Good bye Amerika – Teil 45

Ich saß neben Bob im Auto und sah zum Fenster raus. Wie immer erfüllte die Stadt um diese Zeit schon Leben. Überall standen vor den Kaufläden Wagen geparkt. Menschen mit dicken Tüten auf den Armen bevölkerten den Gehweg.

„Entschuldige, falls ich dich nerve. Hast du dich schon entschieden, ob du das Geld von deinem Vater annimmst?“, fragte Bob in die Stille.

Ich schaute ihn kurz an.

„Ich bin mir nicht sicher.“

„Warum?“

„Soll ich es annehmen, weil er es wollte? Wieder ihm nachgeben, seinen vorgeschriebenen Weg gehen? Soll ich wirklich glauben, dass er mich doch geliebt hat? Obwohl er mir das… ach, ich weiß nicht, wie lange… nicht mehr gezeigt hat?“

„Du machst dir das Leben selbst schwer, Tom.“

„Ich kann nichts dafür…“

„Doch Tom, du musst endlich loslassen. Dein Vater ist… tot… es ist Vergangenheit. Willst du ewig so weitermachen?“

„Mein Kopf ist einfach so voll mit Eindrücken, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll…“

„Und wenn du alles aufschreibst? Ich weiß, Tagebücher führen eigentlich nur Mädchen…“

„Das mache ich auch schon recht lange“, unterbrach ich ihn.

Mir kamen die endlosen Einträge in den Sinn, die ich wegen Dad aufgeschrieben hatte. Ich spürte, wie meine Wangen nass wurden.

„Tom…, dürfte ich dich entführen…?“, hörte ich Bob neben mir leise sagen.

Ich starrte nach vorne, das Bild der Strasse verschwamm.

„… oder willst du unbedingt zu Berry?“

Ich zuckte mit den Schultern und wischte mir die Tränen aus den Augen.

„Ich nehm dich jetzt einfach mit, ohne weiter zu fragen.“

Ich hatte keine Lust, im Augenblick überhaupt noch was zu sagen. Bob bog an der nächsten Kreuzung ab. Wir fuhren nicht mehr in Richtung Krankenhaus. Während des ganzen Weges sagte Bob auch keinen Ton mehr.

Wieder fuhren wir an den Stadtrand, einen, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Hier standen nur noch vereinzelt Häuser, die aussahen wie Farmen. Bob drosselte das Tempo und bog in eine Einfahrt ein.

Handson, konnte ich lesen, mehr nicht, dafür fuhr Bob zu schnell. Der Weg war von Gattern eingesäumt und ich konnte vereinzelt Pferde sehen. Der Weg wurde breiter und endete auf einem Platz vor dem Haus.

Bob drehte den Zündschlüssel um und der Motor erstarb. Ich rieb mir noch mal über die Augen, um auch die letzten Zeichen meiner Heulerei verschwinden zu lassen, dann stieg ich wie Bob aus, der nach hinten lief.

„Tom, kannst du mir etwas tragen helfen?“, rief Bob.

„Sicher“, meinte ich.

Er drückte mir zwei kleine Kartons in die Hand und etwas aus Plastik. Verunsichert schaute ich ihn an.

„Deinem Gesicht nach zu urteilen, fühlst du dich gerade sehr unwohl.“

Ich nickte.

„Okay Tom. Ich kann dir nicht ganz versprechen, dass das, was wir jetzt vorhaben, ganz unblutig abläuft, aber ich weiß mit Sicherheit, das Ergebnis wird dir sehr gefallen.“

Die Stirn in Falten gelegt, schaute ich ihn verwirrt an.

„Komm, man erwartet uns“, meinte Bob und schloss die Heckklappe des Wagens.

Ich folgte ihm um das Haus herum zu einem großen Stall.

„Hallo Bob“, rief eine Frau, die uns anscheinend schon erwartet hatte.

„Guten Morgen, Sally. Und, wie weit sind die beiden?“

Die Frau schaute mich an.

„Ach, das ist Tom, mein Neffe, du hast sicher schon von ihm gehört.“

Na toll. War ich denn wirklich Stadtgespräch? Ich spürte, wie mir das Blut zu Kopfe stieg. Artig streckte ich die Hand aus.

„Hallo“, meinte ich leise.

„Hallo Tom. Klar hab ich schon über ihn etwas gehört. Stimmt es, dass du als einziger einen Flugzeugabsturz überlebt hast?“, fragte diese Sally.

Ich konnte nicht anders und fing an zu lachen.

„Die Version kannte jetzt nicht mal ich“, meinte Bob und grinste.

„Oh, entschuldige“, meinte Sally und ließ wieder meine Hand los.

„Sein allein erziehender Vater ist gestorben und so ist Tom nun bei uns.“

„Das muss schlimm für dich sein“, meinte Sally wieder zu mir und legte ihre Hand auf meine Schulter.

„Es geht…“, meinte ich leise.

„So, genug geredet, wo liegt unsere Patientin?“, fragte Bob.

Innerlich fiel mir ein Stein vom Herzen, weil Bob das Thema wechselte. Aber sogleich kam auch wieder das ungute Gefühl in mir hoch, was denn da jetzt auf mich zukam.

„Man möge mir folgen“, sagte Sally und drehte sich Richtung Stall.

So folgten wir beide zum Stall. ‚Eine Menge Pferde’ dachte ich, als wir den Stall betreten hatten. Fast an jeder Box konnte ich einen Pferdekopf sehen. Sally lief weiter und bog in einen weiteren Gang, wo ich noch zwei weitere Leute ausmachen konnte. Eine Frau und ein Junge, der mir auf Anhieb bekannt vorkam.

„Der Doktor ist da“, rief Sally und die beiden schauten in unsere Richtung.

„Hallo Bob, du kommst gerade richtig. Bei Gaela fängt es gerade an“, begrüßte uns die Frau.

„Morgen Teana, das passt ja. Das hier ist Tom, mein Neffe.“

„Oh, hallo Tom. Nett, dich kennen zu lernen“, sagte Teana.

Ich nickte ihr zu und in diesem Augenblick trat der Junge hinter ihr hervor.

„Tom?“

Jetzt wusste ich, woher ich ihn kannte.

„Hallo Joshua“, meinte ich und lächelte.

„Ihr kennt euch?“, fragte Sally.

„Ja, wir haben schon gemeinsam ein Eis gegessen.“

Nun lächelte mich Joshua ebenso an. Sally schaute zwischen uns hin und her.

„Aha… okay, wie sieht es aus, Bob, soll ich dir helfen?“, fragte Sally.

Bob gab mir einen kleinen Rempler von hinten und ich erwachte aus meiner lächelnden Starre. Ich schaute ihn an und sein Mund formte sich lautlos zu einem Wort, welches ich aber sofort verstand.

>Berry<! Wieder lief ich rot an und trat zur Seite.

„Tom, kannst du mir bitte die Schürze geben?“, fragte Bob.

„Bitte?“, fragte ich.

„Das Teil aus Plastik, das du in Händen hältst.“

„Sally, ich würde sagen, du setzt dich zu Gaelas Kopf.“

Ich gab Bob die Schürze, die er sich auch gleich umband. Joshua gab mir mit dem Kopf ein Zeichen, mich zu ihm zu stellen. Bob und Sally betraten die Box, wo ich ein braunes Pferd auf dem Boden liegend entdecken konnte.

So ging ich rüber zu Joshua und stellte mich neben ihn. Was mich wunderte – es war genug Platz hier im Gang und trotzdem stand Joshua dicht gedrängt an mir. Ich drehte kurz meinen Kopf und hatte sein Gesicht direkt vor meinem.

Ich sah direkt in seine bernsteinfarbenen Augen. Irgendwie fing alles in mir zu kribbeln an. Sein Gesicht verzog sich zu einem süßen Lächeln und ich konnte seinen Geruch in mir aufnehmen.

Das Wiehern des Pferdes riss mich aus den Gedanken und ich schaute wieder in die Box. Es kam Bewegung in die Box. Bob saß hinter der Stute. Plötzlich kamen hinten kleine Vorderbeine zum Vorschein.

Es sah irgendwie eklig aus und Bob hatte untertrieben, was das Blut betraf. Mein Magen meldete sich und ich bekam so ein komischen Geschmack in den Hals. Spätestes, als dann der Kopf zum Vorschein kam, war es bei mir zu spät.

Ich rannte zum Tor und verließ den Stall nach draußen. Gerade noch rechtzeitig, um mir mein Frühstück noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich kotzte, was das Zeug hielt. Total wackelig auf den Beinen, stützte ich mich an der Bretterwand des Stalls ab.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Rücken.

„Geht es wieder?“, fragte hinter mir jemand.

Ich nickte mit dem Kopf und richtete mich wieder auf. Neben mir stand Joshua und schaute mich besorgt an.

„Ich weiß, für jemand, der das noch nie gesehen hat, kann das sehr eklig sein“, meinte er.

Seine Hand lag immer noch auf meinem Rücken, nur dass sie mich jetzt in leichten Kreisen kraulte, was in mir ein kribbelndes Gefühl auslöste.

„Können wir wieder rein?“

Wieder nickte ich. Seine Hand verschwand und er zog das Tor wieder auf. Er lief voraus und erreichte auch als erster die Box.

„Josh guck mal, Gaelas Fohlen“, rief uns Teana entgegen.

Nur zögernd schaute ich in die Box. Aber als ich dieses Minipferdchen auf dem Stroh liegen sah, welches gerade kräftig von seiner Mutter abgeleckt wurde, musste auch ich lächeln. Es versuchte aufzustehen, wenn man es so nennen konnte.

Es drückte die Hinterbeine hoch, was schon sehr lustig aussah, da nun der Hintern in die Höhe ragte. Unsicher drückte das Fohlen nun auch die Vorderläufe durch, was es fast zum Stehen brachte. Ja fast, denn es torkelte gegen seine Mutter und fiel wieder ins Stroh.

„Also, es scheint alles gesund zu sein“, meinte Bob und erhob sich aus seiner Stellung im Stroh.

Das Fohlen versuchte es erneut und diesmal blieb es auf wackligen Beinen stehen.

„Na, geht doch“, meinte Joshuas neben mir und lächelte mich wieder so herzzerreißend an.

*-*-*

Ich erzählte Berry alles über das frisch geborene Fohlen, wie goldig es aussah und über seine ersten Gehversuche. Natürlich musste er lachen, dass sein Schatz dies nicht ohne Kübeln geschafft hatte.

„Was hältst du eigentlich von Josh?“, fragte ich.

„Ein lieber Kerl, warum?“

„Ach, ich weiß auch nicht. Er hat sich so lieb um mich gekümmert, mich aufmunternd angelächelt.“

Berry hob die Augenbraun. Seine Stirn zierte nun nur noch ein Pflaster, der Verband war weg.

„Muss ich mir jetzt Gedanken machen?“, fragte er.

„Was meinst du… ach so – nein Berry, bestimmt nicht. Ich liebe nur dich!“

Ein Lächeln zierte sein Gesicht. Ich beugte mich nach vorne, um seine Lippen mit einem Kuss zu verschließen.

„Ich habe nur gefragt, weil ich dachte…“, begann ich.

„Was?“, fragte Berry und strich mir über die Wange.

„Könnte es sein…, dass… dass Josh auch schwul ist?“

Berry begann wieder zu grinsen.

„Josh scheint es dir ja wirklich angetan zu haben.“

„Nein, stimmt doch gar nicht“, wehrte ich mich und wurde rot im Gesicht.

„Anscheinend doch“, setzte Berry noch eins drauf.

„Boah, nein!“

Berry fing herzhaft an zu lachen, zog mich zu sich und kraulte mir durchs Haar.

„Ich kann dir nicht sagen, ob Joshua schwul ist. Ich kenne ihn zwar, durch einige gemeinsame Sportaktivitäten, aber so genau hatte ich mir nie Gedanken gemacht.“

„War ja nur eine Frage“, trotzte ich.

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