Das Internat – Teil 4

Mir kam das schon wie eine Ewigkeit vor. Seit vier Wochen war ich nun hier, ging jeden Tag hinüber zur Schule und mittags wieder in mein Zimmer. Zum Lernen hatte ich absolut keinen Bock. Ich schnappte mir meine Zigaretten und beschloss spazieren zu gehen.

Da war ich alleine mit meinen Gedanken und niemand störte mich. Schnell war ich gegenüber vom Berufschulzentrum in den Wald gebogenund lief nun alleine. Ich zündete mir eine Zigarette an und stieß das nasse Laub weg, dass den Weg vollkommen einnahm.

Noch fünf Wochen dann war Weihnachten. Noch eine Woche und der Kurs war vorbei. Wenn ich dann wenigstens wieder heim könnte. Nein, irgendein Arsch hatte vergessen für das zweite Lehrjahr, den zweiten Blockunterricht anzusetzen.

Und nun war ich hier, war schon im dritten Lehrjahr und hatte den zweiten und dritten Block hintereinander. Aber andererseits, was sollte ich zu Hause. Da hatte ich nur Krach mit meinem Vater und die Freunde…, die sich als Freunde ausgaben und doch keine waren.

Also war es egal, wo ich war. Tränen rannen mir über meine Wangen. Ich fühlte mich so alleine. Wie konnte man sich nur so alleine fühlen, wo doch so viele um einen herum waren. Nach der Sache mit Moritz, hatte ich mich eh zurückgezogen.

Mich einfach aus Rache vor den Anderen zu outen. Na ja, seitdem wusste ich wer ein Freund war und wer nicht. Und das Zweite, war wohl bei den Meisten jetzt der Fall. Und dann heut Morgen die Geschichte mit Markus.

Mich kotze einfach alles nur noch an. Ich mochte Markus wirklich, trotz dass er mit seinem Geld immer angab. Beruf Sohn eben. Aber nur weil er meine Freundschaft nicht erkaufen konnte zu sagen, ich wäre schwul ich hätte ihn angemacht.

Ich verstand es einfach nicht. Wie konnte ein Mensch nur so sein, was für Menschen waren Moritz und Markus nur. Eiskalt und unberechenbar? So würde ich  nie sein. Mittlerweile saß ich auf dem Boden und hatte mich an einen Baum angelehnt.

Nebel hatte sich über Calw zusammengezogen es lag da wie mit Zuckerwatte bedeckt. Nun qualmte ich schon an der dritten Zigarette. Ich spürte wie die Feuchtigkeit an mir hochzog. Eine ordentliche Lungenentzündung, da wäre ich weg vom Fenster, keiner würde mir nach heulen.

Nur ich saß hier und heulte wie ein kleines Kind. Langsam wurde mir kalt und machte mich auf den Rückweg. Wenn ich so weiter qualmte, musste ich mir einen Zigarettenautomaten suchen. Schnell war ich wieder zurück und der große Gebäudekomplex tauchte von mir auf.

Ich sprang die Treppe rauf und lief grußlos an den anderen Rauchern vorbei, die vor der Tür standen und eh keine Notiz von mir nahmen, oder sollte ich sagen, von mir abwandten? Ich wollte schon in dem Flur zu meinem Zimmer hoch stürmen, als sich Mutsch, die Leiterin des Internats, mir in den Weg stellte.

„Kannst mir mal sagen was los ist?“, begann sie, „Wolfi war vorhin bei mir, du hättest den ganzen Mittag geheult.“

„Ach nix“, sagte ich und wollte an ihr vorbei.

Aber sie zog mich ins Büro.

„Da setz dich an die Heizung, bist ja völlig nass“, kam es im ernsteren Ton.

Ich machte das, was sie mir aufgetragen hatte, war mir jetzt eh alles egal.

„Du wirst dich doch nicht von diesem Arschloch fertig machen lassen?“, sprach sie weiter.

Mir stiegen wieder die Tränen in die Augen.

„Was soll ich denn machen, die glauben doch eh alle dem!“, schluchzte ich, „ich bin eine homosexuelle Ratte, die an ihm rumgrabscht.“

„Na und? Dann bist du halt schwul, aber das ist doch kein Grund, so down zu sein.“

Entgeistert sah ich Mutsch an.

„Peter, ich habe das schon lange gemerkt, du brauchst mir nichts vorzumachen.“

„Ich habe ihn aber nicht angelangt“, meinte ich, senkte den Kopf und begann wieder zuheulen.

„Peter schau mich bitte an.“

Ich schaute auf, konnte aber vor lauter Tränen nur verschwommenes wahrnehmen. Mutsch nahm mein Gesicht in ihre Hände.

„Wolfi hat mir erzählt, was da heut morgen abgegangen ist. Der Arsch ist doch nur eifersüchtig, dass immer alle bei dir stehen und er mit seinem vielen Geld nichts erreicht!“

„Bis jetzt jedenfalls nicht, seit heut morgen drehen sich alle weg, bis auf Wolfi, keiner hat sich am Mittagessen zu mir an den Tisch gesetzt.“

„Bis auf mich.“

Wolfi war ins Büro gekommen und ließ sich neben Mutsch auf einen Stuhl nieder. Er war eigentlich ein unauffälliger Typ, recht schlank gewachsen und immer ein schwarzes Wirrwarr auf dem Kopf. Mit ihm verstand ich mich recht gut, er wusste auch als erstes, dass ich schwul bin, irgendwie spürt man bei manchen Menschen gleich, ob man ihnen vertrauen kann.

„Ja“, sagte ich und wischte mir die Tränen weg.

Wolfi hielt mir seine Zigarettenschachtel entgegen, ich nahm dankend an. Mutsch gab mir Feuer und so atmete ich den ersten Zug tief aus.

„Besser?“, fragte Mutsch.

Ich nickte, zitterte aber immer noch.

„Du Mutsch, Maik ist doch Ende dieser Woche fertig, dann wird das Bett bei mir frei“, kam es von Wolfi.

„Ja und?“

Er zog an seiner Zigarette und schnippte in den Aschenbecher.

„Dachte, vielleicht will Peter das Zimmer wechseln, der Looser bei ihm ist auch nicht besser, als der Rest des Haufens.“

„Von mir aus“, sagte Mutsch und schaute mich an.

„Du willst eine schwule Ratte im Zimmer haben?“, ich lachte hysterisch auf.

„Peter, hör auf!“, sagte Mutsch ernst.

Schnell war ich wieder stumm.

„He Peter, die Sache ist doch schon lange gecheckt, ich stehe auf Weiber, du auf Kerle… na und?

„Ich bin nicht mal dein Typ, haste selber gesagt, also hab ich auch nichts zu befürchten.“

Ich schaute Wolfi an und musste grinsen. Er brachte mich oft zum Lachen. Ich war zwar nicht mit seiner Sauferei und auch nicht auf die Raserei mit seinem Auto gut zu sprechen, aber ich mochte ihn. Er behandelte mich wie ein normaler Mensch.

„Ich kann wirklich zu dir ziehen?“, fragte ich leise.

„Maik ist nur noch bis Mittwoch da.“

Ich schaute zu Mutsch.

„An mir soll es nicht liegen, du musst mir nur den alten Schlüssel bringen und mit dem Neuen tauschen“, meinte sie, ging ans Telefon, das zu klingeln begann.

„Schülerwohnheim, Langer….. Moment, muss gucken, ob der sich hier herum treibt.“

Sie legte den Hörer zur Seite und verließ das Büro, Richtung Flur. Wir hörten sie Tom brüllen, bevor sie wieder zu uns zurück kam.

„He, und es gibt auch andere süße Jungs“, meinte Wolfi zu mir, und riss mich aus dem Gedanken.

Einer lief grad ans Telefon im Flur. Mutsch verband, das Gespräch und legte auf. Sie sah, an was mein Blick haftete.

„Schmink dir den ganz schnell ab. Der ist überhaupt nichts für dich“, kam es von Mutsch.

„Wie.. .was?“, meinte ich und schaute sie verwirrt an.

„Hast mich schon verstanden“, antworte sie und Wolfi fing hämisch an zu grinsen.

Wolfi half mir auf.

„Ich geh mal was anderes anziehen, vor dem Abendessen“, meinte ich und verließ das Büro.

Ich spürte die Blicke der Anderen, die im Flur standen, versuchte aber nicht darauf zu reagieren. Ich lief einfach die Treppe hoch in mein Zimmer.

*-*-*

Die Anderen hatten sich bereits von Maik verabschiedet und saßen nun beim Abendessen. So schnell konnten zwei Tage vorüber gehen, und ich hatte Gott sei Dank Ruhe gehabt in meiner Klasse.

Wolfi wich mir keine Zeit von der Seite, er ließ mich nirgends alleine hingehen. Und nun, während die anderen beim Abendessen saßen, packte ich meinen Krempel auf die Bettdecke und trug es einen Stock höher in Wolfis Zimmer.

Am Schluss trug ich den Kassettenrekorder hinauf, bevor ich zu Mutsch runterlief, um ihr meinen alten Zimmerschlüssel zu geben.

„Hoppla, das ging aber schnell“, sagte sie und nahm den Schlüssel entgegen.

„Ich wollte keine Sekunde länger bei diesem… Depp im Zimmer bleiben“, meinte ich und bekam meinen neuen Schlüssel.

„Was machst du?“, fragte ich sie, als ich an ihrem Tisch stand.

„Ich geh noch mal die Karteikarten durch, über die Neuzugänge, ob ich auch nichts vergessen habe.“

„Alle neu?“

„Nein, es sind auch noch Drittkursler dabei, die mit euch den Abschluss machen. Oh, stimmt ja der kommt auch wieder.“

„Wer?“

„Luisian, und ich glaube, der gefällt dir?“

„Wer gefällt wem?“

Wolfi kam ins Büro. Ich hob den Schüssel hoch, ihm unter die Nase.

„Ich wollte dir doch helfen!“, sagte er.

„Zu spät, schon passiert. Und zu deiner Frage, Mutsch will mich verkuppeln.“

„Bei Wolfi, brauch ich das ja nicht mehr zu versuchen!“, sagte Mutsch lachend und sah zum Flur hinaus.

Ich folgte ihrem Blick und wollte schon wieso fragen, aber ich sah das Unheil schon nahen. Da kam Jutta aus dem Speiseraum, und lief schnurr stracks zu Wolfi.

„Vielleicht sollte ich sagen, ich bin auch schwul“, flüsterte Wolfi mir zu, was ihm einen Knuffer von mir einhandelte.

Ich setzte mich zu Mutsch und rauchte eine. Sie und ich mussten uns das Lachen verbeißen, als wir hörten was Jutta alles vom Stapel ließ, um  Wolfi einzugarnen. Der arme Wolfi dachte ich noch. Uschi versuchte, sich weiter in ihre Karteikarten zu vertiefen, was aber ordentlich fehl schlug, als Wolfi zu stottern anfing und ich laut losprusten musste.

Er zog Jutta aus dem Büro und ersparte uns, jedes weitere Detail.

„Ich glaub, der ist vom Markt“, meinte Mutsch.

„Ja, und ich kann wieder aus dem Zimmer ausziehen!“, hängte ich dran.

„Halt ein mal, keine Damenbesuche auf den Zimmern nach zehn Uhr, junger Mann.“

„Ich empfange auch keine Mädchen“, gab ich gespielt angewidert von mir.

Mutsch sah mich grinsend an und zückte den Finger, der sogleich auch in meine Seite fuhr. Laut quiekend sprang ich von meinem Stuhl auf.

„Hör auf das ist gemein!“, rief ich laut und bemerkte nicht den Pulk, der ins Büro lief.

Erschrocken fuhr ich herum und bemerkte, dass auch Markus unter ihnen war. Mutsch warf mir einen Blick zu und ich setzte mich still wieder zu ihr ins Eck.

„Wollen wir heut Abend noch wegfahren?“, hörte ich Markus fragen.

Etwas durcheinander bejahten alle die Frage.

„Ich zahle auch die erste Runde“, hörte ich Markus sagen.

Boah, was denkt der Typ eigentlich. Ich spürte Mutsch Hand auf meinem Knie, die wohl bemerkte, was in mir vorging.

„Ich sage nichts“, flüsterte ich ihr leise zu.

*-*-*

Es war wieder ein Wochenende wie jedes andere gewesen. Müde saß ich nun in der ersten Unterrichtstunde und quälte mich durch den Unterricht. In der großen Pause, lief ich hinüber ins Internat.

Dort stand eine kleine Schlange vor dem Büro, wie damals, als ich selbst hier anreiste. Ich drängte mich an den Leuten vorbei und setzte mich bei Mutsch in die Ecke um eine zu Rauchen. Während ich an meiner Zigarette zog, blickte mich Mutsch kurz an und lächelte, bevor sie sich wieder ihrer Anmeldung widmete.

Ich ließ meinen Blick über die Anhäufung von Leuten wandern und blieb an einem Typ hängen. Er war einen Kopf kleiner als ich, so um die 1,75, hatte braune Haare, die wild seine Stirn verdeckten, aber die braunen Augen besser zu Geltung brachten.

Vom Körper her, war er eher Durchschnitt, und doch hatte er was an sich, was mein Interesse weckte. Er würde als nächstes dran kommen.

„Morgen Mutsch“, hörte ich ihn sagen.

Seine Stimme war angenehm und weich.

„Morgen Luisian, auch wieder in unserer ehrwürdigen Behausung?“, fragte sie.

„Was bleibt mir anderes übrig, es treibt mich immer wieder zu dir“, antwortete er.

Mir blieben seine kurzen Blicke nicht verborgen, die er mir zuwarf. Er unterschrieb auf der Liste und nahm seinen Schlüssel in Empfang. Ich schaute auf meine Uhr und stellte fest, dass es Zeit war, mich wieder in die Schule zu begeben.

Der Rest des Morgens verlief schleppend und zäh. Einige Lehrer meinten gleich ihren ganzen Stoff durchziehen zu müssen. Als es zum letzten Mal klingelte, ging ein erleichterndes Aufatmen durch die Klasse.

Ich packte meine Sachen zusammen und lief neben Wolfi hinüber ins Internat.

„An was denkst du?“

Ich fuhr ein wenig zusammen, weil er mich aus dem Gedanken riss.

„Wieso fragst du?“

„Ach, ich wollte nur sagen, dreh die Zigarette um, oder du zündest den Filter an“, meinte Wolfi und grinste.

„Ähm… wie?“

Tatsächlich, ich hatte mir gedankenverloren die Zigarette verkehrt herum in den Mund gesteckt und war fast dabei sie so anzuzünden.

„Rauchen will gelernt sein“, konnte sich Wolfi seine Bemerkung nicht verbeißen.

Er rannte vor mir die Treppe hinauf, wo sich schon etliche zum Rauchen versammelt hatten. Der Typ von vorhin, Luisian, war nicht dabei.

„Willst du gleich bei Mutsch bleiben?“, fragte mich Wolfi.

„Klar!“

„Dann gib deinen Rucksack her, ich nehm ihn mit hoch, muss auf die Toilette.“

„Oh, danke.“

Wolfi verschwand ins Treppenhaus und ich ging ins Büro. Dort saß dieser Luisian bei Mutsch und ich unterließ es mich auf meinen Stammplatz in der Ecke zu setzen. Stattdessen suchte ich mir einen Platz auf der anderen Seite, des großen Schreibtisches.

„Und Peter, Schule gut herumgebracht?“, fragte Mutsch.

„Wie kannst du Schule und das Wort gut in einem Satz unterbringen?“, fragte ich und zündete endlich die Zigarette an, die schon mehr als krumm in meinem Mund hing.

Wolfi kam herein und wenig später sein Schatten, welchen wir Jutta zu nennen pflegten.

„Was gibt es heute zu Essen?“, fragte er und durchbrach die Stille.

„Schau selber nach!“, kam es von Mutsch.

Wolfi ging vor die Bürotür und lass dort den Speiseplan der Woche.

„Was hat den die angesprungen, da gibt es irgendeinen Biofraß.“

„Lieber Herr Müller, würdest du bitte die rechte Spalte lesen, links ist die für unsere Vegetarier“, kam es von Mutsch.

Ich musste grinsen, denn Wolfi verzog auch hier sein Gesicht.

„Das ist auch nicht besser“, meinte Wolfi und setzte sich zu uns an den großen Schreibtisch.

„Beschwer dich bei den Köchen, wir sind nicht für das Essen verantwortlich“, sagte Mutsch.

„Sind die hier auch auf das Internat gegangen?“, fragte Wolfi mit einem frechen Lachen.

Mutsch sprang auf, und stürzte sich auch Wolfi, begann ihn durchzukitzeln. Der rutschte quiekend, fast vom Stuhl. Mein Blick wanderte zu Luisian und schaute ihm plötzlich direkt in die Augen. Er wandte seinen Blick nicht ab und ich konnte nicht, war irgendwie gefangen.

Wolfi war mittlerweile vom Stuhl gerutscht und lag lachend auf dem Boden.

„Hör auf, Mutsch!“, schrie er, „was sollen die anderen von dir denken? Dass du was mit mir hast?“

„Mir ist scheiß egal, was die anderen reden oder denken“, meinte sie und kitzelte ihn weiter.

Luisian Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, aber sein Blick wich nicht einen Zentimeter. Mutsch ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen und bemerkte wohl diesen intensiven Blickkontakt zwischen mir und Luisian.

„Hat jemand Lust heute Mittag, Kaffee trinken zu gehen, wenn ich Dienstschluss habe?“, fragte sie.

Erst jetzt kam ich irgendwie wieder zu mir und nickte, aber bevor ich es sagen konnte, war Wolfi schneller.

„Mutsch du kannst bei mir mit fahren, und du?“, er schaute Luisian an, „ich weiß gar nicht wie du heißt.“

„Luisian, heiße ich“, meinte er und streckte Wolfi die Hand entgegen.

„Wolfgang, aber alle nennen mich Wolfi. Das hier ist Jutta, und dieser verschlafene, langweilige

Typ dir gegenüber ist Peter.

„Ich finden ihn nicht so langweilig“, meinte Luisian, wieder mit diesem Lächeln.

Was war das hier? Ein Kupplerbüro? Alle schauten mich an und grinsten.

„Was?“, fragte ich genervt und drückte meine Zigarette aus.

„Kann Luisian bei dir mitfahren?“, fragte Wolfi.

„Ähm…, natürlich kann er das!“, antwortete ich.

„Danke!“, kam es vom Luisian.

Ich war echt drauf und dran, diesem Typen zu verfallen. Sein Lächeln war so entwaffnend, dieser Blick mit den strahlenden Augen, ging mir durch Mark und Bein.

„Peter!“

Ich schaute zu Wolfi.

„Ja?“

„Deine Kippe!“

„Was?“

„Dreh deine Kippe um!“

Alles fing an zu lachen, denn ich hatte schon wieder die Zigarette falsch herum in den Mund gesteckt. Etwas beschämt schaute ich zu Boden und drehte sie um. Weil noch mehr Leute ins Büro stürmten, beschloss ich mich doch auf meinen Stammplatz zu setzen.

Ich drückte mich an den Leuten vorbei und setzte mich auf den Boden, vor die Heizung. Luisian schien das alles beobachtet zu haben, er machte den Stuhl für Wolfi frei und ließ sich neben mir nieder.

Etwas verlegen schaute ich ihn an, und dann kam wieder dieses Lächeln mit demselben Blick von eben.

„Was ist so interessant an mir, dass du mich laufend anschaust?“, fragte er.

„Ich weiß es nicht“, meinte ich leise.

„Wo kommst du her?“

„Aus Karlsruhe und du?“

„Aus dem Saarland.“

„Saarland und warum gehst du dann hier zur Schule?“

„Weil ich bei Freudenstadt in einem Restaurant lerne.“

„Koch?“

„Ja, aber habe schon eine Ausbildung, als Hotelfachmann hinter mir.“

„Wow, zweimal diesen Käse durchziehen, ich könnte das nicht!“

„Ich habe jetzt ein Jahr angerechnet bekommen, also muss nur zwei Jahre Koch lernen.“

„Und was machst du dann?“

„Ich weiß es noch nicht, mir vielleicht etwas zu Hause suchen.“

Die ganze Zeit sah ich in seine Augen und versank allmählich darin.

„Du hast schöne Augen, weißt du das?“, sagte Luisian plötzlich.

Hatte ich richtig gehört, er fand meine Augen schön?

„Ähm… danke. Ich hab so ein Kompliment noch nie… von einem Kerl bekommen“, meinte ich verlegen.

„Nicht? Ich dachte, bei dir stehen sie reihenweise an.“

Ich schaute zu Boden und spürte, wie meine Tränen sich wieder ihren Weg bahnten.

„Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich dachte du seihst auch…“, er brach seinen Satz ab und schwieg, blieb aber neben mir sitzen.

„Nein, … du hast schon recht, ich bin schwul“, sagte ich leise.

Er hob mit seiner Hand mein Gesicht in seine Richtung an.

„Und warum dann diese Tränen?“, fragte er genauso leise und sanft.

„Alle hier meiden mich, weil ich schwul bin.“

Sanft strich er mir eine Träne mit dem Daumen von der Wange und lächelte wieder.

„Alleine bist du nun nicht mehr“, sagte er, was bei mir für noch mehr Verwirrung sorgte.

„Du wirst mich jetzt für verrückt halten, aber als ich dich heut morgen zur Tür hereinkommen sah, dacht ich spontan, der oder keinen anderen.“

Ich wollte etwas sagen aber meine Stimme versagte, dafür rannen meine Tränen noch mehr.

„Pscht…, nicht weinen“, sagte er wieder sanft und nahm mich in den Arm.

Ich wusste nicht was mit mir los war, aber ich erzählte diesem Typen, was alles in den letzten Monaten vorgefallen, dass ich nur Pech hatte und zu Hause geoutet worden war. Auch, dass ich durch diese Aktion viele Freunde verlor.

Er saß immer noch dicht neben mir, hatte einen Arm um mich gelegt. Gespannt hörte er mir zu und unterbrach mich nicht ein einziges Mal.

„Und nun auch noch dieser Typ, ich hab ihn schon gesehen. So hätte ich ihn auf den ersten Blick gar nicht eingeschätzt“, meinte er.

„Ich am Anfang auch nicht“, sagte ich und kuschelte mich ein wenig mehr an ihn.

*-*-*

„Jetzt weiß ich auch warum du so groß bist“, lachte Luisian, als er die zwei Stücke Erdbeerkuchen vor mir sah.

Wir saßen im Cafe, die anderen hatten bereits ihren Kuchen und ich bekam ihn als letztes.

„Von nichts kommt nichts, möchtest du probieren?“, fragte ich.

Er lächelte und nickte mir zu. Ich nahm ein Stück auf meine Gabel und hob es Luisian hin. Der zog es genüsslich, mit seinen Lippen von meiner Gabel. Mutsch beobachtete uns grinsend, sagte aber nichts.

„Der ist gut, willst du von meiner Cremetorte auch probieren?“

Diesmal war es anderst herum und er schob mir Kuchen in den Mund. Das Thema am Tisch war wie üblich Schule und Prüfungen, wo ich mich aber eher zurückhielt. Meine volle Aufmerksamkeit war auf Luisian gerichtet, mit dem ich die ganze Zeit rumturtelte, wie zwei Teenager.

Anschließend beschlossen wir noch durch die Altstadt von Calw zulaufen. Da es doch sehr kalt war, waren wir dick angezogen, unsere Gesichter halb vermummt hinter dicken Schals. Ich hatte wie immer bei diesem Wetter eiskalte Hände.

Während des Laufens, suchte Luisian meine Hand. Etwas erschrocken zog er seine Hand zurück, als er meine Hand spürte.

„Boah, das sind ja Killerhände“, meinte er.

„Mir ist ja auch kalt“, erwiderte ich.

„Dann wird ich meinen Großen doch mal wärmen müssen.“

Er hatte meinen Großen gesagt. Ich begann zu lächeln, als er wieder meine Hand nahm. Sie war warm und sanft und ich merkte sofort die Wärme, die meinen Körper durchflutete.

„Einen richtigen Freund hast du also noch nicht gehabt?“, fragte er plötzlich.

Ich schaute ihn an und schüttelte den Kopf.

„Hast du… ich meine… willst du einen festen Freund?“

„Ja, natürlich!“, erwiderte ich leise.

„Schon jemand in Aussicht?“

Bei dem Wort ja, merkte, wie meine Wangen rot wurden. Ich blieb stehen und sah ihm wieder in seine Augen.

„Mich?“, fragte Luisian gespielt überrascht.

„Ich habe das Gefühl, dich schon ewig zu kennen, fühl mich so wohl und geborgen bei dir!“, hauchte ich ihm leise ins Ohr.

„Geht mir nicht anderst“, sagte er leise.

Ich achtete nicht darauf, was um uns herum geschah, denn ich gab ihm einfach einen Kuss auf die Wange. Er begann wieder zu lächeln und zog mich an sich heran. Der Kuss, der folgte, ließ mich für kurze Zeit alles um mich herum vergessen

„Könnten die zwei Herren weiterlaufen? Ihr versperrt den Verkehr!“, hörte ich Mutsch plötzlich sagen.

„Verkehr hat man im Bett und nicht hier auf der Strasse“, sagte Wolfi.

Mutsch knuffte ihm in die Seite und wir begannen zu lachen. Hand in Hand folgten wir den anderen. Immer wieder küssten wir uns kurz, warfen uns begehrliche Blicke zu. Es schien noch ein wundervoller Abend zu werden.

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