You are not alone – Teil 5

„Ich sage dir dann Bescheid, sobald ich mehr weiß, aber Tommaso muss da unbedingt heraus, sonst rutscht er noch weiter ab. Die letzte Schlägerei, in die er verwickelt war, wir haben ihn da nur mit Mühe und Not herausboxen können.“

Ich schaute Julius an und wusste mir selbst keinen Rat.

„Aber warum ist er plötzlich so aggressiv?“, fragte ich, Julius.

„Ich weiß es nicht, vielleicht färbt das Verhalten seiner Mutter ab.“

„Gut, ich werde mit den Anderen reden, was sie dazu meinen.“

„Fährst du nach her mit an den Flughafen, Doreen abholen?“

„Ja, klar! Das werde ich mir nicht entgehen lassen“, meinte ich.

Doreen war die erste Austauschperson unseres gemeinsamen Projektes mit Amerika. Mister Lukas hatte ganze Arbeit geleistet, alles in Bewegung gesetzt, damit dies zu Stande kam. Und heute war es endlich soweit.

Sie bleib dann ein Jahr bei uns, um eine für sie speziell, eingerichtete Praktikumstelle bei Monika anzutreten. Das konnte Doreen, für ihr angestrebtes, späteres Jurastudium gut gebrauchen.

„Ach so, bevor ich es vergesse. Ich habe mit der Verwaltung gesprochen, Marius Freund Clemens soll sich am Freitag bei ihnen als Hausmeister noch persönlich vorstellen. Könntest du das in die Wege leiten?“, fragte mich Julius.

„Kein Problem, gleich nachher werde ich Clemens anrufen.“

„Und was macht mein Sohnemann, es ist sehr ruhig um ihn geworden.“

„Du musst entschuldigen, Julius. Aber seine Diplomarbeit raubt ihm den letzten Nerv. Ich hoffe selbst, dass er sie bald fertig hat.“

„Bisher hatte er doch nie Schwierigkeiten mit so etwas.“

„Nein, mit dem Schreiben nicht, aber mit dem Dozenten der für ihn zuständig ist.“

„Wieso das denn?“

„Weil jedes Mal wenn Micha mit ihm spricht, sagt der Dozent etwas Anderes zu Micha, und er weiß dann nicht mehr, was er überhaupt weiterschreiben soll.“

Julius schüttelte ärgerlich den Kopf.

„Na ja! Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Würde mich schon freuen, wenn er die Stelle hier antreten könnte.“

„Davon erwähne ich nicht mal etwas. Das setzt Micha dann nur noch mehr unter Druck. Okay, ich mache mich dann mal wieder vom Acker, komme dann pünktlich zum Flughafen…“

„Gut Christopher, denk bitte an Clemens!“

„Werde ich, tschüß!“

„Tschüß Christopher!“

Ich verließ das Büro und lief die Treppe hinunter zur Pforte. Plötzlich überkam mich ein blödes Gefühl, irgendetwas stimmte nicht. Aber ich kam nicht darauf. Es war nur ein Gefühl in der Magengegend.

***

Julius und ich saßen mit Monika, der Jugendrichterin im Warteraum. Die Maschine mit Doreen hatte wegen einer Schlechtwetterzone Verspätung.

„Chris, was ist los, du bist so schweigsam?“, fragte Monika.

„Es ist nichts, ich war nur ein wenig in Gedanken versunken!“, antwortete ich.

Dieses flaue Gefühl im Magen hatte mich nicht losgelassen. Der Flug von Doreen wurde aufgerufen und wir begaben uns zu dritt an die Ankunft des Terminals. Durch die Scheiben konnte man sehen, wie die Menschen nur so aus der Maschine strömten.

„Da vorne ist sie“, kam es von Monika.

Sie winkte jemandem zu und ich schaute in die Richtung. Eine dunkelhäutige Frau, mit langem schwarzem Haar winkte mit einem Lächeln zurück. Es wurde sich begrüßt und einander vorgestellt.

Doch ich stellte fest, Doreen wusste schon einiges von mir. Anscheinend hatte Patrick drüben in den Staaten, schon einiges über mich erzählt. Was mich durchaus mehr überraschte, vor mir stand auch Mr. Lukas.

Freudig nahm ich ihn in den Arm. Verwundert, dass er seine Ankunft nicht angemeldet hatte. Mr. Lukas vertrat meine Wenigkeit in den Staaten und verwaltete mein Geld. Als ich darauf zu sprechen kam, wie in Amerika alles lief, verdunkelte sich sein Blick.

„Christopher können wir nachher in Ruhe alleine miteinander sprechen?“, fragte er.

Ich nickte ihm zu. Das flaue Gefühl in meinem Magen verstärkte sich. Irgendetwas stimmt nicht. Wir beschlossen gleich zu uns zu fahren, damit Doreen ihr neues zu Hause kennen lernen konnte.

Diesmal fiel der Empfang nicht so aus, wie die letzten Male. Kein Wunder, Nico und Frank waren in der Schule, der Rest der Meute war auf der Arbeit. Einzig alleine Joey rollte im Vorgarten herum.

„Hallo, da seid ihr ja endlich!“, rief er uns entgegen.

„Morgen Joey!“, rief Julius.

„Morgen Julius und Monika und das wird Doreen sein!“

„Guten Morgen Joey, nice to see you“, sagte Doreen und gab ihm eine Hand.

„Ich freue mich ebenso. Und wer ist der Mann in deiner Begleitung?“

Joey, wie immer verdammt neugierig.

„Das ist Mr. Lukas!“, antwortete ich, „er vertritt meine Interessen in den Staaten.

„Was bist du eigentlich, dass du einen Anwalt in den Staaten hast?“, fragte Joey verwundert.

„Du weißt eben noch nicht alles über mich!“, gab ich zur Antwort, „und wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich mit Mr. Lukas zu Michael gehen.“

Da kam auch schon Ralf, aus dem Haus gestürmt und so konnte ich mit Mr. Lukas in meine Wohnung gehen. Michael war ebenso überrascht wie ich Mr. Lukas zu sehen. Er unterbrach sogar seine Schreibarbeit und setzte sich zu uns ins Wohnzimmer.

„Christopher, aus welchem Grund ich hier nach Deutschland gekommen bin…, es gibt Ärger mit dem Finanzamt.“

„Bitte?“

„Ja, das Finanzamt hat es auf deine Häuser abgesehen, sie denken wohl, da laufen krumme Geschäfte.“

„Wie das? Das verstehe ich jetzt nicht.“

„Soviel wir mitbekommen haben, muss ein Elternteil eines Zöglings, heraus bekommen haben, wo sich dieser befindet. Da wir ähnliche Schutzbestimmungen wie ihr habt, kommt dieser Elternteil natürlich nicht an seinen Sohn heran.“

„Und wo liegt jetzt das Problem?“, mischte sich Micha ins Gespräch.

„Der Herr hat sehr gute Kontakte, egal in welche Richtungen und versucht gerade alles daran zu setzten die Häuser schließen zu lassen. Jetzt hat er uns das Finanzamt auf den Hals gehetzt.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stammelte ich.

„Christoph, dass ist kein Problem für uns, unsere Bücher sind korrekt geführt, da hat das Finanzamt keinerlei rechtliche Handhabe gegen uns, aber etwas anderes macht mir Sorgen!“, meinte Mr. Lukas.

Er trank kurz von seinem Kaffee bevor er weiter erzählte.

„Kurz bevor ich abgeflogen bin, meldete sich das FBI bei uns.“

„Das FBI? Das ist wohl ein schlechter Scherz?“, meinte ich verärgert.

„Nein Christopher, dass ist es nicht. Es wurde Fragen nach einer Sekte gestellt.“

„Sekte?“

Nun war ich wirklich durch den Wind.

„Deshalb wäre es nötig, wenn sie mit mir in die Staaten fliegen.“

Ich schaute zu Michael, der aber nur mit der Schulter zuckte, er gab keinen Laut von sich. Das Klingeln des Telefons ließ mich zusammen zucken. Ich nahm das Gespräch entgegen.

„Christopher Miller.“

„Hallo Chris, hier ist Julius. Ist Carsten zu Hause?“

„Nein, ich denke, der ist jetzt mit Joey zu seiner ersten Gymnastikstunde unterwegs, warum fragst du?“

„Mist, gerade jetzt könnte ich ihn dringend gebrauchen! Kannst du nicht kommen?“

„Julius, das ist jetzt sehr schlecht, ich habe hier ein Problem!“

„Was?“, fragte Julius verwundert, ich konnte es deutlich seiner Stimme entnehmen.

Ich erklärte ihm kurz den Sachverhalt und er war genauso sprachlos wie ich eben.

„Christopher, wir können auch später reden, ich habe erst morgen einen Rückflug gebucht!“, sagte Mr. Lukas, der das Gespräch verfolgt hatte, „außerdem müsste ich noch zu Julius, einiges wegen Doreen klären!“

Ich nickte ihm zu.

„Okay Julius, ich komme mit Mr. Lukas ins Amt, alles Weitere kannst du mir dann dort erzählen.“

Wir verabschiedeten uns und kurz darauf saß ich mit Mr. Lukas im Wagen. Im Gedanken versunken, fuhr ich fast mechanisch zum Amt. Ich wechselte kein Wort mit meinem Beifahrer, der wohl auch merkte, dass ich jetzt etwas Zeit zum Denken brauchte.

***

Im Amt angekommen, brachte ich erstmal Mr. Lukas zu Julius, bevor ich zu Susanne ging.

„Morgen Chris, danke dass du gekommen bist“, begrüßte mich Susanne.

„Was steht an?“, fragte ich.

„Folgendes Problem. Ich weiß nicht ob du von dem schweren Unfall vor drei Tagen gehört hast.“

„Klar, und es hat ja auch jede Menge Verletzte gegeben, bei den vielen Lkws die im Unfall verwickelt waren.“

„Und Tote!“

„Bitte?“

„Ja, ein Ehepaar ist ihren Verletzungen erlegen, was nun uns auf den Plan bringt.“

„Kinder?“

„Ja, Brüder, wobei einer davon noch im Krankenhaus liegt, der andere bereits im städtischen Heim untergebracht ist.“

„Und wo kann ich helfen?“, fragte ich.

„Der gesunde Bruder ist im Heim, spricht mit einer Kollegin. Sie hat vorhin angerufen und nach Carsten gefragt, deswegen bist du jetzt hier, näheres weiß ich auch nicht.“

„Wo kann ich die zwei finden?“

„Brauchst du nicht, er wird hier hergebracht!“

Ich schaute mich im Büro um.

„Was ist?“, fragte Susanne, während sie eine Nummer auf ihrem Telefon wählte.

„Wird ein wenig eng, wenn Doreen jetzt hier auch noch anfängt!“

Susanne hob die Hand.

„Ja Barbara, Christopher ist nun hier… okay du bringst ihn… bis gleich.“

Sie legte auf.

„Kein Problem, wir stellen alles etwas um, bekommen den Nachbarraum noch mit dazu. Barbara bringt übrigens den Jungen.“

Also warteten wir gemeinsam, bis es an Susannes Tür klopfte.

„Herein!“, rief Susanne und die Tür öffnete sich.

Herein kam Barbara, die einen etwa 17 jährigen Jungen vor sich herschob. Seine traurigen Augen fielen mir sofort auf, ebenso, dass er ein richtig hübscher Kerl war.

„Morgen ihr Zwei, darf ich vorstellen Christian Kohlberg. Christian, das sind Susanne und Christopher, von denen ich dir erzählt habe.“

Christian nickte und hob die Hand zum Gruß, schwieg aber. Ich stand auf.

„Guten Morgen Christian!“, meinte ich und schüttelte seine Hand.

Sie fühlte sich warm und weich an.

„Wie geht es deinem Bruder?“, fragte Susanne, die nun ebenso aufgestanden war.

„Unverändert, aber stabil“, kam es leise von Christian.

Er machte mir den Eindruck, als würde er gleich zusammen brechen.

„Setz dich doch Christian“, sagte ich und bot ihm einen Stuhl an.

Er ließ sich auf den Stuhl sinken und ein kleiner Seufzer war zu vernehmen. Barbara nahm sich den letzen freien Stuhl und setzte sich ebenso zu uns.

„Folgendes Problem haben wir. Christian und sein Bruder Leon haben durch den Unfall keine Erziehungsberechtigten mehr, aber auch keine Verwandtschaft, die sich ihrer annehmen würden. Beide werden bald achtzehn und fallen somit auch nicht mehr direkt unter das Jugendamt.“

Barbara sagte dies sehr trocken und ich sah, wie bei Christian vereinzelt Tränen über die Wangen kullerten. Am liebsten hätte ich ihn jetzt in den Arm genommen, aber ich wollte abwarten was Barbara noch zu sagen hätte.

„Es gibt die eine Möglichkeit, das beide die drei Monate bis zu ihrer Volljährigkeit im Heim verbringen, und dann auf sich selbst gestellt sind, oder…“

Hier brach Barbara ab und schaute mich an.

„Wohnungen wären noch frei!“, sagte ich, nach dem ich verstand, worauf sie hinaus wollte.

Christian schaute mich verwundert an. Babara stand auf und ging dicht vor Christian in die Hocke.

„Christian, ich weiß der Verlust deiner Eltern trifft dich hart. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, wie es weitergeht. Ich weiß, ich habe mich vorhin etwas kühl angehört, aber nur damit du merkst, wie es normalerweise laufen würde.“

Christian schien immer noch verwirrt zu sein, und wusste nicht, was Barbara meinte.

„Was ich dir sagen wollte, es gibt noch eine andere Möglichkeit, die euch das Heim ersparen würde, aber euch doch die Sicherheit gibt gut unterzukommen.“

„Und das wäre?“, fragte Christian leise und wischte sich die Tränen weg.

Barbara sah mich wieder an und nickte mir zu, bevor sie wieder zu ihrem Stuhl zurückging.

„Also ich bin Christoph, wie du mitbekommen hast. Man könnte mich Sozialarbeiter nennen, das bin ich aber nicht. So gesehen sind wir, meine Freunde und ich, eine riesige WG, nur mit mehreren Wohnungen. Ich würde dir gern eine Wohnung anbieten.“

„Wieso?“, fragte Christian.

„Weil in unserem Haus nur Leute wohnen, die entweder keine Eltern oder Schwierigkeiten mit ihren Eltern haben.“

Wieder rannen Tränen über seine Wangen und ich beschloss es auf eine andere Art zu versuchen.

„Barbara, könnte ich den jungen Mann entführen und ihm alles zeigen?“

„Klar, kein Problem, die im Heim wissen Bescheid!“

„Okay. Also wenn du nichts dagegen hast, würde ich dir einfach mal gerne unsere kleine Welt zeigen.“

Er nickt nur.

„Gut, dann verschwinde ich mal mit Christian und melde mich später bei euch!“

Jeder verabschiedete sich von Christian und ich zog ihn mit nach draußen. Auf dem Flur zog ich mein Handy heraus und wählte Michas Nummer. Nach dem ersten Ton, ging er schon ran.

„Hallo Schatz was ist?“

„Ich bin gleich wieder zu Hause und bringe jemand mit!“

„Problemfall?“

„Ja, aber nicht so, wie wir es gewohnt sind.“

„Dass muss ich jetzt aber nicht verstehen?“

„Nein Micha, ich erklär dir alles später.“

„Gut. Soll ich bisschen etwas herrichten?“

„Ja, kannst du. Würde uns sicherlich allen gut tun.“

„Also, bis gleich. Ich liebe dich!“

„Ich dich auch! Tschüss!“

„Tschüss Schatz.“

„Du hast einen Freund?“, kam es plötzlich von Christian, als ich das Handy wieder in meiner Tasche verstaute.

„Ja, wir sind schon eine ganze Weile zusammen und er hilft mir, so gut es geht.“

„Leon wollte auch einen Freund…“

„Wo liegt das Problem?“

Inzwischen waren wir an meinem Wagen angekommen. Ich schloss auf und öffnete Christian die Tür.

„Es lag an meinem Eltern…“

Oha, wieder ein Fettnäpfchen. Ich startete den Motor und ließ den Wagen langsam anrollen.

„Christian, du musst mir nichts erzählen, wenn du nicht willst.“

„Mit wem soll ich denn sonst reden…? Mit meinen Eltern konnte ich nie reden und mein Bruder liegt im Krankenhaus. Und meine Freundin hat mich nie verstanden.“

Christian schien eine starke Persönlichkeit zu sein. Ich wusste nicht, ob ich einfach so mit einem Wildfremden reden würde.

„Du hast auch keine Eltern mehr?“

Er wollte reden, dass spürte ich.

„Nein, meine Eltern sind gestorben, als ich elf Jahre alt war, danach bin ich in einem Heim aufgewachsen.“

„Auch nicht schön.“

„Aber ich habe liebe Menschen kennen gelernt, die ich jetzt noch als Freunde habe, ja auch als Kollegen.“

„Was machst du genau in diesem Haus.“

Die Betonung lag auf „diesem“, als wäre er sich nicht sicher, wie er das Haus einschätzen sollte.

„Im Grobschnitt, würde man mich als Sozialarbeiter bezeichnen, bin ich aber nicht. Ich fühl mich eher als Freund und Anlaufstelle, wenn es Probleme geben sollte.“

„Und jeder hat seine eigene Wohnung?“

„Ja, wir haben jetzt zwei Häuser nebeneinander und sind ein recht gemischtes Häufchen.“

„Mädchen auch?“

„Ja, klar!“

„Und ihr würdet mich und meinen Bruder auch aufnehmen?“

„Christian, sonst würde ich mir doch nicht die Mühe machen, dort hinzufahren.“

Plötzlich war Christian wieder stumm, er schien nachzudenken. Ich ließ ihn einfach gewähren, konzentrierte mich auf den starken Verkehr. Es dauerte auch noch eine Weile, bis ich in unserer Strasse angekommen war.

Ralf arbeitete im Vorgarten, schien neue Blumen zu pflanzen. Seid er seine grüne Ader entdeckt hatte, blühte es rund um die zwei Häuser in den schönsten Farben. Sogar die Nachbarschaft holte bei ihm mittlerweile Rat.

Der Wechsel zu uns hatte Ralf wirklich gut getan und es hatte sich Nachwuchs bei ihm und seiner Barbara eingestellt, da würde auch etwas auf uns zu kommen. Der erste Säugling in unserer Gruppe.

Lauter nette Onkel und Tanten für den Kleinen oder die? Verraten wollten die Beiden das bis jetzt noch nicht. Ich parkte den Wagen in die Lücke und stellte den Motor ab.

„Wow, das ist aber groß“, kam es von Christian, während er ausstieg.

„Hallo Chris, schon wieder da?“, rief Ralf herüber.

„Ja, das ist Christian, vielleicht bald ein neuer Mitbewohner!“

„Hallo Christian!“, kam es von Ralf.

Christian winkte ihm kurz zu und wandte sich dann wieder an mich.

„Ralf ist für das zweite Haus zuständig“, erklärte ich, bevor wir ins Haus gingen.

Drinnen erwatete uns Michael bereits mit einem gedeckten Kaffeetisch.

„Du sollst später noch Dad anrufen, ist wegen Tommaso!“, meinte Michael, nach dem er Christian begrüßt hatte.

Ich nickte ihm zu und reichte Christian eine Kaffeetasse.

„Und wie läuft das hier, muss man Miete zahlen? Gibt es jemand der uns täglich betreut?“

„Langsam Christian, ich erkläre dir das von Anfang an. Also ihr bekommt vom Amt drüben bei Ralf eine Wohnung zugeteilt und die Möbel werden vom Amt gestellt, soweit ihr keine habt, was aber davon abhängt, was ihr von eurem bisherigen Wohnung mitnehmen möchtet.“

Ich merkte, dass alles viel Christian schwer, aber es musste schnell eine Lösung gefunden werden.

„Wir haben zur Miete gewohnt, aber die Möbel gehören uns.“

„Das ist auch kein Problem, was ihr mitbringen wollt, können wir herliefern lassen, der Rest der Wohnung kommt in ein Depot oder man kann es zum Verkauf anbieten. Ich weiß, Christian, dass ist jetzt alles viel für dich, aber du brauchst keine Angst zu haben, wir helfen dir und auch deinem Bruder, ihr seid hier nicht alleine.“

„Und wie läuft das dann ab, ich meine wegen der Möbel und unseren Sachen?“, kam es leise von ihm.

„Wir beide können zu euch fahren und vorab schauen, was ihr alles mitnehmen möchtet und wenn alles klar ist lassen wir vom Amt einen LKW kommen und gehen hier dann mit der ganzen Meute vom Haus euch helfen umziehen.“

„Und du wärst die ganze Zeit dabei?“

Michael schaute zu mir und lächelte.

„Klar, Christian, wir lassen dich hier nicht alleine. Und wenn alles fertig ist, und es deinem Bruder soweit gut geht, holen wir ihn gemeinsam aus dem Krankenhaus ab. Du siehst, du brauchst nichts alleine zumachen, wenn du möchtest, kannst du auch heute schon hier schlafen und musst nicht ins Heim zurück.“

„Das geht wirklich?“

„Ja, ich muss nur ein Telefonat führen und schon ist dieses Problem gelöst.“

„Ich würde gerne da bleiben, wenn es euch Recht ist. Im Heim sind sie zwar alle nett zu mir, ich fühl mich dort aber so einsam.“

„Kein Problem!“, meinte ich.

„Ich rufe an!“, meinte Michael und erhob sich.

„Danke Schatz!“

„Michael ist dein Freund?“

„Ja!“

„Und der Sohn von Julius, wie ich mitbekommen habe!“

„Ja, ist er!“

„Habt ihr euch durchs Amt kennen gelernt?“

„Nicht ganz und so einfach war es auch nicht, hat ein wenig gedauert, bis es bei uns gefunkt hat, aber seitdem sind wir glücklich zusammen“, meinte ich lächelnd.

„Hoffe Leon findet auch so jemanden, er ist ziemlich unglücklich und nun nach dem Unfall…“, Christian brach mitten im Satz ab und begann zu weinen.

Ich setzte mich neben ihn und nahm ihn in den Arm.

„Leon hat es unseren Eltern vor ein paar Monaten gesagt… dass er schwul ist, meine ich. Anfangs lief es ja ganz gut, aber dann häuften sich die Streits zwischen ihm und unserem Dad und im Auto…“

Wieder fing Christian an zu schluchzen, als gerade Michael zu Tür herein kam und mich verwundert ansah. Er setzte sich schweigend zu uns.

„Im Auto hat mein Dad wieder mit einem Streit angefangen… Leon hätte nur noch Kerle im Kopf, würde alles andere vernachlässigen, die Schule, seine Pflichten zu Hause, aber das stimmte überhaupt nicht.“

„Glaubst du, Leon fühlt sich schuldig an dem Unfall?“, fragte Michael.

„Ja!“, kam es leise von Christian.

„Er ist ganz bestimmt nicht seine Schuld, das war eine Massenkarambolage!“

„Sagt das ihm!“

„Okay, weißt du was, wenn du Lust hast, kannst du mich heute überall hin begleiten, so lernst du mich besser kennen und siehst auch was wir hier machen!“

Christian nickte mir zu.

„Micha, rufst du bitte Julius an, dass ich wegen Tommaso später bei ihm vorbei komme?“

Es klingelte an der Tür. Michael sprang auf und ging zur Tür.

„Ist nur Nico, hat seine Schlüssel vergessen“, kam es von Michael aus dem Flur.

„Hallo zusammen“, kam es von Nico der das Zimmer betrat, oh ein neues Gesicht… Hallo!“

„Hallo“, sagte Christian leise.

„Das ist Nico, unser Pflegesöhnchen“, meinte Michael, der nun auch wieder im Zimmer stand.

„Pflege?“, fragte Christian.

„Ja, ich habe bei einem Brand meine Eltern verloren und da hat Chris meine Pflegschaft übernommen!“

Ich sah auf Christian, der glasige Augen bekam.

„Oje, habe ich etwas Falsches gesagt, dass tut mir leid!“, sagte Nico und kniete sich vor Christian hin.

„Es geht…, dass konntest du ja nicht wissen… meine Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen.“

Christian wirkte etwas gefasst, doch seine Tränen sagten etwas Anderes. Nico schnappte seinen Rucksack und stand wieder auf.

„Ich gehe mal Hausaufgaben machen, Bernd will nachher noch vorbei kommen. Bis später!“, meinte Nico, „ach so, kann Bernd heute vielleicht bei mir schlafen? Seine Eltern sind wieder mal auf Dienstreise.“

„Geht klar!“, meinte Michael und zwinkerte mir zu.

„Danke, dann ruf ich ihn gleich an, dass er seine Sachen mitbringen kann“, antwortete Nico und verschwand die Wendeltreppe hinauf.

„Ist Nico auch schwul?“, fragte Christian.

„Nein, Bernd ist nur sein bester Freund, seine Hormone spielen nur bei Mädchen verrückt!“, meinte ich grinsend.

„Ist das bei euch immer so, ich meine, soviel Leben in der Bude.“

„Ja!“, antwortete Michael, „aber wir habe uns daran gewöhnt.“

Er lehnte sich von hinten an mich und legte seine Arme um mich. Und wieder klingelte es an unserer Wohnungstür.

„Ist offen!“, rief Michael etwas genervt.

Ich hörte, wie sich die Tür öffnete.

„Bin nur ich“, hörte ich Thomas rufen, der auch gleich im Wohnzimmer erschien.

„Oh, ihr habt Besuch, ich will nicht weiter stören.“

„Tust du nicht“, meinte ich.

„Wollte eigentlich nur fragen, ob ihr Lust auf Pizza heut Abend habt, Andreas will ein neues Rezept probieren!“

Michael schaute mich kurz an und dann zu Christian.

„Kein Problem, wenn wir einen Esser mehr mitbringen dürfen“, meinte Micha.

„Geht klar! So ich muss weiter, noch die Anderen fragen, bis später!“

Und schon war Thomas wieder verschwunden.

„Wie viele Leute wohnen hier eigentlich?“, fragte Christian.

„Hier im Haus? Also mich und Michael, kennst du ja jetzt schon und dass Nico bei uns wohnt, hast du auch mit bekommen. Gegenüber von uns wohnen Thomas, der eben hier war, und sein Freund Andreas. Der Stock über uns gehört auch noch zu unserer Wohnung. Daneben wohnen Bastian und Dominik und unterm Dach die Geschwister Gunther und Klara. Dort gegenüber wohnt noch Carsten, den du vielleicht im Amt schon gesehen hast.“

„Das sind viele Leute… und alle haben ihre… Eltern verloren?“, fragte Christian und wischte sich die Tränen weg.

„Nein Christian, hier im Haus sind nur ich, Kirstin und Nico Vollwaise, alle anderen hatten Probleme im Elternhaus und sind deswegen bei uns unter gekommen.“

„Außer mir, ich bin freiwillig hier!“, sagte Michael und gab mir einen Kuss.

Christian ein wenig aufzumuntern, schien ihm gelungen zu sein, er lächelte.

„Also ich denke Leon würde es hier sicher gefallen… ihr seid alle so nett!“

„Ich würde sagen, wir fahren jetzt erstmal zu Leon und besuchen ihn, was hältst du davon?“, fragte ich.

Christian nickte.

„Danach, werde ich noch im Amt vorbei gucken und wenn die Zeit noch reicht, vielleicht bei Christian zu hause um ein paar Sachen für ihn zu holen. Kommst du Christian?“

„Ja!“

„Moment Chrisi, ich brauch noch eine Unterschrift von dir!“

Michael legte mir ein Formular vor und ohne groß nachzuschauen, unterschrieb ich einfach. Christian verabschiedete sich von Michael und folgte mir nach draußen.

*-*-*

Leon sah doch schlechter aus, als ich dachte. Er war aber bei Bewusstsein und lächelte sogar, als ich mit seinem Bruder eintraf.

„Hallo Leon!“, sagte Christian und umarmte seinen Bruder, so gut es eben ging.

Leon hatte die Schulter eingegipst und einen dicken Verband um den Kopf, und bis auf ein paar Schürfwunden im Gesicht und an den Armen konnte ich nichts weiter entdecken. Ein Wunder, das Christian so unbeschadet aus dem Auto kam.

Ich hielt mich etwas zurück, denn Christian hatte seinem Bruder soviel zu erzählen, dabei fiel mir die Ähnlichkeit der beiden auf. Zwillinge eben.

„Und dann hätten wir unsere eigene Wohnung!“, beendete Christian seinen Satz.

„Und was ist mit der Alten?“, fragte Leon.

„Willst du da wieder hin?“

„Ich weiß nicht…!“

„Bruderherz ich weiß, es ist nicht leicht für uns, aber es wäre ein neuer Anfang, oder?“

Christian schien der Stärkere von den Beiden zu sein. Seine Art so beruhigend und leise, schien Leons Traurigkeit zu mindern.

„Und wen hast du da mitgebracht?“, fragte plötzlich Leon, der mich ansah.

„Das ist Christopher, der aus der großen WG.“

„Hallo Leon!“, sagte ich.

„Hallo Christopher.“

Ein kurzes Schweigen folgte.

„Und du bist dir sicher, dass du meinen Bruder und mich aufnehmen willst?“

Hörte ich da eine Spur Sarkasmus in der Frage?

„Ja sicher, oder siehst du ein Problem?“, antwortete ich.

„Wenn du nichts gegen Schwule hast“, kam es leise von Leon.

„Du Leon, ich bin selber schwul und einige in unserem Haus auch, also wir habe sicher keine Schwierigkeiten damit!“

Leon schaute seinen Bruder mit großen Augen an, hübsche Augen, wenn auch traurig. Christian lächelte und nickte ihm zu.

„Dann wird es Zeit, dass ich hier endlich rauskomme!“, meinte Leon und wollte sich aufrichten.

„Langsam Kleiner, der Arzt meinte, erst wenn der Kopfverband ab ist, dann darfst du gehen“, sprach Christian.

„Ich will hier nur raus!“

„Darfst du dann!“

„Und nenn mich nicht immer Kleiner!“

„Du bist der Jüngere, also darf ich das!“

„Du darfst gar nichts, brauchst dir auf die drei Minuten gar nichts einbilden.“

Es freute mich, die Beiden etwas ausgelassener zu sehen.

„Willst du bei deinem Bruder bleiben, ich kann dich auch später wieder abholen!“, sagte ich.

„Nein, der Querkopf soll sich eh ausruhen, ich fahre gleich mit dir!“, antwortete Christian.

„Kommst du morgen wieder?“, fragte Leon.

„Ja, klar! Wirst mich nicht so schnell los“, gab Christian von sich und küsste seinen Bruder auf die Stirn.

*-*-*

„Was? Und warum hat mir das niemand gesagt?“

Jetzt war ich wirklich sauer. Tommaso saß in Untersuchungshaft. Kaum aus der einen Schlägerei heraus, schien er in die nächste gestolpert zu sein. Ich saß mit Christian bei Julius.

„Es tut mir leid Christopher, aber diesmal konnte ich nichts tun. Sie wollen ihn in ein Heim für schwer Erziehbare stecken.“

„Hast du Barbara eingeschaltet?“

„Ja und die verhandelt gerade mit dem verantwortlichen Jugendrichter.“

„Kann ich mit Tommaso reden?“

„Ich versuche, was ich machen kann, aber so schnell bekommst du da keinen Termin.“

„Wann?“, sagte ich immer noch säuerlich.

„Frühestens Morgen, ich kann es dir nicht versprechen.“

„Okay, ruf mich bitte an, wenn du etwas erreicht hast… ich fahr jetzt mit Christian weiter. Wo kann ich die Schlüssel für die Wohnung bekommen?“

„Verwaltet Günther, Zimmer 204, ich ruf ihn gleich an!“, meinte Julius.

Nachdem wir problemlos die Schlüssel erhalten hatten und wieder im Auto saßen, wies mir Christian den weg.

„Wer ist dieser Tommaso.“

„Ein Unglücksrabe wie mir scheint, aber ich verstehe die Aggressivität nicht, die er jetzt an den Tag legt.“

„Und was willst du tun?“

„Einfach mit ihm reden, es muss doch irgendeinen Grund geben, warum er plötzlich so ist.“

„Was ist bei Tommaso geschehen, ich meine, weil du ihn kennst, er hatte doch sicher ein Problem, wenn du mit ihm zu tun hast.“

„Seine Mutter ist Gewalttätig, Sie hat anscheinend des Öfteren den eigenen Mann zusammengeschlagen.“

„Eine Frau?“

„Ja meinst du es gibt nur gewalttätige Männer?“

„Ist sie auch auf Tommaso losgegangen?“

„Nein, er ist abgehauen, wir fanden ihn durch Zufall in einem Internetcafe.“

„Und warum wohnt er nicht bei euch.“

„Das ist nicht so einfach, Tommaso ist schon neunzehn, also hat das Amt keinen Zugriff mehr, wir konnten es ihm nur vorschlagen, bei uns zu wohnen und ein Heim kam ja für ihn nicht mehr in Frage. Er hat sich eben anders entschieden.“

„Weißt du schon, wie du dass lösen willst? Da vorne musst du rechts abbiegen!“

„Danke… nein, ich möchte einfach mit ihm reden, sehen was passiert ist. Aber jetzt kümmern wir uns erstmal um dich!“

Es dauerte nicht mehr lange, bis wir ankamen. Ich merkte wie schwer es Christian fiel, in die Wohnung zu gehen. Als dann noch eine Nachbarin vor die Tür trat, um Christian ihr Beileid auszusprechen, konnte er seine Tränen nicht mehr zurück halten.

Mitleidig schaute uns die Nachbarin hinterher, als wir die Wohnung betraten. Sie machte einen sehr sauberen Eindruck auf mich, um nicht zu sagen, zu sauberen.

„Wundere dich nicht, dass hier alles so glänzt, meine Mum ist… war eine fanatische Putzerin.“

Konnte Christian Gedanken lesen? Ich folgte ihm weiter durch die Wohnung. Er trat an eine Tür und öffnete sie langsam. Zum Vorschein kam ein Schlafzimmer und ich spürte wie mir Christian umzufallen drohte.

Ich legte meinen Arm um die Schulter und versuchte ihn zu beruhigen.

„Wo ist dein Zimmer?“

„Ich habe ein Zimmer mit Leon zusammen.“

Er schloss die Tür wieder und ging mit mir ins Zimmer gegenüber. Hier sah man deutlich den Unterschied zur restlichen Wohnung. Ein typisches Jugendzimmer eben.

„Weißt du schon, was du mitnehmen willst?“

„In dem Zimmer hier alles…“

„Christian ich mach dir eine Vorschlag. Ich kenne den Grundriss eurer Wohnung recht genau. Ihr habt beide ein eigenes Zimmer ein gemeinsames Wohnzimmer und eine Küche. Für das Bad braucht ihr ja nicht viel.“

Christian schaute mich an, aber sagte nichts.

„Wir nehmen die Küche mit, euer komplettes Zimmer und das Wohnzimmer, auch das Geschirr, wenn ihr möchtet, den Rest geben wir aufs Amt.“

Er nickte, lief in die Mitte des Zimmers und atmete tief durch.

*-*-*

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mit Christian alles durchgesehen hatte, da war ja auch noch der Kellerraum. Ich hatte eine große Liste angefertigt und mittlerweile drei Blätter voll geschrieben.

„So Christian, wir machen mal Schluss, wir sind ja noch auf eine Pizza eingeladen und wir sollten nicht zu spät kommen“, meinte ich.

„Kannst du die Tasche nehmen?“, fragte Christian, was ich bejahte.

Voll bepackt liefen wir zurück zum Wagen und nach dem wir alles verstaut hatten, machten wir uns auf den Heimweg. Heim…, ich hoffte, es würde auch für Christian und Leon ein neues Heim werden.

„Morgen bekommen wir einen LKW und können schon mit dem umziehen beginnen!“, sagte ich.

Christian schaute nur nach draußen, versunken im Gedanken und ganz weit weg. Ich wusste was er durchmachte. Gut, ich war damals noch wesentlich jünger, als ich meine Eltern verloren hatte.

Vieles hatte ich damals nicht verstanden. Auch heute noch, denke ich oft an die beiden, schaue mir ihr Bild an und denke oft, ob sie stolz auf mich wären, was ich alles fertig gebracht hatte.

Eine innere Stimme sagte mir, sie wären es gewesen, oder sind es auch, wo immer sie auch sein mögen. Doch mit diesen Gedanken konnte ich Christian schwer trösten. Für ihn war eine Welt zusammen gebrochen, etwas aus seinem Leben gerissen, was er über alles geliebt hatte.

Dieser Schmerz saß tief, viel zu tief um dran zu kommen. Ich konnte ihm nur beistehen so gut es ging. Instinktiv griff ich nach meinem Tempopäckchen in der Seitenablage der Tür und hob es Christian hinüber.

Ohne ein Wort nahm er es und putzte sich kurz darauf die Nase. Vielleicht war es besser, jetzt nichts zu sagen, ihm einfach nur das Gefühl zu geben, für ihn da zu sein. Im Radio lief „May it be“ von Enya, was mich noch tiefer in meine Gedanken versinken ließ.

Während ich in den letzten Straßenzug einbog, summte ich dieses Lied mit, was so viele Menschen mit einer Katastrophe in Verbindung brachten. Der Tod mit Christians Eltern war eine Tragödie, eine Katastrophe, ebenso unwiderrufbar.

Der Motor heulte noch einmal kurz auf, als ich ihn in die Parklücke lenkte. Joey stand mit seinem Rollstuhl im Vorgarten und spielte mit Joe, der vergnügt immer wieder an Joey hoch hüpfte und ihn ableckte.

„Aus Joe, du weißt ich mag das nicht!“

„Abend, Joey. Na, wie geht es dir?“, rief ich vom Auto aus.

„Gut, ich mach immer mehr Fortschritte, schau!“

Er stellte den Rollstuhl fest, klappte die Fußtritte zur Seite. Noch hingen seine Beine nach unten, bevor er nach vorne rutschte und seine Schuhe aufsetzte. Joe blieb ruhig neben ihm stehen, als würde er auf ihn aufpassen.

Mit den Händen drückte er sich ab, bis er stand. Langsam, Schritt für Schritt lief er auf uns zu.

„Wow, das geht ja schon prima!“, sagte ich und zog eine Tasche aus dem Kofferraum.

Kurz vor dem Zaun kam Joey aber ins Straucheln und fiel der Länge nach hin. Christian hatte seine Tasche fallen lassen und war mit einem Sprung über das Geländer gehüpft um Joey aufzuhelfen.

„Hallo … danke… wer bist du denn?“, fragte Joey, der sich zitternd an Christian festhielt.

„Christian.“

„Schöner Name“, meinte Joey.

„Joey ist etwas passiert?“, rief es plötzlich von der Haustür.

Carsten war gekommen und stand sofort bei Joey und Christian.

„“Du solltest doch heute nicht mehr aufstehen, hast es doch eh schon übertrieben mit deinen Übungen.“

„Hallo, ich bin Christian.“

Carsten beäugte kurz Christian, bis er diesem die Hand hinstreckte. Christian nahm sie und schüttete sie kurz.

„Carsten…“, meinte er nickend, „so du kleiner Ausgeflippter, ab in deinen Stuhl.“

Carsten legte die Arme unter und trug Joey zurück in den Rollstuhl.

„Danke Christian“, meinte Joey.

Christian lief zum Tor hinaus und nahm wieder seine Tasche auf.

„Ziehst du hier ein?“, fragte Joey, der nun wieder im Rolli saß.

Carsten schaute ebenso interessiert.

„Ja, mit meinem Bruder, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird.“

Ich schloss das Auto ab und nahm den Rest in die Hände. Carsten kam mir entgegen um mir etwas abzunehmen.

„Was hat er denn?“, fragte Joey weiter.

„Unfall… mit Auto“, antwortete Christian leise.

Oje, dachte ich, ich kannte Joeys bohrende Art und das war etwas, was Christian jetzt überhaupt nicht brauchen konnte.

„Kommt ihr nach her auch zu Andreas, er macht wieder seine berühmte Pizza!“, fragte ich um vom Thema abzulenken.

Joey schaute kurz zu Carsten der lächelnd nickte.

„Klar, ich habe auch eine riesen Hunger“, meinte Joey und rollte zur Haustür.

„Dann sehn wir uns später, wir müssen erstmal Christians Sachen verstauen“, meinte ich und betrat das Haus, während Christian mir stumm folgte.

Michael hatte uns wohl schon gesehen, denn die Tür stand offen. Zusammen mit Christian und Carsten betrat ich die Wohnung.

„Wohin?“, fragte Carsten.

„In mein Büro!“, antwortete ich.

Dort stand ein Sofa, das man zu einer Liege ausklappen konnte. Dies würde erst einmal reichen, bis Christian, drüben bei Ralf in die Wohnung ziehen konnte. Auch hier war Michael wieder schneller, er hatte das Sofa bereits bezogen.

„Na ihr zwei, ich dachte, ihr kommt heute gar nicht mehr!“, kam es von Michael, der aus der Küche kam.

„Ja, es hat etwas länger gedauert, wie ich dachte“, sagte ich und stellte die Sachen ab.

Michael begrüßte mich kurz mit einem Kuss.

„Willst du noch duschen, bevor wir zu Andreas gehen?“

„Ja, dass wäre mir recht!“, antwortete ich, „und du Christian?“

Christian nickte nur, während er seine Jacke auszog.

„Ich geh dann mal wieder, muss mich ja um meinen Helden da draußen kümmern“, meinte Carsten, „ sehn uns dann bei Andreas und noch mal Danke für das Helfen, Christian!“

Und schon war Carsten wieder verschwunden.

„Komm Christian, ich zeig dir wo das Bad ist“, sagte Michael und schob ihn sanft aus dem Büro.

Ich atmete erstmal tief aus, während ich meine Jacke an die Gardarobe hängte.

„Ach übrigens, du kannst morgen gegen neun Tommaso besuchen, Dad hat angerufen“, hörte ich Micha aus dem Bad rufen.

Mit diesen Worten verließ ich das Stockwerk und stieg die Wendeltreppe hinauf um duschen zu gehen. Aus Nicos Zimmer hörte ich Gelächter. Bernd war bestimmt schon da. Müde warf ich meine Klamotten über den Stuhl und lief in Boxer zum Bad.

Wenig später prasselte das heiße Wasser der Dusche über meinen Körper, der müde gegen die Wand lehnte.

Eine Hand an meinem Rücken ließ mich auf schrecken. Ich drehte den Kopf und konnte Michael sehen.

„Was ist los?“, fragte ich und wollte schon die Dusche abdrehen.

„Nichts, lass an!“

Michael ging zu Tür, drehte die Schüssel um und zog sich aus. Gespannt beobachtete ich ihn. Endlich nackt trat er zu mir in die Dusche und nahm mich in den Arm.

„Wie geht es dir?“, fragte er mich, nach dem sich seine Lippen von meinen gelöst hatten.

„Etwas müde, aber gut…“

„Aber?“

„Ich weiß auch nicht, im Augenblick habe ich so wenig Zeit für dich, wir sehen uns ja beinahe nur noch beim Duschen“, sagte ich und strich die Strähnen aus seinem Gesicht, um besser in seine Augen sehen zu können.

„He, mein Großer, wir haben halt beide viel Arbeit, ist doch nicht schlimm!“

„Ab und zu, fehlt mir halt deine Umarmung, deine Nähe!“

„Nur das?“, grinste mir Micha frech entgegen.

„Okay das auch!“, worauf wir beide wieder ins Küssen verfielen und man nur noch das Wasser prasseln hörte.

*-*-*

Etwas verschlafen, traf ich am nächsten Morgen im Revier ein, wo Tommaso einsaß. Es war spät geworden am Abend. Die ganze Bande hatte sich bei Thomas und Andreas versammelt. Das Schöne war, ich konnte Christian, dass erste Mal herzhaft lachen sehn.

Auch wurde an diesem Abend darüber gesprochen, wie wir Christians und Leons Umzug gestalten wollten, wer bei was half und wer Zeit hatte. Christian war sichtlich gerührt, dass alle gleich so Feuer und Flamme waren.

Und später im Bett…, was soll ich sagen, geschlafen hatte ich nicht viel, aber dafür hatte ich mal wieder eine schöne Nacht mit Michael verbracht. Auch wenn wir beide jede Nacht nebeneinander schliefen, so hatte diese etwas Besonderes an sich.

Als ich die Tür zum Vorraum aufzog, war ich etwas verwundert Barbara zu sehen. Sie stand mit einem Mann im Anzug zusammen und diskutierte heftig mit ihm. Sie bemerkte mich nicht, erst, als ich unmittelbar neben ihr stand.

„Hallo Christopher, schön dich zu sehn. Darf ich dir Herr Clement von der Staatsanwaltschaft vorstellen?“

Staatsanwaltschaft? Was war denn hier zu Gange. Ich gab freundlich mein Patschhändchen und stellte mich vor.

„Sie sind also Christopher Miller? Ich habe ja schon einiges von ihnen gehört!“, sagte dieser Clement darauf.

„Ich hoffe nur Gutes?“, und lächelte dabei Barbara an.

„Hätte ich nicht soviel Gutes von ihnen gehört, würde ich Barbaras Plan jetzt wohl kaum zustimmen!“

„Plan?“, fragte ich verwundert.

„Ja“, begann Barbara, „Tommaso wird sechzig Sozialstunden absolvieren, dafür gibt es keine Verhandlung.“

„Das geht so einfach?“

„Sagen wir mal so, Barbara kann sehr überzeugend sein!“, erwiderte Herr Clement.

„Weiß er es schon?“, fragte ich.

„Nein!“, antwortete Barbara.

„Kann ich es ihm sagen, ich wollte ihn eh gerade besuchen.“

„Du kannst ihn sogar gleich mitnehmen und dafür sorgen, dass er heut Mittag im Kreiskrankenhaus erscheint“, sagte Barbara.

„Ins Kreiskrankenhaus? Da liegt Leon, da muss ich eh hin, Christian vorbei bringen!“

„Das trifft sich ja dann gut, oder?“

„Ich musste lächeln.

„Oje, dieses Lächeln kommt mir nur zu bekannt vor, was heckst du schon wieder aus?“, fragte mich Barbara.

„Ich doch nicht, wie kommst du nur darauf?“

„Gut Barbara, ich muss zurück ans Gericht, schick mir einfach die Unterlagen zu, alles weitere regele ich dann schon.“

„Okay Georg, das geht klar. Ich habe noch ein Treffen, mit einem Mister Lukas.“

„Du triffst dich mit Mister Lukas? Warum?“

„Alles zu seiner Zeit, du wirst es erfahren.“

Die Beiden verabschiedeten sich noch von mir und ich ging zum Beamten, um Tommaso besuchen zu können. Mir wurden verschiedene Papiere zum Unterschreiben vorgelegt, damit ich Tommaso auch mitnehmen konnte.

Ein anderer Polizist führte mich dann zu Tommaso. Er reagierte etwas verhalten, als er mich sah, schaute zum Boden.

„Hallo Tommaso!“

„Was tust du denn hier?“

„Dich abholen, was sonst?“

„Schlechter Scherz, ich weiß, dass ich Mist gebaut hab und warum ich hier sitze.“

„Dann weißt du aber weniger als ich!“, meinte ich.

Sein Kopf fuhr hoch und er schaute mich an.

„Was weiß ich nicht?“, fragte er.

„Das ich dich jetzt mitnehme und du bei Joey unterkommen wirst und in den nächsten Wochen einen Sozialdienst ableistet, der dich vor weiteren Unannehmlichkeiten bewahrt.“

Ich hatte am Abend vorher mit Carsten diskutiert, was man mit Tommaso machen könnte. Am Schluss meinte Carsten, dass, wenn er wieder auf freien Fuß wäre, ihn bei Joey unterzubringen das beste wäre.

Was ich jetzt natürlich in die tat umsetzten konnte.

„In ein Krankenhaus? Was bitte schön soll ich in einem Krankenhaus?“

„Das ist sozusagen deine Strafe, für den Mist, den du gebaut hast. Man Tommaso, was machst du auch für blöde Sachen, so kenne ich dich gar nicht.“

Etwas Wut stieg in mir auf, weil ich Tommaso nicht verstand. Er zuckte nur mit den Schultern.

„Ich hoffe es gibt kein nächstes Mal, da können wir dann nichts mehr für dich tun und nun komm, ich will wieder nach Hause.“

„Ich kann einfach so mitgehen?“

„Ja, aber du musst draußen noch ein paar Unterschriften leisten!“

Die ganze Zeit war von Tommaso nichts mehr zu hören. Artig unterschrieb er die Dokumente, die ihm vorgelegt wurden, seine Sachen, wurden ihm ausgehändigt und wir konnten endlich losfahren. Im Auto schien er sein Schweigen wieder zu brechen.

„Was muss ich denn da machen?“

„Was?“, fragte ich, weil ich nicht gleich verstand, was er meinte.

„Im Krankenhaus?“

„Du wirst helfen, was man dir aufträgt… Essen verteilen oder ein Bett neu beziehen und Anderes.“

„Danke!“

„Für was? Bedank dich bei Richterin Barbara, die sich so für dich eingesetzt hat.“

Schuldbewusst schaute er wieder zu Boden.

*-*-*

Am Mittag fuhr ich dann mit Christian und Tommaso ins Krankenhaus. Schweigen war wieder angesagt, nur das Radio spielte vor sich hin. Im Krankenhaus selbst, trennten wir uns von Christian, weil ich mit Tommaso zur Verwaltung wollte.

Auch hier hatte Barbara schon ganze Arbeit geleistet. Alle waren bestens informiert und Tommaso wurde gleich von einer Schwester mitgenommen. Die Oberschwester, verwickelte mich in ein kleines Gespräch, wo ich etwas über die Häuser und unsere Arbeit erzählte.

Sie freute sich, dass es noch junge Menschen gab, die sich so ins Zeug für andere legten, wie sie es ausdrückte. Auch auf meine Frage hin, ob man Tommaso in die Nähe von Leon bringen könnte, bejahte sie.

Ich bedankte mich und beschloss ebenfalls Leon zu besuchen. Als ich dort ankam, saß Christian bei Leon und auf dem Bett und lachte. Der Verband vom Kopf war ab, nur noch ein großes Pflaster zierte Leons Stirn.

Sonst konnte man den gleichen schwarzen Lockenkopf wie bei Christian sehn. Aber auch alles andere an ihnen war gleich. Der gute Körperbau, wobei man bei Leon, durch den großen Gips an der Schulter, etwas weniger von seinem Oberkörper sehen konnte.

„Hallo Christopher, und alles geregelt?“, fragte Christian.

„Ja, ging alles glatt. Tommaso wird auch auf dieser Station helfen“, antwortete ich und schloss die Tür.

„Wie hast du das wieder fertig gebracht?“, fragte Christian.

„Wer ist Tommaso?“, fragte Leon.

Ich zog mir einen Stuhl zum Bett, setzte mich zu den Beiden und erzählte kurz etwas über Tommaso. Die Augen beider, wurden etwas traurig, als sie das von Tommaso erfuhren.

„Und er hilft nun bei dieser Station aus?“, kam es am Schluss meiner Erzählung von Leon.

Ich nickte.

„Mal sehen, ob ich etwas aus ihm heraus bekomme.“

Fragend schaute ich Leon an.

„Du musst wissen, Leon ist bekannt dafür, Leute auszuquetschen, ohne dass sie das richtig merken“, sagte Christian.

„Das ist gut, so Leute kann man immer gebrauchen“, meinte ich.

Leons Gesicht wurde auf einmal wieder ernst und schaute mich an.

„Du Christoph…, ich wollte mich noch bedanken, dass du soviel für uns tust. Christian erzählt mir alles und ich kann… kann einfach nur danke sagen.“

Ich wuschelte Leon vorsichtig über den Kopf.

„He, nicht so wild, dafür sind wir da! Und nachher treffen wir uns mit den Anderen bei euch zu Hause und räumen aus. Julius vom Amt hat mir einen LKW zugesagt, der dann auch vor Ort steht.“

„Vielleicht ist es besser, wenn ich hier im Krankenhaus liege.“

„Warum denn?“, fragte Christian seinen Bruder.

„Auch auf die Gefahr hin, dass du mir schon wieder den Kopf waschen tust, ich fühl mich trotzdem schuldig an dem Tod unserer Eltern. Wäre ich nicht so sauer geworden, hätte Dad vielleicht mehr aufgepasst.“

Christian wollte schon ansetzten, aber ich hielt ihn zurück.

„Hör mal“, begann ich, „ich bin der gleichen Meinung wie Christian, du konntest nichts für diesen Unfall. Und zu dem bin ich eh der Überzeugung, alles passiert wie es passieren muss. Für mich gibt es keine Zufälle. Ihr habt das wahnsinnige Glück gehabt, diesen Crash zu überleben und ich denke, auch im Sinne eurer Eltern, ihr versucht das Beste daraus zu machen!“

Leon schaute mit glasigen Augen zwischen mir und Christian hin und her. Eine Träne bahnte sich den Weg über seine Wange.

„Sie fehlen mir“, sagte er leise.

„Mir doch auch!“, kam es ebenso leise von Christian.

„Ich hätte Dad gern soviel… erklärt, ihm zeigen wollen was ich fühle… was in mir vorgeht…, vielleicht hätte er mich dann besser verstanden.“

Christian wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Zu sagen… vielleicht, oder was wäre wenn, ist nicht gut Leon, es bringt nichts, dass du dir darüber den Kopf zerbrichst“, sagte ich mit ruhiger Stimme, du musst nach vorne schauen, nur dass zählt. Irgendwann wird dein Schmerz kleiner werden, wenn auch die Erinnerungen bleiben.

Leon nickte, ich war mir aber nicht sicher, ob ich zu ihm durchgedrungen war. Auf einmal wurde Leon tief rot im Gesicht.

„Ist etwas?“, fragte Christian besorgt.

„Ihr räumt nachher die Wohnung aus?“

„Ja“, antwortete Christian.

Leon senkte seinen Blick.

„Könntest du mir einen Gefallen tun?“, kam es regelrecht schüchtern von ihm.

Christian schaute verwundert und nickte.

In meinem Schrank unten bei den vielen Schuhen, da steht ein Karton…, würdest du da drauf Acht geben… ich meine, dass da keiner reinschaut?“

„Ja klar!“, antwortete Christian, „ist etwas besonderes in dem Karton?“

Konnte man ein Tiefrot noch steigern. Verschüchtert schaute er mich an.

„Soll ich hinaus gehen?“, fragte ich.

„Nein…, es ist nur… in dem Karton sind Filme und Bilder von mir…?“

„Ja und, da ist doch nichts Besonderes daran!“, sagte Christian und atmete erleichtert auf.

„Du verstehst nicht…, ich habe mich da… bei so einem Fotografen hier in der Stadt gemeldet…, der hat mich fotografiert.“

Oha, dachte ich, konnte es sein, dass da jetzt noch etwas hinterher kommt? Christian schien immer noch nicht zu verstehen, was Leon meinte.

„Ich habe mich nackt fotografieren lassen, für ein Magazin….“

„Du hast was?“, sagte Christian, aber nicht irgendwie entsetzt, dagegen sprach sein Lächeln auf den Lippen.

„Ja, ich habe mich dort beworben und wurde sofort genommen.“

Jetzt musste ich auch grinsen.

„Darf ich die mir angucken?“, fragte Christian.

Jetzt lächelte auch Leon wieder.

„Wieso? Du weißt doch wie du aussiehst!“, kam es von Leon.

Christian fing an zu lachen.

„Und warum ist dir das jetzt peinlich? Ich finde ihr seht beide super aus, da ist nichts, worüber ihr euch schämen müsstet“, sprach ich.

Jetzt waren beide am rot werden. Das Klopfen an der Tür, schien wie ein Rettungsring. Eine Schwester und Tommaso traten ein.

„So junger Mann, das Ende unserer Führung, hier finden sie ihre Freunde wieder.“

„Danke!“, meinte Tommaso leise und die Dame verschwand wieder.

Ich stand auf und ging zu ihm hin.

„Und, was meinst du. Hältst du es hier aus?“, fragte ich.

„Klar!“, und dass erste Mal seit langem sah ich Tommaso wieder lächeln.

Ich zog ihn zu den Beiden ans Bett.

„So, Christian kennst du ja schon und hier ist sein Bruder Leon.“

„Hallo“, sagte er schüchtern und reichte Leon die Hand.

Dieser nahm sie und schüttelte… schüttelte weiter, etwas zu lang, für meinen Geschmack, was auch Christian merkte und mich frech angrinste. Bei Beiden konnte ich so ein Funkeln in den Augen entdecken.

*-*-*

Ich konnte vor dem Miethaus, in dem Christian und Leon gewohnt hatten, schon den Lkw vom Amt entdecken. Was mich aber erstaunte, waren die, die da ausstiegen. Clemens unser neuer Hausmeister zusammen mit Marius.

Ich parkte meinen Wagen und stieg mit Christian und Tommaso aus.

„He, dass ist aber ein Überraschung, freut mich euch beide zu sehn!“, rief ich.

Clemens kam auf mich zu und begrüßte mich mit einer Umarmung, ebenso Marius.

„Hallo Christopher“, kam es von Clemens, „die im Amt suchten jemand, der den Lkw fahren konnte, aber weil sich keiner fand, hab ich mich angeboten.“

„He, danke, dass ist nett. Kann ich euch Tommaso und Christian vorstellen?“

Die Vier gaben sich alle die Hand und aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass nun auch der Rest der Bande eintraf. Wildes Gejohle begann, als sie Clemens und Marius entdeckten.

„So Leute“, übernahm ich das Kommando, „wir haben noch Einiges vor!“

Alle folgten mir und Christian ins Haus. Jeder trug Umzugskarton mit sich, die Clemens verteilt hatte. Da ich wusste, was Christian von der Wohnung alles haben wollte, teilte ich Kirstin und Klara ein, die das Schlafzimmer leer machen sollten.

Dennis und Gunther halfen ihnen bei den Möbeln. Ralf und Barbara machten sich mit Nico und Bernd an die Küche, während Bastian und Dominik mit Carsten gemeinsam sich ins Wohnzimmer verzogen.

Michael folgte Christian in sein Zimmer, während Clemens und Marius, sich darum kümmerten, dass die Karton nach unten kamen, wobei die anderen ihnen natürlich halfen. Ich stand im Flur und musste lächeln.

Ich war stolz über diese Gemeinschaft, meine so heiß geliebte Familie, die stets gewachsen war. Als ich merkte, dass ich nur im Weg stand, verzog ich mich zu Christian. Es ging zügiger, als ich dachte, wie emsige Bienen hatten wir die Wohnung schnell leer geräumt.

Ein kleiner Zwischenfall zwar, als sich Thomas in einer Tür den Finger einklemmte, was aber zur Belustigung der Anderen beitrug, wie Andreas ihn dann tröstete. Am Schluss, während die Anderen schon unterwegs waren, gingen Christian und ich noch einmal durch alle Räume.

Etwas verloren stand er in mitten des Schlafzimmer, Tränen rannen über seine Wangen. Ich nahm ihn einfach in den Arm und stand noch eine Weile mit ihm da, bevor auch wir uns auf den Rückweg machten.

Zu Hause erwartete uns die nächste Überraschung. Barbara war mit Susanne und Julia kräftig in unserer Küche zu Gange, während Julius mit Mr. Lukas auf der Terrasse Bänke und Tische aufstellte.

Joey düste zwischen allen wie wild umher und markierte den großen Boss, bis Carsten ihn zu greifen bekam und ihn mit einem Kuss still stellte. In Vorfreude auf dieses Essen, machten wir uns daran, den Lkw wieder zu entladen.

*-*-*

Ich stand wieder mal unter der Dusche, als Michael herein kam.

„Jetzt beeil dich, die Anderen warten schon!“, rief er mir zu.

„Bin gleich fertig!“, antwortete ich.

Ich drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und trocknete mich ab. Michael konnte es nicht lassen und kniff mir in den Hintern, versöhnte mich aber gleich wieder mit einem Kuss, bevor er aus dem Bad verschwand.

Als ich fertig angezogen war, lief ich die Wendeltreppe hinunter und folgte dem Lärm auf die Terrasse. Auf den Tischen standen mehrere Pötte Spaghetti und Tomatensoße. Als mich die Anderen bemerkten wurden sie plötzlich ruhig.

An einem Tisch konnte ich jetzt sogar Doreen entdecken.

„Was ist?“, fragte ich.

Julius verschwand mit Julia von der Bildfläche und Barbara stand auf. Ein Gekicher ging durch die Menge.

„So Christopher, das waren mal wieder erlebnisreiche Tage für dich und auch für uns. Umso mehr freut es mich, dich mit noch einer Überraschung zu erfreuen.“

Ich setzte mich und lauschte gespannt Barbaras Worten.

„Ich habe mich heute den ganzen Tag mit Mr. Lukas zusammen gesetzt und ein paar wichtige Telefonate geführt und kann dir voll Freude verkünden, die Anschuldigungen des FBIs sind aufgehoben, die angeblich falsch geführten Bücher, sowie das mit der Sekte!“

„Sekte?“, fragte Thomas.

„Ja, man beschuldigte die Stiftung, Sekten ähnliche Strukturen zu haben“, erklärte Barbara.

„Eigentlich haben sie ja Recht!“, kam es wieder von Thomas.

„Wieso?“, fragten Barbara und ich gleichzeitig erstaunt.

„Tja, ihr müsst doch zugeben, wir sind alle Christopher hörig, oder?“, konterte Thomas, was wieder zu allgemeinem Lachen führte.

Ich stand auf ging zu Barbara und umarmte sie.

„Danke Barbara, wenn ich dich nicht hätte!“

Auch Mr. Lukas fiel ich um den Hals. Was ich nicht bemerkte, Michael war auch aufgestanden.

„So Leute, bevor wir über das tolle Essen herfallen, habe ich auch noch etwas zu verkünden.“

Alles wurde wieder ruhig und alle sahen gespannt zu Michael.

„Ihr wisst, Christopher und ich sind jetzt fast sechs Jahre ein Paar und um diesen Anlass richtig zu feiern, am sechsten Jahrestag, möchten ich und Christopher euch alle zu unserer Hochzeit in der Gospelkirche einladen!“

Ein wildes Gejohle begann und ich stand fassungslos vor Michael. Julius und Julia kamen mit zwei Tabletts Sektgläser heraus und verteilten sie.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll Michael…“, meinte ich.

„Du musst nur JA sagen!“, rief Joey und alle fingen sie wieder an zu lachen.

Ich nahm Michael in den Arm und mir war es egal, wie viele um uns herum standen. Ich küsste ihn herzlich und war der glücklichste Mensch auf der Welt. Julius reichte mir ein Glas und alle stießen wir gemeinsam an, bevor wir uns über das Essen hermachten.

*-*-*

„Boah, diese scheiß Krawatte, ich krieg bald zuviel!“, rief ich und friemelte wieder den Knoten auf.

„Ganz ruhig!“, meinte Julius und band mir die Krawatte.

„Danke!“, sagte ich und schaute ihn verklärt an.

„He, dass ist nur eine Krawatte!“

„Nein Julius, dass ist es nicht allein. Du warst immer wie ein Vater für mich, die ganzen Jahre hast du mich begleitet und nun begeleitest du mich zum Traualtar, wo ich in einer halben Stunde deinen Sohn heirate.“

Ich spürte wie meine Augen feucht wurden.

„Hör auf, deine Schminke verläuft sonst noch!“

Ich musste lachen und tupfte mit einem Taschentuch, das mir Julius reichte, die feuchten Augen trocken.

„Hör mal Christopher, alle die Jahre, die ich dich nun gedeihen sehen konnte, war immer spannend für mich. Ich habe dich in mein Herz geschlossen, wie ein Sohn und es macht mich glücklich, dich zum Altar begleiten zu dürfen.“

Ich schluckte schwer und wir fielen uns in die Arme.

„So nun komm, sonst kommst du zu spät zu deiner Hochzeit!“

Er rückte noch einmal meine Krawatte zurecht, bevor ich ihm nach draußen folgte. Ich traute meinen Augen kaum. Da stand doch tatsächlich ein Rolls Royce vor unserem Haus.

„Eine kleine Überraschung vom Amt!“, sagte Julius, dem ich sprachlos zum Wagen folgte.

Er öffnete die Tür und ich stieg ein. Auf der Motorhaube konnte ich ein großes Gesteck ausmachen, mit weißen und lilafarbenen Flieder. Julius ließ sich neben mir nieder und der Motor startete.

Klar zog der Wagen, der gemächlich durch die Stadt tuckerte alle Augen auf sich. Und wenig später fuhren wir an der Kirche vor. Mein Herz schlug mir bis zum Kopf, ich war aufgeregt, wie noch nie in meinem Leben.

Julius drückte mit kurz die Hand, bevor er ausstieg und mir die Tür offen hielt. Etwas benommen stieg ich ebenso aus, ohne richtig zu wissen, was jetzt auf mich zukam. Die ganzen Wochen vor der Hochzeit, wurde um mich herum getuschelt und geflüstert.

Leon und Christian hatten sich prima bei uns eingelebt und Tommaso, angesteckt von Bastian, wollte nun auch Krankenpfleger lernen. Etwas unsicher lief ich neben Julius her, bis wir die große Holztür der Kirche erreichten.

Ich blieb kurz stehen und atmete noch einmal tief durch.

„Bereit?“, fragte Julius.

Ich nickte und er drückte den Griff hinunter und schob die Tür auf. Von drinnen konnte ich Gemurmel wahrnehmen, was aber verstummte, als ich mit Julius das Gotteshaus betrat. Ein Klavier fing an zu spielen, die Melodie kam mir bekannt vor.

Aber erst, als Stimmen einsetzten wurde mir bewusst, wer da sang und ich konnte es fast nicht glauben. Da sangen Westlife „When you tell me you love me”. Ich konnte durch die Bank weg nur grinsende Gesichter erkennen, während ich mit Julius den langen Gang zum Altar langsam vorschritt.

Alle waren sie gekommen. Ich sah Kai mit seiner Freundin, natürlich auch Sebastian und Phillip, Kevin, Andreas, Max und die ganze Bande waren da. Ob jemand mein Herz schlagen hören konnte?

Vorne am Altar konnte ich Michael erkennen, neben ihm Nico und Carsten. Ich musste lächeln, als ich Nico im Anzug sah, er sah richtig goldig aus. Das Lied nahte seinem Ende und wir kamen am Altar an.

Michael und ich hatten uns für die kurze Messe entschieden, die ein befreundeter Pfarrer von Julius abhielt. Ich stellte mich neben Michael, der mich ermunternd anlächelte. Nach ein paar kurzen einleitenden Worten des Pfarrers, sangen noch einmal Westlife.

Diesmal war es „My Love“ und ich musste mich jetzt ehrlich zusammen reisen um nicht loszuheulen. Dann begann die eigentliche Zeremonie. Alle standen auf und es wurde still. So still, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.

„Willst du Christopher Miller, den hier anwesenden Michael Brecht zu deinem Manne nehmen?“

Ich schaute zu Michael.

„Ja, ich will!“

Leises Gekicher ging durch die Kirche.

„Willst du Michael Brecht, den hier anwesenden Christopher Miller zu deinem Mann nehmen?“

Michael schaute mich mit großen Augen an, aber es kam nichts. Machte er jetzt einen Rückzieher, bekam er Panik?

„Ja ich will dich heiraten, ja sagen, mit dir den Bund der Ehe einzugehen, den Mann zu lieben, der mir die letzten sechs Jahre mein Leben versüßte, mir Dinge beibrachte, die mir soviel brachten, mir Dinge zeigte, ohne die mein Leben heut uninteressant wären. Ich will den Mann lieben und ehren mein Leben lang, nichts soll zwischen diese Liebe treten, weil du für mich etwas Besonderes bist, die Liebe meines Lebens eben.“

Für einen kurzen Augenblick, war es wieder Mucksmäuschen still. Dann brach ein Gejohle und Geklatsche in der Kirche an, wie ich es noch nie erlebt habe.

„Du kannst wieder atmen!“, flüsterte Micha mir zu.

Ich wusste nicht was ich sagen sollte, diese Liebeserklärung, zog mir fast die Beine weg. Jetzt konnte ich es nicht mehr verhindern, Tränen liefen über meine Wangen.

„Wie sagt man so schön, nun seid ihr Mann und Mann!“, kam es vom Pfarrer, „ du kannst den Bräutigam jetzt küssen Michael!“

Und das ließ er sich nicht zweimal sagen!

Und dann stimmten Westlife zu ihrem letzten Lied an.

Took my hand
Touched my heart
Held me close
You were always there

By my side
Night and day
Through it all
Maybe come what may

Swept away on a wave of emotion
Overcaught in the eye of the storm
And whenever you smile
I can hardly believe that you’re mine
Believe that you’re mine

This love is unbreakable
It’s unmistakeable
And each time I look in your eyes
I know why
This love is untouchable
I feel that my heart just can’t deny
Each time I look in your eyes
Oh baby, I know why
This love is unbreakable

Shared the laughter
Shared the tears
We both know
We’ll go on from here

Cause together we are strong
In my arms
That’s where you belong

I’ve been touched by the hands of an angel
I’ve been blessed by the power of love
And whenever you smile
I can hardly believe that you’re mine

This love is unbreakable
It’s unmistakeable
Each time I look in your eyes
I know why
This love is untouchable
I feel that my heart just can’t deny
Each time you whisper my name
Oh baby, I know why

This love is unbreakable
Through fire and flame
When all this over
Our love still remains

This love is unbreakable
It’s unmistakeable
And each time I look in your eyes
I know why
This love is untouchable
I feel that my heart just can’t deny
Each time you whisper my name
Oh baby, I know why
Cause each time I look in your eyes
Oh baby, I know why

This love is unbreakable

(c) westlife

Alles summte mit, jeder war von diesem Lied gefangen. Ich nahm Michael in den Arm und küsste ihn. Jetzt konnte ich alles schaffen, mit ihm als Mann an meiner Seite, war ich bereit Berge zu versetzten.

Seine Liebe, sein Glaube an mich, seine immer fortwährende Liebe, hatte mir geholfen, dieser Mensch zu werden, der ich heute war. Was im Kleinen begann, wurde etwas Großes. So wie es eigentlich immer sein sollte.

Wenn jeder nur ein Schritt nach vorne geht, so kommen wir uns alle näher, durch Ehrlichkeit und Offenheit. Ein kleiner Schritt für uns…, ein riesiger für die Menschheit!!!

** Ende **

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