, aber ich meine von mir sagen zu können, dass ich über eine gewisse Menschenkenntnis verfüge.“ „Und was sagt Siegmund?“ „Was der Wiener sagen würde, weiß ich nicht. Aber der Westfale sagt folgendes: Lassen wir jetzt mal seine Religion und seine Herkunft außen vor. Seine Geschwister haben alle Abi und studiert. Sein Bruder könnte Kirchenkarriere machen, seine Schwestern sind erfolgreich und verheiratet mit Kindern. Was hat er? Gerade mal die Mittlere Reife und eine Lehre als Koch!“ „Aber immerhin als Bester seines Jahrgangs!“ „Gut, aber was macht er mit der größten Chance seines Lebens?“ „Du meinst München?“ „Genau! Du hast hier Schwierigkeiten und er kommt! So einfach über Nacht! Hast du dich mal nach seinen Gründen gefragt?“ „Er meinte, er hätte sich nicht so wohl gefühlt. So alleine in München.“ „Du Dummerchen! Das hast du ihm geglaubt?“ „Ja, …“ „Quatsch mit Soße! Er liebt dich. Er hat aus Liebe zu dir darauf verzichtet. Er fand die Trennung unerträglich.“ „Oups!“ „Genau das richtige Wort! Und was hat er hier vorgefunden?“ „Na mich!“ „Gut, und wen noch?“ „Du meinst, …“ „Ja, ich meine deinen Vater! Der scheint ja nicht gerade auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung herumzulaufen.“ „Wie kommst du darauf?“ „Nun, ich hab Augen im Kopf und kann logisch denken.“ Mein Gegenüber stutzte.

„Noch eine?“ „Gerne!“ Ich nahm mir noch eine Zigarette. Ich sollte wirklich weniger rauchen! „Ich hab Anstecker am Revers deines Vaters gesehen. Ich brauchte eine Weile, aber nun weiß ich, wo ich schon mal gesehen habe! Das war das interne Parteiabzeichen der Reps in Gold!“ „Äh? Woher weißt du?“ „Jost. Ich hatte mal eine kleine Affäre mit dem Sohn des Kreisvorsitzenden der Braunen in Steinfurt. Daher! Aber das ist ne andere Geschichte, die hier und jetzt nicht hingehört!“ „Also?“ „Nun, ich zähle eins und eins zusammen! Die Abneigung deines Vaters gegenüber Ausländern, Erkan Erich zu nennen? Was soll das! Und dann dein Ausspruch von gestern: Dein Schwulsein wäre OK, aber Erkan als Freund?“ „Du meinst also, es liegt an mir und meiner Familie?“ „Wenn du so willst. Ja! Aber eigentlich …“ Ich stand auf und ging ein paar Schritte.

„Jost, der Punkt ist der….“ „Ja?“ „Ne, lass mich es mal anders formulieren. Liebst du Erkan?“ „Ja! Eindeutig. Ohne ihn könnte ich mir ein Leben nicht mehr vorstellen!“ „Hast du ihm das einmal gesagt?“ „Nicht direkt!“ „Warum nicht?“ „Weiß ich eigentlich auch nicht, ich dachte eigentlich, …“ „Was?“ „Ach, ich weiß auch nicht!“ „Jost, der Punkt ist der, Erkan wartet verzweifelt auf ein Zeichen!“ „Auf ein Zeichen?“ „Ja, ich möchte es mal so ausdrücken. Er wartet auf ein äußerliches Zeichen der inneren Verbundenheit!“ Ich warf die Zigarette in die Nacht.

„Marius, nun kläre mich mal auf!“ „Ach Jost! Du liebst Erkan und Erkan liebt dich!“ „Ja, das kann man sagen!“ „Gut, das hätten wir geklärt. Aber dein Erkan ist von Zweifeln geplagt!“ „Inwiefern?“ „Du zeigst es ihm nicht!“ „Wie?“ „Na ja, Er kommt hierher, um dir zu helfen.“ „Das hatten wir schon!“ „Gut, aber für dich!“ „Wie?“ „Jost! War es für dich klar, den Anker eines Tages zu übernehmen?“ „Eindeutig JA.“ „Gut. Aber Erkan hat den Eindruck, und unter uns gesagt, kann ich ihn da in seiner Ansicht nach verstehen! Erkan hat den Eindruck, es ist DEIN Plan, nicht euer Plan, und das ist der Punkt, der ihn zur Verzweifelung bringt.“

„Du meinst, ich sollte ihm zeigen, dass er mir wichtig ist.“ „Ja, und wenn Du mich ganz persönlich fragst, solltest du noch einen Schritt weitergehen.“ „Wie weit?“ „Jost, Geschwister hast du nicht, oder?“ „Nein.“ „Also, der Anker wird dir erhalten bleiben, egal .was passieren wird.“ „Worauf willst du hinaus?“ „Wieso bist du damals nach deiner Lehre zurück? Nichts gegen Emden, aber das ist doch Provinz hier. Du wolltest doch auch nach München?“ „Na, meine Mutter hatte Brustkrebs und fiel aus und mein Vater machte ja in Politik. Da musste ich einfach.“ „Kann ich verstehen. Wie geht es ihr heute?“ „Besser. Aber die ist froh, weniger mit meinem Vater zusammen zu sein. Sie mag seine Ansichten nicht so besonders. Ich hab aus Versehen mal einen ihrer Arztbriefe gelesen.“ „Und?“ „Du kannst lachen. Der Tumor war gutartig, also kein großer Grund zur Aufregung. Aber sie nutzt das immer noch zu ihren Rückzügen. Ich war ja froh, nach vier Wochen mal einen Samstag frei zu haben.“ „Und den verbringst du ausgerechnet mit uns!“ Ich lachte, er fiel ein. „Bin halt masochistisch veranlagt!“

Er hielt mir erneut die Packung hin, ich griff zu. „Wusstest du, dass dein Erkan mal mit dem Gedanken an Selbstmord spielte?“ Er starrte mich an. „Bitte?“ „Ja. Ich hatte jedenfalls den Eindruck. Er ist wirklich verzweifelt!“ Ich nahm ihm das Feuerzeug ab und steckte mir die Kippe an.

„Aber warum?“ „Na, ich denke mal, er sah keinen anderen Ausweg! Wie ein Kurzschluss klang mir das nicht“ „Aber warum nur? Ich bin doch für ihn da!“ „Jost, er hat zwar dich, aber wen hat er sonst? Auf seine Familie kann er nicht hoffen und du warst ja auch nicht immer da! Jedenfalls nicht in dem Maße, dass er für sich selbst, für sein eigenes Seelenheil brauchte.“ „Aber …“ „Nichts aber. Jetzt kommt seine Erziehung, sein Werdegang, hinzu – zwangsläufig! Er kann nicht aus seiner Haut. Er ist in seinen Augen ein Verlierer und …“ „Nein, er ist kein Verlierer!“ „Dann zeig ihm das!“ „Marius! Wie soll ich ihm das denn zeigen?“

Ich setze mich wieder neben den Emder. „Das ist ja die Frage, die mir die ganze Zeit im Kopf herumspukt. Aber eine Lösung habe ich noch nicht gefunden, jedenfalls keine so einfache, wie die für Erkans Problem mit seiner Hochzeit.“ „Das nennst du einfach?“ „Ja!“ „Dann möchte ich nicht wissen, wie bei dir eine schwere Lösung aussieht! Aber Spaß beiseite. Irgendwelche Ansätze?“ „Keine, die dir auf Anhieb gefallen dürften!“ „Du, wer sagte heute morgen eigentlich, dass man die Vorschläge erst kennen muss, ehe man positiv oder negativ beantwortet?“ Ich grinste.

„Flöt!“ „Also!“ „Na ja, es hängt alles in allem von dir ab, lieber Jost.“ „Inwiefern?“ „Du hast keine Geschwister?“ „Nein, wieso fragst du?“ „Betrachtest du den Anker als deine Lebensaufgabe?“ „Lebensaufgabe? So weit würde ich nicht gehen, aber …“ „Aber was?“ „Ich bin der einzige Erbe, quasi Familientradition. Schließlich gehört uns der Anker seit über achtzig Jahren.“ „Also kam nichts anderes für dich in Frage?“ „Marius! Woher soll ich das wissen? Ich hatte mich ja auch in München beworben, und wenn das damals nicht mit meinen Eltern gewesen wäre, wer weiß, wo ich jetzt sein würde?“ „Du oder ihr?“ „Erkan und ich! Ich hätte damals auch nach Berlin gehen können, hatte sogar eine Stelle in Wien und ein Angebot aus Venedig. Aber mein kleiner Türke mag Berlin nicht und im Ausland hätte es sicherlich Schwierigkeiten mit der Aufenthaltsgenehmigung gegeben, also blieb München über.“ „Das ist ja schon mal was!“ „Was?“

Ich grinste über alle beiden Backen, wenn jetzt gleich noch die richtige Antwort kam, dann konnte man den Sekt aufmachen. „Kann ich das so zusammenfassen, dass du, wenn es eine entsprechende Möglichkeit geben würde, dass ihr beiden zusammen an einem Ort, in einem Beherbergungsbetrieb, arbeiten, leben und lieben und so weiter?“ „Äh. Jetzt mal langsam! Ich bin vom Land!“ „Also, ganz langsam zum Mitschreiben: Würdest du zusammen mit Erkan von hier weggehen und irgendwo zusammen neu anfangen wollen?“

Er starrte mich an. Ganz langsam und fast unbeholfen kam ein „Ja!“ an mein Ohr. Ich brauchte einen Moment, um das Gehörte zu verarbeiten. „Super! Annuntio vobis gaudium magnum, habemus papam!“ „Äh? Was?“ „Ich verkünde euch große Freude, wir haben einen Papst!“ „Äh?“ „Um es anders zu sagen, wir haben des Rätsels Lösung gefunden!“ „Das erklär mir mal!“ „Ganz einfach. Ich hab heute nicht nur mit meinen Freunden telefoniert, sondern auch noch mit meinem Schwiegervater.“ „Ja und?“ „Na, ich habe Heiner gefragt, ob er eine Stelle für Erkan wüsste, falls er von hier weg …“ Ich musste jetzt auf der Hut sein. „Äh? Du wolltest, dass Erkan geht?“ „Nein! Es war nur, um ihn nicht ins bodenlose fallen zu lassen. Aber weißt du, was Heiner mir noch sagte?“ „Nein, woher!“ „Stimmt auch wieder. Also, er meinte, er und sein Günther wollten kürzer treten und suchten eigentlich ein Paar. Einen Koch und einen Assistenten.“ „Du meinst, für ihre Jugendherberge?“ „Nein, keine gewöhnliche Jugendherberge, sondern das größte Jugendhotel in Franken mit Sauna, Solarium, Schwimmbad, Tennisplätzen, Konferenzräumen und.. und… und. OK! Es ist zwar nicht das Vierjahreszeiten oder das Adlon, aber immerhin etwas, wo ihr beide anfangen könnt. Gemeinsam eine Zukunft aufbauen. Und bei den Chefs dürfte euer Liebesleben auch kein Problem sein.“ Ich grinste.

„Mit dem Gedanken könnte ich mich anfreunden. Was sagt Erkan? Weiß er das schon?“ „Kann ich nicht sagen. Ich habe mit ihm noch nicht gesprochen, jedenfalls noch nicht über die Möglichkeit, dass ihr zusammen …“ „Äh?“ Ich klärte ihn kurz über das Jobangebot des Kurhotels auf. Den weiteren Rückweg verbrachten wir schweigend.

An der Tür angekommen zog Jost mich am Ärmel. „Marius, sag bitte noch nichts. Ich muss erst eine Nacht darüber nachdenken. Es ist alles etwas viel auf einmal. Versprichst du mir das?“ „Natürlich. Nicht einfach, von jetzt auf gleich sein ganzes Leben umzukrempeln.“ Er öffnete die Haustür und blieb aber zögernd im Eingang stehen. „Ich kann nicht!“ Eine gewisse Resignation lag in seiner Stimme. „Was?“ „Jetzt wieder da rein. Ich will allein sein und nachdenken. Ich brauche einfach Zeit!“ Ich nickte stumm. „Was soll ich Erkan sagen?“ „Sag ihm, meine Mutter hätte angerufen und ich müsste noch in den Anker. Ich werde mich dann gleich bei ihm melden.“ „Versprochen?“ „Versprochen!“ Er ließ mich in der Tür stehen und ging in Richtung seines Wagens.

Ich wartete noch, bis er in selbigem saß und den Motor startete und machte mich dann auf zu Erkans Wohnung. Ich kam mir vor wie der arme Heinrich auf seinem Gang nach Canossa.

Ich kramte in meiner Hosentasche, fand aber keinen Schlüssel, also klingelte ich. Flo öffnete. „Schatz, das hat ja gedauert.“ Ich umarmte ihn und drückte ihn am mich. „Ich bin etwas durchgefroren.“ „Merke ich. Erkan ist noch in der Dusche. Wo ist …!“ Ich legte meinen Zeigefinger auf seinen Mund.

Ich zog die Jacke auf und hängte sie an die Garderobe. Im Wohnzimmer setzte ich mich wieder auf den Schreibtischstuhl und starrte ins Leere. Flo umfasste meine Schultern von hinten. „Was ist passiert? Fehlschlag?“ „Kann ich noch nicht sagen, Schatz. Jost will allein sein und nachdenken. Er scheint auf dem richtigen Weg zu sein, aber er muss die Entscheidung von sich aus treffen.“

Flo nickte verständnisvoll und setzte sich auf meinen Schoß. „Ach, mein Großer, was haben wir nur gemacht?“ „Gute Frage! Ich weiß es nicht!“ Ich schüttelte den Kopf, meine Hand wanderte sein Bein entlang und blieb auf seinem Schritt liegen. Ich fühlte sein drittes Bein. Meine Finger wanderten weiter in Richtung Hosenbund und begehrten Einlass, schließlich umfasste den nicht so kleinen „Kleinen Flo“.

„Wo hast du Jost gelassen?“ Erkan war mittlerweile im Bademantel aus dem Bad gekommen und starrte wohl schon eine zeitlang uns, besser meine Hand bzw. deren Ruheort, an. Ich blickte ihn an. „Äh, seine Mutter hat angerufen. Er musste noch mal in den Anker. Er will sich aber gleich melden, wie lange es dauert.“ „Das braucht der nicht! Ich werde jetzt da anrufen. Die sollen ja erfahren, dass sie ab nächsten Ersten einen neuen Koch brauchen. Ich geh nach Franken.“ Er kramte auf dem Sofa nach seinem Telefon. „Nein, Erkan, dass dürfte jetzt schwer werden. Da scheint viel zuviel Stress zu sein im Moment.“ „Er und der verfluchte Anker. Wenn er Stress will, kann er ihn haben!“ Er ging auf uns zu und baute sich vor unseren Gesichtern auf. „Es wird endlich Zeit, dass ich für mich meine Entscheidungen treffe!“ Er öffnete den Gürtel und entblößte sein nicht mehr ganz schlaffes Teil. Flo, wahrscheinlich ob des Spiels meiner Hände, griff es sich und fing an, den kleinen Türken zu blasen. Ich wollte es eigentlich nicht, denn nach einem Dreier war mir in der Situation wirklich nicht zumute, aber: halb zog sie ihn, halb sank er nieder. Mein Mund folgte dem meines Gatten und ich hatte plötzlich Erkans Eier im Mund.

Ein Telefon störte das Blaskonzert. „Das wird Jost sein!“ „Von mir aus, der AB kann ja rangehen.“ „Erkan, sprich wenigstens mit ihm.“ „Gut, aber ihr bewegt euch keinen Zentimeter!“ Flo nickte. „Keine Angst, wir bleiben hier.“ Er grinste mich an.

„Charagüzel!“ – „Jost, was ist?“ – „Ach!“ – „Gut, dann musst du da wohl durch.“ – „Ja, ich werde unseren Besuch von dir grüßen.“ – „Dann sehen wir uns also zum Frühstück!“ – „Dann bis um elf. Ach, und sag deiner Mutter, ich komme morgen zwei Stunden später. Ich muss mich ja um unsere Westfalen kümmern.“ – „OK, dann soll Heiko gleich die Mittagsschicht mit übernehmen und ich mach dann morgen ab fünf für ihn.“ – „OK, ja, dann bis morgen!“

Er legte auf, steckte den Schlüssel in die Tür und drehte halb um. „So, jetzt sind wir ganz ungestört, keine Überraschung mehr möglich.“ Auf dem Weg zu uns entledigte er sich seines Bademantels und grinste uns an. „Ich glaube, du solltest besser mal die Jalousien runterlassen, bevor wir weitermachen.“ Flo wieder!

Erkan tat wie ihm geheißen. Flo erhob sich und da meine Hand immer noch an seinem Schanz fest verwurzelt war, rutsche seine Jogginghose runter. „Na, die brauch ich ja wohl jetzt nicht mehr.“ Mit einem Ruck war sie unten und er strampelte sich aus dem Stück Baumwolle, wobei er gleich die Socken mitnahm, denn meine kleine Eisprinzessin mag alles, aber keine Intimitäten mit Socken.

Erkan trat an ihn heran und half ihm, sich seines Shirts zu entledigen. Ich sah die beiden Nackten und konnte mich eines Lächelns nicht erwähren. Mittlerweile war auch ich so erhitzt, dass ich mir keine großen Sorgen um das Morgen machte, ich war einfach nur noch geil.

„Marius. Ist es dir nicht unbequem in der Hose?“ „Doch, etwas!“ „Dann runter damit.“ „Ach ne, dazu bin ich viel zu faul.“ Flo grinste mich an. „Immer diese Paschas! Na warte!“ Er beugte sich zu mir herunter und öffnete Gürtel und Hose. Ich rutschte auf dem Schreibtischstuhl nach vorne und streckte ihm mein Becken entgegen. In diesem Moment kam es von dem kleinen Koch. „Nicht bewegen, Flo!“ „Was?“ Erkan ging erst in die Küche und dann zum Tisch und stellte dann den Teller mit den gefüllten Feigen und eine Tube Honig neben meine Eisprinzessin. „Darf ich?“ „Alles, was du willst. Aber ich helfe dem Kerl erst mal aus seinen Kleidern.“ Mein Kleiner zog mir erst die Hose samt Boxer aus, danach die Socken und dann folgten Pullover und Shirt. Erkan trat hinter ihn und kniete sich hin. Er nahm die Tube mit Honig und drückte etwas von dem Bienenprodukt auf die Fingerspitzen seiner rechten Hand. „So, und nun zeige ich euch mal eine ganz besondere Art, Feigen zu essen. Kommt aus dem Serail.“ Er grinste, spreizte die Backen meines Kleinen mit seiner linken Hand auseinander, rieb dann das Loch mit Honig ein und angelte sich vom Teller eine der köstlich zubereiteten Scheinfrüchte und drückte sie in die beschmierte Öffnung. „So, es ist angerichtet!“ Ich lachte. „Das will ich sehen!“ Ich krabbelte unter Flo hindurch, der sich auf die Lehnen des Schreibtischstuhls stützte und uns seinen Allerwertesten präsentierte.

„Sieht echt nett aus.“ Ich beugte mich zu ihm und biss ein Stück ab. „Willst du auch mal?“ Ich brauchte den kleinen Türken nicht großartig aufzufordern, er nahm sich gleich ein großes Stück, nur noch wenige Millimeter ragten heraus. Ich machte mich an den Rest. Der Geschmack der Dattel und des Honigs waren herrlich, die ich da aufsaugte und ableckte. Flo grunzte zufrieden, wie da meine Zunge um ihn spielte.

„Wow! Die Art zu essen, lass ich mir gefallen. Ich kenne zwar schon Sahne, Marmelade und Nuss-Nougat-Creme vom Schwanz zu lutschen, aber das war wirklich geil. WOW.“ Er schüttelte sich. „Aber Schatz, mach mir jetzt keine Dummheiten. Ich geh jetzt mal eben kurz unter die Dusche.“ Ich blickte Flo an und nickte nur, während er in Richtung Bad verschwand.

Erkan schaute mich an. „Während Flo wahrscheinlich das macht, was ich gerade gemacht habe, kann ich dir ja auch die Erweiterung zeigen!“ Er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Er nahm die Utensilien und verlagerte uns in Richtung Ottomane. Mit seinem Bauch legte er sich auf die Sitzfläche und reckte mir sein Hinterteil entgegen. „Den Honig!“ Ich tat, wie mir geheißen und schmierte sein Hintern mit dem dünnflüssigen Zeug ein. Vorsichtig drückte ich die Feige in das Loch. Ein insgesamt herrlicher Anblick.

„Warte eben, ich will den Teppich nicht dreckig machen. Ich wasch mir mal eben kurz die Finger, die kleben.“ Ich erhob mich und ging in die Küche. Nachdem ich mit sauberen Fingern meine Ausgangsposition wieder erreicht hatte, war ich etwas verdutzt, ich sah alles, aber keine Frucht des Ficus Carica mehr. „Äh! Wo ..“ „Rate mal!“ Ich musste lachen. „Ferkel! Mit Essen spielt man nicht!“ „Tut mir leid, Feigen werden schon seit der Antike häufig gegen Verstopfung verabreicht! Also ist das kein Essen, sondern eher Medizin, oder?“ „Ja, aber kann man eine Verstopfung auch rektal bekämpfen?“ „Weiß ich nicht, aber so geht’s auch.“ „Na dann wird ich mal.“ Ich kniete mich zwischen seine Beine und fing an zu lecken und zu saugen. Es dauerte einige Zeit, aber schließlich und endlich hatte ich die Frucht zwischen meinen Zähnen.

In diesem Moment kam Flo aus dem Bad. „Was macht ihr denn da?“ „Gefüllte Feigen a la Erkan. Schatz, musst du unbedingt kosten.“ „Na, probieren geht über studieren.“ Mein Schatz kniete sich neben mich. Ich wiederholte die Prozedur, drückte aber diesmal die Dattel gleich ganz hinein. „So, nun mal guten Appetit.“ Ich erhob mich und überließ die beiden ihrem Treiben. Ich ging erst mal ins Bad und wusch mir die verklebten Hände, danach führten mich meine Schritte erst mal in Richtung unserer Reisetasche, um die Nahkampfsocken und das Gleitgel zu holen. Aus dem geöffneten Schrank entnahm ich noch zwei Badetücher. Ich konnte mir spielend leicht ausrechnen, was als nächstes folgen würde.

Die Schilderungen, wer jetzt wen und wie, möchte ich mir ersparen, denn dafür gibt es sicherlich andere Seiten im Netz und, werter Leser, etwas soll ja auch Deine Phantasie angeregt werden, aber soviel kann ich sagen, Flo und ich verdanken Erkan unseren ersten (und bisher einzigen) Doppeldecker (oder wie immer das auch heißt J )!

Ermattet saßen wir alle nebeneinander auf dem Badelaken vor der Ottomane und rauchten die berühmte Zigarette danach. Es war mittlerweile eins durch.

„Ich hoffe, ihr kommt mich in Franken besuchen, wenn ich da arbeite und wir wiederholen das.“ „Aber klar, du kleiner Türke. Da Jugendhotel, das mein Vater mit seinem Freund führt, ist ja keine drei Kilometer entfernt. Und Paps besuche ich mindestens alle zwei Monate!“ „Ich freu mich schon!“ Erkan wirkte glücklich und zufrieden.

„Wir uns auch, Erkan, aber die Frage ist, ob wir Dich oder Euch besuchen!“ „Äh, Marius, wie meinst du das denn jetzt.“ „Nun, ganz einfach, aber … Wo ist der Aschenbecher?“ „Hier!“ Flo reichte ihn mir. Ich drückte die Kippe aus, erhob mich und ging in die Küche. „Erkan, wo steht der Raki?“ „Warte!“ Er folgte mir und schenkte drei Gläser voll ein. „Was ist los? Nun mache es nicht so spannend. Was meinst du?“ „Sofort, setzen wir uns wieder.“

Flo blickte mich an. Ich pflanzte mich neben ihm und legte meinen Arm um seine Schultern. Erkan zu meiner Linken. „Also. Ich habe ja heute einige Telefonate geführt. Soweit so gut. Meine Eisprinzessin wird dir sicherlich von der Stelle in dem Kurhotel erzählt haben.“ „Ja, darüber haben wir gesprochen und …“ „Du wirst sie annehmen!“ „Woher weißt du?“ „Flo sprach mich mit Schatz an, als ich reinkam!“ „Äh?“ Flo klärte ihn kurz über unseren Verständigungscode auf.

„Gut, aber trotzdem verstehe ich immer noch nicht, wieso ihr uns besuchen wollt!“ „Erkan, ganz einfach. Ich hab meinem Schatz über die Stelle in dem Kurhotel erzählt, aber von der anderen Sache weiß er auch noch nichts.“ „Was hast du wieder angestellt, Marius-Friedrich?“ „Nichts Schatz, ich bin unschuldig wie der Engel Gabriel, als er der Jungfrau Maria die Geburt des Erlösers prophezeite.“ Ich griff nach den Zigaretten. „Bei dem Telefonat mit deinem Vater erfuhr ich von Heiner, dass er selbst erst in zwei Monaten einen Koch gebrauchen könnte, denn ab da an wäre seine Hauswirtschafterin in Mutterschutz. Sie suchen aber eher ein Paar, das sie unterstützen könnte, da nach Günthers Herzinfarkt beide etwas kürzer treten wollen.“ „Stimmt, so was hatte er mal erwähnt.“ „Na ja, und die SMS, die Heiner mir heute Abend geschickt hat, sagt, dass sie auch euch zwei nehmen würden. Das ist alles!“

Ich trank mein Glas aus und griff nach der Flasche Rotwein. Sie war leer. Ich erhob mich erneut und ging in die Küche, diesmal war es einfach, der Chilene stand auf dem Küchentisch. Ich entkorkte und ging zu den beiden, die sich aneinander gekuschelt hatten, zurück.

„Noch jemand?“ Da die beiden mit dem Kopf schüttelten, goss ich mir nur selbst ein Glas ein. Ich setzte mich im Schneidersitz vor die beiden.

„Du wusstest also, dass es für Jost und mich eine Chance geben würde?“ „Ja!“ „Wusste Jost von der Möglichkeit?“ Ich überlegte kurz, ob ich der Bitte des Ostfriesen folgen und meinen Mund halten sollte, aber ich entschied mich schlussendlich doch für totale Offenheit gegenüber unserem lieb gewonnenen Gastgeber. „Schuldig im Sinne der Anklage!“ „Und da lässt du mich mit euch?“ „Ja!“

Er trank sein Glas Raki in einem Zug.

„Erkan, dass wir uns richtig verstehen. Den Entschluss, hier Schicht im Schacht zu machen, den hast du alleine getroffen.“ „Stimmt. Nachdem ich mit Flo gesprochen habe und nach dem Nachmittag. Hast ja recht!“ „Und den Auslöser zum Dreier haben wir ja nicht gegeben, oder?“ „Nein, auch wieder wahr, aber als ich euch beiden da so gesehen habe, da konnte ich einfach nicht mehr. Der Anblick war zuviel für mich! Ich war so geil…“ Flo grinste. „Erkan, aber du hättest das Spiel ja nach dem Telefonat beenden können. Mein Großer hat dich ja mehr oder minder zum Telefon prügeln müssen.“ Der Koch blickte verlegen.

„Was soll ich sagen? Entweder mache ich das alleine oder zusammen mit Jost. Meine Entscheidung steht! Auch wenn ich es begrüßen würde, er würde mit mir kommen, aber ich will nur eins, weg von hier! Zwar am liebsten mit ihm, aber wenn nicht anders, dann auch ohne ihn. Ich will mein Leben hier nicht verplempern.“ „Nun, Melek, bist du mir böse? Flo wusste ja nichts davon. Er ist unschuldig. Der Böse sitzt dir gegenüber!“ Anstelle einer Antwort beugte er sich vor, küsste mich leidenschaftlich und sein Mund wanderte dann abwärts.

„Stopp!“ Der brusthaarlose Osmane blickte mich an. „Was ist?“ „Nichts! Nur vor einer zweiten Runde müsste ich mal für Königstiger.“ Ich erhob mich und machte mich auf in Richtung Bad. Die beiden schauten sich an, grinsten und folgten mir nach.

Es ging auf drei Uhr zu, als wir mit geputzten Zähnen den weißgekachelten Sanitärbereich der Wohnung wieder verließen. Wir räumten noch kurz auf, rauchten noch eine und verschwanden dann im Schlafzimmer, wo wir uns dem Schlaf der Gerechten hingaben.

Irgendwann wurde mir kalt im Rücken. Schlaftrunken blickte ich auf den Wecker. Kurz nach neun. Ich tastete mit meiner rechten Hand nach hinten, wo der kleine Osmane geschlafen hat, aber da war keiner mehr. Ich umfasste wieder meinen Flo und schlief sofort wieder ein.

Gegen zehn wurde uns dann die Bettdecke weggezogen. „Aufstehen, ihr zwei Hübschen!“ Wie kann ein Mensch nur so fröhlich sein am frühen morgen? „Äh?“ „Raus mit euch. In einer Stunde gibt es Frühstück, jedenfalls wollte Jost da kommen. Und wir sollten noch die Spuren der Nacht beseitigen, wenn ihr versteht.“ Flo war mittlerweile ebenfalls aus den Federn und anscheinend schon putzmunter. „Aufstehen!“ „Lass mich schlafen!“ „Weniger trinken, mein Engel! Raus aus den Federn!“ Ich blickte in vier Augen. Nein, ich sah nicht doppelt, aber meine Eisprinzessin und der Koch hatten sich anscheinend verbündet, mich aus dem Bett zu kriegen. Ihre Köpfe waren dicht beieinander. Flo wollte schon anfangen, mich zu kitzeln, etwas, das ich morgens überhaupt nicht abkann. „OK, Waffenstillstand. Gib mir ne Tasse Kaffee um die Lebensgeister zu wecken und ich steh auf. Freiwillig!“ „Darauf kann ich mich einlassen.“ Der Hausherr verschwand aus dem Schlafgemach und brachte mir das Gewünschte, es duftete nach gerösteten Bohnen.

Ich trank zwei Schlucke und stand senkrecht im Bett. Erkan brachte mir einen Pott türkischen Mokka! Der Tag konnte ja heiter werden.

 

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