Es war einmal ein junger Mann. Er lief jeden Abend hinaus zu den Klippen. Immer wieder stand er dort und schaute der untergehenden Sonne zu, wie sie im Meer versank. War einmal schlechtes Wetter, so trotzte er Wind und Regen.
Er ließ sich den scharfen Wind durch sein langes, braunes Haar wehen und schaute sehnsüchtig in die Ferne. Dann schloss er die Augen und träumte von einer schöneren Zeit. Dieser Ort gehörte ihm alleine, er wollte ihn mit niemand teilen.
Als er eines Tages wieder den einsamen Bergpfad hinauf stieg, hielt er erschrocken inne. Auf seinem Platz stand ein Anderer. Umhüllt von einem schwarzen Mantel, der wehend im Wind flatterte.
Der junge Mann überlegte, ob er wieder gehen sollte, er wollte nicht stören. Doch da drehte sich der Fremde um und schaute ihn an. Sie wechselten kurz zum Gruß ein Nicken, dann schaute der Fremde wieder nach vorne.
Sollte er sich neben ihn stellen? Ohne weiter nach zudenken, lief der junge Mann den kleine Bergpfad zu ende und stellte sich neben den Fremden.
Nun schauten sie gemeinsam der untergehenden Sonne zu. Sie verschwand langsam in den Fluten und verwandelten den Himmel in ein gleißendes Lichtermeer. Was mit einem hellem gelb begann, endete in einem tiefen Rot, bis auch das letzte Stück der Sonne verschwunden war.
Die Blicke der Beiden trafen sich. Der junge Mann erschrak, denn er sah sich in dessen Augen, als alten Mann, der immer noch einsam auf den Klippen stand.
„Wer bist du?“, fragte der junge Mann, „wie ist dein Name?“
„Ich habe keinen Namen… ich bin ein Engel.“
„Es gibt keine Engel!“
„Und warum seihst du mich dann vor dir?“
Der junge Mann wusste keine Antwort.
„Ich bin gekommen um dich zu retten“, sprach der Engel weiter?“
„Mich retten? Vor was?“
„Ich will dich retten, vor dir selbst.“
„Vor mir, ich verstehe nicht… Wieso solltest du mich vor mir retten? Bin ich denn verloren?“
„Ja!“ Du hast dich in dir verloren. Schau in deine Seele und du findest dich verkümmert und einsam da sitzen.
Der junge Mann schwieg. Verkümmert und einsam er ist, damit hatte er Recht. Aber wie sollte er ihn retten?
„Ich schenke dir etwas was dir fehlt“, sagte der Fremde, obwohl kein Laut über seine Lippen drang.
Er schaute auf und sah vor sich einen Engel schweben.
„Ich schenke dir Liebe!“
„Liebe?“, fragte der junge Mann.
„Ja, Liebe! Die fehlt dir und du hast sie so nötig.“
„Aber wie kann ich Liebe empfinden, wenn niemand da ist um meine Liebe zu erfahren?“
„Wenn du jeden Abend hier stehst, kannst du das nicht“, sagte der Engel.
„Aber ich fühle mich wohl an dem Ort und geborgen.
„Und trotzdem zieht es dich in die Ferne“, sagte der Engel.
„Die Ferne mir so unbekannt ist, sie ängstigt mich“, meinte der junge Mann.
„Du brauchst keine Angst vor der Welt da draußen zu haben. Sie ist angefüllt mit Liebe!“
Der junge Mann lachte sarkastisch.
„Mit Liebe… da wo Hass und Gier regieren?“
„Da gibt es auch Liebe, du siehst sie nur nicht.“
„Wie kann es sein das so etwas Edles sich vor mir verbergen?“
„Weil du nicht mit den Augen der Liebe schaust.“
„Wie kann ich sie spüren, wenn ich nicht einmal weiß, was Liebe ist?“
Jetzt erst bemerkte er das Gesicht des Engels. Es war ein warmes freundliches Gesicht eines jungen Mannes. Die Haut so zart und weiß, die Lippen voll, die Augen groß, sie funkelten in der Nacht.
Ein silberner Schein ging von ihnen aus.
„Warum sagst du mir das alles? Warum willst du mir Liebe schenken?“
„Weil ich niemanden hatte, der dies für mich tat und mein Herz erstarb, bevor ich diese Liebe erfahren durfte. Deshalb will ich dich retten vor dir selbst, bevor du den Fehler begehst, den ich einst begannen habe.“
Der junge Mann sah auf das Meer hinaus und sah die vielen Sterne am Himmel.
„Jeder Stern steht für einen Engel. Jeder Mensch hat einen Stern und ich bin der Stern für dich
der dir die Liebe gibt, nach der du dich sehnst.“
Der Engel hob die Hand und strich dem jungen Mann über die Wange. Dieser spürte die Wärme, die von diesem Engel ausging, spürte wie diese in sein Herz floss. Er sah aber auch das Leid, dass der Engel mit sich trug.
„Bleibt dir die Liebe für immer versagt?“, fragte der junge Mann den Engel.
„Das kommt auf dich an.“
„Auf mich?“
„Ja auf dich. Denn du kannst mit deiner liebe nun auch mich erretten.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Das kannst du auch nicht verstehen, denn ich bin der Engel des Todes.“
„Der Tod verschenkt Liebe?“
„Ja an Menschen, der ihres Lebens überdrüssig sind. Du kannst sie annehmen und etwas daraus machen oder kannst sie ablehne und ich nehme dich mit mir.“
Der junge Mann sah den traurigen Schein in den Augen des Engels.
„Wenn ich es ablehne kann ich mit dir zusammen sein“, meinte der junge Mann nach kurzen überlegen, „dann bist du auch nicht mehr einsam.“
Der Engel lächelte.
„Nein dann wirst du so wie ich.“
„Du willst mir also Liebe schenken und mich retten, aber willst nicht selbst gerettet werden
mich braucht niemand zu retten.“
„Ich bin schon ein Engel, mehr als ich erwarten durfte.“
Der junge Mann trat auf den Engel zu. Seine Lippen näherten sich denen des Engels. Ein kleines Licht entstand zwischen ihnen, das immer heller wurde, je länger sie sich sanft küssten. Der junge Mann schlang seine Arme um den Engel und zog ihn näher an sich heran.
Die Flügel verschwanden, ebenso das Licht. Nun standen sie beieinander im Mondschein. Zwei junge Männer, die sich küssten und gegenseitig durch ihre Liebe gerettet hatten
* Ende *