Good bye Amerika – Teil 48

Ich wusste schon, wem ich das zutrauen würde, dass er so eine falsche Nummer abziehen würde. Aber ich war lieber ruhig.

„Was ist? Du schaust so nachdenklich“, raunte Berry mir zu.

„Ach, nichts Besonderes.“

„Ist doch sonst nicht deine Art.“

„Was meinst du?“

„Dass du so am Grübeln bist.“

Ich lächelte ihn erst an und streckte ihm dann die Zunge heraus.

„Was steht heut Abend noch an?“, fragte mein Schatz.

Ich schaute ihn an.

„Eigentlich steht ausruhen für dich auf dem Programm“, erwiderte ich.

„Och nö! Ich hatte genug Ruhe im Krankenhaus, ich will wieder leben! Du willst mich doch nicht hier ans Bett fesseln.“

„Auch eine Variante…“, kicherte ich los und Berry wurde rot.

„Hätte jemand Lust zum Barbecue? Mum hat sicher genug in der Truhe, haben wir auch schon lange nicht mehr gemacht“, schlug Lesley vor.

„Hm…, stimmt. So ein paar Sparerribs könnt ich jetzt locker verdrücken“, gab Berry von sich.

Ich schaute zu Molly und Joshua.

„Also ich wär dabei und wenn ihr nichts dagegen hättet, würde ich gerne meine Eltern fragen, ob sie auch Lust hätten“, sagte Molly.

„Wieso nicht??“, begann Lesley, „keiner kann den Barbecue so gut bedienen wie dein Dad.“

„Dann sollten wir mal loslegen, denn es gibt sicher einiges zu tun, oder?“, fragte Molly.

„Klar, was ist mit dir, Joshua, bleibst du auch zum Essen?“, fragte Lesley.

„Wenn ihr nichts dagegen habt, bleib ich gerne…, danke!“

„Okay, dann mal los.“

„Und was kann ich tun?“, fragte Berry.

„Du wirst schön liegen bleiben!“, sagte Lesley.

„Ich will hier aber nicht allein im Keller sitzen, während ihr im Garten euer Vergnügen habt“, meckerte Berry trotzig.

„Wer sagt denn, dass du hier unten liegen musst. Komm, Tom, ich zeig dir, wo die Liegestühle sind. Dann kannst du meinem nörgelnden Herrn Bruder einen aufstellen.“

„Du bist zu gütig“, kam es von Berry und Lesley steckte ihm nun die Zunge raus.

„Hach, muss Bruderliebe schön sein“, sagte Molly und begann mit Joshua an zu kichern.

Lesley verließ mit dem Tablett voller Getränke und Gläser bereits das Zimmer, als ich aufstehen wollte. Molly und Joshua folgten ihm.

„Halt, du bleibst noch hier“, meinte Berry und zog mich an meiner Hand zu sich.

„Was ist denn?“, fragte ich lächelnd.

Berry zog mich an sich und gab mir einen zärtlichen Kuss.

„Das ist! Ich hab tierisch Entzug.“

„Nach mir?“, fragte ich grinsend.

„Nein, nach jedem Kerl hier in dieser Stadt! Quatsch, natürlich nach dir!“

Ich musste kichern.

„Schläfst du heute Nacht mal bei mir?“, fragte Berry leise und schaute mir dabei tief in die Augen.

„Wie kann man bei diesen Augen widersprechen…“, seufzte ich.

Berry drückte mich etwas von sich weg und schaute mich empört an.

„Wie – du willst mir widersprechen…?“

„Oh du Quasselkopf“, meinte ich und drückte ihn küssend in seine Kissen.

*-*-*

Mollys Eltern fuhren Joshua nach Hause, während ich mit Lesley die letzten Spuren unserer wilden Party wegräumten. Immer wieder schaute ich zu Berry hinüber, der erschöpft in seinem Liegestuhl eingeschlafen war.

Lesley sah meine Blicke und lächelte. Ich erwiderte sein Lächeln.

„Eigentlich sollte ich mich mal bei dir bedanken“, meinte er und sammelte die Sitzkissen zusammen.

„Wofür bedanken?“

„Für Berry… Seit es dich gibt, ist mein Bruder wieder schwer in Ordnung.“

„Da bin ich doch nicht wirklich dran beteiligt… oder? Ihr versteht euch halt einfach wieder besser.“

„Hast du eine Ahnung! Berry war vorher nur noch ein Schatten seiner Selbst. Zu allem musste ich ihn überreden, sonst hätte ich ihn außer zum Sport überhaupt nicht mehr aus seinem Zimmer bekommen.“

„Warum das denn?“

„Ich weiß es selbst nicht. Wenn Berry achtzig Jahre alt wäre, würde ich sagen, er hatte den Lebensmut verloren, aber das kann man ja schlecht bei einem Siebzehnjährigen sagen, oder?“

„Warum nicht?“, fragte ich und hielt inne.

„Na hör mal, jeder Siebzehnjährige strotzt vor Kraft.“

„Nicht jeder…“, meinte ich und setzte mich auf einen der Stühle.

„Wie meinst du das?“, fragte Lesley, legte die Sitzkissen auf dem Tisch ab und setzte sich zu mir.

Ich atmete tief durch und schaute zu Berry hinüber, der immer noch friedlich schlief.

„Weißt du Lesley, in den zwei vergangen Jahren war es nicht immer leicht für mich. Neben der Schule kümmerte ich mich um den kompletten Haushalt und auch noch um meinen Dad. Er war fast jeden Tag betrunken, meckerte ständig herum. Ich konnte ihm nie etwas recht machen. Zudem gab er mir die Schuld, dass meine Mum weggelaufen ist.“

„Das ist doch absoluter Quatsch!“

„Das weiß ich jetzt auch… na ja, noch nicht so richtig… einiges ist noch da. Du weißt nicht, wie es ist, wenn man täglich so etwas zu hören kriegt… irgendwann glaubt man dran.“

Ich schaute in die Flamme der großen Kerze, die auf den Tisch stand.

„Man glaubt, man ist ein Versager, bekommt nichts auf die Reihe. Man ist an allem schuld, so sehr man sich bemüht etwas richtig zu machen.“

„He, das ist vorbei“, hörte ich eine vertraute Stimme hinter mir sagen.

Ich drehte meinen Kopf und sah etwas verschwommen Berry hinter mir stehen. Ich wischte mir meine Tränen, die unbemerkt ihren Weg suchten, aus den Augen.

„Sagt sich so leicht, Schatz. Das alles steckt noch so tief in mir drin. Mein Dad ist zwar nicht mehr da, aber seine Stimme ist noch sehr präsent in meinem Kopf.“

Dann wandte ich mich wieder zu Lesley. Ich spürte Berrys Hand auf meiner Schulter.

„Irgendwann verlässt dich dann der Mut, Lesley, du willst nicht mehr.“

„Hast du etwa an Selbstmord gedacht?“, fragte Lesley entsetzt.

„Nein, das nicht gerade. Ich hab mich eher aufgeben… nur noch funktioniert…“

Ich senkte den Kopf und spürte, wie Berry mir die Schulter liebevoll leicht massierte.

„Ich bin morgens aufgestanden, hab das Frühstück gerichtet, meine Sachen geschnappt und bin in die Schule gegangen. Weil ich jeden Tag bis nachmittags Schule hatte, kam ich spät heim. Habe das Frühstück weggeräumt, das mein Vater irgendwann zu sich genommen hatte, räumte die Bierflaschen weg. Dann versuchte ich, meine Hausaufgaben fertig zu bekommen, weil ich abends dann kochen musste.“

„Das ist doch kein Leben…“, sagte Lesley verärgert.

„Man gewöhnt sich an Vieles…“

„Und an den Wochenenden – da war keine Schule, was hast du da gemacht?“

„Wochenenden waren immer schlimm. Wenn mein Dad noch schlief, konnte ich wenigstens die Wohnung aufräumen, einkaufen gehen, alles versorgen. Wenn er wach war, hielt ich mich meistens nur in meinem Zimmer auf, um nicht für weiteren Ärger zu sorgen.“

„Das hört sich für mich wie ein Privatsklave an und nicht nach dem Leben eines Sohnes.“

„Ach Lesley… mein Vater war nicht immer so. Bevor er seinen Job verlor… und mit dem Trinken begann, war er für mich wie ein Freund.“

„Nimm jetzt ja nicht deinen Dad in Schutz“, sagte Lesley.

„Lesley, das war nicht nett“, mischte sich Berry ein, der die ganze Zeit nichts gesagt hatte.

„Ich verstehe Tom ganz gut.“

„Wieso, zu dir war doch nie jemand so?“, warf Lesley seinem Bruder vor.

Lesley schien mir grad etwas unsensibel, verstand die ganze Sache nicht.

„Lesley, ich mag zwar dein Zwillingsbruder sein, aber was hast du schon groß mitbekommen, was in mir vorging?“

Oha, die werden sich jetzt doch nicht streiten? Ich legte meine Hand auf Berrys und streichelte sie.

„Sag es mir Berry! Im Augenblick komme ich mir etwas blöd vor. Haben wir uns nicht immer alles erzählt, war ich nicht immer für dich da?“

Berry atmete tief durch und setzte sich neben mich auf einen Stuhl. Er seufzte.

„Stimmt, du warst immer für mich da Lesley.“

„Aber?“

„Es gab oder gibt halt Dinge, die konnte ich nicht mit dir bereden… ich weiß auch nicht, warum…“

„Vertraust du mir so wenig?“

„Ach Quatsch, das hat doch damit nichts zu tun. Es gibt Dinge, die kann ich eben nicht mit dir bereden.“

„Warum denn nicht?“

„Was hättest du gemacht, wenn ich dir gesagt hätte… der und der haben mir aufgelauert, mich gehänselt, umher gestoßen, weil ich schwul bin? Wärst du dann hin und hättest sie verhauen?“

„Ja, zum Beispiel. Wer hat das gemacht?“

„Lesley, das ist jetzt egal. Zudem möchte ich nicht, dass mein Bruder sich wegen mir mit anderen prügelt. Es geht einfach darum, dass ich mit dir wegen meinem Schwulsein nicht reden konnte… kann.“

Nun war es Lesley, der feuchte Augen bekam.

„Warum denn nicht? Glaubst du denn, ich hätte dir nicht zugehört… dir nicht helfen können?“

Wieder atmete Berry tief durch rieb sich über sein Gesicht.

„Lesley, die meisten haben in mir nur den Supersportler gesehen, aber nicht den Menschen, der dahinter steckt. Ich wurde nur wegen meiner sportlichen Erfolge „ertragen“, sonst hatte niemand Interesse an mir.“

„Wieso? Nath zum Beispiel – mit dem hast du dich schon immer gut verstanden.“

„Nath ist schwul, dem geht es nicht anders als mir.“

„Und was ist mit unserer Clique?“

„Da bin ich dein kleiner Bruder… oder hast du mal erlebt, dass mich bei den vielen Diskussionen, die ihr immer führt, mal jemand nach meiner Meinung gefragt hat?“

Lesley schien zu überlegen.

„Jetzt, wo du das sagst… nein.“

„Siehst du, da wurde ich geduldet, weil ich dein Bruder bin und jeder mag dich.“

„Und was hat sich jetzt geändert?“

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