Sunshine after the Rain – Teil 1

Thilo…

Eigentlich liebte ich sie, aber ich hasste sie auch. Sie kamen immer dann, wenn man sie nicht gebrauchen konnte, aber dafür war ihr Spektakel herrlich anzusehen. Wo von ich rede? Ich habe es von Gewitter. Genau so eins, wie da gerade wieder im Anzug war.

Und ich noch zu weit weg um rechtzeitig zu Hause zu sein. Ich begann zu rennen, als die erste Windböe mich streifte. Jetzt ärgerte ich mich nicht das Fahrrad genommen zu haben. Aber ich dachte, bei der Schwüle und dann noch mit dem Fahrrad unterwegs, da wär ich gleich nass geschwitzt.

Das war ich jetzt nach kurzer Zeit auch, denn das Rennen brachte das gleiche Ergebnisse. Schon war der Blitz zu sehen. Wie eine unsichtbare Macht schob es schnell die schwarzen Wolken hinter mir her.

Ich zog den Kopf ein, denn ich erschrak, als der laute Donner folgte. Und schon waren die ersten Spritzer in meinem Gesicht zu spüren. Dann brach die Hölle los. Wie scharfe Geschosse platschen die Regentropfen auf mein Gesicht und die restlichen freien Hautstellen.

Vor mir tauchte die Busstadion auf, die Nahe an unserem Haus stand. Mit einem Rutscher glitt ich unter ihr Dach. Eigentlich froh einen Unterstand zu haben, aber gleichzeitig verärgert, weil total durchnässt.

In einer Ecke saß zusammengekauert eine Katze, ebenso nass wie ich. Sie zuckte zusammen, als der nächste Blitz kam. Ich ging zu ihr und nahm sie auf meinen Arm. Ohne Gegenwehr ließ sie das mit sich geschehen.

Diesmal zuckten wir beide zusammen, als der nächste Knall über uns herein brach. Ich hob schützend meine Hand vor ihr Köpfchen. Sie vergrub sich regelrecht darin.

„Na du, nun stehn wir hier, total nass. Wo kommst du denn her, habe dich noch nie hier gesehen?“

Ich schaute mir das Tier genauer an. Am Hals, an einem schmalen Gurt, hing ein kleines Amulett.

„Minka heißt du also“, sagte ich.

Die Katze hob den Kopf und schaute mich an.

„Auf den Namen hörst du also, nur wo wohnst du denn?“

Ich pfrimmelte zitternd das Amulett auf. Vor mir lief das Wasser die Straße hinunter. Die Regenwand vor mir wurde immer dichter, das Wasser spritze in den Unterstand hinein. Eng drückte ich mich an die Rückwand und versuchte die Adresse zu entziffern.

Ich wunderte mich, denn die Katze wohnte nur vier Häuser weiter. Also, musste wieder jemand in dem Haus wohnen. Minka zitterte bei jedem Donnergrollen mehr. Ich strich über ihr nasses Fell und versuchte sie zu beruhigen.

So standen wir beide mindestens eine viertel Stunde gemeinsam zitternd unter der Bushaltestelle, bis endlich der starke Regen nachließ. So schnell wie das Gewitter aufgezogen war, war es auch wieder verschwunden.

„Dann werde ich dich mal noch heimbringen, bevor ich mich selber trocken lege“, meinte ich und kraulte ihr Köpfchen.

Überall stand das Wasser, es war einfach zuviel und lief jetzt nur langsam ab. Vor dem Haus in dem die Katze wohnte, blieb ich stehen. Mir war wirklich nicht aufgefallen, das an den Fenstern wieder Gardinen hingen.

Ich lief die Treppe zur Eingangstür hinauf und schaute nach dem Klingelknopf.

„Smith.“

Noch immer tropfend, drückte ich den Knopf und wartete. Drinnen war Treppengepolter zu hören, dann öffnete sich die Tür. Ein Junge in meinem Alter schaute heraus, erst mich dann die Katze an.

„Oh Minka, where have you been?“, fragte er sie.

Ohne ein Wort reichte ich ihm die Katze.

„Danke….. , ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

„Ach so, Thilo ist mein Name“, sagte ich.

„Ronny!“

Er streckte mir seine Hand entgegen.

„Wo hast du sie denn gefunden?“, fragte er mich und ich konnte einen leichten englischen Akzent heraus hören.

„Vorne an der Bushaltestelle, da saß sie zusammengekauert“, antwortete ich.

Er schaute auf die Katze.

„Du dummes Ding, ich habe dir gesagt, du wirst draußen nass.“

Er schaute ruckartig nach oben und musterte mich.

„Oh, Sorry. Du bist auch ganz nass, kann ich dir ein Handtuch geben?“, fragte er verschämt.

„Nein, ich geh gleich nach Hause, ich wohn da drüben.“

„Okay, dann mach bitte, nicht das du dir eine Krankheit einfängst.“

Ich wollte schon die Treppe wieder runterlaufen, als noch jemand an der Tür auftauchte.

„Ronny, ist etwas geschehen?“

Anscheinend seine Mutter. Sie hatte dieselben rötlichen Haare wie er selbst.

„Nein Mum. Dieser Junge hat gerade Minka zurück gebracht, die unfreiwillig eine Dusche abbekommen hat.“

„Warum bittest du ihn dann nicht herein?“, fragte die Frau.

„Entschuldigung, ich werde aber lieber jetzt nach Hause gehen und mir etwas Trockenes anziehen“, unterbrach ich die Beiden.

Die Frau nickte mir zu und lächelte. Ich winkte den beiden noch einmal zu und rannte zu unserem Haus zurück. Als ich die Haustür aufschloss, kam mir schon mein Vater entgegen.

„Mein Gott Thilo, dich hat das Gewitter ja voll ertappt“, meinte er und es war das Startzeichen für meine Mutter, die aus der Küche stürmte.

„Thilo, ist dir etwas geschehen? Du hast ja ganz blaue Lippen.“

„Nein Mum, ich bin nur nass geworden, ich würde mich aber gerne duschen und was trockenes anziehen.“

„Gib mir deine Schuhe, die bringe ich gleich in den Heizungsraum runter zum trocknen“, sagte meine Mum.

Mein Dad grinste und verschwand wieder in Wohnzimmer. Ich zog meine Turnschuhe aus und reichte sie meiner Mum. Erst jetzt spürte ich wie eklig die Klamotten an mir klebten. Tropfend lief ich die Treppe hinauf, Richtung meinem Zimmer.

„Keine Sorge wegen der Treppe, ich wisch dir gleich hinterher“, kam es noch von meiner Mutter, bevor sie in den Keller verschwand.

Seit meine Noten in der Schule etwas besser wurden, verstand ich mich mit meinen Eltern wieder besser. Die ewigen Streitereien, waren weniger geworden. Umso mehr freute ich mich, das meine Mutter mich wieder so umhegte.

In meinem kleinen Dachzimmer angekommen, lief ich erst mal in mein Bad. Mit viel Schwierig-keiten bekam ich das nasse Zeugs von der Haut und stellte mich unter die Dusche. Dieser warme Schauer, war mir sehr viel lieber, als den eben Erlebten.

* * *

Thilo…

Es klopfte an meiner Tür.

„Ja?“

Mein Dad lugte herein.

„Du hast Besuch bekommen, kommst du runter?“, fragte mein Dad.

„Ich Besuch? Sind doch alle weggefahren.. wer?“

„Komme einfach herunter.“

Und schon war mein Dad wieder verschwunden. Ich zog mir noch Socken über und folgte ihm kurz darauf.

„Und seit wann bist du wieder hier?“, hörte ich meine Mutter fragen.

„Seit zwei Wochen“, hörte ich eine Stimme sagen und bog in die Küche.

„Thilo, du hättest uns ruhig von deiner Rettungsaktion erzählen können“, kam es von meiner Mum.

Mir gegenüber standen Ronny und seine Mutter, bei meinen Eltern.

„Ihr kennt euch?“, fragte ich verwirrt.

„Ja Heike und ich haben zusammen studiert“, meinte mein Dad, „ aber als sie Eduard heiratete und nach England gezogen ist, ist unser Kontakt leider abgebrochen.“

„Als ich euren Jungen sah, muss schon sagen, Dirk er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten, musste ich einfach vorbei schauen“, meinte Heike.

Ronny stand die ganze Zeit stumm neben ihr.

„Wollt ihr zwei nicht zu dir rauf gehen?“, fragte meine Mum mich.

Ich schaute Ronny an der mir nickend zulächelte.

„Dann können wir uns in Ruhe im Wohnzimmer bei einem Gläschen Wein unterhalten“, meinte mein Dad.

Heike begann zu lachen.

„Immer noch der alte Dirk“, meinte sie und folgte ihm ins Wohnzimmer.

Ronny folgte mir die Treppe rauf.

„Du bist in England aufgewachsen?“, fragte ich.

„Ja“, kam nur von ihm.

„Du kannst aber sehr gut deutsch“, sagte ich.

„Meine Mum hat mich von Anfang an, zweisprachig erzogen.“

„Gehst du dann auch nach den Ferien hier auf unsere Schule?“

„Wieso, gibt es hier verschiedene?“

„Nein, nur die Eine.“

„Dann gehen wir wahrscheinlich auf dieselbe Schule.“

„Cool.“

Wir hatten mein Zimmer mittlerweile erreicht, Ronny setzte sich an meinen Schreibtisch.

„Nett hast du es hier“, meinte er und schaute sich um.

„Klein, aber mein“, erwiderte ich.

„Stimmt, mein Zimmer ist zwar größer, aber deines ist viel schöner eingerichtet.“

„Wohnst ja auch noch nicht lange hier.“

Ich folgte seinem Blick, der anscheinend jeden Zentimeter meines Zimmers besah.

„Treibst du Sport?“, fragte mich Ronny.

„Ja, ich fahr viel Inliner, aber bei der Hitze gerade, meide ich das.“

„Verständlich. Gibt es hier Plätze. Wo man fahren kann?“

„Hast du auch welche?“

„Ja, aber zu Hause hatte ich wenig Möglichkeiten zu fahren.“

Etwas trauriges hing in diesem Satz. Ich schaute ihn an.

„Vermisst du England?“

„Ja.“

Er starrte steif auf mein Dachfenster und ich merkte wie ihm eine Träne runterkullerte.

„Hat sich Minka wieder erholt?“, fragte ich um von den Thema abzulenken.

„Die lag in ihrem Korb und schlief, als ich ging.“

Er sah mich mit glasigen Augen an, ich musste schlucken.

„Tut mir leid, wenn ich bei dir was schmerzliches ausgelöste habe“, sagte ich leise.

„Schon in Ordnung. Es ging alles so schnell, ich konnte mich gar nicht so richtig mit dem Gedanken anfreunden, von England wegzugehen.“

„Du kannst doch, wenn du volljährig bist, jederzeit wir rüber fahren und dort bleiben.“

„Will ich nicht, das mit hier, ist besser so.“

Ein wenig verwirrt war ich jetzt doch, aber nachhacken wollte ich jetzt auch nicht.

* * *

Thilo…

Ronny und Heike waren gegangen. Ich lag auf meinem Bett, lauschte der Musik und ließ den Tag Revue passieren. Ich musste lächeln, als ich an Minka dachte. Seit ich Lex bei einem Unfall verloren hatte, wollte ich kein Tier mehr haben.

Doch jetzt, sehnte ich mich irgendwie nach ihm zurück. Seit ich Minka auf dem Arm hatte, vermisste ich das Gefühl, mit Lex zu schmusen, Unsinn zu machen.

Die ersten Sonnenstrahl, die durch mein Dachfenster fielen holten mich wieder in die reale Welt zurück. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es kurz nach neun war.

Sollte ich liegen bleiben und weiterschlafen oder doch schon aufstehen. Ich entschied mich für letzteres und stand auf. Ganz und vermittelt und plötzlich war er dann da. Der Gedanke an Ronny. Bisher hatte ich nie einen richtigen Freund.

Ich mochte Ronny sehr, man konnte so herrlich mit ihm über alles reden. Ich drehte meine Dusche an und stellte mich unter den warmen Schauer. Ob ich ihn nachher gleich an rufen sollte? Total im Gedanken regestierte ich nur halb, dass ich absolut eine Mola hatte.

Etwas verwirrt sah ich mein Teil an. Was war das jetzt? Ich hatte an Ronny gedacht und dabei einen Ständer bekommen. Durcheinander wusch ich mich und stellte meine Dusche ab. Beim Abtrocknen, verwarf ich alle Gedanken an Ronny und schaute zu, das ich etwas zum Anziehen fand.

Mum und Dad waren bereits arbeiten. Wir hatten beschlossen dieses Jahr zu Hause zu bleiben, und das Geld für Weihnachten zu sparen, um dort gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Es störte mich nicht weiter in den Sommerferien daheim zusitzen.

Da ich eh wenig Kontakt zu meinen Klassenlameraden hatte, machte es mir auch nichts aus, dass diese alle wegegefahren waren und ich nun mehr oder weniger jeden Tag alleine rumtigerte. Ich saß am Küchentisch und biss genüsslich in meinen Marmeladentoast.

Mum und Dad hatten es aufgegeben sich zu wundern, das ich nicht großartig mit Gleichaltrigen herum hing, noch irgendwelche Mädchen nach Hause schleppte. Vielleicht war ich auch ein Spätzünder, denn mit sechszehn hatte alle anderen schon mindestens eine Freundin gehabt.

Mir war das wirklich egal, ich konnte da irgendwie nichts dran finden. Das Telefon riss mich aus meiner Gedankenwelt. Ich nahm ab.

„Thilo Gerstner.“

„Morgen Schatz.“

Meine Mum.

„Morgen Mum.“

„Gut geschlafen?“

„Ja, habe ich. Ist irgendwas?“

„Ja, ich wollte fragen ob du heute einkaufen gehen könntest, bei mir wird es heute später.“

„Und was soll ich einkaufen?“

„Ich hab dir eine kleine Liste an den Kühlschrank gepint.“

„Geld liegt da, wo es immer liegt?“

„Ja genau. Bevor ich es vergesse…“

„Was?“

„Meinst du, du könntest dich heute ein wenig um Ronny kümmern?“

„Wieso das denn?“

„Heike ist ebenfalls den ganzen Tag wegen ihres neuen Jobs unterwegs und Ronny kennt doch niemand hier.“

Ich seufzte.

„Okay, ich ruf ihn gleich an, was er vorhat.“

„Danke Schatz, wir sehn uns dann heut Abend.“

„Ciao, bis heut Abend.“

„Tschüß Thilo.“

Sie hatte aufgelegt, ich hörte nur noch den Piepton in der Leitung. Am Kühlschrank fand ich die „kleine“ Liste, von der Mum gesprochen hatte, da brauchte ich ja einen Schwertransporter um das alles heim zukarren.

Ich lief ans Fenster und schaute Richtung dem Haus, in dem Ronny wohnte. Alle Rollläden waren oben, also könnte er schon wach sein. Da fiel mir ein, wie konnte ich ihn anrufen, ich hatte ja nicht mal seine Nummer.

Oben, in meinem Zimmer, wollte meine Turnschuhe anziehen, aber fand sie nicht. Mir fiel das Gewitter von gestern wieder ein, die mussten noch zum Trocknen im Heizungsraum stehen. Also rannte ich wieder nach unten, diesmal in den Keller.

Ich fand sie auf dem Kessel stehend vor. Sie waren trocken. Ich schlüpfte Barfuss hinein und lief zurück in die Küche, nahm meinen Schlüssel und verließ das Haus. Warum ich zu Ronny rannte, wusste ich auch nicht.

Nachdem ich klingelte, wurde auch sehr schnell geöffnet.

„Morgen Ronny, schon was vor?“, begrüßte ich ihn.

„He schon so früh auf?“, fragte er mich zurück.

„Ja, weiß auch nicht warum, schlafe normalerweise lange.“

Er konnte aber auch noch nicht solange aufsein, denn seine Haare standen wirr in alle Richtungen.

„Hast du etwas vor?“, fragte er mich.

„Ja, ich muss noch kurz einkaufen gehen und danach will ich Inliner fahren.“

„Oh cool, darf ich mit kommen?“

„Natürlich, oder warum meinst du, wieso ich hier stehe?“

„Einen kleinen Augenblick noch, muss mir aber erst was anderes anziehen. Komm einfach rein.“

Da das Haus ähnlich geschnitten war wie unseres, kannte ich mich schon ein wenig aus.

„Bin gleich unten“, rief es von einem Stock höher.

Ich schaute mich einwenig um. Hier erinnerte wenig an England, es sah von den Möbeln her aus, wie bei uns zu Hause. Ronny kam wieder die Treppe herunter.

„So ich bin fertig, wir können los“, sagte er.

Seine Inliner hatte er zusammen gebunden und baumelten an der Schulter. Er hatte wie ich jetzt auch kurze Shorts an.

„He krasse Klamotten. Sind die aus England?“, fragte ich.

„Ja, wieso?“

„Solche kriegt man hier nirgends zu kaufen.“

Er öffnete die Wohnungstür und ich ging hinaus. Als er abgeschlossen hatte, liefen wir zusammen zurück zu mir. Wir stellten Ronnys Inliner im Flur ab und gingen gemeinsam einkaufen. Die ganze Zeit waren wir am rumblöden und irgendwann schafften wir es auch noch, die Einkäufe heil nach hause zu bekommen.

„Wollen wir trotzdem noch fahren?“, fragte Ronny und wies auf eine kleine schwarze Wolke am Himmel.

„Klar, die ist noch zu klein, um uns etwas anzuhaben“, antwortete ich und rollte die Auffahrt hinunter.

Ronny legte seinen tragbaren Cd-Player an und folgte mir. Langsam nahm ich fahrt auf, denn ich wollte Ronny nicht verlieren. Es dauerte eine Weile, bis wir am Waldrand waren. Hier gab es einen geteerten Weg, der bis zum Nachbarort führte.

Ab und zu schaute ich zu Ronny und merkte bald, dass sein Blick immer trauriger wurde.

„Was hörst du?“, fragte ich.

Ronny reagierte nicht.

„Ronny!“

Er sah auf und nahm die Ohrstöpsel raus.

„Was ist?“

„Ich habe gefragt was du hörst.“

„Blue… Breath easy.“

“Das ist traurig…. Die ganze Zeit schon?“

„Ja..“

„Aber warum… ich meine, ich seh selber wie traurig du plötzlich geworden bist.“

Wir rollten aus, bis wir endlich standen. Ronny schaute verschämt zu Boden.

„Es tut mir leid, wenn ich etwas zu direkt bin… aber ich kenn den Text… trifft er auf dich zu?“, fragte ich leise.

Ronny nickte.

„In England?“

Er nickte abermals.

„Musstest du sie zurücklassen?“

Er schaute auf und sah mich an. Tränen liefen über sein Gesicht.

„Nein … ich habe vorher Schluss gemacht, ich wollte es ihm leichter machen.“

Ronny drehte sich um und fuhr zurück.

Ihm? Hatte er gerade ihm gesagt? Jetzt verstand ich nichts mehr.

„Ronny, so bleib doch stehen“, rief ich ihm hinter her.

Er fuhr weiter ohne sich einmal umzudrehen. Seine Geschwindigkeit war hoch und so konnte ich ihn auch nicht einholen. Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf. Ich hätte jetzt gerne mit Ronny darüber geredet, aber ich wusste nicht mal wie.

Zu Hause angekommen, saß Ronny zusammen gekauert auf unserer Treppe.

„Meine Schlüssel liegen noch bei dir drin“, sagte er mit weinerlicher Stimme.

Ich stampfte mühsam an ihm vorbei und schloss die Haustür auf. Schon der Inliner entledigt, folgte er mir nahm seine Schuhe und Schlüssel und ging wieder nach draußen. Ich stand im Türrahmen und beobachtete ihn.

Nach dem er seine Schuhe angezogen hatte, die Inliner über die Schulter hängte, drehte er sich noch mal zu mir um.

„Es tut mir leid, Thilo.“

„Was?“, fragte ich mit sanfter Stimme.

„Ist jetzt eh zu spät“, meinte er, drehte sich um und ging.

Ich stand die ganze Zeit auf der Treppe und schaute ihm nach, bis er selbst in seinem Haus verschwand. Nachdenklich rollte ich zurück in den Flur und zog ebenso meine Inliner aus. Was sollte das jetzt?

* * *

Thilo…

„Hallo Thilo, ich bin zu Hause“, rief es von unten.

Ich war den ganzen Mittag auf dem Bett gelegen und über Ronny nachgedacht. Mich fröstelte ein wenig, denn die Sonne war weg und draußen wurde es dunkel. Ich stand auf und lief nach unten in die Küche.

„Hast du alles bekommen, was ich aufgeschrieben habe?“, fragte meine Mum, die ebenfalls noch zwei große Tüten mitgebracht hatte.

„Ja habe ich und auch gleich alles verräumt“, antwortete ich eher mechanisch.

„Ist irgendwas?“, fragte meine Mum und lugte aus dem Kühlschrank hervor.

„Nein, nichts, was soll den sein?“, meinte ich, aus dem Gedanken aufgeschreckt.

Sie stand vor mir und schaute mir in die Augen.

„Was ist, Thilo?“

Ich schüttelte den Kopf und begann die eine Tüte auszuräumen.

„Gut, dann halt eben nicht…“, meinte Mum und räumte den Kühlschrank weiter ein.

„…ich habe vorher Schluss gemacht, ich wollte es ihm leichter machen“

Er hatte eindeutig ihm gesagt, ich war schon am verzweifeln.

„Mum, ich geh noch mal zu Ronny rüber“, sagte ich und schnappte mir meine Schlüssel.

„So?“

„Ähm was?“, fragte ich.

„Ob du so rübergehen willst?“, fragte Mum und deutete auf mich.

Ich schaute an mir hinunter und bemerkte das ich nur in Shirt und Unterhose dastand.

„Also, Thilo jetzt sag, was ist passiert.. ist etwas mit Ronny?“

„Mum, könne wir uns da später unterhalten?“

„Okay“, war alles, was sie dazu sagte.

Ich rannte auf mein Zimmer zog mir schnell etwas an und kurz danach stand ich schon vor Ronnys Haustür. Ich klingelte immer wieder doch die Tür blieb verschlossen. Die Gardinen an dem einen Fenster bewegten sich.

„Ronny mach auf, ich weiß dass du da bist“, rief ich laut, schon ein bisschen ärgerlich.

Ein Auto hielt vor dem Haus, ich drehte mich herum. Es war mein Dad, der Heike mitbrachte. Sie verabschiedeten sich voneinander, Dad winkte mir zu und Heike näherte sich mir.

„Ist Ronny nicht zu Hause?“

„Doch schon, er….“, weiter ließ sie mich nicht reden.

„Komm, ich lass dich rein, vielleicht sitzt er ja gerade auf der Toilette“, sagte Heike und schloss auf.

„Du weißt wo sein Zimmer ist?“

Ich wollte gerade den Kopf schütteln, als sie einfach weitersprach.

„Oben, hinten links, du kannst es nicht verfehlen“, sagte sie und verschwand in die Küche.

Ich lief langsam die Treppe ins nächste Stockwerk hinauf. Vor Ronnys Zimmer lagen die Inliner auf dem Boden. Ich atmete noch einmal tief durch und klopfte. Von drinnen kam aber kein Ton. Ich drückte die Klinke nach unten, und schaute vorsichtig ins Zimmer.

Ronny lag auf seinem Bett, den Kopf auf den verschränkten Armen liegen.

„Darf ich reinkommen?“, fragte ich vorsichtig.

Es kam kein Mucks von ihm.

„Ich geh dann mal lieber wieder“, meinte ich und wollte mich gerade umdrehen, als Ronny aufsah.

Er hatte rote Augen.

„Hast du die ganze Zeit an diesen Typen gedacht?“, fragte ich.

„Nicht nur?“, meinte er leise.

„An wen noch?“

„An dich!“

„Mich?“

„Ja, an dich.“

„Wieso das denn?“

„Du bietest mir deine Freundschaft an, und was mach ich, ich enttäusche dich.“

Minka drückte sich an mir vorbei und hüpfte auf Bett zu Ronny. Irgendwie war ich jetzt total neben der Kappe.

„Wieso hast du mich enttäuscht, ich verstehe dich nicht“, meinte ich und schloss endlich die Tür.

Als er sich nicht gleich äußerte, setzte ich mich neben ihn aufs Bett und begann Minka zu streicheln. Er drehte sich um und starrte zur Decke. Es klopfte an der Tür und sie ging auf.

„Du Ronny wir sind…. was ist denn mit dir los?“

Ich sah Heike an und sie mich, ich zuckte mit den Schultern.

„Wir sind bei Thilos Eltern zum grillen eingeladen, ich geh dann schon mal rüber, ihr könnt ja dann mal nachkommen.“

„Okay“, war das Einzigste, was Ronny sagte und sie verschwand wieder.

Stumm saßen wir beide da. Es lief irgendeine Musik, die ich nicht kannte. Ich streichelte Minka weiter und sah dabei auf Ronny, der wieder zur Decke starrte.

„Ich habe dich nicht enttäuscht?“, fragte Ronny plötzlich.

„Nein, ich wüsste gerne mit was?“

„Das ich schwul bin.“

Ich wusste im Augenblick, nicht was ich sagen sollte und starrte ihn nur weiter an.

„Siehst du, du bist doch enttäuscht“, meinte er und drehte mir den Rücken zu.

„Ach Quatsch, ich weiß nur nicht was ich darauf sagen soll.“

Er schaute mich fragend an.

„Ich habe noch keinen Schwulen kennen gelernt und zu dem habe ich mich nie mit dem Thema befasst“, sagte ich und sein Fragezeichen auf dem Gesicht löste sich auf, „das ist was Neues für mich.“

* * *

In der Küche von Thilos Eltern…

„Hallo Heike, ist Thilo noch bei dir drüben?“

„Ja die beiden waren auf Ronnys Zimmer.“

„Irgendetwas stimmt mit Thilo nicht.“

„Das habe ich gemerkt, als ich kurz im Zimmer war. Aber ich kann mir denken warum.“

„Sag schon, warum zögerst du?“

„Marion, dass ist für mich selbst nicht leicht.“

„Komm, wir haben früher über alles reden können.“

„Ronny ist schwul.“

„Oha.“

„Was oha.. ist dein Sohn etwa auch…?“

„Wenn ich das wüsste. Er hat so gut wie keine Freunde hockte den ganzen Tag zu Hause rum, wenn er nicht mal gerade mit den Inlinern unterwegs ist.“

„Und jetzt sitzen die beiden da drüben im Zimmer. Hab gesehen, dass Ronny geweint hat.“

„Hallo, wo steckt ihr zwei denn?“

„Dirk, hier in der Küche.“

„Was macht ihr zwei so Trauerminen?“

„Ach nichts Schatz, wir sich schon von alleine regeln……“

* * *

Thilo…

Noch immer saßen wir stumm auf dem Bett. Ronny starrte weiter Löcher in die Luft und Minka war vom Streicheln auf meinem Schoss eingeschlafen.

„Darf ich dich was fragen, Ronny?“

„Klar!“

„Wie ist dass, wenn man einen Jungen liebt. Was empfindet man da?“

„Das gleiche wahrscheinlich, wie wenn man ein Mädchen liebt.“

„Aha…“

„Was?“

„Ich habe noch niemanden geliebt….“, sagte ich leise vor mich hin.

„Wie bitte…? Schon allein dein Aussehen, da müssten mindestens zehn Mädchen zu deinen Füssen liegen.“

Ich kicherte kurz hysterisch.

„Nein du, an so was glaub ich nicht, ich bleibe lieber alleine, wie immer.“

„Auf die Dauer ist das aber nicht gut, Thilo. Einsamkeit frisst einen auf.“

„Ach was…“

Ronny beugte sich nach vorne, dicht neben mich.

* * *

Ronny…

Da lag ich nun, neben dem wohl süßesten Geschöpf, dass es auf Erden gab. Sei ich mit meiner Mutter hierher gezogen war, schrie mein Herz immer noch nach Marc. Ich hatte einfach ohne ihm einen Grund zu sagen Schluss gemacht.

Nein, so war das nicht richtig, mit dem Satz „ich liebe dich nicht mehr“, hatte ich ihn stehen lassen. Ich hatte damit unser beider Herz gebrochen. Aber nun spielte mir der Zufall, Thilo in die Hände, als er gestern so nass mit Minka auf dem Arm vor mir stand.

Mich durchflossen wieder die Gefühle, die ich bis dahin nur bei Marc kennen gelernt hatte. Doch meine eigene Dummheit hab ich es zu verdanken, wenn ich Thilo schon jetzt wieder verlor, bevor ich ihn überhaupt hatte.

Warum saß er überhaupt noch neben mir? Ich habe ihm gestanden ich sei schwul und er nahm es einfach hin. Und dann diese ich-seh-nicht-gut-aus oder ich-bekomm-nie-jemand-Nummer, ich verstand ihn einfach nicht.

Ich beugte mich dicht an hin heran und sah ihm in die Augen. Draußen war es dunkel geworden, ein weiteres Gewitter war aufgezogen. Die Luft hier in meinem Zimmer war fast nicht auszuhalten, mit einer Schere hätte man sie durchschneiden können.

„Du hattest wirklich noch niemanden?“, fragte ich leise.

Er senkte seinen Blick und schüttelte den Kopf. Gut man kann sagen, mit sechszehn oder siebzehn ist man ein Spätzünder, aber das war eher die Meinung anderer, und das ich zwei Jahre mit Marc zusammen war, kam auch nur durch einen Zufall zu Stande.

„Habe ich dich jetzt verunsichert?“, fragte ich im gleichen Ton.

„Ja, ich bin ein bisschen durcheinander.“

„Warum, weil ich lieber Jungen nachsehe, sie küsse oder mehr?“

Er schaute auf und ich konnte direkt in diese wundervollen, braunen Augen schauen. Sein Mund öffnete sich wohl gerade um etwas zu sagen, als draußen ein Blitz niederging. Der Donner und der Stromausfall folgten gleich, wir zuckten gleichzeitig zusammen.

Draußen brach ein Sturm los. Mein Handy ging los. Ich schaute verwundert aufs Display, da Anruf von Unbekannt drauf stand. Ich nahm es entgegen.

„Ja, Ronny hier.“

„Hallo Ronny, hier ist deine Mum.“

„Ist was passiert?“

„Nein ist es nicht, aber ich möchte, dass ihr beiden drüben bleibt, bis das Unwetter vorbei ist.“

„Mum, ich wäre sowieso nicht vor die Tür gegangen, du weißt wie viel Angst ich vor Gewitter habe.“

Wieder blitze es und der Donner ließ nicht lange auf sich warten. Eingeschüchtert lehnte ich mich gegen Thilo.

„Gut. Wenn ihr Kerzen braucht, unten in der Küche sind welche.“

„Ja danke Mum, bis später dann.“

„Bye.“

Wieder erhellte ein Blitz das Zimmer, ich vergrub mich in Thilos Shirt und hielt die Ohren zu. Thilo hatte einen Arm um mich gelegt. Für mich war dies eine verrückte Situation. Einerseits hatte ich voll Schiss vor diesem Gewitter und andererseits fühlte ich mich wohl, weil Thilos Arm um mich lag.

Ich wusste also nicht, zitterte ich jetzt vor Angst wegen dem Gewitter, oder vor Aufgeregtheit, weil Ich Thilos Nähe spürte.

„Ronny, wir sind hier im haus absolute sicher“, meinte Thilo und drückte mich noch fester an sich.

„Ähm… Thilo?“

Wieder fuhr ich zusammen, wegen dem Krachen des Donners.

„Ja?“

„Wenn du mich weiterhin so an dich drückst kann ich für nichts garantieren.“

Er sah mich an und lächelte.

„Na und?“

Wie bitte? Was hat er da gerade gesagt?

„Schau mich nicht so entgeistert an, Ronny. Ich weiß doch selber nicht, was mit mir los ist. Ich habe mir nie viel Gedanken darum gemacht ob ich eine Freundin oder auch einen Freund haben will. Das war immer so weit weg. Ich kann dir also auch nicht sagen ob ich eine Hete bin oder auch schwul, ich weiß das wirklich nicht.“

War das ein Lächeln, ich schmolz bereits jetzt in seinem Arm.

„Ich weiß nur eins, dass ich mich bei dir sehr wohl fühle, obwohl ich dich erst seit einem Tag kenne und das du seit fünf Minuten nicht mehr gezuckt hast, wenn es gedonnert hat.“

Ich wusste nicht was ich machen sollte. Einfach alles auf eine Karte setzten und ihn küssen?

* * *

Thilo…

Ob Ronny das jetzt als halbe Liebeserklärung auffasste? Jedenfalls hatte ich ein Kribbeln in der Magengegend. Und mit Ronny so eng hier zu sitzen fühlte sich unheimlich gut an. Aber ich merkte, dass es in Ronnys Kopf ordentlich arbeitete.

„Was ist?“, fragte ich.

„Ich bin unschlüssig“, antwortete Ronny.

„Über was?“

„…mh, ob ich dich küssen soll.. darf oder nicht.“

„Probier es einfach…“, meinte ich und konnte mir ein freches Grinsen nicht verkneifen.

Er näherte sich langsam meinem Gesicht. Ich schloss einfach meine Augen und spürte ganz sanft seine weichen Lippen auf meinen. Eine Wärme, die ich bis jetzt noch nicht gekannt hatte breitete sich in meinem Körper auf.

Ronnys Hand strich dabei sanft über meine Wange. Der nächste Donner riss uns aber auseinander, den es war so laut, das ich genauso erschrak. Danach war alles dunkel und ruhig. Lediglich das Prasseln des Regens, an der Fensterscheibe war zu hören.

„Ist das jedesmal so schön?“, hauchte ich ihm ins Ohr.

„Noch viel schöner“, raunte er zurück.

Das Gewitter zog langsam ab und Ronny lag immer noch in meinen Armen. Er spielte mit meinen Finger, strich zärtlich über sie.

* * *

Ronny…

Thilo ist der Wahnsinn! Meint der doch frech ich soll ihn einfach küssen. Oh Gott, war das himmlisch. Jetzt lag ich in seinen Armen und genoss einfach seine Nähe und Wärme. Jetzt erst merkte ich, wie sehr mir das gefehlt hatte.

Ich war schon ein wenig traurig darüber, dass dies mit Marc so gelaufen war, aber was hätte es gebracht? Er in England und ich hier. Nichts! Das hätte keinen Sinn ergeben.

„Ronny?“

„Ja?“

„Darf ich dich was Privates fragen?“

„Ja.. klar..“

„Wo ist eigentlich dein Vater? Ich habe ihn hier noch nicht gesehen.“

So schnell kann man einen romantischen Augenblick zerstören.

„Er hat uns verlassen, wegen einer Jüngeren… seine Sekretärin..“

„Ups.“

„Ja, ups.“

* * *

Thilo…

Ich musste eingeschlafen, denn als ich aufwachte lag Ronny immer noch halb auf mir. Unten hörte ich Stimme und weckte sanft Ronny, indem ich ihm sanft über den Kopf streichelte.

„What is?“, kam mehr brummend von ihm.

„Ich glaube unten ist jemand“, antwortete ich.

Auf einmal saß Ronny mir kerzengerade gegenüber. Anscheinend hatte er realisiert, dass er immer noch in meinen Armen gelegen hatte. Er küsste mich noch einmal kurz, stand auf und ging zu seiner Zimmertür.

„Mum?“, rief er in den Flur.

„Ja, wir sind es. Thilos Eltern sind auch dabei, seid ihr eingeschlafen oder was?“, hörte ich Heike rufen.

„So ungefähr, wir kommen runter“, rief Ronny zurück.

Er drehte sich wieder zu mir und lächelte dich an. Ich war mittlerweile aufgestanden und hatte meine Schuhe wieder angezogen. Ronny kam einfach her und nahm mich noch einmal in den Arm.

„Danke Thilo“, meinte er.

„Für was?“

„Einfach, für das, dass du da warst.“

Ich lächelte und lief dann mit ihm gemeinsam nach unten.

* * *

Thilo…

Dieses Jahr, war wohl das große Wechseljahr. Einige waren weggezogen und andere mit ihren Eltern hier her gezogen. Unsere Klasse war jetzt total neu besetzt. Ronny und ich standen natürlich zusammen.

Die letzten zwei Wochen mit ihm waren einfach nur schön. Wir hatten viel zusammen unternommen und ich hatte versucht ihm ein wenig unsere Stadt zu zeigen. Ab und zu saßen wir auch nur zusammen, redeten über uns und lagen Arm in Arm da.

Mehr als ein paar kleine Küsse gab es jedoch nie.

„Moin Thilo, auch wieder im Bunker?“

„Moin Klaus, ja, ich hatte solche Sehnsucht“, ließ ich sarkastisch verlauten.

„Hast du gesehen, es sind Unmengen Neue in unserer Klasse.“

„Ich weiß, dass neben mir hier ist Ronny, er kommt aus England und beehrt uns jetzt.“

„Hallo Ronny“, sagte Klaus und gab artig Patschhändchen.

„Hallo Klaus“, meinte Ronny und schüttete die Hand von Klaus.

„Spielst du gerne Fußball? Wir brauchen wieder neue Mitspieler.“

„Nein, ist nicht so mein Ding, Ich fahr da lieber Inliner“, antwortete Ronny.

„Dann passt du ja gut zu Thilo, der mag auch kein Fußball.“

Ronny wurde rot.

„Komm, lass uns zu den anderen gehen und gucken, wer noch in unsere Klasse kommt“, sagte ich um ein anderes Thema zu bekommen.

Beide folgten mir zur nächsten Menschentraube.

„Hi Klaus, darf ich dir Gabriella und Sabine vorstellen, es sind Schwestern“, rief uns Susanne entgegen.

„Und wahrscheinlich bald nicht mehr auf dem Markt, bei dem Verschleiß vom Klaus.“

Alle fingen an zu lachen. Das kam von Robin, einem weiteren Klassenkameraden von mir.

„Und das hier ist Ronny, ein weiterer Neuzugang bei uns“, meinte ich, während sich alle miteinander bekannt machten.

Es klingelte zur Stunde, wir gingen alle ins Klassenzimmer. Es dauerte auch nicht lange und Brunner unser Klassenlehrer erschien auf der Bildfläche. Er kam mir heute ein wenig schlecht gelaunt vor, aber verhielt sich dennoch normal.

Er begrüßte ebenso die Neuzugänge, bevor er uns die Stundenpläne austeilte. Julia hob den Finger.

„Ja Julia?“, fragte Brunner.

„Da stehen bei mir zwei Stunden Sozial, was ist das für ein Fach?“, fragte sie.

„Die zwei Stunden nützen wir einfach zum reden, egal was für ein Thema. Ich sage gleich allen, es ist kein muss, aber ich würde mich freuen, wenn alle, auch die Neuen, sich daran beteiligen würden.“

„Also, wenn es Probleme gibt und so?“, hackte Julia nach.

„Über deinen Liebeskummer, werden wir nicht reden“, war Nathalie ein und alle fingen an zu lachen.

Julia zog eine Fratze.

„Warum eigentlich nicht, Nathalie, es kann auch sehr aufschlussreich sein“, gab Brunner von sich.

Nathalie wurde rot und die Damenriege fing an zu kichern.

„Sonst noch irgendwelche Fragen, eurerseits?“, fragte Brunner.

Es meldete sich niemand.

„Gut, dann nehmt bitte was zum Schreiben raus und schreibt einmal ein paar Pro und Contrapunkte zum Thema Freundschaft auf“, meinte er.

„Contra?“, fragte Michael.

„Ja, es gibt auch negative Sachen bei einer Freundschaft“, antwortete Brunner.

Also zog jeder was zum Schreiben heraus und überlegte fieberhaft, was er schreiben sollte. Irgendwann klingelte es, ich hatte nicht gemerkt wie schnell die Zeit herum ging.

„Nach der Pause reden wir darüber, was ihr aufgeschrieben habt“, meinte Brunner und verschwand aus dem Klassenraum.

Irgendwie stand niemand auf und blieben alle nachdenklich sitzen.

„Warum fallen mir auf einmal so viele Contrapunkte ein?“, fragte Julia plötzlich.

„Weil du vielleicht so eine richtige Freundschaft noch nie richtig erlebt hast“, gab Robin brummelnd von sich.

„Wieso, ich bin doch mit Michael zusammen…“

Oha, dass wusste ich jetzt auch noch nicht. Robin setzte sich normal auf seine Stuhl hin.

„Das meinte ich auch nicht. Ich meine eine Freundschaft zu einem Mädchen oder Jungen. Nicht im Sinne von großer Liebe.“

„Wie soll man die richtig erleben?“, warf Gabriella ein.

Ich überlegte, ob ich mich bei diesem Gespräch beteiligten sollte und schaute zu Ronny, der seine Wimpern hochzog und lächelte. Ich räusperte mich, die Köpfe flogen in meine Richtung.

„Bisher war ich immer einer der Einzelgängertypen, in unserer Klasse“, fing ich an, „und vor zwei Wochen lernte ich Ronny hier kennen. In diesen zwei Wochen lernte ich, sah ich, was ich alles bisher nicht gehabt habe. Ich meine, jetzt habe ich jemandem den ich vertrauen kann, mit dem ich über alles reden kann.“

Den Gong hörten wir schon nicht mehr und ebenso bemerkten wir nicht, dass Brunner bereits seinen Platz am Lehrerpult wieder eingenommen hatte.

„Und wieso kann man nicht mit jedem so reden, ich verstehe das nicht“, meinte Michael.

„Das liegt alleine an uns Michael, oder würdest du gerade so mir nichts dir nichts erzählen, wenn du Probleme mit Julia hättest?“, fragte Robin.

„Nein, würde ich wahrscheinlich nicht.“

„Siehste… und warum?“

„Weil ich dich nicht kenne, also ich kenne dich hier von der Schule, aber nicht privat.“

Ich hatte Robin noch nie so erlebt, sonst war er immer einer der Ruhigen in der Klasse.

„Willst du den überhaupt Robin näher kennen lernen?“, fragte ich.

„Ja schon…“, zögerte Michael.

„Aber? Ich kenne Robin auch nur hier von der Schule, wobei ich zugeben muss, ich habe bisher mir auch nicht sonderliche Mühe gegeben ihn besser kenne zu lernen und ich denke bei dir ist es nicht anderst“, kam es diesmal von Kevin.

„Das würde sich doch ändern lassen“, kam es diesmal von Ronny neben mir, „gut ich bin zwar neu hier, aber ich frage mich, wo ist das Problem?“

„Weil keiner von uns das nötige Vertrauen aufbringt, wo dafür nötig ist“, meinte Nathalie, „oh Herr Brunner, ich habe sie gar nicht hereinkommen sehen.“

Alle Köpfe flogen herum und schauten zu Herrn Brunner.

„Lasst euch durch mich nicht stören, redet einfach weiter, bitte“, sagte er.

„Was bringt dir aber das Vertrauen, wenn du mich vielleicht nicht so akzeptierst wie ich bin“, meinte Robin.

„Wieso dich akzeptieren?“, fragte Nathalie.

„Nehmen wir an, ich wäre schwul, würdest du dann immer noch so mit mir umgehen?“

Ich schaute kurz zu Ronny der rote Ohren bekam und tiefer in seinen Stuhl sank.

„Was hat das jetzt damit zu tun?“, fragte Nathalie.

„Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst Robin“, kam es von Julia.

Zum Vertauen gehört auch das akzeptieren seines Gegenüber dazu!“, sagte Robin.

„Bist du denn schwul?“, fragte ich leise.

Robin schaute verschämt auf seinen Tisch.

„Ja“, sagte er ganz ruhig und gefasst.

„Bist du deswegen ein anderer Mensch?“, mischte sich Brunner diesmal ein.

„Ich weiß es nicht….“, kam es von Robin.

Ronny kam aus seiner Versenkung hervor und wandte sich zu Robin.

„Ich kann verstehen, Robin, dass du dich verunsichert fühlst. Wenn man schwul ist, kommen automatisch solche Gedanken, man ist anderst, als die Anderen, aber du bist kein anderer Mensch dadurch, deine Gefühle sind die selben, wie wir sie alle haben.“

Wow, gibt das heute dann gleich zwei Outings in der Klasse, dachte ich.

„Du auch?“, fragte Robin.

„Ja, ich bin auch schwul, und ich weiß wie es auf meiner Schule in England. war, als herauskam als ich schwul bin.“

„So schlimm?“, fragte nun Nathalie, „ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen, das man einen Menschen anderst behandelt nur weil er anderst liebt.“

„Siehst du, du sagst es ja schon selbst, „anderst liebt…“ , sagte ich.

„Hast du eigentlich jemanden speziellen im Auge?“, warf Michael ein.

„Was meinst du?“, fragte Robin.

„Gibt es jemand in deinem Leben, den du gern als Boyfriend hättest?“, fragte nun auch Gabriella.

„Schon, aber da hat jetzt wohl jemand anderes die Finger drauf“, antwortete Robin und schaute kurz tu Ronny.

Der fing laut an zu Lachen.

„Tut mir leid Robin, dass ich lachen muss, aber Thilo ist nicht mein Boyfriend und wird es auch nie werden“, sagte Ronny.

Mir wurde bewusst, über was da gerade geredet wurde und wurde rot wie eine Tomate.

„Also ist unser Thilo noch zu haben“, meinte Julia und alle fingen an zu lachen.

„Herr Brunner, warum haben sie uns diese Punkte denn aufschreiben lassen?“, fragte Kevin.

„Liegt das nicht klar auf der Hand?“, fragte Brunner.

Kevin schüttelte den Kopf.

„Hier sitzen zwanzig Leute in der Klasse und vielleicht nur zehn Leute beteiligen sich. Ich möchte, das ihr offener zueinander werdet, ihr seid eine Klasse und das für ein Jahr wieder.“

„Ist mir schon klar, Herr Brunner und was ist, wenn man Schwule hasst?“, sagte Thomas.

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