Good bye Amerika – Teil 18

Müde fiel ich in mein Bett. Die Idee, in Canberra zu übernachten, hatten wir am Schluss dann doch verworfen. Als wir zurückkamen, war es bereits Nacht. Mein Blick fiel auf die Tüten, die ich mit nach Hause mitgebracht hatte.

Bob hatte mich regelrecht dazu verführt, shoppen zu gehen. Und meine Beute war mehr als gut. So richtete ich mich wieder auf, um erst einmal Gustav ausgiebig kraulen und knuddeln zu können, der anscheinend unter Entzug litt.

Bob hatte ja Angst, der Pilot würde uns wegen Übergewicht nicht mehr mit nach Hause nehmen. Ich nahm die erste, die größte, Tüte und kippte sie einfach auf mein Bett. Gustav hatte den Kopf auf den Bettrand gelegt und schaute interessiert zu, was ich machte.

Es klopfte.

„Ja?“

Die Tür ging langsam auf und Molly steckte den Kopf herein.

„Hi du, wieder zurück von deiner Erkundungstour?“

„Ja und das sehr erfolgreich!“, antwortete ich.

„Oh, das sind ja eine Menge Tüten. Dad hat schon erzählt, du hast dir etwas gekauft, aber er sprach nicht von dieser Menge.“

Etwas peinlich angetan, bat ich Molly herein.

„Och, es sind doch nur ein paar Klamotten – Bücher – etwas für den PC, und für die Schule. Da hat mich Bob drauf gebracht.“

Bei der Beschreibung der eingekauften Sachen zeigte ich auf die jeweilige Tüte. Also saßen wir zusammen und ich musste eine Modeschau machen. Molly gefielen die Tshirts, die ich mir zugelegt hatte.

Besonders, weil sie viel Farbe hatten. Nicht wie in San Fransisco, da war ich nur in Schwarz, dunkelblau oder dunkelbraun herum gelaufen. Nun hatte ich rot, orange, gelb, ein helles grün und anderes.

„Du hörst Robbie Williams?“, fragte Molly, als sie dessen CD in einer der Tüten gefunden hatte.

„Ja, warum nicht?“

„Ganz untypisch für Jungs“, kam es von Molly und grinste.

„Finde ich nicht, mir gefällt die Musik.“

Molly holte die CD heraus und legte sie ein. Sie schaltete meine Anlage ein, aber es kam nichts.

„Du musst den Kopfhörer rausziehen“, meinte ich.

Bevor mir aber einfiel, wie laut ich die Musik auf dem Kopfhörer gehört hatte, nahm Molly den Stecker bereits in die Hand und zog ihn heraus. Laut donnerte Rock DJ von Robbie Williams durchs Haus. Und bevor ich es schaffte, die Anlage leiser zudrehen, das fast nur noch von Gustavs Gebell übertönt wurde, riss jemand meine Zimmertür auf.

„Was ist denn hier los?“, schrie Abby.

Recht laut, weil ich im selben Augenblick die Anlage leiser gedreht hatte und sie nun sehr gut zu hören war.

„Sorry, ich hatte vergessen, leiser zu drehen“, meinte ich verlegen.

„Aha“, meinte sie und verschwand wieder.

Molly begann zu kichern und ließ sich nach hinten auf das Bett plumpsen.

„So laut hörst du also Musik auf dem Kopfhörer“, meinte sie.

„Ja“, antwortete ich.

„Stör dich nicht, bei mir ist es nicht anders, sonst würde der Haussegen schief hängen.“

In einer angemessenen Lautstärke, so dass wir uns noch weiter unterhalten konnten und dass Gustav nicht mehr bellte, hörten wir weiter Musik.

„Was hast du denn den ganzen Tag gemacht?“, fragte ich.

„Da die Jungs keine Zeit hatten, habe ich den ganzen Tag Mum in der Praxis geholfen.“

Mit den Jungs meinte sie sicherlich Lesley und Berry. Und irgendwann stand dies mir auch noch bevor, in der Praxis zu helfen, wenn Not am Mann war. Molly schaute mich an.

„Was?“, fragte ich.

„Darf ich dich etwas ganz Privates fragen?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ähm… was hältst du von Berry?“

Der aufkommende Hitzestau in meinem Gesicht, die rote Färbung, war wohl Antwort genug. Mollys Grinsen wurde immer breiter.

„Habe ich mir doch so etwas gedacht“, meinte sie leise und schaute weiter in den Tüten nach.

„Was… hast du dir gedacht?“

„Dass du für Berry schwärmst…, ich gebe ja zu, er ist ein süßer Junge.“

„Ähm… ja.“

„Berry ist Berry, ein Unikum würde ich sagen. Viele kommen mit seiner Art klar, andere nicht. Trotz seiner…“

Plötzlich hielt Molly inne und sprach nicht weiter. Ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte, also schwieg ich.

„Du fragst dich sicher… ob Berry…“

Wieder unterbrach sie mitten im Satz und guckte mich nur etwas ernst an. Ich schaute sie nur an, aber es kam nichts weiter von ihr.

„Ja, ich schwärme für Berry. Aber ob er nun schwul ist oder nicht, das ändert nichts daran, dass ich mich hier bestimmt nicht outen werde. Ich weiß nicht, was dir deine Eltern über mich alles erzählt haben, aber vom Outen bin ich nicht gerade fasziniert.“

„Meine Eltern haben mir überhaupt nichts erzählt, lediglich, dass mein Cousin zu uns ziehen wird, und für eine ganze Weile bleiben wird.“

„Und Lesley?“

„Was ist mit Lesley?“

„Ich meine, was weiß Lesley. Ich würde es schon verstehen, wenn du ihm etwas erzählt hättest. Ihr seid dicke Freunde… denke, seit der Sandkastenzeit. Da werdet ihr sicher keine Geheimnisse vor einander haben.“

Mollys Gesichtsausdruck war nicht zu definieren. War sie nach dieser Aussage nun böse?

„Nein, ich habe Lesley überhaupt nichts von deiner… na ja Sauforgie und deren Grund erzählt. Dass du schwul bist, geht in erster Linie nur dich etwas an. Es ist deine Sache, bei wem du dich outest!“

„Und in zweiter Linie?“, fragte ich spitzfindig.

Ein Grinsen machte sich auf Mollys Gesicht breit.

„Hoffe ich natürlich, dass du erst zu mir kommst, wenn es um Jungs geht. Ich denke, da habe ich doch etwas mehr Erfahrung als du.“

Ich gab mich geschlagen, sie hatte da eindeutig Recht. Ich konnte einfach nicht anders und fing laut an zu lachen. Molly stimmte mit ein. Sie nahm mich in den Arm und wir drückten uns kurz aneinander.

„So gefällst du mir viel besser! Ein Tom, der lacht, strahlt viel mehr aus.“

„Danke.“

„Nichts zu danken! Wir Mädels müssen doch zusammen halten.“

„Boah… ich bin immer noch ein Junge“; meinte ich und ohne nachzudenken, stürzte ich mich auf sie und begann sie zu kitzeln.

Laut lachend wandte sie sich unter mir, bis plötzlich die Zimmertür aufging. Ein etwas verstörter Lesley schaute uns an.

„Ähm… sorry, ich wollte nicht stören…“

Bevor Molly oder ich noch etwas erwidern konnten, war Lesley schon wieder verschwunden. Molly schaute mich an und ich sie, beide fingen wir an zu grinsen.

„Hat da einer etwas in den falschen Hals bekommen?“, fragte ich.

„Ich weiß nicht, so komisch hat sich Lesley noch nie benommen“, antwortete Molly.

„Was denkt der? Ich bin dein Cousin!“

„Typisch Jungs“, erwiderte Molly.

Langsam ging ich von ihr herunter und zog sie hoch. Gemeinsam verließen wir mein Zimmer, um nach Lesley zu schauen. Als wir ihn im Haus nicht finden konnten, gingen wir vor das Haus.

Dort saß er nachdenklich, starrte auf den Sternenhimmel. Molly setzte sich rechts von ihm, ich ließ mich links von ihm nieder.

„Was steht an?“, fragte Molly.

Lesley zuckte mit den Schultern. Jetzt erst merkte ich, dass Lesley glasige Augen hatte.

„Ist irgendetwas?“, fragte ich vorsichtig.

Lesley schaute mich vorwurfsvoll an, bevor er wieder zu den Sternen schaute.

„Ähm, ich will ja nichts sagen…“, begann Molly, „wollen wir jetzt Sterne zählen oder reden?“

Lesley wollte aufstehen, aber Molly hielt ihn zurück.

„He, so nicht! Wir haben uns geschworen, wir haben keine Geheimnisse vor einander!“

Mollys Ton war für mich etwas zu ernst.

„Das sagst gerade du“, presste Lesley hervor.

„Hä?“

Er schaute erst mich an und dann wanderte seine Blicke wieder zu Molly.

„Seit… seit Tom da ist, hast du fast keine Zeit mehr…“

„Bitte?“

Lesley atmete tief durch und schaute zu Boden.

„Das stimmt doch gar nicht“, verteidigte sich Molly.

„Sorry, wenn ich störe… gehe ich lieber“, meinte ich und erhob mich.

„Bleib sitzen“, kam es im barschen Ton von Molly.

Ich ließ mich wieder nieder, saß aber deutlich weiter von Lesley weg, als zuvor.

„Hör mir genau zu, Lesley. Tom ist neu hier, er hat noch keine richtigen Freunde, keinen Anschluss. Zudem ist er mein Cousin. Es ist Familie, also ganz logisch, wenn ich Tom überall mit hinnehme. Bist du etwa eifersüchtig?“

Bei dem Wort eifersüchtig musste ich unweigerlich grinsen. Auf mich war noch nie jemand eifersüchtig. Schon gar kein Junge im Bezug auf ein Mädchen.

„He, rede mit mir!“, sagte Molly und stupste Lesley an.

„Fettnäpfchenalarm“, hörte ich ihn leise sagen.

„Das kannst du laut sagen…“, kam es von Molly.

„Und wegen dem Geheimnis…“, begann ich.

„Tom, du musst nicht…“, unterbrach mich Molly.

„Schon gut, Molly. Ich denke, wenn ich ehrlich zu Lesley bin… vielleicht ändert das die Situation.“

„Wenn du meinst.“

„Von was redet ihr, zum Teufel“, mischte sich nun Lesley ein.

„Dass du Recht hast mit einem Geheimnis, es aber nicht an mir ist, etwas zu sagen…, dazu habe ich kein Recht!“, sprach Molly.

Wieder wanderte Lesleys Blick erst zu mir, dann wieder zu ihr.

„Es ist meine Schuld, Lesley“, meinte ich.

„Was ist deine Schuld?“

„Dass Molly dir diesmal nichts anvertraut hat.“

„Verstehe ich nicht.“

„Molly wollte dir nichts erzählen, weil es etwas Privates über mich ist.“

„Was kann so privat sein, dass man nicht darüber reden kann?“, fragte Lesley.

Molly schaute mich an und schüttelte den Kopf.

„Hast du jemanden umgebracht? Deinen Vater?“

Molly hieb Lesley in die Seite.

„Rede doch nicht so einen Scheiß daher“, meckerte sie Lesley an.

„Ich bin schwul“, sagte ich leise.

„Scheiße!“, kam es von Lesley.

Er stand auf, schwang sich auf sein Bike und radelte davon. Augenblicklich schossen mir die Tränen in die Augen.

„Tut mir Leid, Tom“, sagte Molly und griff nach meiner Hand.

Ich entzog ihr meine Hand.

„Wieso, er hat doch Recht. Es ist alles Scheiße!“, fuhr ich sie an und rannte ins Haus.

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