Die Brüder – Der Film

Die Handlung der Geschichte „Die Brüder“ kennt ihr schon, oft gelesen und immer wieder gefragt, wann es eine Fortsetzung gibt. Dies ist nun keine Weiterführung der Geschichte, sondern handelt  vom Dreh zum Film „Die Brüder“.

Man möge mir verzeihen, dass ich mir die Namen einiger namhaften Schauspieler des deutschen Filmes entliehen habe, aber sie passten so schön zur Geschichte. Wie gesagt, es wurden nur die Namen verwendet, ob die Schauspieler so sind, wie in der Geschichte beschrieben, steht in den Sternen.

Wie immer ist alles an dieser Geschichte erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig. Viel Spaß beim Lesen!

PS: Texte aus der Originalgeschichte sind blau gefärbt und liebe Grüße an Koshka, der Ideengeber!

*-*-*

Langsam rollte der Zug im Bahnhof ein. Den Koffer zwischen die Beine geklemmt, den Rucksack geschultert, so verharrte ich an der Tür und wartete, dass der Zug zum Stillstand kam.

Endlich war es soweit. Irgendwie konnte ich es immer noch nicht glauben, dass ich die Rolle des Kais bekommen hatte. Es waren doch noch so viele andere Mitbewerber beim Casting gewesen, die mehr Eindruck machten, als meiner einer.

Der Zug bremste noch einmal etwas ab, ich spürte es, weil es mich leicht nach vorne zog. Dann stand er. Ich drückte den Hebel hinunter und stieß die Tür auf. Mein Koffer in der Hand, versuchte ich halbwegs stolperfrei auf den Bahnsteig zu gelangen.

Ich schaute auf meine Uhr, dann auf die des Bahnsteiges. Der Zug hatte dreizehn Minuten Verspätung. Na toll, gleich am ersten Arbeitstag zu spät zu kommen. Ich zog den Griff des Koffers heraus, damit ich ihn über den Bahnsteig ziehen konnte.

Kurz durchatmen und los. An der Rolltreppe angekommen, hob ich meinen Koffer wieder an und fuhr langsam nach unten. Das Studio, das mir die Bahnkarte zukommen ließ, hatte auch geschrieben, dass mich jemand vom Bahnhof abholte.

Wie sollte ich diesen jemanden erkennen, oder erkannte der jemand mich? Langsam kam die Unterführung in Sicht, die letzten Stufen der Rolltreppe versanken im Boden. Nun stand ich da, etwas unsicher und schaute mich um.

„Tobias Gerber?“, hörte ich eine Stimme hinter mir.

Ich drehte den Kopf und sah einen jungen Mann vor mir, der einen Zettel in der Hand trug, auf dass er immer wieder schaute.

„Ja, der bin ich“, antwortete und stellte meinen Koffer ab.

„Ah gut, endlich… hallo Tobias. Ich bin Paul… Mädchen für alles!“, meinte der junge Mann und streckte mir seine Hand entgegen.

„Hallo Paul“, begrüßte ich ihn nun auch.

„Du willst sicher noch in die Pension, bevor wir aufs Filmgelände fahren, oder?“

„Du… ich weiß nicht mal wo ich unterkommen werde. Ich hab die Bahnkarte geschickt bekommen und es wurde mir mitgeteilt, dass ich hier abgeholt werde… mehr weiß ich nicht.“

„Das sieht der Grete mal wieder ähnlich.“

„Grete?“, fragte ich.

„Grete ist die Sekretärin vom Chef, schon ein etwas älteres Semester, sie vergisst ab und wann etwas. Okay, dann bring ich dich erstmal in Pension, damit du weiß wo du unterkommst und auch deine Sachen unterbringen kannst.“

Ich nickte ihm zu. Die Vorfreude, die ich im Zug noch empfand, war mit einem Mal verschwunden. Jetzt fühlte ich mich eher unwohl und unsicher. Paul schnappte sich ohne Worte mein Koffer, als wär der Koffer leer.

Auch etwas, was ich an mir auszusetzen hatte. Mein fast zierliche Figur. Ich hatte ja schon einiges probiert, war sogar im Fitnessstudio, aber nichts hatte sich an mir verändert. Aber gerade, weil ich diese zierliche Person war, hatte ich die Rolle des Kais bekommen.

Als ich die Geschichte zum ersten Mal im Internet gelesen hatte, konnte ich dem Kai nachfühlen. Gut, ich hatte keinen Herzfehler, aber vom Aussehen her, unterschieden wir uns nicht. Und als ich das Drehbuch halb verschlungen hatte, war mir meine Rolle sehr sympathisch. Kai war eigentlich wie ich, recht ruhig und zurückhaltend. Meine Gesangsausbildung war für die Rolle hervorragend.

So folgte ich mit meinem Rucksack auf dem Rücken Paul durch den langen Korridor, der sich unter den Gleisen des Bahnhofs entlang zog.  Wenig später öffnete sich das Ganze zu einem großen Raum, wo ein reges Treiben herrschte.

„Ich steh direkt vor dem Bahnhof, wir sind gleich beim Wagen“, sagte Paul, drehte dabei kurz den Kopf zu mir und lächelte.

Er verlangsamte sein Tempo, denn er schien zu merken, dass ich mit meinem Gepäck nicht so schnell nachkam.

„Hast du ein Handy?“, fragte Paul.

Ich nickte erst.

„Ähm… ja klar.“

„Gut, dann gebe ich dir nachher meine Nummer, damit du immer anrufen kannst, wenn du Hilfe benötigst.“

„… danke!“

Wir tauschten unsere Handynummer aus.

„Nichts zu danken, dass ist mein Job hier, sagte ja… Mädchen für alles.“

„Okay.“

„Du bist sehr schweigsam… verständlich, man fängt nicht jeden Tag beim Film an. Das erste Mal dabei?“

„Ja… habe bisher nur im Theater gespielt… bei uns in der Stadt.“

„Film ist etwas ganz anderes, aber das wirst du schon noch alles kennen lernen. Die anderen Schauspieler sind ja schon seit zwei Wochen da und haben bereits mit dem Drehen begonnen.“

„Das wusste ich nicht…“

„Ja, die wenigen Szenen in München wurden als erstes gedreht. Mir scheint, du wurdest über vieles nicht informiert, aber das Drehbuch hast aber bekommen, oder?“

„Ja klar, gefällt mir sehr gut.“

„Na, wenigstens etwas. Da vorne, der blaue, dass ist unser Wagen“, meinte Paul und zeigte auf einen Van mit verdunkelten Scheiben.

Dort angekommen öffnete er die seitliche Tür.

„Willst du hinten sitzen, oder bei mir vorne?“, fragte Paul.

„Vorne, wenn es okay ist.“

„Gut! Stell deine Tasche einfach hier zu deinem Koffer und los geht es.“

*-*-*

Die Fahrt war dann doch länger, als ich dachte. Nach dem wir die halbe Stadt durchquert hatten, wurden die Häuser kleiner und ich schloss daraus, das wir uns bereits in einer der zahlreichen Vororten unterwegs waren.

Vor einem kleinen zweistöckigen Häuschen ließ Paul den Wagen ausrollen.

„So da wären wir…“, meinte Paul und zog den Zündschlüssel ab.

Pauls Handy klingelte und so hatte ich Zeit in Ruhe auszusteigen.

„Ja, der ist bei mir. Habe ihn gerade zur Pension gebracht… nein das wusste er nicht… wie denn auch? Grete hat ihn nur mit dem Nötigsten versehen… Auch noch? …gut ich kümmere mich darum und gegen 12 werden wir am Set erscheinen. Bye!“

„Schwierigkeiten?“, fragte ich.

„Nein… keine die ich nicht irgendwie lösen könnte“, sagte Paul und lächelte wieder.

*-*-*

So war ich nun alleine. Ich schaute kurz aus dem Fenster. Hinter der Pension befand sich ein Garten, mit Liegstühlen und Sitzgruppen. Ob hier noch mehr vom Set untergebracht waren? Es war still, anscheinend war ich wirklich alleine.

Ich begann meinen Koffer auszupacken, als mein Handy ging.

„Ja?“

„Hallo Tobias, hier ist Mum.“

„Hallo Mum.“

„Bist du gut angekommen?“

„Ja, ein Paul hat mich vom Bahnhof abgeholt und mich in eine Pension gebracht. Schön ist es hier.“

„Geht es dir gut?“

„Mum, was soll die Frage?“

„Ich kenne deine Stimme, wenn du unsicher bist.“

„Wärst du auch… in meiner Situation, oder?“

„Ja. Du meldest dich aber, wenn etwas ist.“

„Ja Mum, das haben wir doch schon alles durch gekaut.“

„Gut, ich soll dir auch Grüße von deinem Dad sagen.“

„Danke…, liebe Grüße zurück.“

Ich weiß nicht, ob ich mich glaubhaft anhörte. Dad war von Anfang an gegen diesen Job. Ich würde meine komplette Zukunft verbauen, meinte er. Nur der schnöde Mammon ließ ihn zustimmen.

„Melde dich wieder…, ich muss Schluss machen, Oma kommt gleich vorbei.“

„Sag ihr auch liebe Grüße, Mum…bye.“

TUT TUT TUT…

Ich drückte das Gespräch weg. Mum war eigentlich auch nicht begeistert. Doch da hatte sie keinen Zugriff auf mich, konnte mich nicht kontrollieren. Ich war ganz froh, etwas gefunden zu haben, dass ich aus dieser häuslichen Enge heraus kommen konnte.

Eine halbe Stunde später hatte ich meine Sachen in den Schränken verräumt, genau richtig, denn es klopfte an der Tür.

„Ja?“

Die Tür öffnete sich und eine ältere Dame schaute herein. Sie hatte eine dunkelblaue Arbeitsschürze an und darunter eine weiße Bluse. Ihr blondes Haar war gefärbt, denn an den Haarwurzeln, schaute helles grau hervor.

„Hallo, ich bin Trude. Bin die Besitzerin der Pension.

„Hallo Trude, ich bin Tobias…“, sagte ich und gab ihr die Hand.

„Frühstück gibt es hier, den Rest der Mahlzeiten werden am Set eingenommen. Falls du Wäsche hast, da drüben in der Schublade hat es Beutel. Einfach hinein tun und vor die Tür stellen.“

„Danke“, meinte ich.

„Paul hat angerufen, du sollst dich bitte fertig machen, er kommt gleich, dich abzuholen.“

„Ja, danke.“

„Tobias?“

„Ja?“

„Wenn etwas ist, komm ruhig zu mir.“

Ich nickte. Dann ließ mich Trude wieder alleine. Ich schnappte meine Sachen, zog mir die Jacke über und verließ das Zimmer. Ich verschloss die Tür und machte mich auf den Weg nach unten.

Dort angekommen, fuhr gerade Paul vor. Ich verließ das Haus und ging zum Auto.

„Hallo Tobias… und schon etwas eingelebt?“

„Ja, geht…“

Ich schnallte mich an und Paul gab Gas.

„Hier dein Tagesplan für heute, aber ich kann es dir auch so sagen.“

Er reichte mir ein Blatt.

„Um zwölf Uhr, wie gesagt Mittagessen, eine halbe Stunde später, musst du aber schon in der Maske sein und wieder eine Stunde später gibt es den ersten Dreh.“

„Ohne Probe…?“, fragte ich entsetzt.

„Keine Sorge, Manuel kann super erklären, was er im Kasten haben möchte.“

Jetzt war mir doch etwas unwohl. Ich hätte nicht gedacht, dass ich gleich am ersten Tag meines filmischen Lebens einen Dreh hatte. Paul konzentrierte sich auf den Verkehr und eine halbe Stunde später fuhren wir auf das Gelände des Filmstudios.

„So, ich bringe dich jetzt erst einmal in die Kantine und stell dich ein paar Leuten vor, wenn schon jemand da ist.“

Ich nickte. Er steuerte den Wagen zu anderen, die sich auf einem kleinen Parkplatz befanden. Zögerlich stieg ich aus, folgte ihm aber dann, weil er schnellen Schrittes eines der Gebäude betrat.

„Paul, ich brauch das Skript für Freitag noch“, rief eine Frau, die an uns eilig vorbei lief.“

„Kein Problem“, rief Paul ihr nach.

Er schob mich durch eine Tür. Dahinter war die Kantine, die halb gefüllt war.

„Hallo Paul, wenn hast du denn da bei dir?“

Eine Gruppe am Tisch drehte alle ihre Köpfe in meine Richtung.

„Das ist Tobias…, spielt den Kai.“

Der Angesprochene erhob sich. Schwarze, lockige Haare und ein breites Grinsen auf den Lippen.

„Hallo Tobias, ich bin Felix und spiele den Andreas. Darf ich dir unsere kleine Gruppe vorstellen?“

Andreas also und er gab sich, so wie ich ihn mir laut Drehbuch vorgestellt hatte. Mein Blick wanderte zum Tisch und da saßen tatsächlich Zwillinge. Wer wohl mein männlicher Gegenpart sein würde?

„Hallo“, meinte ich und nickte.

„So, dass sind Lukas und Simon“, stellte mir Felix die Zwillinge vor.

„Öhm…, wer ist wer?“, fragte ich verlegen.

Alle lachten.

„Ich bin Lukas“, meinte der eine blonde Zwilling und reichte mir die Hand.

„Dann bist du wohl Simon“, folgerte ich.

„Sieht so aus!“, kam es von Simon grinsend.

„Ich bin Florian, spiele den Raffael.“

„Hallo“, meinte ich und schüttelte ihm die Hand.

„Timo alias Martin…“, kam der nächste.

„Hier setz dich…, ist das dein erster Film?“, meinte Felix.

„Ja…“

„Wie die meisten von uns. Willst du etwas essen?“

„Nein…, danke habe keinen Hunger.“

Am liebsten hätte ich mich in irgendein Mauseloch verkrochen. Die Sache war mir oberpeinlich. Jeder starrte mich an.

„Ihr dreht schon zwei Wochen?“, fragte ich zögerlich um auch etwas gesagt zu haben.

„Ja, wir waren in München, war cool“, erzählte Lukas, „die Erwachsenen sind richtig lustig.“

„Wir haben auch heute unseren ersten Drehtag“, kam es von Florian und zeigte auf Timo.

„Bist du eigentlich wirklich krank?“, fragte plötzlich Simon.

„Nein… ich sehe immer so aus.“

Ein Lacher ging durch die Runde. Ich entkrampfte mich und wurde gelöster. Die Tür zur Kantine ging auf und ich traute meinen Augen nicht, da kamen doch wirklich Katja Riemann und Martina Gedeck herein.

Gut ich wusste vom Drehbuch her, das hier einige Filmgrößen mitspielten, aber jetzt so original direkt vor mir, ich war einfach nur baff.

„Jungs, ihr solltet euch langsam fertig machen, in einer Stunde geht der Dreh los und ihr müsst noch in die Maske“, hörte ich Martina rufen.

„Martina, darf ich dir deinen Filmsohn vorstellen… Tobias, gerade eingetroffen.

Jetzt war es mit meiner frisch gewonnenen Ruhe endgültig aus. Mir wurde kalt und warm gleichzeitig. Martina und auch Katja kamen zu uns an den Tisch.

„Hallo Tobias“, meinte Martina und reichte mir ihre Hand.

„Hallo Frau Gedeck…“, sagte ich unsicher und schüttelte ihre Hand.

„Tobias, hier am Set sagen wir alle DU, ich bin Martina… okay?“

Ich nickte.

„Für mich gilt dasselbe, ich bin Katja.“

Auch sie reichte mir die Hand. Wow ich war total von den Socken. Zwei meiner Lieblingsschauspielerinnen standen in echt vor mir und boten mir das DU an.

„Ich hole mir etwas zu essen“, meinte Katja und ging zum Tresen zurück. Martina folgte ihr.

*-*-*

Ich war mit den anderen in die Maske gegangen. Vom Ausstatter Theo hatte ich feine Klamotten bekommen… Stoffhose, Hemd und Wollpulli und nun saß ich fertig angezogen auf dem Stuhl und wartete, das Conny sich mit meinem Gesicht beschäftigte.

Lukas wurde entlassen und nun war ich an der Reihe. Sie lass kurz in meinem Skript und sah dann mich wieder an.

„Leichter Puder und noch einmal durchkämen und du bist perfekt!“, sagte sie und lächelte mich an.

Die Tür ging auf und Paul kam herein.

„Wie weit seid ihr?“

„Fertig“, meinte Conny und legte ihre Haarbürste zurück.“

„Gut, dann komm Tobias, wir sind etwas spät in der Zeit.“

Ich folgte ihm auf den Flur.

„Wo müssen wir denn hin?“

„An den Bahnhof, wir haben einen ICE für uns.“

„Einen richtigen ICE?“

„Ja, oder wo würdest du die Szene im Abteil drehen.“

„Ach so, ich dachte hier mit Greenscreen oder so.“

„Das verwendet man bei Actionszenen Tobias“, sagte Paul und lachte.

Wir verließen das Gebäude und gingen zum Van. Lukas war bereits eingestiegen, saß vorne bei Paul. Ich nahm hinten Platz, während Paul die Tür schloss, den Wagen umrundete und selbst einstieg.

Er startete den Motor und fuhr recht zügig vom Gelände. Bis zum Bahnhof verging nur eine viertel Stunde. Er bog in die Tiefgarage ein und suchte einen Parkplatz. Endlich gefunden, stiegen wir gemeinsam aus.

Während der ganzen Fahrt hatte sich Lukas nicht einmal zu mir herum gedreht, geschweige denn etwas mit mir gesprochen. Und mit so etwas sollte ich eine Liebesszene drehen. Ich folgte den beiden durch die Bahnhofshalle zu den Gleisen hinauf.

Der Zug stand am gleichen Gleis, wie auf dem ich angekommen war. Es waren zwei Triebköpfe und ein Waggon dazwischen. Gerade noch rechtzeitig schlüpften wir durch die Tür, bevor sie geschlossen wurde.

„Sind alle da?“, hörte ich eine mir bekannte Stimme.

Manuel Bender kam auf mich zu, der Regisseur.

„Hallo Tobias, wir haben uns noch nicht gesehen.“

„Stimmt, aber ich bin auch noch nicht so lange hier.“

Lukas drückte sich an mir vorbei.

„Lukas, du kannst dich gleich ins Abteil setzten.“

Er folgte tonlos Manuels Anweisungen. Es ging recht eng zu, denn auch der Kameramann saß bereits im Abteil und ebenso die Frau für den Ton.

„Du nimmst den Laptop, ziehst die Ohrstöpsel an und wir werden dich zirka eine halbe Minute drehen, bis Tobias ins Abteil kommt und du ihn entdeckst.“

Lukas nickte und nahm den Laptop zu sich.

„Tobias du wartest bis ich dir ein Zeichen gebe.“

Auch ich nickte und war aufgeregt.

„Wir spielen das einmal durch und dann drehen wir! So Ruhe!“

Alles wurde still. Lukas legte den Kopfhörer an und vertiefte sich im Laptop. Dann kam Manuels Zeichen und ich betrat das Abteil. Der Zug war nun in voller Fahrt, denn draußen heizte die Landschaft vorbei.

   „Hallo“, sagte ich und natürlich kam keine Reaktion.

Ich stellte meine Tasche ab und ließ mich in den Sitz fallen. Dann schaute ich wieder zu Lukas, dessen Blick gerade zu mir wanderte und er zusammenzuckte. Er riss sich die Stöpsel aus den Ohren.

  „Hast du was gesagt?“, fragte er mich.

  „Ja Hallo hab ich gesagt.

  „Ähm, hallo.“

  „Fährst du auch nach München?“

   „Ja, zu meinem Bruder.“

  „Ich in die Herzklinik.“

Lukas klappte den Laptop zu und legte ihn neben sich ab.

   „Auch jemanden besuchen?

   „Nein, muss zu einer Untersuchung, ich hab einen Herzfehler.“

Er schaute mich durchdringend an.

   „Fühlst du dich nicht wohl, oder warum bist du so blass? Übrigens ich heiße Sebastian.“

   „Ich bin Kai, nein ich sehe immer so aus, wegen meiner Krankheit.“

   „Hört sich schlimm an.“

   „Man kann damit leben.“

   „Und warum fährst du alleine, wenn ich fragen darf. Deine Eltern nicht dabei.“

   „Ach die. Immer unterwegs. Heute London morgen New York, sind nicht so viel zu Hause.“

   „Du vermisst sie?“

   „Ja sehr, aber ich bin es gewohnt, nur per Telefon mit Ihnen verbunden zu sein.“

   „Du kommst auch aus Frankfurt?“

   „Ja, aber Frankfurt ist so groß, wäre ein Zufall wenn wir uns über den Weg gelaufen  wären. Zudem verlasse ich so wieso das Haus selten, weil ich keine Freunde habe.“

   „Gehst du nicht zur Schule?“

   „Ich hab einen Privatlehrer, leider.“

   „Leider? Fände ich toll.“

   „Ist toll, wenn einer nur für einen da ist, aber kennen lernen tust du dadurch niemand, keine

     Klassenkameraden oder so.“

   „Da hast du wieder Recht, aber jetzt hast du ja jemanden kennen gelernt.“

   „Danke. Was hast du eigentlich so interessiert an deinem Laptop gearbeitet,      

     Hausaufgaben?“

    „So zusagen. Ich geh auf die Musikschule und am Ende des Monats muss ich ein   

      selbstkomponiertes Lied abgeben, als Prüfung.“

    „Hört sich wirklich interessant an, kann ich mal rein hören?“

    „Sicher.“

Lukas nahm sein Laptop wieder und klappte es auf.

    „Und der Text?“

Er reichte mir ein Blatt und plötzlich rief Manuel: „Cut!“

Ich fuhr zusammen. Ich war so in die Rolle vertieft gewesen, dass ich alles um mich herum vergessen hatte.

„Hast du es aufgenommen?“, fragte Manuel den Kameramann, der es nickend bestätigte.

Hatte er nicht gesagt, wir spielen das einmal durch und filmen dann erst?

„So und nun kommt das Lied, Tobias bist du bereit?“

Boah, ich hatte das Lied zwar zu Hause tausendfach probiert, es jetzt einfach so vor allen singen? Ich räusperte mich und musste kurz husten. Paul drückte sich in das Abteil und gab Lukas und mir eine Trinkflasche.

Dankbar sah ich ihn an und trank etwas.

„Du machst das gut“, flüsterte er und nahm uns die Flaschen wieder ab.

„Bereit?“, fragte Manuel noch einmal.

Ich nickte und Lukas ebenfalls.

„Dann weiter im Text… RUHE!“

Wenige Sekunden später begann die Melodie, die ich so oft gehört hatte auf dem Laptop zu spielen. Anfänglich summte ich die Melodie nur mit, so wie im Skript es beschrieben wurde, dann nahm ich allen Mut zusammen und begann zu singen.

Jahre sind vorbei

Schmerzen sind geblieben

ich fühl mich so allein

vermisse deine Liebe

Geh mit mir wenn du willst

Allezeit bis in den Tag

Ich seh dich dort oben

Was ich fühl wenn du weinst

Zeig mir deine wahre Macht

über mich

The love you feel

neverending like you are

my only shinning star

he makes you see

the lonely comes

Eternity

Jahre sind vorbei

und ich schau auf die Sterne

ich sehe wie du weinst

ich hör es aus der Ferne.

© Alle Rechte bei der Gruppe „Invade“

Sekundenstill war alles ruhig und plötzlich fing es im Abteil und auf dem Flur an zu klatschen. Sogar Lukas lächelte mich etwas an. Der Kameramann nickte Manuel zu und der schaute zufrieden drein.

„Klasse Tobias! Du hast das so glasklar gesungen, super! Da Manni alles bereits mitgedreht hat und eure Natürlichkeit in der Szene überzeugend ist, werden wir alles was im Kasten ist wahrscheinlich schon nehmen können. Ihr zwei seid ein gutes Team!“

Verlegen schaute ich zu Lukas, der mir zum ersten Mal richtig in die Augen sah, ohne irgendwelche Regieanweisungen.

„Bekommt ihr auch den Rest der Szene so hin?“

„Wir werden es versuchen“, sagte plötzlich Lukas, dass erste was er bisher gesagt hatte.

Wieder gab Manuel Anweisungen und es folgte die Stille.

   „Wow, hast du eine geile Stimme“, sagte Lukas begeistert und ich wusste nicht, war es

     gespielt oder kam es von Herzen.

   „Danke, ich habe ja auch Gesangunterricht.“

   „Kein Wunder.. so schön hat sich das Lied noch nie angehört..“

   „Das ist ein Duett… oder?“

   „Ja. Aus meiner Schule will jemand mit mir singen.

   „Und mit wem willst du es dann vortragen, singen?“

   „Eigentlich gar nicht, aber ich muss. Am liebsten würde ich nur Klavier.“

   „Wieso denn nicht, du hast doch eine sympathische Stimme.“

   „Nein, nicht dein Ernst. Ich halte sie als sehr unerträglich.“

   „Bist du gut im Klavier spielen?“

   „Ja wieso?“

   „Also ich gebe dir einwenig Unterricht im Singen und du mir im Klavierspielen, okay?“

   „Wenn du meine Piepstimme ertragen willst, gerne.“

   „Gut wenn ich wieder in Frankfurt zurück bin, fangen wir damit an.“

   „Und wann wäre das?“

   „Ich muss über Nacht in der Klinik bleiben, Moment auf meinem Ticket steht, wann ich  

     zurückfahre.“

Ich nahm meine Tasche vom Boden und suchte das Ticket. Ich wurde nervös, weil ich es nicht gleich fand. Dann schaute es plötzlich aus einem Fach heraus. Lukas hatte seines auch heraus gezogen.

    „He, wir fahren mit dem gleichen Zug zurück, dann können wir wieder zusammen fahren“,

     meinte Lukas und sah mich dabei lächelnd an.

Ich wusste wieder nicht, ob es gespielt war oder echt, aber das gefiel mir, was ich da gerade sah, die Augen funkelten so herrlich.

     „Machen wir weiter?“, unterbrach Lukas meine Gedanken und legte seine Tasche wieder neben sich.

Ich nahm den Laptop an mich.

     „Was ist das?“, und zeigte auf den Monitor.

Lukas schaute auf.

     „Das sind nur Gedanken, die ab und zu aufschreibe… nichts Wichtiges.“

     „Darf ich mal reinschauen?“

     „Meinetwegen.“

Ich tat so, als würde ich auf dem Monitor etwas lesen. Aus dem Blickwinkel heraus sah ich, wie Manuel mir ein Zeichen gab. So sagte ich den Text auf, wie er im Skript stand.

    jede Trennung tut weh

    ein Abschnitt des Lebens geht zu Ende

   man denk alles bricht zusammen

   der Schmerz zu groß

   weil die Erinnerung zu frisch

    jeden Tag neu

   das Neue man noch nicht sieht

   oder es nicht sehen will

   weil unbekannt und eben neu

   nur sehr langsam es geht

   viele den Anfang nicht sehen

   und es doch ein Anfang ist

   viele neue Dinge kommen

   helfen den Schmerz zu bändigen

   bis er irgendwann langsam

   in den Teil der Erinnerung übergeht

   und man es ablegt

   wie einen Mantel nach dem Regen

   und nur noch selten daran denkt

   was früher war

   aber bis zu dieser zeit

   den Schmerz ertragen muss

   mit der Gewissheit

   es geht vorbei

   es kommt was neues…

     © by Pit

Ich lehnte mich zurück und schaute zum Fenster. Wie oft hatte ich diesen Text geübt und erst jetzt brachte er Gedanken zum Vorschein, die ich verdrängt hatte, genauso wie die Geschichte, die ich gerade spielte.

   „Was ist?“, sagte Lukas und schloss den Text auf seinem Laptop.

   „Dein Text hat mich an was erinnert, was ich schon lange verdrängt hatte.“

   „Nicht abgelegt?“

   „Na ja auch abgelegt, kann man schon sagen.“

   „Schmerzhaft?“

   „Ja sehr.“

    „Möchtest du darüber reden?“

    „Ich weiß nicht.“

    „Ich bin ein guter Zuhörer.“

    „Habe ich mittlerweile gemerkt. Aber ich weiß nicht ob ich soweit bin, darüber zu reden.“

    „Du musst nicht Kai, ich will nicht, dass du etwas tust, was du nicht möchtest.“

    „Würde dir das schon gerne erzählen, Sebastian, aber ich weiß dann nicht wie du reagierst.“

    „Wir wäre es, wenn du es mal drauf ankommen lässt?“

    „Meinst du?“

    „Versuch es einfach.“

Ich schaute wieder zum Fenster hinaus und begann zu erzählen.

    „Es war vor zwei Jahren, als ich Markus kennen lernte. Er war wie ich in der Herzklinik in  München. Nur mit dem Unterschied ich war Privatpatient und seine Operation hatten     irgendeine Organisation übernommen, die minderbemittelten Familien, die Kosten für so   aufwendige Operationen übernahmen.“

Lukas saß nur da und schaute mich an.

    „Am Anfang wusste ich nicht ob er nur von meinem Reichtum fasziniert war, oder wirklich nur als Freund meine Nähe suchte, so war ich im Denken schon von meinen Eltern eingenommen. Aber schnell wurde mir klar, dass da noch mehr zwischen uns war. Ich fühlte mich wohl in seiner Gegenwart, nicht mehr einsam wie die vielen Wochen zuvor im Krankenhaus oder zu Hause. Wenn ich ihn mal eine Stunde nicht zu Gesicht bekam,     vermisste ich ihn schrecklich. Während der Nacht lag ich oft wach und wünschte mir, er     wäre jetzt bei mir. Bis wir uns eines Tages näher kamen und er mir einfach einen Kuss gab.Total verwirrt machte ich den größten Fehler, den man begehen konnte, ich schmiss ihn aus meinem Zimmer.“

Ich sollte diese Rolle, den Text traurig spielen und ich brachte es wirklich fertig, dass Tränen über meine Wangen rollten.

    „Am nächsten Tag, versuchte ich mich zu entschuldigen.“

„Und?“, kam es von Lukas.

„Er war nicht mehr da, er war verlegt worden. Jemand vom Personal der Klinik hatte    unseren Kuss beobachtet und es meinen Eltern gemeldet. Sie sorgten dafür, dass Markus in ein anderes Krankenhaus verlegt worden war, wie ich später von einer Schwester erfahren hatte.“

„Du hast nie wieder was von ihm gehört?“

„Nein ich traute mich nicht Kontakt aufzunehmen, wegen meiner Eltern.“

„Aber die sind doch eh nie da?“

„Jetzt ja, früher war das nicht so..“

„Hast du noch seine Adresse?“

„Irgendwo in meinem Geldbeutel ist ein Bild mit Adresse.“

Ich stand auf und holte meine Brieftasche hervor. Ich fragte mich, ob die Hunderter echt waren im Geldfach, fand aber schließlich ein verknittertes Bild und zog es heraus.

„Das ist Markus? Der sieht verdammt gut aus!“

„Dir macht es also nichts aus, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe?“

Hatte ich die Frage gestellt oder meine Rolle?

“Wieso sollte es das? Jungen oder Mädchen ist doch egal“, beantwortete Lukas die Frage,

 wie es im Skript stand.

Eine kleine Pause entstand, dann redete ich weiter.

Kenne genug Leute die darauf allergisch reagieren“, sagte ich dann.

    „Ich weiß, habe ich auch schon mitgekriegt.“

    „Hast du selbst schwule Bekannte?“

    „Nicht direkt, einer hat sich gerade geoutet bei mir, mein Klassenkamerad Raffael.“

    „Und wie hast du reagiert, du kennst ihn doch schon länger nehme ich an.“

    „Überrascht, weil ich es nicht bemerkt hatte.“

    „Wieso solltest du denn es merken?“

Lukas griff nach meiner Hand. Sie fühlte sich warm und weich an.

„Lieber Kai, … ich bin selber schwul und normalerweise merkt man als Schwuler so etwas, wenn man jemanden gleichgesinnten gegenüber hat. Na ja wenn man ihn länger kennt mein ich.“

   „Du bist auch schwul?“, sagte ich mit gespielt fassungsloser Stimme.

   „Ja, mit jeder Faser meines Körpers.“

   „Einen Freund?“

   „Leider nicht und ich hatte auch noch nie einen.“

   „So super wie du aussiehst und noch keinen Freund?“

   „Nein“, sagte Lukas und schüttelte den Kopf.

Ich wusste zwar, dass dies alles Text war, aber es kam mir plötzlich alles so realistisch vor.

   „Hast du es auf mich abgesehen?“, sprach ich weiter und lächelte.

   „Warum nicht, so etwas Liebes sollte man sich nicht durch die Finger gehen lassen.“

Lukas Blicke ließen mich erröten.

   „Ähm.. meinst du das jetzt echt.., oder willst du mich verschaukeln?“

   „Wie schätzt du mich denn ein?“

Der ICE Graf Hindenburg läuft mit fünfminütiger Verspätung gleich im Hauptbahnhof München ein“, dröhnte es aus dem Lautsprecher.

     „Diese Antwort bleib ich dir jetzt schuldig. Hier meine Handynummer, wir sehen uns

     morgen Abend hier im Zug, okay?“

„Cut“, rief Manuel, „Jungs, das war super! Wenn ihr so weiter macht und alle so toll spielen, wird der Film früher fertig. So Leute zusammen räumen, für heute sind wir fertig!“

*-*-*

Etwas geschlaucht ließ ich mich auf mein Bett fallen. Lukas war nach dem Dreh nicht mehr aufzufinden. So fuhr ich mit Paul alleine nach Hause. Nach Hause. Im Augenblick hatte ich das nicht, auch vorher schon nicht mehr.

Seit dem Outing bei meinen Eltern lief nichts mehr in geregelten Bahnen. Meine Eltern misstrauten mir, kontrollierten mich ständig. Irgendwer hatte ihnen über Schwule ein Floh ins Ohr gesetzt.

Seitdem war ich angeblich süchtig, würde Drogen nehmen, mich betrinken und rauchen. Nicht eins davon machte mich. Die ständigen Besuche beim Doc, mein Blut testen zu lassen, waren schon peinlich.

Noch zwei Monate und ich wurde achtzehn. Mit dem Geld, dass ich für diesen Film bekam, würde ich versuchen irgendwo anders mir etwas aufzubauen. Nur weg von den Eltern. Es klopfte.

Etwas genervt stand ich auf und ging an die Tür. Felix stand davor.

„Sorry ,die Störung. Paul hatte vergessen dir das Skript für morgen zu geben.“

„Danke“, meinte ich und nahm den Hefter entgegen.

„Hast du heute Abend noch etwas vor?“

„Nein, aber ich werde früh zu Bett gehen. Der Tag war heftig. Erst die Anreise, dann noch der Dreh… war etwas viel.“

„Ich glaube du solltest wirklich mehr Sport treiben, deine Kondition aufbauen.“

„Kommt noch… du vergisst, dass ich später kräftiger aussehen muss im Film.“

„Stimmt, ich freu mich drauf.“

„Auf was?“

„Auf den Dreh in Amerika.“

Ich nickte. Spielpartner Andreas verabschiedete sich und ich schloss die Tür. Amerika. Als mir der Produzent das erzählte, das wir vier Wochen in Amerika drehten, freute ich mich riesig. Doch mittlerweile war die Freude verflogen.

Was würde sein, wenn die vier Wochen vorbei waren und ich wieder nach Deutschland zurück musste. Im Augenblick hatte ich keinen Plan, was auch nicht sonderlich für eine Besserung meiner Laune beitrug.

Alles war nur Bruchstückhaft durchdacht, nichts richtig entschlossen. Ich ließ mich wieder auf das Bett fallen. Morgen war die Krankenhausszene dran, wo ich  Lukas alias Sebastian meine Liebe gestehen sollte.

Den Text konnte ich in und auswendig, das machte mir auch keine Sorgen. Es war Lukas, über den ich mir Gedanken machte. Während dem Dreh schien alles so echt, sogar seine Augen sagten dass, was er spielte. Ja spielte… er spielte es einfach nur sehr gut.

Ich wusste nicht, was mich geritten hatte, mir vorzustellen, wie in dieser Geschichte hier jemanden kennen zulernen und mich auch eventuell in ihn zu verlieben. Ich war eben ein Träumer, wie es mir meine Mutter immer vorwarf.

Doch die Traumwelt hatte auch etwas Gutes für sich. Ab und zu konnte ich in sie entfliehen und alles was um mich herum geschah vergessen. Doch den Schritt zurück in die Realität wurde immer heftiger.

Ich dachte an die leuchtenden Augen von Lukas und schlief irgendwann ein.

*-*-*

Ich wusste nicht wie viel Uhr es war. Etwas hatte mich aus dem Schlaf gerissen. Ich suchte meine Armbanduhr und fand sie auf dem kleinen Tischchen neben dem Bett wieder. Kurz nach zwei Uhr.

Ich lag noch in voller Montur auf dem Bett. Ich lauschte ins Dunkle, aber nichts war zu hören. So stand ich auf und fing an mich auszuziehen. Nur noch in Shorts schlich ich mich kurz auf den Flur um in das Bad zu kommen.

„Hör auf mit den Mist“, hörte ich es plötzlich aus dem Nebenzimmer.

„Was interessiert dich das, dir geht es gut, du bist der Star zu Hause.“

Das hörte sich nach Simon und Lukas an. Wer aber sprach, wusste ich nicht, da ihre Stimmen auch gleich klangen.

„Rede doch nicht so ein Blödsinn.“

„Mum hat dich immer bevorzugt, du bist ihr ein und alles.“

„Lukas, du redest gequirlte Scheiße! Niemand von uns ist je bevorzug worden.“

Mir wurde langsam kalt auf dem Flur. Nur in Shorts konnte ich hier nicht länger stehen bleiben. Auch wenn mich es mich brennend interessierte, was die beiden zu bereden hatte, konnte ich hier nicht stehen bleiben, zudem drückte meine Blase.

Ich tapste leise auf zehenspitzen weiter auf die Toilette. Wenige Minuten später, als ich die Spülung drückte, kam es mir plötzlich unheimlich laut vor. Ich hoffte, ich hatte niemanden geweckt.

Nach dem ich mir die Hände gewaschen hatte, schlich ich zurück ins Zimmer. Aus dem Zimmer von Lukas und Simon drang kein Laut mehr. Als ich gerade meine Tür öffnen wollte, die gegenüber lag, wurde die Tür der beiden aufgerissen.

Wenn ich vor mir hatte wusste ich nicht, dazu kannte ich die beiden zu wenig. In der schwachen Flurbeleuchtung sah ich aber, dass mein Gegenüber geweint haben musste.

„Lukas?“, flüsterte ich leise.

Er schloss die Tür und lief an mir vorbei. Ich sah ihm nach, bis er auf der Treppe nach unten verschwand. Eine Gänsehaut überlief meinen Körper und mir blieb nichts anderes übrig, als wieder in mein Zimmer zu gehen.

Ich lief zum Stuhl und zog mir wieder mein Tshirt über. Danach ging ich zum Fenster und schaute hinaus. Schemenhaft sah ich eine Gestalt unten sitzen, die rauchte. Lukas rauchte? Wenn es überhaupt Lukas war, ich bekam auf meine Frage keine Antwort.

Die Überlegungen, wen ich jetzt vor mir hatte, verwirrten mich total und an Schlafen war vorerst nicht zu denken. Ich setzte mich aufs Bett, schlug die Decke über meine nackten Füße und nahm das Skript für morgen in die Hand.

Aber selbst auf den Text konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich fuhr zusammen, denn es klopfte an meiner Tür. Ich legte das Skript zur Seite und ging die Tür öffnen.

„Hi…“, meinte mein gegenüber.

Da ich vermutete, dass es sich um Lukas handelte, weil logischerweise er nur geweint haben konnte, nach dem ich ein Teil des Gespräches mitbekommen hatte, wunderte ich mich jetzt schon, dass er bei mir klopfte.

„Sorry…, war eine blöde Idee bei dir zu klopfen.

Mein Zögern hatte ihn falsch schlussfolgern lassen.

„Nein… komm rein…“

Er atmete tief durch.

„Hättest du etwas dagegen, wenn ich heute Nacht bei dir schlafe?“

Die Frage kam jetzt überraschend, aber da mir schon wieder kalt wurde, nickte ich. Er trat in mein Zimmer und ich schloss die Tür. Wortlos kickte er die Schuhe von den Füßen, zog sein Shirt aus und machte es sich auf der zweiten Betthälfte bequem.

Ich stand immer noch an der Tür und schaute ihm dabei zu. Sein muskulöser Oberkörper ließ mich schlucken. Gegen mich der blasse dünne Typ, war der der Muskelberg. Ich fing wieder an zu zittern, so beschloss ich ebenfalls ins Bett zu gehen.

Zögerlich nahm ich ebenso mein Tshirt ab und kuschelte mich anschließend in meine Decke. Ich griff nach der Lampe und löschte das Licht.

„Gute Nacht“, sagte ich leise.

„Gute Nacht“, kam es weinerlich zurück.

Ich starrte in die Dunkelheiten und atmete tief durch.

„… willst du reden?“

Ein Schluchzen bekam ich zur Antwort. Zaghaft und zitternd tastete ich mich mit meiner Hand Richtung Lukas. Ich wusste nicht, ob ich das überhaupt wollte, was ich im Begriff war zu machen.

Ich berührte seine Schulter und er zuckte zusammen.

„… mach das nicht…bitte…“, hörte ich ihn leise wimmern.

Ich rutschte etwas zu ihm hinüber, bis ich dicht hinter ihm lag.

„Was soll ich nicht machen?“, flüsterte ich.

Lukas atmete tief durch und drehte sich auf den Rücken. Seine Augen klitzerten im schwachen Schein der Straßenlampe, der durch das Fenster fiel.

„Weißt du, warum ich die Rolle für den Sebastian bekommen habe…?“

„Ähm… ihr seid Zwillinge…, ich dachte deswegen.“

„Ja schon… aber warum ich den Part von Sebastian bekommen habe…?“

„Nein…, weiß ich nicht…“

„Weil ich die dreckige Schwu…“

Weiter ließ ich ihn nicht reden, ich legte meine Hand auf seinen Mund.

„Tu das nicht Lukas…“, flüsterte ich.

Ihm kullerten Tränen über die Wangen. Er war schwul und hasste sich dafür? Tausend Gedanken auf einmal durchströmten meinen Kopf auf einmal. Aber ich versuchte einen klaren Kopf zu bewahren.

Das war nicht die Traumwelt, die ich so liebte, es war die Realität und ich hatte eine süßen Typen neben mir liegen, der wie ich schwul war, aber starke Probleme damit hatte.

„Ich finde es nicht… schlimm, wenn du schwul bist“, sagte ich leise.

Seine Augen wanderten in meine Richtung und sahen mich lange an. Er nahm meine Hand von seinem Mund.

„Ich ekle dich nicht an?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Warum solltest du mich anekeln… du bist normal wie ich.“

Lukas stieß Luft aus.

„Was ist normal?“

„Kann ich dir nicht sagen… Lukas… Ich weiß nur eins, wir sollten jetzt versuchen zu schlafen, damit wir fit sind, für den Dreh…“

„Du hast Recht… und dich stört es wirklich nicht, dass ich schwul bin?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Hast du auch nichts dagegen, wenn ich mich etwas an dich kuschle?“

Ich musste lächeln.

„Nein…“

„Warum grinst du jetzt?“, fragte Lukas irritiert.

Ich atmete tief durch.

„Ist etwas komisch… oder?“

„Dass ich dich das bitte?“

„Nein, nicht das. Ich sehe nur dich und mich… Ich der Schwächling, du der starke Typ und du kriechst bei mir unter…“

„Komm, so schwach siehst du doch gar nicht aus“, meinte Lukas.

Ich hob meine Augenbraun und sank in mein Kissen. Lukas rückte näher zu mir und ich legte meinen Arm über seine Brust. Es fühlte sich gut an. Plötzlich spürte ich seine Hand, wie er sich auf meinen Arm ablegte.

„Gute Nacht…“, flüsterte er.

„Gute Nacht.“

*-*-*

„Aufstehen… Frühstück!“, brüllte jemand auf dem Flur herum.

Verschlafen öffnete ich meine Augen. Ich sah eine Hand, die unter meinem Kopf hervorschaute. Im Nacken spürte ich heißen Atem. Lukas lag direkt hinter mir, sein Gesicht an mir vergraben.

Sein Arm lag um meinen Bauch, als würde er mich festhalten. Sein Atem wurde unregelmäßig, anscheinend schien er auch auf zu wachen. Wenn es sich so anfühlte, morgens neben jemanden aufzuwachen, wollte ich das nicht mehr missen.

Aber das hatte nicht ich zu entscheiden und da war ja auch noch, dass Lukas nichts über mich wusste.

„Morgen…“, brummte es hinter mir.

Lukas zog seine Hand unter mir heraus und auch der Arm auf meinem Bauch verschwand. Schade.

„Morgen“, sagte ich und drehte mich herum.

Sein blondes Haar lag wirr im Gesicht. Ich fand es irgendwie süß, aber traute mich auch nicht es auf die Seite zu Streifen.

„Es gibt Frühstück…“, flüsterte ich.

Er öffnete die Augen und sah mich an. Am liebsten hätte ich mich jetzt weiter vorgebeugt und ihm einen Kuss gegeben. Mein Bauch fing heftig an zu kribbeln.

„Danke…“

Ich schüttelte den Kopf. Er sah mich fragend an.

„Nicht dafür“, meinte ich und stand auf.

Er tat dasselbe, zog sich sein Shirt über und sammelte seine Schuhe ein.

„Bis gleich“, meinte er und verließ mein Zimmer.

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich war im Begriff, mich zu verlieben. Hatte es aber einen Sinn? Ich kannte Lukas nicht einmal richtig und wurde zudem in keiner Weise schlau aus ihm.

Ich zog mich an und schnappte mir meine Sachen für das Bad. Duschen könnte ich noch nach dem Dreh.

*-*-*

Diesmal war da Auto voll. Neben Lukas und Simon waren auch Florian und Timo mitgefahren. Es herrschte Schweigen, keiner sagte einen Ton. Schon beim Frühstück merkte ich, dass etwas nicht stimmte.

Lukas und Simon schaute sich nicht an, schauten beide recht böse drein. Ich war froh, als Paul auf das Filmgelände bog. Schnell waren alle ausgestiegen. Ich lief direkt zur Maske, sollte doch in einer Stunde der Dreh beginnen.

Theo hatte schon eins dieser Krankenhaushemdchen bereit gelegt, dass ich anziehen sollte.

„Ich glaube, heute muss ich dich noch etwas blasser machen“, meinte Conny.

„Noch blasser? Dann bin ich weiß…“

Conny kicherte. Sie trug etwas Puder auf und verteilte es mit einem großen Pinsel.

„Hallo Tobias“, hörte ich Theo rufen.

Ich hob die Hand zum Gruß, denn reden konnte ich gerade nicht.

„Du ziehst nachher nur dein Shirt aus und das Hemd dann an. Die Hose kannst du anlassen, du bist ja während der Szene zugedeckt.“

Ich winkte noch mal mit der Hand, als Zeichen dass ich es verstanden hatte.

„So, du kannst den Mund wieder öffnen… fertig“, hörte ich Conny sagen.

Ich öffnete nicht nur den Mund sondern auch die Augen und sah direkt in den Spiegel. Ich erschrak ein wenig, wie blass man mit Schminke doch werden konnte.

„Ich sehe fürchterlich aus“, merkte ich an.

„Dann ist es genau richtig. Ich helfe dir beim umziehen, okay?“

Ich nickte. Vorsichtig zog ich mein Shirt über das Gesicht, ohne es zu berühren. Conny reichte mir das Hemd, in dessen Arme ich schlüpfte. Sie umrundete mich und begann hinten die Bändchen zusammen zubinden.

„So, dass sollte reichen. Paul wird sicher gleich kommen und dich abholen.“

Ich setzte mich wieder auf meinen Stuhl und wartete. Mein Blick fiel wieder auf den Spiegel. Ich sah jetzt wirklich richtig krank aus.

„Bist du fertig?“, riss Paul mich aus den Gedanken.

„Ja.“

„Dann komm“, meinte er und machte eine einladende Bewegung.

Ich folgte ihm durch einige Korridore bis wir eine größere Halle erreichten. Hier waren die verschiedenen Zimmer aufgebaut, wie ich erkannte. Paul führte mich in eines davon, das einem Krankenzimmer täuschend echt nachempfunden war.

„Morgen“, hörte ich Manuel ohne ihn zu sehen.

„Können wir?“, fragte er weiter, als er endlich in meinen Sichtbereich kam.

„Morgen“, sagte ich.

Manuel betrachte mich kritisch, fing aber dann an zu lächeln.

„Das passt hervorragend Tobias…, aber ins Bett mit dir. Könnte mal jemand die Schläuche und das Zeugs an Tobias anschließen?“

Ich kletterte ins Bett und deckte mich bis ungefähr zur Brust zu. Ein Mann und eine Frau kamen und schlossen alle möglich Kabel an mir an und Schläuche. Ich war froh, dass dies nicht real war, denn ich konnte Spritzen nicht leiden.

Als die beiden fertig waren, wurden noch die Maschinen um mich herum in Betrieb genommen. Die Scheinwerfer gingen an und schränkten mein Sichtfeld stark ein. Lediglich die Schuhe der Leute konnte ich sehen. Sonst blendete mich das Licht.

„Ist etwas?“, hörte ich plötzlich Pauls Stimme neben mir.

„Ich sehe nur noch Sternchen, das Licht ist so stark.“

„Manuel“, rief Paul plötzlich neben mir.

„Was Paul?“

„Tobias sieht nichts mehr, einer der Scheinwerfer muss ich anscheinend genau anstrahlen.“

„Muss ich mich denn um alles selber kümmern?“

Manuel war laut geworden und sein Ton gefiel mir auch nicht.

„Scheinwerfer vier etwas nach links“, war sein nächstes Kommando.

Plötzlich wurde es besser. Die Sternchen waren zwar noch da, aber das Licht nicht mehr so stark.

„Besser?“, hörte ich Pauls leise Stimme.

Ich nickte.

„Ah, die zwei Herren kommen auch endlich, können wir dann endlich anfangen?“

Manuel schien heute nicht gut drauf zu sein.

„Also, ihr haltet euch jetzt einfach genau an das Skript und keine Überraschungen bitte, davon hatte ich heute Morgen schon genug!“, rief Manuel.

Meine Sicht wurde besser und ich konnte Simon und Lukas erkennen, wie sie gerade hinter der Trennwand verschwand. Paul kam mit einer Filmklappe zu mir.

„Krankenhauszimmer die erste“, rief er, knallte das Ding zusammen und verschwand wieder.

Die Tür ging auf und eine Schwester betrat das Zimmer, dicht gefolgt von Lukas und Simon. Doch bevor Lukas mit seinem Text beginnen konnte, meldete sich Manuel zu Wort.

„Halt…! Jungs, dass ist doch kein Trauermarsch! Lukas du besuchst einen Freund, dann benehme dich auch so.“

Du lieber Himmel, wie war der denn drauf, das wurde ja immer schlimmer.

„Alles zurück auf Ausgangposition!“, rief Manuel und die drei verließen das Zimmer durch die Tür, durch die sie gekommen waren.

Paul kam wieder.

Krankenhauszimmer, die Zweite!“

Und wieder ließ mich der Knall etwas zusammenzucken. Wieder ging die Tür auf und die Szene von eben wiederholte sich.

      „Hallo Kai“, sagte Lukas mit einem Lächeln.

      „Hallo Sebastian.. ähm Phillip, wer ist jetzt wer, man, euch kann man ja wirklich nicht

      auseinander halten.“

Lukas umrundete mein Bett, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Halt!“

Wieder Manuels Stimme. Ich seufzte und sah, dass Lukas Blick traurig wurde.

„Lukas, was ist mit dir los? Gestern habt ihr so prima zusammen agiert und jetzt? Du gibst Tobias eine Kuss, als hätte er eine schlimme ansteckende Krankheit!“

Was labert der da für eine Scheiße, ich fand es angenehm, wie Lukas den Kuss auf dien Wange hauchte.

„Die ganze Szene noch einmal und Ruhe am Set“, brüllte Manuel.

Das gleiche Spiel noch einmal von vorne.

„Krankenhauszimmer, die dritte“, rief Paul.

Die Zimmertür ging wieder auf, die zwei kamen herein.

     „Hallo Kai“, sagte Lukas mit einem Lächeln, das nicht echt war.

     „Hallo Sebastian.. ähm Phillip, wer ist jetzt wer, man, euch kann man ja wirklich nicht

     auseinander halten.“

Lukas umrundete wieder mein Bett, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen weiteren  Kuss auf die Wange.

     „Du bist Sebastian!“

     „Bist du dir sicher!“

     „Ja du riechst nach Sebastian, also musst du Sebastian sein.“

Simon trat von hinten an Lukas und schnupperte an ihm, was bei mir automatisch ein Grinsen erzeugte.

       „Warum sollte ich eigentlich kommen?“, führte Lukas seinen Text weiter.

       „Ich kann morgen Abend leider nicht mit euch zurück fahren, sie wollen mich bis

       Sonntag hier behalten. Und ich wollt“, fing ich an zu stottern, „ …dich halt noch mal

       sehen vorher… bevor du abreist.“

       „Hat das einen bestimmten Grund?

Lukas schaute mich etwas komisch an und ich wurde rot.

       „Soll ich hinaus gehen?“, fragte Simon, wie es im Text vorgeschrieben war.

       „Nein Phillip musst du nicht, du bekommst ja es sowieso mit…, ich glaub ich hab mich in deinen Bruder verknallt.“

„Cut!“, schrie Manuel wieder, „warum nicht gleich so? Simon und Lukas sollen sich gleich fertig machen für die Szene im Abteil.“

Und schon war Manuel verschwunden. Lukas sah mich kurz an und folgte seinem Bruder nach draußen.

Die Frau und der Mann kamen wieder und befreiten mich von den Apparaten. Paul kam auch hinzu.

„Du Tobias, ich muss die beiden an den Bahnhof bringen, findest du selbst in die Maske zurück?“

„Ja, kein Problem“, antwortete ich, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob das stimmte.

„Danke Tobias!“

Paul verschwand und ich stand auf. Die Lichter gingen aus und die Kameras wurden weggefahren. Ich versuchte mich zu erinnern, welchen Weg ich mit Paul gelaufen war.

„Suchst du etwas?“, fragte mich plötzlich ein Mann.

„Öhm ja… wie komme ich zur Maske.

Der Mann lächelte mich an.

„Drei Korridore weiter und dann links.“

„Danke.“

Ich lief also den beschriebenen Weg und fand tatsächlich die Maske und auch Conny.

„Hallo Conny, kannst du mich von diesem Leichenhemd befreien?“

„Aber sicher doch.“

Sie band hinten alles los und ich konnte mich befreien. Ich schaute mich um verwundert um.

„Wo sind die Klamotten für den nächsten Dreh?“, fragte ich irritiert.

„Der wurde auf heute Mittag verschoben, du hast also Pause“, antwortete Conny.

„Und was mache ich so lange?“

„Setz dich in die Cafeteria, wie es die anderen auch tun, wenn sie warten.“

„Aha…“

„Komm, ich mach dir noch den Puder weg, sonst ruft mir noch jemand den Krankenwagen, weil er denkt, dir geht es nicht gut.“

Ich musste lächeln.

*-*-*

Der Mittagsdreh zog sich in die Länge, ständig hatte Manuel etwas aussetzten, dass ich bald nicht mehr wusste, wie ich meine Rolle zu spielen hatte. Ich wusste auch nicht, wie oft wir die Szene durchspielten.

„Noch einmal!“, rief Manuel und verschwand hinter seinem Tisch.

Den Schauspieler, der den Christian und Butler der Familie spielte kannte ich nicht. Er stellte sich mir gegenüber und ich nahm wieder meinen Koffer auf.

„Bahnsteig, die 54.“

Ich holte Luft

       „Christian was soll das? Ich werde schon abgeholt“, sagte ich im ärgerlichen Ton, was nun bei der Fülle der Drehs mittlerweile echt war..

       „Ihre Eltern haben mir die Anweisung gegeben, sie umgehend nach Hause zu bringen.“

       „Ich will aber nicht.“

       „Bitte machen sie mir keinen Ärger, sie wissen wie ihre Eltern sind.“

       „Ja weiß ich zu genüge. Und was wird aus meinem Freund Sebastian, der steht nämlich bereits hinter ihnen.“

Der Schauspieler drehte sich kurz zu Lukas.

      „Der junge Mann sollte wenn es geht einen weiten Bogen um sie machen, ihre Eltern

      werden sonst die nötigen Schritte gegen ihn ein leiten.“

      „Christian, was soll die Scheiße, darf ich kein Privatleben haben?“

      „Ich habe nur meine Anweisungen, die ich zu befolgen habe.“

Er nahm meinen Koffer, packte mich am Arm und zog mich von Lukas fort. Ich drehte meinen Kopf und sah, wie Lukas in die Knie ging.

       „Kai… Kai … komm zurück… ich liebe dich…“

„Cut! Die Szene ist gestorben! Wir drehen Morgen weiter.“

Manuel verschwand recht schnell, während die anderen anfingen zusammen zuräumen. Ich ging zu Lukas und half ihm auf.

„Was ist mit dem heute los?“, fragte ich.

„Ich weiß es nicht“, blaffte Lukas mich an und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Er sah mich noch mal kurz an und ging dann einfach. Was war das jetzt? Mir ging diese Kaltschnäuzigkeit langsam auf die Nerven.

„Lukas?“, rief ich, aber er reagierte nicht.

*-*-*

Das Abendessen hatte ich in der Pension auf dem Zimmer eingenommen. Man war so freundlich mir etwas einzupacken. Am nächsten Tag stand der nächste Dreh erst am Mittag an, so beschloss ich am Morgen etwas auf Erkundungstour zu gehen.

Außer den Weg zum Studio, oder zum Bahnhof hatte ich noch nichts anderes gesehen. Andreas hatte mir erzählt, dass es möglich wäre über Wlan ins Internet zu kommen, er hatte mir sogar das Passwort gegeben.

Ich fuhr mein Laptop hoch und freute mich zu sehen, das ein Netz vorhanden war. Ich gab das Passwort ein und schon war ich drin. Ich rief die Emails ab, aber es hätte mich schwer gewundert, wenn mir jemand geschrieben hätte, wer denn auch?

Ich surfte eine Weile und vergaß die Zeit dabei. Erst ein klopfen ließ mich aufsehen. Er war kurz vor zwölf. Ich legte mein Laptop zur Seite und ging zur Tür. Davor stand wieder Lukas.

„Öhm… kann ich wieder bei dir schlafen?“

Eigentlich war ich ja sauer auf ihn, weil er mich sonst links liegen ließ, aber diese Augen…, ich konnte einfach nicht nein sagen. Ich schob meine Tür weiter auf und ließ ihn eintreten, bevor ich sie wieder verschloss.

„Danke…“

Ich nickte und ging wieder zum meinem Bett zurück. Ich wollte noch den Laptop herunter fahren, weil ich keine Lust hatte, weiter im Internet zu surfen, wenn Lukas daneben war.

„Deins?“

Wieder nickte ich und packte es in die Tasche zurück. Lukas kickte wieder seine Schuhe in die Ecke, zog das Shirt aus und legte sich auf seine Seite. Fehlte nur noch, dass jemand kam und „Bettszene die Zweite rief“.

Grinsend zog ich mich ebenfalls aus und legte mich auf meine Bettseite. Kaum lag ich zugedeckt im Bett und hatte das Licht ausgemacht, schob sich Lukas heran, nahm mich in den Arm und wenige Minuten später schlief er friedlich.

Ich dagegen war hell wach. Sollte das jetzt die ganze Zeit so gehen? Ich wusste nicht weiter. Machte es einen Unterschied, wenn ich ihm sagte, dass ich genauso empfand wie er, nur dass ich keine Schwierigkeiten damit hatte wie er.

„Warum schläfst du nicht?“, brummte er plötzlich neben mir.

„Weil ich nicht schlafen kann.“

„Wegen mir.“

„Ja und nein…“

„Hä?“, fragte er und hob den Kopf an.

„Wäre es ein Unterschied für dich, wenn ich auch schwul wäre?“

„Nein… und jetzt schlaf.“

„Lukas?“

„Ja?“

„Ich bin auch schwul.“

„Okay…“

War das jetzt wirklich so einfach?

„WAS?“, fuhr Lukas hoch.

Lukas fuhr so schnell hoch, dass er viel zu weit nach hinten kam, mit der Folge, dass er aus dem Bett flog. Ich konnte nicht anders und musste kichern.

„Du verarscht mich jetzt, oder?“

Ich schüttelte den Kopf. Es klopfte an meiner Tür. Ich schlug die Decke zurück, ging an die Tür und öffnete sie einen Spalt. Felix stand vor mir. Nur in Shirt und Shorts rieb er verschlafen seine Augen.

„Ist alles okay bei dir…?“

„Öhm ja…“

„Es hat gerade so einen gewaltigen Rumps gegeben…“

„Ich bin nur gestolpert, aber es ist nichts passiert. Aber lieb, das du vorbei geschaut hast.“

Felix nickte und tapste wieder zu seinem Zimmer zurück. Ich schloss die Tür und drehte den Schlüssel herum. Als ich mich umdrehte, blieb ich geschockt stehen. Lukas hatte bereits Shirt und Schuhe angezogen.

„Wo willst du hin?“, fragte ich.

„Mir einen anderen Platz zum Schlafen suchen.“

„Warum?“

„Bei Leuten, die mich zum Narren halten, bleibe ich nicht.“

Ich ging zu ihm hin.

„Ich habe dich nicht zum Narren gehalten, Lukas. Meinst du wirklich, ich sage aus Spaß ich bin schwul?“

Er sah mich ungläubig an

„Dann schlaf doch woanders“, meinte ich jetzt säuerlich und schloss die Tür auf.

Trotzig lief er an mir vorbei und verließ das Zimmer. Ich knallte die Tür zu. Es war mir egal, ob ich die anderen weckte. Das musste ich mir nicht geben. Dieses Arschloch, Was dachte er eigentlich wer er ist.

Ich warf mich aufs Bett und vergrub mich mein Gesicht im Kissen. Warum tat er das? Ich versehe das nicht. Warum glaubte er, dass ich ihn anlog? Warum fing ich jetzt an zu heulen? Der Typ konnte mir doch scheiß egal sein.

Wir drehen hier nur einen Film, alles ist nur gespielt. Gespielt. Mittlerweile spielte ich nicht mehr, gestand ich mir ein. Ich hatte mich in Lukas verliebt, obwohl er sich so daneben benahm.

Es klopfte an meiner Tür, aber ich reagierte nicht. Ich wollte niemand mehr sehen. Es klopfte wieder. Ich nahm mein Kissen und legte es auf meinen Kopf, damit ich es nicht mehr hören konnte.

Lukas, warum tust du das? Ich weinte, ungehindert flossen die Tränen. Warum nur?

*-*-*

Gepolter auf dem Flur weckte mich. Ich schaute auf meine Uhr. Es war kurz nach acht Uhr. Die anderen gingen bestimmt zu ihrem ersten Dreh. Ich richtete mich auf. Dann hörte ich draußen Stimmen.

Dann wurden Türen zu geschlagen und ein Auto fuhr weg. Ich strampelte die Decke weg und stand auf. Ich war alleine, dann war auch sicher das Bad frei. Ich schnappte mir mein Duschzeug und schloss meine Tür auf.

Auf dem Boden vor meinem Zimmer lag das Script des heutigen Tages. Ich nahm es hoch und überflog die Zeilen. Ich war erst gegen drei Uhr mittags dran. Ich schloss meine Tür und ging ins Bad.

Eine viertel Stunde später, war ich in meinem Zimmer und zog mich an. Alleine frühstücken, danach stand mir jetzt der Sinn. Kein blödes Gespräch oder dumme Anschuldigungen. Mein Gedanke schweifte wieder zu Lukas.

Vielleicht sollte ich mich daran gewöhnen, dass es wieder mal nur ein Traum war, in dem ich mich verloren hatte. Es war echt an der Zeit, dass ich mir diese Träumerei aus dem Kopf schlug, denn sie brachte mir eh nur Schmerz.

Ich verließ wieder mein Zimmer und ging nach unten. Es war wirklich niemand da und so konnte ich ungehindert mir die Sachen holen, die ich frühstücken wollte. Ich suchte mir einen Platz am Fenster und begann gedankenverloren zu essen.

„Guten Morgen“, schreckte mich eine Stimme aus den Gedanken.

Ich drehte meinen Kopf Richtung Tür und da stand Trude.

„Morgen“, brummelte ich mit vollem Mund.

„Ganz alleine heute?“

Ich nickte.

„Gut, dann bekommst du gleich Gesellschaft“, meinte Trude und verschwand wieder.

Och nein, ich wollte keine Gesellschaft, besonders nicht Trude. Sie meinte es sicher gut, aber mir war jetzt nicht nach einem Gespräch.

„Guten Morgen, du bist sicher Tobias…“

Ich schaute zur Tür und verschluckte mich fast an meinem Brötchen. Da stand Hannes Jaenicke und lächelte mich an.

„Guten Morgen“, erwiderte ich und nickte.

„Auch Drehpause?“

Ich nickte wieder und wunderte mich, warum er nicht im Hotel frühstückte.

„Ich liebe Trudes Kaffee. Im Hotel die Brühe kann man nicht trinken.“

Somit war meine Frage beantwortet. Er belud sich seinen Teller und kam dann an meinen Tisch.

„Ist der Platz noch frei?“, fragte er grinsend.

„Ja“, sagte ich verlegen und musste auch grinsen.

Er stellte alles ab und setzte sich zu mir. Nachdem er am Kaffee genippt hatte begann er sein Brötchen zu schmieren. Trude erschien.

„Brauchst du noch etwas?“, fragte sie Hannes.

Er schüttelte den Kopf.

„Auch gut“, sagte dann Trude und verschwand wieder.

„Wie bist du an die Rolle gekommen?“, wollte Hannes plötzlich wissen.

Schwer schluckte ich am letzten Bissen Brötchen. Ich trank kurz von meiner Milch und räusperte mich.

„Ich… ich habe davon gelesen, dass dieser Film gedreht wird und ich kannte die Geschichte. Dann habe ich im Internet gesurft und entdeckt, dass noch Jungschauspieler für den Film gecastet werden.

„Das stand alles im Internet?“

„Ja. Ich habe dann eigentlich nur so aus Spaß einen kleinen Text geschrieben, ein Bild von mir dazu und das Ganze dann, als Mail weggeschickt.“

„Und sie haben ganz unerwartet geantwortet?“, lächelte Hannes.

Ich nickte.

„Ich bin dann gegen den Willen meiner Eltern zu diesem Casting gefahren. Es wurde Probeaufnahmen gemacht und bevor ich wieder ging, hatte ich die Rolle in der Tasche.“

„Deine Eltern hatten da etwas dagegen? Hört sich abenteuerlich an. Bei uns läuft das etwas anders. Wir kriegen Drehbücher zu geschickt und können dann entscheiden, ob und die Rolle liegt oder nicht.“

„Und warum hast… ähm du dir diesen Film heraus gesucht?“, fragte ich leise.

„Weil mir die Geschichte gefällt…, erinnerte mich erst an das doppelte Lotchen von Erich Kästner. Aber es ist nicht nur ein Wiederfinden des eigenen Bruders, es ist auch ein Kampf mit eigenen Ich, weil man sich selbst kennen lernen muss oder wie man so schön sagt, sich finden muss.“

Ich nickte und biss wieder von meinem Brötchen ab.

„Und nach zwei Filmen im Ausland, wollte ich auch mal wieder hier drehen, in Deutschland. Hier habe ich Freunde die ich selten sehe und dann treffen kann.“

„Aber es wird doch auch vier Wochen in den Staaten gedreht“, warf ich ein.

„Das sind aber nur vier Wochen. Sonst bin ich drei oder vier Monate weg.“

„Ihre Freunde sind ihnen wichtig?“

„Ja, selbstverständlich. Ohne richtige Freunde wäre mein Leben langweilig. Es ist immer wieder schön nach München zurück zukehren und sich mit dem einen oder anderen zu treffen.“

Ich nickte.

„Hast du denn keine Freunde?“

Ich schüttelte den Kopf. Er hob die Augenbraun.

„Bisher habe ich noch niemand kennen gelernt, der auf meiner Wellenlänge war“, erklärte ich und nippte an der Milch.

„Das ist schade. Freunde oder einen Freund, das ist sehr wichtig! Und wie sieht es mit einer Freundin aus?“

Wieder schüttelte ich mit gequältem Gesichtsausdruck den Kopf.

„Das tut Leid…, ich wollte dir nicht zu Nahe treten.“

„Bist… du nicht.“

Mir fiel es immer noch schwer ihn einfach zu duzen, aber irgendwie war er so… vertrauenswürdig.

„Ich…, ich habe… keine Interesse an… Mädchen“, stammelte ich.

*-*-*

Hannes hatte mich dann noch in die Stadt mitgenommen. Ich schlenderte an den Auslagen vorbei, nahm aber nicht richtig wahr was da in den Schaufenstern lag. Meine Gedanken hingen an dem Gespräch mit Hannes und die Sache mit Lukas.

Ich wusste nicht, wie ich die Rolle weiterspielen sollte, wenn ich genau wusste, Lukas hatte etwas gegen mich. Konnte ich dann noch überzeugend den Kai bringen. Ich schaute auf die Uhr.

Es war kurz vor eins, also noch etwas Zeit. Vielleicht sollte ich mir doch etwas gönnen. Warum mir der Gedanke gerade vor einem Schmuckladen kam, wusste ich nicht. Ich drückte meine Nase an der Scheibe platt.

Dort fand ich verschiedene Armbänder, die mir gut gefielen und auch noch relativ günstig waren. So betrat ich den Laden und zehn Minuten später war ich stolzer Besitzer eines neuen Armbandes.

Ich überlegte, ob ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Pension fahren sollte, oder Paul anzurufen, der mir ja seine Handynummer gegeben hatte. Ich nahm mein Handy heraus und hätte es fast fallen lassen, weil es in diesem Augenblick zu klingen begann.

„Ja?“

„Hallo Tobias, hier ist Paul.“

„Kannst du Gedanken lesen?“

„Nein, wieso?“

„Ich habe gerade darüber nach gedacht, ob ich den Bus nehmen soll, oder dich anrufe.“

„Für den Bus wäre es jetzt etwas spät.“

„Wieso, der Dreh beginnt doch erst um drei.“

„Leider nicht, es wurde wieder alles geändert und dein Dreh beginnt bereits um Zwei. Wo bist du, damit ich dich abholen kann.“

„Davon habe ich nichts gewusst.“

„Konntest du auch nicht, Manuel hat das eben erst bekannt gegeben.“

„Öhm… ja okay.“

„Und wo bist du jetzt?“

„Ach so… Moment, ich muss schauen, da ist gerade kein Straßenschild.“

Ich lief den Weg zurück, den ich gekommen war, bis zur nächsten Kreuzung.“

„Schillerstraße Ecke Bochumer Weg.“

„Gut, nicht weglaufen, in einer viertel Stunde bin ich bei dir.

„Danke Paul.“

„Nichts zu danken!“

*-*-*

Ich saß jetzt schon seit zwanzig Minuten in der Maske und keiner kam. Weder Conny noch Theo hatten sich bisher blicken lassen. Da ich mich noch immer nicht in diesem Gebäude auskannte, war es zwecklos sie zu suchen.

Ich hörte Stimmen auf dem Flur und hoffte dass die beiden dies wären. Aber es waren die anderen Jungs, die Zwillinge mit Felix.

„Also ich fand es cool“, meinte Simon zu seinem Bruder.

„Mir ist fast schlecht geworden, du solltest an deinem Fahrstil etwas ändern!“, entgegnete Lukas.

Sein Blick fiel kurz auf mich, dann wandte er sich wieder ab. Dies war Felix nicht entgangen und er schaute kurz zwischen mit und Lukas hin und her. Ich senkte meinen Blick. Es tat weh mit Lukas in einem Raum zu sein und auch noch zu sehen, dass andere es mitbekamen, dass da irgendwas nicht stimmte.

„Und Bruderherz, schon auf die große Kussrolle vorbereitet?“, fragte Simon plötzlich.

„Könntest du dich nicht einfach um deinen Kram kümmern“, meinte Lukas leise.

„So da bin ich“, stürmte Conny in die Maske, „entschuldigt, Manuel hat mich mit seinen Anweisungen aufgehalten.

Sie sah mich kurz an.

„Wir machen dich wieder etwas blasser, aber deine Augen brauchen wir nicht schminken… wohl eine kurze Nacht gehabt?“

Sie lächelte mich an und ich verdrehte die Augen, während sie dann mit den Schultern zuckte. Nun kam auch Theo herein. Er brachte nur meine Sachen, da die anderen anscheinend schon ihre Klamotten anhatten.

So zog ich mich schnell um. Ich wollte niemanden in Zeitbedrängnis bringen. Conny legte Hand an und machte mich wieder Totenblass.

„So fertig“, meinte sie und trat dichter an mich heran.

„Bist du empfindlich gegen die Scheinwerfer, oder warum sind deine Augen rot unterlaufen?“, flüsterte sie fast.

Ich schaute sie nur an.

„Entschuldige…, war nur ein Frage.“

„Kein Problem“, sagte ich leise.

*-*-*

Manuel war noch schlimmer, als ein Tag zuvor. Laufend unterbrach er die Szene, weil ihm einfach dies nicht passte oder jenes nicht. Martina nahm ihn dann irgendwann zur Seite und redete etwas mit ihm, für uns hörbar. Dann wandte er sich wieder zu uns.

„Okay, fangen wir noch einmal von vorne an und versuchen alles richtig zu machen…“, sprach er viel ruhiger als vorher“, Lukas zur Tür.

Ich setzte mich wieder aufs Bett und kauerte mich zusammen. Das war leicht, weil ich auch in dieser Verfassung war.

„Wiedersehen die 23!“

Wieder hörte ich die Tür auf gehen, wie schon die zweiundzwanzig Male davor.

    „Kai?“, hörte ich Lukas sagen.

Laut der Regieanweisung, fuhr ich hoch und stürmte auf Lukas zu. Dieses Mal hätte ich ihn wirklich fast umgerissen, aber Lukas konnte es gerade noch ausbügeln. Manuel beendete dieses Mal die Szene nicht.

    „Dann lass ich euch zwei mal alleine, kommt aber bitte nachher runter, wir sollten da noch was reden“, sprach Martina, die ja meine Mutter spielte.

    „Danke“, meinte Lukas in Richtung Martina.

    „Ist nur zum Wohle meines Sohnes, hätte ich viel früher tun sollen.“

Mit diesen Worten schloss sie die Tür hinter sich. Ich dagegen schaute Lukas an und strich über sein Gesicht, fuhr durch seine Haare.

    „Du bist es wirklich, ich träume nicht!“

    „Ich kann es auch nicht fassen, dass ich hier stehe“, sagte Lukas.

Mein Lächeln war dieses Mal echt, aber nur weil Lukas diesen Satz jetzt so oft schon gesagt hatte.

     „Wie hast du das fertig gebracht?“

     „Ich hab gar nichts, das waren meine Mum und mein Bruder, sie haben mich hier her

     gebracht.“

     „Und wie hat es deine Mutter fertig gebracht meine Mutter umzustimmen?“

     „Erstens kennen sie sich, sie haben wohl zusammen studiert, und zweitens wusste deine Mutter nicht Bescheid, die Aktion, war von deinem Vater.“

     „Ich hab ihn nie leiden können, er ist doch nur hinter dem Geld meiner Mutter

     hergewesen.“

     „Das Geld gehört ihr?“

„Ja alles, die Firma, das Haus, das ganze Geld, gehört zu drei Vierteln meiner Mutter und ein Viertel gehört mir.“

     „Ihm überhaupt nichts?“

     „Nein, nur das jährliche Gehalt, das ihm als Vorstandvorsitzender der Firma zusteht.“

     „Dann bist du ja eine richtige gute Partie“, sagte Lukas und drückte mich fest an sich.

Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper.

     „Soso, also auch auf mein Geld aus“, meinte ich gespielt entrüstet.

     „Ich will dein Geld gar nicht“, antwortete er, „ich will nur dich!“

Und dann kam der Augenblick, wo Manuel immer abgebrochen hatte. Doch dieses Mal blieb er ruhig und uns machen. Ich gab ihm einen Kuss, und ich spürte, dass die anfängliche Gegenwehr, wie in den vorhergegangen Szenen verschwunden war. Plötzlich drückte sich Lukas von mir weg und keuchte.

      „Was schon aufhören?“, fragte ich, ebenfalls nach Luft japsend.

Dieser Kuss fühlte sich viel zu echt an, als das Lukas das so überzeugend hätte spielen können.

      „Kai langsam, willst du mich umbringen? Ich krieg keine Luft mehr.“

      „Oh sorry, war ich zu stürmisch?“

      „Ja, aber es hat mir gefallen.“

Auch dieser Satz kam von Lukas Herzen, das sah ich seinen Augen an. Ich ließ von ihm ab und lief zum Fenster.

      „Da fährt ein Wagen, die Auffahrt hoch, jetzt wird es interessant, das ist mein Vater…“

*-*-*

Die Szene war im Kasten und ich hatte immer noch weiche Knie. Dieser Kuss eben mit Lukas war anders, aber ich konnte nicht sagen warum. Es wurde alles recht schnell umgebaut, damit wir die nächste Szene weiter spielen konnten.

Lukas stand neben mir vor der Tür und sagte nichts. Ich wartete auf unser Zeichen, dass wir den Raum betreten sollten. Ich spürte dass Lukas dicht hinter mir stand, als Manuel uns einen Wink gab.

       „Also wusste ich es doch, dieses Individuum ist doch hier.“

Das war mein Stichwort und ich ging ins Zimmer.

       „Lass die Finger vom Bruder meines Freundes, sonst wirst du mich kennen lernen“, sagte ich sauer.

Dieser Jochen, der meinen Vater spielte drehte sich um.

       „Kai auf dein Zimmer“, befahl er mir und plötzlich hatte ich das Gefühl, meinen wahren

       Vater vor mir zu haben umso gereizter reagierte ich.

       „Du hast mir gar nichts mehr zu sagen“, sagte ich kühl.

       „Treib es ja nicht zu weit, junger Mann.“

Ich lief noch einige Schritte weiter auf ihn zu, vorbei an Martina, was eigentlich nicht in der Szene stand.

        „Wenn es hier einer bunt treibt bis du es. Kaufst eine Jacht, obwohl du weißt Mutter wird sehr schnell Seekrank. Du hast diese kleine Hütte im Schwarzwald gekauft, auch wenn Mum allergisch gegen Kälte reagiert… du hast nie etwas für sie oder gar für uns       gemacht.“

        „Muss ich mir das von diesen Schnösel lassen Elisabeth?“

        „Christian“, rief Martina, „pack doch bitte die Koffer meines Mannes.“

        „Für wie lange ist der Aufen…?“

        „Für immer Christian, für immer!“

        „Elisabeth was soll das?“

Martina trat neben mich, als wollte sie mich in Schutz nehmen.

        „Das fragst du noch, Kai hat ganz Recht, du bist die letzten Jahre nur am Raffen

        gewesen, und wie meine Anwälte heraus gefunden haben, ziemlich viel Geld       verspekuliert. Aber lieber Heribert, dass hat jetzt ein Ende. Mit sofortiger Wirkung bist  du gekündigt, und was uns beide betrifft, die Scheidungspapiere werden dir umgehend      zugestellt von meinen Anwalt.“

        „Elisabeth…“

        „Heribert du hast ein Fehler gemacht… das liebe Geld ist mir eigentlich ganz egal, aber heute wurde mir klar, wie du systematisch einen Keil zwischen mich und meinen Sohn getrieben hast. Und das werde ich dir nie verzeihen. Und nun mach das du mir aus den Augen kommst.“

Während sie das sagte, legte sie ihren Arm um mich. Jochen rannte Wutentbrannt aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.

„Cut…, wow, das war ja einmalig. Tobias ich muss dich loben, man hätte meinen können, Jochen ist dein wirklicher Vater, so wie du ihn angegiftet hast!“

Wenn der mal wüsste. Lukas stand etwas unbeholfen im Zimmer, während Martina immer noch ihren Arm um mich hatte.

„Wir drehen gleich weiter, dann haben wir die ganze Szene im Kasten und brauchen morgen nicht noch einmal anfangen… und Tobias… Weiter so!“

Ich lächelte Manuel an, während Martina mich etwas drückte.

„Hast du wirklich super gemacht“, flüsterte sie.

*-*-*

Die Szene war schnell im Kasten. Es machte Spaß mit Martina zu spielen und auch wenn ich sie privat nicht richtig kannte, ertappte ich mich dabei, wie es wäre, wie sie meine Mutter sein würde.

Paul brachte uns wieder in die Pension. Während Simon und Felix sich angeregt unterhielten, saßen Lukas und ich nur schweigend da. Ich sah aus dem Fenster, also bekam ich nicht mit, ob er mich ansah.

Auch später, nach dem Abendessen verzog ich mich gleich in mein Zimmer um eventuellen Launen zu entgehen. Dieses Mal klopfte niemand an die Tür und so hatte ich eine ruhige traumlose Nacht.

Recht früh wachte ich auf und umso mehr beeilte ich mich dann mit dem Aufstehen, damit ich vor den anderen noch ins Bad konnte. Als ich wieder ins Zimmer zurück kam hörte ich dann in den Nachbarzimmer, wie es langsam lauter wurde.

Ich zog mich fertig an und wollte zum Frühstücken hinunter. Auf dem Flur begegnete mir dann Lukas. Er sah mich an und wollte etwas sagen. Doch dann drehte er sich weg und lief ins Bad.

„Morgen Tobias“, hörte ich Felix rufen.

Warum war dieser Kerl immer so gut drauf?

„Morgen Felix.“

„Bist du schon fertig?“

Ich nickte.

„Gut, dann sehen wir uns gleich bei Frühstück.“

„Okay“, sagte ich und lief die Treppe hinunter.

*-*-*

Der Zeitplan von Manuel war eng und in den folgenden Tagen wurde eine Szene nach der anderen abgedreht. Selbst die Erwachsenen stöhnten. Dafür gab uns Manuel dann ab Donnerstag frei und wollte uns erst wieder Montag sehen.

Ich fragte mich, was ich das ganze Wochenende tun sollte. Lust mit den anderen die ganze Zeit abzuhängen hatte ich auf alle Fälle keine. So lag ich mittags, während die anderen noch weggingen, bereits in meinem Bett.

Als es klopfte, fuhr ich zusammen, denn ich dachte ja, ich wäre alleine im Haus.

„Ja?“, rief ich und die Tür ging auf.

Ich sah Lukas im Flur stehen.

„Darf ich reinkommen?“, fragte er.

Ich seufzte und nickte, denn ich wusste nicht im Augenblick, ob dies etwas bringen würde. Langsam kam er herein und schloss leise die Tür. Er hielt kurz inne und kam dann ans Bett. Er hatte sicher überlegt, wo er sich hinsetzten sollte.

Lukas lief auf die andere Bettseite und ließ sich m Fußende nieder. So saß er dann eine Weile da, bis er plötzlich wieder seine Schuhe wegkickte und sich komplett aufs Bett setzte. Ich schaute ihn nur an und sagte nichts, er spielte an dem Zipfel seiner Shorts und hielt seinen Kopf gesenkt.

„Ich hab mich wohl total blöd benommen…?“

Ich beschloss erst einmal gar nichts zu erwidern. Er schaute kurz auf, aber um gleich wieder den Kopf zu senken. So einfach wollte ich es jetzt doch nicht machen. Klar wusste ich jetzt genau, dass ich mich in ihn verliebt hatte, aber dieses Gehabe konnte ich nicht haben und brauchte es mir auch nicht antun.

„Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du schwul bist…“

„Hätte das etwas geändert?“

Lukas zuckte mit den Schultern.

„Ich kann damit nicht umgehen…“

Das hatte ich gemerkt, oder bekam es jedes Mal zu spüren.

„Wie machst du das …, du hast offensichtlich keine Schwierigkeiten damit.“

„Doch habe ich…“

Wieder hob er den Kopf und schaute mich lange an, dann wanderte sein Blick wieder Richtung Bettdecke.

„Du findest dich auch pervers und eklig…?“

„Nein, das habe ich nicht gesagt.“

Er nickte, obwohl es mir vorkam, dass er nicht verstehen würde, was ich sage.

„Warum hast du dann Probleme?“

„Mit meinen Eltern…“

„Was ist mit ihnen…?“

„Sie akzeptieren mich nicht mehr… wollen volle Kontrolle über mich haben…“

„Aha…“

Er saß immer noch da und zupfte an seiner Shorts herum.

„Ich will nicht… schwul sein…“, meinte er plötzlich.

„Kann man sich das aussuchen?“, fragte ich.

Lukas schaute mich an.

„Du hast das ernst gemeint…“

„Was?“

„In der Filmszene…“

„Lukas, welche Filmszene?“

„Als wir den Krankenhausdreh gemacht haben und du sagtest, du hast dich in mich verliebt…, so wie du mich dabei… angeschaut hast…, dass war echt oder?“

Ich schaute ihn lange bis ich unmerklich mit dem Kopf nickte.

„Warum ich…?“

„Ich weiß es nicht recht…, vielleicht habe ich mich in den Sebastian verliebt…, nicht in Lukas…, der ständig seine Launen an anderen auslässt.“

Sein Kopf fuhr hoch und er sah mich traurig an.

„… und… du meinst… wir könnten…“

Er seufzte und atmete tief und lang durch.

„Was können wir?

„… ach vergiss es… blöde Idee.“

„Lukas…“

„Hm?“

„Komm her“, meinte ich und breitete meine Arme aus.

Erst zögernd, kam er näher. Ich bekam ihn zu fassen und zog ihn zu mir. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und kuschelte sich eng an mich. Ich streichelte ihn durchs Haar.

„Vielleicht lässt mich der Lukas dich mal kennen lernen und blockiert nicht alles von vorne herein. Nur Sebastian… das will ich nicht.“

Er hob seinen Kopf an und wir blickten uns genau in die Augen.

„Meinst du…, ich schaffe das?“

Ich nickte und lächelte ihn dabei an. Mein Kopf wanderte langsam auf ihn zu. Es klopfte und ich öffnete die Augen. Erschrocken sah ich auf das Kissen dass ich im Arm hatte. War das wieder nur ein Traum?

Etwas durch Wind, lief ich an die Tür. Vor ihr stand Trude.

„Habe ich dich geweckt?“, fragte sie.

„Nein, ich habe mich nur etwas ausgeruht.“

„Ähm, heute morgen kam dieser Brief mit der Post, den hatte ich total vergessen, sonst hätte ich ihn dir schon beim Essen gegeben.“

„Nicht schlimm… danke.“

„Dann hat vorhin noch Hannes angerufen und nach dir gefragt.“

„Hannes?“

Ich machte große Augen.

„Ja, in einer halben Stunde ist er da und holt dich ab.“

„Mich?“

„Wenn du Tobias Gerber heißt, ja, dann meinte er dich.“

Sie lächelte mich an.

„Hat… ähm hat er noch etwas gesagt?“

„Ja, du brauchst dich nicht in Schale schmeißen. Solltest aber etwas zum Duschen mitnehmen und etwas zum Umziehen später.“

„Ähm… okay.“

„Ich sage dann mal tschüss, wir sehen uns sicher morgen beim Frühstück.“

Ich nickte und schloss die Tür. Der Brief war Nebensache geworden und ich legte ihn auf der Kommode ab. Hannes wollte mit mir weggehen und ich solle mich nicht in Schale schmeißen. Also ging ich an den Schrank und schaute, was er zu bieten hatte.

Plötzlich kam mir alles so alt und abgetragen vor. Ich griff nach einer Jeans und einem braunen Pulli und wenig später, als ich gerade meine Schuhe zugebunden hatte, klopfte es erneut an meiner Tür.

Wieder ging ich zu ihr und öffnete sie.

„Hallo Tobias und… fertig?“

Vor mir stand wirklich Hannes.

„Ähm… hallo Hannes. Moment… meine Jacke noch…“

Ich lief zum Bett und griff nach meiner Jacke und meinem Rucksack, der nach Anweisung mit dem Rest gefüllt war.

„Gut, dann können wir los. Du siehst etwas blass um die Nase aus, alles okay mit dir?“, fragte er, als ich meine Zimmertür hinter mir schloss.

Ich nickte nur und folgte ihm nach unten. Wir verließen das Haus. Auf der Straße stand ein Audi.

„Einsteigen und anschnallen.“

Artig stieg ich auf der Beifahrerseite ein und schnallte mich an.

„Und ab geht die Post“, meinte Hannes und startete den Motor.

Ein sattes Brummen ließ den Wagen leicht vibrieren und machte fast einen kleinen Hüpfer, Als Hannes Gas gab. Nicht wie erwartet, fuhr er mit mir Stadt auswärts.

„Ich dachte mir, ein wenig Aufbauprogramm könnte dir gut tun“, sagte Hannes.

„Aufbauprogramm?“

„Ja. Unsere Unterhaltung hat mir viel zu denken gegeben. Du spielst in deiner Rolle einen selbstsicheren aber kranken Jungen und privat…, da ist Tobias Gerber, ein stiller Junge der sich versteckt.“

Da hatte er leider Recht, aber ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.

„Jetzt schau nicht so…“

„Äh… ich weiß nicht was ich sagen soll.“

„Zu allererst, du musst wissen, dass ich absolut nichts gegen Schwule habe, sonst würde ich in diesem Film ja wohl nicht mitspielen. In meinem Freundeskreis gibt es auch Schwule und mit ihnen komme ich prima klar.“

Ich spürte, wie sich mein sämtliches Blut oberhalb des Halses staute.

„Und ich habe eben gemerkt, dass dir die Selbstsicherheit fehlt, verstehen tu ich das noch nicht, aber dazu möchte ich dich einfach besser kennen lernen.“

Ich schaute ihn fragend an. Wir waren mittlerweile auf einer Schnellstraße und verließen Frankfurt.

„Was…, was meinst du mit verstehen.“

„Ich verstehe nicht, wie du so selbstsicher ohne Patzer deine Rolle spielst, als wärst du Kai. Aber wenn man dich nach den Dreharbeiten sieht, ist von dieser Selbstsicherheit nichts mehr übrig.“

„Das ist eine… Rolle.“

„Ich weiß selbst, dass viele Menschen eine Rolle spielen, auch im richtigen Leben. Aber bei dir ist der Unterschied… richtig KRASS.“

„Krass?“

„Ja, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du das nur spielst. In diesem Kai steckt sicher mehr Tobias, als dir selbst klar ist.“

Ich dachte über die gesagten Worte nach, konnte sie aber nicht richtig nachvollziehen.

„So, da sind wir“, meinte Hannes und bog auf ein Grundstück.

Wir fuhren einen schmalen Schotterweg entlang, bis wir ein Haus erreichten. Ich wusste absolut nicht, was wir hier wollten.

„Komm, aussteigen, man erwartet uns schon.“

Man erwartete uns? Ich schnallte mich ab und steig aus. Hannes umrundete den Wagen, legte seine Hand auf meine Schulter und dirigierte mich Richtung Haustür. Diese öffnete sich schon und ein junger Mann trat heraus.

„Hallo Hannes, schön dass du wieder mal Zeit hast, vorbei zuschauen.“

„Hallo Adrian. Ja ist lange her.“

Sie umarmten sich.

„Das hier ist Tobias, von dem ich dir am Telefon erzählt habe.“

„Hallo Tobias!“, meinte Adrian und reichte mir die Hand.

„Hallo“, sagte ich leise.

Ich fühlte mich nicht sehr wohl in meiner Haut, auch wenn Hannes ein sehr netter Kollege war.

„Es ist alles vorbereitet, ihr könnt gleich loslegen“, sagte Adrian und betrat wieder das Haus.

Ich folgte den beiden durch das Haus, ohne ein Wort zu sagen. Die zwei Herren vor mir tauschten kurz Informationen aus, was so alles in der letzten Zeit passiert war und ich war überrascht, dass Hannes überhaupt noch Zeit hatte, irgendwen zu besuchen.

Durch eine kleine Tür in der Küche traten wir wieder nach draußen. Vor mir tat sich ein großer Garten auf. Was mir gleich auffiel, waren die großen Bäume die hier standen. Bei näherem Hinsehen konnte ich dann den Grund unseres Kommens sehen.

„Welche Kopfgröße hast du?“, riss mich Hannes aus den Gedanken.

„Hm?“

Er lächelte mich an.

„Kopfgröße…, für den Helm.“

„Ähm… ich weiß es nicht.“

„Egal, wir werden sicher etwas finden“, meinte Adrian und kam mit irgendwelchen Gurten auf mich zu.

„Und was gibt das jetzt?“, fragte ich unsicher.

„Wir werden etwas klettern“, meinte Hannes und legte sich seine Gurte selbst an, als würde er nie etwas anderes tun.

„Klettern…, da hinauf?“, meinte ich.

Ich sah wieder zu den Bäumen hinauf und sah jetzt, dass dort Brücken und viele Seile vertäut waren.

„Angst?“, fragte Hannes.

Ich nickte.

„Gut!“

Hä? Was soll daran gut sein, dass ich Angst habe? Fragend schaute ich Hannes an.

„Der erste Schritt zur Selbstsicherheit, zuzugeben, dass man vor etwas Angst hat.“

„Aha“, meinte ich leise und ließ mir von Adrian helfen, bis ich alle Gurte fest hatte.

„Dein Aha sagt mir, dass du nicht wirklich verstehst, was ich jetzt meine.“

Ich nickte Hannes zu.

„Wenn du dir eingestehst, dass DU vor etwas Angst hast, kannst du daran arbeiten.“

Daran arbeiten und wenn ich das nicht wollte? Adrian setzte mir einen Helm auf, der mir auch passte. Er pfriemelte an meinem Hals herum, bis auch dieser fest saß.

„Wir fangen leicht an“, meinte Adrian und lief mit mir zu einem Baum.

Er nahm ein weiteres Seil, knotete etwas daran herum und zog es dann durch den Karabinerharken meiner Ausrüstung.

„Egal, was passiert Tobias, du bist gesichert, dir kann also nichts passieren.“

Beruhigend fand ich die Worte nicht, schon alleine, dass er ansprach, dass etwas passieren könnte, machtem ich noch nervöser.

„So, nun schau dir den Baum an.“

Ich machte das, was Adrian mir sagte.

„Du siehst verschiedene Äste und musst überlegen, wie du den besten Weg nach oben klettern kannst.“

Für mich eine logische Erklärung erst überhaupt nicht nach oben zu steigen.

„Hannes gehst du vor?“, fragte Adrian.

„Kann ich machen, kein Problem“, antwortete Hannes und fing gleich an auf den Baum zu klettern.

Bei ihm sah dass so leicht aus, jeder Griff und Tritt saß.

„So und jetzt du Tobias“, meinte Adrian und schob mich leicht Richtung Baum.

Ich griff nach dem ersten Ast und stellte meinen Fuß auf den darunter liegenden. Langsam zog ich mich nach oben.

„Guter Anfang!“, hörte ich Adrian sagen, „und egal wer etwas sagt, schau ab und zu auch nach unten, damit du weißt, wie hoch du bist und dass du einen sicher Stand mit den Schuhen hast.“

Das hätte er jetzt nicht sagen brauchen, ich war so schon nervös genug. Langsam aber sicher  gewann ich an Höhe und kam Hannes immer näher. Adrian folgte mir im gewissen Abstand. Am letzten Ast vor der Plattform hielt mir Hannes seine Hand entgegen, die ich dankbar ergriff.

Etwas keuchend stand ich nun wieder sicher auf der Plattform.

„War doch gar nicht so schwierig, oder?“, meinte Adrian, der nun ebenfalls die Plattform erreichte.

Ich nickte und musste etwas lächeln.

„So, dann machen wir gleich weiter.“

„Wir klettern wieder hinunter“, meinte ich und drehte mich schon zum Abstieg.

„Nein, hier geht es weiter.“

Ich sah ihn mit großen Augen an, denn vor mir gingen nur zwei Seile zum Nachbarbaum. Adrian griff nach meinem Karabinerharken und befestigte ihn an dem oberen Seil.

„Hannes macht es dir wieder vor und dann bist du dran.“

Mein Drehkollege klinkte sich ebenso ins obere Seil ein. Ich bekam weiche Knie, als ich sah, dass Hannes sich am oberen Seil hebend über das dickere Seil zum Nachbarbaum hangelte. Ungefähr in der Mitte sah es so aus, als würde er gleich herunter fallen, das untere Seil kam ordentlich in Bewegung.

Sicher kam er dann auf der nächsten Plattform an.

„So und jetzt du Tobias. Mach es genauso wie Hannes. Ein Tipp… immer nur eine Hand oder einen Fuß umsetzten, nie beides gemeinsam, sonst kann es passieren, dass du zu arg ins Schwingen kommst.“

„Aha“, meinte ich ängstlich.

Ich stellte meinen linken Fuß auf das Seil, das sich sofort leicht in Bewegung setzte. Meine Hände krallten sich an das Führungsseil. Langsam Schritt für Schritt hangelte ich mich Richtung Hannes.

„Keine Angst, dass schaffst du schon“, rief mir Hannes entgegen.

Das Führungsseil wackelte verdächtig unter meinen Füßen und eine kleine Unachtsamkeit meinerseits hatte dann fatale Folgen, mein nächster Schritt ging ins Leere. Ein Schrei entglitt meiner Kehle.

Meine Befürchtung völlig abzustürzen, bewies sich aber als falsch, denn das obere Seil hatte ich noch fest im Griff. Nur meine Füße baumelten in der Luft.

„Versuch wieder draufzukommen“, feuerte mich Hannes an.

Gar nicht so einfach, denn es schwang hin und her.

„Soll ich helfen kommen?“, rief Adrian.

„NEIN!“, rief ich zurück und war über mich verwundert, wo plötzlich dieser Ehrgeiz, dies alleine zu schaffen, her kam.

Ich schwang etwas nach vorne, bis ich mit einem Fuß das Seil zu fassen bekam. Wenige Sekunden später stand ich wieder drauf und atmete erst einmal tief durch.

„Klasse!“, kam es von Adrian, „und gleich weiter!“

Sklaventreiber. Aber bei diesem gedachten Wort musste ich nun selber grinsen. Also hangelte ich mich weiter, bis ich endlich Hannes erreichte und wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Ich fiel ihm regelrecht in die Arme.

„Hat doch funktioniert!“, meine Hannes.

„Jetzt weiß ich wie sich meine Hose an der Wäscheleine fühlen muss“, meinte ich und zog meine Klamotten zu Recht.

Hannes fing schallend an zu lachen und mittlerweile war auch Adrian angetroffen. Ich schaute mich um und sah nur einen dicken Balken, der unseren Baum mit dem Nächsten verband.

„Muss ich jetzt da rüber?“, fragte ich.

„Ja!“, antwortete Adrian und klemmte meinen Schutz um.

„Da ist ja gar kein Seil zum halten…“

„Du sollst ja auch balancieren!“, erklärte Hannes.

„Da hinüber?“, sagte ich entgeistert.

„Ja“, meinte er und lief bereits los.

Bei ihm sah das alles so leicht aus und ich hatte jetzt schon die Hosen fast gestrichen voll.

„Tobias… nicht trödeln… komm“, rief Hannes ohne sich herum zu drehen.

Ich atmete noch einmal tief durch und folgte ihm. Wie viel Meter waren das? Zehn… zwanzig? Ich schaute zu Boden hinunter und bekam wieder weiche Knie.

„Dir passiert nichts, du bist gesichert“, sagte Adrian hinter mir.

Wenn er das meinte. Ich setzte den ersten Fuß auf den Balken und stellte fest, dass er zumindest nicht wackelte. So lief ich im Gänsemarsch einen Schritt nach dem anderen hinter Hannes her.

Plötzlich empfand ich das gar nicht mehr so schwer, ich ertappte mich sogar, dass es mir Spaß machte. Wie ein Trapezkünstler hatte ich die Arme ausgestreckt und überquerte den Balken. Mit einem breiten Lächeln kam ich beim nächsten Baum an.

„Geht doch!“

Hannes lächelte ebenfalls.

So hangelten wir uns die nächste halbe Stunde von Baum zu Baum. Bei manchen Sachen hatte ich schon etwas Schiss, aber ich fiel nicht einmal herunter. Am letzten Baum angekommen, war ich fast traurig, dass wird schon durch waren.

„Und wie fühlst du dich?“, fragte Hannes.

„Ich glaub ich könnte Bäume ausreisen“, antwortete ich grinsend.

Er lachte und Adrian auch.

„Und was machen wir hier?“, fragte ich es, denn ich konnte es kaum abwarten weiterzumachen.

„Darauf freue ich mich schon die ganze Zeit“, meinte Hannes griff nach eine Bügel, der an einem Stahlseil hing.

„Und ab geht die Post“, meinte er und stieß sich von der Plattform ab.

In Schussfahrt glitt er Richtung Boden, bis er ungefähr fünfzehn Meter von uns aufkam.

„Geil!“, hörte ich ihn rufen.

Adrian zog an einem Seil, den Bügel zu uns zurück.

„Jetzt du.“

Ich schaute ihn kurz an und griff nach dem Bügel und wartete.

„Auf was wartest du?“

„Dass du mich sicherst.“

Adrian lachte.

„Hier brauche ich dich nicht sichern. Die paar Sekunden hältst du dich mit eigener Kraft.“

„Aha.“

Ich lief an den Rand der Plattform, atmete noch einmal tief durch und stieß mich ab. Etwas zu heftig für meinen Geschmack, den ich schaukelte ganz schon wild hin und her. Aber plötzlich machte es Spaß, aber da war ich schon fast unten und hatte ich wieder Boden unter den Füssen.

„Cool!“, meinte ich und wäre am liebsten gleich noch einmal hinauf gestiegen.

Kurze Zeit später standen wir wieder am Haus und entledigten uns der Schutzausrüstung.

„Und, bemerkst du etwas?“, fragte mich Hannes.

„Was meinst du?“

„Wie fühlst du dich gerade?“, fragte er.

„Gut…, irgendwie stark und… zehn Zentimeter größer.“

Hannes lächelte.

„Weißt du noch, wie es dir vorher ging?“

Ich nickte.

„Ich … hatte Angst.“

„Die jetzt verflogen ist.“

Wieder nickte ich.

„Du hast gemerkt, du kannst das… Du hast dir selbst vertraut!“

Ich schaute ihn an.

„Du weißt, dass du singen kannst, also singst du. Du kannst deine Rolle, also spielst du. Du musst dir einfach mehr zutrauen und wenn du merkst, du hast vor etwas Angst, dann probiere!

Irgendwann verfliegt die Angst und es macht so wie jetzt sogar Spaß!“

„Wollt ihr noch duschen?“, fragte Adrian, der die Sachen verräumt hatte.

„Ja, gerne, wir wollen noch wohin“, antwortete Hannes und schaute dann zu mir, „Dein Rucksack ist noch im Wagen…?“

Ich nickte.

„Gut, wir holen noch die Sachen und kommen vorne wieder herein.“

„Okay“, meinte Adrian und verschwand im Haus.

Währenddessen umrundete ich mit Hannes das Haus, bis wir wieder an den Parkplatz kamen. Er öffnete en Kofferraum und nahm eine Tasche heraus. Ich zog meinen Rucksack vom Rücksitz.

Die Haustür stand schon offen, also gingen wir wieder hinein.

„Hannes, du kennst dich ja aus. Ich mach inzwischen einen Kaffee“, hörte ich Adrian irgendwoher rufen.

„Oh, Kaffee. Das ist ein gute Idee.“

Ich folgte Hannes durch den Gang, den wir vorhin gegangen waren, nur bog er dieses Mal links ab und vor uns waren zwei Türen. Eine mit Frauenaufkleber und ein Aufkleber mit Männer. Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, ich ging mit Hannes duschen.

Ich wurde noch unruhiger, als ich sah, dass es sich nur um einen Duschraum handelte und nicht um Kabinen. Unruhig ging ich zur Bank stellte meinen Rucksack ab und begann mich wie Hannes auszuziehen.

Hinter mir hörte ich, wie eine Brause angestellt wurde. Hannes schien schon bei den Duschen. Es hatte ja keinen Zweck, ich musste duschen. Beim Klettern hatte ich ganz schön geschwitzt und wo Hannes noch mit mir hinwollte, wusste ich nicht.

So rutschte nun auch das letzte Kleidungsstück herunter, die Shorts. Ich griff nach meinem Shampoo und drehte mich um. Hannes selbst wusch sich gerade die Haare und ich konnte ihn in voller Pracht anschauen.

Durchtrainiert und behaart. Ich schämte mich jetzt fast etwas. Weiß, fast ohne Haare, keine sichtbaren Muskeln. So lief ich an eine andere Dusche und drehte den Hahn auf. Warmes Wasser prasselte auf mich nieder und ich vergaß einen kurzen Augenblick, dass ich nicht alleine war.

Ich durchfuhr meine Haare mit den Händen und fuhr fast zusammen, als Hannes neben mir anfing zu sprechen.

„Das tut jetzt richtig gut“, meinte er.

Unsicher und beschämt schaute ich zu ihm hinüber und er grinste. Er legte den Kopf schief.

„Was ist?“, fragte er.

Ich hatte einen Kloß im Hals und konnte nicht antworten. Er kam zu mir herüber und nahm mich einfach in den Arm.

„Ich steh zwar absolut nicht auf Männer Tobias, aber dich finde ich irgendwie süß“, raunte er und ließ mich wieder los.

„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich tu dir schon nichts.“

„Ähm… dass… ist es nicht.“

„Was dann?“

„Du…, du siehst… so gut aus, durchtrainiert… und ich.“

Er legte seine Hand auf meinen Mund.

„Ich trainiere viel um fit zu bleiben, denn ich bin ja auch schon etwas älter als du. Du bist gerade mal… siebzehn, oder?“

Ich nickte.

„Meinst du, ich habe in deinem Alter anders ausgesehen? Du bist noch in der Entwicklung, warte noch drei vier Jahre, wie du dann aussiehst… vielleicht noch etwas Sport, das wird schon. Und wenn ich das aus meinem Geschmack so heraus sagen kann, du hast ein unheimlich süßes Gesicht für einen Jungen. So, jetzt sollten wir uns aber beeilen, wir wollen noch wo hin.“

„Wo denn?“, fragte ich und spürte immer noch wie mein Gesicht glühte, nach diesem Kompliment.

„Das bleibt eine Überraschung.“

*-*-*

Frisch duftend und gestylt saß ich wieder neben Hannes im Wagen. Wir fuhren wieder in die Innenstadt. Ich schaute auf Hinweisschilder, konnte mir aber keinen Reim daraus machen, wo wir hin fuhren.

Plötzlich bremste Hannes ab und fuhr in eine kleine Einfahrt. Lieferanteneinfahrt Zoo.

„Der Zoo?“, rutschte mir heraus.

„Ja“, meinte Hannes und parkte den Wagen ein.

„Der hat doch sicher schon zu.“

„Nicht für uns.“

Fragend schaute ich ihn an. Er zog den Schlüssel ab und stieg aus. Ich folgte ihm.

„Wie viel weißt du über mich?“

Ich schaute ihn an.

„Öhm, du bist Schauspieler…“

„…, nein ich meine über mein Privatleben?“, unterbrach er mich.

„Nur das, was du mir erzählt hast.“

„Dann erfährst du jetzt noch etwas über mich… komm!“

Ich folgte ihm zum Tor, wo er den Klingelknopf betätigte. Es meldete sich jemand und Hanns sagte seinen Namen. Ein Summen folgte und Hannes und ich betraten das Zoogelände.

„Wenn ich etwas Zeit habe und in der Stadt bin, komme ich immer hier her und besuche meine Freunde.“

Freunde? Da war ich jetzt aber gespannt. Wir kamen an ein Haus, wo ein Pfleger uns begrüßte. Hannes schien bekannt, denn der Mann redete ihn mit Du an. Ich wurde vorgestellt und gemeinsam betraten wir das Haus.

Ein seltsamer Geruch machte sich in meiner Nase breit. Ich konnte frisches Heu erkennen, aber auch einen typischen Geruch, dass hier Tiere sein mussten. Nach ein paar weiteren Türen und Gängen kamen wir endlich an den ersten Käfig.

Erstaunt sah ich Schimpansen, die teileweise auf irgendwelchen befestigten Ästen oder einfach auf dem Boden saßen. Aber wir blieben nicht hier, sondern gingen weiter. Der nächste Käfig kam ins Blickfeld.

„Darf ich dir meine Freunde vorstellen?“, sagte Hannes plötzlich.

Ich konnte einen Oran Utah ausmachen und machte große Augen. Dann kam mir ein Bericht im Fernsehen in Erinnerung, der Hannes zeigte, wie er sich um Oran Utahs bemühte, die schwarz auf einem Markt verkauft wurden.

„Komm, keine Angst, die sind ganz lieb“, meinte Hannes und schob mich vor sich her.

Der Pfleger stellte einen Korb mit Früchten ab und schloss hinter sich die Tür. Ängstlich schaute ich mich um. So nah war ich noch nie an einem Oran Utah gewesen. Bisher saßen die Tiere an ihrem Platz, aber seit wir den Käfig betreten hatten, setzten sie sich auch in Bewegung.

Hannes setzte sich einfach auf den Boden, da wo er stand. Nervös tat ich dasselbe. Ein Tier lief direkt auf Hannes zu.

„Hallo alter Freund“, sagte Hannes und hob langsam eine Hand.

Der Oran Utah griff nach der Hand und schlang seine Arme um Hannes.

„Das ist Pinto, der Älteste in der Truppe“, erklärte Hannes und streichelte dem Tier über den Rücken.

Wie konnte er die Tiere auseinander halten, für mich sahen die alle gleich aus und die drei restlichen Tiere kamen mir nun sehr Nahe. Der Pfleger hinter mir gesellte sich zu mir und hob mir zwei Äpfel entgegen.

„Keine Angst, sie werden dir nichts tun, solange Hannes und ich bei dir sind“, meinte er und setzte sich zu mir.

Sehr beruhigend. Ein Tier setzte sich genau vor mich und starrte mich an.

„Reich ihm den Apfel“, meinte Hannes, was ich auch dann tat.

„Hast du die alle gerettet?“, fragte ich, ohne zu Hannes zu sehen.

Hannes lachte.

„Nein, die sind alle hier in Deutschland geboren und Pinto hier ist sogar eine Handaufzucht.“

„Handaufzucht?“

„Ja, seine Mutter wollte oder konnte ihn nicht ernähren, so haben es die Pfleger vom Zoo übernommen und es ist ja auch ein prachtvolles Kerlchen aus ihm geworden, nicht Pinto?“

Ein kurzer Blick zu Hannes zeigte mir, wie anhänglich Pinto war. Plötzlich spürte ich eine Hand an meinem Hals, ich drehte meinen Kopf wieder zurück. Ich atmete tief durch, denn es war keine menschliche Hand, sondern eine der Tiere.

Das Tier zog sich an mich und machte es sich zwischen meinen Beinen bequem. Genüsslich kaute es an seinem Apfel.

„Gabor scheint dich ja schon ins Herz geschlossen zuhaben“, meinte der Pfleger neben mir, der gleich zwei Oran Utahs an sich hängen hatte.

Das Fell dieses Gabors fühlte sich so unheimlich weich an, sanft streichelte ich über den Arm.

*-*-*

Ich war schon fast etwas traurig, als wir den Käfig wieder verlassen hatten. Gabor war richtig zutraulich geworden und wir hatten sogar etwas herum getobt.

„Na…, gefallen?“, fragte Hannes neben mir und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ja!“, antwortete ich und schaute immer noch zu den Tieren.

„Die Tiere haben keine Vorbehalte, sie spüren nur irgendwie, ob jemand gut oder böse ist“, sprach Hannes weiter.

„Beneidenswert“, rutschte mir heraus.

„Finde ich auch! Komm, wir wollen noch etwas Essen, bevor ich dich zur Pension zurück fahre.“

Ich lächelte ihn an. Wenig später hatten wir den Zoo verlassen und saßen wieder im Auto. Hannes fuhr nur ein paar Straßen weiter und hielt dann vor eine Pommesbude. Erstaunt schaute ich ihn an.

Hannes fing an zu lachen.

„Wir sind zwar für einen Besuch in hiesigen Lokaltäten richtig gekleidet, aber du solltest mal an deinem Klamotten riechen.“

Ich hob meinen Arm und roch an meinem Ärmel. Stimmt, irgendwie roch ich nach Gabor. Ich musste grinsen, er hatte Recht.

„Zudem gibt es hier die beste Currywurst weit und breit“, meinte Hannes und verließ den Wagen.

Ich schnallte mich ab und folgte ihm nach draußen. Auch hier schien Hannes bekannt zu sein, das Paar hinter der Theke begrüßten ihn herzlich. Etwas später standen wir an einem der Stehtische, wo ich genüssliche ein Stück Wurst in den Mund schob.

„Und, wie schmeckt es?“, fragte Hannes.

„Guuut“, antwortete ich mit vollem Mund.

Hannes trank etwas von seiner Wasserflasche, bevor er sich das nächste Stück Wurst angelte.

Ich lächelte ihn an.

„Ich glaube, heute Abend habe ich den richtigen Tobias vor mir stehen.“

Ich verschluckte mich etwas und versuchte das mit einem Schluck Wasser aus meiner Flasche zu beheben.

„…ähm… wie meinst du das?“

„Du trittst ganz anders auf, als heute Mittag, als ich dich von der Pension abholte. Selbstsicher und mit guter Laune.“

„Das ist auch kein Wunder…, dass hat alles sehr viel Spaß gemacht.“

„Das habe ich gemerkt und was hast du für dich erkannt?“

„Hm…?“

„Hast du für dich etwas gelernt?“

Kurz durchflossen die Bilder des Mittags meinen Kopf und ich nickte.

„Dann haben wir ja unser Tagesziel erreicht“, meinte Hannes und biss von seinem Brötchen ab.

*-*-*

Ich drehte mich und plötzlich durchfuhr mich ein höllischer Schmerz. Meine Beine fühlten sich an wie Blei. Der Wecker zeigte mir, dass ich langsam aufstehen sollte, wenn ich noch etwas essen wollte.

Ich erhob mich und spürte, wie unbarmherzig der Muskelkater zuschlug. Das Klettern auf den Bäumen schien sich wohl jetzt bemerkbar zu machen. Langsam setzte ich meine Füße auf den Boden.

Jeder Schritt Richtung Tür spürte ich, jede Muskel, die ich am Körper besaß, meldete sich. So schien es mir auf alle Fälle. Schwerfällig ging ich direkt zur Dusche, drehte sie an und stellte mich darunter.

Der gewünschte Effekt blieb aber aus. Einige Muskeln entspannten sich zwar, aber der Großteil tat immer noch weh und das heute, wo die Gartenparty gedreht werden sollte. Es half nichts, ich musste da durch.

Eine Stunde später saß ich mit den anderen wieder im Bus und fuhren zum Set. Aufregung machte sich breit, denn heute sollte ich das erste Mal Westlife real kennen lernen und mit ihnen singen.

Am Set angekommen, wunderten wir uns, dass am Tor so ein Auflauf von Menschen war.

„Es ist komisch, dass irgendwie immer wieder durchsickert, wenn jemand Prominentes zu Gast ist. Die Teenies sind nur wegen Westlife da“, erklärte Paul und verringerte sein Tempo.

Ich musste grinsen, da viele Augen plötzlich in den Bus gerichtet waren. Sogar Fotos wurden geschossen. Eine gefühlte viertel Stunde später für der Bus endlich auf den Parkplatz vor dem Studio.

Vor den Proben sollt ihr gleich in die Maske“, sagte Paul, bevor er uns alleine ließ.

So lief ich mit Felix, Simon und Lukas direkt in die Maske. Nacheinander bekamen wir unsere Filmidentität aufgemalt, wurden mit Klamotten versorgt und frisch gestylt erschienen wir eine halbe Stunde später am Set.

Ein Mann baute sich vor dem Team auf und begann zu reden. Lukas flüsterte mir zu, dass es sich um Markus Strellinger handelte, dem Produzenten. Er sagte ein paar Worte zum Film, begrüßte gesondert, die Gruppe Westlife und anwesenden bekannten Schauspieler.

Wenig später übergaber Manuel das Wort. Draußen vor der Tür wurde es laut und Manuel brach ab. Der Grund des Lärmes waren die Statisten, die auf der Party für die gewisse Füllmenge sorgten, wie es Manuel ausdrückte.

Er erklärte noch einmal die erste Szene, wie er sie sich genau vorstellte und beorderte alle an ihre Positionen. Es brauchte natürlich acht Anläufe, bis diese Szene im Kasten war. Meine Nervosität stieg, denn nun stand mein Part mit Westlife an.

Ich lief zur Bühne und wurde den Jungs einzeln vorgestellt. Lukas hatte bereits am Klavier Platz genommen und mein Gegenpart Christian, der den Phillip spielte, stand nun auch bereit. Mittlerweile war die Gruppe der Schauspieler um einiges gewachsen und ich hatte Schwierigkeiten, mir alle Namen zu merken. Max gespielt von einem Gunnar, stellte sich an das Mikro, während ich und Christian unsere Plätze einnahmen.

Manuel gab seine Anweisungen, Paul kam mit der Klappe und es wurde still auf dem Set.

   „Also liebe Leute zuhören. Jetzt hört ihr was, was ihr danach so nie wieder hören werdet, weil es eine einmalige Zusammenstellung ist. Westlife singen mit Phillip Kammerer und Kai von Söder, das Lied Der Stern. Das Lied wurde von Sebastian geschrieben und komponiert.“

Nachdem Gunnars Worte geendete hatten, begann die ganze Schar vor uns zu johlen und die Musik setzte ein. Ich schloss kurz die Augen und genoss Lukas das kurze Vorspiel der Band. Dann holte ich tief Luft und begann zu singen.

Vergessen waren die Leute vor mir, mein Blick war nur noch auf Lukas gerichtet. Als ich etwas später zum zweiten Mal mit dem Refrain begann, setzte wie ausgemacht Westlife ein. Eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter.

Ich konnte nicht anders und lächelte etwas, wunderte mich auch, dass Manuel nicht unterbrach und uns weiter singen ließ. Langsam kamen wir zum Ende und die letzten Akkorde wurden gespielt.

Für ein paar Sekunden herrschte völlig Stille, bevor ein riesiger Jubel ausbrach, der Manuels „Cute“ fast untergehen ließ.

*-*-*

Manuel schien von diesem ersten Durchgang so fasziniert, dass er beschloss keine weitere Szene zu drehen und gleich zur nächsten überzugehen. Mir war flau im Magen. Dass ich nicht gefrühstückt hatte, bereute ich nun.

Die Kameras wurden umgestellt und alles für den nächsten Dreh gerichtet.

„Ich dachte, ich muss dich nachschminken“, sprach mich Conny plötzlich von der Seite an, „…ist dir nicht gut?“

Ich schüttelte den Kopf und hielt mir den Magen.

„Soll ich Paul etwas sagen und unterbrechen lassen?“

„Nein, so schlimm ist es nicht“, log ich.

„Alle auf ihre Plätze“, schrie Manuel und Conny räumte den Platz neben mir.

Das übliche Vorspiel kam und zum Schluss die berühmte Klappe.

   „Na, wie hat dir das gefallen?“, begann Gunnar seinen Text und trat zwischen mich und    Lukas.

   „Wow, Max, danke, das ist das beste Geburtstagsgeschenk das ich je bekommen habe.“

   „Das ist noch nicht alles, wenn Westlife ihr nächstes Konzert in London im Kolloseum     haben dann seid ihr dabei.“

Wir im Skript beschrieben, liefen wir von der Bühne. Schon auf der Treppe spürte ich, wie mir schwindlig wurde. Aber ich wollte nichts sagen und spielte meinen Part weiter. Ich tippte, wie in der Szene verlangt, Lukas auf die Schulter, der sich zu mir drehte.

   „Sebi, mir ist plötzlich so komisch, ich muss mich setzten.“

Dass mir wirklich so elend war, merkte keiner, auch nicht, dass meine Beine sich plötzlich wie Gummi anfüllten. Schon automatisch griff ich nach Lukas.

   „Holt doch jemand einen Krankenwagen“, schrie Lukas.

Meine Beine gaben nach und ich sank in Lukas Arme am Boden.

   „Kai was ist mit dir..?“

Das ich mir mehr an den Magen griff, als wie verlangt ans Herz, schien keiner zu merken. Es wurde weiter gedreht. Lukas nahm meine andere Hand und hatte wirklich Tränen in den Augen.

  „Kai bitte nicht… las mich nicht allein… bitte.“

Mir war zwar nicht zum Lächeln zu Mute, aber ich tat, wie es per Skript verlangt wurde.

  „Ich liebe dich, Sebi…“, hauchte ich, dann verschwamm alles um mich herum und wurde schwarz.

*-*-*

Als ich meine Augen öffnete, nahm ich ein großes Stimmengewirr um mich herum wahr.

„Er kommt wieder zu sich“, hörte ich Lukas Stimme.

Ich erkannte Hannes und die anderen neben mir stehen.

„Was ist denn… passiert?“, fragte ich.

„Du bist ohnmächtig geworden“, kam es von Hannes, der neben mir kniete.

„Ohnmächtig?“

„Ja und Manuel meinte, er hätte noch nie jemand so überzeugend einen Zusammenbruch spielen sehen, bis wir merkten, dass du wirklich weg warst.“

Ich versuchte mich aufzurichten.

„Halt, mach langsam“, meinte Hannes und half mir mit Lukas auf.

Meine Knie waren zwar noch etwas weich, aber das flaue Gefühl im Magen war weg.

„Ich glaub…, das gestern war etwas zu viel und dann kein Frühstück“, äußerte ich meine Vermutung laut.

„Warum hast du denn nichts gesagt“, sagte Hannes.

„Ich dachte, das vergeht wieder…, ich spüre jeden Muskel.“

„Warum?“, wollte Lukas wissen.

Er konnte ja nicht wissen, was ich mit Hannes unternommen hatte. Da ich ja so überzeugend gespielt hatte, war alles im Kasten und das Set wurde bereits abgebaut. So erzählte ich in kurzen Sätzen, was ich gestern erlebt hatte.

„Wow“, entfleuchte es Lukas.

„Ich bring dich zurück in die Pension und du Lukas schaust, dass Tobias etwas Vernünftiges zu Essen bekommt und anschließend sich hinlegt.

Lukas nickte.

*-*-*

Zwei Wochen waren seit diesem Vorfall vergangen und Lukas wich mir immer noch nicht von der Seite. Zwei Tage nach Drehende hatte mein Training in der Muccibude begonnen. Die anfänglichen Schmerzen waren mittlerweile weg und ich freute mich sogar über meine geringe Gewichtszunahme.

Nun saß ich im Flieger und schaute zum Fenster hinaus. Der Tag war klar und ich konnte das Wasser sehen. Lukas neben mir döste, so hatte ich meine Ruhe. Im Gedanken war ich noch am Flughafen, wo überraschenderweise, oder sollte ich peinlicherweise sagen, meine Eltern auftauchten.

Sie überschütteten mich mit Anweisungen, aber mir ging es ja nicht alleine so. Die Eltern der anderen Jungschauspieler waren ebenfalls gekommen. Mein Vater schien seine Skepsis abgelegt zu haben und hatte mir viel Glück gewünscht.

Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie es am neuen Drehort wohl sein würde. Darüber schlief ich ein. Etwas unsanft wurde ich von Lukas wach gerüttelt.

„Hallo“, nuschelte ich.

„Hi“, brummte es sanft in mein Ohr, „du solltest dich anschnallen, wir sind fast da.“

„Ja?“

Mit einem Mal war ich hellwach.

„Du hast die ganze Zeit fest geschlafen.“

Ich nickte und rieb mir die Augen, während Lukas mich die ganze Zeit anstarrte.

„Was?“, fragte ich und streckte mich etwas.

„Du siehst süß aus“, lächelte Lukas, „wenn du schläfst.“

„Weiß ich nicht“, grinste ich zurück, „hab mich noch nie dabei beobachtet.

Lukas Kopf kam näher.

„Du…?“

„Ja?“, meinte ich.

„Mir sind da Gedanken durch den Kopf gegangen… und wollte dich fragen…“

„Was?“

„Sind wir zwei jetzt so richtig zusammen?“

Ich schaute ihn an und setzte mich richtig auf.

„Also wenn man das Bett teilt, sich ständig die Ermahnungen anderer Anhören muss, dass man doch mit dem Geknutsche aufhören soll… ich denke JA!“

Lukas lächelte über das ganze Gesicht.

„Wie kommst du jetzt zu dieser Frage?“

„Ich weiß nicht…, vielleicht bin ich für dich nur eben ein Filmflirt…, solange gedreht wird.“

„Das denkst du von mir?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Lukas, ich spiele die Rolle des  Kais nicht nur, ich habe mich wirklich in dich verliebt.“

„Hört, hört!“, kam es aus der Reihe hinter uns, wo Simon und Felix saßen.

Ich kletterte auf meinem Sitz, so dass ich zu den beiden schauen konnte.

„Etwas dagegen… Schwager?“

Felix sah Simon an und kicherte. Der schüttelte den Kopf.

„Ich sicherlich nicht. Die Nervensäge ist viel ruhiger geworden, seit er mit dir zusammen ist.“

Nun drehte sich Lukas ebenso um.

„Wer nervt hier wen?“, fragte er.

Felix kicherte amüsiert weiter.

„Lukas jetzt tu nicht so, als dass dies nicht stimmen würde. Du warst oft unausstehlich und deine Launen unerträglich!“

Nun musste ich auch grinsen.

„Tja, da siehst du mal was mein Kleiner neben mir alles kann.“

„Das habe ich schon von Anfang an gewusst, dass Tobias etwas auf dem Kasten hat…, jedenfalls mehr als du!“

Eine Flugbegleiterin trat an uns heran.

„Würden sie bitte die normale Sitzposition einnehmen und sich anschnallen?“

Lukas und ich nickten, setzten uns und schnallten uns an, wie geheißen. Mein Blick wanderte zum kleinen Fenster neben mir.

„Cool, oder?“, fragte Lukas, der sich zu mir herüber beugte.

Deutlich war die Grenze zwischen Meer und Land zu sehen. Die Häuser wurden mehr, der Flieger sank immer deutlicher. Ich konnte sogar sehen, wie sich die Klappen der Flügel sich noch mehr nach unten bogen.

Die Häuser wurden größer und der Boden kam immer näher. Noch kurz bevor die Landebahn erreichten, überquerten wir eine große Straße. Ein kurzen Ruckeln durchzog die Maschine und wir rollten auf der Landebahn aus.

Wie ich feststellen konnte hatte auch hier Paul alles in der Hand. Die Formalitäten waren schnell getätigt und um unser Gepäck mussten wir uns auch nicht kümmern. Wenig später schon saßen wir alle in einem Bus und fuhren Richtung City.

Schon von weitem konnte ich die Wolkenkratzer sehen, die je näher wir kamen immer bedrohlicher wirkten. Den anderen Jungs ging es ebenso wie mir. Sie schauten nach draußen und waren einfach nur sprachlos.

„Zum ersten Mal in New York?“, hörte ich vom Gang her jemanden fragen.

Ich drehte mich um und Hannes stand vor mir.

„Italien war bisher das weiteste…“

Er lachte und lief weiter nach vorne. Ich drehte mich wieder dem Fenster zu und schaute weiter.

*-*-*

Auch im Hotel ging alles recht zügig zu. Gegen meine Erwartung waren wir in einem recht noblen Hotel untergebracht. Auch fand ich es cool, das ich ein Zimmer mit Lukas teilen konnte.

Beide waren wir damit beschäftigt unsere Sachen auszupacken, als es klopfte.

„Ja?“, rief Lukas und lief zur Tür um die zu öffnen.

Paul kam zum Vorschein.

„Hi ihr zwei. Ich wollte euch nur über den heutigen Tagesablauf verständigen. Gegen ein Uhr gibt es für die ganze Crew unten im großen Saal Mittagessen und um zwei treffen wir uns dann vor dem Hotel. Wir werden mit dem Bus die verschiedenen Drehorte besichtigen.“

„Wow, wir fahren zum Rockefellercenter?“, fragte ich verwundert und gleichzeitig erfreut.

„Unter anderem, also ihr wisst Bescheid, wir sehen uns später“, sagte Paul und verschwand wieder.

Lukas ging zurück an seinen Koffer. Seine Fröhlichkeit vom Flugzeug war gewichen. Mit ernstem Gesicht räumte er seine Klamotten in den Schrank. Ich hielt inne und beobachtete ihn.

Er schien es zu bemerken und blieb ebenfalls stehen, ohne sich aber zu mir umzudrehen.

„Was ist los?“, fragte ich.

„Nichts.“

Ich ließ meinen Stapel Shirts aufs Bett gleiten und ging zu ihm hin. Ich drehte ihn zu mir und nahm ihn in den Arm, egal ob wir die Hemden zwischen uns verknitterten.

„Warum habe ich das Gefühl, dass ich, obwohl du der Stärkere bist, immer der Stärkere sein soll.“

Er hob den Kopf und schaute mir in die Augen. Sein Blick war traurig.

„Bist… du doch auch! Schau dich an…, seit du Gewicht zugelegt hast, Farbe bekommen hasr…, weißt du wie gut du aussiehst?“

Ich musste lächeln, weil ich mich geschmeichelt fühlte. Vorsichtig stupste ich Lukas an der Nase.

„Und du bist doof…!“

„Hä?“

„Warum fühlst du dich plötzlich so schwach? Lukas du hast keinen Grund dazu…“

„… was wird… nach dem Film?“

„Was meinst du?“

Er befreite sich aus meinen Armen. Trotzdem bewahrte er den Sichtkontakt.

„Tobias, sei ehrlich, was wird, wenn wir mit dem Drehen fertig sind?“

*-*-*

Nach der  Besichtigungstour war Lukas verschwunden. Ich fand ihn nicht bei den anderen und er war auch nicht im Zimmer. Noch immer hatte ich die traurigen Augen vor mir, als er mich fragte, was aus uns werden würde.

Ich hatte ihm keine Antwort geben können, weil ich selbst nicht wusste. Jeder würde nach Hause fahren und das war schon weit von einander weg. Nach einem langen Gespräch mit Hannes hatte ich mich entschieden, auf die Schauspielschule nach Hamburg zu gehen.

Er wollte mir da helfen, was mir den Entschluss irgendwie erleichterte. Aber es war ein Weg ohne Lukas, wobei ich aber auch nicht dessen Pläne wusste. Darüber hatten wir uns nicht unterhalten, zumindest nicht ausführlich.

Auf meinem Bett lag das Script für den nächsten Tag. Da mir Paul erzählte, wie schwierig es war, einen Termin für Dreh‘s in Manhattan zu bekommen, sollte morgen der ganze Tag genutzt werden.

Ich beschloss das Abendessen ausfallen zu lassen und wollte mich Bett fertig machen. Gedankenverloren zog ich mich aus und ging ins Bad. Die Dusche ließ die Zeit um mich herum vergessen.

Als ich nach einer gefühlten Stunde wieder das Bad verließ, fand ich Lukas auf dem Bett sitzend vor. Er blätterte im Script und sah nicht auf.

„Hallo…“, sagte ich leise.

Er nuschelte etwas vor sich hin, aber ich verstand es nicht. So setzte ich mich, nur mit Handtuch in den Hüften, neben ihn.

„Ich habe dich vermisst…“, versuchte ich wieder ein Gespräch zu beginnen.

„…sorry…, ich musste meinen Kopf frei bekommen.

Ich schaute zur Decke und atmete tief durch.

„Hör mal Lukas…, ich kann dir deine Frage nicht beantworten.“

„Hm?“

Immer noch starrte er stur auf das Script. Ich griff nach seiner Hand.

„Lucas, ich habe mich entschieden, nach dem Film nach Hamburg zu gehen um dort die Schauspielschule zu besuchen und…

„… du willst wieder Schluss machen.“

Entsetzt starrte ich ihn an. Er hob seinen Kopf und nun sah ich die roten Augen. Er musste geweint haben.

„Wie…, wie kommst du denn da drauf? Ich überlege die ganze Zeit, was man machen kann. Ich wäre in Hamburg und du in Berlin. Aber ich…“

„Ich brauch dich…!“, schoss es aus Lukas hervor und plötzlich schlug er beide Arme um mich, drückte sich fest an mich.

Sichtlich überrascht, hob ich nur zaghaft die Hand und streichelte ihn über den Rücken.

„Ich habe dir schon im Flugzeug gesagt, dass ich dich sehr lieb habe. … du hast nie erzählt, was du nach dem Film vor hast, Lukas, darüber haben wir nicht gesprochen.“

Ein leises Wimmern konnte ich vernehmen, mehr aber kam nicht von Lukas. Es klopfte an der Tür, aber Lukas rührte sich immer noch nicht. So befreite ich mich aus seinen Armen und lief zu unserer Zimmertür.

„Ja?“

„Hier ist Paul, ich bring die Klamotten für morgen vorbei“, drang durch die Tür.

Ich zog die Tür auf, ohne darüber nachzudenken, dass ich nur das Handtuch um hatte. Paul kam ins Sichtfeld, beladen mit zwei Klamottenhüllen.

„Hallo Tobias, Manuel meinte um Zeit zu sparen, sollte morgen jeder schon umgezogen sein. Geschminkt wird Vorort!“

„… okay.“

Ich wollte ihm die Sachen abnehmen, aber Paul drückte sich einfach an mir vorbei. Er legte die Hüllen auf mein freies Bett und hielt kurz vor Lukas inne. Sein Blick wanderte zu mir, doch ich zuckte nur mit den Schultern

„Okay, ich muss weiter, habe noch mehr zu verteilen, man sieht sich vielleicht später!“

Und schon war Paul aus unserem Zimmer verschwunden und ich schloss die Tür wieder. Lukas saß immer noch unbeweglich auf seinem Bett und starrte auf den Boden. Ich ging zu ihm und kniete mich, so gut es mit einem Handtuch um die Hüften ging, zu ihm hin.

Mit einem Finger drückte ich sein Gesicht nach oben, bevor ich seine Hand nahm.

„Lukas…, mir ist das wirklich ernst. Ich habe mich dich verliebt. Ich möchte mir dir zusammen sein, dich viel besser kennen lernen, egal was kommt…, der Film vorbei ist. Aber dazu müssen wir auch reden… planen…“

Er schaute mich starr an.

„Du… du lässt mich nicht alleine?“, kam es leise über seine Lippen.

„Nein. Ich dachte eigentlich, das ist klar!“

Lukas atmete tief durch und wischte sich über das Gesicht.

„Hast… du dich schon einmal angeschaut?“, fragte er.

„Was meinst du?“

Er stand auf und zog mich vom Bett.

„Schau dich einmal an.“

„Wieso?“

„Da ist nichts mehr, von dem Tobias, den ich vor ein paar Wochen kennen gelernt habe.“

Ich wusste nicht, was er jetzt meinte.

„… ähm ich bin doch immer noch derselbe.“

„Nein. Nach deinem Training siehst du viel besser aus, die Blässe ist weg, du wirkst so selbstsicher…“

Ja, er hatte ja Recht. Mein Äußeres hatte sich sehr geändert, dass sagten selbst meine Eltern vor dem Abflug in Deutschland.

„Mag sein, dass ich anders auf dich wirke“, ich griff wieder nach seiner Hand, „aber deswegen habe ich mich doch nicht verändert. Ich bin immer noch Tobias Gerber, der sich in einen unheimlich süßen Typ verliebt hat.“

Sein Blick änderte sich und ich dachte auch so etwas wie ein kleines Lächeln auf seinen Lippen zu sehen.

„Ich wirke vielleicht selbstsicher, aber ich bin immer noch der ängstliche Typ, wie damals, als ich dich im Speiseraum in der kleinen Pension bei Trude zum ersten Mal gesehen habe.“

„Du hast dich verändert…“

„Gefällt dir das nicht?“

„Doch…“

„Aber?“

Er zog seine Hand zurück und lief zu einem der großen Fenster in unserem Zimmer.

„Tobias, ich… du…“, er drehte sich wieder zu mir, „du wirkst so selbstsicher, siehst super aus, du kannst jeden haben…, was willst du dann noch mit mir? Wenn der Film heraus kommt, wird dich jeder kennen und…“

Er drehte sich wieder weg und schaute hinaus. War das Eifersucht auf mich oder wie kam er jetzt auf den Gedanken, ich würde mir jemand anderen suchen? Langsam lief ich zu ihm hin und nahm ihn von hinten in den Arm.

„Ich liebe nur dich“, flüsterte ich leise, „will nur dich…, niemand anderen.“

Ich spürte seine Hand auf meinem Arm.

„Ich habe einfach nur Angst“, erwiderte er leise, „… dich zu verlieren.“

„Wirst du nicht…“

Er drehte sich um und unsere Blicke trafen sich wieder. Er wirkte plötzlich so zerbrechlich.

*-*-*

„Wo bist du mit deinen Gedanken“, hörte ich Katjas Stimme hinter mir.

Manuel hatte uns endlich eine Pause gegönnt und ich hatte mich auf die Dachterrasse verzogen.

Mein Blick wanderte über die Skyline der Stadt, bevor ich mich zu Katja umdrehte.

„Überall und nirgendwo.“

Sie stellte sich neben mich, lehnte ihre Unterarme auf die Brüstung, während ihr Blick ebenfalls in der Ferneschweifte.

„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass in der Rolle des Kai Söden mehr Tobias Gerber steckt, als er verträgt?“

Ich schaute zu Katja, die immer noch ihren Blick über die Hochhäuser wandern ließ.

„… weil es vielleicht so ist…“

Ich wusste nicht, warum ich so vertraulich mit Katja reden konnte. Klar hatten wir während der Dreharbeiten schon manches Gespräch geführt, aber nie war es so direkt. Sie drehte sich plötzlich um und lehnte gegen die Brüstung.

„Als ich meinen ersten Film drehte, dachte ich auch, ich muss mich voll ins Zeug legen. Resultat davon war, dass ich nach drei Wochen, meine Rolle und mein Privatleben nicht mehr auseinander halten konnte.“

„… damit hat es nichts zu tun. Ich spiele nur den Kai, ich bin es aber nicht, auch wenn viel von mir in diese Rolle einfließt.“

„Vielleicht wirkt gerade deshalb dein Auftreten als Kai so echt, weil du so viel Herzblut hinein legst. Aber die Gefahr, zu sehr mit der Rolle zu verschmelzen, besteht trotzdem.“

Ich schaute wieder kurz zu ihr.

„Aber die Rolle ist vorbestimmt. Am Schluss das Happy End. Aber im realen Leben gibt es nicht immer ein Happy End.“

Katja lachte.

„Tobias, du hörst dich gerade an wie ein alter weißer Mann.“

„Wieso? Muss man erst alt werden, damit man so etwas begreift?“

„Nein, muss man nicht. Aber du hast noch so viel vor dir, du wirst noch viel lernen.“

Ich nickte und sah sie lange an, bis sich unsere Blicke trafen. Mein Kopf senkte sich.

„Ich… ich habe mich… in Lukas verliebt…“

„Und? Weißt du in wie viele Kollegen ich mich schon verliebt habe?“

Sie drehte sich nun ganz zu mir und nahm meine Hand.

„Tobias, ich denke ich weiß wie du dich fühlst. Aber versuche es aus dem Blickwinkel zu betrachten. Liebe ist etwas Schönes…, genieße jeden einzelnen Augenblick und denke nicht darüber nach, was kommen könnte.“

*-*-*

„Aussichtsplattform, die Achte!“

Wie im Skript stehend, stand ich etwas abseits und spürte Lukas Hand an meiner Seite. Ixh sah zu ihm und lächelte.

„Als ich nach der Operation in meinem Zimmer lag, dachte ich daran, wie es wäre mit dir hier oben zu stehen, mir kam dabei der Film Schlaflos in Seattle in den Sinn.“

„Aber da war doch Tom Hanks da drüben“, antwortete ich Skriptgemäß hob den Arm und zeigte auf das Empire State Building.

„Ja aber wie sie da so aus dem Fahrstuhl kam, sie ihn sah und ihre Blicke sich trafen. Sie da standen und sich einfach anschauten. Da wünschte ich mir, diese Szene mit dir zu spielen.“

Ich spürte seine Hand, wie sie sanft durch mein Haar strich.

„Und zu was einer Überlegung bist du dann am Schluss gekommen?“

„Das ich noch etwas für dich habe.“

„Noch ein Geschenk?“

„Ja!“

Dieses Mal blieb Lukas mit seiner Hand nicht hängen und zog ohne Probleme das kleine Kästchen  hervor,  was bisher die Dreharbeiten jedes Mal gestoppt hatte. Manuel ließ weiter spielen.

Langsam öffnete Lukas das Kästchen und der Goldring kam zum Vorschein. Er entnahm den Ring und schob ihn mir langsam auf den Finger. Auch dieses klappte ohne Probleme. Ich besann mich wieder auf meine Rolle.

Kai ich weiß nicht was ich sagen soll“, legte die beschriebene Kunstpause ein, „ich weiß nur wie sehr ich dich liebe.“

Diesen Satz im Script hatte ich dieses Mal voll Überzeugung gesagt, weil es real auch stimmte. Umso mehr zuckte ich zusammen, als jemand, in dem Falle Simon, der Phillip spielte, mir auf die Schulter  tippte.

„Darf ich euch beiden was fragen?“

„Immer heraus damit“, nahm Lukas seinen Text auf.

„Ihr beide werdet aber nicht in Amerika bleiben…?“

Ich atmete tief durch und antwortete ihm.

„Bruderherz, die Verlockung ist zwar groß, aber nein, Kai und ich werden wieder nach Deutschland fahren, ich zumindest wenn unser Aufenthalt hier vorüber ist. Warum fragst du überhaupt?“

„Ich hatte die Befürchtung, meinen soeben gewonnen Bruder wieder zu verlieren…“

„Keine Sorge großer Bruder, mich wirst du nicht mehr so schnell los.“

Nun kam auch noch auch Felix in der Rolle von Andreas dazu.

„Was zieht ihr so Trauerminen, es gibt doch gar keinen Grund dafür.“

„Eigentlich keinen. Ich bin jedenfalls der glücklichste Mensch der gerade rum läuft. Ich habe den süßesten Freund den man sich wünschen kann, und dazu die zwei besten Brüder, die jemand haben kann“, sagte Lukas und begann jeden von uns zu umarmen.

„CUTE!“, hörten wir Manuels Stimme.

„Schluss für heute, die Szene ist im Kasten.“

Wir vier atmeten gleichzeitig aus und waren froh, dass die Szene nicht noch einmal gedreht werden musste. Ich zog den Ring vom Finger ab, ebenso Lukas und gab sie einem Helfer. Es war die letzte Szene im Film gewesen, Manuel hatte sie bis zum Schluss vor sich her geschoben. Ich wollte schon wie die anderen die Terrasse verlassen als mich etwas an meinem Ärmel zog. Ich drehte mich um und Lukas stand hinter mir.

„Was ist?“

„Kommst du mal?“

Ich folgte  im über die Plattform, auf die andere Seite, wo nicht soviel los war.

„Du… Tobias…“, er pfriemelte an seiner Jacken im Innenteil und ich musste grinsen, weil es genauso war, als vorhin die Dreharbeiten abgebrochen wurden. Auch jetzt zog er ein kleines Kästchen hervor.

„Was hast du vor?“, fragte ich, „die Szene ist im Kasten…“

„Tobias…ich… die Szene eben, hat mich auf eine Idee gebracht…“

Er öffnete das Kästchen und ein Silberring kam zum Vorschein.

„Er ist zwar nicht so prachtvoll, wie eben der in der eben in der Szene, aber dieser kommt von meinem realen Herzen!“

Er entnahm den Ring und hielt ihn dicht vor mein Gesicht. Ich konnte Lukas in Innenteil lesen. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden.

„Lukas…“

„Ich… wollte, dass du etwas von mir immer bei dir trägst“, sagte er und schob mir den Ring auf den Finger, … ich liebe dich!“

Ich fuhr auch dieses Mal zusammen, weil wie in der Szene zuvor, mir jemand auf die Schulter tippte. Nur war es nicht Phillip, wie eben, sondern Hannes stand vor mir, mit zwei Sektgläsern in den Gläsern.

Auch die anderen standen alle da und hatten Gläser in der Hand.

„Gratuliere!“, flüsterte Hannes.

„So ihr Lieben“, ergriff Manuel das Wort, „es ist alles im Kasten. Die nächsten Wochen beim Schneiden werden zeigen, ob wir etwas nachdrehen müssen, aber ich bin zuversichtlich! Unten ist eine kleine Feier vorbereitet, mit der ich mich bei euch für die gute Zusammenarbeit bedanken möchte. Also Danke an euch alle und viel Spaß!“

Alle klatschen und hoben ihr Sektglas. Lukas drehte sich zu mir und hauchte mir einen Kuss auf dich Wange. Mit Tränen in den Augen sah ich ihn an und flüsterte: „… ich liebe dich auch!“

*-*-* Ende *-*-*

 

 

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3 Kommentare

  1. Hallo Pit,

    vielen Dank für die Geschichte. Sie hätte ruhig ein wenig weiter gehen können, grins.
    Viele Ideen für die nächsten neuen und noch weiteren Teile, die von uns schon eingefordert werden….
    Ich hoffe auch dass einige noch Leser sich mal im Chat einfinden und selbst einmal eine Geschichte schreiben.
    Gruß
    Ralf

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  2. Schöööööööööööööööööööööööööön, Danke

    Rating: 4.00/5. From 1 vote.
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    • micha auf 17. Februar 2014 bei 19:20
    • Antworten

    das kann man so oft lesen …

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