Good bye Amerika – Teil 27

Hand in Hand schlenderten wir zum Fahrstuhl.

„Du Tom, darf ich dich was fragen?“

„Ja… klar, du darfst mich alles fragen.

Im Augenblick war ich glücklich, auch auf die Aussicht hin, was mir am Mittag bevor stand. Berry drückte die Taste am Aufzug.

„Es ist… wegen heute Mittag… die Beerdigung. Belastet dich das nicht?“

„Darauf kann ich dir nicht mal eine Antwort geben, Berry. Ich weiß es nicht. Das ist alles noch so weit weg.“

„Ich dachte nur… dein Vater ist tot…“

„Ja, ich bin mir bewusst, dass er tot ist… mir nichts mehr tun kann…“

Jetzt stieg in mir langsam die Wut hoch. Nicht auf Berry, sondern auf meinen Dad. Er war tot, aber trotzdem bestimmte er irgendwie noch mein Leben.

„Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, meinte Berry und ließ meine Hand los.

Ich schnappte mir wieder seine Hand und drückte sie etwas fester.

„He, du kannst mir nicht zu nahe treten.“

Ich zog ihn zu mir.

„Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt wie im Augenblick. Mit dir zusammen zu sein, ist gerade für mich das Größte. Klar, werde ich bestimmt heute Mittag bei der Beerdigung traurig sein… er war schließlich mein Dad. Aber bei mir ist in den letzten zwei Jahren soviel im Bezug auf meinen Dad abgestorben, dass ich im Augenblick nichts für ihn empfinde… außer vielleicht, Zorn…“

Berry zog mich seinerseits jetzt auch zu sich und gab mir einen Kuss, der von dem Gong des ankommenden Aufzugs unterbrochen wurde.

„Egal was passiert, Tom, ich bin bei dir, okay?“

„Danke, das bedeutet mir viel!“

Gemeinsam betraten wir den Fahrstuhl.

*-*-*

„Guten Morgen, habt ihr es endlich auch geschafft?“, begrüßte uns Abby am Tisch.

„Ja“, antwortete ich mit einem Lächeln, „wollten wir nicht bei Grandma frühstücken?“

„Es gab eine kurzfristige Planänderung. Grandma hat mich vorhin angerufen und meinte, dass du eigentlich nichts Richtiges für die Beerdigung zum Anziehen hast. Sie würde deine Gardarobe kennen, meinte sie.“

„Ich habe eine schwarze Hose… Jacke und ein Shirt. Das reicht doch“. Erwiderte ich und setzte mich neben Lesley.

Berry folgte mir auf den freien Stuhl neben mir. Abby schaute mich grimmig an.

„Was?“, fragte ich, schon leicht genervt.

„Das habe ich mir fast schon irgendwie gedacht. Auch auf die Gefahr hin, bei dir jetzt Minuspunkte zusammeln – du brauchst einen Anzug.“

„Oh, muss das sein?“

„Wir haben auch welche dabei“, mischte sich Lesley ein, wofür er sich einen missbilligenden Blick von mir einhandelte.

Abby schaute mich wieder an.

„Und wo soll ich den so schnell herkriegen, bitte?“, meinte ich trotzig.

„Kein Problem, ich habe mich bereits an der Rezeption erkundigt. Nach dem Frühstück steht ein Wagen für uns bereit“, erklärte Abby.

Na toll!

„Kann ich mit?“, fragte Berry.

„Klar, vier Augen können besser als zwei Augen beurteilen, was zu Tom passt“, antwortete Abby.

Wenigstens ein Lichtblick, dass mein Herzblatt mitfuhr. Das Frühstück verlief jetzt eher ruhig, keiner sagte großartig etwas. Der Zonenwechsel steckte wohl allen in den Gliedern. Hin und wieder schaute ich zu Berry, um einen verliebten Blick zu erhaschen.

Als wir dann endlich mit dem Frühstück fertig waren, alles was der Tisch hergab geleert worden war, ergriff Abby die Initiative und führte Berry und mich in die Empfangshalle.

„Mrs. Miller, ihr Wagen steht schon bereit“, sagte der Mann an der Rezeption.

„Danke!“, antwortete Abby und schob uns Richtung Drehtür.

„Dann mal los ihr beiden, wird sicherlich lustig.“

Ha – ha!

Eine halbe Stunde später betraten wir in der California Street das Due Maternity. Ich kam mir etwas fehl am Platz vor, weil alles so vornehm schien. Es hingen hier auch Shirts oder Jeans wie in normalen Läden herum, aber laut Preisschilder doch recht teuer in meinen Augen.

Kurz nach unserer Ankunft, trat auch schon ein junger Herr auf zu.

„Sie wünschen?“

„Wir suchen einen schwarzen Anzug für diesen jungen Herrn, inklusive Hemd und Schuhe.“

„Mrs. Miller, ja? Dass King-George-Hotel hat sie bereits angekündigt. Würden sie mir bitte folgen?“

„Aber sicher“, bestätigte Abby.

Berry grinste mich an, während wir den beiden folgten. Ohne auch nur nach meiner Größe zu fragen, zeigte uns dieser Mann verschiedene Ausführungen von Anzügen. Natürlich musste ich jeden einzelnen anprobieren.

Berry amüsierte sich natürlich köstlich. Bei einem Anzug zeigte er mit dem Finger nach oben. Abby war ebenso seiner Meinung. Nun wurden mir noch verschiedene Hemden und auch Schuhe gebracht.

Eine Stunde später stand ich im kompletten neuen Outfit vor dem Spiegel.

„Perfekt“, meinte Berry.

„Meinst du wirklich?“, fragte ich und schaute mich kritisch an.

„Klar, oder was meinst du, Abby?“

„Ich kann mich Berry nur anschließen. Das nehmen wir!“

Ohne mich weiter zu fragen, wurde alles eingepackt, Abby zahlte und wir verließen wieder den Laden. Natürlich war der Wagen des Hotels nicht mehr da. So suchten wir uns ein Taxi und fuhren zum Hotel zurück.

„Ich mag shoppen nicht!“, meinte ich und ließ mich müde aufs Bett fallen.

„Jetzt tu nicht so, was war daran anstrengend?“, fragte Berry.

„Alles!“

„Mir hat es gefallen.“

„Du musstest ja auch nicht tausende von Anzügen anprobieren.“

„Tausende…“

Berry fing laut an zu lachen. Ich streckte ihm die Zunge heraus. Er warf sich auf mich und begann, mich durchzukitzeln. Auf diesen Angriff war ich natürlich nicht vorbereitet. Und dass ich unterlegen war, merkte ich auch schnell.

Nun saß Berry auf mir, hielt meine Hände fest.

„Streck mir nie wieder die Zunge heraus, das wird dir schlecht bekommen…“

Was blieb mir anderes übrig, als Berry eine weitere Vorführung meines ernormen Mundmuskels zu zeigen. Und wie entlohnte dieser das. Er beugte sich herunter und – biss mir doch tatsächlich in den Hals.

„Aua! Das hat wehgetan.“

„Mimose!“

„Bäh…“

„Tu nicht wie ein Mädchen.“

Giftig schaute ich ihn an. Natürlich war ich ihm nicht böse. Es war alles nur gespielt. Es klopfte an der Tür. Berry stieg von mir herunter und ich rieb mit meiner frei gewordenen Hand an meinem Hals.

Er ging zur Tür und öffnete. Molly und Lesley standen vor der Tür.

„Alles klar bei euch?“, fragte Molly und trat ein.

„Wieso, sollte das nicht sein?“, fragte ich und stütze mich auf meinen Ellenbogen auf.

„Mir war, als hätte ich ein >Aua< gehört“, kam es von Lesley, als auch er das Zimmer betrat.

„Was du wieder hörst“, meinte Berry.

„Macht ihr euch dann auch langsam fertig?“, fragte Molly.

„Bleibt uns ja nichts anderes übrig“, meinte ich genervt.

*-*-*

Die Sonne schien schon lange nicht mehr. Dunkle Wolken waren aufgezogen. Die Trauergemeinde war zu meinem Erstaunen recht groß. Ich wusste nicht, dass Dad so viele Bekannte hatte, oder sollte man sie Freunde nennen?

Mir war es egal, was die anderen von mir dachten. Ich hatte Berrys Hand genommen und fest gedrückt. So standen wir nun am Grab. Der Priester redete irgendetwas von Sünden vergeben und dass jeder letztlich seinem Nächsten vergeben soll, denn nur so würde das Himmelreich auf Erden kommen.

Was sollte ich wem vergeben? Dad? Ich sollte ihm vergeben, was er die letzten Jahre mit mir gemacht hatte. Frühere Zeiten fielen mir ein, als Dad noch mein Dad war. Als er unentwegt neue Sachen mit mir machte, viel seiner Freizeit für mich opferte.

Niemand wusste wirklich, was in mir vorging. Nichts über die Albträume, die mir nachts den Schlaf raubten – nichts über die Kriege, die meine Gedanken führten über ein für oder wieder. Niemand ahnte, wie viel dieser Mann schon in mir zerstört hatte.

Doch es war mein Dad, mein leiblicher Vater. Wenn er nicht gewesen, würde es mich jetzt nicht geben. Und auch seine Art hatte mich geprägt. Das aus mir gemacht, was ich heute war. Wieder wanderte mein Blick durch die Menge.

Keiner schaute mich direkt an und doch fühlte ich, dass sie irgendwie alle mit ihren Gedanken auch bei mir waren. Ich spürte, wie Berrys Daumen zärtlich über meinen Handrücken streichelte.

„Keiner der hier Anwesenden und keiner, der heute in Gedanken hier ist, wird ihn vergessen. Somit geben wir Arthur Miller in Gottes Hände und beten zu Gott für seine Seele…“

Nun schwieg auch der Priester und ich konnte die ersten Regentropfen in meinem Gesicht spüren. Mein Blick fiel wieder auf die weißen Rosen vom Strauß, der den Sarg bedeckte. Langsam sank der Sarg ins Grab und irgendwo tief in mir gab es ein Stich.

Aus und vorbei – keine Chance irgendetwas je zu ändern. Er hatte alles mit ins Grab genommen… mir die Chance geraubt, mich bei ihm zu beweisen, dass ich nicht der bin, für den er mich hielt.

Auch noch im Tod quälte er mich. Lass los – heißt es immer. Wie sollte ich mich von diesem Mann lösen, der so viele Fragen bei mir offen gelassen hatte? Der Sarg war an seinem Endpunkt angekommen.

Wir standen auf, als der Priester die Erde segnete, mit der die Leute ihren letzten Gruß ins Grab warfen. Einer nach dem anderen lief am Grab vorbei, einige warfen sogar Blumen hinein. Dann kamen Grandpa und Grandma an die Reihe und schließlich ich.

Ich schüttelte Hände – schüttelte Hände von Menschen, die ich gar nicht kannte. Ohne viel zu tun, trotz meiner eisernen Einstellung, fühlte ich plötzlich das Nass in meinen Augen, wie sich die Tränen langsam den Weg über meinen Wangen bahnten.

So sehr ich mich dagegen gewehrt hatte, diesem Mann keine Tränen nachzuweinen, so sehr liefen sie nun. Wer war der Mann im Grab, kannte ich ihn überhaupt? Die Leute vor mir sagten Dinge, die weit – weit weg von mir verhallten.

Er hat mich wieder im Stich gelassen. Erst Mum, nun er. Was hatte ich verbrochen, dass ich so bestraft wurde? Ich will nicht sagen, dass ich sehr gläubig bin, aber irgendwo gab es eine Macht, die mich lenkte und steuerte.

Und jetzt war da dieser Riss, wovor ich Angst hatte. Tief zu fallen… ohne jemanden, der mir die Hand reichte und mir aufhalf. In diesem Augenblick spürte ich wieder Berrys Hand und ich wandte kurz meinen Kopf in seine Richtung.

Auch seine Augen waren feucht, mitfühlend schenkte er mir ein sanftes Lächeln. Ich war nicht alleine – Berry würde immer für mich da sein. Doch den Schmerz den ich gerade erlitt, mochte ich niemandem wünschen… niemanden ertragen lassen.

Die Menge wurde weniger und nach einiger Zeit standen wir – die Familie – nur noch am Grab. Der Regen war stärker geworden und die Tropfen vermischten sich mit meinen Tränen. Tränen für einen Mann, den ich meinte, gehasst zu haben und nun merkte, wie sehr ich ihn geliebt hatte und vermisste.

Ich spürte, dass meine Knie weich wurden und ich begann zu schwanken. Berry ließ meine Hand los und legte seinen Arm um mich.

„Lasst uns gehen“, hörte ich Bob sagen.

Ich schüttelte den Kopf. Wollte noch bleiben. Nun trat Bob neben mich.

„Tom, komm, es ist besser… für dich und für uns alle.“

Er legte seine Hand auf meine Schulter, sah mich durchdringend an. Ich fiel ihm um den Hals und begann, laut zu schluchzen.

„Dad warum tust du mir das an?“, schrie ich laut, erstickte aber fast am letzten Wort, weil mir die Luft ausging.

Bob drückte mich fest an sich. Zu meinem Glück, denn wahrscheinlich wäre ich zusammengesackt. Ich streckte meine Hand aus… suchte Berry und plötzlich griff auch eine Hand nach meiner. Ich blickte auf und schaute in Berrys traurige Augen. Er versuchte, noch einmal sanft zu lächeln, was ihm dann auch gelang. Bob ließ mich los und so konnte Berry seinen Part übernehmen. Ohne einen weiteren Ton, verließen wir das Grab. Ich drehte mich auch nicht mehr um, wollte dieses Grab nicht mehr sehen. Es in meinem Herz einschließen und nie wieder herauslassen…

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