Zoogeschichten III – Teil 108

Stille

Dennis

„Er ist plötzlich bei mir am Bärchenkäfig aufgetaucht“, meinte ich nur.

Phillip schaute seinen Sohn durch dringend an.

„Wie oft hat Mama dir schon gesagt, dass du nicht weglaufen darfst?“, fragte Phillip im ruhigen Ton.

Der Kleine zuckte mit den Schultern.

„Ich bin dir jetzt nicht böse, Flo, aber es kann soviel passieren, wenn du ohne Mama und Papa unterwegs bist.“

Nun nickte Flo.

„Was ist denn passiert, war es wieder dieser Bastian?“

Oh, anscheinend gab es da schon öfter Vorkommnisse, vermutete ich. Wieder nickte Flo.

„Und was haben wir gesagt, was machst du, wenn er das wieder macht?“

Von Flo kam keine Antwort und Phillip verstärkte seine Frage durch einen fragenden Gesichtsausdruck.

„Zu Tante Brigitte gehen und es sagen“, kam es fast nicht hörbar über Florians Lippen.

„Und warum hast du das nicht gemacht?“

Wieder zuckte Flo nur mit den Schultern.

„Okay, wir beide gehen zurück zum Kinderhort und dann reden wir gemeinsam mit Tante Brigitte. Ich kann dir aber nicht versprechen, dass Mama nicht mit dir schimpft… okay?“

„Ja.“

Der Kleine tat mir irgendwie Leid, aber da musste er wohl durch.

„Du Phillip, ich muss zurück ins Bärenhaus“, meinte ich.

„Danke, dass du Flo hergebracht hast.“

„Nichts zu danken. Habe ich gern gemacht. Tschüss ihr beiden.“

Flo winkte mir mit seinem bekannten verschmitzen Lächeln zu. So, jetzt musste ich mich aber sputen. Louis wollte vorbei kommen, damit ich ihm alles Wichtige im Zusammenhang mit den Kleinbären zeigen konnte.

Robert

„Doc Reinhard kommt gleich, wegen Dana, eine Nachuntersuchung“, meinte Heike.

„Okay, ich geh dann schon mal Fisch holen.“

Ich ging zum Kühlhaus, um meinen Eimer neu zu bestücken. Als ich an der Umkleide vorbei kam, hörte ich mein Handy klingeln. Ich stellte den Eimer ab, lief zu meinem Spint und holte das Handy heraus.

Adrian!

„Hallo mein Schatz“, meinte ich, nachdem ich abgenommen hatte.

„Hallo, wo steckst du denn?“

„Im Delfinarium, wo sonst?“

„Ich hab schon tausend Mal angerufen, du hast nicht abgenommen.“

„Adrian…, ich habe das Handy im Spint. Ich kann das nicht mit ans Becken nehmen.“

„Oh…, daran hab ich jetzt nicht gedacht.“

Ich musste grinsen.

„Woran hast du denn gedacht?“

„Öhm… an dich!“

Wieder musste ich grinsen.

„Sonst noch an etwas?“

„Öhm… nein, reicht das nicht?“

„Im Bezug auf mich schon, aber…“

„Aber?“

„Ja aber… ich habe gesagt, du sollst dein Studium nicht vernachlässigen!“

„Ja, Papa!“

Oller Blödkopp!

„Okay, mein Sohn, dann widme dich deinen Texten, mich hast du heute Abend wieder.“

„Erst heute Abend?“

„Och Adrian, mach es mir doch nicht so schwer…“

„Du fehlst mir halt.“

„Du mir doch auch!“

„Robert? Kommst du? Doc Reinhard ist da“, schallte es aus der Halle.

„Du Adrian, ich muss Schluss machen, mein Typ wird verlangt.“

„Ich war erster!“

Mein Grinsen wurde zu einem breiten Lächeln.

„Ich liebe dich mein Großer.“

„Ich dich auch“, seufzte Adrian.

„Hat sich aber grad nicht überzeugend angehört“, meinte ich.

„Bäääähhh“, brüllte Adrian ins Telefon.

„Zicke!“

Ich konnte sein Grinsen förmlich sehen.

„Tschüss Rob, ich liebe dich trotzdem!“

„Tschüss mein Schatz, bis heute Abend.“

„Ja, bis dann.“

Ich steckte das Handy zurück in den Spint und holte eilig meine Fische.

Michael

„Du Micha, du sollst kurz zu Kevin kommen. Savannenhaus“, rief mir Volker zu.

„Okay.“

Ich legte meine Arbeitshandschuhe auf die Kiste und schwang mich aufs Fahrrad. Seit ich hier diesen Job innehatte, war Volkers Idee mit dem Fahrrad sehr nützlich gewesen. Da ich doch ab und an in den anderen Häusern gebraucht wurde, war ich viel schneller vor Ort.

Zwei Minuten später lehnte ich den alten Drahtesel ans Gatter, um das Savannenhaus zu betreten. Nach kurzer Suche fand ich Kevin, zusammen mit Silvia bei den Antilopen.

„Du hast nach mir verlangt?“, fragte ich, ohne zu grüßen.

„He, hallo Micha. Ja, ich brauche deine Hilfe“, kam es von Kevin.

„Wo drückt der Schuh?“

Kevin grinste, legte seine Hand auf meine Schulter und zeigte in den Käfig. Mein Blick folgte seinem Fingerzeig und endete auf einer der Impalas, die angelehnt in der Box stand.

„Und?“, fragte ich.

„Ich weiß, dass du zu Shawn eine gute Beziehung hast, du hast ihn schließlich mit aufgezogen“, antwortete Kevin.

„Was ist mit ihm?“

„Er will nichts mehr fressen.“

Ich öffnete langsam die Box und trat hinein. Shawn war ein dreijähriger Impalabock, bei dessen Aufzucht ich mit dabei sein durfte. Seine Mutter hatte ihn verstoßen und somit war es an uns, ihn groß zu ziehen.

Vorsichtig näherte ich mich ihm, doch hob er weder den Kopf, noch machte er sonst irgendwelche Regungen. Er stand einfach nur da.

„He, alter Junge, was ist los?“, fragte ich und klopfte leicht auf dessen Rücken.

Nun zuckte er zusammen und hob den Kopf.

„So benimmt er sich schon die ganze Zeit. Er regiert nicht einmal mehr aufs Rufen“, kam es von Kevin.

Shawn stupste mich mit der Schnauze an, so, wie er es immer getan hatte.

„Was ist los?“, fragte ich leise und streichelte ihn mit einem Finger die Nase hinunter.

Sein Kopf senkte sich und glitt zu den Taschen meiner Weste. Natürlich hatte ich wie immer irgendwelche Naschereien für die Tiere dabei. Dieses Mal waren es zwei Möhren. Ich holte eine der Möhren heraus und hielt sie ihm hin.

Ruhig knabberte er an der Möhre und mein Blick wanderte zu Kevin, der ratlos mit den Schultern zuckte.

„Habt ihr schon nach Doc Reinhard gerufen?“

„Ja, aber der ist im Augenblick bei den Delfinen“, antwortete Silvia.

„Und wie verhält er sich draußen?“, fragte ich.

„Was meinst du?“, kam es von Kevin.

„Läuft er herum, steht er nur herum, was macht er?“

„Heute wollte er überhaupt nicht nach draußen. Gestern hielt er sich nur in der Nähe des Eingangs auf.“

„Okay, öffnet ihr mal die Schiebetür?“

„Du willst mit ihm raus?“

„Ja, klar.“

Kevin schüttelte den Kopf und ging an die Verriegelung.

„Du weißt schon, dass alle anderen auch draußen sind?“, fragte Kevin.

„Ja, nun mach schon.“

„Auf deine Verantwortung!“

Kevin entriegelte den Zug und schob ihn nach oben. Der Bretterverschlag öffnete sich und gab freie Sicht nach draußen. Langsam setzte ich mich in Bewegung und Shawn folgte mir.

Die anderen Tiere nahmen fast keine Notiz von uns. Alles war ruhig. Nur der Lärm der Baustelle war zu hören. Shawn lief mir langsam nach und knabberte weiter an der Möhre. Kevin und Silvia traten nun ebenfalls ins Freie, außerhalb des Gatters.

Mir fiel auf, dass Shawns Ohren sich nicht so häufig wie sonst bewegten. Sonst gingen sie in jede Richtung, aus der eine Geräuschquelle kam, aber nun?

„Shawn?“, rief ich.

Die anderen Tiere reagierten, hoben den Kopf, oder kamen in Bewegung. Nur Shawn stand mit gesenktem Kopf da und verspeiste weiter die Karotten, die ich ihm gegeben hatte. Ich ging wieder zu ihm, so dass er mich bemerkte.

Sein Kopf schnellte hoch, so dass unsere Gesichter fast in gleicher Höhe waren.

„Was ist nur mit dir los?“, meinte ich.

Mein Blick fiel wieder auf die Ohren, die einfach nur da standen. Ich hob Shawn am Hals und stellte mich neben ihn. Vorsichtig wanderte meine Hand zum Ohr. Gerade, als ich es richtig berühren konnte, zuckte Shawns Kopf weg und er machte ein paar Schritte weg von mir.

„Psssssch… is ja gut.“

Ich näherte mich ihm wieder und versuchte, in eins der Ohren zu schauen. Es war recht mühsam, denn seit ich ihn dort berührt hatte, hielt er seinen Kopf nicht mehr still. Er versuchte, seine Ohren an den Vorderläufen zu reiben.

Für mich nicht ganz ungefährlich. Shawn hatte ein herrliches Geweih und nicht gerade kurz. Es hätte ihm ein leichtes sein können, mich damit zu verletzten. Endlich gab er einen Blick frei und ich konnte mir ein Ohr genauer anschauen, ohne es zu berühren.

„Ist euch nicht aufgefallen, dass das Ohr voller Eiter ist?“, rief ich Kevin zu.

Der schüttelte den Kopf. Ich lief um Shawn herum und versuchte, auch das andere Ohr anzusehen. Wie ich befürchtet hatte, hier war das Gleiche.

„Kein Wunder, dass er nichts mehr frisst. Ich glaube, Shawn hört nichts mehr“, rief ich Kevin und Silvia zu.

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