Good bye Amerika – Teil 13

Ob sie mich wieder nach Hause schicken, wenn sie erfahren… Was mache ich jetzt nur? Ein schwuler Bruder scheint ja nicht so schlimm zu sein – aber einen schwulen Neffen im Haus? Ob Grandma ihnen was erzählt hat?

Wo soll ich denn nur hin? … zu Grandma kann ich nicht zurück… und hier? Ich vergrub mich in meine Kissen, lauschte den Geräuschen im Haus. Es war sehr ruhig. Bis auf das Knurren von Gustav, der vor meinem Bett lag, hörte ich sonst nichts.

Und wenn ich es Abby und Bob einfach sage? So gerade heraus? Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und stand auf. Gustav hob den Kopf.

„Bleib liegen!“, sagte ich und Gustav gehorchte.

Langsam ging ich zu meiner Tür und versuchte zu erlauschen, was sich vor der Tür abspielte. Doch es herrschte Stille. Leise öffnete ich die Tür und sah durch einen Spalt nach draußen. Niemand zu sehen.

Wo waren sie denn alle? Also atmete ich noch einmal tief durch und trat in den Flur. Noch immer konnte ich noch nichts hören. Schweren Herzens lief ich zur Küche und lugte hinein. Auch hier war alles verlassen.

Ich betrat die Küche und schaute mich unsicher um. In meinem Magen hatte ich ein mulmiges Gefühl, in meinem Kopf kreiste alles.

„… wenn ich Alkohol trinke, vergesse ich immer alles“, sagte damals Dad.

Dieser Gedanke kam ganz plötzlich und unerwartet. Mein Blick blieb auf einer Ansammlung von Flaschen hängen, die am Fenster standen. Vergessen… Ohne groß nachzudenken, ging ich an den Schrank und nahm mir ein Glas heraus.

Ich konnte auf den Schildern eine Vielzahl von Früchtenamen lesen. Ich griff nach der Orangenflasche und schenkte mir ein. Mein Kopf hatte irgendwie ausgesetzt, nur noch der Gedanke >vergessen… vergessen… vergessen< schwirrte in meinem Kopf umher.

Wieder atmete ich tief durch und führte das Glas zum Mund. Ein scharfer Geruch stieg in meine Nase, aber doch als Orangenduft zu erkennen. Ich setzte an und zog das Zeug in einem Zug herunter.

Sekundenlang passierte gar nichts. Doch dann spürte ich ein leichtes Ziehen und Brennen im Hals, dann ein warmes Gefühl im Bauch. Das Ziehen im Hals wandelte sich in ein Kratzen und ich fing fürchterlich an zu husten.

Das Zeug schmeckte gar nicht mal so schlecht… bis auf den Husten. Wie hatte Dad immer gesagt?, >auf einem Bein kann man nicht stehen< so schenkte ich mir nach. Wieder setzte ich an und empfand den Geruch nicht mehr so stark.

*-*-*

„Gustav, warum bellst du so? Mein Gott Tom…, was ist mit dir?“

Nur entfernt hörte ich jemanden rufen, auch dass ein Hund bellte. Vergessen… was wollte ich eigentlich vergessen? … es drehte sich alles.

„Tom, sag doch was! Bob komm sofort her… mit Tom stimmt etwas nicht!“

Warum schreien die so? Sollen mich doch in Ruhe lassen!

„Tom riecht nach Alkohol… schau, der Orangenschnaps ist fast leer.“

„Tom hat Alkohol getrunken? Mein Gott, was habe ich getan? … Ich wollte es ihm doch nur leichter machen.“

„Abby, du bist nicht schuld, okay? Wir wollten Tom nur helfen… er hat sich nicht helfen lassen wollen. Ich würde sagen, wir bringen ihn erst mal ins Bett.“

Ich spürte eine Hand, die über meine Wange streichelte, aber meine Augenlider waren zu schwer, sie zu öffnen.

„Es tut mir so leid, Tom“, hörte ich jemand sagen.

Was soll denn Leid tun? Ich versteh gar nichts mehr… irgendwie wurde alles dunkel um mich.

*-*-*

Irgendetwas Feuchtes spürte ich an meiner Hand. Ich versuchte mit Mühe, ein Auge zu öffnen. Etwas schleierhaft sah ich einen Hundekopf vor mir.

„Dad, er kommt zu sich“, hörte ich Molly rufen.

Mein Auge folgte der Stimme und ich konnte im gleichen Schleier wie vorhin den Hund und eine Person erkennen.

„Tom, hörst du mich?“

Ich hatte einen fahlen Geschmack auf der Zunge und mein Kopf fühlte sich an, als würden Tausende von Presslufthammer in ihm zu Werke sein. Ein komisches Gefühl im Magen ließ mich aufschrecken.

Die aufsteigende Übelkeit ließ mich aus dem Bett springen und die ekelhaften Kopfschmerzen kurzzeitig vergessen. Ich rannte, was man überhaupt in meinem Zustand rennen nennen konnte, ins Bad.

Noch im Endspurt schaffte ich es über die Waschbecken, in das sich mein Mageninhalt entleerte. Schwer atmend hing ich an dem Becken und wollte nur noch sterben.

„Geht’s wieder?“, nahm ich eine Stimme hinter mir wahr.

Ich versuchte zu nicken, aber da kamen die Kopfschmerzen wieder.

„Wo ist er?“, hörte ich aus dem Flur.

„Hier im Bad“, so langsam konnte ich jetzt Molly wieder erkennen.

„Tom?“, das war Bobs Stimme.

Zitternd drehte ich mich um, traute mich fast nicht, den beiden in die Augen zu schauen.

„Komm mit!“, befahl Bob.

„Aber Dad, du siehst doch…“, begann Molly.

„Er soll einfach mitkommen“, rief Bob etwas lauter aus dem Flur.

Ich wischte mir notdürftig das Gesicht ab und folgte ihm. Als ich an Molly vorbeilief, schaute sie mich fragend an.

„Warum?“

Ich zuckte mit den Schultern und ging Bob hinterher. Er war draußen, neben dem Haus, bei dem großen Holzhaufen. Er nahm die Axt, holte sich einen größeren Holzstumpf und begann, ihn zu zerhacken.

Ich stand neben ihm. Wie ein Besessener schlug er immer wieder auf den Holzstumpf ein. Dann hielt er inne und wandte sich zu mir. Er hob die Axt hoch in meine Richtung.

„Wenn du Ärger hast, dich Scheiße fühlst…, deiner Wut Luft machen musst… dann nimm die Axt und hau auf das Holz ein. Aber, bedien dich nie wieder… ja nie wieder an unserem Alkohol! Hast du mich verstanden?“

Ich stand vor ihm und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich zitterte am ganzen Körper, war zu keiner Reaktion fähig.

„Hast du mich verstanden?“, wiederholte Bob seine Worte, etwas lauter und strenger als zuvor.

Ich trat vor lauter Angst einen Schritt zurück, ohne zu sehen, was sich hinter mir befand. Ein fataler Fehler, wie sich heraus stellte, denn ich blieb an etwas hängen und stürzte nach hinten. Gleichzeitig hob ich die Arme zum Schutz nach oben.

„Glaubst du wirklich, ich würde dich schlagen?“, fragte Bob erschreckt durch meine Reaktion.

Angstvoll nickte ich und sah dabei immer noch auf die Axt.

„Was um alles in der Welt lässt dich glauben, dass ich Hand an dich legen will?“

Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass Molly, Abby und auch Darleen nach draußen gekommen waren.

„… macht man das mit Schwulen nicht…“, nuschelte ich.

„Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden?“

„… dass du mich vielleicht schlägst… weil ich schwul bin…“

„Bitte? Bist du … von allen guten Geistern verlassen?“

Immer noch hielt ich die Arme schützend vor mich. Bob legte die Axt weg und zog mich hoch. Ängstlich, wie ich war, blieb ich in der Abwehrhaltung.

„Du bist schwul…“

Ich ließ ihn gar nicht ausreden, sondern packte meine ganze Reserven zusammen, wo auch immer die herkamen und stürmte auf ihn los. Mit beiden Fäusten trommelte ich ihm auf die Brust.

„Ja ich bin ein Schwanzlutscher… Arschficker… Dreck…“, weiter kam ich nicht mehr.

Bob legte seine kräftigen Arme um mich und zog mich zu sich heran. Schwer schluchzend brach mein Widerstand, ich sank in seinen Armen zusammen.

„Mum wollte mich nicht und Dad will mich auch nicht mehr… mich liebt niemand… das tut so weh“, schrie ich heißer.

Der Druck von Bobs Armen wurde stärker. Ich spürte seine Hand, wie sie sanft über meine Haare strich.

„Wir dachten eigentlich, wenn du George kennen lernst, würdest du merken, wie wir zum Thema Homosexualität stehen“, hörte ich Bobs leise Stimme.

Ich bekam mich nicht wieder ein. Ich schluchzte noch lauter, zitterte weiter am ganzen Körper.

„Grandma hatte mich vor deiner Ankunft angerufen und mir alles erzählt, auch warum dein Dad auf dich losgegangen ist. Aber glaubst du wirklich, wir hätten dich deswegen weniger gern, weil du lieber Jungs magst als Mädchen.“

Das Schluchzen wurde langsam weniger.

„Als Grandma mich damals anrief und mir den Vorschlag unterbreitete, dich bei uns auf- zunehmen, war ich plötzlich der glücklichste Mensch, den du dir vorstellen kannst. Ich liebe Molly über alles, ich würde sie auch für keinen Preis der Welt hergeben.“

Ein tränenreicher Blick zu Molly sagte mir, dass sie alles mitbekam, da auch sie dicht bei uns stand.

„Ich habe mir immer ein Brüderchen für Molly… einen Sohn für mich gewünscht…, aber leider wurde nichts daraus… Dann kam der Anruf von Grandma. Und nun bist du hier. Auch wenn du es nicht glauben willst, oder kannst… für mich bist du jetzt schon fast wie ein Sohn.“

Seine Hand streichelte die ganze Zeit über meinen Kopf.

„Mir ist völlig egal, wen du liebst, was du bist… ich mag den Menschen Tom, den ich gerne als Sohn hätte. Du bist so gar nicht wie deine Mutter, hast auch nichts von deinem Dad…“

„… und…der… der Alkohol?“, stotterte ich.

Sanft drückte mich Bob nach meinen ersten Worten von sich weg und sah mir in die Augen. Ich fühlte mich so elend.

„Sagen wir mal so. Jeder Jugendliche macht mal seine Erfahrungen mit Alkohol und ich denke, du bist für die nächste Zeit kuriert. Alkoholiker zu sein, kann man nicht vererben.“

Mein Kopf drehte sich zu Abby und Molly und dann wieder zu Bob.

„Es macht euch nichts… aus…, dass ich schwul bin?“

„Nein Tom… ich dachte echt, die Idee mit George wäre gut, um dir das zu zeigen…“, kam es nun von Abby.

„Da hat er wohl etwas in den falschen Hals bekommen“, meinte Darleen und ging ohne ein weiteres Wort wieder ins Haus.

Mein Blick wanderte zu Molly, die immer noch stumm vor mir stand.

„Ich sag dir eins, wenn du mir den Freund ausspannst, gibt es Haue“, meinte sie erst ernst, aber ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

„Du hast einen Freund?“, fragte Bob erstaunt.

„Ich rede von meinem zukünftigen Freund, wenn ich einmal einen finden werde.“

„Danke…“, sagte ich leise.

„Nichts für ungut, junger Mann“, begann Bob, „du verschwindest jetzt mal unter der Dusche… du stinkst ekelhaft!“

Ich schaute wieder zu Bob und sah, dass er ebenfalls Tränen in den Augen hatte.

„Tom… dass euch meine Schwester… deine Mutter verließ, liegt nicht an dir. Nicht du warst der Grund, sondern sie selbst. Sie hat den falschen Mann geheiratet und ist daran zu Grunde gegangen. Was deinen Vater betrifft – es ist immer seine Entscheidung gewesen, nach der Flasche zu greifen. Auch daran bist du nicht schuld.“

Ich nickte, auch wenn mein Gehirn diese Message so nicht aufnehmen wollte.

„Und jetzt ab mit dir unter die Dusche!“

Etwas wackelig auf den Beinen lief ich mit Molly zurück zum Haus. An der Tür stand Gustav.

„Da steht auch einer, der dich so nimmt, wie du bist“, meinte Abby.

„Das ist… ein Hund“, sagte ich und stoppte vor dir.

„Hunde wissen ganz genau, ob ein Mensch gut oder böse ist. Sie merken, ob es einer mit ihnen gut meint.“

Mein Blick wanderte wieder zu Gustav, der jetzt langsam zu mir getrottet kam. Nicht wie sonst, lief er auf mich zu und leckte an meiner Hand, sondern blieb kurz vor mir stehen. Er schaute mich an und bellte kurz.

„Das soll sicher heißen, du sollst duschen, weil du stinkst“, meinte Molly neben mir.

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