„Man sieht sich immer zweimal im Leben, gell Steffen? So, und jetzt laufen wir alle brav zur Hütte zurück. Wir lassen alles so stehen und liegen, diesmal werdet ihr an den Beweisen ersticken. Los jetzt.“
Nico war böse und zornig. Wenn alles geschickt eingefädelt wurde, könnte die Bande wieder mit einem blauen Auge davonkommen. Das musste unter allen Umständen verhindert werden.
Auf dem kurzen Weg durch den Wald folgte Rick Steffen in nur einem Meter Abstand.
An Flucht würde der Kerl nicht einmal im Traum denken. Aber Steffens Angst ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Als er sehr dicht hinter Nico lief, streckte er plötzlich seine Hände aus und bekam ihn am Hals zu fassen. Fest drückte er zu und ließ sich auch nicht abhalten, als Rick ihm in die Wade biss.
„Ich bring dich um! „ schrie er wie ein Wahnsinniger und Nico konnte sich aus dem Würgegriff des kräftigen Mannes nicht befreien.
Bevor die Jungen eingreifen konnten, langte Nico rasch in seine Hosentasche, ballte dort eine Faust, zog sie heraus und schleuderte Steffen rückwärts eine Handvoll Asche ins Gesicht.
Der jammerte auf und es blieb ihm nichts, als Nico loszulassen und die Hände vors Gesicht zu schlagen.
Mittlerweile hatte sich Rick mit aller Kraft in seinem Bein verbissen und die Jungen schlugen wie besessen auf ihn ein. Daraufhin ging er zu Boden und hielt schützend seine Hände vor das Gesicht.
Nico musste die Jungen zurückhalten, sie hätten ihn mit Sicherheit krankenhausreif geschlagen.
„Gut, lasst ihn. Der Rest besorgt Rick.“
Er rieb sich den Hals und sah zu Steffen hinunter. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und immer wieder rieb er sich die Augen. Noch immer hatte Rick seine Wade in den Fängen und der Schnee ringsum begann sich rot zu färben.
„Dummheit stirbt leider nicht aus, Steffen. Du bist so saublöd wie dein Boss. Rick, lass ihn los.“
Die Bisswunde blutete stark und es brauchte keine Fantasie, sich die Schmerzen vorzustellen.
„Steh auf, du Mistkerl.“
Steffen brauchte eine Weile, um auf die Beine zu kommen.
„Versuch das nicht wieder“, drohte Nico nur. „Komm jetzt, dein Boss wartet schon auf uns.“
Jetzt bog ihm Markus einen Arm nach hinten und er war dabei nicht zimperlich. Immer wieder jammerte Steffen auf. Aber Markus gab keinen Zentimeter nach. Sie liefen auf die drei Jungen zu, die sich um Mirka kümmerten.
Er kniete noch immer im Schnee, den Arm auf dem Rücken gebogen und stierte vor sich hin.
Steffen ließ sich in den Schnee neben ihm auf die Knie sinken, er konnte anscheinend nicht mehr laufen. Um ihn musste sich niemand kümmern.
„Okay, das Spielchen ist jetzt vorbei. Lasst die beiden los“, rief es plötzlich von der Hütte her und als die Jungen sahen, was sich dort abspielte, stockte ihnen der Atem.
„Manni“, sagte Nico so leise, dass nur Rainer es verstand. Der schmächtige Kerl stand vor der Hütte, hatte Emmi vor sich im Arm und hielt ihr ein Messer unter das Kinn. Emmi schwieg, sie schien eher ruhig zu sein.
„Lasst Mirka los. Sonst passiert was.“
Nico dachte scharf nach. Rick stand direkt neben ihm, der konnte jetzt auch nichts ausrichten. Überhaupt standen ihre Chancen sehr schlecht. Mirka war bis aufs Blut gereizt, der würde keinen Kompromiss mehr eingehen.
Sein Blick ging zu den Jungen hin und plötzlich stutzte er. Einer fehlte; Timo war nicht da. Er war nirgends hier. Was immer das auch zu bedeuten hatte, die Situation begann ihm aus den Händen zu gleiten.
Der Gedanke, sie könnten den Jungen haben, raubte ihm fast den Verstand. Inzwischen war die Dämmerung weit fortgeschritten, selbst bis zu der Hütte schwand im immer dichter werdenden Nebel die Sicht. Nico wurde kalt, eiskalt.
„Was ist? Ich warte. Lasst ihn sofort los“, schrie Manni.
Plötzlich rief eine Stimme an der Hütte laut und deutlich
„Hey! „
Nico erkannte Timos Stimme, aber er konnte ihn nicht sehen.
Manni erschrak, drehte sich ruckartig zur Seite und riss den Arm mit dem Messer in die Richtung, woher der Ruf gekommen war. In diesem Augenblick heulte ein Holzscheit durch die Luft und traf ihn mit einem hässlichen Knacken direkt am Kopf. Emmi sackte nur zusammen, während Mannis Körper wie ein Kohlesack hinter ihr im Schnee aufschlug.
Timo trat jetzt ins Licht und sah zu Manni hinunter, begleitet von den Jubelrufen der Jungen. Sofort rannte Rainer zu ihnen hin.
Nico drehte sich zu Mirka um, den die Jungen zum Glück noch nicht losgelassen hatten. Er versuchte, ruhig zu bleiben, aber es fiel ihm verdammt schwer.
„Gut, Mirka. Wer ist noch da draußen? Robert vielleicht? Wenn du nicht redest, wird dich jemand zum Reden bringen.“
Dabei zeigte er auf Rick.
„Und verlass dich drauf, diesmal machen wir uns einen Spaß daraus, wenn mein Hund dich quält.“
Es machte ihm richtig Freude, Mirka zu reizen. Dann wandte er sich Steffen zu.
„Wenn dein Boss, der eigentlich ein Spatzenhirn hat, nicht reden will, vielleicht magst du etwas sagen? Oder soll Rick ein wenig nachhelfen? Ich wüsste übrigens auch allzu gern, wie du fetter Sack im Holzlager bis zu der Klappe hochkommen konntest. Aber erst sagst du mir, ob noch einer von euch da im Wald lauert.“
Steffens Augen weiteten sich.
„Halt bloß dein blödes Maul“, schrie ihn Mirka an.
„Och, er kann ja doch reden, dein Boss.“
„Sucht doch selber“, fauchte Mirka. Egal was man von Mirka halten wollte, ein Verräter war er offenbar nicht.
Nico fuhr Rick über das Fell.
„Such, such den Rest dieser verkommenen, unfähigen Bande! „
Erneut raste der Rüde in den Wald. Es war nicht sicher, ob sich dort noch jemand herumtrieb, aber Kontrolle war besser. Sie waren zu viert gewesen da oben im Wald, da konnte man nichts riskieren.
Inzwischen kam Timo mit Tante Emmi zu ihnen hin. Nico nahm beide ohne ein Wort in die Arme und drückte fest zu. Die anderen Jungen streichelten Timos über den Arm und beglückwünschten ihn.
„Unser Held“, rief Ruben und gab bei dieser Bemerkung Mirka eine Kopfnuss.
„Bist du verletzt?“, wollte Nico von Emmi wissen.
„Nein, aber ein Messer am Hals ist nicht sehr angenehm. Meine Güte, dass mir so was noch passieren muss. Ich denke, das glaubt uns eh niemand.“
„Timo, wo warst du denn plötzlich?“
Er grinste Nico an.
„Ich musste mal und da hab ich dann hinter der Hütte alles gehört. War gar nicht einfach, so ein Holz fliegt nämlich etwas unsymmetrisch.“
„So ein Holz ist eigentlich auch fürs Feuer gedacht. Aber du hättest auch Emmi treffen können.“
„Ja, vielleicht. Aber der Typ stand plötzlich frei und im Handball in der Schule war ich immer ganz vorn, ich hab mir einfach vertraut. Nah genug war ich ja auch. Und ne Wahl hatte ich zudem nicht, oder?“
„Timo, darüber müssen wir noch mal reden“, grinste Nico zurück.
Trotz der Situation erkannte er das Team, das sich in kurzer Zeit gebildet hatte. Auf jeden der Jungs war Verlass.
„Ja, aber erst mal hier, ich denke, das spricht für sich.“
Timo hielt sein Handy hin und darauf lief ein Video ab. Es zeigte Manni mit Emmi vor dem Haus und deutlich war zu hören, was er sagte. Auch das Messer blitzte gelegentlich auf.
„Es war schon schön dunkel da in meiner Ecke, außerdem waren alle Blicke auf den Typen gerichtet. Keiner hat mich bemerkt.“
„Sehr schön.“
Nico nahm das Handy und hielt es Mirka hin. „Schau dir das genau an. Dieses Video wird der sogenannte Polizist Mosler erst vor Gericht zu sehen bekommen. Keine Speicherkarte mehr löschen, nichts unter den Teppich kehren. Ich werde auch für die anderen Dinge Beweise finden, verlasst euch drauf. Und das hier heute reicht eh schon für den Knast.“
Er drehte sich zu Steffen um.
„Keine Bange, ihr schmort alle. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.“
Dann lief er zu Rainer hin, der immer noch über Mannis Körper gebeugt war.
„Und, wie geht es ihm?“
Rainer nickte.
„Das Nasenbein ist wohl gebrochen, vielleicht auch der Oberkiefer. Er ist stabil, aber er hat wahnsinnig Glück gehabt. Ich hätte fast geschworen, den hat es erwischt. Ich habe die Rettung rufen wollen, aber das geht ja nicht. Komm, wir bringen ihn rein.“
Nico half Manni aufzustehen, er war noch sichtlich benommen und trotz allem war auch Emmi bei ihnen.
„Legt ihn auf die Eckbank und macht noch mal richtig Feuer, ich kümmere mich um ihn. Hab schon andere zusammengeflickt und auf dumme Gedanken kommt der nicht mehr so schnell. Wenn überhaupt.“
„Und was machen wir mit den beiden da draußen?“
„Alle hier rein, Nico, es ist saukalt. Falk müsste ja jeden Augenblick da sein, die sind schon viel zu lange unterwegs.“
Nico sah auf die Uhr, es waren zwei Stunden vergangen und er begann er sich Sorgen zu machen. Als er nach draußen wollte um Holz zu holen, stand Rick vor der Hütte. Er schien niemanden mehr gefunden zu haben. Nico kniete sich zu ihm hinunter.
„Braver Hund. Was sollen wir ohne dich wohl machen? Aber wo sind Falk und Leo? Warum bist du nicht bei ihnen geblieben?“
Es ärgerte ihn oft, dass er die Hundesprache nicht verstand.
„Rick, gehe ihnen entgegen. Hol Falk.“
Der Hund schwänzelte einen Moment, dann rannte er hinein in den dunklen, kalten Nebel.
Er ging zurück zur Hütte, in der sich alle irgendwie ganz eng vor dem Ofen platziert hatten. Mirka und Steffen saßen an der Wand gegenüber.
Sascha, Maik und Timo ließen die beiden nicht aus den Augen.
„Wie geht es ihm?“, wollte Nico von Emmi wissen, die neben Manni auf der Eckbank saß und mit einem feuchten Tuch seine Stirn abwischte.
„Nicht gut, er braucht dringend einen Arzt. Er ist wohl Ohnmächtig geworden, ich denke, er hat schlimme Schmerzen.“
Nico vermied es zu sagen, dass er selbst schuld daran hatte. Er war an einem Punkt angelangt, wo er dieses Pack zu hassen begann. Es könnte alles so schön und friedlich sein.
Nervös sah er auf die Uhr und Unruhe überfiel ihn. Wo blieben die bloß so lange?
Was war da schief gelaufen? Wenige Augenblicke später klopfte es an der Tür. Nico hatte sie hinter sich zugeschlossen, man konnte nicht wissen. Mit einem Satz war er an der Tür und entriegelte sie.
Die Gefahr, dass es der Rest der Bande sein könnte, nahm er billigend in Kauf. Zuerst stürmte Rick in die Hütte, gefolgt von Stein und Meier. Alle drei waren offensichtlich völlig erschöpft und wohl auch komplett durchnässt.
„Gott sein Dank dass ihr da seid. Ist etwas passiert?“, wollte Nico ungeduldig wissen.
Stein schob seine Mütze vom Kopf und schüttelte ihn.
„Wirt haben eine Abkürzung nehmen wollen, aber auf einmal war Rick verschwunden, wir haben dadurch erst mal die Orientierung verloren. Hat ne Weile gedauert, bis wir wussten, wie wir zu laufen hatten.“
Steins Blick fiel auf Mirka und Steffen, dann auch zu Emmi und Manni.
„Was ist denn hier los gewesen?“
„Eine lange Geschichte, Falk. Ich kann mir das mit Rick jetzt aber nur so erklären, dass er unterwegs auf die Spuren der drei Erzgauner hier gestoßen ist. Da hat er wohl geahnt, dass die was im Schilde führen.“
Dann erzählte er in kurzen Worten, was vorgefallen war.
„Und hier, damit wollten sie wohl das Lager und die Hütte hier anstecken.“
Er hielt Stein die eingewickelte Leuchtpistole hin. Steins Gesichtszüge verdüsterten sich mit jedem Wort mehr und mehr. Nico spürte, dass er denselben Hass zu empfinden begann wie er selbst. Falk war die Ruhe in Person, Loyal und äußerst Widerstandsfähig.
Aber nach all dem, was er hier zu hören bekam, drohten ihm diese Eigenschaften zu entgleiten. Nachdem er dann auch das Video sah, begannen seine Augen böse zu funkeln und er ballte die Faust, was Nico noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
Er trat zu den beiden auf dem Boden sitzenden hin und holte tief Luft.
„So, jetzt ist es aber endgültig genug. Das ist kein Streich mehr, das war versuchter Mord. Ganz abgesehen von der Geiselnahme. Ich werde alles, alles daran setzen, dass ihr die Strafe bekommt, die euch zusteht. Und glaubt ja keine Sekunde daran, dass euch auch nur irgendjemand da wieder raushaut. Kein korrupter Polizist oder sonst wer. Wegen Vertuschung eine Straftat und Unterschlagung von Beweismaterial wird sich dieser Herr Polizist auch noch zu verantworten haben. Rechnet also damit, dass er mit auf der Anklagebank sitzen und nicht in der Lage sein wird, euch noch einmal zu decken. Zeugen gibt es jetzt jede Menge, dazu Benzinkanister und die Leuchtpistole mit euren Fingerabdrücken. Das Video übergebe ich unserem Anwalt und wir werden auch die Zündkerze finden, und wenn der ganze Wald umgegraben werden muss. Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass man euch eine ganz lange Zeit wegsperrt.“
Die beiden sahen wortlos zu Boden. Offenbar wurde ihnen erst jetzt die Tragweite ihrer Taten bewusst und mit Falk Stein hatten sie sich den Ärgsten Feind eingehandelt, dem sie je begegnet waren. Weder seine Worte noch seine Stimme ließen Zweifel daran, dass er die Drohungen in die Tat umsetzen würde.
„So, und jetzt macht, dass ihr hier verschwindet. Am besten, ihr grabt euch ein Loch bis zum Ende eurer Tage. Ansonsten bekommt ihr Besuch von der Staatsanwaltschaft. Haut ab!“
Mirka nahm Steffen am Arm und zog ihn mit sich. Wortlos verschwanden sie im Wald.
„Meinst du es war richtig, sie laufen zu lassen?“
Nico war sich nicht sicher.
„Was sollen wir mit ihnen machen? Man wird sie kriegen, irgendwie. Komm, wir müssen jetzt endlich zurück.“
Leo Meier kam zurück in die Hütte, er hatte sich in der Zwischenzeit den Traktor vorgenommen. Die Gesichter erhellten sich, als das sonore Tuckern des Motors zu hören war.
„Alle Mann aufsitzen, es geht jetzt endlich heim.“
Niemand ließ sich das zweimal sagen und kurz darauf saßen die Jungen auf dem Anhänger. In ihrer Mitte und jeder Bewegungsfreiheit beraubt, Mirka und Steffen. Nur Nico, Stein, Rainer und Emmi standen noch etwas ratlos in der Hütte, ihre Sorge galt dem verletzten Manni.
„Wer bleibt denn hier bei ihm? Den können wir doch so nicht mitnehmen“, fragte Nico.
Stein schüttelte den Kopf.
„Hier lassen können wir ihn nicht. Nein, wir müssen ihn mitnehmen, egal wie.“
„Unten im Keller müsste eine Tragplane sein. Der Besitzer hier hat sie oft benutzt, um Wild zu transportieren. Vielleicht geht das ja“, fiel Emmi ein.
Nico erinnerte sich an das Gerümpel in einer Ecke und vermutete die Plane dort. Er klappte ohne zu zögern die Kellerluke auf und stieg hinunter und tatsächlich befand sich die Plane unter anderen Utensilien.
Vorsichtig legten sie kurz darauf Manni auf die Plane und rollten sie zusammen, so dass er fast vollständig eingewickelt und damit geschützt lag. Gemeinsam trugen sie ihn dann hinaus und schoben ihn vorsichtig zwischen die Sitze des Anhängers.
„Wir müssen uns beeilen, es wird für ihn verdammt schnell kalt“, rief Leo und gab Emmi das Zeichen zur Abfahrt.
Sie hatte inzwischen die Hütte verriegelt und saß nun oben auf dem Traktor. Sie winkte kurz, dann lenkte sie das Gespann sicher und zügig durch den Schnee, hinaus in die Nacht und den Nebel.
Emmi fuhr gleichmäßig schnell, sie schien den Weg tatsächlich im Traum finden zu können. Der Fahrtwind war eiskalt und Nico umklammerte seinen Brustkorb mit den Armen. Er bekam Angst vor einem Rückfall, so lange lag seine Erkältung nicht zurück.
Er war froh, dass Sascha neben ihm saß und dem Fahrtwind den Biss nahm. Trotzdem betete er jede Sekunde, dass sie endlich am Camp ankommen würden.
„Runter vom Wagen und sofort – und ich sage sofort – ausziehen und unter die Duschen. Ich will eine halbe Stunde lang niemand woanders sehen als unten im Keller“, rief Falk Stein unüberhörbar, als Emmi das Gespann vor dem Camp anhielt.
Davor stand bereits ein Rettungswagen und die Sanitäter samt Doktor Schnell eilten zum Anhänger. Stein hatte sie über sein Handy informiert, als der Empfang wieder besser geworden war.
Nico sah noch einen Moment zu, wie sie Manni vom Wagen auf eine Trage hoben und ging dann eilig ins Haus, in dem bereits die Jungen verschwunden waren. Für ihn galt ebenfalls, was Stein befohlen hatte und rasch stieg er die Treppen hinauf.
Er musste diese Kälte loswerden, die sich unter seine Klamotten geschlichen hatte, und das schleunigst. So schnell wie er ausgezogen war und unter Dusche stand, war ihm das bisher selten gelungen.
Der Tag lief vor seinem Auge ab wie ein Film, jede Kleinigkeit tauchte wieder auf. Aber diesmal gab es keinen Verlust auf ihrer Seite, das Böse war in die Knie gezwungen worden. Mirka und Steffen würden es nicht mehr wagen, ihnen nachzustellen und Manni sowieso nicht. Im Moment fühlte Nico den Triumph.
Am meisten freute ihn, wie die Jungen als Team aufgetreten waren. Das war fast schon perfekt, dieses Zusammenspiel und er verbuchte das als Erfolg des Camps. Diese Jungen wären sich niemals im Leben begegnet und sie hätten ganz sicher so eine Art von Zusammenhalt nicht kennen gelernt.
Falk würde genauso denken und sein Bericht würde vor allem dem Professor gefallen. Obwohl er todmüde war, lag er in seinem Bett und starrte zur dunklen Decke. Er spürte, dass sein Körper keinen erneuten Kapriolen machen wollte und die wohlige Wärme unter der Decke bescherte ihm dann doch ein zufriedenes Gefühl.
Vielleicht fehlte jetzt noch jemand neben ihm, um die Sache ganz rund zu machen, aber man konnte nicht immer alles haben.
*-*-*
Die kommende Zeit verlief außergewöhnlich ruhig. Nach den ganzen Aufregungen änderte Stein seine Pläne kurzfristig und konzentrierte sich darauf, zusammen mit Bode und Meier den Jungen bei der Verarbeitung der Erlebnisse zu helfen.
Mannis Verletzungen war nicht so schlimm wie befürchtet, er würde keine bleibenden Schäden davontragen. Falk Stein mobilisierte Anwalt Hermann, der wiederum kümmerte sich um Polizei und schließlich Staatsanwaltschaft.
Professor Roth zog aus der Ferne alle Register, deren er habhaft werden konnte und so entstand ein regelrechter Pendelverkehr zwischen dem Ort und dem Camp mit dem Motorschlitten. Das war das einzige Fahrzeug, das bei den Schneemassen bis zum Camp hochfahren konnte.
Es gab Vernehmungen, Zeugenbefragungen, Protokolle. Unter der Last der Beweise brach dann auch Mosler zusammen und musste sofort seinen Dienst quittieren. Mirka wurde unter anderem wegen versuchten Mordes angeklagt, Steffen als Mittäter ebenfalls.
Doch all das lief mehr oder weniger im Hintergrund ab. Bis zur Gerichtsverhandlung war noch viel Zeit, es konnten Monate vergehen bis zum Termin. Aufgrund der Wettervorhersagen hatte Leo schon beizeiten vorsorglich das Lager bis unter das Dach vollgestopft.
Sollte wie angekündigt noch mehr Schnee fallen, konnten sie seiner Meinung nach lockere vier Wochen ohne Zukauf hier oben zurechtkommen. Zusammen mit dem Koch hatte er Tante Emmis Laden kurzerhand fast leergekauft. Leo wäre nie ein Risiko eingegangen, dazu hatte er mittlerweile zu viel Erfahrung.
Nico bekam damit alle Zeit der Welt, sich auf seine Prüfung vorzubereiten. Ab und an fragte er Stein um Rat, den er auch immer ausführlich bekam. Wegen dem Schnee war es für Vlado sehr schwierig geworden, ins Camp zu kommen, außerdem war er sehr mit seinen Bewerbungen beschäftigt.
Nicht selten telefonierten sie Stundenlang, bis Nico die Idee hatte, dass sie sich ja auch über Webcam unterhalten könnten. Von da an blieb Nico online und so konnten sie sich wenigstens sehen.
Die Jungen waren neben ihren Aufgaben viel draußen, fuhren Schlitten oder bauten Iglus vor dem Camp. Sie hatten sich sogar eine kleine Abfahrt am Berghang angelegt und konnten so wenigstens ein bisschen mit den Skiern fahren.
Sie hatten seltsamerweise auch Gefallen an altmodischen Spielen gefunden wie Mensch-ärgere-dich-nicht oder Halma, aber der Renner wurde Monopoly. Maik fragte Nico eines Abends, ob er einmal mitspielen wollte und da erfasste auch ihn diese nostalgische Spielsucht.
Jonas konnte sich tierisch freuen wenn Nico mal ins Gefängnis musste, was ihn wiederum grinsen ließ, wenn er Jonas ein Gebäude abnehmen konnte. Aber dieses erotische Knistern, wenn Jonas ganz in seine Nähe kam, das hatte nicht nachgelassen.
Jonas hielt den Abstand, den sich Nico gewünscht hatte. Warum das so war, hinterfragte er nicht, ihm konnte es recht sein. Anders als in den anderen Camps lebten sie hier auf engem Raum, ständig unter der mehr oder weniger ungewollten Beobachtung.
Natürlich war es nicht so, dass in Nico beim Anblick des Jungen Gleichgültigkeit aufkam, es war vielleicht eine Art Respekt voreinander. Jonas hatte mitbekommen, dass Nico nicht nur ein Mitläufer hier war und er ihn nun anders einschätzte.
Falk Stein kam eines Morgens beim Frühstück mit einer überraschenden und schönen Botschaft. Er und Nico saßen sich gegenüber und der spürte sofort, dass es etwas Neues zu berichten gab. Stein hielt damit auch nicht lange über den Berg.
„Ich hatte dir doch von meinem Kameraden bei der Bundeswehr erzählt?“
„Ja, den wolltest du mal fragen, wegen dem Soldaten, der Marco gerettet hat.“
„Genau. Ich habe ihn endlich erreicht und er hat auch gleich recherchiert. Der Soldat ist nicht mehr im Dienst, aber er hat das Unglück überlebt.“
„Wurde er schwer verletzt?“
„Keine Ahnung, da weiß ich auch nichts Näheres. Was er jetzt macht wusste mein Kamerad nicht, nur dass er eben aus dem Militär ausgeschieden ist. Vielleicht hatte das auch andere Gründe. Trotzdem will er versuchen, mehr über ihn zu erfahren.“
„Wenigstens schön zu wissen, dass er es überlebt hat.“
In diesen Sekunden fiel Nico Marco wieder ein. Er hatte nichts mehr von ihm gehört, was er trotz allem seltsam fand. Ging es ihm gut? Hatte man ihm helfen können? Er beschloss, ihm eine Mail zu schreiben.
Wenig später schickte er die Mail ab.
Hallo Marco.
Ich habe lange nichts von dir gehört. Geht es dir gut? Gibt es Fortschritte? Was macht Amerika? Hier war mal wieder allerhand los, aber davon berichte ich dir ein anderes Mal genauer. Bitte melde dich kurz, damit ich beruhigt bin.
Liebe Grüße
Nico
Doch eine Antwort bekam er in der Folgezeit nicht. Es war jener Abend, als Nico grade in sein Zimmer hoch wollte und noch einmal den Flur bei den Zimmern entlang lief. Die Türen standen wie immer offen, in einem Zimmer hatten sich die Jungs versammelt und lagen kreuz und quer auf dem Boden.
Nico schöpfte sofort Verdacht, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Er betrat das Zimmer, nachdem er höflich an den Türrahmen geklopft hatte. Sie waren nicht schnell genug, um ein paar Zeitschriften verschwinden zu lassen und so konnte Nico gerade noch eine fast nackte Frau auf einem Magazin erspähen.
Aber er reagierte darauf zunächst nicht. Wie sagte Falk so treffend? Kein Kloster.
„Hallo Jungs. Vor mir müsst ihr die Hefte nicht verstecken, aber ich wüsste gerne, woher die habt. Mitgebracht wohl eher nicht, oder?“
Sascha war am auffälligsten knallrot angelaufen. Kleinlaut gab er an, dass er die Hefte von einem alten Schulfreund zugeschickt bekommen hatte. Nico erinnerte sich, dass sich unter der Post die letzten Tage ein größeres Päckchen befunden hatte.
Durch die Handys bekamen die Jungs sehr selten Post, meist von Ämtern oder selten auch mal von Verwandten. Insofern war das alles kein Beinbruch, nur mussten sie vorsichtig sein, dass solche Päckchen nicht Dinge enthielten, die hier unerwünscht waren.
Nico fiel dann auf, dass Jonas in der Runde fehlte. Er fragte nach ihm.
„Der ist vor einer Weile in sein Zimmer“, gab Timo die Antwort.
Irgendwie logisch, dachte Nico. Was soll ein Junge wir er mit knallharten Pornos anfangen? Trotzdem beschloss er, nach Jonas zu sehen.
„Dann viel Spaß noch.“
Mehr wollte er dazu nicht sagen. Er klopfte an Jonas Tür, die ungewöhnlicherweise geschlossen war. Als auch beim zweiten Versuch keine Antwort kam, öffnete er langsam die Tür.
Jonas lag auf seinem Bett, die Decke bis an den Hals gezogen und warf Nico einen sehr verklärten Blick zu. Außerdem schien er schwer zu atmen. Dass er die Decke mit seinen Händen von unten abstützte, fiel Nico sofort auf und da es keine weiteren Anzeichen gab, dass Jonas etwas fehlen könnte, kam er zu nur einem Schluss.
„Entschuldige, Jonas, das war keine Absicht. Ich wollte nur sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist. Bin auch schon wieder weg.“
„Macht nichts“, gab Jonas leise zurück, „alles in bester Ordnung.“
Nico zog die Tür wieder zu und schnaufte erst einmal tief durch. Er wusste wie das ist, wenn man sich einen runterholt und dann mitten im oder kurz nach einem Orgasmus gestört wird. Das ist ein katastrophaler Zustand, in dem man vor Zorn aus der Haut fahren konnte.
Von einer Sekunde auf die andere erlischt dieses Hochgefühl, als würde eine Lampe ausgeschossen. Nach einigen Sekunden beruhigte er sich wieder, wobei er jetzt Jonas‘ Decke geistig beiseite schob und die Spermaspritzer betrachtete.
Er grinste in sich hinein und ging endlich nach oben. Künftig würde er es vermeiden, eine Tür zu öffnen, hinter der nicht geantwortet wird. Egal bei welchem der Jungen. An einem Sonntagmorgen wurde Nico wach, als die Sonne auf sein Bett schien.
Er richtete sich verwundert auf. Wie kam das? Die ganze Zeit über schien sie zwar ins Zimmer, nicht aber direkt auf sein Bett. Dann lachte er zu sich selbst.
„Die Sonne wandert zu ihrem tiefsten Punkt, jetzt kann sie dich wecken, weil sie fast ganz im Süden steht“.
Er streckte die Arme hoch, quietschte und fuhr sich durch die Haare. Jetzt ein Frühstück mit starkem Kaffee, frischen Semmel, Ei, Wurst, Schinken, Käse.. Er horchte auf, als die Treppe knarrte und seinen knurrenden Magen übertönte. Gebannt starrte er zur Luke hin.
Was er dann sah, ließ ihn an einen Traum glauben.
„Das nächste Mal nimmst du dir ein Zimmer im Erdgeschoss. Verdammt eng hier das alles.“
Zum Vorschein kam ein hübscher, junger Mann, der vor sich ein beladenes Tablett jonglierte.
„Vlado?! „
„Wer sonst? Hattest du am Ende jemand anderes erwartet?“
Vlado hatte sich verändert in den letzten Wochen, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Die Webcam grieselte, verzerrte Gesichter und fälschte die Farben. Kein Vergleich zu dem Gesicht, das jetzt vor ihm von der Sonne bescheint wurde und es in goldenen Schattierungen aufleuchten ließ.
Nico konnte seine Augen nicht von ihm nehmen.
„Was starrst du denn so? Würde der Herr vielleicht mal den Tisch frei machen? Nicht genug dass man..“
„Ja doch, ich kann schließlich nicht zaubern“, rief Nico und stand hastig auf.
Er ging zu dem Tisch, schob seine Schreibsachen beiseite und wartete, bis Vlado das Tablett abgestellt hatte. Dann trat er direkt vor ihn.
„Gott, habe ich dich vermisst.“
Mehr Worte fielen nicht, konnten nicht fallen, da sich ihre Lippen trafen und ein intensiver Kuss jedes Gespräch unterband. Nico ließ seine Hände über Vlados Rücken gleiten, spürte aber nur die Kälte, die dort anhaftete. Er löste sich von seinen Lippen und ging ein Schritt zurück.
„Du bist Arschkalt, weißt du das?“
Vlado neigte den Kopf und grinste.
„Soso. Draußen ist nun mal kein Sommer, aber wie du meinst. Wenn ich dir zu kalt bin, ich kann ich ja auch wieder gehen.“
Durch einen ziemlich kräftigen Schubs landete er daraufhin auf dem Bett, einen Augenblick später lag Nico auf ihm.
„Untersteh dich“, flüsterte er und küsste Vlado auf die Wange. „Es ist so schön, dass du hier bist.“
Vlado hob ihn von sich.
„Ja, sicher. Aber bevor das hier ausartet, würde ich persönlich jetzt gerne Frühstücken. Das Ganze übrigens mit Gruß von Herrn Stein.“
„Von Falk?“
„Er hat mich gefragt ob ich schon gefrühstückt hätte und weil dem nicht so war, lotste er mich in Küche. Herr Holzmann war dann so nett.“
Nico grinste.
„Falk. Ich hätte es mir denken können.“
„Was denn?“
„Vlado, ich habe vor vielen Leuten Geheimnisse, aber vor Falk kann man gar keine haben. Er schaut dir direkt durch die Augen in den Kopf. Er weiß, was du denkst, was du planst und was du gemacht hast.“
„Du meinst, er weiß von uns zweien?“
„Das ist so sicher wie die Tonnen an Schnee auf diesem Berg. Aber komm, bevor der Kaffee kalt wird.“
Es befanden sich genau die Sachen auf dem Tablett, wovon Nico noch vor ein paar Minuten geschwärmt hatte. Holzmann müsste man einen Orden verleihen. Einen besseren Koch hatte er noch nirgendwo erlebt.
Trotz ihrer täglichen Treffen im Chat und mit der Webcam hatten sie sich viel zu erzählen. Unter anderem erfuhr Nico während dem sie frühstückten, dass der neue Ortspolizist ein erfahrener Mann mit Prinzipen war. Den konnte niemanden bestechen.
Sorge machte Nico aber auch, dass der Strehler-Bauer anscheinend Terror macht. Steffen war aus der näheren Verwandtschaft und dass der ins Gefängnis sollte, schmeckte dem Alten gar nicht.
„Meinst du, der macht jetzt auch noch Ärger?“
„Weiß nicht, Nico. Er ist stinksauer, es geht ja schließlich auch um seine Ehre. Schon jetzt haben einige Bauern ihre Fahne gegen seinen Wind gedreht. Das ist etwas, was den richtig wütend macht.“
„Na gut, warten wir ab. Vorläufig liegt da so viel Schnee, da kommt niemand freiwillig auf dumme Gedanken. Wie hast du es eigentlich hier herauf geschafft?“
„Momentan ist der Schnee recht fest, zumindest in den Spurrillen der Schneemobile. Ist etwas anstrengend, aber durchaus machbar. Zwanzig Zentimeter sind ja auch nicht wirklich viel.“
„Ja, zum Glück hat uns ein Bauer im Ort das Ding geliehen. Sonst wären die ganzen Leute neulich gar nicht hier heraufgekommen. Anwälte, Polizei.. ach komm, lass uns von etwas anderem reden.“
„Gut, Nico, etwas wirklich anderes. Ich werde die nächste Zeit nicht kommen können, darum bin ich eigentlich auch hier, um dir das zu sagen. Ich muss mich in München vorstellen und werde die Ferien bei einer Tante dort verbringen. Eigentlich war das nicht in meinem Plan, aber erstens war ich ewig nicht in München und dann besitzt meine Tante Beziehungen, die für meinen künftigen Beruf wichtig sein dürften. Zum Beispiel ist der Leiter der Forstbehörde ein guter Freund, sagt sie. Da kann ich kaum mal auf ein paar Stunden vorbeikommen. Sie hat übrigens ein riesen Anwesen und Platz für eine ganze Armee.“
Nico schluckte. Das waren keine erfreulichen Nachrichten und darunter litt sofort seine Stimmung.
„Hm, ja, was soll ich sagen. Klar, dein Job und deine Zukunft gehen vor. Du hast es ja auch angekündigt.“
Nichts war mit gemütlichen Weihnachten, heimelige Abende mit Vlado bei Kerzenschein und Glühwein und noch ganz anderen, wesentlich interessanteren Dingen. Davon musste sich Nico auf der Stelle verabschieden.
„Tja, schade, aber nicht zu ändern. Wann gehst du los?“
„Freitag beginnen die Ferien, da fahre ich auch weg. Ich wollte es dir früher sagen, aber dann dachte ich, das ist über Chat und so echt blöd.“
„Lieb von dir, trotzdem. Und was nun?“
„Naja, ich denke, vielleicht sehen wir uns doch bald wieder. Spätestens im Gerichtssaal.“
„Stimmt, als Zeugen müssen wir dabei sein. Aber man weiß nicht, wann das ist.“
„Nein, völlig ungewiss. Dennoch müssen wir alle erscheinen.“
Das war immerhin ein Hoffnungsschimmer und unter Umständen waren sie zum Zeitpunkt der Verhandlung ja noch im Camp. Dennoch, ein Grund zur überschwänglichen Freude war es für beide nicht.
Plötzlich knarrte die Treppe erneut und die beiden sahen zu der Luke hin.
„Erwartest du jemand?“, fragte Vlado leise.
„Nö, nicht wirklich.“
Den Haarschopf, der sich zuerst zeigte, kannte Nico. Sehr genau sogar. Dann kam ein Augenpaar zum Vorschein.
„Oh, Tschuldigung, ich wollte nicht stören.“
„Du störst nicht, Jonas. Was gibt es?“
Der Junge strecke den Kopf ganz durch die Luke.
„Ähm, es ist heute ein so tolles Wetter und ich möchte fragen, ob du mit uns ein bisschen wandern gehst. Herr Stein sagt, alleine dürfen wir nicht und ich solle dich fragen.“
Nico winkte ihn zu sich.
„Komm her, wir beißen nicht.“
Nico hätte Allzu gerne gewusst, was in Jonas jetzt vorging. Er hatte ihn beim wichsen erwischt und das ist ohne Zweifel eine oberpeinliche Situation. Es ist mit eine der intimsten Handlung, die ein Mensch durchführt und dabei erwischt zu werden, das vergisst man so schnell nicht. Aber Jonas schien ihm ganz normal.
Neugierig sah sich Vlado den Jungen wohl etwas genauer an. Es sah eher nach einer Musterung aus. Jonas‘ Blick ging unschlüssig zwischen den beiden hin und her. Nico vermutete, dass er irgendein Anzeichen suchte, das ihm seine Annahme, sie hätten etwas zusammen, bestätigt. Aber dann blieb sein Blick auf Nico hängen.
„Und, magst du mit uns kommen?“
Da war so ein liebes, unterschwelliges Betteln in Jonas‘ Stimme, dessen sich zu wiedersetzen fast unmöglich war. Außerdem hatte Nico auch Lust, endlich wieder etwas für seine Fitness zu tun.
Richtig genommen hätte er das in abgewandelter Form auch hier im Zimmer mit Vlado machen können und den Gedanken daran fand er recht amüsant. Aber Falk wollte ganz offensichtlich, dass er mit den Jungen etwas unternimmt. Ihn konnte er keinesfalls enttäuschen.
„Ich muss mir das überlegen, Jonas. Ich hab hier noch ne Menge Arbeit rumliegen und wenn ich einen Plan habe, gebe ich euch Bescheid. Okay?“
„Alles klar. Wir warten dann so lange.“
Damit verschwand er wieder mit einem leisen Tschüs. Vlado sah ihm nach und als es wieder still wurde auf der Treppe, räusperte er sich und grinste.
„Schnuffiges Kerlchen, dieser Jonas.“
Nico bekam große Augen.
„Was hast du da grade gesagt?“
Vlado wehrte mit den Händen ab.
„Ich habe nur gesagt, was ich denke. Mehr soll das nicht bedeuten.“
Nico verschränkte die Arme, zog einen Schmollmund und lehnte sich zurück.
„Mein lieber Vlado, das geht zu weit. Aber darüber reden wir ein anderes Mal. Ich könnte mir zwar denken, dass du mir noch aus einem ganz bestimmten Grund einen Besuch abstattest, aber ich glaube, der Zeitpunkt ist nicht besonders günstig.“
„Also ich verbete mir so eine Unterstellung“, grinste Vlado, „ich komme hier Sonntagsmorgens, an dem andere Leute in die Kirche gehen, auf einen Anstandsbesuch und du denkst, ich hätte Schlimmes im Sinn.“
Nico hörte keine Enttäuschung heraus, ganz ernst gemeint war ihr Gespräch ohnehin nicht. Er stand auf, ging um den Tisch, fasste Vlados Kopf mit beiden Händen und küsste ihn zart auf die Lippen. Er spürte Vlados Hände auf seinem Hintern auf- und abfahren, fühlte die Zunge an seiner und sog den Duft des Jungen in sich auf. Ja, er wäre jetzt mit Vlado ins Bett, viel zu lange hatte er darauf gewartet. Aber es war tatsächlich ein ungünstiger Zeitpunkt.