Der Reiterhof – Teil 2

Peter

„Und warum bist du nicht bei ihm geblieben?“, fragte Georg.

„Weil er mir, gelinde gesagt, eine Spur zu Scheiße drauf war. Habe keine Lust, mich am frühen Morgen anmotzen zu lassen“, kam es von Alexander.

„Bist du deshalb mit Brauner hier draußen?“

„Ja!“

Mein Bruder und heulen – das gab es ja noch nie. Schnurstracks lief ich in den Stall, konnte aber außer den Pferden niemanden sehen. Also ging ich zu der Box, in der Tims Schulpferd stand.
>Da Vinci< was für ein Name. Aber auch hier konnte ich Tim nicht entdecken.

„Tim?“, fragte ich leise.

Aber bis auf ein leises Wimmern aus Da Vincis Box konnte ich nichts hören. Ich trat an die Boxentür heran und schaute mir die Box näher an. In der Ecke, zusammengekauert an die Tür gelehnt, saß Tim.

„Tim“, meinte ich und öffnete die Boxentür.

Er schaute kurz auf und ich konnte seine verweinten Augen sehen.

„Tim, was ist los?“, fragte ich und setzte mich neben ihn auf den Boden.

„Geh weg, du musst mich doch hassen!“

Bitte, war ich jetzt im falschen Film? Was hatte das jetzt zu bedeuten?

„Wieso hassen? Auf was für einem Trip bist du denn?“

„Geh einfach“, kam es nun etwas lauter von Tim.

Da Vinci schien die Laune von Tim ebenfalls zu stören. Er wiehrte etwas lauter und stieß bedenklich mit seinem Vorderhuf auf den Boden.

„Komm wenigstens hier raus, auch wenn du nicht mit mir reden möchtest“, meinte ich besorgt.

Er drehte den Kopf weg und sagte nichts mehr. Ich seufzte und stand auf. Aus meiner Tasche pfriemelte ich ein Leckerli und gab es dem Pferd. Die Stalltür ging auf und ich konnte Georg mit Tobias entdecken.

„Und?“, fragte Georg.

Ich zeigte zu Boden und zuckte hilflos mit den Schultern. Georg trat an die Box heran und konnte nun auch Tim sehen. Tobi stand dicht hinter ihm.

„Drüben hinter der Tür findet ihr die Sattel. Namen der Pferde stehen darüber. Wie man ein Pferd sattelt müsstet ihr ja wissen, oder? Ich kümmere mich um Tim, okay?“

Ich wollte schon etwas sagen, aber Tobi kam mir zuvor.

„Geht in Ordnung“, sagte Tobi und zog mich aus der Box.

„Ach Tobi, bring mir doch bitte erst den Sattel von Da Vinci, bevor du deinen holst.“

„Wird gemacht!“

„Draußen wartet Alexander dann auf euch.“

Mir blieb gar nichts anderes übrig als zu nicken, denn Tobi zog mich Richtung beschriebener Tür.

„Sollt ich nicht doch lieber bei meinem Bruder bleiben?“, fragte ich.

„Um den kümmert sich jetzt Georg, wir gehen reiten!“

Tobi stand so bestimmend vor mir, seine Augen so ausdrucksvoll, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als ihm zu zustimmen. Irgendwie war schon klar, wer von uns beiden die Hosen anhatte.
Ich folgte ihm in den Raum und suchte Gahnas Sattel. Gleich der zweite war ihrer. Die Decke, die dabei hing, nahm ich auch gleich mit.
Ich gesellte mich wieder zu Gahna, aber nicht ohne rüber zu Tim zu schauen. Ich konnte weiterhin nur Georg sehen, der leise irgendetwas sagte. Also widmete ich mich Gahna und legte ihr den Sattel an.
Schnell hatte ich den Gurt unter ihrem Bauch durchgezogen und schloss ihn mit den zwei Riemen. Ich nahm die Trense vom Haken der Boxenwand und legte sie Gahna an. Brav ließ sie alles über sich ergehen.
Anscheinend hatte Tobi mehr Schwierigkeiten mit Jacco. Er wich immer aus und so konnte Tobi nicht einmal den Sattel draufsetzen.

„Soll ich dir helfen?“, fragte ich.

„Ja, könntest du mal Jacco halten, damit er mir nicht immer zur Seite tritt.“

„Klar.“

Ich trat zu ihm in die Box und nahm Jacco an der Trense. Mit etwas Geduld schaffte Tobi es, den Sattel auf Jaccos Rücken zu bringen. Er sträubte sich zwar immer noch, aber Tobi hatte den Gurt bereits festgezogen.

„So, fertig!“, meinte Tobi.

„Okay, ich geh mit Gahna schon raus.“

Gesagt – getan. Ich zog Gahna aus ihrer Box und lief mit ihr nach draußen zu Alexander. Die anderen schienen auch endlich fertig gefrühstückt zu haben. Ein Pulk strömte aus dem Haus, gefolgt von Frau Hellmann und einer jungen Frau.
Sie schien die Tochter des Hauses zu sein. Ihre Ähnlichkeit mit Georg war verblüffend.

„Tobi kommt gleich“, meinte ich und zog meinen Helm auf.

Alexander stieg auf seinen Braunen.

„Wo ist Georg?“, fragte Frau Hellmann.

„Noch drinnen, mit Tim – braucht wahrscheinlich Spezialunterricht“, kam es von Alexander.

„Aha… ach so. Gut, du reitest mit den Fortgeschrittenen?“

Was meinte er mit >Spezialtraining

„Ja, kann ich machen“, meinte Alexander.

„Dann müsst ihr noch kurz warten. Hier ist noch ein Mädchen, das auch schon länger reitet“, meinte sie und zeigte auf ein blondes Mädchen.

„Okay, wir warten. Tobi wird sich sicher auch gleich zu uns gesellen.“

Wie aufs Stichwort trat er mit Jacco heraus, während ich auf Gahna stieg.

„Wir müssen noch auf das Mädchen warten, das mit uns reitet“, meinte ich zu Tobi.

Er drehte den Kopf und schaute in ihre Richtung.

Tobias

„Muss das sein?“, grummelte ich.

Ich hatte absolut keine Böcke, dass ein neugieriges Weib mit uns reitet.

„Du willst wohl Alexander als deinen Privatlehrer?“, fragte Peter und grinste.

„He, ich bin schon vergeben“, meinte Alexander frech.

Peter schaute sich nervös um.

„Geht es noch lauter?“, fragte Peter.

Stimmt, ich hatte vergessen wo wir waren.

„Peter, jetzt tu nicht so, wer sollte es schon mitbekommen? Wer euch beobachtet, bekommt es von alleine mit, da bin ich mir sicher“, meinte Alexander.

Das Tor ging auf und Georg kam mit Flex, gefolgt von Tim mit Da Vinci. Tim machte gar keine Anstalten, in unsere Nähe zu kommen.

„Ich würde sagen, wir treffen uns nachher wieder am Strand“, meinte Georg zu Alexander.

„Kein Problem… schwieriger Fall?“, fragte Alexander.

„Eigentlich Kinderkram, aber du weißt ja, wie das ist… wird schon werden“, sagte Georg und stieg auf, „komm, Tim.“

Tim stieg ebenfalls auf und folgte Georg langsam zum Tor hinaus. Wieder öffnete sich das Tor und das blonde Mädchen trat mit einem Schimmel heraus.

„Dann reite ich wohl mit euch“, meinte sie.

„Ja. Ich bin Alexander, der Freund von Georg… können wir?“

„Ich bin Jana“, meinte das Blonde Mädchen beim Aufsteigen.

Peter schaute mich grimmig an und wir folgten Alexander gemeinsam mit Jana zum Tor hinaus. Erst ritten wir noch im Schritt. Jacco tänzelte immer wieder ein wenig, versuchte auch auszubrechen, doch er gehorchte meinen Weisungen.
Diesmal ging es in die andere Richtung als gestern Abend. Wir bogen auf den Feldweg Richtung Wald und Alexander ging in einen gemäßigten Trab über. Die ganze Zeit sprachen wir nichts, bis Jana die Stille brach.

„Ihr reitet auch schon länger?“

Was für eine geistvolle Frage.

„Ja, ich habe zu Hause ein Pferd“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Und ich habe Reitunterricht“, meinte Peter.

„Das habe ich auch. Und wo kommt ihr her?“

„Ich aus Reutlingen und Peter und Tim aus Stuttgart, aber das weißt du sicherlich schon.“

„Wieso sollte ich das wissen?“

„Vielleicht hat es ja mein Bruder erwähnt, er ist manchmal sehr redselig“, kam es von Peter.

„Nein, hat er nicht.“

Und somit war die Konservation wieder beendet. Still folgten wir Alexander. Mit Jacco war es mir ein Leichtes, ihn einzuholen. Jacco reagierte sofort und beschleunigte seinen Trab. Auf gleicher Höhe zog ich kurz am Zügel, damit ich mit Alexander Schritt halten konnte.

„Na, wie war eure erste gemeinsame Nacht“, fragte Alexander verschmitzt.

„Kuschelig“, antworte ich kurz.

„Süß. An meine kann ich mich gar nicht erinnern.“

„Wieso? So etwas vergisst man doch nicht.“

„Ich habe sie auch nicht vergessen, ich kann mich nur nicht daran erinnern, weil ich weg war. Nach einem Hustenanfall, verbrachte Georg die ganze Nacht neben mir im Sessel.“

„Auch rührend. Und ihr seid einfach durchs Reiten zusammengekommen?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich war, wie schon gesagt, auf Kur hier und Georg war die ganze Zeit anwesend.“

„Ach stimmt ja, wegen deinem Husten.“

„Ja, aber der ist mittlerweile so gut wie weg.“

„Und wie hast du gemerkt, dass du etwas für Georg empfindest?“

„Das habe ich sehr schnell gespürt, weil ich mich wohl fühlte in seiner Gegenwart.“

„Und dann habt ihr zusammen gefunden.“

„Nein, so einfach war das nicht. Aber mein Husten hat uns zusammengebracht.“

„Wie das?“

„Es ging darum, die Reiterklamotten anzuprobieren und ich fand es peinlich, mich vor Georg auszuziehen. Dann bekam ich einen Hustanfall. Corinna, Georgs Mutter, ist auch Ärztin. Sie machte mir klar, dass viele meiner Hustanfälle selbst gemacht sind, also wenn mir etwas nicht gefiel, begann ich zu husten.“

„Das wusste ich nicht, dass Frau Hellmann Ärztin ist.“

„Das hängt sie auch nicht an die große Glocke. Jedenfalls fragte sie mich dann, was der Auslöser zu meinem Anfall war. Na ja, nach langem Zögern hab ich ihr dann erzählt, dass Georg der Grund war.“

„Scheint eine nette Frau zu sein, die Hellmann.“

„Ja, Corinna ist voll in Ordnung, Die Hellmanns überhaupt sind in Ordnung.“

Peter

„Habe ich das vorhin richtig verstanden? … Alexander ist Georgs Freund … im Sinne … also, du weißt schon, was ich meine?“, sprach Jana plötzlich weiter.

„Ja, das hast du richtig verstanden.“

„Cool, das würde Fips sicher gut gefallen.“

„Fips?“

„Ja, mein großer Bruder. Er ist zwar nicht schwul, was ich ab und zu bezweifle, aber er treibt sich oft in der Szene rum.“

„Aha.“

„Er hatte bis jetzt auch noch keine Freundin – alles sehr komisch bei ihm.“

„Und du? Hast du schon einen Freund.“

„Seit einem halben Jahr solo…und du?“

„Ähm… na ja…“

Sollte ich das jetzt sagen? Anscheinend hatte sie keine Probleme mit dem Schwulsein.

„Auch solo?“

„Nein, so kann man das nicht nennen.“

„Was meinst du?“

Ich atmete tief durch.

„Ich bin frisch verliebt…“, meinte ich verlegen.

„Etwa hier – jemand von hier? Das ging aber schnell. Wer ist es denn? Ich habe gar nichts mitbekommen.“

Ich spürte, wie das Blut meine Wangen belagerte. Mein Gesicht glühte.

„Der reitet da vorne“, meinte ich leise.

„Bitte? Ich habe dich nicht verstanden.“

Ich zeigte mit meiner Hand auf Tobi.

„Tobias? Echt? Der mit Abstand süßeste Junge in unserer Gruppe? Wow…!“

Na, aber danke auch, ich war wohl nicht ihr Typ. Sie schien aber wirklich kein Problem mit dem Schwulsein zu haben.

„… aber ich glaube, das gibt Ärger“, beendete sie ihren Satz.

Abrupt stoppte ich Gahna, die auch folgsam stoppte.

„Wieso Ärger?“

„Es wurden Wetten abgeschlossen, wer von den Mädels Tobias als erstes herum bekommen würde, dabei ist er schon vergeben. Dann müssen wir uns wohl mit der zweiten Wahl begnügen, oder ist der auch schon vergeben?“

„Wen meinst du?“

„Deinen Bruder!“

„Tim?“, fragte ich erstaunt und animierte Gahna wieder zum Gehen.

„Ja, den finden auch alle sehr goldig.“

„Und wie habe ich abgeschnitten?“

Jana druckste herum, als wollte sie sich vor der Antwort drücken.

„Na?“

„Du… du standst… irgendwie nicht zur Debatte“, antwortete sie kleinlaut.

Es war das zweite Mal, dass ich an Gahnas Zügel recht heftig zog. Wieder blieb sie abrupt stehen.

„Bitte? … äh… Tim und ich sind Zwillinge…, das … verstehe ich jetzt nicht.“

„Was ist denn mit euch dahinten los?“, hörte ich Alexander rufen.

Gahna setzte sich wieder in Bewegung und schnell hatte ich zu Jana aufgeholt.

„Tut mir leid…, dass ich das gesagt habe… aber wir haben wirklich nicht über dich geredet.“

In meinem Kopf hämmerte die Frage >WIESO?<

„Du bist so anders als Tim. So zurückhaltend… ruhig… ich habe dich noch nicht ein Mal lachen gesehen.“

Bei sowas kann dir das Lachen auch vergehen.

„Bist du jetzt sauer auf mich?“, fragte Jana.

„Nein… ich verstehe es nur nicht… ach egal.“

„Und du bist jetzt wirklich mit Tobi zusammen?“

„Na ja…, ich weiß nicht so recht. Ist alles noch so neu.“

„Krass.“

Alexander und Tobi waren stehen geblieben und wir hatten sie endlich eingeholt.

„So Leute. Ich hoffe, ihr traut euch in einem gemütlichen Galopp da den Hügel hinauf. Mal sehen, wer erster oben ist“, meinte Alexander.

Kaum hatte er seinen Satz beendet, trabte sein Brauner auch schon los. Bis ich richtig schaltete, hatten Tobi und Jana sich ebenfalls schon in Bewegung gesetzt. Gahna schien gar nicht richtig Lust zu haben, den Berg hoch zu galoppieren.
Schnell fiel sie wieder in den Trab zurück und ich kam als letztes an. Das Gelächter war groß und schnell war ich zur lahmen Ente abgestempelt. Was solls, Gahna und ich waren eben ein ruhiges Pärchen.

„So und wenn ihr noch Lust habt, reiten wir jetzt an den Strand.“

Einstimmige Begeisterung ließ uns den Weg zum Strand einschlagen. Diesmal ritt Jana bei Alexander, mit dem sie sich sehr angeregt unterhielt. Neben mir ritt Tobi im gleichmäßigen Trab.

„Und, über was habt ihr euch denn so angeregt unterhalten?“, fragte Tobi.

„Über deine Begehrtheit bei den Mädchen…“, antwortete ich.

„Hä?“

So erzählte ich ihm von dem Gespräch, das ich mit Jana geführt hatte. Aber es kam nicht die erwartete Reaktion von Tobi. Er lachte mich nicht aus, dass ich nicht so begehrt war – besser gesagt, noch nicht mal zur Debatte stand.
Ganz im Gegenteil, sein Gesicht verdüsterte sich.

„Spinnst du?“, fuhr er mich an.

„Bitte? Was meinst…?“

„Du kannst doch nicht einfach erzählen, dass ich schwul bin! Bist du noch ganz sauber?“

Jetzt verstand ich wirklich nichts mehr.

„Tut mir leid…“

„Du hättest wenigstens mal vorher fragen können, bevor du hier Quarktasche spielst und es jedem erzählst.“

Das tat jetzt irgendwie weh. Mir drückte es die ersten Tränen in die Augen.

„Ich habe nur gesagt… ich bin in dich verliebt… mehr nicht“, sagte ich leise und wischte mir die Tränen aus den Augen.

Ich schaute nach vorne, nicht mehr in Tobis Augen. Ich wollte nicht, dass er sah, dass ich weinte.

„Du bist echt ein Arsch… weißt du das?“, rief Tobi und ging in den Galopp über, um zu den anderen Zwei aufzuholen.

Nachdem ich ziemlich unbeweglich auf Gahnas Rücken saß, blieb sie irgendwann einfach stehen. Mir war schlecht…, mein Blick trübte sich durch die Tränen. War es so schlimm, dass ich das gesagt hatte?

Tobias

Der ist doch völlig durchgeknallt! Kann doch nicht grad irgendwem erzählen, dass er in mich verliebt ist – ich schwul bin. Was für ein Arschloch! Ich ging wieder in den Trab über, denn ich hatte die beiden eingeholt.

„Georg hat mir viel beigebracht, sonst könnte ich noch nicht so gut reiten“, hörte ich Alexander erzählen.

„Und wie stellt ihr euch eure Zukunft vor? Du ziehst jetzt hier her, hast du erzählt. Wollt ihr zusammen ziehen?“, fragte Jana.

„Erst mach ich mal meine Schule fertig, dann sehen wir weiter. Und unser Haus steht ja nicht weit von hier, als brauchen wir noch keine gemeinsame Wohnung.“

„Da kann man ja richtig neidisch werden.“

„Wieso?“

„Bis ich jemand finde – so wie du Georg – bis jetzt hab ich nur Hirnamputierte gehabt. Machos – Proleten –Egoisten.“

„Irgendwann findest du auch den Richtigen!“

„Glaubst du?“

„Hör mal, du bist ein nettes und kluges Mädchen, siehst auch gut aus. Dürfte dir doch nicht schwer fallen.“

„Danke für die Blumen, aber anscheinend wirkt das nur bei den Idioten.“

Ich musste grinsen.

„He, ich habe dich gar nicht bemerkt, wo ist Peter?“, hörte ich plötzlich Alexander zu mir sagen.

„Der war eben noch hinter mir“, meinte ich und schaute zurück.

Kein Peter! Alexander stoppte abrupt und drehte sein Pferd.

„Peter?“, rief er laut und trabte zurück.

Jana sah mich fragend an.

„Willst du nicht hinterher?“

„Warum sollte ich?“

„Ich dachte, du und Peter…“

„Falsch gedacht!“

„Aber Peter meinte doch…“

Ich schaute sie ziemlich sauer an und sie stoppte mitten im Satz.

„Tut mir leid…, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, meinte sie.

Ohne darauf einzugehen, stieg ich von Jacco ab. Er senkte den Kopf und begann zu grasen. Jana folgte meinem Beispiel und stieg ebenfalls ab.

„Du bist… nicht schwul? Der arme Peter.“

Ich riss den Kopf herum und funkelte sauer Jana an.

„Nur, weil ich mit Peter das Bett teile, bin ich doch noch lange nicht schwul!“, fuhr ich sie an.

Sie wich ein Schritt zurück. Ich stieg wieder auf und setzte Jacco in Bewegung.

„Wo willst du denn hin?“, fragte Jana.

„Zurück zum Hof“, gab ich patzig zurück.

„Du solltest vielleicht warten, bis Alexander zurück ist.“

Ohne eine Erwiderung zu geben, ritt ich los.

Peter

Ich hörte Pferdehufe und hob den Kopf. Es war aber nicht Tobi, sondern Alexander.

„Peter, was ist los? Bist du gestürzt, tut dir etwas weh?“, fragte Alexander und sprang vom Pferd.

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Warum sitzt du denn dann auf dem Boden und heulst?“

Ich konnte keine Antwort geben.

„War heut morgen etwas im Frühstück, oder liegt das bei euch in der Familie? Erst dein Bruder und jetzt du.“

Vorwurfsvoll schaute ich Alexander an.

„Okay, sorry! Steh erst mal auf und setz dich wieder auf dein Pferd. Die anderen warten schon.“

Ich tat wie geheißen und stieg wieder auf Gahna. Ohne dass ich irgendetwas tat, folgte sie einfach Alexander und seinem Braunen.

„Willst du wirklich nicht darüber sprechen?“

Wieder schüttelte ich den Kopf. Nach der nächsten Biegung tauchte Jana auf, die neben ihrem Pferd stand.

„Wo ist Tobi?“, fragte Alexander.

„Zum Hof zurück geritten“, meinte Jana leise.

„Sind jetzt alle durchgeknallt, der kann doch nicht einfach abhauen“, rief Alexander sauer, „der Strand ist jetzt wohl gestrichen, bevor mir noch mehr Schüler abhanden kommen.“

Sein Blick wanderte erst zu mir, dann wieder zu Jana. Er schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung. Jana stieg auf und gemeinsam folgten wir ihm.

„Peter… es tut mir leid…“

„Was denn? Dass ich mich zum Affen gemacht hab?“, fragte ich.

Ich versuchte eisern, weitere Tränen zurückzuhalten.

„Hast du Tobi eben erzählt, dass du in ihn verknallt bist? … Hat er deswegen so sauer reagiert?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Vergiss es einfach… bitte! Reden wir nicht mehr darüber“, meinte ich leise und starrte stur auf den Weg.

„Okay, wenn du meinst…“

„Los, nicht so langsam, wir müssen da jemanden einholen“, rief Alexander uns zu.

Wir gingen in einen schnellen Trab über und versuchten ihm so gut es ging zu folgen.

Tobias

Wir hatten doch ausgemacht, dass wir es niemandem erzählen… vorerst nicht. Und was macht er? Er plappert es bei der erst besten Gelegenheit einfach aus. Jacco schien den Weg zu kennen.
Zielsicher bog er in einen Weg ein, obwohl ich weder am Zügel gezogen hatte, noch mein Knie in seine Flanke gedrückt hatte. ‚Er kommt von hier, er wird sich sicher auskennen’, dachte ich mir.
Er ging auch einfach wieder in den Galopp über. Nur mühsam konnte ich mich auf dem Sattel halten. Alle Versuche, ihn zum Traben zu bewegen, schlugen fehl. Jacco gehorchte einfach nicht.
So konnte ich nur versuchen, nicht vom Sattel zu fallen. Angestrengt klammerte ich mich mittlerweile an seine Mähne, ohne aber die Zügel loszulassen. Nach der nächsten Lichtung kam endlich der Gutshof in Sicht.
Jacco wurde langsamer und ich atmete erst mal tief durch. Langsam schritt Jacco durchs Tor und blieb dann vor dem Stall stehen.

„Nanu, wo kommst du denn alleine her?“, hörte ich eine Stimme.

Ich drehte mich um und sah, wie Herr Hellmann auf mich zukam.

„Äh… ich bin zurück geritten.“

„Und wo ist der Rest deiner Gruppe? Wer hat euch geführt?“

„Ähm… noch im Wald… Alexander…“

„Alexander hat dich alleine zurück reiten lassen?“, fragte Herr Hellmann verwundert.

„Nein. Der sucht Peter.“

„Bitte?

„Ja, Peter ist plötzlich verschwunden gewesen und Alexander hat ihn gesucht.“

„Aber Alexander weiß, dass du zurück geritten bist?“

„Ähm… nein.“

„Wie ist dein Name?“

„Tobias Schlenker.“

„Tobias, es gibt eine Grundregel hier auf dem Hof. Keiner der Kursteilnehmer reitet alleine durch das Gelände, außer er hat die ausdrückliche Genehmigung. Weißt du, wie Alexander sich jetzt fühlt, weil du einfach verschwunden bist?“

„Wieso? Jana… weiß doch, wo ich bin.“

„Und überhaupt – ihr seid eine Gruppe! Hier gibt es keine Extramätzchen.“

Herr Hellmann schien böse zu sein.

„Bring Jacco in den Stall und versorge ihn, wir reden nachher weiter“, meinte Herr Hellmann, während er sein Handy aus der Tasche zog.

Wie geheißen, brachte ich Jacco in den Stall, nachdem ich abgestiegen war. Meine Beine fühlten sich weich an, ich zitterte am ganzen Körper. Waren jetzt plötzlich alle gegen mich? Ich wusste doch gleich, es war eine scheiß Idee, hier teilzunehmen.

„Hallo Alexander…“, hörte ich Herrn Hellmann noch sagen, als ich den Stall betrat.

Ich führte Jacco in seine Box. Nachdem ich ihn abgesattelt hatte und den Halter gelöst hatte, verstaute ich die Sachen wieder an ihrem Platz. Danach rieb ich ihn etwas ab, bevor ich mich nach etwas Essbarem umschaute.
Neben den Leckerlis vom Morgen, konnte ich auch noch eine Tonne mit Hafer und anderen Sachen entdecken. Ich suchte mir ein Behältnis – befüllte es – und ging wieder zu Jacco zurück.
Ich hob die Schüssel an und Jacco begann, genüsslich daraus zu fressen. Die Tür des Stalls wurde aufgezogen und ich schaute in die Richtung. Da trat Jana mit ihrem Schimmel herein, dicht gefolgt von Alexander und Peter.
Peter schaute nicht einmal in meine Richtung und ging sofort zu seiner Box. Alexander verstellte mir den Blick, als er sich vor mir aufbaute.

„Tobias, das war absolut Scheiße! Mach das nicht noch einmal, ohne mir Bescheid zu geben die Gruppe zu verlassen! Ich habe die Verantwortung für euch! Wenn dir jetzt etwas passiert wäre!“

„Es ist aber nichts passiert!“, erwiderte ich trotzig.

„Und für die blöde Antwort kannst du dich nachher bei Michel, dem Stallburschen melden, der hat sicher noch Arbeit für dich.“

Boah, warum war der jetzt so sauer auf mich? … Alles nur, weil die Quasselstrippe da drüben nicht sein doofes Maul halten konnte! Ohne Widerworte schaute ich sauer zu Peter hinüber.

Peter

Am liebsten hätte ich sofort meinen Koffer gepackt und wäre heimgefahren. Tims Pferd fehlte noch, Georgs ebenso, also waren sie noch unterwegs. Ich hatte, nachdem ich meine Arbeit erledigt hatte, den Stall verlassen, ohne mich Tobi noch mal zu nähern.
Was mache ich jetzt nur? Wie konnte ich ihm noch unter die Augen treten? Scheiße – wir schliefen im selben Bett! … Ich rieb müde über mein Gesicht.

„Alles klar?“, hörte ich Jana hinter mir fragen.

Ich schüttelte den Kopf.

„Willst du nicht erst mal in dein Zimmer und duschen?“

Ich nickte. Jana lächelte mich an und betrat mit mir gemeinsam das Haus. Da noch niemand in unserem Zimmer war, überkam mich Erleichterung. Schnell hatte ich mich ausgezogen und war unter der Dusche verschwunden.
Immer wieder hörte ich angestrengt, ob nicht jemand das Zimmer betrat. Aber ich hatte Glück, ich blieb alleine. Ich nahm mir neue Sachen aus dem Regal und zog mich wieder an. Unten hörte ich Stimmen und ich trat auf den Balkon.
Der Rest der Meute war angekommen. Georg und Tim konnte ich auch entdecken. Auf seinen Lippen konnte ich ein leichtes Lächeln wahrnehmen. Gut, wenigstens ihm ging es anscheinend wieder besser.
Ich beschloss, wieder runter zugehen und verließ das Zimmer wieder. Unten angekommen waren die anderen dabei, gerade ihre Pferde in den Stall zubringen. Alexander und Georg standen beieinander und redeten angeregt miteinander.
Ein glückliches Gespräch schien es nicht zu sein. Wild fuchtelte Georg mit seinen Händen herum und schien etwas zu erklären.

„Jetzt geht es mir besser“, meinte Jana hinter mir, die wohl auch geduscht hatte.

Ihre Haare waren noch ganz feucht. Sie lächelte mich wieder an. Tim verließ den Stall, während die anderen ihre Pferde hineinführten. Er kam direkt auf mich und Jana zu.

„Hi, Tim“, sagte Jana neben mir.

„Hallo Jana. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich kurz mit meinem Bruder alleine reden würde?“

„He, kein Problem, wir sehen uns nachher beim Essen.“

Und schon war sie weg. Tim stand nun vor mir und sah zu Boden.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen…“, begann er leise.

„Ähm – für was?“

Sein Kopf ging langsam nach oben, bis ich ihm in die Augen schauen konnte.

„Ich habe die ganze Zeit mit Georg geredet… er hat mir einiges erklärt und mir ist auch einiges klar geworden.“

„Tim, könntest du mir mal sagen, wovon du redest?“

„Von dir… dass du… schwul bist…“, antwortete Tim betreten.

„Ich verstehe immer noch nicht…“

„Seit du Mum und Dad gesagt hast, du wärst schwul, habe ich dir die ganze Zeit nicht geglaubt. Deswegen fand ich… es einen großen Spass dich damit… aufzuziehen. Ich weiß, ich war fies und ab und zu ganz schön dreckig zu dir… das tut mir leid.“

„Ähm… ich habe das nie so empfunden. Gut, du hast deine Späße auf meine Kosten gemacht, aber du hast mich nie damit gekränkt… na ja, ab und zu hab ich mich schon geärgert drüber, aber verletzt hast du mich nie.“

„Du bist nicht sauer auf mich… du hasst mich nicht?“, fragte Tim verwundert.

„Nein, wieso sollte ich… he Tim, du bist immer noch mein Bruder!“

Plötzlich fiel mir Tim einfach um den Hals und drückte mich fest an sich.

„Danke…, danke… danke“, flüsterte er in mein Ohr.

„He, reiß dich zusammen, du schadest deinem Ruf“, meinte ich und drückte ihn von mir weg.

„Ruf?“

„Ja, du stehst bei den Mädels hier hoch im Kurs…“

„Echt?“

„Ja, das habe ich aus einer sehr verlässlichen Quelle.“

Nun strahlte mein Bruder über beide Wangen.

„Wie hat dir das Reiten mit Georg gefallen?“

„Gut und wie war es mit Tobi und Alexander?“, fragte Tim.

Er schien gleich zu merken, dass er eben im Endspurt das größte Fettnäpfchen im Hof erwischt hatte, Aber ich war selber Schuld, ich hatte das Thema angeschnitten.

„Ist was passiert?“

Ich atmete tief durch und erzählte ihm, was passiert war.

„So ein Arschloch! Moment, dem sage ich gleich mal meine Meinung“, meinte Tim.

„Das wirst du nicht!“, sagte ich bestimmend und hielt ihn am Arm fest, „ich habe einen Fehler gemacht… egal, sollte wohl nicht sein.“

„Das kannst du ihm doch nicht durchgehen lassen!“

„Tim, vergiss es einfach, ich werde es auch tun.“

Tim lachte sarkastisch auf.

„Bruderherz, ich sehe dir an der Nasenspitze an, wie sehr du leidest.“

„…egal. Komm, geh schnell duschen… es gibt bald Essen…“

„Okay…, wenn du meinst, aber in Ordnung finde ich das nicht.“

Er verschwand im Haus. Noch einmal holte ich tief Luft und seufzte. Ich lief die kleine Treppe hinunter und ging an das angrenzende Gatter. Dort grasten ein paar Pferde. Neben dem Wohnhaus der Hellmanns befand sich noch eine Pension.
Dort waren wohl die Erwachsenen untergebracht, die ich schon mehrfach am Morgen gesehen hatte. Ich beobachtete, wie Alexander zu Herrn Hellman lief, während Georg zu mir herüber kam.

„Und, hast du dich mit deinem Bruder ausgesöhnt?“, sprach er mich an.

„Ähm… da gab es nichts auszusöhnen, ich war ihm nicht böse.“

„Habe ich mir schon gedacht, aber dein Bruder wollte es mir nicht glauben. Aber wie kam er darauf, was war der Auslöser?“

„Ganz einfach. Er erzählte mir, dass er dich und Tobi heute Morgen eng aneinander gekuschelt im Bett vorfand. Da ist ihm dass bewusst geworden, dass du wirklich schwul bist und nicht einfach Käse erzählst.“

„Aus dem soll einer schlau werden.“

„Ist doch egal. Hauptsache, ihr redet wieder miteinander.“

„Ja, tun wir…“

Georg sah mich an, aber sagte nichts.

„Was?“, fragte ich.

„Ähm… Alexander hat mir da etwas erzählt… wegen dir und Tobi… darf ich dich fragen, was passiert ist?“

„Ich habe mich einfach geirrt und einen Fehler begangen. So einfach ist das.“

„Hat das etwas mit Tobi zu tun?“

„Ach Georg, lass gut sein. Vergessen wir die Sache einfach.“

Tobias

Na toll. Jetzt konnte ich den Mist mit der blöden Schubkarre hinaus fahren. So hatte ich mir das echt nicht vorgestellt! Und wenn die anderen fertig sind, soll ich auch noch die Boxengasse durchfegen.
Ich rufe meine Eltern an, die sollen mich holen. Schließlich war das ihre Idee. Eine sau dumme Idee. Ich kippte den Schubkarren um und der Mist fiel zu dem Rest. Drüben am Gatter sah ich Peter sitzen, der sich gerade mit Georg unterhielt.
Das hatte ich alles ihm zu verdanken! Ich verstand immer noch nicht, wie er das von uns erzählen konnte.

„Das reicht dann, Tobias. Geh rüber zum Duschen, es gibt bald Mittagessen.“

Ich drehte mich um, Frau Hellmann stand vor mir. Resigniert schob ich die Karre zum Stall und lehnte sie an die Wand. Frau Hellmann folgte mir.

„Es tut mir leid, wenn dich mein Mann oder Alexander vorhin etwas grob angefahren haben. Aber im gewissen Sinne hatten sie Recht.“

„Recht? Bah!“

„Tobias, ich weiß du bist ein Eigenbrödler. Aber hier ist Team verlangt… hier macht man alles zusammen.“

„Woher…?“

„Es ist zwar gegen meine Grundsätze, Tobias, aber ich werde dich mal aufklären.“

Was sollte das jetzt?

„Lass uns dort rüber gehen“, meinte sie und zeigte auf die kleine Sitzgruppe vor dem Familienhaus.

Sie wies mir einen Stuhl zu und ich setzte mich.

„Also. Ich weiß nicht, ob du weißt, dass ich auch Ärztin bin. Ich habe mich auf Jugendarbeit spezialisiert… als Therapeutin.“

„Was hat das jetzt mit mir zu tun?“

„Ganz einfach Tobias, deine Eltern haben dich nur aus einem Grund hier angemeldet – weil sie sich sehr viel Sorgen um dich machen.“

„Sorgen? Um mich? Aber wieso…?“

„Tobias, lass mich bitte ausreden. Jeder, der hier ist, also von dieser Jugendgruppe, hat irgendwelche Probleme.“

„Ich habe keine Probleme!“, fuhr ich sie an.

„Tobias, könntest du bitte im normalen Ton mit mir reden?“

„Entschuldigung…“, grummelte ich, aber innerlich war ich auf 180. Was bildeten sich meine Eltern überhaupt ein?

„Von deinen Eltern weiß ich, dass du dich seit gut einem Jahr immer mehr zurückziehst, keine Freunde mehr hast und so gut wie nicht mehr dein Zimmer verlässt.“

„Ich habe viel Hausaufgaben auf… muss lernen…“, verteidigte ich mich.

Vor Zorn trieb es mir Tränen in die Augen.

„Kein Schüler hat so viel Hausaufgaben auf, dass er jeden Tag nach der Schule aus seinem Zimmer nicht mehr heraus kommt, besonders an den Wochenenden.“

Darauf wusste ich jetzt nichts zu sagen.

„Tobias… wir wollen dir hier nur helfen. Was für ein Problem auch immer du hast… Aber das geht eben nur, wenn man sich der Gemeinschaft hier anschließt und keine Extratouren macht.“

Ich bekam kein Wort mehr über die Lippen. Sollen mich doch alle in Ruhe lassen.

„So, ich denke, du weißt jetzt, worauf es ankommt. Du musst nicht weiter im Stall helfen. Verschwinde unter die Dusche, wir sehen uns heute Mittag wieder.“

Ich nickte und stand wieder auf.

„He, Tobias, nicht den Kopf hängen lassen… es wird alles gut.“

Ich wollte mich gerade von ihr abwenden, als sie weiter sprach.

„… und wenn irgendetwas sein sollte, du kannst jederzeit mit mir reden… oder mit Georg oder Alexander.“

Verwundert schaute ich sie an. Wieso mit einem von den Beiden? Ich nickte und lief zum Haus hinüber. Schnell war ich die Treppe hinauf gerannt. Aus jedem Zimmer konnte ich Gelächter hören.
Oben angekommen, atmete ich noch einmal tief durch und öffnete die Zimmertür. Benjamin lag auf dem Bett und jammerte, dass seine Knochen wehtun würden. Tim dagegen sah mich giftig an, während Peter traurig drein schaute und sich von mir abwendete.
Ohne ein Wort zu sagen, griff ich nach meinen Duschsachen und neuen Klamotten und verschwand im Bad.

Peter

Er schloss die Tür hinter sich, ich atmete wieder auf. Es war kein Ton von ihm gekommen. Ich beschloss, ihn zu fragen, ob er denn überhaupt noch neben mir schlafen wollte. Tim lugte um die Ecke.

„Alles klar?“, fragte er und ich nickte.

„He Leute, was ist denn das für eine Trauerstimmung? Gefällt es euch nicht mehr?“, hörte ich Benjamin fragen.

„Doch, natürlich“, antwortete Tim und verschwand wieder aus meinem Sichtfeld.

Ich ließ mich nach hinten auf mein Bett fallen und starrte die schräge Decke an. Im Bad hörte ich, wie die Dusche anging.

„Ich bin schon gespannt, was wir heute Mittag machen. Steffi, Georgs Schwester hat da so etwas angedeutet, von wegen Team und Wettbewerb, näheres wollte sie uns aber nicht verraten.“

„Heute Mittag? Ich dachte, der stünde zur freien Verfügung“, hörte ich Tim sagen.

„Ja, klar, aber das ist ja nur ein Programmvorschlag. Man muss nicht teilnehmen. Nach dem Essen werden die Gruppen eingeteilt.“

„Aha.“

Was sollte das geben? Obwohl… auf dem Pferd konnte ich Tobias schon ausweichen, traf nicht unbedingt mit ihm zusammen.

Mittlerweile war die Dusche im Bad verstummt.

„Okay, ich geh mal schon runter, gibt ja gleich essen“, meinte Benjamin und jammerte los, als er aufstehen wollte.

„Ich komm gleich mit“, sagte Tim, „und du, Brüderchen?“

Ach so, er hatte mich angeredet.

„Ja, ich komm auch mit!“

Ich stand auf, schlüpfte in meine offenen Turnschuhe und lief zur Zimmertür. Als ich gerade nach dem Türgriff greifen wollte, ging die Badtür auf. Ich wich aus, sonst hätte mich die Tür getroffen.

„Oh… Entschuldigung…“, hörte ich Tobias leise sagen.

Ich antwortete nicht und verließ das Zimmer, dicht gefolgt von Tim und einem jammernden Benjamin.

„Mmmh, riecht es hier gut“, meinte Tim und ich konnte ihm nur zustimmen.

Als wir den Speiseraum betraten, waren noch nicht alle da. Die Luke zur Küche war aber bereits geöffnet. Ich schnappte mir ein Tablett und lief hin. Dahinter stand eine Frau, die das Essen wie am Vorabend ausgab.

„Trinken steht auf dem Tisch… guten Appetit“, hörte ich sie sagen.

„Danke“, meinte ich.

Ich schaute zum Tisch und entdeckte Jana. Ohne zu fragen, setzte ich mich einfach zu ihr.

„Hallo“, meinte sie.

„Guten Appetit“, sagte ich.

„Danke, ebenfalls.“

So nach und nach trudelten alle ein. Als letztes erschien Tobias. Er schaute kurz in meine Richtung, bevor er sich ein Tablett schnappte und zum Schalter lief. Jana sah mich kurz an und lächelte gequält.
Ich zuckte nur mit der Schulter und stocherte weiter in meinem Essen herum.

Tobias

Ich nahm mein Tablett und trug es an das Ende des Tisches. So langsam spürte ich, wie auch wieder der Hunger kam. Ich hörte nicht darauf, was die anderen erzählten. Tief in meinen Gedanken versunken, aß ich einfach mein Essen.
Als ich beim Nachtisch ankam, waren die meisten schon aufgestanden. Am Anfang des Tisches saß Peter mit dieser Jana. Er schaute kein einziges Mal zu mir herüber, dafür aber Jana umso öfter.
Ebenso wie Tim, dessen Blick mich getötet hätte, wenn das möglich wäre. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich wollte doch nur nicht… ach Scheiße, was war nur mit mir los? Probleme… mir fielen die Worte von Frau Hellmann wieder ein.
Aber mit wem sollte ich denn reden? Wem sollte ich etwas über meine Ängste erzählen? Mein Vertrauen zu anderen hier, war recht dünn und es einem Wildfremden zu erzählen? Ich löffelte den Quark leer und stellte die Schüssel zurück aufs Tablett.
Die Tür ging auf und Georgs Schwester steckte die Nase herein.

„Wer von euch am freiwilligen Mittagsprogramm teilnehmen möchte, kommt dann nach dem Essen gleich vor Haus“, sagte sie und verschwand wieder.

„Was für ein freiwilliges Mittagsprogramm?“, fragte ich.

Der Typ neben mir, etwa zwei Jahre jünger als ich, sah mich mit großen Augen an.

„Da..aas hatt… siiee uunns nicht ve…verraten“, stotterte er.

Ob er wegen seinem Stottern hier war? Ich betrachte mir die Leute, die am Tisch saßen genauer. Also jeder hier hatte ein Problem. Einen nach dem Anderen musterte. Mein Blick blieb an Peter haften. Was für ein Problem hatte er? – mit seinem Bruder?

Peter

Wir hatten uns alle vor dem Haus versammelt. Es schien tatsächlich jeder mitmachen zu wollen. Georgs Schwester stieg auf einen Mauervorsprung, damit wir sie alle sehen konnten.

„So, für die, die es noch nicht wissen, ich bin Steffi, die Tochter des Hauses. Mich freut, dass ihr tatsächlich alle Interesse am Mittagsprogramm habt.“

Mein Blick fiel auf Tobias, der etwas abseits stand.

„Wir haben für euch heute Mittag einen Geländeritt vorbereitet. Jede Gruppe, die ich nachher noch einteile, bekommt einen Plan, auf dem alle Hinweise vermerkt sind. Aber keine Angst, wir erklären euch natürlich genau, wie das funktioniert.“

Ein Geländeritt, das hörte sich interessant an.

„Und damit keiner von euch benachteiligt wird, mischen wir die Gruppen. Also Fortgeschrittene mit Anfängern. An den Posten, die ihr anreiten müsst, stehen wir schon bereit, mit einer Aufgabe für euch.“

Ein allgemeines Gemurmel begann in der Gruppe. Steffi zog einen Zettel hervor.

„Nachdem wir heute Morgen sehen konnten, wie sich jeder auf dem Pferd anstellt, lese ich euch jetzt einfach die Namen vor, wer sich in jeder einzelnen Gruppe befindet. Gruppe 1: Tim – Tobias – Christine – Johanna, Gruppe 2: Benjamin – Susanne – Iris – Michael, Gruppe 3: Jana – Peter – Martin – Laura und Gruppe 4: Mike – Phillip – Tonja – Meike.“

Mitleidig sah ich Tim an, der in Tobias’ Gruppe war. Ich konnte nur hoffen, dass die beiden nicht aneinander gerieten.

„He cool, wir sind in einem Team“, sagte Jana neben mir.

„Und wer sind die anderen beiden?“, fragte ich.

„Iii… ich bin… Martin“, stotterte ein kleiner Kerl neben mir.

Das war der Junge, der vorhin beim Essen neben Tobias saß. Ein Mädchen trat zu uns.

„Seid ihr Peter und Jana?“, fragte sie.

„Ja, bist du Laura?“, fragte Jana.

„Ja, das bin ich.“

„Dann sind wir ja komplett“, meinte ich.

„Ma…artin“, meinte der Junge und reichte Laura die Hand.

„Hallo!“

„So, habt ihr alle eure Gruppen gefunden?“, fragte Steffi und ein allgemeines Nicken ging durch die Menge.

„Gut. Ihr habt bis zwei Uhr Zeit, euch umzuziehen und eure Pferde klarzumachen, dann bekommt ihr eure Pläne. Ihr startet dann jeweils um fünfzehn Minuten versetzt, damit ihr euch nicht ins Gehege kommt. So, viel Spass, bis nachher!“

Steffi hüpfte von dem Mauervorsprung und gesellte sich zu Alexander, der vor dem Stall stand. Martin verzog neben mir das Gesicht.

„Ist was?“, fragte ich ihn.

„Ich kr…rieg dd…aas nni cht hin.“

„Was?“

„Saaaaa tteln.“

„He, wir sind ein Team, wir helfen dir natürlich, aber erst müssen wir uns umziehen“, meinte Jana.

Ich stimmte ihr nickend zu. So liefen wir wieder ins Haus, um uns wenig später in voller Montur wieder am Stall zu treffen.

*-*-*

Während Jana, Laura und ich größere Pferde hatten, saß Martin auf einem Pony. Etwas verschämt schaute er zu uns nach oben. Aber irgendwie fand ich es goldig und passend. Steffi hatte uns den Plan überreicht und etwas erklärt.
Wir brauchten nur genau den Wegen zu folgen und auf die Zeichen zu achten, dann mussten wir die Orte finden, wo wir Aufgaben gestellt bekommen würden.

Tobias

Jacco stampfte unruhig mit dem Huf, während Steffi uns den Plan erklärte. Ich überließ Tim das Reden. Er schien mich eh links liegen zu lassen. Auch egal. Da wir die erste Gruppe waren, die vorgelesen wurde, starteten wir auch als erstes.
Tim ritt mit dieser Christine voraus, während ich mit Johanna folgte.

„Also ich wäre hilflos verloren… ich kann keine Karten lesen“, meinte sie neben mir.

Typisch Frauen!

„Deswegen haben ja die beiden den Plan. Wir reiten schön hinterher“, gab ich von mir.

„Wo kommst du her?“

„Reutlingen.“

„Ich bin aus Düsseldorf.“

„Aha.“

Wenn die mir jetzt den ganzen Ritt über ein Gespräch aufdrücken wollte, überlebte ich diesen Mittag nicht.

„Reitest du schon länger?“

„Ich habe ein eigenes Pferd zu Hause“, antwortete ich genervt.

„Cool…, ich hab nur mal Reitunterricht von meinen Eltern geschenkt bekommen, ist aber schon etwas länger her.“

Ich legte einen Zahn zu und ging in ein verhaltenes Traben über, um näher an die anderen zu kommen.

„Halt, warte, ich bin nicht so schnell…“

Hallo? Das Pferd reitet…doch nicht sie. Ich drehte meinen Kopf zu ihr.

„Einen einfachen Trab wirst du doch hinbekommen, oder?“

„Ich versuch es…“

Versuchen? Na ja, nicht jeder konnte reiten, geschweige denn mit einem Pferd umgehen. Ich ließ mich zurückfallen und zeigte ihr, wie man das machte. Als wir endlich beide in den Trab übergangen waren, holten wir auch auf.
Tim und Christine waren an einer Weggabelung stehen geblieben.

„Ich sehe keins“, hörte ich Christine sagen, als wir ankamen.

„Was sucht ihr?“, fragte Johanna etwas außer Atem.

„Ein Hinweisschild“, meinte Tim.

Immer noch würdigte er mich keines Blickes.

„Und wie soll es aussehen?“, fragte ich.

„Ein Wandersymbol“, kam es von Tim.

„Ja, ein kleines weißes Schild mit einer roten Viereck drauf.“

Ich ließ Jacco ein paar Schritte vorlaufen, bis ich in einem der Wege stand. Die Schilder wurden immer an den Bäumen befestigt.

„Hier ist keins“, meinte ich.

„So weit waren wir auch schon“, sagte Tim bissig.

Dafür fing er von Christine und Johanna einen verwunderten Blick ein. Genervt setzte ich mich wieder gerade hin und sah in dem Augenblick zwei Bäume weiter etwas schimmern. Langsam ritt ich näher.
Ein rotes Viereck auf weißem Schild.

„Hier ist es!“, rief ich.

Alle drei kamen zu mir geritten.

„He cool, du hast es gefunden, dann sind wir auf dem richtigen Weg“, meinte Johanna.

Ohne ein Wort zu sagen, ritt Tim einfach weiter.

Peter

Zwei Gruppen waren schon gestartet. Nun waren wir an der Reihe. Trotz Martins Pony ritten wir recht schnell. Bis wir an eine Weggabelung kamen, wo Jana zum ersten Mal den Plan hervorholte.

„Sieht von euch irgendwer ein Wanderweghinweis – weißes Schild mit rotem Viereck?“, fragte sie.

Alle schauten wir uns um.

„Waaaa rrumm fffoollgggen ..wiirrr nnicht….dddeeen annnderen?“, fragte plötzlich Martin.

„Was?“, fragten Jana und ich gleichzeitig.

Martin zeigte auf den Boden und deutlich konnten wir die Abdrücke vieler Pferde sehen, die in den linken Weg liefen.

„Gut gemacht, Martin“, lobte ihn Jana.

Als wir wenige Schritte in den Weg geritten waren, meldete sich Laura zu Wort.

„Auf alle Fälle sind wir richtig, da hängt auch dieses weiße Wanderschild.“

Sie zeigte auf einen Baum, wo wir nun alle das Schild entdecken konnten.

„Dann mal weiter“, meinte ich und ging gleich in den Trab über.

*-*-*

„Ich weiß nicht, aber es hätte schon längst eine weitere Weggabelung kommen müssen“, meinte Jana, die den Plan studierte.

„Aber wir sind an nichts vorbei gekommen“, sagte Laura.

Martin sagte gar nichts, er schüttelte nur den Kopf.

„Was steht denn da?“, fragte ich.

Da ist von einem großen Holzstoss die Rede und dann sollen wir rechts abbiegen“, erklärte Jana.

„Da.. daa hi….hin…ten wa..a..war eeeein Hoo…lzzz..stoss“, stotterte Martin.

Fast gleichzeitig drehten wir uns alle um.

„Jetzt wo Martin das sagt, erinnere ich mich auch“, sagte Laura.

„Mist, wir sind zu weit geritten“, kam es von Jana.

„Okay, dann noch mal zurück“, meinte ich und drehte mein Pferd.

„So werden wir niemals gewinnen“, meckerte Jana.

Warum war sie auf einmal plötzlich so schlechter Laune? Von weitem konnte ich schon den Holzhaufen sehen. Martin zeigte mit dem Finger drauf.

„Da vorne ist es“, hörte ich Laura sagen.

Als wir ankamen, blieben wir erst einmal stehen. Und wieder verrieten uns die Spuren der Anderen, wo wir hinmussten.

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