„Ich wollte sie ja nicht kaputt machen, aber anders, denk ich, bekommen wir sie nicht auf“, meinte Bob.
Nach mehreren kläglichen Versuchen hatte er sie immer noch nicht aufbekommen. Mittlerweile standen wir in der Garage. Bob griff nach einem Hammer und suchte anschließend etwas in den Schubladen.
Er zog einen spitzen Metallstift hervor, den er anschließend am Verschluss ansetzte. Dann holte er aus und – fing an zu schreien. Er war abgerutscht und hatte sich auf die Hand gehauen.
Molly und ich versuchten, uns das Lachen zu verbeißen. Dies schien Bob noch wütender zu machen. Er nahm den Hammer und schlug wie ein Wilder auf den schwarzen Kasten ein. Ich dachte noch, dass auch dies den Kasten nicht sonderlich beeindruckte.
Bis er sich dann plötzlich, beim letzten Schlag von Bob, aus dem Schraubstock löste und mit voller Wucht gegen die Wand knallte.
Plötzlich regnete es Geldscheine und Papierschnipsel. Molly und ich schauten uns verwundert an. Nein, es waren keine Schnipsel, es waren Briefmarken. Vor Bobs Füßen landete ein schwarzes Buch.
„Wer sagt es denn… blödes Mistding“, fluchte Bob.
Aber auch er verstummte abrupt, als er den Geldregen sah.
„Was ist das denn?“, fragte Molly.
„Ähm…Geld?“, antwortete ich und grinste.
„Blödmann, das weiß ich selber. Aber was für Geld?“
„Australisches?“
Dies konnte ich mir nicht verbeißen und lachte anschließend laut los. Molly knuffte mir in die Rippen und half mir die Scheine aufzuheben. Die Tür zur Garage ging auf.
„Na, habt ihr ihn… oh, was ist dass denn?“, kam es von Abby, die die Garage betrat.
„Geld?“, fragte ich wieder und Molly fing nun ebenfalls laut an zu lachen.
„War das in dem Kasten drin?“
„Unter anderem“, kam es von Bob, der uns nun half, die Scheine aufzuheben.
„Noch etwas?“, fragte ich nun auch erstaunt.
„Dieses Buch hier und ein paar Briefmarken.“
Sie schaute sich das Buch an und gab es dann mir.
„Ähm, warum gibst du das mir?“, fragte ich erstaunt.
„Du hast es gefunden und dem Finder soll das gehören“, erklärte Abby.
„Aber das gehört doch deinem Vater.“
„Klar, aber wenn er haben wollte, warum hat er es dann nicht mitgenommen? Der Mann ist siebzig Jahre alt und voll bei Verstand“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Und zudem scheint es ja nicht viel Geld zu sein. Sieh es als Taschengeld an.“
„Aber…“, wollte ich protestieren, aber Abby drückte ihre Fingerspitze an meinen Mund und ich schwieg.
„Gehen wir wieder rein?“, fragte Bob.
„Ja, gleich, ich helfe Tom nur noch, alles einzusammeln“, meinte Molly.
Die zwei Erwachsenen verschwanden ins Haus.
„Nimm du wenigstens die Hälfte?“, meinte ich zu Molly.
„Wieso denn, du hast es gefunden, also gehört es dir.“
„Du warst dabei… bitte.“
„Bevor ich mich schlagen lasse…, also gut“, meinte Molly, „danke!“
„Die Briefmarken scheinen sehr alt zu sein“, sagte ich, als ich sie mir näher betrachtete.
„Vielleicht sind sie ja wertvoll?“, erwiderte Molly.
Wir sammelten alles zusammen und taten es wieder in den schwarzen Kasten zurück, bevor wir ins Haus zurückgingen.
*-*-*
Endlich war alles weggeräumt und ich fiel kaputt ins Bett. Aber die Zeitumstellung durch den Flug machte mich total wirr. Ich war müde, aber trotzdem irgendwie nicht. So schnappte ich mir den schwarzen Kasten und nahm das Buch heraus.
Dann ließ ich mich auf mein Kissen nieder und schlug es auf. >James Tippton< Das war wohl der Name von Mollys Großvater. Ich blätterte die ersten Seiten durch und stellte fest, dass es sich um ein Tagebuch handelte.
Mollys Grandpa hatte also ein Tagebuch geführt. Ich überflog einige Stellen und fand mich in einer Zeit wieder, über die ich höchstens etwas aus dem Geschichtsunterricht wusste. Unter dem Daumen fielen die Blätter endlos durch, bis ich die letzte beschriebene Seite fand.
Als erstes fiel mir ein vierblättriges Kleeblatt entgegen. Ich nahm es vorsichtig von meinem Shirt und legte es auf meinen Nachttisch. Nur langsam gewöhnte ich mich an die Schrift, konnte sie aber doch lesen.
…ich weiß nicht wie ich diese Schuld tragen soll. Aber sagen kann ich auch niemand etwas. Wo immer auch Timothy jetzt ist, ich werde im Gedanken immer bei ihm sein…
Schuld? Ich blätterte eine Seite nach vorne. Das Datum fiel mir ins Auge. 1957. Wenn ich davon ausgehe, dass er heute siebzig ist, dann war er zum Zeitpunkt des Eintrages gerade mal zwanzig.
Aber welche Schuld meinte er? Ich blätterte langsam zurück und immer wieder stach mir der Name Timothy ins Auge. Die Einträge waren zwar von der Zeit her unregelmäßig, aber jedes Mal konnte ich den Namen Timothy lesen.
Etwa ein Jahr zurück fand ich dann den ersten Eintrag.
… heute sind die neuen Nachbarn eingezogen. Meine größte Überraschung war, der Sohn des Hauses ist so alt wie ich. Endlich mal eine gute Nachricht in diesem Kaff…
Also waren beide neunzehn, als sich James und Timothy kennen lernten. Interessiert las ich weiter, überflog nun nicht mehr die Seiten, sondern las jede mit Aufmerksamkeit. Einen Eintrag, etwa ein halbes Jahr später, fand ich recht interessant.
…Timothys Idee, gemeinsam Angeln zu gehen, war gut. Wir hatten sehr viel Spaß, auch wenn wir nicht einen Fisch gefangen hatten. Es war auch das erste Mal, dass ich nackt schwimmen war. Timothy schien das nichts auszumachen. Er zog sich einfach vor mir aus und sprang in die Fluten. Etwas benommen, tat ich es ihm gleich. Aber die Angst, entdeckt zu werden, war schnell vorbei. Wir hatten einfach nur riesigen Spaß. Es machte mir auch nicht aus, dass Timothy seinen Kopf auf meinen Bauch legte, als wir uns nackt in der Sonne trocknen ließen…
Erste Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht, oder was war das hier? Wobei, wenn Mollys Grandpa schwul gewesen wäre, würde es dann Abby, ja auch Molly geben? Der Eintrag endete hier und ich musste gähnen.
Jetzt hatte die Müdigkeit wohl doch gesiegt. Ich legte vorsichtig das Kleeblatt in die aufgeschlagene Seite und schloss das Buch. Morgen konnte ich weiter lesen, ich war jetzt einfach zu müde dazu.
*-*-*
War das ein Hahn, der da grad gähnte, oder träumte ich noch? Ich streckte mich und öffnete die Augen. Die Sonne war gerade am Aufgehen und es traf mich ein Strahl. Müde blinzelte ich ihr entgegen.
Da fiel mein Augenmerk auf das schwarze Buch, das neben mir auf dem Nachttisch lag. Die Erinnerung kam zurück und ich nahm mir vor, später weiter zulesen. Aber erstmal musste ich auf die Toilette. Gustav hob nur kurz den Kopf an, bevor er ihn wieder auf die Decke plumpsen ließ. Er war wohl auch sehr müde. Toilette und Bad waren sehr schnell hinter mich gebracht. Noch schnell ein paar Klamotten an und schon war ich auf dem Weg zur Küche.
„Morgen Tom. Na, ausgeschlafen?“, fragte Abby, die sich gerade Kaffee nachgoss.
„Ja“, meinte ich gähnend.
„Sieht nicht so aus… morgen Tom“, meinte Bob, der von seiner Zeitung aufsah.
„Doch, doch, alles im grünen Bereich“, erwiderte ich.
„Übrigens – Berry hat abgerufen“, sprach Abby weiter.
Langsam goss ich mir auch einen Kaffee ein.
„Und was wollte er?“, fragte ich.
„Dich!“, meinte Bob mit einem süffisanten Grinsen.
Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse.
„Ich habe gesagt, wenn du wach bist, meldest du dich bei ihm.“
„Okay… Ich rufe ihn gleich nach dem Frühstück an.“
Mein Schatz verlangt nach mir. So kann der Morgen immer anfangen. Aber erst mal etwas essen, bevor ich ihn anrufe. Anrufen… da fällt mir ein, ich habe nicht mal seine Nummer.
„Ähm…, könnt ihr mir Berrys Nummer geben?“, fragte ich verschämt.
Abby und Bob fingen laut an zu lachen.
„Was denn? Bis jetzt habe ich Berry jeden Tag gesehen. Wer braucht da ein Telefon?“
„Ich habe da etwas für dich“, meinte Bob und pfriemelte etwas aus einem Umschlag.
Fragend schaute ich ihn an.
„Eine neue Simcard für dein Handy. Die aus Amerika kannst du hier ja wohl nicht verwenden.“
„Ähm ja… daran habe ich noch gar nicht gedacht.“
„Molly hat auch eine von uns bekommen. So kannst du uns oder wir dich jederzeit erreichen“, erklärte Abby.
„Cool … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, meinte ich gerührt.
„Wie wäre es mit >Danke<?“, fragte Bob.
„Ähm… ja natürlich. Danke euch beiden!“
„Sie ist frei geschaltet, du kannst sie gleich verwenden und Berry anrufen.“
„Stimmt!“
Ich holte schnell mein Handy im Zimmer und legte die neue Card ein. Das Handy war schnell wieder zusammengebaut und auch angeschaltet.
„Auf was warest du, ruf Berry gleich an“, meinte Abby.
„Ich weiß seine Nummer immer noch nicht…“
„Draußen im Telefonbuch findest du Lindas Telefonnummer, speichere sie gleich ab.“
„Okay, danke!“
Ich lief hinaus in den Flur, nahm mir das Telefonbuch meiner Tante und verzog mich nach draußen auf die Veranda. Dort machte ich es mir auf der Bank bequem. Gustav rannte indessen zu den anderen Hunden. Es dauerte eine Weile, bis ich Lindas Telefonnummer fand. Ich speicherte sie ab und ließ auch gleich wählen.
„Lesley hier.“
„Hallo Lesley, hier ist Tom. Kannst du mir Berry geben?“
„Hallo Tom, warte einen Augenblick, der ist im Bad.“
Ich hörte, wie Lesley die Treppe hinauf rannte, eine Tür öffnete und nach Berry rief.
„Moment, ich geb’ ihn dir“, hörte ich ihn sagen und bevor ich danke sagen konnte, war er auch schon weg.
„Tom?“, hörte ich Berrys unverkennbare Stimme.
„Ja, ich bin es. Hallo mein Schatz. Du hast schon angerufen?“
„Ja…, ich habe dich so vermisst.“
Ich musste lächeln.
„Was machst du gerade?“
„Ich steh hier völlig nackt und tropfend.“
„Bitte?“
„Ich war grad am Duschen.“
„Ach so, habe ich schon hinter mir.“
„Können wir uns sehen?“
„Ja klar.“
„Ich komm dann zu dir, okay?“
„Freu mich schon!“
„Hab dich lieb!“
„Ich dich auch Berry!“