Suddenly royal – Teil 1

Gedankenverloren stand ich an den Baum gelehnt. Es war zwar recht kühl und es fror mich auch leicht, aber es war mir schlicht weg egal. Sabrina trippelte neben mir von einem Fuß auf den Anderen.

Im Hof tobten die Unterstufen und spielten Fangen. Mein Blick wanderte über die Herren der Schöpfung, die sich ihren Weg durch den Hof und den Wiesen bahnten. Doch wie sollte man jemand der schwul ist erkennen?

Verzweifelt wanderte mein Blick weiter. Als hätte Sabrina meine Gedanken gelesen, knuffte sie mich in die Seite. Sie kannte mich einfach zu gut.

„Ach komm schon, Jack. Mit deinen ungefähren 1,85 m hast du Idealgröße. Dein fast schulterlanges, braunes Haar, das Wirr ins Gesicht hängt, ist absolut trendy. Deine Segelei hinterlässt deutlich Spuren an deinem Körper und nicht zu vergessen diesen Womannizerblick mit passendem strahlendem Gesicht dazu. Zum dahin schmelzen.“

Ich wurde rot. Sabrina hatte ja Recht, ich konnte mich wirklich nicht über mein Aussehen beschweren, trotzdem fehlte etwas Entscheidendes. Ein Freund!

„Jetzt zieh doch nicht so einen Schmollmund, wärst du nicht schwul, hätte ich dich schon längst eingefangen.“

„Ich bin es aber…“, gab ich von mir.

„Fehlt jetzt nur noch das Wort leider, als würdest du es bereuen auf Jungs zu stehen.“

Sabrina fing an zu kichern und schaute sich um. Ihre blonden Locken tanzen auf dem Kopf, als wären sie aus Gummi. In der Schuluniform könnte man sie fast für eine fünfzehn Jährige halten, doch sie war wie ich bereits achtzehn.

„Schau auf den Schulhof! Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier alle Jungs hetero sind.“

Sie hatte Recht! Auf einer Schule mit fast Tausend Schüler war bestimmt mindestens einer schwul…, nämlich ich… Ich musste kichern.

„So gefällst du mir schon besser. Was steht eigentlich am Wochenende oder nächste Woche an?“

Stimmt ja, nächste Woche hatte unser ehrwürdiges Haus geschlossen. Ehrwürdig? Ich wusste nicht, wie lange das Haus schon als Schule fungierte. Nach der Bausubstanz zu urteilen sehr lange.

Die Türen, egal welche, waren alle sehr groß, die Türgriffe schwer erreichbar, weil recht weit oben angebracht. Die Unterstufe hatte wohl ihre Probleme, richtig an die Griffe zu kommen. Die Sprossenfenster dienten wohl auch nur mehr der Kulisse.

Im Sommer hielten sie die Wärme nicht ab und im Winter wünschte ich mir ab und zu Handschuhe während des Unterrichts zu tragen, aus Angst die Finger könnten abfrieren. Und die Lehrerschaft…?

Die konnte noch aus dem letzten Jahrhundert stammen. Alle kurz vor den Pensionsanspruch und doch wollte keiner gehen, Platz machen für Jungvolk. Einzig die Außenanlagen hier gefielen mir.

Trotz mitten in der Stadt gelegen, war das Haus von großen Grünanlagen umgeben und in diesen Anlagen hielt ich mich gerade mit Sabrina auf.

„Ich weiß nicht, ob meine Mum etwas geplant hat. Ansonsten habe ich noch nichts groß geplant.“

„Da wird sich sicher eine Beschäftigung finden lassen.“

Der Gong ertönte und beendete unsere Pause und somit auch unser Gespräch.

*-*-*

Ich schloss die Wohnungstür unserer kleinen Wohnung auf, die Mum und ich bewohnten. Eine Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad. Alle Zimmer recht klein, aber für uns reichte das.

Froh einem Gespräch mit der alten Horrisen entgangen zu sein, ließ ich die Tür schnell ins Schloss fallen. Sie passte mich sonst immer im Flur ab und drückte mir ein Gespräch rein. Die News über die Nachbarschaft.

Doch heute kam ich ja früher nach Hause als sonst und somit stand sie nicht im Flur.

„Hallo Jack, schon zu Hause?“, hörte ich Mum aus der Küche rufen.

Etwas erschrocken ließ ich meinen Rucksack zu Boden gleiten.

„Das Gleiche könnte ich dich fragen“, erwiderte ich und betrat die Küche.

„Hallo Schatz“, begrüßte sie mich und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Sie war ungewöhnlich gut gelaunt und putzte wie eine wilde die Küche. Beides recht merkwürdig. Sonst war sie total geschafft, wenn sie aus dem kleinen Schuhladen nach Hause kam.

Zudem putze sie genauso ungern wie ich.

„Hallo Mum. Ich habe eine Woche frei, falls du das vergessen hast.“

„Vergessen habe ich das nicht, aber mir war nicht klar, dass du früher nach Hause kommst.“

„Hast du den Laden dicht gemacht?“

Sie nickte und spülte den Lappen aus.

„Gibt es dafür einen besonderen Grund? Also es ist schon komisch, dass unsere Küche so…, so auf Hochglanz ist…“

„Jack…“

„Damit wollte ich nicht sagen, dass sie sonst dreckig ist“, warf ich noch ein, nach dem ich bemerkt hatte, was ich da gerade gesagt hatte.

„Zum Ersten bekommen wir Besuch und zum Zweiten habe ich beschlossen, nächste Woche den Laden dicht zu lassen und mit dir eventuell zwei oder drei Tage weg zufahren.“

Hatte ich mich etwa verhört? Wegfahren? Mum lachte, denn sie konnte anscheinend meinen fragenden Gesichtsausdruck richtig deuten.

„Keine Sorge. Ich habe die letzten Monate richtig gut verdient und so ein paar Tage tun uns beide gut.“

Stimmt, große Sprünge konnten wir uns nicht leisten. Die Schule war teuer und die Wohnung und unser Unterhalt kostete ja auch Einiges. Da ein Geld verdienendes Oberhaupt in der Familie fehlte, waren wir oft knapp bei Kasse.

Dieses Oberhaupt hatte ich nie kennen gelernt, da er, mein Vater, kurz nach meiner Geburt bei einem Unfall starb.

„Wärst du so nett und würdest du dein Zimmer noch auf Vordermann bringen? Den Rest der Wohnung habe ich schon durch.“

„Wer kommt denn, dass du so einen Reinigungsfimmel an den Tag legst?“

„Dein Großvater…“

„Grandpa kommt, cool. Aber deshalb musst du doch nicht die ganze Wohnung auf den Kopf stellen.“

„Nicht mein Vater…“

Fragend schaute ich sie an.

„Der Vater deines Vaters…“

„Oh…?!?“

Sie hielt wie ich in ihrer Bewegung inne. Ihr Blick war viel sagend und warf eine Menge Fragen in mir auf.

„Wieso…, also ich meine…, warum…?“

„Ich weiß auch nicht, warum er uns mit seinem Besuch beehrt, was aber kein Grund ist, dein Zimmer nicht aufzuräumen.“

„Ich geh ja schon…“, meinte ich.

Gegen meine Gewohnheit lief ich in den Flur und zog meine Schuhe aus. Fein säuberlich stellte ich sie neben Mums Schuhe. Mit dem Rucksack in der Hand betrat ich dann mein Zimmer.

Das Chaos pur, genauso wie in meinen Kopf. Langsam entledigte ich mich meiner Schuluniform und zog meinen Trainingsanzug an. Warum auf einmal kam dieser Mann zu Besuch?

Und warum hatte Mum deshalb gute Laune? Bisher war sie nie auf diesen Zweig der Familie gut zu sprechen. Ich wusste, so gut wie nichts über diese Familie, ob sie groß war, oder ob sie Geld hatte.

Lediglich als Namensgeber fungierten sie, Newbury, wie eine Stadt Hundert Kilometer südwestlich von London. Anfänglich war es schwer ohne Vater aufzuwachsen, doch mit der Zeit war mir unsere Minifamilie ganz recht.

Es störte mich nicht, dass niemand weiter Notiz von uns nahm. Weder Tanten noch Onkel interessierten mich, geschweige den irgendwelche Cousin oder Cousinen, wenn ich denn welche hatte.

Wir redeten einfach nicht über sie. Mein Bett war gemacht und meine benutzen Klamotten lagen alle auf einem Haufen. Der Schreibtisch sah noch heftig aus, aber erst wollte ich die Klamotten ins Bad bringen.

„Mum, wann wäscht du wieder?“, rief ich aus dem Flur in die Küche.

„Leg deine Sachen…“, sie kam in Flur, „… oh, das ist ganz schön viel…, leg sie einfach vor die Maschine, ich kümmere mich gleich darum.“

Ich nickte und betrat das Bad. Zweifelnd schaute ich mich um. Würde ich den Berg von Klamotten jetzt einfach dahin schmeißen, würde Mum die Tür nicht aufbekommen, geschweige denn ich aus dem Bad kommen.

So ließ ich sie einfach in die Wanne fallen und verließ das Bad wieder.

„Jack, hättest du Lust mit mir einen Kuchen zu backen?“

Wie… was? Einen Kuchen? Das hatten wir schon, ach ich weiß nicht, wie lange nicht mehr gemacht. Etwas verwirrt schaute ich in die Küche.

„Einen Kuchen?“

„Ja, dein Großvater kommt zum Tee und da wollte ich einen frischen Kuchen anbieten.“

„Einverstanden, aber ich muss noch meinen Schreibtisch aufräumen.“

Sie lächelte.

„Lass ihn, so wie er ist, denn es ist ja dein Arbeitsplatz, wenn du zu Hause bist und jeder kann sehen, dass du daran arbeitest.“

Die Logik meiner Mutter war mir nicht ganz geheuer, aber dagegen etwas zu sagen, davor hütete ich mich. Sparte es mir doch, dieses Chaos von Papieren, Bücher und Heften ordnen zu müssen.

„Was soll ich tun?“

„Kennst du das Rezept von unserem Apfelkuchen nicht mehr?“

Das war schon so lange her, ich wusste wirklich nicht mehr, wie das ging.

„Okay“, meinte sie, als würde sie meine Gedanken lesen.

Sie ging an den Kühlschrank und zog ein Netz mit Äpfeln heraus.

„Die kannst du schälen und in halbe Scheiben schneiden, ich kümmere mich um den Rest.“

Ich nickte und zog einen Messer aus der Schublade.

„Nimm den Schäler, dann geht es schneller“, meinte Mum.

Erneut öffnete ich die Schublade und suchte den genannten Schäler zwischen dem Besteck. Nach dem ich fündig wurde, begann ich die Äpfel zu schälen. Währenddessen stellte Mum einen Topf auf den Herd und warf ein Stuck Butter hinein.

Sie nahm eine Backform und legte Backpapier hinein.

„Wenn du mit den Äpfeln fertig bist, dann leg einfach den Boden damit aus.“

„Oh, das weiß ich noch“, meinte ich und schob mir ein Stück Apfel in den Mund.

Sie grinste und zog eine Plastikschüssel aus dem Schrank. Im Topf begann die Butter zu brutzeln. Sie schlug drei Eier auf und gab Zucker und Vanillezucker hinzu und begann zu rühren. Währendessen nahm ich mir den vierten und letzen Apfel vor.

Mum zog den Topf vom Herd und schüttete die zerlassene Butte auf das Backpapier.

„So fertig, jetzt kannst du die Äpfel verteilen.“

Ich nahm die halben Apfelscheiben und legte damit in Kreis die Backform aus. Mum holte Mehl, wog es ab, tat Backpulver hinzu. Aus dem Kühlschrank zog sie eine Zitrone heraus und eine Reibe hatte sie auch in der Hand.

Manchmal bewunderte ich sie, wie schnell sie uns immer etwas zu Essen zauberte. Danach rieb sie etwas Schale der Zitrone auf das Mehl, schnitt die Zitrone auf und drücke etwas Saft in den Teig.

Ich war mittlerweile fertig mit dem Auslegen.

„Kannst du mal schauen, ob der Ofen schon Temperatur hat?“, fragte sie, während sie das Mehl in den Teig rührte.

„Klar“, meinte ich und warf erst die Schalen der Äpfel in den Müll.

Das rote Licht war aus, also hatte der Ofen seine 175°C erreicht.

„Das Lämpchen ist aus“, sagte ich und schaute gespannt zu, wie sie den Teig über die Äpfel goss.

„So, jetzt fast eine Stunde in den Ofen und unser Apfelkuchen ist fertig.“

Sie stellte die Backform in das Fach und schloss die Tür. Ich schaute nun auf die Arbeitsfläche, die sich nach unserem gemeinsamen Backen wieder in ein Schlachtfeld verwandelte hatte.

„Könntest du noch den Tisch decken… für drei? Ich mache solange hier das alles noch weg.“

„Ähm…?“

„Ja?“

„Soll ich irgendwie eine Tischdecke auf den Tisch machen? Ich meine…“

„… nein, das kleine Deckchen langt, das auf den Tisch liegt, damit muss er sich begnügen. Wenn es ihm nicht gefällt, dann kann er wieder gehen…“, fiel mir Mum ins Wort.

„Okay“, sagte ich und ließ es das Thema ruhen.

Während Mum das Geschirr wusch, deckte ich das Teeservice ein.

„Servietten?“, fragte ich.

„Im Wohnzimmerschrank über dem Fernseher, da müssten noch welche liegen.“

Ich lief also ins Wohnzimmer und fand auch gleich die gesuchten Servietten. Etwas unwohl fühlte ich mich schon. Ich hatte diesen Mann noch nie gesehen, also real, auf Bildern mit Daddy schon, die waren aber alle über zwanzig Jahre alt.

Was wollte er plötzlich von uns, denn ohne Grund kam er ja nicht hier her. Es klingelte an der Tür. Erschrocken schlug ich die Schranktür zu und lief in die Küche.

„Kommt der jetzt schon?“, fragte ich entgeistert.

„Eigentlich war er erst für drei Uhr angemeldet“, antwortete Mum und legte das Geschirrhandtuch zur Seite.

Sie lief an die Tür, jedoch noch kurz in Spiegel schauend, um ihre Frisur zu richten. Dann öffnete sie langsam die Wohnungstür.

„Hallo Mrs. Newbury. Ich hatte vergessen Jack noch eine CD zu geben und da ich in den Ferien nicht da bin, wie ich eben erfahren habe, wollte ich sie ihm schnell vorbeibringen.“

„Hallo Sabrina…, komm doch herein.“

Ich atmete tief durch und fragte mich, ob ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte.

„Hi Sabrina“, meinte ich nur.

„Hi Jack“, erwiderte sie und folgte ohne Worte in mein Zimmer.

„Oh, was ist denn hier los, es ist so aufgeräumt… halt, der Schreibtisch sieht wie immer aus.“

„Wir bekommen Besuch. Was für eine CD hast du denn mitgebracht?“, fragte ich um von meinem Zimmer abzulenken.“

„Besuch? Deshalb räumst du auf? Hast du für mich noch nie gemacht!“

Ich verdrehte die Augen und Sabrina fing an zu kichern. Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen, während Sabrina auf dem Bett Platz nahm.

„Mein Großvater väterlicherseits kommt…“

„Den kenn ich ja gar nicht.“

Sabrina ging hier ein und aus. Wir kannten uns schon seit dem Kindergarten und waren also mit meiner Familie bestens vertraut.

„Ich auch nicht…“, meinte ich nur und nahm ihr die Cd aus der Hand, „ich zieh die mir schnell herunter, dann kannst du sie gleich wieder mitnehmen.“

„Jack…?“

„Ähm ja?“

„Was ist los?“

„Was soll los sein?“

„Du hast mir nie etwas über diesen Großvater erzählt und du bist völlig daneben, auf alle Fälle für meine Begriffe.“

Ich schaute sie an und atmete tief durch.

„Ich kann dir nur das erzählen, was ich von meiner Mutter weiß, denn ich habe noch nie jemand von der Familie meines Vaters gesehen.“

„Wieso? Wohnen sie so weit weg?“

„Nein…, aber sie wollen anscheinend nichts mit uns zu tun haben…“

Fragend schaute mich Sabrina an.

„Ich kann dir nicht erzählen, ich weiß absolut nichts! Dass mein Vater bei einem Unfall tödlich verunglückt ist, habe ich dir erzählt. Ich kenne die Stelle wo sein Grab ist, aber oft dort war ich nie gewesen. Ach ja, es soll sich um irgendeinen Landadel handeln, aber was das ist, weiß ich nicht, kenne mich da wirklich nicht aus.“

„Du sagst dies so abgeklärt, als würde es dich nicht berühren.“

„Mum und ich haben da nie groß drüber gesprochen, es hat mich auch nicht interessiert. Natürlich fehlt mir irgendwie ein Vater, aber das ist jetzt schon fast achtzehn Jahre her. Ich kann mich nicht an ihn erinnern, also weiß ich auch nicht richtig, wie es ist, einen zu haben.“

„Und du hast noch nie einen von denen gesehen?“

„Nicht, dass ich mich erinnern könnte.“

„Halt mal…, dass würde ja heißen, dass du ja adelig bist…“, meinte Sabrina und kicherte.

Dieser Gedanke war mir bisher nie in den Sinn gekommen, weil ich über diese Familie auch nie nachgedacht hatte. Ich stand auf und lief zur Tür.

„Mum, sind wir irgendwie adelig?“

Sie kam aus der Küche.

„Wie kommst du denn jetzt da drauf?“

„Entschuldigung, Mrs. Newbury, aber auf die Idee bin ich jetzt gekommen“, meinte Sabrina kleinlaut.

„Ach so. Soviel ich weiß hast du einen Titel, da müsste ich aber erst nachschauen.“

„… einen Titel?“, fragte ich verwundert.

Mum nickte und Sabrina kicherte weiter. Sie verschwand im Wohnzimmer.

„Welchen Platz hast du dann in der britischen Thronfolge?“, fragte Sabrina und fing laut an zu lachen.

Irritiert schaute ich sie an.

„Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand, es reicht mir schon, wenn die Familie adelig ist. Mit so etwas wollte ich eigentlich nichts zu tun haben.“

„Warum? Du könntest mir doch dann sicher ein Treffen mit Prinz Harry vermitteln.“

„Ich glaube kaum, dass der auf blonde Löckchen steht.“

„Wieso denn nicht? Ich finde meine Löckchen super! Oder machst du dir selbst Hoffnungen?“

Entsetzt sah ich sie an und hob meinen Zeigefinger vor den Mund. Sie zog den Kopf ein, zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen.

„… ähm…, mir ist das alles irgendwie zu vornehm…, mir reicht schon unsere Schule und die Uniform…, mehr vornehm braucht nicht zu sein!“

„Ich find das irgendwie cool“, meinte Sabrina, während plötzlich Mum wieder im Zimmer stand.

Ich atmete tief durch, denn Mum schien vor lauter Sucherei, nichts von unserem Gespräch mitbekommen zu haben. Etwas erleichtert atmete ich wieder aus. Ein Outing auf diese Art, wollte ich mir ersparen.

„Da sind deine Geburtspapiere.“

„Ja und?“, fragte ich.

Mum grinste und mir wurde irgendwie unheimlich. Im Hintergrund konnte ich Sabrinas Kichern vernehmen.

„Du bist auf den Namen Jack Joseph Lewis Baron of Newbury getauft.“

„Ach du heilige Sche…! Was für Namen?“

Sabrina fing lauthals an zu lachen und wälzte sich auf dem Bett.

„Durch die Heirat mit deinem Vater, der Earl of Newbury, wurde ich automatisch die Contess of Newbury. Dein Vater hat den Namen Jack ausgesucht und Joseph und Lewis, die Namen deiner Großväter wurde traditionell hinten angehängt.“

„Ich bin ein Baron… of Newbury?“, fragte ich ungläubig.

„Ja!“

Sabrina stand auf und verbeugte sich.

„Baron of Newbury“, meinte sie nur.

„Lass den Käse, ich finde das gar nicht lustig. Mum, warum hast du mir das nie gesagt?“, meinte ich ärgerlich, während Sabrina lachte und meine Mutter versuchte ihr Grinsen zu minimieren, was ihr aber leider nicht gelang.

„Jetzt werde nicht gleich sauer! Ich hielt es einfach nicht für nötig. Zudem wollte ich nach dem Tod deines Vaters nichts mehr mit dieser Familie zu tun haben, auch nicht mit diesen Titeln.“

„Das geht einfach so?“, fragte Sabrina erstaunt.

„Was?“

„Jacks Titel nicht angeben.“

„Ja, ist doch kein Problem. Natürlich habe ich es bei der Anmeldung an der Schule angegeben, aber darauf bestanden, dass Jack nur mit Jack Newbury angesprochen wird und dieser Wunsch wurde mir erfüllt. Ich wollte keine Bevorzugung.“

„Danke auch“, schmollte ich.

Jetzt verstand ich gar nichts mehr, oder eher, nun wusste ich auch, was der Rektor mit seinen Bemerkungen immer meinte, des Standes wegen und so, woraus ich mir nie einen Reim machen konnte. Ich musste mich setzten.

„Dein Großvater ist übrigens der Duke of Newbury.“

„Aha…“, meinte ich und starrte erneut auf meine Geburtsurkunde.

„Ich muss mich fertig machen, dein Großvater wird bald da sein“, sagte Mum und verschwand wieder.

„Da werde ich mich mal auf die Socken machen, die CD kannst du mir auch nach den Ferien geben.“

„… willst…, willst du nicht hier bleiben?“, fragte ich leise.

„Wieso? Soll ich dir Händchen halten?“

Sie kicherte wieder.

„Da musst du ganz alleine durch. Aber eins kann ich dir versprechen, wenn wir uns das nächste Mal treffen, musst du mir alles Haarklein erzählen!“

Ich nickte, schaute sie aber nicht an.

„Jack?“

„Äh ja?“

„Das wird schon, okay?“

„Ja… entschuldige, ich bin jetzt etwas durch den Wind.“

Sabrina lachte laut.

„Etwas ist gut. Okay, ich bin dann weg. Ich melde mich, wenn ich zurück bin und … etwas Zeit habe.“

„Okay…“

Sie umarmte mich, gab mir ein Küsschen auf die Stirn.

„Und Baron Jack, nach den Ferien will ich ganz genau wissen, nicht vergessen!“

„Ja, das erzähle ich dir auf alle Fälle!“

Sie verließ mein Zimmer und ich schaute wieder auf die Geburtsurkunde.

Jack Joseph Lewis Baron of Newbury

*-*-*

Mum verlangte natürlich, dass ich noch etwas Anständiges anzog. Mit einer Jeans und einem Hemd gab sie sich aber zufrieden. Der Kuchen war fertig und stand nun aufgeschnitten auf dem Küchentisch.

Erneut klingelte es an der Tür. Mum schaute mich an und atmete noch einmal tief durch. Sie war mindestens genauso aufgeregt wie ich. Geredet hatten wir die letzte halbe Stunde nichts mehr. Beide waren wir zu sehr in unsere Gedanken vertieft.

Sie lief zur Tür und öffnete.

„Hallo Charlotte“, hörte ich jemand mit tiefer Stimme sagen.

„Hallo Joseph…, ähm komm doch herein.“

Ich hörte, wie die Wohnungstür geschlossen wurde.

„Kann ich dir den abnehmen?“, fragte Mum.

„Ja, natürlich. Danke!“

Ich hielt die Luft an und Mum kam in die Küche. Ihr folgte ein älterer vornehm gekleideter kleiner Mann. Er war noch ein halber Kopf kleiner als Mum und recht langsam in seinen Bewegungen.

Er stützte sich auf einen Stock ab.

„Darf ich dir deinen Enkel Jack vorstellen?“

Nun schaute er mir direkt in die Augen. Sie strahlen Ruhe und Freundlichkeit aus.

„Hallo Jack“, meinte er und hob die Hand.

„Ähm… hallo… Grandpa…“, meinte ich stotternd und schüttelt ihm die Hand.

„Man bist du groß und gut siehst du aus“, sagte der fremde Mann mir gegenüber, „wie dein Vater.“

Mein Vater. Ich hatte schon lange nicht mehr auf das Bild von Vater geschaut, es hing halt an der Wand im Wohnzimmer. Also musste ich den Vergleich mal glauben. Ich nickte. Sekundenlang passierte gar nichts.

„Setzten wir uns doch“, meinte Mum und bot meinem Großvater einen Stuhl an.

Er schaute sich etwas um und setzte sich. Mum und ich taten es ihm gleich.

„Schön habt es ihr hier…, vielleicht etwas klein.“

„Uns reicht es…“, erwiderte Mum sofort und deutlich spürte ich den negativen Unterton, der in ihrer Stimme klang.

Grandpa griff nach ihrer Hand und seufzte.

„Charlotte, glaub mir, ich weiß ich habe Fehler gemacht und es ist viel falsch gelaufen, die letzten Jahre. Aber das möchte ich jetzt wieder gut machen…, soweit sich dies wieder gut machen ist. Im Augenblick kann ich nur Entschuldigung sagen.“

„Etwas spät…“, meinte Mum verbittert und stand auf.

Ihre Hand glitt aus Grandpas Hand. Mum nahm die Kanne und schenkte Tee aus, ohne zu fragen.

„Ich wollte nie über Isaacs Familie reden, besonders nicht in Gegenwart von Jack. Er sollte keine schlechte Meinung über die Familie bekommen…, ich habe einfach nichts über euch erzählt und Jack hat nie gefragt.“

Isaac, so hieß mein Vater aber ganz so stimmte es nicht, wir redeten nur einmal über die Familie meines Vaters. Es gab eine kurze Erklärung, seitens meiner Mum und Punkt. Mir kam auch nie mehr in den Sinn, nach ihr zu fragen. Es war bisher schlichtweg uninteressant für mich geworden. Doch nun weckte es mein Interesse.

„Weiß du eigentlich, wie dein Sohn zu Tode kam?“, fragte nun Mum und setzte sich wieder an den Tisch.

Grandpa wurde weiß im Gesicht und schüttelte den Kopf.

„Isaac hielt dieses Schweigen nicht mehr aus, ihm fehlte seine Familie. Trotz des schlechten Wetters an diesem Abend beschloss er nach Newbury zu fahren und sich mit dir auszusöhnen.“

„Er fuhr zu uns?“, fragte der alte Mann ungläubig.

Sie nickte. Das war das erste Mal, dass Mum so detailliert vom Unfall erzählte. Ich wusste nur, dass er mit seinem Wagen verunglückt war. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit, die Härchen auf meinem Arm stellten sich und ich bekam eine Gänsehaut.

„Aber ich kann euch keine Schuld geben. Wäre da nicht dieser Betrunkene gewesen, der Isaac in den Wagen gefahren ist, wäre nichts passiert. Er hatte keine Chance und ist noch in seinem Wagen gestorben.“

Mum hielt kurz in ihrer Bewegung inne und atmete tief durch.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

„Wann sollte ich denn etwas sagen?“, meinte Mum vorwurfsvoll, „zu Isaacs Beerdigung ist außer Abigail niemand erschienen. Das war für mich das Zeichen, dass ich weiterhin nicht erwünscht war.“

„Es hat mir niemand etwas gesagt…“, meinte Grandpa.

Ich schaute Mum fragend an, aber sie schüttelte den Kopf.

„Ich erfuhr erst vom dem Tod deines Mannes, als er schon eine Woche beerdigt war. Henry und Sophia hatten das verhindert.“

Verwundert schaute ich meinen Großvater an. …deines Mannes…, wie er dass sagte, es war doch sein Sohn.

„Typisch für die beiden…“

Grandpa nahm zitternd einen Schluck Tee von seiner Tasse. Die Luft knisterte vor Anspannung. Was konnte ich nur tun, damit sich das änderte.

„… ähm, wer ist Abigail… Henry oder Sophia?“

„Die Geschwister deines Vaters…“, meinte Mum trocken und trank ebenfalls einen Schluck Tee.

Nun drehte Grandpa seinen Kopf zu mir.

„Du kennst niemanden aus deiner Familie?“

Ich schüttelte den Kopf und er senkte ihn.

„Ich weiß nicht, wieso ich erst jetzt auf die Idee kam, euch zu besuchen“, begann Grandpa plötzlich zu erzählen.

„Schon lange quält mich der Gedanke, dass ich noch eine Schwiegertochter und Enkel habe, über die ich eigentlich fast nichts weiß. Deines Vaters Geschwister haben in dieser Sache ganze Arbeit geleistet. Bis auf Abigail, sie hielt immer deinen Vater und tut es jetzt immer noch, für einen besonderen Menschen.“

„Das war… er auch“, sagte Mum leise und ich sah, wie ihr eine kleine Träne über die Wange ran.

Ich schaute meinen Großvater an.

„Ist irgendetwas?“, fragte er.

Ich nickte.

„Ich weiß, es steht mir wahrscheinlich nicht zu etwas zu sagen, noch kenne ich die Situation, was in der Familie passiert ist, aber warum kommst du gerade jetzt? Ich meine, ich bin jetzt achtzehn Jahre alt und weiß absolut nichts über euch, außer was ich gerade gehört habe… achtzehn Jahre in denen etwas fehlt.“

Ich hoffte es hatte nicht so vorwurfsvoll geklungen. Auch konnte ich den Gesichtsausdruck meines Großvaters nicht einordnen, im Gegensatz zu Mums Ausdruck, der irgendwie aufmunternd war.

„Tut mir Leid meine Junge, dass musst du mir glauben… Wenn ich nicht so engstirnig gewesen wäre und mehr auf mein Herz vertraut hätte…, wäre ich schon viel früher gekommen.“

Er drehte den Kopf zu Mum.

„Meinst du, wir könnten noch einmal von vorne anfangen…, uns neu kennen lernen?“

Mum zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht, Joseph. Die letzten Jahre waren hart. Ich habe versucht, Jack alles zu geben, was ihm zustand. Mein Einkommen mit dem Schuhladen ist nicht gerade groß. Aber Jack hat es an nichts gefehlt.“

Ich nickte zustimmend. Na ja außer vielleicht, dass ich mir oft gewünscht hätte, dass Mum mehr zu Hause gewesen wäre.

„Warum bist du nie zu mir gekommen…? Ich hätte dir geholfen. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich in Zukunft alles was die Bildung des Jungens kostet, übernehmen.“

„Ich…“, begann Mum, brach dann aber wieder ab und schüttelte den Kopf.

Sie schaute Grandpa in die Augen.

„Ich weiß meine Liebe, der Stolz. Aber ich bin sicher der Letzte der dir deswegen einen Vorwurf macht! Wollen wir es probieren?“, fragte er leise mit tonloser Stimme.

Mums Augen wurden feucht. Sie nickte.

„Ich weiß nicht, ob das etwas mit Stolz zu tun hat. Es ging damals nur um das liebe Geld, es hat eure Familie entzweit. Wenn ich zustimme nur wegen Jack, ich möchte nicht, das ein neuer Streit wegen dem Geld entfacht.“

„Es ist mein Geld, Charlotte. Seit Abigail mir über ihre Geschwister die Augen geöffnet hat…“

Auch er brach mitten im Satz ab. In dieser Familie schien das Geld im Mittelpunkt zu stehen. Aber ich traute mich nun auch nicht mehr, weiter zu fragen. Mum schaute zu mir und dann auf den Apfelkuchen. Ich verstand.

„Möchte jemand vom Apfelkuchen…, ist frisch gebacken.“

Grandpa schaute auf  und nickte.

„Gerne“, meinte er und hob seinen Teller zu mir.

Unsicher und zitternd nahm ich die Kuchenschaufel und setzte ihm ein Stück auf den Teller. Er stellte ihn wieder vor sich, nahm seine Gabel und schnitt sich mit der Kante der Gabel ein kleines Stück ab.

Das erste Stück verschwand in seinem Mund und erwartungsvoll wartete ich auf seine Wertung.

„Mmm…, der Kuchen schmeckt sehr gut, ist der selbst gemacht?“

„Ja, den habe ich vorhin mit Jack gebacken.“

„Könntest du mir das Rezept zu kommen lassen, damit ich es Caitlin unserer Köchin geben kann, sie backt für ihr Leben gerne, sehr zu meinem Leidwesen“, meinte Grandpa und rieb sie über seinen Bauch.

„Caitlin ist immer noch bei euch im Haus?“, fragte Mum.

„Ja, sie ist nach wie vor die gute Seele im Haus, nur mit allem etwas bedächtiger, auch sie ist nicht jünger geworden.“

Ich musste kichern. Es nahm irgendwie die Anspannung von mir und den anderen ging es genauso.

„Hast du schon irgendwelche Ideen, was du mal werden möchtest?“, fragte mich Grandpa.

„Ich möchte Informatik studieren. Im Augenblick bin ich in der Oberstufe und möchte das nächste Jahr meinen A-Level bekommen.“

„Imposant und in welchen Fächern?“

„Mathematik, Physik und Latein.“

„Da hast du viel vor“, meinte Grandpa anerkennend.

„Er lernt auch viel“, mischte sich Mum ein, „und er bringt immer sehr gute Noten heim.“

„Dann bleibt wohl nicht viel Zeit für Freizeit und Freunde.“

Er hatte das Wort Freunde benutzt und ich wartete nur auf den Augenblick, bis das Thema Freundin zur Sprach kam. Das hatten doch Großeltern doch so an sich. Die Anspannung vom Anfang war plötzlich wieder da.

„Er ist im hiesigen Segelclub von Staines, wo er auch viel Zeit verbringt“, antwortete Mum für mich.

Ich könnte Sabrina als Freundin vorschieben, aber irgendwie hatte ich keine Lust dazu. Da Mum aber ebenfalls nichts in diese Richtung über mich wusste, ich vermutete es zumindest, wollte ich hier und heute sicher kein Outing zu Tage bringen.

„Das freut mich. Eine andere Sache…, ich weiß, dass jetzt eine Woche Ferien kommt und wollte dich oder euch fragen, Charlotte ich weiß nicht wie du Zeit hast…, ob ihr nicht Lust hättet, ein paar Tage bei mir auf dem Gut zu verbringen?“

Ich sah zu Mum, die im selben Augenblick mich anschaute. Flehend aus Neugier erwiderte ich ihren Blick.

„Sprichst du nur für dich, oder auch für die anderen?“, fragte Mum.

„Ich spreche für mich, was die anderen denken ist mir egal. Zudem wohnt nur noch Abigail bei mir. Sie ist nicht verheiratet, warum weiß ich nicht und ist bei mir geblieben. Alle anderen sind weggezogen.“

Seiner Stimme konnte ich leichte Verbitterung entnehmen.

„Aber ich wollte auch gleich noch sagen, ich habe diese Einladung an alle ausgesprochen, ob sie jemand annimmt, weiß ich nicht. Die ganze Familie friedlich zusammen vereint, würde ein großen Wunsch, den ich lange hege, erfüllen.

Mum atmete tief durch und schaute mich durchdringend an. Ich zuckte gespielt mit der Schulter, damit es nicht später heißen sollte, wie wären nur wegen mir gefahren.

Aber ich war auch gemein, denn ich legte meinen treuen Hundeblick auf, den ich in den letzten Jahren fast perfektioniert hatte. Meine Neugier über den anderen Teil der Verwandtschaft stieg ins Unermessliche.

Mum verdreht leicht ihre Augen und wandte sich wieder an Grandpa, der gerade seine Tasse abstellte.

„Ganz wohl ist mir bei der Sache nicht, das gebe ich offen und ehrlich zu, Joseph. Aber auch wieder wegen Jack, sage ich zu und Abigail nach all den Jahren wieder zu sehen, ist vielleicht auch eine gute Idee.“

„Sie wird sich genauso freuen wie ich mich jetzt!“, meinte  Grandpa und strahlte.

*-*-*

„Sind wir hier überhaupt richtig?“, fragte ich und schaute nach einem Wegweiser.

„Sohnemann, es gibt Dinge die man nie vergisst. Und den Weg auf das Gut gehört dazu.“

Gut? Was für Überraschungen hatte es noch auf sich? Wir hatten am Abend zuvor schon den Wagen beladen, um zeitig in der Frühe losgefahren zu können. Nach Newbury war es zwar nicht soweit, aber wir wollten vor dem Lunch ankommen.

„Aber hier steht weit und breit kein Haus mehr und wie ich hier nachlese, steht vom Schloss von Newbury nur noch die Schutzmauern, das Schloss selbst ist im Krieg zerstört worden.“

„Da siehst du mal, auch die höchste Mauer kann einen Fall nicht verhindern. Aber keine Angst, wir sind schon richtig und auch gleich da.“

Sie zeigte nach draußen und ich konnte ein Schild erkennen, das auf Manor Newbury hinwies. Sie verlangsamte das Tempo des Wagens und bog in den kleinen geteerten Weg ein. Der Weg war von großen Bäumen eingefasst und wirkte daher wie eine langgezogene Allee.

Gespannt versucht ich etwas zu erkennen, doch die Masse an Bäumen verhinderte jede Sicht. Endlich endete der lange Weg und vor mir offenbarte sich ein großes Haus. Großes Haus war vielleicht sogar etwas untertrieben. Mit seinen vielen Erkern und Türmchen hätte man es auch als kleines Schlösschen.

Der dunkle Sandstein tat sein übriges und ließ es wuchtig wirken. Mum lenkte den Wagen vor das große Portal und ließ ihn ausrollen.

„Wir sind da“, meinte sie und der Motor erstarb.

Das hätte ich jetzt nicht gedacht und kicherte. Wir schauten beide nach draußen.

„Wollen wir nicht aussteigen?“, fragte ich nach einiger Zeit.

„Ja, komm, wir werden erwartet.“

So verließen wir beide den Wagen. Ich streckte mich etwas, bis Mum den Wagen umrundet hatte. Ein klickendes Geräusch ließ mich herumfahren, es war vom Haus gekommen. Die alte Holztür öffnete sich und eine Frau trat heraus.

„Charlotte…!“, rief sie und kam auf uns zu.

„Abigail…“, meinte Mum und hob die Arme.

Das war also meine Tante Abigail. Vom Alter her schlecht zu schätzen, aber sicher in Mums Alter. Sie war etwa so groß wie meine Mutter und hatte die gleichen braunen Haare wie ich. Für meinen Geschmack war sie mit diesem Rock und der Strickjacke etwas Altertümlich angezogen.

„Endlich…, ich habe mich so gefreut, als Vater erzählte, dass ihr kommt.“

Die beiden umarmten sich.

„Ja“, seufzte Mum, „im Augenblick weiß ich nicht, was ich sagen soll…, es ist soviel geschehen in der Vergangenheit…“

„… die wir ruhen lassen sollten“, beendete meine Tante den Satz.

Sie schaute zu mir.

„Das ist dein Neffe Jack“, sagte Mum und ich konnte einen Hauch von Stolz bei ihr fühlen.

„Hallo Jack…“, meinte Abigail und hob ihre Hand.

„Ähm… hallo… Tante Abigail.“

„Oh Junge, lass das Tante weg, das macht mich so furchtbar alt.“

Mum fing laut an zu lachen und ich konnte mir ein Grinsen nicht verbeißen.

„Wir sind älter geworden, Abigail, dass lässt sich nicht verleugnen.“

„Ach was, man ist so jung wie man sich fühlt“, meinte sie und wandte sich wieder zu mir.

„Er sieht genauso verdammt gut aus wie sein Vater“, meinte Abigail und musterte mich weiter.“

„Ich weiß…“, kam es von Mum und das Lachen verstummte.

„Aber kommt rein, Vater wartet schon auf euch.“

„Ähm… unser Gepäck?“, fragte ich und zeigte auf den Wagen.

„Das wird auf euere Zimmer gebracht.“

Gebracht? Eure Zimmer?

„Abigail… Jack ist mit den Gepflogenheiten eurer Dienerschaft nicht vertraut und er kennt kein Haus, dass über so viele Zimmer verfügt, außer seiner Schule vielleicht.“

Sie nickte lächelnd und hängte sich bei Mum ein. Während sie Mum so ins Haus zog, folgte ich ihnen einfach.

„Erzähl, Vater hat gesagt, du hast einen Schuhladen.“

„Ja klein, aber mein!“

„Hast du die Herbst/Winter Kollektion von Terra Plana?“

Frauen und Schuhe. Ich musste an Sabrina denken, die mindestens einmal im Monat im Mums Laden auf Schuhsuche ging. Es war also nicht zu vermeiden, dass ich zu kichern anfing. Mum strafte mich mit einem gespielt, bösen Blick.

„Nur vereinzelt, aber ich kann jederzeit bestellen, falls du einen besonderen Wunsch hast.“

„Abgemacht!“

Erst jetzt sah ich mich um und bemerkte diesen großen Vorraum, in den unser Wohnzimmer gut und gerne zweimal hinein gepasst hätte. Alles war mit dunklem Holz verkleidet. Mehrere Türen gingen von diesem Raum ab und eine große Treppe führte nach oben.

Abigail öffnete einer dieser Türen.

„Vater, die beiden sind da“, hörte ich sie sagen, während sie durch die Tür verschwand.

Mum und ich folgten ihr.

„Charlotte… Jack… herzlich Willkommen!“, hörte ich Grandpa, als er gerade in mein Sichtfeld kam.

Es schien eine Art Bibliothek zu sein. Die Wände waren voller Bücher und in mitten des Raumes stand ein kleiner Tisch, eingerahmt von drei großen Sessel. In einem Kamin brannte Feuer.

„Hallo Joseph“, sagte Mum und gab ihm die Hand.

„Hallo Grandpa“, gab ich höfflich vor mir und schüttelte ihm ebenfalls die Hand.

„Abigail, sagst du Caitlin, dass wir in einer halben Stunde essen möchten.“

„Schon geschehen!“

Grandpa schaute zwischen Mum und mir hin und her. Seine Augen leuchteten und auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln.

„Es freut mich so, dass ihr hier seid.“

Mum nickte.

„Wollte ihr euch vielleicht noch frisch machen?“, rettete Abigail die Situation, denn im Augenblick wusste wohl niemand so Recht, was er sagen wollte.

„Ja, zeig ihnen ihre Zimmer, eine gute Idee“, sagte Grandpa.

Ihre Zimmer? Abigail lief zur Tür.

„Kennst du dich hier noch aus?“, fragte sie Mum.

„Ja… etwas. Anscheinend hat sich nicht groß etwas verändert.“

„Nein, hat es nicht, aber ich finde das gut so.“

Sie ging mit uns wieder in den Vorraum und wir folgten natürlich. Zurück ließen wir einen strahlenden Hausherrn.

*-*-*

Ich klopfte an die Tür. Diese öffnete sich und Mum schaute heraus.

„Du musst doch nicht anklopfen“, meinte sie und ließ mich im Flur stehen.

Ich folgte ihr ins Zimmer und staunte nicht schlecht.

„Und ich dachte schon, ich habe das Honeymoonsuite bekommen“, grinste ich.

„Nein hier sind alle Zimmer so eingerichtet“, erwiderte Mum ebenfalls grinsend und packte weiter ihren Koffer aus.

Man hätte meinen können wir wären hier wirklich in einem Hotel.  Das was ich unten bis jetzt zu sehen bekam, war alles recht dunkel eingerichtet. Hier oben dagegen war alles herrlich hell.

Nur die Rosentapete, dazu passend alle Stoffe im Zimmer, sei es ein Sesselbezug, oder die Nachtischlampe war mir doch etwas… für mein Alter unpassend. Dafür hatte ich für mich alleine ein riesiges Himmelbett.

Mum hielt inne und schaute mich an.

„Ist alles in Ordnung mit dir, Jack?“

„Ja! Warum auch nicht? Es gibt hier so viel zu sehen.“

„Ich dachte nur…“

„Was?“

„Irgendwie habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen, dass ich dir dies alles vorenthalten habe.“

„Mum, hast du nicht. Bisher war doch alles in Ordnung bei uns. Es hat uns an nichts gefehlt“

„Du bist mir nicht böse, dass ich dir von all dem hier nichts erzählt habe.“

Ich schüttelte den Kopf und sah mich weiter um.

„Wobei doch… ich bin böse…!“

Mum schaute mich entsetzt an.

„Warum habe ich zu Hause kein so großes Bett?“

Kurze Stille und wir fingen beide an zu lachen.

„Du wieder!“

Sie nahm mich kurz in den Arm und drückte mich fest an sich. Es klopfte.

„Ja?“, sagte Mum laut und ließ mich los.

Die Tür ging auf und ein junges Mädchen im Dienerkostüm schaute herein.

„Mrs. Newbury lässt ausrichten, dass das Essen angerichtet ist.“

„Danke, wir kommen“, meinte Mum.

Das Mädchen nickte und schloss die Tür wieder

Ich schaute Mum an.

„Was war das jetzt?“

„Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Jack. Dein Großvater hat soviel Geld, dass er sich eine Dienerschaft leisten kann und das eben war das Zimmermädchen…“

„Zimmermädchen?“, fragte ich erstaunt.

„Ja, ich würde dir raten, dein Zimmer in Ordnung zu halten und nichts herum liegen zu lassen, denn es wird jemand kommen und dein Bett machen, frische Handtücher ins Bad hängen…“

„… das ist ja wie im Hotel.“

Mum nickte.

„Komm, wir wollen die nicht warten lassen.“

So verließen wir Mums Zimmer und gingen nach unten. Zielsicher steuerte Mum eine Tür an, als würde sie sich wirklich hier auskennen. Sie schob die schwere Holztür auf und dahinter kam ein Esszimmer ins Blickfeld.

Esszimmer war vielleicht etwas untertrieben. An dem Tisch wo Abigail und Grandpa saßen Platz genommen hatten und nun auf uns warteten, hatten mehr als zwanzig Leute Platz.

„Setzt euch“, meinte Grandpa und wies auf die zwei Stühle, die links von ihm standen.

„Danke“, meinte Mum.

Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich den gedeckten Tisch sah. Unser Küchentisch wäre bestimmt unter der last von soviel Geschirr zusammen gebrochen. Langsam ließ ich mich auf den Stuhl nieder und schaute unsicher in die Runde.

Kaum saß ich, ging auch schon eine weitere Tür auf und ein Mann kam herein. Er trug eine Suppenterrine und kam zu uns an den Tisch. Mum neben mir nahm die gefaltete Stoffserviette vom Teller und legte sie entfaltet auf ihren Schoss.

Ich tat es ihr gleich, während der Mann die Suppen verteilte.

„Na, gefällt es dir hier Jack?“, fragte Grandpa.

„Öhm… ja… es ist irgendwie… alles so groß.“

Abigail und Mum grinsten, während nun ich meine Suppe bekam.

„Danke“, sagte ich schüchtern und der Mann nickte leicht.

Er verließ das Zimmer wieder. Ich schielte zu Mum, die den äußersten Löffel nahm und ich tat es ihr gleich.

„Guten Appetit“, meinte Grandpa.

Ein einstimmiges „Guten Appetit“, kam zurück. Die Suppe schmeckte mal gar nicht so schlecht, auch wenn ich nicht definieren konnte, was da alles drin war.

„Habt ihr noch eure Pferde?“, fragte Mum plötzlich neben mir.

Bisher hatten alle geschwiegen und ihre Suppe gelöffelt. Abigail schaute auf.

„Ja, aber es sind nur noch fünf Pferde. Vater kann nicht mehr ausreiten und mir fehlt einfach die Zeit um jeden Mittag auszureiten.“

Nur noch fünf Pferde, aber hallo, das sind doch viele.

„Was machst du beruflich, wenn ich fragen darf?“

„Ich arbeite im Krankenhaus…“, begann Abigail zu erzählen, doch Grandpa unterbrach sie.

„… was sie nicht nötig hätte.“

„Vater! Keine Diskussionen. Ich arbeite gerne. Punkt.“

Er schwieg. Ich hatte derweil meinen Teller geleert und legte den Löffel auf denselben. Als Grandpa als letztes seine Suppe aufgegessen hatte, öffnete sich wenige Sekunden später wieder die Tür und der Mann kam wieder.

Er räumte die Teller ab und verließ das Zimmer wieder. Woher wusste er, dass wir fertig waren? Hatte es hier eine Kamera oder so etwas? Ich schaute mich im Zimmer um, konnte aber nichts finden.

Vielleicht war in irgendeinem Bild ein Loch, denn Bilder mit Personen hingen hier zu viele. Für meinen Geschmack jedenfalls.

„Dass sind deine Urahnen“, erklärte Grandpa, der anscheinend meinen Blicken gefolgt war.

„Aha…“

„Das hier“, er zeigte auf das Bild hinter Abigail, „ist mein Ururgroßvater, der dieses Anwesen gekauft hat und dieses Haus darauf erbaut hat. Früher soll hier eine alte Burg der Kelten gestanden haben. Es gibt im Keller auch noch altes Gemäuer aus dieser Zeit.“

„Und wann war das?“, fragte ich um Interesse zu zeigen.

„Anno 1669.“

So alt ist dieses Haus schon?“, fragte ich verwundert.

„Ja, aber es wurde schon mehrfach umgebaut und modernisiert“, erklärte Abigail, was meinen Telefon und DSLanschluss in meinem Zimmer erklärte.

Erneut ging die Tür auf und der Mann und das Mädchen von vorhin kamen herein. Der Tisch wurde mit Fleisch, Kartoffeln und Gemüse beladen, bevor wieder alleine waren.

„Darf ich dir schöpfen?“, fragte Abigail und hob ihre Hand in meine Richtung.

„… ja…, danke“, stotterte ich und gab ihr meinen Teller, der sogleich mit den Köstlichkeiten beladen wurde.

Mum füllte Grandpas Teller und wenig später waren wir alle vier wieder am Essen.

„Caitlins Küche, wie immer sehr gut“, meinte Mum neben mir und die anderen beiden nickten.

Ich kämpfte inzwischen mit der letzten Kartoffel. Mein Magen war gefüllt und eigentlich ging nichts mehr hinein. Aber das Besteck sagte mir, dass da sicher noch ein Gang kommen würde.

„Ich würde sie auch auf keinen Fall eintauschen“, meinte Abigail und trank von ihrem Wasser.

Sie stellte das Glas ab und schaute zu mir.

„Vater erzählte, du willst Informatik studieren.“

Ich nickte, denn mein Mund war mit der Kartoffel gefüllt und Antworten somit unmöglich.

„Dann kennst du dich doch sicher mit Computern aus?“

Ich schluckte den Bissen herunter, nahm einen Schluck Wasser und stellte das Glas zurück auf seinen Platz.

„Ja…, so einigermaßen“, antwortete ich.

„Jack untertreibt“, mischte sich Mum ein, „mein Verrechnungsprogramm und alles andere, hat er mir eingerichtet.“

Ich spürte, wie mein Gesicht zu glühen begann und ich schaute etwas verschämt auf meinen Teller.

„Das trifft sich gut, dann kannst du mir sicher am PC helfen“, meinte Abigail.“

„Ich kann mit diesen Sachen nichts anfangen“, sagte Grandpa.

„Vater, es gibt Computerkurse für Senioren.“

„Was soll ich mit dem Zeug, ich brauche es nicht.“

Abigail grinste uns an.

„Möchtest du noch etwas?“, fragte Abigail und hatte schon ein Stück Fleisch hochgehoben.

Ich winkte abwehrend und schüttelte den Kopf.

„Nein danke, ich bin satt.“

„Satt? Es gibt aber noch einen Nachtisch“, meinte Grandpa.

Hilfesuchend schaute ich zu Mum, die mir zulächelte.

„Du kannst dir unmöglich Caitlins Reispudding entgehen lassen“, meinte Abigail.

Ich seufzte und alle lachten.

*-*-*

„Wenn ich noch etwas hätte essen müssen, wäre ich geplatzt“, sagte ich zu Mum, während ich neben hier her lief.

„Ja ich weiß, soviel isst du nicht mal zu Hause.“

„Wird hier immer soviel aufgetischt?“

„Das kann schon sein, ich weiß es nicht.“

„Dann muss ich unbedingt kleinere Portionen essen, sonst sehe ich nach den Ferien aus wie ein Kloß.“

Mum lachte.

„Schön ist es hier und vor allem so ruhig.“

„Dass ich so etwas von meinem Sohn zu hören kriege.“

„Wieso denn?“

„Wer hört denn zu Hause immer laut Musik?“

Ich lächelte. Wir kamen an einen See und Mum blieb stehen.

„Was ist?“, fragte ich, als ich ihren betrübten Blick sah.

„Das war der Lieblingsplatz deines Vaters.“

Sie hob den Arm und zeigte auf zwei alte, große Bäume, die das Seeufer säumten.

„Er hat mich oft mit hier her genommen, wenn er Ruhe haben wollte. Die ewigen Sticheleien seiner Geschwister gingen ihm tierisch auf den Geist.“

„Du hast nie viel von Dad erzählt.“

Mum lief weiter und ich folgte ihr.

„Es tut mir Leid, Jack. Das war ein Fehler, dass gebe ich zu. Aber wenn ich dir von deinem Vater erzählt hätte, dann nicht ohne auch seine Familie zu erwähnen.“

„Waren sie so schlimm?“

„Schlimmer. Abigail hat sich immer aus allem heraus gehalten, hat aber sich auch nicht für deinen Vater eingesetzt. Henry und Sophia dagegen, machten ihm das Leben zur Hölle. Sie intrigierten wo es ging und das mit Erfolg. Es ging sehr schnell und sie hatten deinen Großvater auf ihrer Seite.“

„Aber wie geht so etwas? Ich verstehe das nicht.“

„Jack, wenn man Geld hat und davon hat diese Familie sehr viel, dann ist alles möglich und das reicht bis zur Urkundenfälschung.“

„Urkundenfälschung?“

„Ja, die beiden haben es so gedreht, dass es aussah, als hätte sich dein Vater am Familienvermögen vergriffen und damit krumme Geschäfte zu finanzieren.“

„Und das hat er nicht?“

„Nein Jack! Dein Vater war eine so anständige Haut, der wäre nicht mal auf den Gedanken gekommen, so etwas zu tun.“

„Wie ist die Sache dann ausgegangen?“

„Dein Vater verzichtete auf sein Erbe, obwohl er nachweisen konnte, dass er nichts damit zu tun hatte. Er zerstritt sich mit deinem Grandpa und zog aus. Wenig später kamst du zur Welt. Ihm war das ganze Geld egal. Mit seiner guten Schulausbildung hatte er sofort einen gutbezahlten Job. Und du…, du warst sein Sonnenschein, sein ein und alles…“

Mum hatte Tränen in den Augen und ihre Stimme hatte zu zittern begonnen. Ich legte den Arm um sie und wir liefen schweigend bis zum Seeufer.

„Wenn die Sonne scheint und auf dem See funkelt, ist das ein magischer Ort“, meinte Mum leise.

Jetzt schien leider keine Sonne und der See lag auch nicht so ruhig da, wie ich mir das vorstellte. Ich erkannte eine kleine Hütte am rechten Ufer.

„Ob die hier ein Boot haben?“

„Weiß ich nicht, da müsstest du Abigail fragen.“

„Ein bisschen Rudern oder so würde schon gut tun. So als Gegenpart zum Essen.“

Mum lächelte.

„Lass uns zurück gehen. Mir wir langsam etwas kühl.“

Ich nickte und wir machen uns auf den Rückweg.

„Darf ich dich noch etwas fragen?“

„Was mein Junge?“

„Was ist mit meiner Großmutter. Ich habe sie noch auf keinem Bild entdeckt, noch wurde sie irgendwann erwähnt.“

Mum lachte kurz auf.

„Das wirst du auch nie erleben, dass jemand in Gegenwart deines Großvaters über spricht. Deine Großmutter ist abgehauen und ließ ihn mit vier Kindern sitzen. Sie hatte wohl die Nase gestrichen voll von ihrer Sippschaft.“

„Hast du sie noch kennen gelernt?“

„Nein, schon damals wurde sie nicht mehr erwähnt.“

*-*-*

Mum war bereits ins Haus gegangen, während ich noch auf dem Platz vor dem Haus stand. Ich hörte ein Auto und wenig später kam eine Limousine vorgefahren und hielt direkt vor dem Haus.

Ein Ehepaar und zwei Jugendliche stiegen aus. Durften in meinem Alter sein.

„Henry, hast du meine Tasche gesehen?“, fragte die Frau.

Der angesprochene schien mein Onkel Henry zu sein. Nach dem ich jetzt schon einige Bilder gesehen hatte, sah ich auch die Familienähnlichkeit. Der Junge und das Mädchen machten einen gelangweilten Eindruck.

„Moment Schatz, die müsste im Kofferraum liegen.“

Er lief nach hinten, während die Frau mich musterte. Die Tür hinter mir ging auf und Abigail kam heraus.

„Hallo Henry, fein dass du es einrichten konntest zu kommen“, meinte sie und lief an mir vorbei.

„Hallo Schwägerin, schön dich zu sehen“, meinte die Frau und begrüßte Abigail mit zwei Küsschen auf die Wangen.

„Hallo Oliva“, meinte Abigail.

Henry hatte mittlerweile die  Handtasche seiner Frau aus dem Kofferraum geholt und war zu den beiden gestoßen.

„Schwesterchen“, meinte er nur und begrüßte sie mit einer kurzen Umarmung.

„Eure Zimmer sind hergerichtet“, sagte Abigail.

„Oh fein, dann kann ich mich gleich frisch machen, Molly kommst du“, sagte diese Olivia.

Das Mädchen schaute auf und verzog ihr Gesicht. Langsam kam ich mir etwas blöde und fehl am Platze vor und beschloss hinein zugehen.

„He Bursche, du kannst das Gepäck hinauftragen, pass aber ja auch, dass du den Wagen nicht verkratzt“, hörte ich Henry sagen.

Verdutzt schaute ich mich um, sah aber sonst keinen aus mir. Der wird doch wohl nicht mich meinen.

„Aber nein Henry, dass ist Jack, der Sohn von Isaak.“

„Issaks Sohn? Was will denn der…“

„Jack und seine Mutter wurden von Vater eingeladen“, unterbrach ihn Abigail, „und euer Gepäck wird sofort hinaufgebracht.

Henry schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es dich dann wohl doch anders.

„Du bist Isaaks Sohn?“, fragte mich Olivia, in einer hohen Tonlage, welche meine Trommelfelle fast zur Explosion brachten.

„Ja!“, merkte ich an.

„Für so groß hätte ich dich gar nicht gehalten“, meinte sie und trat auf mich zu.

Für das, dass sie mich angeblich nicht kannten, wussten sie zumindest, dass es mich gab. Ich war höflich, hob die Hand und lächelte.

„Ach hallo Henry, schön dich mal wieder zu sehen. Und laufen die Geschäfte der Bank immer noch gut?“

Das war Mum. Sie war unbemerkt hinter mich getreten.

„Hallo Charlotte. Lange nicht mehr gesehen…“

Sie gaben sich die Hand und mir war nicht entgangen, welche feindliche Atmosphäre hier entstand.

„Sind dass eure Kinder?“, fragte Mum weiter, ohne auf eine Antwort auf ihre Bankanfrage zu warten.

„Ja, dass sind Molly und Jayden“, meinte ihre Mutter stolz.

„Lasst uns hinein gehen, der Tee wird sicher schon angerichtet sein“, sagte Abigail und schien die eingefahrene Situation zu beenden.

Sie lächelte mich an und lief ins Haus. Henry und seine Frau folgten ihr. Mein Blick wanderte zu den Sprösslingen, die immer noch am Auto standen. Molly setzte sich mit genervtem Ausdruck ebenfalls in Bewegung und etwas später folgte ihr Jayden.

Erst jetzt sah ich ihn mir genauer an und stellte fest, dass er mir etwas ähnlich sah. Nur seine Haare waren etwas kürzer und dermaßen gestylt, dass sich nicht ein Haar, während er zum Haus lief, auch nur bewegte. Gel sei dank!

Beim Vorüberlaufen schaute er kurz auf und blickte mir in die Augen. Als ich diesen Blick erwiderte, schaute er sofort wieder weg.

„Mir scheint, dass wird noch eine interessante Woche geben“, meinte Mum und schob mich Richtung Haus.

*-*-*

Ich lag in meinem riesigen Bett und kam mir etwas verloren vor. Im Haus war es ruhig. Das Abendessen war gespenstisch still abgelaufen, die Erwachsenen hatten fast nichts geredet. Bis auf Grandpa, der ein paar Fragen stellte, die kurz und bündig beantwortet wurden.

Ich wusste noch immer nicht, was ich von dem Ganzen halten sollte. Interessant war es aber schon, wo mein Vater aufgewachsen war. Es klopfte.

„Ja?“, sagte ich verwundert.

Meine Zimmertür öffnete sich unter gespenstischen Knarren, bis Mum in mein Blickfeld kam.

„Hallo Jack, ich wollte dir noch gute Nacht sagen.“

Ich lächelte.

„Schön hast du es hier, aber das Bett ist etwas groß, oder?“

„Ja, ich komme mir sehr verloren vor und es erinnert mich an die alte Schinken, die im Fernseher liefen, wo man diese Betten auch immer gesehen hat.

„Okay, dann schlaf mal gut. Soll ich dich morgen wecken?“

„Falls ich verschlafe, ja bitte.“

Sie grinste mich an.

„Also gute Nacht!“

„Gute Nach Mum.“

Sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Ich atmete tief durch, machte das Licht aus und zog die Decke  bis hoch zum Hals. Ich hatte vorhin die Vorhänge wieder aufgezogen und jetzt schien etwas Licht herein.

Das Schattenspiel der Bäume an der Wand wäre beängstigend gewesen, wenn ich ein paar Jahre jünger gewesen wäre. So aber schaute ich ihnen zu und schlief dabei irgendwann ein.

*-*-*

Irgendein Geräusch ließ mich hoch fahren. In der Dunkelheit und halb verschlafen, musste ich mich erst mal orientieren wo ich war. Ein knackendes Geräusch ließ mich zusammenfahren. Ich griff nach dem Schalter der Lampe und es wurde hell in meinem Zimmer.

Mit zusammengekniffenen Augen konnte ich aber nichts Außergewöhnliches erkennen. Ich schlug meine Decke zurück und musste erst mal grinsen, denn ich hatte mich im Schlaf wieder einmal meiner Shorts entledigt und saß splitterfaser nackt da.

Ich wühlte mich durch die Decken und fand sie schließlich. Ich krabbelte aus dem Bett und zog sie mir über. Dann sah ich mich im Zimmer genauer um, aber auch so konnte ich nichts erkennen, was auf die Geräuschquelle hinwies.

Ein kühler Windhauch ließ mich erzittern und verpasste mir eine Gänsehaut auf dem Rücken. Wieder dieses Geräusch und dieses Mal sah ich auch, was es war. Die Badtür stand leicht offen, daher auch der Windhauch und jedes Mal wenn sie anschlug, machte es dieses Geräusch.

Ich wunderte mich darüber, denn ich hatte die Tür verschlossen. Da meine Blase sich nun auch meldete und ich eh auf war, konnte ich auch gleich auf die Toilette gehen. Ich zog die Tür auf und ließ erst mal einen kleinen Schrei von mir.

Vor mir stand jemand. Ich griff nach dem Lichtschalter und konnte diesen Jemanden als Jayden erkennen.

„Was macht du hier?“, entfuhr es mir.

Jayden selbst stand ebenfalls nur in Shorts da und konnte sich aber sehen lassen.

„Das ist mein Bad“, antwortete Jayden, dessen Stimme ich nun auch das erste Mal hörte.

Er musterte mich von oben bis unten und grinste.

„Wieso dein Bad?“

Erst jetzt sah ich die offene Tür im Hintergrund, die bisher seit meiner Ankunft, verschlossen war. Jayden folgte meinem Blick.

„Dann teilen wir uns wohl das Bad…“, merkte ich an.

„Na toll“, meinte er und verschwand in sein Zimmer.

Die Tür schloss er aber nicht. Sollte ich ihm nachlaufen? Meine Blase drückte und so beschloss ich erst einmal auf die Toilette zu gehen, auch auf die Gefahr hin, dass Jayden plötzlich wieder im Bad stand.

Er tat so überrascht, dass er mich sah, aber es konnte je nur er gewesen sein, der meine Badtür geöffnet hatte. Andererseits im Dunkeln konnte er mich ja schlecht sehen und dass er mitbekommen hatte, dass ich das Nachbarzimmer bewohnte, bezweifelte ich.

Ich drückte die Spülung, wusch meine Hände. Dann lief ich zu Jaydens Tür und klopfte leicht.

„Ja?“

Ich schob die Tür ein wenig auf und fand ihn auf seinem Bett liegend vor. Er hatte irgendeine Zeitschrift in der Hand, die er aber schnell zur Seite legte, als ich das Zimmer betrat. Dieses Zimmer sah aus, als hätte die Bombe eingeschlagen. Überall waren Klamotten verteilt, teilweise auch auf dem Boden.

„Fertig? Ich muss nämlich auf noch auf die Toilette“, meckerte er.

„Ähm ja… Tut mir Leid, ich wusste nicht, dass wir uns ein Bad teilen.“

„Ich auch nicht…, dass kannst du mir glauben…“

„Also… mich stört es nicht… können uns ja wegen der Benutzung absprechen.“

Er gab kein Wort von sich und tat so, als würde er etwas suchen.

„Okay und gute Nacht“, meinte ich und verließ das Zimmer wieder, ohne auf Antwort zu warten.

Ich durchquerte das Bad und nachdem ich mein Zimmer wieder betreten hatte, verschloss ich meine Tür und drehte den Schlüssel herum. Ich atmete noch mal tief durch und ließ mich wieder ins Bett fallen.

Nachdem ich nach mehreren erfolglosen Versuchen, die Vielfalt der Decken endlich geordnet hatte, kuschelte ich mich wieder schnell ins Bett und löschte das Licht. Ich hörte im Bad die Spülung und kurz anschließend, wie eine Tür geschlossen wurde.

Ob er hier im Zimmer war, oder nur die Tür geöffnet hatte. Aber in dem Augenblick war mir dass dann auch egal. Ich gähnte herzhaft und war schon bald wieder eingeschlummert.

*-*-*

Ich war von alleine wach geworden und hatte das Bad auch für mich alleine. Jayden schien noch zu schlafen, zumindest aber noch im Bett zu liegen. Es klopfte an meiner Tür und wenig später hörte ich Mum in meinem Zimmer.

„He, du bist ja schon aufgestanden.“

„Ja“, meinte ich und trat aus dem Bad.

Ich schloss hinter mir die Tür und drehte erneut den Schlüssel herum. Mir war nicht entgangen, dass Mum dies beobachtete.

„Guten Morgen, Jack“, meinte sie schließlich und drückte mich kurz.

„Morgen Mum.“

„Und, wie hast du in deinem Bett geschlafen?“

„Himmlisch und einen Geist habe ich auch gesehen.“

„Bitte… was?“

So erzählte ich von dem nächtlichen Erlebnis mit meinem Zimmernachbarn.

„Hast du deswegen abgeschlossen?“

Ich nickte.

„Also, du kannst auch mein Bad mitbenutzen, wenn dir das lieber ist.“

„Ach Mum, das geht schon in Ordnung. Ich denke, wir werden uns nicht ins Gehege kommen.“

„Okay, lass und nach unten gehen, dein Großvater wartet sicherlich mit dem Frühstück.“

Ich lächelte, zog mir noch meinen Pulli über und folgte ihr nach draußen auf den Flur.

„Liegen alle hier auf dem Flur?“, fragte ich leise.

„Ich denke schon, aber ich weiß es nicht genau. Zimmer genug hat es ja.“

Wir liefen gerade die Treppe hinunter, als wir oben erregte Stimmen hörten.

„Henry, ich brauche diese Creme. Meinst du nicht, einer der Bediensteten kann nachher in die Stadt fahren und sie mir besorgen.“

„Olivia, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ist Vaters Personal und nicht für deine privaten Belange zuständig. Ich werde nachher selbst in die Stadt fahren und diese… Creme besorgen, die du so dringend …“

Mum und ich waren mittlerweile auf der Treppe stehen geblieben und als die beiden in unser Sichtfeld kamen, brach Henry seinen Satz ab.

„Guten Morgen Henry… Olivia. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen“, meinte Mum und deutlich war ihr ironischer Unterton zu hören.

„Guten Morgen meine Liebe“, antwortete Olivia, „sehr gut, ich kann mich nicht beklagen. Es ist so herrlich ruhig hier. In unserer Stadtwohnung in London ist es nachts doch recht laut. Aber am Wochenende fahren wir immer in unser Haus bei Stevenage, dort ist es genauso herrlich.“

Mum nickte und lief neben Olivia die Treppe hinunter. Henry, der nun in meiner Höhe stand, beäugte mich kurz, bevor er weiter lief. Es war mir egal und so lief ich neben ihm her.

„Welche Schule besuchst du?“, fragte er plötzlich.

„Das Externat in Knowle Green.“

Ich wollte in kein Internat und außerdem gefiel es mir, jeden Tag nach Hause zu fahren.

„Eine Schule mit gutem Ruf. Und weißt du schon, was du später studieren möchtest?“

„Informatik!“

Ein Blick in Henrys Gesicht zeigte mir, dass er verblüfft war. Anscheinend hatte er eine andere Antwort erwartet. Mittlerweile hatten wir das Esszimmer erreicht. Doch es war leer. Also der Tisch war schon mit Köstlichkeiten gedeckt, aber kein Grandpa noch war Abigail anwesend.

„Abigail erzählte, du besitzt einen Schuhladen?“, hörte ich Olivia.

„Schuhe…“, hörte ich Henry neben mir sagen, der sich ein Teller nahm und von einem nebenstehend Tisch etwas zu holen.

Ich konnte nicht anders und grinste. Er sah mich an und grinste ebenfalls. Das war das erste Mal, seit deren Ankunft, dass ich etwas Freundliches sah.

„Ja, er ist zwar nicht groß, aber er wirft genug ab, damit Jack und ich davon leben können.“

„Henry sitzt jeden Tag in der Bank…, ist kaum zu Hause.“

So war es wohl klar, dass diese Frau keinen Beruf ausübte. Ich hatte mit Eier mit Speck auf den Teller geladen, einen Toast und setzte mich auf meinen Platz vom Vorabend. Mum dagegen setzte sich mir gegenüber, wo normalerweise Abigail gesessen war.

Zu meiner weiteren Verwunderung, nahm Henry direkt neben mir Platz, während Olivia sich zu Mum setzte. Die Tür ging auf und Abigail kam herein.

„Guten Morgen“, meinte sie.

Sie nahm sich eine Tasse und schenkte sich Kaffee ein.

„Ihr habt alles, was ihr braucht?“

„Ja, danke“, meinte Olivia.

Der Rest nickte.

„Ich fahre nachher in die Stadt, benötigte jemand etwas von euch?“

Olivia schien gerade etwas sagen zu wollen, da fiel ihr aber schon Henry ins Wort.

„Danke, aber ich werde nachher selbst nach Newbury fahren.“

Abigail lächelte und trank aus ihrer Tasse. Diese Frau war schwer einzuschätzen. Sie lächelte fortwährend und zeigte nicht eine Regung über das eben Gesagte.

„Wo ist Grandpa?“, fragte ich und schob mir einen Happen Ei in den Mund.

„Der hat bereits gefrühstückt… mit mir heute Morgen.“

Also schienen die beiden Frühaufsteher zu sein.

„Er hatte noch etwas in der Stadt zu regeln.“

Die Tür zum Esszimmer ging erneut auf und Henrys Sprösslinge betraten den Raum. Während Molly fein säuberlich gekleidet sich neben ihrer Mutter niederließ, hatte Jayden einen Aufzug, der sogar mich schmunzeln ließ.

Sein Vater rügte ihn im Flüsterton, statt ihn zu begrüßen und immer noch laut genug um zu verstehen, dass er mit dieser zerlöcherten Jeans und dem verrissenen Hemd nicht einverstanden war.

Statt der gegelten Frisur standen seine Haare nun in alle Richtung. Ich schaute kurz zu Mum, die mir entgegengrinste.

„Willst du denn nichts essen?“, meinte Olivia zu ihrem Sohn.

„Keinen Hunger“, kam über dessen Lippen.

„Aber Junge du musst doch etwas Essen“, meinte sie missbilligend.

„Möchtet ihr ausreiten?“

Die Frage war an uns gestellt und ich schaute wieder zu Mum, die nickte.

„Du kannst reiten?“, fragte ich verwundert.

„Wer kann das nicht?“, fragte Olivia.

„Ähm… ich“, erwiderte ich.

Bevor sie aber ein weiteres Kommentar abgeben konnte, mischte sich Mum ein.

„Er ist im Segelverein von Staines und hat schon ein paar Pokale für den Verein geholt.“

Wieder hörte ich diesen stolzen Unterton, wenn sie über mich erzählte. Ich lächelte.

„Wollte ihr auch ausreiten?“, fragte Abigail.

Diese Frage war an Molly und Jayden gerichtet. Molly schüttelte den Kopf, während Jayden mit der Schulter zuckte.

„Ihr könnt es euch ja noch überlegen, ich werde auf alle Fälle im Stall Bescheid geben.“

Somit stand Abigail wieder auf und verließ uns.

*-*-*

Ich wusste nicht wo Mum die Klamotten herhatte, aber sie passten wie angegossen. Im Spiegel betrachtend, zog ich mir die schwarze Reiterjacke zu Recht. Die Stiefel waren etwas gewöhnungsbedürftig, passten aber auch.

Es klopfte an meiner Tür und wenig später trat Mum ein.

„Aber hallo, was für ein fescher junger Mann steht da vor mir. Gut siehst du aus, in den Reitersachen.“

„Woher hast du die?“

„Die habe ich von Abigail. Sie meinte, die gehörten einmal deinem Vater und müssten dir passen, weil ihr die gleiche Größe habt.“

„Die gehörtem meinem Vater?“

Sie nickte. Wieder betrachtete ich mich im Spiegel.

„Fertig?“

„Ja“, antwortete ich.

„Vergiss deinen Helm nicht“, sagte Mum und verließ das Zimmer.

Ich schnappte mir den schwarzen Helm und lief ihr hinterher. Wenig später trafen wir zusammen am Stall ein. Dort standen vier gesattelte Pferde. Ein Typ in meinem Alter stand bei den Pferden.

„Nanu, wer reitet denn noch mit uns?“, fragte Mum.

Der junge Herr Jayden“, meinte der Typ und sah zu mir.

Vor mir hatte ich wohl die schönsten brauen Augen die ich wohl in meinem Leben gesehen hatte. Verschüchtert schaute mein Gegenüber weg. Sein wirres dunkelbraunes Haar fiel nach vorne ins Gesicht.

„Gibt es den Stallmeister James noch?“, fragte Mum.

„Wenn sie mich meinen Mrs. Newbury, ja mich gibt es noch.“

Ich drehte den Kopf und ein grauhaariger Mann trat aus dem Stall.

„James, dass freut mich aber“, meinte Mum und begrüßte ihn mit einer Umarmung.

„Dass freut mich auch Mrs. Newbury…“

„Charlotte, das hatten wir schon damals ausgemacht“, fiel Mum ihm ins Wort.

„Und schon damals habe ich ihnen gesagt, das gehört sich nicht und ich habe sie nur so genannt, weil es ihr Mann, der Earl so gewünscht hat.“

„Und dass sollten wir weiter so machen, James.“

Sein Blick fiel auf mich.

„Wie der junge Herr…“, meinte er nur.

„Das dachte ich auch, als ich ihn in diesem Aufzug sah. Wir haben da aber ein kleines Problem, mein Sohn Jack war noch nie auf einem Pferd gegessen.“

 „Mrs. Abigail hat mir das schon mitteilen lassen. Das hier ist Taylor, er hilft mir im Stall, er wird dem jungen Herrn zeigen, wie man reitet.“

„Jack… einfach Jack“, meinte ich, weil mich dieses geadelte Gerede störte.

Ich ging zu ihm hin und reichte ihm die Hand.

Ehrfürchtig schüttelte der Mann mir meine Hand.

„Die Stimme…, das Aussehen…, wie ihr verstorbener Vater“, meinte James.

Ich lächelte verlegen, war aber auch gleichzeitig etwas genervt, immer mit meinem Vater verglichen zu werden.

„Taylor, du kümmerst dich bitte um den jungen He… Jack und bist mir für ihn verantwortlich!“, meinte James zu Taylor.

„Geht in Ordnung, Mr. Wilson!“

James zeigte Mum ihr Pferd und half ihr auf. Etwas komisch war mir schon zu mute. Taylor stellte sich neben das schwarze Pferd und schaute mich aufmunternd an. Ich lief zu ihm und er verschränkte seine Hände.

Ah, er wollte mir, wie James eben Mum, mir aufs Pferd helfen. Ich stellte also meinen Schuh auf die Hände und hielt mich am Sattel fest. Schon merkte ich den Druck von unten und schwebte regelrecht auf den Sattel.

Wow, stark war er ja, dachte ich mir noch, während er das Pferd komplett umrundete. Er stellte irgendwas an meinem Bügeln ein und hielt mir dann die Zügel hin.

„Möchten sie es erst selbst versuchen, oder soll ich ihr Pferd führen?“

„Wenn sie es mir zeigen?“, konterte ich.

„Junger Herr, sagen sie bitte du und Taylor zu mir.“

„Nur wenn du Jack und ebenfalls du zu mir sagst, ich mag dieses Gesiezte nicht.“

„Das wäre aber nicht in Ordnung.“

„Okay, dann bleiben wir bei dem gegenseitigen sie“, meinte ich.

Hilflos schaute Taylor zu James, der anfing zu Lachen.

„Der gleiche Dickkopf wie sein Vater, oder?“

„Ja Charlotte, sie ähneln sich sehr. Taylor, wenn der junge Herr dir gestattet ihn zu duzen, darfst du dies ruhig tun.“

Ich grinste siegessicher.

„Jetzt fehlt nur noch Jayden“, meinte ich.

Wollen sie… ähm, willst du alleine reiten?“

Noch immer lächelte ich und schaute verträumt in diese Augen.

„Wenn du mir zeigen kannst, was ich machen soll, versuche ich es gerne.“

In den nächsten fünf Minuten ließ ich einen Wortschwall über mich ergehen. Doch ich hing an seinen Lippen und zog jedes Wort in mich auf. Aber irgendwann, nach soviel Theorie wollte ich dass nun auch praktisch umsetzten.

„Ich denke der junge Herr Jayden hat es sich doch wohl anders überlegt. Falls er doch noch kommt, kann ich ihn ja nachschicken“, meinte James und Mum nickte.

Taylor stieg nun auch auf sein Pferd und setzte sich in Bewegung. So wie er es mir erklärt hatte, presste ich etwas die Schenkel zusammen und wirklich das Pferd setzte sich in Bewegung.

Taylor lobte mich, blieb aber ständig neben mir. Mum ritt etwas voraus und wir folgten ihr.

„Ist das cool“, meinte ich verzückt.

„Du… bist wirklich noch nie auf einem Pferd gegessen?“, fragte Taylor.

„Nein, ich weiß nicht mal, ob es in Staines einen Reiterstall gibt.“

„Aus Staines bist du?“

„Ja.“

„Und warum habe ich dich hier noch nie gesehen…, oh entschuldige meine Neugier…, James hat extra gesagt, ich solle meinen Mund halten.“

Schuldbewusst schaute er nach unten. Ich musste grinsen.

„Da habe ich sicherlich keine Probleme mit, wenn du etwas wissen möchtest. Ich kannte die Familie bisher nicht.“

„Wie kann man seine eigene Familie nicht kennen?“

Ich schaute nach vorne, wo Mum in eine schnellere Laufart übergegangen und sich entfernte.

„Ganz einfach. Mein Vater starb, als ich ein Kleinkind war und die Familie wollte nichts mit meiner Mutter zu tun haben, deshalb wusste ich bis vor ein paar Tagen nichts von dieser Familie.“

„Heftig!“

„Ja.“

„Und du bist wirklich noch nie geritten?“

„Nein, sagte ich doch bereits.“

„Für dein erstes Mal stellst du dich überraschend gut an… ein Naturtalent würde ich sagen.“

War das jetzt ein einfaches Lob, oder flirtete er grad mit mir?

*-*-*

„Na genug?“, fragte Mum, als wir auf einer Lichtung zum Stehen kamen.

„Nein, mir gefällt es“, antwortete ich.

„Er reitet wirklich gut, Mrs. Newbury.“

„Das habe ich gesehen. Traust du dir auch schon einen Galopp zu?“

Reizen würde mich das ja schon hier über Felder und Wiesen zu reiten, aber ob ich das wirklich schon drauf hatte. Ich schaute zu Taylor, der mir aufmunternd zu lächelte. Mum ritt als erstes los und Taylor ihr hinter her.

So blieb mir nichts anderes übrig als ihnen zu folgen. Und es dauerte eine Weile, da hatte ich es fertig gebracht das Pferd zu einem Galopp zu bewegen. Ich stand etwas in den Bügeln und genoss die frische Luft, die mir um die Nase wehte.

Plötzlich hörte ich Hufgeräusche hinter mir und wunderte mich, weil die beiden doch vor mir waren. Umdrehen traute ich mich nicht, weil ich nicht wusste, wie das Pferd darauf reagierte. Aber meine Neugier wurde sofort befriedigt, als Jayden ins Blickfeld kam und galoppierend an mir vorbei zog.

Da war wohl einer doch noch zum Reiten gekommen. Er schaute mich aber nicht an, sondern zog einfach an mir vorbei. Plötzlich wurde es mir zu blöd. Das Pferd ging wieder in einen gemächlichen Trapp über und ließ mich auf den Sattel sinken.

Dies schien bald bemerkt geworden zu sein, denn plötzlich machte Taylor kehrt und kam zu mir zurück.

„Alles klar?“, rief er mir entgegen.

Ich nickte. Er schaute mich sonderbar an und drehte sein Pferd wieder. Mittlerweile hatten wir eine schöne Runde gedreht und waren am See hinter Haus angekommen.

„Wollen wir dann zurück?“, fragte Mum.

Sie und Jayden waren ebenfalls zu uns gestoßen. Jayden verzog das Gesicht, klar, er war ja auch eben erst gekommen.

„Wenn ihr keine Wettrennen veranstaltet, können wir ruhig noch etwas länger reiten“, meinte ich.

„Wie wäre es mit dem alten Turm, Mrs. Newbury?“

„Der steht noch?“

„Ja, na ja mehr oder weniger.“

„Was für ein Turm?“, fragte ich die zwei.

„Du kennst den alten Turm nicht?“, fragte Jayden von oben herab.

„Wie soll ich einen Turm kennen, wenn ich noch nie hier war?“, gab ich angesäuert zurück.

Schien zu wirken, denn Jayden hielt den Mund und kassierte obendrein noch einen bösen Blick meiner Mutter.

„Dann mal auf zum Turm!“, meinte Taylor.

*-*-*

Etwas fertig, stieg ich von Pferd ab. Aber es hatte Spaß gemacht. Taylor nahm die Zügel meines Pferdes und zog es in den Stall. Mum schaute auf die Uhr.

„Gerade richtig zum Lunch. Du möchtest dich sicher noch frisch machen, oder?“ fragte Mum.

„Ich brauch eine Dusche, ich bin total verschwitzt.“

„Ist ja noch Zeit, wir sehen uns dann nachher.“

Ich nickte.

*-*-*

In einer alten Wanne hatte ich mich auch noch nicht abgeduscht. Man lernt immer dazu. Ich drehte das Wasser ab und griff nach dem Handtuch, als mein Gegenpart seine Toilettentür aufriss und vor mir stand.

„Ich bin gleich fertig“, meinte ich.

Jayden stand nur da, schaute unverhohlen auf meinen Schwanz, bevor er wieder grinsend verschwand. Ich wurde aus dem Kerl nicht schlau. Ich trocknete mich notdürftig ab, griff nach meinen Sachen und lief zurück in mein Zimmer.

Mir machte es nichts aus, nackt herum zu laufen. Nach dem Segeln gingen wir ja auch immer duschen, so war ich das gewohnt. Doch bisher hatte mir noch niemand so offensichtlich auf mein Teil gestarrt.

Es klopfte an der Tür. Die andere Tür, zum Flur. Genervt rollte ich mit den Augen und band mit das große Badelaken um die Hüfte.

„Ja?“

„Jack…, hier ist Taylor, „ich wollte die Reitstiefel abholen“, hörte ich es durch die Tür.

So lief ich zur Tür und öffnete. Taylor schaute mich verlegen an.

„Die Stiefel? Für was?“

„Ich muss die Stiefel sauber machen.“

„Oh man, ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass man hier alles gemacht bekommt“, meinte ich und lief zurück in mein Zimmer, um die Stiefelzu holen.

„Habt ihr zu Hause kein Personal?“

„Nein, meine Mutter und ich bewohnen zusammen eine kleine Wohnung und Personal…, so etwas kenne ich gar nicht“, erklärte ich und bückte mich nach den Stiefeln, die vor dem Fenster lagen.

Wie sollte es anderssein, dass gerade dann etwas passiert, wenn man es nicht gebrauchen kann. Das Handtuch löste sich und ich stand nackt da, mit den Stiefeln in der Hand. Taylor grinste und drehte sich weg.

Jetzt war es mir eh egal und lief so wie ich war, wieder an die Tür.

„Hier!“, meinte ich, halb verdeckt von der Tür.

„Danke“, meinte Taylor, ohne mich anzusehen.

Sonst kam nichts mehr von ihm und lief zur nächsten Tür. Ich zuckte mit den Schultern und schloss meine Tür wieder. Vom Bad her hörte ich Wasser rauschen, so stand Jayden nun in der alten Wanne.

*-*-*

Der Lunch war wieder reichlich und ich überlegte wirklich, ob ich nicht ein paar Schritte gehen sollte. Mir fiel das Bootshaus wieder ein und so schlug ich diese Richtung ein. Mum hatte sich etwas hingelegt.

Auch eine Art, diese Berge von Essen ihrem Bestimmungsort zuzuführen. Die Wolkendecke war aufgerissen und ein paar Sonnenstrahlen ließen der See glitzern. Mum hatte Recht, es sah irgendwie magisch aus.

Etwas später kam ich am Bootshaus an. Es schien wohl seit langem niemand mehr hier gewesen zu sein. Das Gras stand hoch und ich versuchte mir meinen Weg zu bahnen. Endlich erreichte ich den kleinen Holzvorbau und das Laufen ging leichter.

So groß wirkte das Haus nicht von der Ferne. Die Dielen knarrten unter meinem Gewicht und ich schaute mich um, als wäre ich bei etwas Verbotenem erwischt worden. Das Fenster neben der Tür war von innen mit einem dicken Stoff verhüllt.

So lief ich auf die rechte Seite um umrundete das Haus. Auch hier war zwei Fenster und ebenfalls verhüllt. Das Ende der Hütte lag im Wasser und so versuchte ich mich durch verrenken, etwas von der Seeseite her zu sehen.

Aber auch diese Seite war von zwei großen Toren verdeckt. Ich ging also den gleichen Weg zurück und stand vor der Tür. Zaghaft umschloss ich den Griff mit meiner Hand und drückte ihn nach unten.

Verschlossen! Klar! Ich ließ den Türgriff wieder los und schaute mich um. Vielleicht war der Schlüssel ja irgendwo hinterlegt. Ich fand keinen. Etwas enttäuscht nahm ich mir vor, nach dem Schlüssel zu fragen.

*-*-*

Etwas zögerlich betrat ich den langen Flur, den ich hinter der Tür neben dem Esszimmer fand. Ich wusste nicht, ob ich das überhaupt durfte. Außer den bekannten Räumen, hatte ich vom Haus noch nicht viel gesehen.

Leise schloss ich die Tür. Irgendwo her kamen Geräusche und zudem roch es hier gut. Hier schien die Küche zu sein und ich wunderte mich, dass nach dem reichhaltigen Mittagessen, sich mein Magen meldete.

Ich folgte den Geräuschen und fand mich plötzlich in der Tür der Küche wieder. Eine ältere Dame wirbelte herum, rührte da in einem Topf, füllte etwas in eine Schüssel. Mit einem Räuspern machte ich auf mich aufmerksam.

Die Dame fuhr herum und sah mich entgeistert an.

„Isaak…“, sagte sie leise.

Verwundert schaute ich sie an. Sie rieb ihre Hände an einem Küchentuch ab.

„Entschuldigen sie bitte, für einen Augenblick dachte ich…, sie müssen Isaaks Sohn Jack sein.“

„Ja…, bin ich, aber sage sie bitte du zu mir.“

Sie kam auf mich zu und hob mir die Hand entgegen, die ich lächelnd schüttelte.

„Wie ihr Vater…, verblüffend.“

Verlegen schaute ich drein.

„Ja…, dass habe ich schon ein paar Mal gehört.“

„Oh, wo bleibt mein Anstand…, kann ich ihn…, dir etwas anbieten?“

„Ich…, ich bin eigentlich nur dem herrlichen Duft gefolgt.“

„Das wird die Pastete sein, die ich für heute Abend packe.“

Ich nickte, weil ich nicht recht wusste, was ich darauf erwidern sollte.

„Gibt es etwas, was sie sehr gerne essen? Kuchen oder etwas anderes?“

„… ähm… Kuchen.“

„Ich vermute mal…, wie wäre es mit einem Stück Käsekuchen…, gerade frisch gebacken.“

„Woher wissen sie, dass dies mein Lieblingskuchen ist?“

„Es war auch der Lieblingskuchen ihres Vaters, ich werde es ihnen auf ihr Zimmer bringen lassen.“

Da ich davon ausging, dass die Person vor mir Caitlin war, sprach ich sie einfach mit Namen an.

„…ähm…, Caitlin, sie brauchen sich doch keine Umstände wegen mir zu machen… ich kann doch hier…“

Ich zeigte auf den Küchentisch. Caitlin lächelte breit.

„Wie ihr Herr Vater, er saß oft bei mir in der Küche.“

Sie nahm schnell ein Tuch wischte über den Tisch und zog den Stuhl etwas zurück.

„Setz dich doch bitte.“

Zögerlich ließ ich mich auf den Stuhl nieder, während die Köchin einen Teller aus dem Regal zog, um ihn gleich mit einemStück Käsekuchen zu befüllen.

„Caitlin… es mag ihnen seltsam vorkommen…, aber können sie mir etwas über meinen Vater erzählen.“

Wieder lächelte sie breit, während sie mir den Kuchen servierte.

„Ihr Vater…, war ein Wirbelwind. Jeden Tag hatte er einen anderen Unfug im Kopf. Doch niemand war ihm böse deswegen. Er war immer höflich und anständig zu uns.“

Mit uns schien sie wohl die Dienerschaft zu meinen.

„Im Gegensatz zu seinen Geschwister, wobei Abigail auch immer gut zu uns war.“

Verklärt schaute sie auf die Tischplatte, bevor sie wieder den Kopf hob.

„Möchten sie eine Saft, Tee oder Milch?“

„…Milch… bitte.“

Sie lief zu einem altertümlich wirkenden Kühlschrank und zog ihn auf. Dieser war gefüllt mit den herrlichsten Dingen und ich freute mich schon insgeheim auf das kommende Abendessen. Caitlin zog eine Flasche voll mit Milch heraus und schloss dass gute Stück wieder.

„Caitlin, beim Sparzieren gehen habe ich am See unten eine Bootshütte entdeckt, wissen sie vielleicht, wo ich den Schlüssel dazu finden könnte?“

Sie goss mir ein Glas voll und stellte es zu mir.

„Da müsstest du James oder Taylor fragen, die bewahren alle Schlüssel auf.“

„Jack?“, hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mutter.

„Ja Mum, ich bin hier in der Küche.“

Wenig später erschien sie.

„Charlotte“, sagte Caitlin leise.

„Caitlin…“

Beide Frauen umarmten sich, dann fiel ihr Blick wieder zu mir.

„Du lasst es dir gut gehen“, meinte Mum und lächelte.

„Wie sein Vater“, kam es von Caitlin.

„Ja, er hat immer von ihrer Küche geschwärmt.“

„Ich hoffe es hat ihrer Küche nicht geschadet“, lächelte Caitlin.

„Nein, ihm hat es geschmeckt.“

Ich hatte meinen Kuchen mittlerweile verzerrt und war am überlegen, zu fragen, ob ich noch einen bekommen würde.

„Möchten sie auch ein Stück Kuchen, Mrs. Newbury.“

„Nein danke, ich bin noch satt vom Mittagessen.“

„Junger Mann?“

„…öhm, nein danke… es gibt ja noch Abendessen“, lächelte ich, auch wenn die Verführung groß war, noch ein Stück zu essen.

*-*-*

Die Stalltür war offen, so ging ich einfach hinein.

„Hallo?“

Es gab niemand Antwort so lief ich einfach weiter. Mir fiel auf, dass es hier sehr sauber war. Fein säuberlich gekehrt. Ich zuckte zurück, als plötzlich kurz vor mir ein Pferdekopf aus der Box erschien.

„Hast du mich erschreckt“, meinte ich und streichelte sanft über seine Nüstern.

„Ich komm nachher noch mal vorbei“, hörte ich weiter hinten Taylor sagen, der aus einer anderen Box hervortrat.

Sein Blick fiel auf mich und lächelte.

„Hallo…, wieder ausreiten?“

„Nein…, ich wollte fragen, ob hier irgendwo der Schlüssel für das alte Bootshaus ist.“

„Uffz…“, Taylor strich sich durch sein braunes Haar, „da muss ich erst mal James fragen. Ich weiß zwar von dem Bootshaus, war aber selbst noch nie dort.“

„Und wo ist James?“

„In die Stadt gefahren, wollte etwas wegen dem Futter nachschauen.“

„Okay…, dann komm ich später noch einmal vorbei.“

„Vielleicht… können wir gemeinsam suchen…, ich weiß wo die Schlüssel alle sind.“

„… gute Idee.“

Taylor räumte Besen und Eimer auf seinen Platz und kam zu mir. Er lief an mir vorbei und öffnete eine kleine unscheinbare Tür neben den Boxen. Ich folgte ihm. Wir betraten einen kleinen Raum, der wohl James reich war.

An der Wand hing ein großer Kasten, den Taylor nun öffnete. Die Innenseite hing voll mit Schlüsseln.

„Oje“, gab ich von mir, „dass sind aber viele.“

„Alle Schlüssel, die hier am Hause verwendet werden“, meinte Taylor.

„Da brauchen wir eine Weile, bis wir den gefunden haben.“

„Nein…, die rot gekennzeichneten Schlüssel sind von Haus, die Grünen hier von den Stallungen, lediglich die blauen, sind vom Grundstück.“

Das schloss aber ein Gutes Dutzend Schlüssel ein. Taylor nahm den ersten und lass die Beschriftung.

„Taylor? Ich bin wieder zurück“, hörte ich James draußen rufen.

„Ich bin hier“, antwortete Taylor und hängte den Schlüssel wieder zurück.

„Was machst du in meiner Kammer?“, kam es von James, während er die Kammer betrat.

„Oh hallo Jack“, meinte er, als er mich sah.

„Der junge Herr fragte nach dem Schlüssel vom Bootshaus.

„Bootshaus?“

„Ja…, ich wollte mich etwas im Bootshaus umschauen, da ich in Staines im Segelclub bin und…“

„Das Bootshaus hat… schon seit Jahren keiner mehr betreten.“

„Warum?“

Ich wusste nicht, ob ich diese Frage jetzt hatte stellen sollen, denn der Gesichtsausdruck von James wurde sehr ernst, aber auch traurig.

„Ihr Großvater wollte es so…“

Er schaute mich lange und durchdringend an.

„Dann warte ich, bis Großvater aus der Stadt zurück ist und frage ihn selbst.“

„Das wird wohl das Beste sein!“

Ich fühlte mich in meiner Haut nicht mehr wohl.

„Ich gehe dann wohl besser…“, meinte ich und verließ die Kammer und den Stall.

„Warum hast du ihm nicht einfach den Schlüssel gegeben?“, hörte ich Taylor beim hinausgehen sagen.

„Es gibt Dinge, die du nicht verstehst und auch nichts angehen!“

*-*-*

Im Haus war es überraschend ruhig, keiner zu sehen. So lief ich zur Tür, hinter welcher sich Großvaters Bibliothek befand. Ich klopfte, bekam aber keine Antwort. Langsam drückte ich die schwerfällige Klinke nach unten und schob die massige Holztür auf.

Trotz der angenehmen Temperatur draußen, brannte hier ein kleines Feuer im Kamin und mollige Wärme kam mir entgegen. Auch hier war niemand. Ein aufgeschlagenes Buch auf einem Bord fiel mir ins Auge und ich wurde neugierig. Es schien ein sehr altes Buch zu sein, auf alle Fälle war das Papier recht alt.

„Das ist unsere Familienchronik“, hörte ich es hinter mir sagen und ich fuhr herum.

„Verzeih Junge, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Oh Großvater, entschuldige, dass ich hier so einfach…“

„Du musst dich doch nicht entschuldigen, du darfst dich hier im Haus überall frei bewegen.“

Ich nickte.

„Angefangen bei meinem Ururgroßvater George Jack Aide, der erste Duke von Newsberry.“

„Stehe ich auch drin?“

Großvater lächelte.

„Deshalb war ich heute morgen in der Stadt“, meinte er und blätterte weiter, bis zur letzten beschriebenen Seite.

„Ich habe dich und deine Mutter nachtragen lassen.“

Er zeigte auf ihren und meinen Namen.

„Woher weißt du mein Geburtsdatum?“

„Das hat mir deine Tante Abigail verraten.

„Großvater…, warum ich eigentlich hier bin. Ich wollte dich fragen, …wegen dem alten Bootshaus…“

So freundlich sein Gesichtsausdruck eben noch war, so verfinsterte es sich jetzt.

„Was ist mit dem Bootshaus?“

„Ich wollte fragen, ob ich den Schlüssel dazu haben kann.“

„Und für was?“

Seine Stimme klang feindselig und ich trat ein Stück zurück.

„Ähm…, ich glaube, dass ist nicht mehr so wichtig… Ich geh dann mal in mein Zimmer. Wir sehen uns beim Abendessen.“

Schnell hatte ich dass Zimmer verlassen und rannte die Treppe nach oben. Ich lief direkt in mein Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Warum verhielten sich alle so komisch, wenn ich das Bootshaus erwähnte.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen, als es an meiner Tür klopfte.

„Ja?“

Die Tür ging auf und mein Großvater stand in der Tür.

„Darf ich herein kommen?“

Ich richtete mich auf.

„Ähm… ja… natürlich.“

Großvater schloss die Tür und kam zu mir ans Bett.

„Entschuldige Junge, ich wollte nicht…“

Es fiel im sichtlich schwer mit mir zu reden und setzte sich neben mich. Er nahm meine Hand und schaute mich lange an.

„Es ist an der Zeit mit den Geheimniskrämereien aufzuhören. Ich möchte dir die volle Wahrheit sagen.“

Ich war nicht im Stande etwas zu sagen und nickte nur. Der Druck auf meine Hand ließ nach.

„Begonnen hat alles damit, als ich damals deine Urgroßmutter, küssend mit jemand anderem im Bootshaus erwischte.“

„Großmutter?“, fragte ich verwirrt, daran erinnernd, dass sie ein Tabuthema war.

„Ja…“, antwortete er und senkte den Kopf, „ich bin damals Kopflos davon gerannt, in den Wagen gestiegen und davon gebraust. Als ich zurück kam, waren deine Großmutter und all ihre Sachen weg. Seit dem habe ich nichts mehr von ihr gehört.“

„Hast…, hast du nicht versucht sie zu finden?“

„Nein.“

Dieses Nein kam so schnell und gestochen scharf, dass ich mich nicht traute weiter zu fragen.

„Sie hat mich mit den Kindern alleine gelassen, ich wollte nicht…“

„Und seitdem wurde das Bootshaus nicht mehr betreten?“

„Nicht ganz… Dein Vater lernte kurze Zeit später, deine Mutter kennen. Und plötzlich fehlten irgendwann Gelder vom Familienvermögen…“

Er schaute auf.

„Jack du musst mir glauben, alles was mir damals Henry und Sophia von deinem Vater vorgelegt haben, sah so aus, als hätte er das Geld genommen.“

„Sophia?“

„Deine zweite Tante….“

„Und du hast ihnen einfach so geglaubt?“

„Ja…, weil… weil er das Geld angeblich für seine Mutter verwendet hat.“

„Für Großmutter.“

„Ja…, ich sah dann nur noch rot und bat ihm zu einem Gespräch.“

„Hat er nicht gesagt, dass er dass nicht war.“

„Doch, aber ich glaubte seinen Geschwistern mehr, als ihm… leider. Der Schmerz, dass deine Großmutter mich verlassen hatte…, war einfach zu groß.“

„Dann hast du ihn enterbt?“

„Nein…, er wollte nichts mehr mit meinem Geld zu tun haben, weil ich ihm nicht vertraute… Darauf hin verließ er mein Haus. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.“

„Und dann ist er verunglückt…“

Großvater nickte. Es war interessant, die Geschichte aus dem Munde meines Großvaters zu hören.

„… seitdem habe ich das Bootshaus nicht mehr betreten…, weil es soviel Unheil brachte…“

„Damit hat doch das Bootshaus nichts zu tun und zudem hättest du es doch gleich abreisen lassen können.“

„Das brachte ich nicht über das Herz, es war der Lieblingsplatz deiner Großmutter und deines Vaters. Sie liebten beide das Wasser.“

Jetzt wusste ich wenigstens, woher ich meine Vorliebe zum Wasser her hatte.

„Du kannst natürlich die Schlüssel zu Bootshaus haben…, es wird aber sicherlich ziemlich unordentlich darin aussehen.“

„Das macht mir nichts aus.“

„Ich werde James die Anweisungen geben, es reinigen zu lassen.“

Die Tür ging auf und Mum kam herein.

„Oh entschuldige, ich wusste nicht, dass du nicht alleine bist.“

„Nicht schlimm. Großvater hatte mir etwas zu erzählen… von Großmutter und meinem Vater.“

„Aha…“, meinte sie und schloss die Tür hinter sich.

Ich erzählte in kurzer Form, was mir Großvater erzählt hatte und Mums Augen wurden groß. Währenddessen hielt Großvater die ganze Zeit meine Hand.

„Es gibt da noch etwas…, was ich bisher noch nie jemandem erzählt habe“, meinte Großvater plötzlich.

Mum und ich schaute ihn an.

„Dieser jemand… mit dem ich deine Großmutter küssend erwischt hatte…, war eine Frau.“

*-*-*

Still saß ich am Abendessen und löffelte meine Suppe. Seit Großvaters Offenbarung hatten wir kein Wort mehr geredet.

„Hallo, wo seid ihr denn alle“, hörte ich jemanden rufen, „mein Gepäck ist noch im Auto.“

„Sophia…“, sagte Onkel Henry nur.

Stimmt, diese Tante fehlte noch. Großvater hatte ja alle eingeladen. Abigail erhob sich und ging zu Tür.

„Abigail, altes Haus… gut siehst du aus“, hörte ich wieder diese Stimme.

„Hallo Sophia, wir sind grad beim Essen.“

Abigail betrat das Esszimmer wieder und wenig später folgte ihre eine bunt angezogene Frau, denn anders konnte ich diesen Kleidungsstil nicht beschreiben.

„Hallo, da seid ihr ja“, meinte sie und lief zu Großvater.

„Hallo Vater“, meinte sie, umarmte ihn kurz und küsste ihn auf die Stirn.

„Setz dich“, meinte er nur und löffelte weiter an seiner Suppe.

„Freundlich wie immer…“, kam es leise von ihr.

Sie setzte sich an den Tisch und schaute dabei Mum an.

„Charlotte? Bist du es wirklich? Was führt dich hier her?“

„Joseph war so freundlich uns einzuladen“, antwortete Mum kurz und bündig.

„Wir?“

Dabei wanderte ihr Blick auf mich und verharrte.

„Er…, er ist Isaak wie aus dem Gesicht geschnitten.“

„Ich weiß!“

Warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass es hier gerade am Tisch mächtig kriselte und gleich der dritte Weltkrieg ausbrechen würde.

„Ihr entschuldigt“, meinte Großvater plötzlich, stand auf und verließ den Raum.

Fragend schaute ich Mum an, doch sie schüttelte sanft den Kopf.

„Was ist? Ist jemand gestorben, oder warum sitzt ihr hier wie eine Trauergemeinde?“

„Sophia…, könntest du nicht einfach deinen Mund halten und uns essen lassen?“

Diese Worte kamen von Henry. Lediglich der Löffel von Jayden war zu hören, wir er über den Boden seines Tellers kratzte, um die letzten Reste der Suppe aufzunehmen.

„Ich glaube, ich werde zu erst auf mein Zimmer gehen und mich etwas frisch machen“, sagte plötzlich Sophia in die Stille.

Sie erhob sich wieder und verließ ebenfalls den Raum. Ich fühlte unwohl und konnte nur erahnen, wie es damals gewesen sein musste, als mein Dad noch lebte. Ohne viel nach zudenken, stand ich ebenfalls auf und lief zur Tür.

„Jack…“, hörte ich Mum rufen.

Dieses Mal schüttelte ich den Kopf und lief hinaus.

*-*-*

Großvater stand an der Auffahrt zum Haus und schaute zu Allee hinaus.

„Großvater?“, sagte ich leise.

Er reagierte nicht.

„Großvater…, wenn ich dich mit meinem Handeln…, irgendwie verletzt haben sollte, oder…“

„Nein Jack“, fiel mir Großvater ins Wort und drehte sich um, „das hast du nicht. Ich zweifle nur gerade an mir selbst, ob meine Entscheidung, die Familie wieder zusammen zu bringen, richtig war.“

„Dann hätte ich nie meinen Großvater kennen gelernt…“

Er schaute mir in die Augen. Sie waren traurig.

„Viel zu spät habe ich gemerkt, was ich in meinem Leben versäumt habe, durch meinen Stolz…, gekränkte Eitelkeit und Eifersucht…“

Ich verzog fragend das Gesicht.

„Eifersucht…?“

„Ja mein Junge. Ich war Eifersüchtig auf deine Großmutter und deinen Vater. Sie haben gemacht, was sie wollten und waren glücklich damit und ich…“

„Warst du denn nie glücklich?“

„Als wir noch eine Familie waren…“

Einzelne Tränen rannen über die Wangen meines Großvaters und ich spürte, dass es mir selbst nicht besser ging.

*-*-*

Ich lag auf meinem Bett und schaute an die Decke. Es klopfte.

„Ja?“

Die Tür ging auf und Abigail schaute herein.

„Hallo“, meinte ich und mein Blick wanderte zurück.

„Darf ich herein kommen?“

Ich richtete mich auf und setzte mich auf den Bettrand.

„Klar doch…, es ist euer Haus…“

Abigail schloss die Tür und setzte sich zu mir aufs Bett. Sie nahm meine Hand und schaute mich an.

„Es ist genauso auch dein Haus…, du gehörst zur Familie.“

Mein Blick senkte sich und ich schaute auf meine Füße.

„Es mag vielleicht unverschämt klingen…, aber bevor ich euch kennen lernte…, Mum und ich…“, ich hob den Kopf und schaute sie an, „… wir waren glücklich.“

Sie nickte, sagte aber kein Wort.

„Wofür hat man das hier alles, wofür das viele Geld…, wenn man nicht glücklich sein kann…, oder darf?“

„Es ist so…, wie es ist, Jack.“

Ich entzog ihr meine Hand und erhob mich.

„Ich kenne Großvater noch nicht lange, aber…“, ich drehte mich zu ihr, „als ich ihn eben vor dem Haus weinen sah, brach es mir fast mein Herz. Ist es das wert?“

„Jack ich weiß, du verstehst vieles noch nicht…“

„Ich verstehe soviel, dass ich sehe, was hier schief läuft!“, unterbrach ich sie.

Meine Stimme war lauter geworden. Die Tür ging auf und Mum kam herein.

„Ich hätte gute Lust, alle einzupacken und wieder heim zufahren…, auf so eine Familie kann ich verzichten.“

„Jack!“, fuhr mich Mum an.

„Lass ihn Charlotte…, er hat doch Recht. Schau dir Vater an, er zerbricht immer mehr an diesen Zuständen.“

„Er ist krank?“, fragte Mum leise.

Abigail nicht und senkte den Kopf dabei.

„Wie krank?“, fragte ich und bekam en ungutes Gefühl in der Magengegend.

„Ich soll es euch zwar nicht erzählen, aber irgendwann hättet ihr es selbst gemerkt. Die Ärzte wissen sich nicht mehr zu helfen. Er hat jeden Lebenswillen verloren. Lediglich die Familie hält ihn noch aufrecht.“

„Familie…“, sagte ich sarkastisch.

„Eine kleine Operation würde helfen…“

„Und warum lässt er sich nicht operieren?“, fragte ich.

Abigail zuckte mit den Schultern. Mum kam und nahm mich in den Arm.

„Es ist ein Geschwür am Magen, das man operativ entfernen müsste, bevor es sich ausbreitet und ihn langsam…“

Abigails Augen wurden feucht, ihre Stimme versagte.

„Ich rede mit ihm…“, meinte ich.

„Jack…, wir wissen offiziell nichts und du bist…“

„… sein achtzehn jähriger Enkel, der seinen Großvater noch eine Weile behalten will“, unterbrach ich Mum.

„Eben wolltest du noch abreisen“, meinte sie und lächelte etwas.

Auch Abigail lächelte. Ich schaute die beiden an.

„Darf ich euch etwas fragen?“

„Was?“, sagten Mum und Abigail fast gleichzeitig.

„Was war das vorhin da unten? Ich meinte, ich weiß schon, das war meine Tante Sophia. Aber als sie herein kam, kam es mir so vor, als würde im Esszimmer, die Temperatur sinken, so eisig wie plötzlich alle am Tisch waren.“

„Erzähl du…“, meinte Mum zu Abigail.

„Was gibt es groß zu erzählen. Sophia ist eine Lebefrau und lässt alles, was ihr nicht passt, links liegen. Sie geht über Leichen, wenn sie etwas will. Ich weiß nicht, wie viele Männer sie schon verschlissen hat…“

„Und niemand kann sie leiden…“

„Das habe ich nicht gesagt, es ist schließlich meine Schwester. Aber der Umgang mit ihr…, ist… schwierig.“

„… und gewöhnungsbedürftig“, schloss sich Mum an.

„Da kommt sicher noch etwas auf mich zu“, meinte ich.

„Wie meinst du das?“, fragte Mum.

„Ob es ihr passt, wenn ich mich mehr um Großvater kümmere?“, lächelte ich beide an.

*-*-*

„Wo hast du das denn aufgetrieben?“, fragte Großvater, als er neben mir und vor dem Segelboot stand.

„Ein paar Anrufe und Beziehungen“, antworte ich nur.

„Und damit kannst du umgehen?“

„Ja“, lächelte ich, „hier ist deine Schwimmweste, wir können gleich los.“

Er sah mich verwirrt an. Gut, so einfach war es wirklich nicht, das Boot hier her und an den See zu bekommen. Ich hatte am Abend einige Telefonate geführt. Und Dank meiner letzten Siege, hatte ich bei ein paar Leuten etwas gut und nun war das Boot da.

„Ich glaube… ich bin zu alt für so etwas.“

„Quatsch, für so etwas ist man nie zu alt“, sagte ich und ohne zu fragen zog ich ihm einfach die Schwimmweste an.

„Muss ich das Ding tragen?“

„Ja!“, sagte ich bestimmend und zog die Kordeln fest.

„Beruhigend…“

Ich konnte nicht anders und musste kichern.

„Komm, ich helfe dir ins Boot.“

„Habe ich überhaupt die richtige Kleidung an? Da gibt es doch sicher auch extra Sachen für.“

„Großvater, du bist warm angezogen und das reicht! Komm… gib mir deine Hand.“

Unsicher streckte er seine Hand aus und ich schob ihn langsam auf das Boot. Natürlich schaukelte es etwas, aber ich ließ mich nicht beirren.

„Da kannst du dich hinsetzten und den Rest überlässt du mir.“

Ich band die Taue los, stieg ebenfalls in das Boot und stieß mich mit einem Fuß vom Steg ab. Am Ruder sitzen zog ich am Großschlot, um das Segel in den Wind zu bekommen und schon bewegten wir uns vom Steg weg.

Auf das Focksegel verzichtete ich, denn ich wollte, dass Großvater uneingeschränkte Sicht hatte und ich auch mit ihm reden konnte. Das Boot bekam noch mehr Fahrt und bald schon spürte ich den Wind, der mir ins Gesicht wehte.

„Herrlich…“, meinte Großvater, mit Blick nach vorne.

Ich lächelte.

„Wie lange segelst du schon?“

„Ich habe mit zehn begonnen.“

„… dein Vater war ein ausgezeichneter Schwimmer…“

Sein graues Haar wiegte sanft in dem Wind.

„Ich weiß leider nicht so viel von meinem Vater…, aber das ist nicht schlimm.“

„Er hat sogar einmal einen Wettkampf gewonnen.“

Plötzlich sah ich einen gewissen Stolz in seinen Augen.

„Vielleicht kannst du ja einmal nach Staines kommen und dir eine Regatta anschauen.“

Seine Augen verloren an Glanz und er schaute nach vorne. Sein Kopf nickte etwas.

„Großvater…“

Ich atmete tief durch.

„… ich weiß… von dem Geschwür.“

Sein Kopf flog herum.

„Wer hat dir das erzählt?“

„Das ist egal…“

Er atmet tief durch und schaute wieder nach vorne.

„Warum lässt du dich nicht operieren?“

„Was… bringt das schon… ein zwei Jahre mehr…“

„Ein… zwei Jahre mehr…, die du mit deinem Enkel verbringen kannst…!“

Ich spürte den Kloss in meinem Hals und wie meine Augen feucht wurden. Langsam drehte er den Kopf und ich sah, wie erneute weinte.

„… ich habe… dich erst kennen gelernt… und will dich noch besser kennen lernen…“

Er senkte den Kopf.

„Bitte Großvater…“

„Ich weiß nicht…“

„Was weißt du nicht?“

Mittlerweile hatten wir die Hälfte des Sees durchquert und ich sah schon das Ufer der anderen Seite.

„Ich habe die Lust verloren…, die Lust auf das Leben…, es ist soviel passiert und wenn ich zurückschaue…, ich bin nicht stolz… was ich da sehe. Aber du bist noch so jung…, du solltest dich nicht mit meinen Problemen herumschlagen.“

„Vergangenheit kann man nicht ändern…“, meinte ich, „aber das was kommt?“

„Wie alt bist du? Man könnte meinen, ein weiser Mann sitzt vor mir.“

„Achtzehn Jahre bin ich und ich muss nicht weise sein, um so etwas zu wissen. Es ist das Gesetz der Zeit.“

Er lächelte etwas. So langsam sollte ich das Boot wenden. Ich drückte die Pinne etwas zur Seite und ließ das Großschot etwas locker. Der Segler reagierte sofort und trieb Backbord ab. Der Baum wanderte Richtung Steuerbord, bis ich das Großsegel wieder im Wind hatte.

Dieser Vorgang dauerte vielleicht ein Minute. Wir waren wieder am Wind und hatten Kurs auf den Steg genommen.

„Du machst das mit einer Leichtigkeit…“

„Jahrelange Übung.“

Er schaute wieder nach vorne und es trat eine kleine Pause ein. Er dachte nach, das spürte ich.

„Du meinst… ich soll mich wirklich operieren lassen?“

„Ja“, antwortete ich.

„Ich habe Angst…“

„Jeder hat Angst vor einer Operation, dass ist doch normal.“

„Nein…, das meine ich nicht.“

Verwirrt schaute ich zu ihm du er drehte sich wieder zu mir.

„Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe und meine Kinder über alles herfallen und es zerstören.“

„Aber nicht Tante Abigail.“

Er lächelte wieder.

„Nein… sie nicht, da hast du Recht.“

„Ich kenn mich da überhaupt nicht aus und… und… kann man so etwas nicht festlegen lassen?“

„Du meinst mein Testament.“

„…öhm ja…“

„Keine Sorge…, das ist alles so geschrieben, dass jeder das bekommt, was er verdient. Nur ich kenne Sophia und Henry…, sie hatten schon immer Trick auf Lager…“

„… du gehst ins Krankenhaus und lasst dich operieren und bist dann bald wieder zu Hause.“

Ich wusste nicht, woher ich diese Selbstsicherheit her nahm, um so mit meinem Großvater zu reden.

„Du hast viel Gottvertrauen.“

„Ich weiß nicht, ob man das Gottvertrauen nennen kann. Vielleicht kann ich dir das so erklären. Durch das Segeln bin ich viel ruhiger geworden. Ich konnte mich besser konzentrieren und Dinge schneller erfassen. Meine Angst vor Dingen, die ich früher als unlösbar empfand, wurde weniger.“

„Das kann man durch das Segeln lernen?“

„Kann schon sein…, bei mir war es auf alle Fälle so.“

Er sah mich lange an.

„Jack ich bin stolz, dass du mein Enkel bist!“, lächelte er mich an.

*-*-*

„Du bist verrückt“, meinte Mum.

Ich zog die letzte Lasche um das Großsegel.

„Wieso? Hier ist ein herrlicher großer See, der sogar meinem Großvater gehört, dann kann ich doch auch darauf segeln.“

Sie lachte.

„Mein Herr Sohn und seine verrückte Ideen.“

„Sie mögen zwar verrückt sein, aber wie heißt es so schön? Es kommt immer auf das Ergebnis an.“

„Welches Ergebnis meinst du?“

„… dass Großvater sich operieren lässt“, sagte ich lächelnd und verließ das Boot mit einem Sprung.

„Er lässt sich…“

„Ja.“

„Wie hast du das denn fertig gebracht?“

Ich schaute auf den See hinaus und antwortete nicht. Plötzlich spürte ich den Arm meiner Mutter, wie er sich um meine Hüfte legte.

„Wenn dass stimmt, hast du etwas bei mir gut.“

„Okay! Wie wäre es mit diesen tollen Segelklamotten, die ich mir schon lange wünsche…“

Sie lachte und umarmte mich. Gemeinsam liefen wir zum Haus zurück. Mir war nicht entgangen, dass wir die ganze Zeit beobachtet wurden. Der Braunschopf namens Jayden war nicht gut im Verstecken.

*-*-*

Ich saß bei Mum auf dem Bett und blätterte in einer Zeitschrift.

„Wie findest du das?“, hörte ich Mum aus dem Bad rufen.

„Was denn?“

Sie lief aus dem Bad und ich traute meinen Augen nicht. Sie trug doch sonst nie ein Kleid.

„Öhm…“

„Was? Gefällt es dir nicht…? Soll ich etwas anderes anziehen?“

„Muuuum… Nein! Ich habe dich nur noch nie in einem Kleid gesehen… sieht gut aus.“

„Wirklich?“

„Ja!“

Ihre Mundwinkel bogen sich nach oben und sie lächelte wieder.

„Ist etwas Besonderes, oder warum hast du das Kleid angezogen.“

„Nein… ich habe einfach nur Lust gehabt, es anzuziehen.“

Ich nickte und wollte gerade etwas erwidern, als es kräftig an der Tür klopfte. Mum schaute mich an und ich zuckte mit den Schultern.

„Ja?“, meinte Mum.

Die Tür wurde aufgerissen und Henry stürmte regelrecht herein, dich gefolgt von Olivia.

„Stimmt das? Vater muss operiert werden? Was hat er?“

Mum schaute mich an und ich konnte nur lächeln, weil ich wusste, woher die beiden das hatten. Sie wandte sich zu den beiden.

„Und wenn? Was stört es dich?“, kam es von Mum.

Mit der Antwort hätte ich jetzt nicht gerechnet. Henrys Kopf wurde hochrot und er plusterte sich auf.

„Reg dich ab Henry…“

„Wie redest du mit meinem Mann?“, fuhr Olivia Mum an.

„So wie ich schon lange mit ihm reden hätte sollen.“

Olivia rann jetzt ebenfalls nach Luft, während Mum in aller Ruhe ihre Ohrringe anlegte.

„Ja, er muss sich operieren lassen. Ein Geschwür im Magen. Aber was interessiert das euch. So wie ich von Abigail hörte, lasst ihr euch hier ja nicht viel blicken.“

„Henry, müssen wir uns das von der…“

„Der was?“, Mum drehte sich zu Olivia um, „ich bin Isaaks Frau und habe genauso viel Rechte wie du. Es mag sein, dass Isaak damals auf seine Erbe verzichtet hat, das ohne eure krummen Touren nicht nötig gewesen wäre, aber mein Sohn und ich haben nicht verzichtet.“

Ich wusste nicht, ob ich jetzt loslachen sollte. Die Gesichter meines Onkel und meiner Tante waren göttlich.

„Ich bin nur wegen Jack hier, weil er seinen Großvater kennen lernen wollte. Auf euch hätte ich gerne verzichtet. Komm Jack, Großvater wartet nicht gerne mit dem Essen.“

Sie griff nach meiner Hand und zog mich zur Tür.

„Ach seid so gut, wenn ihr mein Zimmer verlasst, schließt die Tür!“

*-*-*

Auf der Treppe hatten die zwei uns wieder eingeholt.

„Charlotte… warte doch, bitte“, hörte ich Henry rufen.

„Henry, was soll dass, du redest noch mit dieser Frau“, fuhr ihn Olivia an.

„Diese Frau ist meine Schwägerin und du hältst jetzt gefälligst deinen Mund!“

„Henry… wie redest du mit mir.“

„Henryyyy“, äffte er seine Frau mit hoher Stimme nach, „so wie ich es schon lange hätte tun  sollen! Dein Getue geht mir so auf den Sack…“

Olivia schlug die Hand vor den Mund und schaute Henry entsetzt an. Ich konnte nicht anders und begann zu kichern. Ich spürte Mums Ellbogen in meiner Hüfte, doch ich sah, dass sich ebenfalls das lachen verbeißen musste.

„Für dich zählt doch nur das Geld, oder? Deswegen hast du mich doch geheiratet?“, fuhr Henry seine Frau an.

Olivia stand starr an und ihre Augen wurden feucht.

„Hört, hört!“

Das war die Stimme von Sophia, die ich seit gestern nicht mehr gesehen hatte. Sie war unbemerkt auf der Galerie erschienen.

„Sophia, halt dich einfach heraus und kümmere dich um deine Sachen.“

„Bruderherz, wer wird denn gleich so garstig sein?“

„Bruderherz…, dass hört sich aus deinem Mund so unwirklich an.“

„Wenn du meinst…“

Sophia lief an Olivia, die immer noch starr da stand, vorbei und kam die Treppe herunter.

„Lass dich nicht aufhalten“, meinte sie noch, bevor sie im Esszimmer verschwand.

Ich drehte mich wieder um zu den anderen. Olivia hatte sich wieder etwas gefasst, zumindest stand sie nicht mehr starr da. Ich Gesicht war rot und zornig.

„Du kleinkarierter Möchtegern…, wo wärst du denn heute ohne mich?“, fing sie plötzlich an, du und deine Sippschaft, als hätte ich die nötig gehabt.“

Henry lachte sarkastisch.

„Mit dir bin ich fertig! Du wirst schon sehen, was du davon hast, dich gegen mich zu stellen.“

„Reg dich ab!“, meinte Henry im ruhigen Ton.

Wenn Blicke töten könnten, wäre Henry augenblicklich in Flammen aufgegangen. Dann wandte sich Olivia an Mum.

„Und du sorgst dafür, dass diese Schwuchtel von meinem Sohn fern…“

Sie konnte den Satz nicht beenden, den Mum hatte ausgeholt und ihr ins Gesicht geschlagen. Mir wurde schlecht. Woher wusste sie dass? Warum sagt sie so etwas? Mir wurde speiübel. Langsam drehte ich mich um und lief zur Haustür.

„Nenn meinen Sohn nie wieder Schwuchtel! Hast du mich verstanden?“, schrie Mum Olivia an.

„Was ist denn hier los?“, hörte ich plötzlich Großvaters Stimme und sah wie er an der Tür zur Bibliothek stand Ich wusste nicht wie lange er da schon stand und was er gehört hatte, mir wurde alles zu viel.

Ich riss die Haustür auf und rannte hinaus.

„Jack!“, hörte ich Mum noch, aber ich konnte nicht mehr.

Beim nächsten Busch machte ich Halt und übergab mich. Ich kotze mir die Seele aus dem Laib.

„Oh Gott mein Junge…, was ist mir dir?“, hörte ich Großvaters Stimme.

Ich spürte eine Hand auf meinem Rücken.

„Jack?“

Das war Mum. Mein Magen beruhigte sich, aber ich rann heftig nach Luft.

„Jack, du wirst dir doch dieses Schimpfwort nicht zu Herzen nehmen?“, hörte ich Mum sagen.

„…Schimpfwort…?“, keuchte ich.

„Sie hat dich Schwuchtel genannt…, na und, was regt dich das auf…?“

„… weil… weil ich eine bin…“

„WAS?“

 Ich richtete mich auf und sah Mum und Großvater verschwommen durch meine nassen Augen.

„Ich bin schwul!“, fuhr ich Mum an.

„Bitte?“, sagte Großvater und sah mich entsetzt an.

Meine Knie wurden weich und ich hatte Probleme stehen zu bleiben. Großvater drehte sich um und lief wieder zum Haus.

„Nein… bitte…“, wimmerte ich.

*-*-*

Ich lag auf meinem Bett und starrte wieder zur Decke. Ich konnte keinen richtigen Gedanken finden, ich sah immer nur Großvater, wie er enttäuscht mich stehen ließ. Irgendwann, ich weiß nicht wie lange ich gelegen hatte, öffnete sich meine Tür.

Mum kam herein und was mich aufschrecken ließ, Großvater folgte ihr. Nichts dagegen tun könnend, fing ich wieder an zu weinen.

„… es tu… mir Leid“, wimmerte ich.

„Schhhhh“, kam es von Mum, die sich zu mir ans Bett setzte.

Großvater blieb nur stumm da stehen. Er schien auch geweint zu haben, seine Augen waren rot. Ich versuchte mich wieder zu beruhigen. Bei jedem Schluchzer bebte mein ganzer Körper.

„Warum hast du mir das nie gesagt…?“, hörte ich Mums sanfte Stimme.

Ich drehte den Kopf weg und schluchzte immer noch.

„… ich… ich weiß nicht.“

„Haben wir uns nicht immer alles erzählt?“

Ich schaute zu Mum. Das war ein Eigentor.

„Entschuldige…, die Frage war unpassend. Jack…, hast du so wenig Vertrauen zu mir?“

Ich atmete tief durch, wusste aber nicht genau, was ich darauf antworten sollte.

„… ich… ich hatte Angst.“

„Angst vor was?“

„Angst, dich zu verletzten…, dich zu verlieren.“

„Jack, du bist mein Sohn, ich habe niemand außer dir.“

Mein Blick wanderte zu Großvater, der immer noch nichts gesagt hatte.

„Ich habe dich schwer enttäuscht…, oder?“, fragte ich leise.

Er atmete tief durch.

„Nein mein Junge, oder doch…, es tut mir Leid. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll.“

Ich spürte, wie Mum sich anspannte und etwas sagen wollte, doch Großvater sprach einfach weiter.

„Ich habe zweimal in meinem Leben einen Fehler begangen. In beiden Fällen wurde ich enttäuscht und durch meine Sturheit habe ich zwei geliebte Menschen für immer verloren. Diesen Fehler möchte ich nicht noch einmal begehen.“

Sein Blick wurde weich und Mum entspannte sich wieder.

„Vielleicht bin ich zu alt, oder halte zu sehr an vergangenen Werten fest. Du musst mir damit Zeit lassen, mich daran zu gewöhnen, dass du anstatt mit einem Mädchen, lieber mit einem Jungen küsst. Du solltest segeln lernen.“

„Hä? Er kann segeln“, meinte Mum verwirrt und drehte sich zu ihm um.

„Es hat mal jemand zu mir gesagt, dass man beim Segeln lernen kann, ruhiger zu werden, Dinge objektiver zu sehen und keine Angst zu kriegen, vor dem was kommt.“

Er schaute mich die ganze Zeit durchdringend an.

„Ich weiß, anderen kann man sehr gut einen Ratschlag geben, aber es selbst zu versuchen, ist oft schwer.“

Er wandte sich an Mum.

„Dein Sohn hat mir diesen Ratschlag beim Segeln gegeben, als er versuchte, mich zur Operation zu überreden.“

„Du sollst segeln lernen? Erfolgreich?“, fragte Mum.

„Nein, er meinte damit die Einstellung, die ich bisher hatte und ja, ich werde mich der Operation unterziehen.“

„Gut!“

Sie schaute mich an und lächelte.

„Du trägst das schon lange mit dir herum?“, wollte Mum wissen.

Ich nickte leicht.

„… und was war da mit Jayden?“

„Nichts! Das ist es doch gerade. Das einzige Mal, dass wir uns trafen, war in der ersten Nacht auf der Toilette, aber auch nur, weil ich nicht wusste, dass wir ein gemeinsames Bad hatten.“

„Und warum behauptet er dann, dass du schwul bist und ihn belästigt hast?“

„Ich weiß es selber nicht. Nichts hier im Zimmer…“, ich schaute herum und stockte, „… Scheiße!“

„Jack…“, mahnte mich Mum.

„Mein Laptop.“

„Was ist mit deinem Laptop?“, wollte Großvater wissen.

Wenn mein Gesicht noch nicht rot war, dann änderte sich nun die Farbe meiner Haut.

„… ich habe im Internet ein paar Seiten abgespeichert, die eindeutig sind.“

„Sexseiten?“, fragte Mum empört.

„Nein…, Seiten mit Geschichten und so…, da geht es… um Coming out.“

„Coming Out?“, fragte Großvater.

„Das ist das, was dein Enkel gerade uns gegen über gemacht hat, sich „geoutet“, erzählt, dass er schwul ist.

„Immer diese neumodischen Wörter…, gut wieder etwas dazu gelernt. Hat dein Laptop kein… öhm Passwort“, kam es von Großvater, „Abigail hat mir eins für unseren Computer gegeben, aber dass vergesse ich immer wieder, weil ich so selten an diesem Kasten sitze.“

„Nein…, warum denn auch. Zu hause brauche ich keins. Mum geht nicht ungefragt an mein Laptop.“

Dieser Drecksack war also in meinem Zimmer und auch an meinem Laptop.

„Also hat es bisher niemand gewusst?“, wollte Mum wissen.

„… Sabrina… weiß es… sonst niemand…“

„Sabrina?“, kam es aus beider Munde.

„Sabrina geht ist in der Schule in seinem Jahrgang“, erklärte Mum leise.

Ihre Stimme klang enttäuscht.

„… es tut mir Leid, Mum. Ich wollte dich nicht enttäuschen…, vielleicht habe ich ja davor Angst gehabt…, deine Reaktion…“

Mum atmete durch. Großvater legte seine Hand auf ihre Schulter.

„Ich bin nicht darüber enttäuscht…, dass du… schwul bist…, sondern dass du Sabrina wohl mehr vertraust als mir.“

„Das stimmt… nicht, Mum.“

Wieder pressten sich Tränen in meine Augen.

„Ich… ich wusste einfach nicht, wie ich dir das sagen soll…“

„Auf alle Fälle nicht so…“

„Charlotte, sei nicht so hart zu dem Jungen, dafür kann er wirklich nichts.“

Sie schaute Großvater an.

„… und… was ist jetzt?“, fragte ich zaghaft.

„Was soll jetzt sein…, ich habe einen schwulen Sohn und kann wohl nicht mit Enkeln rechnen.“

Verwirrt schaute ich sie an, bis ihre Mundwinkel wieder leicht nach oben gingen und sie lächelte.

„Jack Joseph Lewis Baron of Newbury, du bist so blöd!”

„… was?“, fragte ich noch verwirrter.

„Du hättest deiner Mutter ruhig mehr vertrauen können. Dachtest du, ich habe dich deswegen weniger lieb?“

Ich zuckte mit den Schultern. Sie beugte sich vor und nahm mich lange in den Arm.

*-*-*

Ich hatte Jayden mein Outing zu verdanken. Er hatte nichts Besseres zu tun, als mich bei seinen Eltern anzuschwärzen. Warum wusste ich nicht, so viel hatte ich doch gar nicht mit ihm zu tun.

Vielleicht war das ein Fehler. Aber Jayden war nicht meine Welt und zu dem mein Cousin. Man konnte sich viel aussuchen, außer eben seiner Verwandtschaft. Olivia war mit Molly sofort nach London abgereist, während Henry blieb.

Ebenso Jayden, was mich sehr wunderte. Er hatte anscheinend erzählt, ich hätte mich ihm an den Hals geworfen. Henry hatte mir sogar einen kurzen Besuch abgestattet und sich bei mir entschuldigt. Aber ob er jetzt den Ausspruch seiner Frau war, oder das damals mit meinem Vater meinte, dass wusste ich nicht.

Er redete viel und durcheinander. Großvater dagegen, war lange an meinem Bett gesessen und hat mir viel erzählt, von Dad und früher. Nun war ich wieder alleine. Mein Magen meldete sich und ich verspürte so etwas wie Hunger.

Ich schlug die Decke zurück und überlegte, ob ich zu Mum gehen sollte.  Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Ob sie schon schlief? Leise lief ich zu meiner Tür und öffnete sie. Mit einem leisen Knarren ließ sie sich aufziehen.

Ich schaute auf den Flur. Hier war alles ruhig. Nur mit Shirts und Shorts ging ich leise die Treppe hinunter und stockte, als ich die offene Tür der Bibliothek sah. Ich lauschte angestrengt, konnte aber nichts hören, als das Knistern des Feuers, dessen Schein flackernd, sich an der Decke wieder spiegelte.

An der Bibliothek vorbei, betrat ich die hintern Räume des Hauses. Wie am Vortag führte mich mein Weg in die Küche, die um diese Zeit natürlich auch leer war. Zielstrebig lief ich zum Kühlschrank und öffnete ihn.

Gefüllt mit lauter leckeren Sachen, erschwerten mir die Wahl, die Qual der Wahl. Plötzlich flammte das Deckenlicht auf. Erschrocken fuhr ich herum.

„Junger Mann?“

Caitlin stand in einem Morgenmantel vor mir. Verlegen trat ich auf der Stelle.

„Sie haben Hunger?“

Verschämt nickte ich.

„Warum haben sie nicht nach mir rufen lassen?“

Ich schaute auf die Uhr über dem großen Kühlschrank.

„… es ist…, ähm nach Mitternacht…, ich wollte niemanden stören.“

„Quatsch, dafür bin ich doch da.“

„Tut mir Leid… Caitlin. Ich bin das nicht gewohnt. Zu hause sind nur Mum und ich. Wenn ich Hunger habe, dann mache ich mir etwas selbst.“

„Kocht sie nichts?“

„Doch, aber sie ist ja über den ganzen Tag im Geschäft, da bin ich oft alleine.“

„Das tut mir Leid zu hören, aber hier läuft es etwas anders. Aber egal, was möchtest du gerne essen… setz dich doch.“

„Ich kann es auch mit auf mein Zimmer nehmen…“

„Okay…, warte. Ich fülle dir ein Teller mit ein paar Sachen. Soll ich dir einen Tee dazu kochen?“

„Nein danke…, dass muss nicht sein… Wasser würde völlig genügen.“

Sie fuhrwerkte an der Küchenzeile herum und ein paar Minuten später stand ein Tablett mit Essen und Trinken vor mir.

„Caitlin danke, dass ist sehr lieb von ihnen.“

„Ich habe den Auftrag von ihrem Großvater, ihnen alles zu geben, was sie möchten.“

„… Großvater…, aha… trotzdem Danke. Ich… ich geh dann mal in mein Zimmer.“

„Soll ich ihnen das Tablett nicht lieber hinaufbringen.“

„… ähm nicht nötig, dass schaffe ich schon selber, aber… danke.“

*-*-*

Ich schob das Tablett zur Seite. Caitlin hatte es wirklich gut gemeint. Ich hatte vielleicht gerade mal die Hälfte geschafft, von dem was sie drauf gemacht hatte. Nun war auch wieder die Müdigkeit da.

Ich stand auf und brachte das Tablett zum Schreibtisch. Ich löschte die Lampe auf diesem und legte mich wieder ins Bett. Wenig später war ich schon eingeschlafen.

Am Morgen wachte ich recht früh auf und trotz meines späten Ausflugs war ich doch recht fit. Niemand war im Bad und auch aus Jaydens Zimmer war nichts zu hören. So war ich wenig später, komplett angezogen und schaute, ob schon jemand auf war.

Leise öffnete ich die Tür zum Esszimmer und fand Großvater alleine vor.

„Jack…, guten Morgen…, so früh schon auf? Wie geht es dir?“

„Guten Morgen Großvater… es geht mir gut.“

„Komm setz dich zu mir.“

Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich zu Großvater. Kaum hatte ich mich gesetzt, ging auch schon die Tür auf und der Diener kam herein.

„Möchtest du einen Kaffee, oder Tee?“, fragte Großvater.

„Wäre es möglich…, eine heiße Schokolade zu bekommen?“

„Aber sicher doch“, kam es von Großvater und der Diener nickte und verschwand wieder.

„… ähm Großvater…, darf ich dich etwas fragen?“

„Was denn?“

„Woher weiß der Mann, wann wir fertig sind mit dem Essen oder wir etwas brauchen. Er erscheint immer dann, wenn er nötig ist.“

Großvater fing an zu lachen.

„Schau her mein Junge.“

Ich beugte mich zu ihm herüber und er hob ein wenig die Tischdecke an. Zum Vorschein kam ein kleiner Knopf.

„Wenn du den drückst, dann kommt er?“

„Ja, das ist direkt mit der Küche verbunden. Einmal kurz drücken und Harry oder die junge Ruby wissen dann, dass sie gebraucht werden und zwei Mal drücken, dass er abräumen kann oder auch der nächste Gang serviert werden kann.“

„Praktisch…“

Ich lächelte. Wieder ging die Tür auf und Henry erschien. Er servierte mir meine Schokolade.

„Wünschen der Herr noch etwas?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein Harry, das war alles, danke.“

Auf leise Sohlen verließ Harry wieder das Zimmer. Ich stand auf und nahm meinen Teller. Caitlin hatte sich wieder alle Mühe gegeben, um mir die Entscheidung, was ich frühstücken möchte zu erschweren.

Ich entschied mit für das Ei mit Speck und legte noch eine Scheibe Toast dazu. Danach gesellte ich mich wieder zu Großvater.

„Frühstückst du immer so früh.“

„Eigentlich ja…, ich schlafe nicht mehr all so lange und um diese Zeit habe ich meine Ruhe. Was hast du heute geplant?“

Ich hatte gerade vom Toast abgebissen. Schnell kaute ich fertig und schluckte den Bissen herunter.

„Da ich ja jetzt den Schlüssel vom Bootshaus habe, wollte ich mich etwas dort umschauen. Du hast erzählt mein Vater hat dort viel Zeit verbracht…, vielleicht finde ich etwas Interessantes.“

„Gut…“, kam es zögernd von Großvater, „kann ich dich vielleicht begleiten.“

„Es ist dein Bootshaus.“

Er lächelte.

*-*-*

Mum schien noch im Bett zu liegen, aber wecken wollte ich sie nicht. So traf ich mich später mit Großvater und gemeinsam liefen wir hinunter an den See.

Es ist so schön ruhig hier“, meinte ich.

„Nicht zu ruhig?“

„Nein. Zu Hause gibt es keinen Platz, an dem diese Stille herrscht, vielleicht beim Segeln ja, aber einen Park oder so etwas Ähnliches haben wir nicht in der Nähe.“

Das Bootshaus kam in Sichtweite und Großvaters Gesichtsausdruck wurde ernst. Wenig später standen wir vor der Tür, die ich das letzte Mal erfolglos versuchte zu öffnen. James musste schon hier gewesen sein. Das Gras und der Rasen waren nun alles geschnitten, es sah recht gepflegt aus.

Ich schob den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam herum. Mit einem Klacken sprang die Tür auf. Leicht modrige Luft kam uns entgegen. Ein Ruderboot kam ins Sichtfeld, das munter im Wasser schaukelte.

Daneben schien ein Kanu zu sein, davon aber nur noch das Heck am Seil hervorschaute, der Rest war unter der Wasserlinie. Großvater starrte auf eine Stelle im Haus. Ich ging nicht darauf ein.

„War wirklich schon lange niemand hier“, meinte ich.

„Seit achtzehn Jahren nicht mehr…

Mein Blick wanderte weiter. In einer Ecke waren Holzkisten gestapelt.

„Was sind das für Kisten?“

„Junge, ich weiß es nicht.“

Neugierig wie ich war ging ich hin und versuchte den Deckel der obersten Kiste zu öffnen. Nur mühsam, aber es gelang mir. Zum Vorschein kamen Bücher, Hefte und andere Dinge.

„Ich glaube…, die gehörten deinem Vater.“

„Meinem Vater?“

Großvater nickte und schaute auf seine Uhr.

„Kann ich dich alleine lassen? Ich habe noch einen Termin.“

„Kein Problem, Großvater. Hier gibt es eine Menge zu schauen.“

„Du kannst mir später erzählen, was du alles gefunden hast.“

Ich nickte und lächelte ihn an.

*-*-*

Ich hatte natürlich fast alle Kisten geöffnet und war bei einer davon hängen geblieben. Sie enthielt Briefe. Briefe zwischen meinem Dad und seiner Mutter. Gedankenverloren saß ich da und las in einigen.

„Jack?“

Ich fuhr zusammen und drehte mich um. Mum stand in der Tür und dahinter konnte ich Jayden entdecken.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Was machst du da?“

„Die Kisten gehörten anscheinend Vater.“

„Isaak?“

Ich nickte. Sie kam näher, während Jayden in der Tür stehen blieb. Ich schaute zu ihm und Mum folgte meinem Blick.

„Jayden wollte sich bei dir entschuldigen…“

Ich atmete tief durch.

„Jayden komm her“, meinte Mum und schaute zu ihm.

Langsam lief mein Cousin zu uns. Sein Kopf war gesenkt. Mir fiel auf, dass seine Haare nicht gegelt waren und matt an ihm herunter hingen.

„Es tut mir Leid“, hörte ich leise.

Noch immer schaute er zum Boden.

„Warum? Ich möchte nur eins wissen…, Jayden warum?

Jayden scharrte mit dem Fuß über den Boden.

„Du… du bist ein Champ.“

„Was?“

„Du bist ein Champ.“

Ich schaute Mum an, aber die schüttelte den Kopf.

„Jayden, von was redest du?“

Er schaute auf und sah mir zum ersten Mal in die Augen.

„An unserer Schule wärst du ein Champ! Die Mädchen würden dir zu Füßen liegen, jeder würd dir deinen Wunsch erfüllen. Bei deinem Aussehen, deinem Body…“

„Bist du auch schwul?“, fragte ich verwirrt.

„Nein!“

Das kam sehr energisch. Aber mir war es auch egal, ob es stimmte. Ich drehte mich von ihm weg und nahm den nächsten Stapel Briefe heraus.

„… öhm was ist jetzt?“, hörte ich Jayden sagen.

„Ja…, ist in Ordnung…, alles im grünen Bereich“, antwortete ich, ohne mich umzudrehen.

Dann war eine Weile Stille.

„… ich geh dann mal…“, hörte ich Jayden sagen und hörte wie er das Bootshaus verließ.

„Was war das jetzt?“, fragte Mum.

Ich drehte mich zu ihr.

„Kistendenken.“

„Hä?“

„Du wirst einfach in eine Schublade gesteckt. Ausschlaggebend ist deine Herkunft, dein Geld oder Namen.“

Mum schaute mich entgeistert an.

„Schau nicht so, war das bei euch nicht so?

Sie schüttelte den Kopf.

„Hattest du deswegen schon Schwierigkeiten in der Schule?

„Nein, ich habe weder Geld, einen bekannten Namen, noch eine adlige Verwandtschaft.“

„Die hast du doch.“

„Ja jetzt, aber davon weiß ja niemand etwas.“

„Schlimm?“

„Nein“, lächelte ich, „ein Grund, weshalb ich eigentlich immer in Ruhe gelassen wurde.“

*-*-*

Ich hatte mir einfach einen ganzen Stapel Briefe mit auf mein Zimmer genommen. Ausgebreitet auf meinem Bett und ich dazwischen. Ich stellte fest, dass viele der neueren Briefe, von ein und derselben Adresse kamen.

Red House. Ich schob ein paar Briefe zur Seite und stand auf. Schnell war der Laptop hochgefahren.

Ich gab Red House ein und stellte schnell fest, dass dies hier ganz in der Nähe zu sein schien. Ob ich dies mit dem Pferd erreichen konnte. Ich stand auf, lief zum Bett zurück und schnappte mir den letzten Brief.

Auf er hatte den Absender Red House. Der Poststempel war zwar schon achtzehn Jahre alt, aber das Haus gab es noch immer. Schnell war ich meiner Klamotten entledigt und ging zum Schrank, um meine Reiterklamotten herauszuziehen.

Zu meiner Überraschung standen im Hochglanzlook auch meine Reiterstiefel im Schrank. Zehn Minuten später betrat ich den Stall.

„Ist jemand da?“, rief ich laut, als ich niemand sah.

„Ja hier“, hörte ich James, der wenige Sekunden später aus seiner Kammer kam.

„Hallo James, wäre es möglich ein Pferd zu satteln?“

„… Taylor ist nicht da…“

„… ich helfe ihnen gerne dabei“, unterbrach ich ihn.

„Nein, dass meinte ich nicht. Soll Taylor nicht mit ihnen reiten?“

Ich blies meinen Atem scharf aus.

„Nein, ich probiere es alleine, aber danke für ihre Rücksicht.“

James nickte und lief zu den Boxen hinüber. Er öffnete eine Box und führte das schwarze Pferd heraus, dass ich das letzte Mal schon hatte.

„Jack…, geben sie dem Pferd ruhig eine Karotte“, meinte James und zeigte dabei auf eine Tonne in der Ecke.

Ich ging hin, öffnete den Deckel und der Inhalt, gefüllt mit Karotten, prangte mir entgegen. Die Größte musste es wohl nicht sein, so nahm ich eine der Mittleren und schloss die Tonne wieder.

In der Zwischenzeit hatte James das Tier gesattelt.

„Wie heißt das Pferd eigentlich“, fragte ich und stand unsicher vor dem Pferd.

„Tiara, es ist eine Stute.“

Ich hob die Karotte hin und Tiara schnupperte erst an meiner Hand, bevor sie anfing nach der Karotte zu schnappen. Sanft streichelte ich es über die Nüstern.

„So fertig…, und sie wollen sicher nicht auf Taylor warten?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wo wollen sie denn hin, dann kann ich ihn hinterher schicken.“

„Ich habe etwas von einem Red House gelesen…“

„Ah… das alte Cottage an der Milkhouse Road.“

„Ja.“

„Am See vorbei und auf diesem Weg kommen sie direkt zum Red House. Aber ist das nicht zu weit?“

„Zu Not kann ich ja kehrt machen.“

Nicht nur, dass er laufend sie zu mir sagte, mich nervte auch noch, dass er überbesorgt war. Die letzten achtzehn Jahre hat auch nur Mum auf mich aufgepasst. Er führte Tiara ins Freie und half mir aufsteigen.

„Wenn etwas passieren sollte, dann…“

„… dann habe ich ja auch noch mein Handy dabei“, unterbrach ich ihn und lenkte Tiara langsam vom Hof.

*-*-*

Es war einfach herrlich. Ich war zwar dieses Mal alleine, aber dies störte mich nicht weiter. Um mich herum, gab es so viel zu sehen, dass ich gar keine Zeit mehr hätte, ein Gespräch zu führen.

Der Bäume lichteten sich langsam und ich sah schon aus der Ferne schon das Haus. Heftig Rot stach es heraus. Es war auch größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Tiara verlangsamte ihr Tempo, je näher wir dem Haus kamen.

Dort angekommen stieg ich ab. Der Parkplatz war leer und sonst war auch niemand zu sehen. Ich stieg vorsichtig von Tiara ab und band die Zügel an einen vorstehenden Ast. Den Verschluss öffnend, zog ich den Helm ab.

Langsam stieg ich die Treppe hinauf. Anscheinend war heute geschlossen, es sah alles so zu aus.  Ich schaute durch die großen Fenster ins Innere. Da keine Beleuchtung angeschaltet war, konnte ich aber nicht viel erkennen.

Da hatte ich wohl Pech. Es war auch eine blöde Idee von mir zu versuchen meine Großmutter zu finden. Plötzlich überkam mich großer Zweifel, überhaupt etwas heraus zu bekommen.

„Kann ich ihnen helfen?“

Ich fuhr zusammen und drehte mich Richtung der Stimme. An einer Nebentür stand eine ältere Frau, im Arm ein Korb.

„…ähm…“

„Wir haben geschlossen!“

„…ja…, das habe ich gesehen…, ich suche jemand.“

„Hier ist niemand…, außer mir und meiner Freundin.“

„… ähm… kennen sie zufällig eine Sophie Newbury?“

Die Augen der Frau wurden klein und sie sah mich durchdringend an.

„Wer will das wissen?“, fragte sie in einem scharfen Ton.

„… ähm… ihr…Enkel…“

Eine Augenbraue der Frau wanderte nach oben.

„Mir ist nicht bekannt, dass Mrs. Newbury Enkel hatte.“

Hatte? War sie tot? Irgendwie wich sämtliche Energie aus mir. Aber gut sie kannte Großmutter, das war ja schon ein Anfang.

„Sie… wohnt also nicht mehr hier?“

„Das habe ich nicht gesagt…“

Warum tat die Frau nur so komisch? Was denn nun jetzt? Lebte sie doch noch? Das Gefühl hier unerwünscht zu sein, wuchs von Minute zu Minute.

„Und wer soll dieser Enkel sein?“

„Das… bin ich… Jack Newbury…“

„Aha… einen Moment!“

Die Frau drehte sich um und verschwand wieder im Haus. Was hatte sie vor? Sollte ich mich einfach wieder auf das Pferd setzten und abhauen, wer weiß was die Frau vorhatte. Erneut fuhr ich zusammen, als die Tür wieder aufging.

Die Frau kam heraus, gefolgt von einer anderen Frau, die sich an einem Stock stütze. Langsam kam sie auf mich zu.

„Jack Newbury?“, sagte sie und ich nickte.

„Wessen Sohn bist du?“

Ihr Ton war genauso garstig, wie die der anderen Frau.

„… ähm Isaak Newbury ist mein…“

„Isaak…?“, unterbrach sie mich und ihre Augen wurden feucht. Sie griff in die Tasche ihrer Schürze und zog eine Brille hervor. Sie zog sie auf, schaute mich kurz an und dann zu ihrer Freundin.

„Er…, er sieht aus wie Isaak…“

Langsam ging mit dieser Spruch gewaltig auf den Zeiger.

„Ja, er ist mein Vater.“

Sie schaute an mir vorbei.

„Ist er auch… hier?“

„Nein…, mein Vater… ist tot…“

Die Frau griff sich an die Brust und torkelte etwas zurück. Die andere Frau eilte herbei und stützte sie.

„… er ist kurz…, nach meiner Geburt… bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“

„… deswegen hat… er mir nicht mehr geschrieben…“, flüsterte die Frau fast nicht hörbar.

„Es wäre besser sie gehen jetzt!“, sagte die andere Frau zu mir.

„… aber Emily, das ist Isaaks Sohn…“

Ich schaute zwischen den Frauen hin und her.

„Wissen sie, wo ich Mrs. Newbury finden kann?“

„Warum möchten sie sie finden?“

Diese Emily begann zu nerven, aber ich beschloss freundlich zu bleiben.

„Ich wohne mit meiner Mutter“, fing ich an zu erzählen, „in einem Vorort von London. Bis vor einer Woche wusste ich von meiner Verwandtschaft hier in Newbury nichts. Ich habe Briefe meines Vater von seiner Mutter, meiner Großmutter gefunden und da stand als Absender Red House darauf, deswegen bin ich hier.“

Beide Frauen sahen mich fassungslos an.

„Du… du bist nicht von hier?“, fragte nun wieder die andere Frau, die sich anscheinend etwas gefangen hatte.

„Nein…, ich bin mit meiner Mutter nur auf Besuch hier…“

„Du… du bist Issaks Sohn?“

Wieder nickte ich.

„Emily, er sieht wirklich wie Isaac aus…, als er das Alter hatte.“

„Sophie…, wir sollten hinein gehen, du bist ganz weiß um die Nase.“

„Sophie…?“, fragte ich, „sind sie meine Großmutter?“

Die Frau nickte unscheinbar. Ich war total neben mir…, ich hatte meine Großmutter gefunden. Sie hatte anscheinend all die Jahre dicht am bei Großvater gewohnt und dieser hatte es nicht mitbekommen.

Gut, er hatte auch nicht nach ihr gesucht, aber es wunderte mich, dass mein Vater es niemandem gesagte hatte, auch meiner Mutter nicht. Aber da das Bootshaus eh niemand mehr betrat, nach dem Großmutter verschwand und mein Vater starb, konnte es auch niemand wissen, weil niemand die Briefe gelesen hatte.

„Jack?“, hörte ich es plötzlich hinter mir rufen.

Ich drehte mich herum und sah Taylor auf mich zu reiten.

„Noch einer“, kam es giftig von Emily.

Taylor hatte uns mittlerweile erreicht und sprang vom Pferd.

„Jack, ist alles in Ordnung, zu Hause macht man sich schon Sorgen. Warum hast du nicht auf mich gewartet?“

Genervt rollte ich mit den Augen.

„Es ist ja nichts passiert!“

Taylor wich etwas zurück, denn ich hatte mich anscheinend etwas im Ton vergriffen. Mir war das eher peinlich, denn das war nicht meine Art. Entschuldigend, aber auch hilfesuchend schaute ich ihn an.

„Wer ist das?“, fragte Emily.

„Entschuldigung, ich bin Taylor Stallbursche auf Manor Newbury.“

Er machte einen leichten Diener. Im Augenblick wusste ich nicht, was ich machen sollte. Ich hatte meine Großmutter gefunden und schaute wieder unschlüssig zu ihr.

„Darf ich wieder kommen?“, fragte ich leise.

Emily wollte etwas sagen, aber meine Großmutter stoppte sie mit einem Handwink.

„Wieso?“, fragte sie ebenso leise.

„… ich… ich möchte meine Familie besser kennen lernen…“

Wieder nickte sie unscheinbar.

„Kann… kann ich irgendwie anrufen…, wenn es ih … dir passt?“

Meine Großmutter schaute zu Emily. Diese ging zu Korb, holte dort eine kleine Tasche heraus. Genervt öffnete sie diese und zog eine Karte heraus, die sie mir dann reichte.

„Danke…“, meinte ich leise und steckte die Karte ein, „auf Wiedersehen!“

Beide nickten mir zu und ich drehte mich wieder zu Taylor.

*-*-*

Eine Weile waren wir schweigsam nebeneinander her geritten.

„Darf ich dich etwas fragen?“, kam es leise von Taylor.

Ich schaute ihn an und nickte.

„Wer war diese Frauen?“

„… ähm… eine davon war meine Großmutter.“

„Dem Duke seine Frau…, aber wieso…“

„Taylor…“, unterbrach ich ihn, „dass ist eine lange Geschichte.

„Entschuldige Jack, James schimpft immer mit mir, weil ich so neugierig bin.“

Ich musste lächeln.

„Wer hat sich eigentlich Sorgen um mich gemacht?“

„James und deine Mutter. Sie war leicht sauer auf James, dass er dich alleine hat wegreiten lassen.“

„Ich bin doch kein Kind mehr…“

„Aber erst das zweite Mal auf dem Pferd…“

„Ich weiß gar nicht was ihr habt. Tiara läuft fast ganz von alleine. Sie wird mich schon nicht abwerfen.“

Taylor nickte, sagte aber nichts mehr. Warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte.

„Was ist?“, fragte ich.

Mit großen Augen schaute er mich an. Wieder fielen mir diese großen braunen Augen auf, die mich immer noch verwirrt anschauten. Ich konnte nicht anders und mein Blick wanderte über Taylor.

Warum ich ihn bisher nicht näher gemustert hatte, wusste ich nicht. Er sah einfach gut aus, in seinen Reiterklamotten. Ich konnte es mir nicht verkneifen und musste grinsen.

„Du hast noch etwas auf dem Herzen“, fragte ich nach kurzer Pause.

„… darüber…, kann ich nicht reden.“

Ich schaute mich um.

„Es ist außer uns niemand da, der es hören könnte.“

„Es steht mir nicht zu, so etwas zu fragen.“

Ich stoppte Tiara ruckartig, was sie auch tat. Taylor dagegen, es zu spät merkend, drehte sein Pferd und kam wieder zurück.

„Taylor, ich bin nicht mehr oder weniger als du! Vor einer Woche wusste ich noch nichts von dieser Verwandtschaft und es ist mir egal ob ich Jack Joseph Lewis Baron of Newbury heiße, ich bin Jack… nicht mehr… oder weniger!“

„Jack… Joseph… Lewis Baron of Newbury… wow!“

„Oh Taylor, dass ist nur ein Name… ein Titel…, ich bin nichts Besonderes!“

Taylor hob sie Augenbraun an.

„Finde ich schon…“, erwiderte er leise.

Ich schüttelte den Kopf und fühlte mich unverstanden. Sein Pferd stand nun ganz dicht bei Tiara.

„Stimmt… stimmt es wirklich, was gestern im Hof passiert ist?“

„Was ist im Hof passiert?“

„Was du deiner Mutter und deinem Großvater…“

Er brach mitten im Satz ab und mir ging ein ganzer Lampenladen im Kopf an. Ich seufzte laut, denn ich wusste plötzlich, was er meinte. Mein Blick senkte sich.

„Du hast es mit bekommen?“

„… ja.“

„Warum…, warum fragst du dann noch?“

Plötzlich spürte ich Taylors Hand, wie sie mein Kinn hochdrückte.

„… weil ich es gerne noch einmal von dir hören wollte“, sagte er ganz sanft, beugte sich zu mir herüber und küsste mich auf die Wange.

Ich spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Warum war immer alles so kompliziert? Warum konnte dies nicht das normalste der Welt sein. Immer noch hielt Taylor mein Kinn fest und schaute mir in die Augen.

„Nicht weinen“, sagte er noch leiser, beugte sich vor und gab mir einen Kuss.

Verwirrt und übel fühlend sah ich ihn mit großen Augen an.

„Entschuldige…, das wollte ich nicht… die Situation…du traurig… und…“

Ich fing mich wieder und atmete tief durch. Dann beugte ich mich ebenfalls vor, griff nach Taylor und küsste ihn ebenfalls, damit er schwieg. Leicht keuchend entfernten wir uns voneinander.

„Jack…“, ich wollte etwas sagen, aber er legte sein Finger auf meinen Mund, „wenn du irgendwie Ärger bekommst, oder dich unwohl fühlst wegen mir, dann verlass ich das Gut.“

Wieder hob ich die Augenbraun und atmete tief durch. Nun hob ich meine Hand und legte sie sanft auf seine Wange.

„… nicht mehr und nicht weniger…!“, sagte ich und schüttelte den Kopf.

Er sah mich nur an.

„Taylor…, wenn du mich in London kennen gelernt hättest und nicht von meiner Herkunft gewusst hättest, würdest du dich dann anders benehmen? Ich weiß, dass hier ist alles neu für mich, angefangen mit dem Adelsmist, der Familie und jetzt auch dir… Ich mag dich und ich würde mich freuen, wenn wir Freunde werden würden…, vielleicht auch mehr, aber das muss langsam gehen…“

Taylor hob beide Hände als würde er sich wehren.

„Jack…, wirklich, ich habe so etwas nie vorgehabt. Nur als ich euch kennen lernte, ihr neben mir auf dem Pferd gesessen seit, dich für eine kleine Weile näher kennen lernen durfte…, habe ich mich in dich verliebt…, verzeih Jack, für meine Gefühle kann ich nichts…, wenn das heraus kommt, verliere ich eh meine Stellung…“

„Jetzt mach mal halb lang, da hab ich noch ein Wörtchen mitzureden und meinen Freund schmeißt man nicht einfach raus!“

„Freund…?“

Ich grinste ihn an.

„Ja…, wenn man sich küsst… dann ist man doch befreundet…, oder?“

Nun grinste er ebenfalls.

„Komm, lass uns zurück reiten, bevor hier noch mehr auftauchen.“

*-*-*

„Wo warst du?“, kam es etwas angesäuert von meiner Mutter, als ich unser Stockwerk betrat.

„Bei Großmutter…“, antwortete ich wahrheitsgemäß und öffnete meine Tür.

Mit großen Augen schaute sie mich an und folgte mir ins Zimmer.

„Habe ich dich richtig verstanden?“

Ich setzte mich aufs Bett und begann mühsam mich meiner Stiefel zu endledigen.

„Ich habe doch die Briefe von Vater gelesen“, begann ich und zeigte auf das Blättermeer auf meinem Bett, „und da habe ich eine Anschrift gefunden.

„Ja und…?

„Das war hier in der Nähe und ich hab gedacht…“

„…du reitest dort hin und suchst sie einfach auf“, beendete sie den Satz und versuchte mir den Stiefel vom Fuß zu ziehen.

„… öhm ja.“

„Sie… lebt noch…, du hast sie gefunden?“, fragte sie und wurde etwas zurück geworfen, als der Stiefel endlich von Fuß rutschte.

Ich nickte und sie grinste.

„Und habt ihr miteinander geredet?“

„Öhm… nicht richtig…, da war eine Frau…Emily, die hat sich irgendwie schützend vor sie gestellt und war von mir nicht begeistert.“

„Kann ich irgendwie verstehen…, bei der Familie.“

Endlich hatte ich auch den zweiten Stiefel aus.

„Ich möchte gerne noch duschen gehen…, vor dem Essen.“

„Okay… ich verschwinde schon…, aber wir reden später weiter!“

„Ja… und ähm… würdest du bitte Großvater nichts davon erzählen?“

„Hatte ich nicht vor…“

„Danke“, meinte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Bis später, Sohnemann…“, sagte sie und verließ mein Zimmer.

Ich folgte ihr noch und stellte dieses Mal meine Stiefel gleich vor mein Zimmer. Ich verharrte kurz und dachte darüber nach, ob ich sie nicht im Zimmer lassen sollte, so würde Taylor wieder ins Zimmer kommen.

So schloss ich dir Tür und stellte die Stiefel ab. Ich entledigte mich meiner Klamotten und warf sie einfach über den Stuhl. Aus meinem Schrank holte ich eine frische Shorts und lief ins Bad.

Wenige Sekunden später spürte ich das warme Nass, wie es über meine Haut floss.

„Wie ist das so…?“

Ich fuhr zusammen und linste hinter dem Duschvorhang vor. Da stand Jayden, angelehnt an seiner Zimmertür.

„WAS…? Ich dusch gerade!“

„Nicht zu übersehen…, wie es ist schwul zu sein?“

Genervt rollte ich mit den Augen und schaute erneut hinter dem Vorhang vor.

„Wie ist es, eine Hete zu sein?“

Ich wusste, es war eigentlich unhöflich eine Frage mit einer Frage zu beantworten, aber bei Jayden war mir das egal.

„Kann ich dir nicht beantworten…, ich hatte noch nie etwas mit einem Mädchen.“

Ich zog die Augenbraue hoch und wusch die Seife von meinem Körper.

„Entschuldige…, wenn ich dir das nicht richtig glauben kann…, bei deinem Aussehen…“

„Du findest mich gut aussehend?“

Wieder schaute ich hinter dem Vorhang vor.

„Jayden… ja ich finde dich gut aussehend, aber könnte ich bitte erst zu Ende duschen, bevor wir weiter reden?“

„Echt? …wow!“, hörte ich ihn sagen, dann war Stille.

Erneut lugte ich hinter dem Vorhang hervor. Er war weg, aber seine Tür stand weit offen. Ich drehte das Wasser ab und griff nach meinem Handtuch. Nach einer Weile und endlich trocken, wickelte ich mir das Handtuch um die Hüften und ging zu Jaydens Tür.

Wie beim letzten Mal lag er auf dem Bett, hatte ein Buch in der Hand.

„Warum willst du das wissen?“

Er sah auf und lächelte.

„Weiß nicht…, bis ich dich hier traf, habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht.“

„Du bist achtzehn wie ich, oder?“

Er nickte.

„… und hast noch nie über Sex nachgedacht?“

Wurde mein Cousin wirklich rot. Es schien sogar, als wolle er in seinem Buch versinken.

„Ich… ich…“, er klappte sein Buch zu und setzte mich auf.

„Du kennst mein Leben nicht…, besser gesagt ein Leben mit meiner Mutter.“

Ich betrat sein Zimmer und setzte mich zu ihm an sein Bett.

„Wie denn auch, ich wusste ja nicht mal, dass es dich gibt.“

Er atmete tief durch.

„Für meine Mutter zählt nur Leistung, lernen, lernen und nochmal lernen.“

„Eigentlich für Mütter normal, wobei meine mich dazu nicht animieren muss. Hast du denn keine Freunde?“

„Doch…, aber keine Richtigen. Für die bin ich nur interessant, weil ich Geld habe.“

„Und was machst du so in deiner Freizeit?“

„Lernen…“

Ich musste grinsen.

„Tust du dich so schwer mit dem Stoff, oder warum lernst du so viel?“

„Ja, ich habe meine Schwierigkeiten…, bin ja auf dieser blöden Eliteschule, auf Wunsch meiner Mutter…“

„Es gefällt dir dort nicht?“

„Nein.“

„Und wechseln?“

Er sah mich mit großen Augen an.

„Wechseln? Mit der Mutter?“

„Was ist mit deinem Vater…, Henry.“

„Ach der…, der hat doch nie Zeit für mich…, oder Interesse.“

Daher wehte der Wind.

„Vielleicht… kannst du ja jetzt mal mit ihm sprechen…, so nach der Sache was gelaufen ist.“

Er schüttelte den Kopf.

„Sag nicht vorher nein, bevor du es probiert hast…“

Ich stand auf, weil mir frisch wurde. Er sah mich an.

„Du…  du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Welche?“

„Wie es ist, schwul zu sein?“

„Da kann ich dir nur die gleiche Antwort geben, wie du mir vorhin. Ich weiß es nicht, ich hatte bisher noch keine Freund.“

Das mit Taylor brauchte er ja nicht wissen. Er nickte und ich ließ ihn alleine in seinem Zimmer zurück.

*-*-*

Frisch angezogen lief ich die Treppe hinunter. Die Tür zum Esszimmer stand offen und so steuerte ich direkt auf sie zu. Gegenüber hörte ich stimmen aus der Bibliothek. Großvater schien sich mit jemand zu unterhalten, aber wer es war, konnte ich nicht feststellen

Erst als die Tür aufging, sah ich Henry, der gemeinsam mit Großvater das Zimmer verließ.

„Ah, Jack, wie war dein Nachmittag?“, kam es von ihm.

„Gut, ich war ausreiten.“

„Gefällt es dir?“

„Ja, Tiara ist auch ein liebes Pferd.“

Henry sagte überhaupt nichts, er stand nur da und schaute zwischen uns hin und her.

„Mehr als deine Segelei?“

Ich hielt den Kopf schief und schüttelte den Kopf.

„Nein… das Segeln bleibt Nummer eins.“

„Apropos Segelboot“, meldete sich Henry nun doch zu Wort, „unten am See liegt ein Segelboot.“

„Das gehört dem Verein, wo dein Neffe segelt.“

„Und wie kommt es hier her?“

Bevor Großvater antworten konnte, fiel ich ihm ins Wort.

„Ich wollte Großvater zeigen, wie segeln so ist.“

Ich drehte mich um und betrat das Esszimmer. Verwundert schaute ich, als ich Jayden auf dem Platz neben mir vorfand. Ich nahm Platz, wie die anderen auch. Ebenfalls konnte ich die überraschten Blicke meiner Mutter und von Abigail bemerken, als sie das Zimmer betraten.

*-*-*

Ich lag auf meinem Bett und lass in den Briefen, als es an meiner Tür klopfte. Ich stand auf und ging zur Tür.

„Taylor…“, sagte ich überrascht und lächelte.

„Hallo Jack…, ich wollte nur noch schnell deine Stiefel zurück bringen.“

„Danke…, das hätte doch auch noch morgen gereicht.“

„Anweisung von James…, falls du morgen wieder ausreiten möchtest.“

„Geplant ist nichts…, willst du nicht noch etwas herein kommen?“

Er schaute in beiden Richtungen des Flures.

„Ich weiß nicht, ob ich das darf“, flüsterte er.

„Wieso solltest du nicht dürfen?“, flüsterte ich zurück.

„Weil ich zum Personal gehöre.“

„Den ich vielleicht auf mein Zimmer gebeten habe, um etwas anzuschauen?“

Er lächelte und trat ein. Ich verschloss die Tür und er stellte meine Stiefel ab.

„Ich habe dir schon mal gesagt, es ist egal, wer du bist, welchen Stand du angehörst. Prinz William hat doch auch eine Bürgerliche geheiratet.“

„Du willst mich heiraten?“

Ich konnte nicht anders und musste lachen, genauso wie er.

„Wer weiß…“, flunkerte ich und nahm ihn in den Arm.

Langsam näherten sich unsere Gesichter und endeten in einem Kuss. Ich spürte, wie er ebenfalls die Arme um mich legte und seine Hand über meinen Rücken streichelte. Ein Schaudern durchlief meinen Körper.

„Alles in Ordnung?“, fragte Taylor.

Ich nickte.

„Es… ist so schön…“

„… ja“, hauchte er und wir küssten uns erneut.

Das war ein enorm geiles Gefühl, Taylor so zu spüren. Das Klopfen an meiner Badtür, ließ uns aber auseinander fahren.

„Ich gehe wohl besser“, sagte Taylor leise und lief zur Tür.

Ich atmete tief durch. Während ich zur Badtür lief, verließ er mein Zimmer. Ich drehte den Schlüssel um und drückte die Klinge herunter.

„Was machst du?“, kam mir Jayden entgegen.

„Nichts…“

Ich hoffte nicht zu verärgert zu klingen, da das Erlebnis eben für mich schon etwas Besonderes war.

„Es hat sich so angehört, als wärst du nicht alleine im Zimmer.“

Ich lief zu meinem Bett zurück und sammelte die Briefe ein.

„Was ist das?“

„Briefe meines Vaters.“

„Und was steht da drin?“

Ich drehte mich genervt zu ihm und atmete tief durch.

„Jayden, was willst du?“

„Öhm… ich habe Langeweile und wollte fragen, ob wir etwas gemeinsam unternehmen könnten.“

Verwundert hob ich die Augenbraun und atmete lange aus.

„Und was schwebte dir so vor?“, fragte ich, während ich die Briefe in die obere Schublade des Sekretärs legte.

„Das Bootshaus…, hast du da schon alle Kisten geöffnet?“

„Nein, als ich die Briefe fand, hörte ich auf.“

„Vielleicht finden wir etwas Interessantes oder sogar etwas Wertvolles.“

„Heute nicht mehr“, meinte ich, „vielleicht geh ich noch eine kleine Runde vor dem Haus.“

Jayden schaute mich durchdringend an.

„Kein Film auf deinem Laptop?“

„Das müsstest du doch wissen…“

Diese Bemerkung musste sein. Jayden wurde rot und senkte seinen Blick.

„Ich schau mal…, was mein Vater macht“, sagte er plötzlich und verschwand wieder aus meinem Zimmer.

Ich atmete tief durch. Es ärgerte mich schon, dass ich so wenig Zeit für Taylor hatte. Ob er jeden Abend wieder zurück in die Stadt fuhr? Oder hatte er hier eine Übernachtungsmöglichkeit?

Ich griff nach meiner Jacke und verließ ebenfalls mein Zimmer. Im Flur war niemand anzutreffen und so lief ich so leise es ging die Treppe hinunter. Schnell und lautlos war ich vor der Tür.

Es war gut, dass ich meine Jacke mithatte, denn es war schon recht frisch geworden. Ich blieb stehen und lauschte. Es war absolute Stille, nicht einmal aus dem Haus drangen Geräusche. Ob ich einfach zum Stall laufen sollte und dort nach Taylor zu suchen?

Ich blickte zu den beleuchteten Fenstern des Hauses. Keiner war zu sehen. So bewegte ich mich Richtung Stall, als würde ich etwas Verbotenes machen. Wackelte da gerade ein Vorhang?

Quatsch! Ich machte mich schon selbst verrückt. Und wer sollte mich hier draußen auch schon sehen, bei der Dunkelheit.

„Jack?“

„Aaahhhhhh“, entwich es mir und ich setzte mich vor Schreck auf dem Hosenboden.

Mein Gegenüber fing an zu kichern und kam näher. Es war Taylor, der mir eine Hand entgegen hob.

„Was machst du so spät noch hier draußen?“, fragte er und zog mich auf die Beine.

Ich spürte wie ich rot wurde und hoffte inständig, dass Taylor dies bei der schwachen Beleuchtung nicht sah.“

„… öhm… ich wollte mir nur etwas die Beine vertreten… an die frische Luft.“

Warum hatte ich plötzlich nicht mehr den Mut ihm zu sagen, dass ich zu ihm wollte?

„Wenn du Lust hast kannst du mich bis zur Straße begleiten…, oder hast du Angst alleine zurückzulaufen?“

Er sagte dies mit einem Grinsen, soviel konnte ich erkennen und es viel mir auf, dass er immer noch meine Hand hielt, an der er mich heraufgezogen hatte.

„Ich bin nicht ängstlich…, ich war eben nur im Gedanken und war nicht gefasst, dass plötzlich jemand neben mir steht. Aber wieso willst du zur Straße?“, versuchte ich das Thema zu wechseln.

„Meine Schwester kommt in einer halben Stunde vorbei und holt mich ab.“

„Du wohnst nicht hier?“

Ich versuchte der Frage nicht all zu viel Bedeutung zukommen zu lassen.

„Nein, ich wohne bei meiner Schwester. Sie führt mit ihrem Mann hier in der Nähe ein kleines Anwesen, mit Pferden und so. Sie haben fünf Zimmer die sie vermieten können.“

„Und warum arbeitest du dann hier und hilfst nicht deiner Schwester?“

„Weil ich das Glück hatte hier bei James unterzukommen. Er genießt einen sehr guten Ruf, wenn es um Pferde geht. Alles was ich wissen muss, kann ich bei ihm lernen.“

Inzwischen waren wir losgelaufen. Immer noch meine Hand haltend, zog Taylor mich Richtung Straße die lange Baumallee entlang.

„Willst du mal etwas mit Pferden machen?“

„Ich möchte Pferdewirt werden und wenn ich es schaffe, vielleicht dann zum Pferdewirtschaftsmeister bringen.“

„Von dem Beruf habe ich bisher noch nie etwas gehört. Was tut ein Pferdewirt denn so?“

„Alles was mit Pferden zu tun hat. Pferdezucht, Pferdehaltung…, klassische Reitausbildung, Pferderennen oder dann noch die Spezialreitarten wie Western und Gangreiten.“

„Hört sich nach viel Arbeit an.“

„Ja…, aber ich liebe Pferde und es macht mir nichts aus ungeregelte Arbeitszeiten zu haben, oder auch mal am Wochenende zu arbeiten.“

„… du bist dir da so ziemlich sicher, dass zu machen.“

„Klar, alles genau überlegt und durchdacht. Und was möchtest du mal machen?“

„Ich möchte Informatik studieren…“

„Das wäre nichts für mich, den ganzen Tag am Computer sitzen. Ich brauche die frische Luft und die Natur.“

„Dann kann ich ja immer zu dir kommen, wenn es mir an frischer Luft fehlt.“

Taylor blieb stehen und wandte sich zu mir.

„Meinst du das geht?  Also versteh mich bitte nicht falsch. Ich weiß wir kommen aus zwei verschiedenen Gesellschaftenschichten und…“

Ich suchte Taylors andere Hand und wurde fündig.

„Taylor, es gibt bei mir kein besser oder schlechter…, wir sind beide gleich. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du in deiner Ausbildung nicht genauso viel büffeln musst, wie ich im Studium. Nur weil ich studieren werde, bin ich doch nicht besser als du.“

„Das sagst du…“

„Ja, das sage ich! Mir ist egal, was andere denken. Damit bin ich die letzten Jahre immer gut gefahren.“

Taylor zog mich an meinen Händen näher zu sich.

„Ich finde einfach keine Worte für dich…, du bist so etwas Besonderes…, wunderschön…lieb. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich hier mit dir zusammen bin…“

„Ich bin ganz normal“, sagte ich genauso leise zurück, wie Taylors kleine Liebeserklärung herüber kam, „mein Name macht mich nicht zu einen anderen Menschen, ich bin… einfach nur Jack!“

„Okay…, einfach nur Jack, darf ich dich küssen?“

Ich musste lachen.

„Da fragst du noch…?“

Wenig später spürte ich ihn, Seine Lippen auf meinen Lippen. Ich öffnete meine ein wenig. Er öffnete seine. Unsere Zungen fanden einen Weg zueinander und vollführten einen regelrechten Tanz.

Wie oft hatte ich versucht mir vorzustellen, was ich wohl mit einem anderen Jungen machen oder wie sich zum Beispiel der erste Kuss anfühlen würde. Alle Fantasien waren wertlos geworden. Dies hier war Tausendmal besser, als dass, was ich mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

Es war zwar nicht der erste Kuss von Taylor, aber dieser war viel intensiver und heftiger. Meine Arme lagen eng um seinen Rücken, während sich mein Kopf sanft in seiner Hand wiegte und seine andere Hand auf meinem Rücken ruhte.

Langsam entfernte sich Taylor. Mein Bauch kribbelte und meine Knie waren weich. Ich spürte seine Hand wie sie mir zärtlich über die Wange streichelte.

„Ich…“, begann er zu flüstern, „… habe so etwas noch nie gefühlt…“

„Ich auch nicht…“

„… wenn das Liebe ist…, will ich ganz viel davon!“

Ich musste grinsen und drückte Taylor fest an mich. Zärtlich strich ich ihm durch seine wirren Haare.

„Du…, wir sollten weiter laufen, meine Schwester müsste gleich da sein.“

Ich ließ ihn los und suchte mir wieder seine Hand, bevor wir den Fußmarsch zum Tor fortsetzten.

„Du willst wirklich das ganze Stück alleine zurück laufen?“, fragte Taylor besorgt.

„Keine Sorge, ich finde schon zurück. Weiß eigentlich jemand bei dir, dass du schwul bist?“

„Ja…, meine Schwester.“

„Und deine Eltern?“

Dieses Mal bekam ich keine Antwort. Erneut blieb ich stehen.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein…, so gesehen, weiß ich nicht wer meine Eltern sind.“

Er zog mich weiter.

„Wie das? … du… entschuldige meine Neugier, du brauchst darauf nicht zu antworten…“

Dieses Mal zögerte Taylor, mit dem Weitergehen, bevor er mich dann doch weiter zog.

„… meine Schwester war zwölf und ich eineinhalb…, plötzlich waren sie weg…, haben uns einfach sitzen lassen.“

Geschockt sah ich in seine Richtung.

„Wir waren erst im Heim und als meine Schwester volljährig wurde, hat sie mich einfach mitgenommen und großgezogen.“

Eben noch das Hochgefühl und jetzt total down. Nun hielt ich wieder an, wir waren auch nicht mehr weit weg vom Tor, denn ich konnte vereinzelt Autos vorbei fahren sehen. Ich umarmte Taylor erneut.

„Das tut mir Leid, Taylor.“

„Das muss es nicht. Es ist alles so, wie es ist. Ich bin glücklich, kann meine Träume verwirklich und nun habe ich dich gefunden.“

Er schob mich leicht von sich weg und ich konnte seine Augen funkeln sehen und wie sich eine einzelne Träne den Weg nach unten bahnte. Ich küsste ihn auf die Stirn. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, liefen wir nun das Stück bis zum Tor und es dauerte auch nicht lange, bis ein Auto wendete und vor der Ausfahrt hielt.

„Man sieht sich morgen“, meinte Taylor und öffnete die Wagentür.

Ich hob leicht die Hand und winkte. Er stieg ein, zog die Tür zu und schon fuhr der Wagen los. Nach einer Weile, als die Rücklichter in einer Kurve verschwunden waren, machte ich mich auf den Rückweg.

*-*-*

Erholt wachte ich am nächsten Morgen auf. Ich musste auch völlig ruhig geschlafen haben, denn mein Bett war nicht wie sonst durchwühlt. Irgendwie hielt mich nichts mehr im Bett und so beschloss ich aufzustehen.

Auf dem Weg zum Bad hielt ich kurz inne. Meine Gedanken wanderten zum gestrigen Abend, genauer an die Stelle, als Taylor mich in den Arm nahm und küsste. Lächelnd lief ich zum Fenster und versuchte ihn zu sehen.

Ob er überhaupt schon da war und wenn, war er sicher am Stall, den ich von hier aus nicht sehen konnte. Gut gelaunt ging ich zum Bad und betrat es. Dass Jayden nackt, sich abtrocknend mitten im Bad stand, störte mich nicht weiter.

„Morgen Jayden“, meinte ich und ging zum Waschbecken, um mir die Zähne zu putzen.

„..ähm… morgen.“

Ich schaute auf und sah das Spiegelbild von Jayden vor mir, der immer noch starr vor Schreck da stand. Ich zog die Zahnbürste heraus, drehte mich zu ihm und musterte ihn von oben bis unten.

„Weißt du eigentlich, dass du echt eine geile Sahneschnitte bist?“, fragte ich ihn und drehte mich grinsend wieder zum Spiegel.

In diesem sah ich, wie Jaydens Gesicht feuerrot wurde. Erneut zog ich die Zahnbürste heraus.

„Schade, dass du mein Cousin bist…, du wärst echt eine Sünde wert!“

Plötzlich zuckte Jayden und rannte in sein Zimmer. Ich konnte nicht anders und fing laut an zu lachen. Was hatte ich im Bootshaus zu ihm, zu seiner Entschuldigung gesagt… ja…, ist in Ordnung…, alles im grünen Bereich… Rache konnte so schön sein.

Wenig später, als ich das Esszimmer betrat, war ich dann doch überrascht Jayden auf dem Platz neben mir vorzufinden. Großvater ließ seine Zeitung sinken.

„Guten Morgen Jack, was ist heute morgen los? Seit ihr aus dem Bett gefallen…, erst Jayden dann du?“

„So ungefähr, Großvater… guten Morgen“, antworte ich, griff nach einem Teller und belud ihn mit Rührei und Toast.

Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Jayden erneut eine rote Birne schob, was mich zum Schmunzeln brachte.

„Du bist heute Morgen überraschend gut gelaunt.“

„Ja Großvater, ich habe super geschlafen, bin richtig erholt“, erwiderte ich und setzte mich zwischen ihn und Jayden.

„Das freut mich. Hast du für heute schon etwas geplant?“

„Nichts Bestimmtes. Vielleicht Reiten, oder wenn der Wind gut ist, etwas Segeln, bevor das Boot wieder abgeholt wird.“

„Wann wird das sein?“

„Morgen früh…“

„Aha…“

Ich bemerkte schon, dass es im Kopf meines Großvaters arbeitete.

„Über was denkst du nach?“, fragte ich ihn, obwohl Jayden die Plaudertasche neben mir saß.

„Es hat mir gefallen mit dir zu segeln und ich überlege, falls du nun öfter zu Besuch kommst, nicht ein eigenes Segelboot anzuschaffen. Man könnte das Bootshaus wieder her richten, damit das Bott einen vernünftigen Unterstand bekommt.“

Er machte sich wirklich Gedanken darüber, ob ich wieder kommen würde.

„Das wäre eine super Idee“, sagte ich, erhob mich etwas und umarmte ihn.

Genau in diesem Augenblick ging die Tür auf. Mum gefolgt von Abigail und Sophia betraten das Esszimmer.

„Guten Morgen!“, sagte Großvater, als ich ihn losgelassen hatte und mich wieder setzte.

Mum schaute mich an, bevor sie den Gruß erwiderte.

„Guten Morgen, Vater“, kam es von Sophia.

Als sich Abigail gerade neben ihren Vater setzte, ging die Tür erneut. Henry trat ein.

„Guten Morgen…, ihr seid ja schon alle da“, meinte er und griff nach einem Teller.

Jayden saß weiterhin stumm neben mir und kaute lustlos auf seinem Toast herum. Ich wandte mich wieder an Großvater.

„Wir können ja nachher zum Bootshaus gehen und mal schauen, was man machen müsste.“

„Das können wir tun“, bejahte Großvater nickend.

Ich drehte mich wieder zu Jayden, da die anderen Erwachsenen nichts sagten.

„Warst du schon mal segeln?“

Jayden schaute verschüchtert auf und schüttelte den Kopf.

„Lust?“

Seine Augen wurden groß.

„Mensch Jayden, dass wäre doch eine gute Idee“, kam es von seinem Vater, der sich gerade neben ihn setzte.

Mum schaute mich fragend an, was ich mit einem Lächeln beantwortete.

*-*-*

Wenig später klopfte es und Mum kam herein.

„Na Sohnemann, was ist heute mit dir los?“

„… öhm nichts, warum fragst du?“

Du grinst seit ich dich heute Morgen das erste Mal zu Gesicht bekommen habe. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen du bist frisch verliebt…, dein Vater hat sich auf alle Fälle auch so benommen.“

Ich band meine Schuhe zu und stand auf.

„Und… wenn es so wäre? Hättest du etwas dagegen?“

Ihre Augenbraun hoben sich und ihre Augen wurden groß.

„Du und… Jayden?“

Ich fing an zu lachen.

„Quatsch! Jayden mag zwar süß sein…, aber er ist mein Cousin und…“

„… was kein Hinderungsgrund wäre…“

„Muuuuummm!“

Nun fingen wir beide an zu lachen.

„Also raus mit der Sprache, wenn hast du in dieser Gott verlassen Gegend gefunden, der es dir so angetan hat?“

Ich ließ mich auf Bett nieder und sah sie an.

„… Taylor…“

Mum grinste und setzte sich neben mich, während sie nach meiner Hand griff.

„Bist du dir sicher?“

Ich nickte.

„…alles ist da…, das Bauchkribbeln, die weichen Knie, das ewig blöde Grinsen…, genauso wie ich es oft in den Geschichten im Internet gelesen habe.“

„Hach wie war die Jugendzeit doch schön“, meinte Mum mit einem Grinsen, was aber gleich wieder verschwand.

„Jack…, in zwei Tagen fahren wir zurück…, was wird dann? Ich meine…, du bist dann wieder in London und Taylor ist hier.“

„Taylor kann mich in London jederzeit besuchen und ich kann auch jederzeit hier herfahren, wenn ich möchte. Großvater will sogar ein Segelboot anschaffen.“

Mum schüttelte den Kopf.

„Du sprühst vor Energie.“

„Ich weiß! Ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr.“

„Jack…, wenn irgendetwas ist, dann komm zu mir, okay? Gemeinsam werden wir eine Lösung finden.“

„Danke Mum, ist lieb von dir.“

„Ich wollte es nur gesagt haben, Jack. Du gehst also mit Jayden segeln?“

„Ja.“

„Warum der Sinneswandel? Bisher habt ihr nicht viel Gemeinsames gemacht.“

„Ich dachte, ich sollte ihn etwas aufmuntern. Seine Mutter war ja nicht gerade eine Feine im Umgang mit ihm.“

„Wieso?“

„Ach Jayden hat mir bisschen etwas über sich erzählt. Mum, der Kerl wird achtzehn und sitzt nur zu Hause, hat keine Freunde.“

Das kommt öfter vor, es gibt viele Eigenbrödler.“

„Nein, dass ist es nicht! Seine Mutter muss wohl vorhaben einen Einstein aus ihm zu machen. Er ist nur am lernen, soll sogar auf eine Eliteschule kommen, wenn es nach seiner Mutter ginge.“

„Aber du verbringst auch viel Zeit am deinem Schreibtisch.“

„Mum, ich habe Sabrina als Freundin, ich geh ins Segeltraining, ich habe genug Abwechslung.“

„Das mag wohl stimmen. Willst du jetzt den barmherzigen Samariter spielen, auch Henry und sein Sohn fahren in zwei Tagen zurück. Meinst du, da wird sich etwas ändern?“

Ich musste kurz lachen, denn als barmherziger Samariter hatte mich noch niemand bezeichnet.

„Du weißt doch, ich hatte ein längeres Gespräch mit Henry, als er sich bei mir entschuldigen wollte. Da hat er erwähnt, dass sich jetzt Einiges in seinem Leben ändern würde. Viel zu lange hätte er auf seine Frau gehört.“

„Das hat dir Henry wirklich gesagt?“

Ich nickte.

„Hört, hört! Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Selbsterkenntnis ist ein Weg der Besserung.“

Es klopft an meiner Badtür.

„Ja?“

Zaghaft öffnete sich die Tür und Jayden schaute herein.

„Ich wollte fragen…, ob ich etwas Besonderes anziehen muss?“

„Nur warm anziehen, das reicht schon“, antwortete ich.

„Dann will ich euch beide Mal nicht vom Segeln abhalten. Wir sehen uns später beim Lunch. Ich werde wohl mit Abigail und Sophia in die Stadt fahren.“

„Mit Sophia?“

Sie nickte und grinste.

„Wie war das mit den Wundern?“

Lachend verließ sie mein Zimmer, während Jayden immer noch im Türrahmen zum Bad stand.

„Jack…?“

„Ja?“

Sein Gesicht wurde wieder rot.

„Hast…, hast du das vorhin ernst gemeint?“

Ich konnte nicht anders, prustete los und ließ mich auf Bett nach hinten fallen. Als ich wieder aufschaute, war Jayden verschwunden. Oh…, da war ich wohl gerade eine Nummer zu heftig. So stand ich auf und folgte Jayden in s ein Zimmer.

Ich fand ihn auf seinem Bett sitzend vor, in sich zusammen gesunken auf den Boden starrend.

„Jayden?“

„Hm…?“

„Entschuldige…“

Er schaute auf. Seine Augen waren feucht.

„Warum entschuldigst du dich? Ist egal…“

Ich seufzte und ging zu ihm hin. Langsam kniete ich mich vorhin.

„Ich hätte vorhin nicht so gemein zu dir sein dürfen…“

„Wieso? …ich war es ja auch zu dir… Meinetwegen weiß jetzt jeder hier, dass du schwul bist.“

„Und? Ich lebe noch! Ich wurde weder gefoltert, noch wurde ich weggesperrt und musste alleine essen.“

Ich hob die Hand und wischte ihm eine Träne weg, die über seine Wange kullerte.

„Das vorhin war nicht richtig, obwohl ich dich wirklich süß finde. Du siehst gut aus und kannst auch richtig nett sein.“

„Wirklich?“

Ich nickte.

„Bist du mir böse, wenn ich wirklich nicht schwul bin?“

Ich musste grinsen.

„Nein Jayden, warum auch?“

„Ich weiß nicht…“

Er atmete tief durch, als hätte jemand eine schwere Last von ihm genommen.

„Können Cousins Freunde sein?“, fragte er dann leise.

„Warum nicht? Wenn sie sich super verstehen?“

„Du…, du bist der erste, der mich ernst nimmt…, mit mir redet, mich nicht wegschickt.“

Oh, daher wehte der Wind.

„Ich würde jetzt vorschlagen, du wäscht jetzt dein Gesicht, ziehst dir eine warme Jacke an und wir treffen uns dann unten. Okay?“

Er nickte.

„Gut, dann bis gleich.“

*-*-*

Großvater ließ sich durch Abigail entschuldigen, er hätte noch etwas Wichtiges zu erledigen. So lief ich alleine mit Jayden Richtung Bootshaus, wo auch am Steg, das Segelboot vertäut lag.

„Jack!“

Ich drehte meinen Kopf und sah Taylor auf mich zu rennen.

„Morgen Taylor“, rief ich.

Kurz vor mir blieb er stehen und lächelte mich an. Er schaute kurz zu Jayden, nickte ihm zu und sah dann wieder zu mir.

„Willst du heute noch ausreiten?“

„Ja, aber erst später. Ich möchte erst mit Jayden etwas segeln gehen.“

„Okay, sag mir Bescheid, wenn ich die Pferde satteln soll.“

Ich sah keinerlei Enttäuschung in seinem Gesicht. Ich überlegte kurz und plötzlich war es mir egal, dass Jayden neben mir stand.

„Mach ich, aber etwas anderes… begrüßt man so seinen Freund?“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, während Taylors Blicke kurz zu Jayden wanderten und sein Gesicht rote Farbe annahm.

Ich machte einen Schritt nach vorne und nahm ihn in den Arm.

„Morgen Taylor“, flüsterte ich ihn ins Ohr und küsste ihn auf die Wange.

Ich spürte seine Schüchternheit, aber dennoch hob er die Arme und umarmte mich ebenso.

„Morgen Jack“, flüsterte auch er, ich spürte sogar sanft seine Lippen auf meiner Wange.

„… ähm… seid ihr zusammen?“, hörte ich Jaydens Stimme hinter mir.

Ich ließ Taylor los, griff nach seiner Hand und wandte mich zu Jayden.

„Ja!“, sagte ich stolz und mit einem Lächeln.

„… wollte… wollte ihr dann nicht lieber… zusammen sein…, ich stör doch nur.“

„Quatsch…, wir gehen jetzt segeln, wie versprochen. Taylor hat mich noch den ganzen Mittag.“

Ich schaute zu Taylor, der verschüchtert lächelte, aber seine Augen strahlten. So glücklich wie ich war, drückte ich ihm einfach einen Kuss auf den Mund.

„Dann bis später“, meinte ich und lief weiter Richtung See.

„Wie ist das?“, fragte Jayden nach einer Weile.

„Was meinst du?“, fragte ich.

„Jemanden zu… lieben?“

„Warst du noch nie verliebt?“

Ich schaute zu ihm. Er lief neben mir mit gesenktem Kopf und schüttelte diesen.

„Hast du noch nie für jemand geschwärmt?“

„Wie denn? Zu Hause bleib ich meist für mich, lerne schaue Fern oder höre Musik. Weggehen tu ich meist nie. Mit wem denn auch, ich kenne niemand.“

„Klassenkameraden?“

„Ach die. Da gibt’s nur immer ein Thema…Geld.“

„Dass dir anscheinend zuwider ist.“

Dieses Mal nickte er.

„Manchmal wünsche ich mir arm zu sein, nicht alle diese Privilegien zu haben und…“

„Jayden, du siehst das falsch.“

Ich war stehen geblieben.

„Deine Familie hat Geld und du hast ja dadurch Privilegien, aber du entscheidest, wie du diese nutzen kannst, nicht andere.“

„Meine Mutter entscheidet immer alles…, selbst was ich anziehen soll.“

„Denkst du nicht, es ist an der Zeit, endlich damit anzufangen, eigene Entscheidungen zu treffen. Mag sein, dass ich ohne Vater und eine arbeitende Mutter recht früh vieles für mich habe entscheiden müssen, aber du hast doch jederzeit die Möglichkeit das zu tun.“

„Das sagt sich so leicht…, die Macht der Gewohnheit.“

Jayden hatte mehr auf dem Kasten, als er nach außen hin auftrat. Ich lief weiter und die Frage vom Anfang kam mir in den Sinn.

„Wie es ist jemanden zu lieben? Gute Frage. Ja ich bin verliebt in Taylor, aber richtig lieben…, darüber kann ich dir nichts sagen. Ich denke, das kommt danach, oder auch nicht.“

„Nicht?“

„Jayden, Taylor ist mein erster Freund. Klar es fühlt sich super an. Da ist einer, der dich unheimlich mag, den du in den Arm nehmen kannst… küssen kannst. Wie gesagt ich weiß nicht was danach kommt, wie es sich anfühlt, dass muss ich wohl erst selbst heraus finden.“

„Das… hört sich aber gut an…, dass es da jemanden gibt…“, Jayden seufzte, „da könnte man neidisch werden.“

„Gib es zu, du bist neidisch. Aber du hast es selbst in der Hand, du musst raus, jemanden kennen lernen…“

Den Rest des Weges liefen wir schweigend. Ich spürte deutlich, wie es in Jaydens Kopf arbeitete. Am Segelbott angekommen, öffnete ich zu allererst die Abdeckung des Segels.

„Kann ich irgendwie helfen?“

„Mach die Leinen los und kommt an Bord.“

„Okay…“, meinte Jayden unsicher.

Als er das Boot betrat, fing es leicht an zu schwanken und Jayden griff nach meiner Hand.

„Keine Angst, du fällst schon nicht ins Wasser. Hier ist eine Schwimmweste“, meinte ich und reichte sie ihm.

„Und wie lege ich die an?“

Natürlich half ich ihm, so wie schon bei Großvater vor ihm.

„Da kannst du hin setzten.“

Er folgte meinen Rat, während ich mich daran machte, das Segel zu setzten. Wenig später glitt das Boot langsam von der Anlegestelle weg und bekam Fahrt. Jayden saß ruhig neben mir und schaute über das Wasser.

Heute Morgen war etwas mehr Wind als sonst, auch der See lag nicht so ruhig da.

Ich konnte ein kleines Lächeln in Jaydens Gesicht sehen, anscheinend machte es ihm Spaß.

„Möchtest du auch mal das Steuer übernehmen?“

„Geht das?“

„Klar!“

Ich überließ ihm das Ruder, behielt aber das Segel unter Kontrolle.

*-*-*

„Können wir das irgendwann wieder mal machen?“

Jayden war total aufgekratzt, lächelte über das ganze Gesicht.

„Klar, mein Segelverein ist in Staines, da können wir jederzeit zusammen segeln, wenn du Lust hast, es sogar selber lernen.“

„Echt?“

„Ja!“

„Cool!“

Soweit es ging, machte ich das Boot reisefertig, verstaute alle losen Teile in seinen Fächern. Ich schaute auf die Uhr.

„Wir müssen uns beeilen, damit wir rechtzeitig zum Lunch kommen.“

Wenig später, als wir zurück waren, saßen wir mit Großvater und Henry alleine am Mittagstisch, da die Damen noch nin der Stadt waren. Jayden sprudelte fast über und erzählte seinem Vater jedes nur so winzige Detail, was er am Morgen erlebt hatte.

Großvater schaute mich kurz an und lächelte.

„… dann hab ich das Ruder ganz hart eingeschlagen und wir mussten die Köpfe ein ziehen, damit wir nichts vom Segel abbekamen.“

„Und du meinst wirklich, Jayden kann da im Segelverein mitmachen?“, fragte mich Henry.

„Ja, er ist ein öffentlicher Verein für jeden. Die Mitgliedsbeiträge sind gering und die Ausstattung super. Und wenn man kein Mitglied werden will, sind die Beträge für die Segelkurse etwas höher.“

„Am Geld soll es nicht liegen…“, meinte Henry.

„Entschuldige Henry, wenn ich mich einmische. Ich weiß nicht wie ihr in der Vergangenheit mit euren Kindern verfahren seid, aber ihr solltet ihn schon den Wert des Geldes beibringen“, kam es leise von Großvater.

Jaydens und mein Kopf wanderte gleichzeitig Richtung Henry. Er atmete tief durch und ich hatte schon die Befürchtung, er würde explodieren, aber er blieb ruhig.

„Ich weiß Vater, ich habe in der Vergangenheit sehr viele Fehler gemacht…“

Das war das erste Mal, dass ich seit ich hier war, Henry hab Vater sagen hören.

„… und auch, dass einige davon nicht mehr rückgängig gemacht werden können, aber ich will versuchen in Zukunft es anders zu machen.“

Großvater nickte nur, sagte kein Wort. Die beiden Männer sahen sich nur an. Jayden blickte mich hilfesuchend an. Ich konnte mir denken, was er wollte und versuchte ihn mit meinen Blicken dazu zu ermuntern, selbst für sich zu reden.

„Dad…? Darf ich in den Segelverein von Jack eintreten?“

Henry dachte kurz nach.

„Wenn du gerne möchtest…, ich kümmere mich nächste Woche gleich darum.“

„Redest du… auch mit Mama?“

„Muss ich sie um Erlaubnis fragen, ob du das darfst?“

Jayden zuckte mit den Schultern.

*-*-*

Ich war schon eine Stunde mit Taylor unterwegs. Ob es Absicht war, dass wir plötzlich beim roten Haus heraus kamen wusste ich nicht.

„Willst du noch einmal hinein gehen?“, fragte Taylor.

Wir waren mit den Pferden stehen geblieben.

„Ich… weiß es nicht.“

„Vielleicht solltest du es wie dein Vater machen und ihr schreiben.“

„Meinst du?“

„Ich weiß, man schreibt heute Emails, aber ob sie sich mit einem Computer auskennt, weiß ich nicht. Und sie kann dich so besser kennen lernen, in dem du ihr alles schreibst, was du mir über dich erzählt hast.“

Ich nickte geistesabwesend, weil ich mit meinen Gedanken schon wo anders war.

„Hab… ich etwas Falsches gesagt?“

Ich schaute zu Taylor.

„Nein, sorry. Ich war mit den Gedanken wo anders.“

Er erwiderte nichts.

„Morgen…, da reise ich ab… und ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal wieder hier sein werde.“

Taylor lächelte mich widererwartend an.

„Ich habe mich im Internet etwas schlau gemacht. Also mit dem Bus wäre ich eineinhalb Stunden unterwegs, wenn ich dich besuchen möchte. Mit dem Zug wäre es nur eine dreiviertel Stunde.“

So wie ich den gleichen Weg und die Zeit hier hätte. Aber es war etwas Anderes, was mich beschäftigte. Ich griff nach seiner Hand.

„Taylor…, wir kennen uns erst ein paar Tage und…“

„… möchtest Schluss machen!“, kam es von Taylor, dessen Lächeln mit einem Schlag verschwunden war.

„Quatsch, wie kommst du den da drauf. Ich wollte nur sagen, ich will dich besser kennen lernen, auch wenn wir uns die nächste Zeit nicht so oft sehen können.“

„Meinst du das ehrlich?“

„Klar…, ich würde dich nie anlügen.“

„… und… was wird deine Mutter dazu sagen, meinst du ihr ist das Recht?“

„Wieso, sollte es ihr nicht Recht sein. Taylor…, sie weiß es schon, ich habe es ihr erzählt.“

Taylor riss die Augen auf.

„Sie hat nichts dagegen?“

„Was sollte sie dagegen haben? Wenn du jetzt wieder davon anfängst ich bin adelig und du nur normal, dann kann ich für nichts mehr garantieren.“

„Garantieren?“

Ich setzte ein schelmisches Grinsen auf und beugte mich zu Taylor hinüber. Bevor er etwas sagen konnte, fuhr meine Fingerspitze kurz in seine Seite. Er quiekte laut und beide Pferde schoben etwas auseinander, was zur Folge hatte, dass ich Gleichgewicht verlor und vom Pferd purzelte.

Taylor war sofort vom Pferd gesprungen.

„Hast du dir weh getan?“, fragte er besorgt und kniete neben mich.

Ich konnte nicht anders und fing an zu kichern.

„Nein, es tut zwar leicht weh, aber getan denke habe ich mir nichts.“

„Du bist echt… jagst mir so einen Schrecken ein…“

„He… es ist nichts passiert.“

Ich griff nach seinem Nacken und zog ihn zu mir hinunter. Was folgte, war einer der schönsten Küsse in meinem Leben. Ich will nicht sagen, dass ich ein Experte im Küssen bin, so viel Erfahrung hatte ich ja auch nicht.

Aber es fühlte sich gut an. Taylor ließ sich nun ganz auf mich herab sinken. Ich spürte seinen Körper auf meinem, seine Hände, die langsam ihren Weg über meinen Körper bahnten. Ich war glücklich und vergaß alles um mich herum.

*-*-*

„Hast du alles?“, fragte Mum, die ihre letzte Tasche in den Kofferraum drückte.

„Ja Mum.“

Sie schloss den Kofferraum. Beide liefen wir zu Großvater, der wie die anderen vor dem Haus stand.

„Du kommst an Weihnachten…“, sagte er leise.

„Versprochen!“, erwiderte ich.

Er umarmte mich fest und ich konnte einzelne Tränen sehen. Als nächstes verabschiedete ich mich von Abigail. Auch sie drückte mich fest an sich.

„Ich komm ja wieder“, meinte ich lächelnd zu ihr.

Henry bekam nur einen Händedruck. So familiär stand ich nun auch nicht mit ihm. Zu guter letzt war da noch Jayden.

„Du rufst an, wenn du Zeit hast“, meinte ich zu ihm.

Er lächelte verlegen und hob seine Arme. Auch ihn umarmte ich.

„Mach ich, sobald ich wieder in London bin.“

„Dann wünsch ich eine gute Heimfahrt“, meinte Großvater, „und meldet euch kurz, wenn ihr zu Hause seid.“

„Ja, ich werde Abigail ein kurze SMS zukommen lassen“, meinte Mum und bewegte sich Richtung Auto.

Im Augenwinkel erkannte ich Taylor an der Hausecke stehen.

„Mum, noch ein kurzer Augenblick bitte…“

Sie rollte mit den Augen und grinste. Ich rannte zu ihm hin blieb kurz vor ihm stehen.

„Ich ruf dich an heute Abend, versprochen.“

„Ich werde darauf warten“, meinte er lächelnd.

Ich beugte mich nach vorne und gab ihm einen kleinen Kuss.

„Bye!“, hauchte ich.

„Bye!“, sagte er genauso leise.

Ich drehte mich um und rannte zum Auto zurück.

„Da werde ich wohl jemand hüten müssen wie meinen Augapfel“, hörte ich Großvater sagen, die anderen lachten, „sonst bekomm ich Ärger mit meinem Enkel.“

Ich stieg ein und kurbelte die Scheibe herunter.

„Weihnachten!“, rief ich, Großvater nickte.

Mum startete den Motor und der Wagen setzte sich in Bewegung. Ich winkte noch einmal allen zu, bevor sie aus meinem Blickfeld verschwanden.

*-*-*

Am Abend saß ich auf meinem Bett, betrachtete Taylor auf meinem Handy, von dem ich noch kurz vor der Abfahrt ein Foto geschossen hatte. Eine Woche, die mein ganzes Leben umgekrempelt hatte.

Ich hörte die Türklingel und wenig später klopfte es an meiner Zimmertür.

„Ja?“

Die Tür ging auf und Sabrina streckte den Kopf herein.

„Da bist du ja wieder und…, einen netten Prinzen geangelt“, sagte sie im herein gehen.

„Ja… kann man so sagen.“

Verwirrt schaute sie mich an und ließ sich neben mir nieder.

„Wie jetzt?“

„Na ja, für mich ist er ein Prinz.“

„Du hast echt jemand kennen gelernt.“

„Jaaaaaa“, meinte ich verträumt und ließ mich nach hinten fallen.

„Dich hat es ja voll erwischt. He… jetzt aber ich will alles wissen von Anfang bis Ende.“

„Er heißt Taylor, ist so alt wie ich, kann reiten wie ein junger Gott…“

„Reiten?“

„Ja wir sind ausgeritten.“

„Seit wann kannst du reiten?“

„Taylor meinte ich bin ein Naturtalent“, grinste ich sie an.

Es klopfte erneut an meiner Tür, ich setzte mich wieder auf. Mum streckte ihren Kopf herein.

„Ich habe gerade mit Abigail telefoniert. Dein Großvater wird nächste Woche hier in London operiert. Sie gibt uns genaueres noch durch, dann kannst du oder wenn ich Zeit habe ihn besuchen.“

„Klar werde ich ihn besuchen.“

„Dann lass ich euch wieder alleine.“

Und schon war sie wieder verschwunden.

„Dein Großvater wird operiert?“

„Nichts Schlimmes“, meinte ich.

„Ich glaube, in den paar Tagen habe ich viel verpasst. Kann das sein?“

„Stimmt, man wir nicht jeden Tag Baron.“

„Ich muss mich jetzt aber nicht vor dir verbeugen?“

„Mal sehen…“, meinte ich und fing an zu lachen.

„Jack, ich habe dich noch nie so ausgelassen und glücklich gesehen.“

„Bin ich auch. Ich habe einen Freund und eine ganz tolle Familie dazu bekommen. Wärst du da nicht glücklich?“

„Ich wäre froh, wenn ich schon einen Freund hätte.“

„Och Sabrina, du hast selbst gesagt, in der Schule rennen so viele Jungs herum.“

„Ja, aber das habe ich auf dich bezogen…, na ja, du bist ja jetzt versorgt.“

Ich nickte, grinste und zog mein Handy hervor. Schnell war Taylors Bild hervor geholt.

„Das ist Taylor…“

„Wow, wo hast du denn den aufgegabelt?“

„Er ist unser Stallbursche.“

„Stallbursche?“

Sie fing an zu lachen. Entsetzt sah ich sie an.

„Was ist daran so lustig?“

„Kannst du dich an den Film Maurice erinnern, den wir mal vor ein paar Wochen angeschaut haben.“

„Öhm ja…“

„Da war es auch der Stallbursche… Ich dachte nicht, dass du dir den Film so zur Vorlage nimmst.“

„Naja, aber so verstecken wie die muss ich mich ja nicht. Und außerdem kann mich Taylor besuchen wann er will und kann. Er will Pferdewirt werden.“

„Eine Kneipe aufmachen für Pferde?“

Sabrina zog mich wieder auf. Ich streckte ihr die Zunge heraus.

„Knie nieder du elendes Weib und zügle deine Zunge, sonst werde ich mir Dinge überlegen, die dir nicht gefallen werden!“

Sabrina fing schallend laut an zu lachen und rutschte vom Bett.

„Edler Herr“, lachte sie, „lasst Gnade bei einer Unwissenden walden…“

„Wenn du artig bist, niederes Weib, dann wirst du vielleicht mein Prinz kennen lernen!“

„Was heißt hier eigentlich niederes Weib, wer weiß, vielleicht kann ich auch jemand von Adel in meiner Familie aufweisen. Und wenn du richtig hinschaust, liege ich in der Erbfolge auf den Königsthron, sicher viel höher als du.“

„Das glaube ich eher weniger. Du gehörst sicher irgendeinem verarmten Landadel an.“

„Jetzt hör dir doch diesen eingebildeten Hirni an. Vor einer Woche, noch das Mauerblümchen der Schule und jetzt der eingebildete Thronfolger von Wales.“

„Baron of Newbury, wenn ich bitten darf!“

Wir schauten uns kurz an und fingen wieder an zu lachen. Es wurde noch ein schöner Abend, denn Sabrina blieb noch eine Weile. Ich genoss es in vollen Zügen. Jack Joseph Lewis Baron of Newbury, es werden sicher noch viele folgen.

 

 

 

 

 

 

 

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13 Kommentare

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    • Steffen auf 29. November 2019 bei 10:05
    • Antworten

    Jetzt geht es ja doch – endlich – weiter
    Danke
    LG
    Steffen

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  1. Hallo Pit,

    jetzt habe ich die Geschichte fertig gelesen und fand es schon irgendwie traurig das sie einfach so zu ende war. Ich mochte die jungs irgendwie und auch die restliche familie ist mir ans herz gewachsen. aber nach 5 jahren darf man wohl nicht mehr auf eine fortsetzung hoffen und somit bleibt mir nur mich schweren herzens von Baron Newbury zu trennen 🙂

    und ich hoffe auf ein weiteres Kapitel von Lucas, So Woi und den anderen süßen Koreanern

    lg aus Hessen
    der Wulf

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  2. Mal sehen?!?
    MAL SEHEN?
    Lieber Pit, da gibt es gar kein überlegen, natürlich schreibst du hier eine Fortsetzung, sonst lernst du mich kennen! ^^
    Irgendwie ist die Story pittypisch, aber irgendwie auch nicht, jedenfalls gefällig.
    Aber schick deinen Korrekturleser nochmals in die Lehre. 😉

    Lg T. 😉

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    1. Hi Bruderherz,
      geplant war eigentlich nichts, was man aber aus Bruderliebe nicht alles macht *fg Gruß Pit

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      1. In deiner Vorankündigung stand aber nichts darüber. ^^
        Frohes Neues Jahr, Bruderherz

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    • Steffen auf 5. September 2012 bei 18:06
    • Antworten

    Gibt es eine Chance auf eine Fortsetzung??

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    1. Mal sehen 🙂 LG Pit

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    • niffnase auf 2. September 2012 bei 17:41
    • Antworten

    Sehr schön, so ganz mein Geschmack. Du hast es immer noch drauf , Alter

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    1. He du bist älter als ich 😛 *lach*

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    • Schokojunge auf 29. August 2012 bei 05:57
    • Antworten

    Hallo Pit,

    wunderschön diese Geschichte, so richtig zum dahinschmelzen…….

    na ja vielleicht gibts ne Fortsetzung…… 100 Punkte jdenfalls.

    Gruß M.

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    1. Danke Micha *umarm*:-)

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    • multi_multiplikato auf 18. August 2012 bei 08:34
    • Antworten

    WOW, ein ganz typische PIT-Storry. Lieb, mit happy end. sehr schön zu lesen. ich habe mich gefreut, wieder was von dir zu lesen pit.

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    • Manfred auf 17. August 2012 bei 08:38
    • Antworten

    Hi Pit! Da hast Du Dir eine sehr schöne Geschichte ausgedacht. Gut geschrieben und der Punkt, dass mir die Personenbeschreibungen in einigen Geschichten manchmal etwas dürftig waren, ist hervorragend gelöst. Jetzt habe ich Lust, davon noch mehr lesen zu können?!
    Meine alte Mail-Adresse ist weg. Unzuverlässig. Müll.
    Danke dafür und Dir alles Gute (auch für’s Schreiben),
    Manfred (magru)

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