Eine andere Liebe – Teil 3

Büro

Ich stand vor der Bürotür und konnte die Stimme meiner Mutter hören.

„Ja geht in Ordnung Almut, ich werde es ihm ausrichten… nein, mach dir keine Sorgen um ihn, er ist hier bestens auf gehoben… Ja mach ich, versprochen…  Also dann Tschüß…”

Das Gespräch wurde beendet und wenige Sekunden später ging die Tür auf und sie stand vor mir.

„Geht es dir besser…, willst du nicht reinkommen?”

„Ja gerne.”

Ich schloss hinter mir die Tür und setzte mich zu meiner Mutter an den Schreibtisch.

„Mum, es tut mir Leid, das ich dich und Papa angeschrien habe. Aber ich fühlte mich so verletzt, weil ihr mir wegen Kim nicht vertraut habt.”

„Verstehe ich schon Markus, die schuld liegt bei uns. Wir wollten euch nur die Schmerzen ersparen, die wir die ganzen Jahre durchgemacht haben. Es ist nicht so, dass wir es euch immer verheimlichen wollten, es kam aber leider immer etwas dazwischen.“

Ich schaute sie durchdringend an.

„Ich weiß es ist keine Entschuldigung.”

„Darf ich ihn sehen?”

„Bist du dir sicher?”

„Mum, er ist mein Bruder, klar will ich ihn kennen lernen, was denkst du denn?“

*-*-*

Ich hatte die Nacht sehr unruhig geschlafen. Müde kam ich unten an und lief direkt Mum in die Arme.

„Guten Morgen Junior, hast du vielleicht Lukas gesehen?”

„Nein seit gestern Mittag nicht mehr, wieso?”

„Er ist eben nicht zum Dienst erschienen…“

„Ich komme doch auch jetzt erst.“

„… in seinem Zimmer ist er auch nicht und zu Haus. Seine Mutter dachte, er wäre bei uns.”

Marlene kam hinzu.

„Marlene, hast du vielleicht den Lukas gesehen?“, fragte Mum.

„Also ich habe ihn gestern Abend noch getroffen, da wollte er noch ein wenig spazieren gehen, es würde ihm nicht so gut gehen. Sein Gesicht war total verheult”, erzählte Marlene.

„Ist der verrückt, bei dem Nebel, den wir gestern hatten?“, entfleuchte es mir.

Inzwischen war auch mein Dad dazu gekommen.

„Was ist passiert?“

„Lukas ist verschwunden“, erklärte Mum, „und Marlene hat gesehen, wie er gestern Abend das Haus verlassen hat.“

„Was geht nur im Kopf dieses Bengels vor…, ich habe dir…“

Dad unterbrach mitten im Satz und ich wunderte mich, wie er über Lukas sprach. Mum schüttelte etwas den Kopf.

„Paps ich gehe ihn suchen, hoffentlich ist ihm nix passiert“, meinte ich.

Und schon rannte ich zum Haus hinaus. Ich lief hinter dem Haus die Anhöhe hinauf. Wo ich anfangen zu suchen sollte, das wusste ich nicht. Zuerst nahm ich den Pfad zum Tal ins Visier. Von hier oben konnte man ein großes Stück überblicken.

Aber ich konnte niemanden sehen. So machte ich kehrt marsch und rannte Richtung See. Dort angekommen, stütze ich mich erst ein Mal ab und holte erst mal tief Luft.

„Lukas, tu mir das bitte nicht an…!“, hörte ich mich selbst sagen.

Ich stellte mich auf einen Stein und blickte am Ufer entlang. Der kleine See war wirklich nicht groß und von hier konnte man ihn gut überblicken. Mein Blick verharrte, als ich zum Wasserfall schaute. Dort war ein kleiner Farbfleck zu erkennen.

O Scheiße… er wird doch nicht… Mir fiel unser Gespräch von gestern Abend wieder ein und er mein Zimmer verlassen hatte. Ich rannte weiter.

„Lukas?”, schrie ich.

„Bist du hier irgendwo?”

„Mensch Lukas mach keinen Scheiß!“

Am Wasserfall angekommen, erkannte ich was ich gesehen hatte. Es war ein Stück Stoff, dass aussah wie von der Jacke, die Lukas gestern Morgen getragen hatte. Verzweifelt schaute ich mich um.

Vorsichtig umstieg ich den Felsen, wo das Wasser herunter plätscherte. Der Pfad war recht schmal und die viele Feuchtigkeit sehr rutschig. Als der Pfad wieder breiter wurde, schaute ich das abschüssige Stück hinunter.

Da lag Lukas.

„Luuuuuuuuukaaaaaaaasssss.”

Er rührte sich nicht.

„Luuuuuuuuuuuukkkkaas.”

Krankenhaus – Lukas

 

„Da hat er ja wirklich noch mal Glück gehabt, Almut.”

„Warum hat der Junge nur so etwas gemacht. Hören die Sorgen um ihn denn nie auf, Gisela ich weiß nicht mehr was ich machen soll.”

„Du tust ihm Unrecht und außerdem so bald er wieder fit ist, muss er wieder bei uns antreten. So leicht lasse ich ihn nicht von der Angelschnur.”

„Wie verkraftet es Markus.”

„Markus ist nicht von seiner Seite gewichen. Ich habe ihn abends fast mit Gewalt hier mitnehmen müssen.”

„Er saß die ganzen fünf Tage hier? Es ist mir gar nicht so aufgefallen, das Markus immer da war, wenn ich kam.”

„Meinst du zwischen den Zweien könnt sich mehr entwickeln?”

„Ich hoffe es um ehrlich zu sein. Lukas war so anders in den zwei Wochen nach dem Vorstellungsgespräch. Er war wie ausgewechselt, ich glaube schon dein Markus ist sehr gut für Lukas.”

Die Zwei  hatten nicht bemerkt, dass ich wach war und die ganze Unterhaltung mit angehört hatte. Verwundert war ich aber schon, dass Markus die ganze Zeit an meinem Bett verharrt hatte.

„Mama?”

Die beiden fuhren etwas zusammen, da sie dachten, ich schliefe immer noch.

„Lukas, du bist ja wach… wie geht es dir?“, beugte sich meine besorgte Mutter über mich.

„Mama es tut mir so leid, ich wollte dir kein Ärger machen.”

„Du hast niemanden Ärger gemacht Lukas“, mischte sich Gisela ein, „aber könnest du mir und deiner Mutter vielleicht erzählen was passiert ist?“

„Ich habe mich an dem Mittag mit Markus gestritten.”

„So? Also Markus hat das anders dargestellt, er meinte du hast ihm ordentlich die Meinung gesagt.”

„Echt? Ich denke das ist Ansichtssache. Mich wundert dass er überhaupt hier war.”

„Du hast wohl doch mehr von unserer Unterhaltung mitbekommen…“, lächelte mir Gisela entgegen.

„Geht es dir auch wirklich gut, mein Sohn?”

„Mama, ich hab das Bein gebrochen, ich spüre jede einzelne Rippe und mein Kopf füllt sich an, als würde er in einem Schraubstock stecken. Aber sonst fehlt mir nichts.”

„Es besteht noch Hoffnung Almut, seinen Humor hat er jedenfalls noch“, meinte Gisela.

Almut nickte.

„Ich habe dich unterbrochen, verzeih, erzähle bitte weiter“, sprach Gisela.

„Ach so. Abends wollte ich noch an die frische Luft um wieder klare Gedanken zu fassen. Mir tat das mit Markus so Leid und dachte ich habe schon wieder Mist gebaut. Im Gedanken muss ich mich wohl dann verlaufen haben und der Nebel wurde auch immer dichter. Dann bin ich irgendwie ausgerutscht und was danach passiert ist weiß ich nicht mehr.”

„Markus hat dich gefunden. Nach dem Marlene erzählt hatte, das sie dich am Abend zuvor hat noch weggehen hat sehen, ist Markus gleich los gestürmt dich zu suchen. Aber ich glaube ich gehe jetzt erstmal telefonieren um jemand ungeduldigen Bescheid zu geben. Bis später Lukas.”

„Danke Gisela.”

„Für was Lukas?”

„Für alles!”

*-*-*

Markus

Ich rannte in mein Zimmer hinauf um meine Jacke zu holen. Papa kam mir entgegen.

„Was ist denn los Markus?”

„Mum hat gerade angerufen, Lukas ist aufgewacht.”

„Super, dann kann es ja nur noch aufwärts gehen.”

„Ja Papa ich muss mich beeilen, damit ich die Bergbahn noch bekomme.”

„Markus!”

Ich stoppte wieder und drehte mich zu ihm.

„Wenn du im Krankenhaus bist, kannst du noch jemand anderes besuchen.”

„Wen?

„Kim… er liegt dort in einem Seitentrakt.“

„Danke… für die Info…. werde ich wohl dann machen.”

„Komm zieh los es ist Zeit.”

„Okay, Paps bis dann.”

Ich düste in mein Zimmer schnappte meine Jacke und wenige Sekunden später stand ich unten vor dem Hotel.

*-*-*

Krankenhaus

 

„Hi Mum.”

Mum drehte sich um und sah mich verwundert an.

„Das ging aber schnell, Hast du den Führer der Bergbahn bestochen schneller zu fahren?”

„Nein, ich hatte nur Glück. Dieter unser Gemüsehändler hat mich mit runter genommen.”

„Nett von ihm, du willst sicher gleich zu Lukas.”

„Ähm nein Mum, Dad hat mir erzählt, dass… Kim auch hier ist. Auch wenn Lukas mir wichtig ist…, mein Bruder ist mir noch etwas wichtiger!“

„Das hört sich ganz nach meinem Sohn an. Soll ich dich zu ihm bringen?”

„Das wäre nett von dir.”

„Markus du sollst noch etwas wissen. Es war Kims Wunsch, die letzten Jahre euch nichts zu sagen. Er weiß aber Bescheid, dass ihr beide es wisst. Erschrecke nicht wenn du ihn siehst. Er sitzt zwar im Rollstuhl, aber kann nur oberhalb vom Hals sich bewegen. Ich schlage vor, du bestürmst ihn nicht gleich mit Fragen.“

„Er kann sprechen?”

„Ja kann er. Du kannst dich ganz normal mit ihm unterhalten. Aber nun komm, ich bring dich zu ihm.”

*-*-*

Mum lief mit mir in einen Seitenarm des Krankenhaus, den ich noch nie gesehen hatte. Zielstrebig ging sie zu einer Tür, klopfte kurz und zog sie auf.

„Morgen Kim.”

„Morgen Mama.”

Vor mir stand ein Rollstuhl. Darauf saß ein junger Mann, dessen Hinterkopf ich nur sehen konnte, weil er in Richtung Fenster stand.

„Du Kim ich hab dir jemanden mitgebracht der dich kennen lernen will.”

„Du hast Besuch mit gebracht?”

„Ja Moment, ich drehe dich um, dann kannst du ihn selber sehen.”

„Ihn? Markus?”

„Ja mein Schatz,” erwiderte sie

Ich stand immer noch stumm an der Tür. Meine Mutter drehte Kims Rollstuhl herum und ich konnte Kims Gesicht sehen.

„Bist du gewachsen Markus?”, fragte Kim.

„Aber… wieso…?”

Ich hatte ein bisschen meine Stimme gefunden.

„Ihr wusstet zwar nichts von mir, aber Mum hat mir alles erzählt von euch und mich auch mit Bildern versorgt. Sein Blick wies auf eine Kommode. Ich lief zu ihr hin und sah ein Meer von Bildern vor mir stehen.

„Du siehst mir sehr ähnlich Kim.”

„Du bist ja auch mein kleiner Bruder.”

„Ich glaube ich lasse euch zwei mal alleine, ich habe auch noch etwas zu arbeiten, sonst krieg ich wo möglich noch Ärger mit eurem Dad,” sagte Gisela, „tschüß Kim ich komm morgen wieder vorbei.”

Ich musste grinsen, als meine Mutter das Zimmer verlassen hatte. Ich nahm ein Stuhl und setzte sich neben meinen Bruder.

„Was ist so lustig?” fragte Kim.

„Ich habe einen großen Bruder. Wie sehr habe ich mir das immer gewünscht.”

„Wieso, ist unsere Schwester so nervig.”

„Das wirst du bald selber merken, wenn ich sie mitbringe, ich sage nichts.”

Beide fingen wie an zu lachen.

„Und wie geht es deinem Lukas?” wollte Kim wissen.

„Lukas… meinem…?“

„Wie gesagt, unsere Mum hat mir alles erzählt. Natürlich auch, dass du auf Jungs stehst…“

Jetzt wurde er leiser.

„Auch dass du dich verliebt hattest… in diesen Tom… Markus, dass tut mir wirklich Leid, ich wäre so gerne für sich da gewesen. Da bereute ich es das erste Mal, dass ich darauf bestand, dass euch nichts gesagt wird.“

Ich gehorchte Mum und stellte keine Fragen.

„Umso mehr hab ich mich gefreut, als mir Mum von Lukas erzählte und jetzt… liegt er hier im Krankenhaus.“

„Er ist auf gewacht, aber ich war noch nicht bei ihm.“

„Warum dass denn?“

„Weil ich erst zu dir wollte… Lukas kann auch noch fünf Minuten länger auf mich warten. Aber meinen großen Bruder kennen zu lernen, das konnte ich nicht aufschieben!“

„Danke Markus.“

Kim senkte seinen Kopf leicht nach rechts und schaute mir durchdringend in die Augen.“

„Ist irgendetwas? Hast du etwas auf dem Herzen?“

„Ähm.. ich würde dich gerne umarmen.”

„Nur zu, ich kann bloß nicht erwidern.”

Markus fiel seinem Bruder um den Hals.

„Nicht so stürmisch junger Mann, sonst rolle ich womöglich noch davon.”

„Kim.”

„Ja Markus.”

„Warum habe ich so viel Vertrauen zu dir, ich könnte dir alles erzählen.”

„Wir kennen uns zwar noch nicht lange, aber wir sind Brüder Markus, dies verbindet uns eben. Was möchtest du mir denn erzählen. Wegen Lukas?”

„Du hast einen ganz schönen Scharfsinn.”

„Wenn ich eins gut kann, dann ist es kombinieren.”

„Ja es ist wegen Lukas. Als er vor seinem Unfall mich verließ schrie er mich an und meinte ich solle es eigentlich besser wissen, wie es ist, einen Menschen zu verlieren, den man liebt!”

„Ups, das ist starker Tobak. Aber ich denke nicht, dass er dich damit verletzten wollte, eher … umgekehrt.”

„Ich weiß, ich denke er ist in mich verliebt.”

„Er ist auch schwul?”

„Ich weiß es nicht genau, aber so wie er sich gibt und mir gegenüber benimmt, denke schon.”

„Und wo ist dann das Problem, magst du ihn nicht?”

„Natürlich mag ich ihn, sogar mehr als ich mir eingestehen will.”

„Aber?”

„Ich bin noch nicht so weit, ich habe erst Tommy verloren, das tut mir noch zu weh.”

„Du musst loslassen Markus.”

„Ja hat Rosi auch schon gesagt…, aber ich kann nicht.“

Ich fing an zu weinen.

„Komm her Bruderherz, lehn dich einwenig an mich.”

Ich lehnte sich an Kims Schulter. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Rücken, erschrocken fuhr ich hoch.

„Was ist das?” fragte ich und zeigte auf Kims Hand.

„Das soll meine Überraschung für Mum und Dad werden, ich kann einwenig den Arm heben.”

„Wow wie habe du das geschafft?”

„Durch eisernes Training.”

„Und wird das noch mehr?”

„Ich erzähle dir was, wovon unsere Eltern noch nichts wissen. Bei einer Routineuntersuchung wurde festgestellt, dass einige Nerven falsch zusammen gewachsen sind und mein komplettes Nervensystem lahmlegen. Durch einen winzigen Eingriff, kann man das beheben. Frag mich nicht warum, das nicht früher herausgefunden hat, aber es ist halt so.”

„Und das heißt dann?”

„Das wenn alles gut geht ich eventuell sogar laufen kann.”

„Jetzt bin ich platt.”

„War ich auch, aber versprich mir, es nicht den beiden zusagen, ich will nicht das sie falsche Hoffnungen erliegen, dass hatten sie in den letzten Jahren genug.”

„Okay ich sage nichts und wann ist der Eingriff?”

„Morgen schon, deswegen die bitte, Mama irgendwie davon abzuhalten, hierher zu kommen…”

„Das wird zwar schwer, aber ich werde es schon fertig bringen.”

„Danke, Ist das schön einen kleinen Bruder zu haben.”

„Es ist schön, einen großen Bruder zu haben.” Wieder nahm ich meinen Bruder in den Arm

und diesmal störte es mich nicht eine Hand auf meinem Rücken zu spüren.

„Das war mir ja klar, dass sich mein Bruder wieder vorher einschmeichelt.”

Ich fuhr herum, in der Tür stand Rosi.

„Hallo Rosi nett dich kennen zu lernen.”

„Oje, jetzt habe ich zwei Brüder von dem Kaliber, wie soll ich mich da nur wehren können.”

„Du wirst wie immer einen Weg finden, uns das Leben schwer zumachen,” sagte ich.

Alle fingen wie herzlich an zu lachen.

„Endlich habe ich meine ganze Familie zusammen“, meinte Kim glücklich.

*-*-*

Ich klopfte.

„Herein,” hörte ich Lukas sagen.

Ich öffnete die Tür und streckte den Kopf hinein.

„Bin ich erwünscht?”

Ein leises „Ja” kam von Lukas.

Ich setzte mich zu Lukas aufs Bett.

„Na, mein Kleiner,” ich schaute Lukas genau an und tippte auf seinen Gips, „ daran bin ich wohl schuld.”

„Markus hör bitte auf!”

„Nein Lukas, es stimmt schon. Ich hätte die nicht einfach gehen lassen dürfen, als du mir das an den Kopf geschmissen hast.”

„Vergiss es am besten Markus, ich hatte kein Recht dazu so was zu sagen.”

„Kein Recht?” Lukas du hast nur das gesagt, was du in dem Augenblick gefühlt hast. Na ja vielleicht ein bisschen laut.”

Lukas verzog sein Gesicht.

„Ist was Lukas?”

„Ach diese Scheiß Kopfschmerzen.”

„Soll ich lieber gehen Lukas?”

„Nein Markus bleib beim mir, bitte.”

„Lukas.”

„Ja.”

„Kann es sein, dass du mir etwas nicht gesagt hast?“

Verwundert schaute mich Lukas an.

„Du hast so darauf bestanden, dass Freunde so für einander da sind.“

Er nickte.

„Aber zu einer Freundschaft gehört auch Ehrlichkeit, man erzählt sich alles.“

Seine Augen verrieten mir, dass es Klick in seinem Hirn gemacht hat.

„Dass… ich… auch schwul bin…?“

„… und in mich verliebt“, beendete ich den Satz.

Lukas Gesichtsfarbe wurde rot.

„Dass ist dir nicht recht… oder?, stammelte er weiter.

„Lass mich einfach weiter reden. Lukas. Als ich dich zum ersten Mal sah, war ich total fasziniert von dir, aber gleichzeitig entsetzt, weil ich so kurz nach Tommys Tod, wieder jemand anziehen fand.“

Lukas wollte mir etwas sagen, aber ich gab Zeichen, dass er schweigen sollte.

„Lukas ich mag dich sehr, mehr als ich mir im Augenblick wahrscheinlich eingestehe, aber lass mir bitte einwenig Zeit. Tommy hat noch immer den größten Teil von mir eingenommen.”

Ich spürte das Nass in meine Augen drängen.

„Markus nicht, bitte nicht weinen.”

„Ich kann nicht anders, ich kann das mit Tommy einfach nicht vergessen, es ist alles noch so frisch und tut weh. Ich hätte dich gerne zum Freund, aber du siehst ja, mit mir ist im Augenblick nichts anzufangen.”

„Markus du sollst Tommy auch nicht vergessen. Es verband etwas Besonderes, das nicht jeder spüren darf. Du wirst ihn auch nicht vergessen! Aber ich denke auch, Tommy wäre es nicht Recht, wenn deine Trauer dich auffrisst und du nicht mehr glücklich wirst.“

Ich schaute ihn lange an.

„Du bist wirklich erst siebzehn?”

„Ja warum?”

„Wenn man dir zuhört, denkt man nicht an dieses Alter. Mit dem Loslassen hat auch meine Schwester und mein Bruder gesagt.”

„Dein Bruder? Von dem euch eure Eltern erzählt haben?”

„Das hast du also auch mitbekommen?“

Lukas nickte.

„Ja, ich habe ein Bruder, er ist stark körperlich behindert und liegt auch hier im Krankenhaus.”

„Das wusste ich nicht.”

„Tröste dich, außer meinen Eltern wusste das sicher niemand.“

Lukas sah jetzt etwas betreten drein.

„Was ist?“

„Ich denke. Meine Mutter weiß es noch. Schließlich sind sie und deine Mutter beste Freundinnen.

„Das könnte sein.“

„Du Markus…, wenn wir gerade so ehrlich zu einander sind…, da ist noch etwas, was ich dir erzählen möchte.“

Ich nahm seine Hand in die meinige.

„Ja, was denn?“

„Wusstest du, dass unsere Mütter das eingefädelt haben?”

„Was haben die eingefädelt?”

„Es war ihr Plan uns zusammen zu bringen.  Also nicht direkt zusammen zu bringen, in Sinne einer Freundschaft… ähm du weißt schon was ich meine…“

„Im Augenblick weiß ich gar nichts und bin ehrlich etwas geschockt.“

Lukas seufzte.

„Deine Mutter dachte du hättest jemand nötig, der dich aufmuntert und meine Mutter, ich hätte jemand nötig, der mich ein bisschen führt.”

„Führt?“

„Ja…, bevor ich zu euch kam… war ich angeblich in schlechte Gesellschaft geraten. Als die in meiner Schule heraus bekamen, dass ich schwul bin, wurde mir oft aufgelauert und ich würde regelmäßig verprügelt. Meine Mutter hat mich dann von der Schule genommen, weil das Kollegium nicht einen Finger dafür tat, dass dieser Zustand sich änderte.“

Aus seinen Augen quollen Tränen.

„… es…, es hat sich dann auch sehr schnell…, herum gesprochen… mit mir und überall wo ich mich bewarb bekam ich eine Absage… einmal sogar mit der Bemerkung, wir wollen hier keine Schwuchtel.“

Im Augenblick war ich mehr als geschockt über das was Lukas gerade erzählte.

„Ich wusste das nicht…, ich wusste nicht mal, dass Almut einen Sohn hatte, bis du vor mir standst.“

„Bist du mir jetzt deswegen böse, weil ich mit gemacht habe?”

„Quatsch Lukas. Gut ein bisschen doof ist die Sache schon…, zugegeben, aber der Zweck heiligt die Mittel, sagt man doch.“

Ich musste bei diesem Satz grinsen.

„Markus, du musst mir glauben, als ich das erste Mal sah, war es um wirklich um mich geschehen, ich habe mich sofort in dich verknallt, und das meine ich Ernst.”

Ich schaute in seine Augen und spürte es deutlich, diese Ernstheit.

„Ich glaube dir das, Lukas.”

„Ich weiß es ist vielleicht ein bisschen viel verlangt…“

„Was denn?“

„Ähm… krieg ich einen Kuss?“, meinte Lukas verlegen.

„Ähm, …. warum eigentlich nicht.”

Ich beugte mich zu Lukas hinunter und gab ihm einen Kuss. Ich spürte die weichen Lippen von Lukas und auf einmal konnte ich mich nicht mehr von ihnen trennen. Plötzlich schob mich Lukas weg.

„Was ist?”

„Mann Markus ich kriege keine Luft mehr, ich dachte du möchtest mich haben und nicht umbringen.”

„Schon gut ich versuche mich zusammen zureisen,…”

Weiter kam ich nicht mehr. Lukas hatte mich bereits zu sich gezogen und gab mir einen weiteren Kuss.

„Hattest du nicht was von einem Kuss gesagt?”

Lukas lächelte.

*-*-*

Schefflers Hotel – am nächsten Tag

„Morgen Markus, gut geschlafen?”

„Ja danke Mum, was ist? Du siehst ein wenig verärgert aus?”

„Ach es haben sich so viele Leute zum Essen gemeldet, ich komm nicht dazu Kim zu besuchen.”

„Ist doch nicht schlimm, das kann ich doch später machen.”

„Würdest du?”

„Natürlich, ich will doch meinen großen Bruder besser kennen lernen, außerdem möchte ich auch noch zu Lukas.”

„Das ist lieb von dir. Und du und Lukas, seid ihr jetzt endlich zusammen?”

Ich wurde rot.

„Ich habe von eurem Mütterkomplott gehört, also wäre ich mit solchen Fragen vorsichtig. Aber ich was denkst du von mir? So schnell geht das nicht, oder waren du und Papa auch gleich am ersten Tag in der Kiste?”

Dieses Mal wurde meine Mutter rot und ich fing laut an zu lachen.

„Mum! Ich bin entsetzt“, sagte ich mit gespielter Empörung.

„Tu doch nicht so scheinheilig.”

„Also gut wir haben uns gestern geküsst.”

„Das ist ja schon mal ein Anfang. Bist du mir böse, dass ich dir wegen Lukas am Anfang nichts gesagt habe?“

„Nein… eigentlich nicht“, antwortete ich ehrlich und schüttelte zur Bestärkung auch noch den Kopf.

Ja ein Anfang war es, aber auch ein Ende von etwas anderem dachte ich, ich werde dich nie vergessen Tommy und wirst immer ein Teil von mir sein.

*-*-*

Büro

 

Das Telefon klingelte.

„Hotel Scheffler sie sprechen mit Markus Scheffler… Hallo Almut… Ja, aber erst heute Mittag… Nein aber ich habe noch ein bisschen, was zu tun im Büro… Wofür Danke?… „Ach Almut, höre bitte auf… Ja ist gut, bis dann…  Ja richte ich ihr aus. Also dann Tschüß!”

Ich legte den Hörer auf. Wie aufs Stichwort kam meine Mutter rein.

„Ach Markus ein Notfall. Wir müssen für heute Mittag die Menükarte für das Extra ändern, es wurde etwas nicht geliefert, meinte Theo.”

„Auch das noch, na gib schon her. Wie viele Exemplare brauchst du?”

„Nur zehn ist eine kleine Gesellschaft. Danke Markus. Ich muss wieder rüber. Marlene hilft beim Eindecken, möchte ich mir mal ansehen wie sie sich anstellt.”

„Okay Mum, ach übrigens einen Gruß von Almut, sie hat eben angerufen.”

„Was wollte sie?”

„Sie hat nur gefragt ob ich heute noch Lukas besuche, er fragt laufend nach mir.”

Meine Mutter grinste und verließ das Zimmer.

„Mütter!” sagte ich laut zu mir selber.

*-*-*

Krankenhaus

„So Herr Scheffler, der Eingriff war erfolgreich, jetzt liegt es alleine an ihnen.”

„Sie meinen es könnte sein, das ich laufen lerne?”

„Es wird zwar schwierig und anstrengend, aber es könnte funktionieren. Ihre Nervenbahnen sind wieder voll Funktionsfähig. Der Test an den großen Zehen hat es gezeigt, wenn man ihn mit einer Nadel sticht, zuckt er.”

„Und warum fühle ich keinen Schmerz?”

„Lassen sie ihrem Körper noch ein wenig Zeit, sich darauf einzustellen. Er kannte das schließlich 25 Jahre nicht.”

„Okay, wenn sie meinen, aber eine Bitte hätte ich noch Professor.”

„Die wäre?”

„Wäre es möglich, dass meine Eltern hiervon vorerst nichts erfahren?”

„Wir werden es versuchen, ich werde das Personal dazu anweisen Stillschweigen zu halten. Dann lass ich sie mal mit ihrem Bruder alleine. Ich komme später noch einmal vorbei.”

Ich lächelte Kim an, als der Arzt das Zimmer verließ.

„Und, geht es dir auch wirklich gut?“, fragte ich meinen Bruder.

„Gesundheitlich ja, aber Gedanklich…“

„Warum.“

„Wenn ich mir jetzt wieder unnötige Hoffn…“

„Kim hör auf“, unterbrach ich ihn, „so darfst du gar nicht denken! Wenn ich schon an dich glaube, dass du wieder laufen kannst, musst du dass auch tun!“

„Man Markus, du wirst mir langsam unheimlich. Mit siebzehn Jahren schon solche Sprüche drauf. Aber ich denke du hast auch genug erlebt, vor allem die letzte Zeit.”

„Stimmt irgendwie hat sich mein Leben total verändert. Ich habe mehr Verantwortung im Hotel übernommen, bekomme voraussichtlich einen der süßesten Jungen als Freund, und vor allem ich habe einen Bruder geschenkt bekommen.”

„Du wirst erwachsen Markus. Und was ist mit… Tommy?”

„Tommy ist und bleibt in meinem Herzen, es tut zwar noch sehr weh, aber wie mir ja alle sagen, wird das auch noch vergehen.”

„Markus, es wird nicht der letzte Schmerz sein, den du ertragen musst. Du stehst noch ganz am Anfang. Aber du wächst auch mit jeder Erfahrung, ob sie negativ oder positiv ist. Mein kleiner Bruder schafft das schon, du steckst so voll Liebe…..aber jetzt genug gequasselt, geh zu Lukas, der wartet sicherlich schon auf dich.”

„Danke Kim”, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

„An solche Zärtlichkeiten könnte ich mich gewöhnen.”

„Von mir? Ich denke du solltest endlich laufen lernen, da draußen gibt es so viele Mädchen, die nur auf dich warten.”

„Wie kommst du jetzt da drauf Markus?”

„Du siehst mir sehr ähnlich, und ich weiß, dass ich gutaussehend bin“, sagte ich mit einem frechen Grinsen.

„Du eingebildeter Lauser.”

Beide fingen wir an zu lachen.

*-*-*

Lukas

Die Tür ging auf und Markus kam herein.

„He, du bist ja schon aufgestanden.”

„Hallo Markus, ja ich darf wieder aufstehen, obwohl mein Kopf noch dröhnt. Die Schwester meinte ich solle ein bisschen an die frische Luft gehen.”

„Gehen?“

Ich hob den Kopf schief und schaute dieses freche Etwas mir gegenüber an.

„Wenn du willst, kannst du mich ja begleiten.“

„Mit dem Gipsbein?”

„Da steht ein Rollstuhl.”

„Und ich darf dich dann schieben?”

„Idiot! Natürlich wer denn sonst ich will dich bei mir haben. Und ich gebe dich nie wieder her. Markus ich liebe dich!“

Markus näherte sich mir und gab mir einen kleinen Kuss auf den Mund.

„Ich dich auch, Lukas.”

Hatte ich richtig gehört? Ich strahlte über beide Wangen. Wie sehr habe ich gehofft diese Worte von dir zu hören.

„Was ist?“, fragte Markus.

„Ach… ich dachte an gestern, als du meintest, ich solle dir noch Zeit lassen und heute sagt du, du liebst mich.“

„Ja, ich weiß…, ich habe gestern Abend noch viel nach gedacht, auch wegen Kim und die ganze Familie. Ich bin mir jetzt sicher, dass Tommy nicht es haben wollte, dass ich ihm so nach trauere. Er liebte mich, weil ich so humorvoll und lustig immer war, wie er sagte und dass will ich auch wieder sein!“

„Komm lass uns rausgehen.”

*-*-*

Markus

„Ah, die Sonne tut gut. Hab ich die vermisst.”

„Komm ich schiebe dich da drüben an die Bank.”

„Okay.”

Langsam schob ich Lukas zur Bank und ich setze mich neben ihn.

„Markus, darf ich dir eine Frage stellen?”

„Klar, du darfst mich alles fragen.”

„Du… sind wir jetzt richtig zusammen?”

„Wieso, willst du mich nicht mehr?”

„Man Markus ich mein das ernst, es ist mir sehr wichtig.”

„Höre mal zu Kleiner. Klar sind wir jetzt zusammen, aber wir müssen uns ja eh erstmal beschnuppern. Ich hab noch nie… Ich war noch nie mit einem Jungen zusammen, und um ehrlich zu sein, habe ich schon ein bisschen Angst, was da jetzt alles kommt.”

„Geht mir genauso Markus, aber ich denke wir haben alle Zeit der Welt, und ich bin der letzte, der was überstürzen möchte.”

Ich sah Lukas lange an. Diese blauen Augen, wo ich regelmäßig drin versinken könnte. Dieser sinnige Mund…

„Aber auf eins möchte ich nicht mehr verzichten.”

„Auf was?”, wollte Lukas wissen.

„Auf deine Küsse, dass kannste wirklich gut.”

Lukas wurde ein bisschen Rot im Gesicht.

„Davon kannste gerne einen haben“, sagte Lukas und küsste mich.

„Das diese Dreckschwuchtel sind nicht schämen, dass hier in aller Öffentlichkeit zutun.”

Ich und Lukas fuhren erschrocken herum, ein Mann lief mit einer Frau, die selbst einen Gips am Arm trug und nun ihren Mann versuchte wegzuziehen.

„Matthias komm, was soll das?”

„Schau dir das an, die zwei Arschficker knutschen hier einfach rum, sollen doch in ihr Loch kriechen, wo sie herkommen.”

„Sie brauchen ja nicht her zuschauen.”

Lukas sah erstaunt zu mir, weil ich dies gerade losgelassen hatte.

„Halt bloß die Fresse du Arschloch, sonst…”

„Was sonst?”

Ich war inzwischen aufgestanden. Der Mann lief wütend auf mich zu. Und schon war es passiert. Ich lag auf den Boden. Er hatte mir seine Faust ins Gesicht geschlagen.

„Super, so rumschreien und dann noch Kinder schlagen.”

Lukas konnte nicht anders er musste das sagen, was aber ein Fehler war. Der Mann ging ebenfalls auf Lukas los. Schreiend lag Lukas auf dem Boden und griff nach seinen Rippen.

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