Zoogeschichten I – Teil 6

Glück im Unglück

„Dennis da kannst du jetzt nicht mehr rein“, meinte Volker und hielt mich am Arm fest.

„Aber Krümel, ich muss…!“

„Krümel ist bei Sabine, die steht dort drüben!“

Ich atmete tief durch, löste mich aus dem festen Griff von Volker und rannte zu Sabine.

„Was ist denn passiert?“, rief ich Sabine zu.

Sabine drehte sich um und ich sah ihr Russ verschmiertes Gesicht. Sie hatte Tränen in den Augen, aber ich wusste nicht, kam es vom Rauch oder weinte sie.

„Tamara hat es nicht geschafft… sie war zu langsam“, meinte sie leise.

Unruhig und fiepend, wand sich Krümel in ihrem Arm.

„Scheiße…“, brachte ich nur heraus und nahm ihr den Bären ab, der sich in meinem Arm sofort beruhigte.

Volker kam zu uns.

„Die Feuerwehr vermutet, es lag am Heu. Es sei zu feucht gewesen und hat gegoren. Muss sich selbst entzündet haben.“

Sabine sah in starr an.

„Und ich hab Michael zusammen geschissen, er wäre schuld…“, sagte Sabine und schaute zu Boden.

„Nein das war er definitiv nicht! Aber nimm es nicht so schwer, wir sind jetzt alle etwas von der Rolle“, meinte Volker und zog wieder ab.

„Ich muss mich bei ihm entschuldigen… wo ist er denn nur?“

„Sabine du gehst jetzt erst mal mit mir rüber in den Aufenthaltsraum, hier kannst du eh grad machen“, meinte eine andere Pflegerin. >Simone< stand auf ihrem Namensschild.

Sabine nickte und lief in Simones Arm weg. Ich drehte mich wieder zum Bärenhaus, denn immer noch quoll dicker Rauch aus den Oberlichtern. Ich umrundete das Gebäude, um auf die andere Seite zum Gehege zu kommen.

Dort fand ich Volker auch wieder. Er und ein paar andere Pfleger versuchten, die Bären zu beruhigen, die aufgeregt an der Absperrmauer hin und her liefen. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich am Affenkäfig jemanden sitzen.

Ein Besucher konnte es nicht sein, der Zoo war noch nicht geöffnet. Nach längerem Hinsehen, konnte ich Michael erkennen. Die Anderen nahmen keine Notiz von ihm, zu sehr waren sie mit den Bären beschäftigt.

Also lief ich langsam hinüber zu den Affen, die ebenfalls aufgeregt in ihrem Gehege von Baum zu Baum schwangen und ein riesen Geschrei veranstalteten. Michael bemerkte mich nicht, sogar als ich direkt neben ihm stand.

„Michael?“, fragte ich leise.

Sein Kopf fuhr hoch, mit verweinten Augen schaute er mich an.

„Was willst du hier?“, sagte er Recht sauer.

„Entschuldige… Sabine sucht dich… will mit dir reden… du bist nicht Schuld am Feuer.“

„Kannst ja zu ihr rennen und sagen, wo ich bin, aber zieh Leine“, schrie er jetzt schon fast.

„Hallo? Ich hab dir nichts gemacht, du brauchst mich also nicht anzuschreien“, schrie ich jetzt wiederum zurück und drehte mich auf der Stelle um, damit ich wieder zurücklaufen konnte.

„Dennis… warte… entschuldige!“

Ich drehte mich wieder um, Michael war inzwischen aufgestanden. Keinen Ton sagte ich, sah ihn nur an. Auch er hatte Russ im Gesicht und durch die Heulerei war alles sehr verschmiert.

„Ich habe nichts gemacht… hab den Rauch plötzlich gerochen.“

„Die Feuerwehr sagt, sie vermutet, das Heu hat sich selber entzündet.“

„Trotzdem habe ich schuld… ich habe Tamara nicht aus ihrem Käfig gekriegt.“

Auch jetzt wusste ich nichts darauf zu antworten. Ich ging auf ihn zu und legte meinen Arm um ihn. Egal war mir, wie er sich die letzten zwei Tage benommen hatte, ich wollte ihn jetzt einfach nur beruhigen.

Mit Krümel im Arm gar kein so ein leichtes Unterfangen.

„Komm, du könntest etwas Wasser gebrauchen“, meinte ich.

„Wieso… brenn ich…?“, ein kleines Lächeln erschien in seinem schwarzen Gesicht.

Gut, er hatte seinen Humor wieder. Ich zog ihn Richtung Personalhaus, wo ich auch Sabine vermutete. Meine Vermutung war richtig. Sie saß mit einem Kaffee in der Hand im Aufenthaltsraum und starrte in die Luft.

Michael stand neben mir, wie ein Häufchen Elend, als er Sabine sah. Sie drehte den Kopf und schaute uns an. Sie schauten sich nur an. Ich kam mir so hilflos vor. Krümel reckte sich und knabberte an meinem Shirt.

„Der Kleine braucht seine Milch“, meinte Michael neben mir.

„Wo soll ich…“, begann ich, brach den Satz aber ab, weil Sabine wieder Tränen in den Augen hatte.

„Micha, es tut mir leid, ich habe überreagiert… Entschuldigung!“

Er nickte und ging zu ihr. Sie fielen sich in den Arm und begannen zu weinen. Ich kam mir etwas fehl am Platz vor und drehte mich weg.

„Dennis, bleib ruhig da. Wir müssen jetzt überlegen, wie es weitergeht, dazu brauchen wir aber die Anderen“, meinte Sabine und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Michael wollte schon Anstalten machen, den Raum zu verlassen, als ihn Sabine zurückhielt.

„Wasch du dir erst mal das Gesicht, dann gehen wir gemeinsam“, meinte sie.

Er lächelte kurz und verschwand in der Toilette.

„So nun zu dir Dennis… meinst du, du könntest Krümel schon heut mit nach Hause nehmen?

Klar… Krümel musste ausquartiert werden. Ich nickte.

„Dann werden wir aber erst mal eine Flasche für den Kleinen besorgen“, sagte sie und kraulte Krümel am Nacken, was er mit einem freudigen Brummen quittierte.

„Aber wie machen wir das denn morgens? Ich kann doch Krümel nicht einfach in der Straßenbahn mitnehmen.“

„Ich kann dich doch abholen.“

Das kam von Michael, der gerade die Toilette verließ.

„Dann wäre das auch geklärt“, meinte Sabine, ohne überhaupt eine Antwort abzuwarten.

Gemeinsam liefen wir in das Kleinbärenhaus, wo ich endlich eine Flasche für Krümel fertigmachen konnte, der jetzt schon recht ungemütlich wurde, und ich Angst haben musste, dass dies mein Shirt nicht überlebte.

„Au! Krümel hör auf, das tut weh.“

Als würde er mich verstehen, hörte er augenblicklich auf und schaute mich unschuldig mit seinen großen Bärenaugen an.

„So brauchst du mir gar nicht kommen!“, meinte ich.

Sabine und Michael, die das Schauspiel beobachtet hatten, lachten. Krümel mit einer Flasche versorgt, machten wir uns wieder auf den Weg zum Bärenhaus. Der Qualm hatte sich verzogen, die Feuerwehr war am Aufräumen.

Jetzt konnten wir erst das Ausmaß dieses Feuers sehen. Doch wir hatten Glück, außer der riesen Sauerei, die die Feuerwehr mit dem Löschwasser gemacht hatte und einigen verrußten Wänden, war nichts kaputt.

Die Kachelwände hatten dem Feuer standgehalten, nur waren sie schwarz, dass hieß putzen. Traurig schauten wir in die Ecke, wo Tamara lag. Sie hatte nichts von dem Feuer abbekommen, dafür aber jede Menge Rauch.

Volker nahm Sabine in den Arm, der einige Tränen über die Wangen liefen.

„Ich habe schon eine Weile bei Trebnitz beanstandet, dass mit dem Heu etwas nicht stimmt“, kam es von Fritz, der mit Volker und den Anderen bei ihnen stand.

„Fritz das hilft jetzt nichts, Aufräumen ist angesagt. Wer kann sich um die Bären kümmern, ihr Essen müssen sie heut im Gehege bekommen?“, fragte Sabine.

Nachdem die Frage der Arbeitsteilung geklärt war, hatte ich das nächste Problem. Krümel hatte seine Flasche inzwischen geleert und war eingeschlafen. Irgendwo absetzen wollte ich ihn nicht, da er unruhig zuckte.

Sabine hatte da eine Idee. Sie verschwand kurz und kam mit einem Schal wieder. Den band sie mir um den Bauch, so dass Krümel genug Halt hatte und während des Schlafens nicht hinunter fiel und ich trotzdem helfen konnte.

Mit Krümel am Bauch machte ich mich auf, Gemüse zu schneiden. Mein Handy piepte. Ich nahm das Gespräch an, es war meine Mum.

„Dennis, alles klar mit dir?“

„Hallo Mum, ja.“

„Im Radio kam grad, das es im Zoo gebrannt hat.“

So erzählte ich ihr kurz, was passiert war.

„Das arme Tier“, meinte sie, als sie das mit Tamara hörte.

„Ja, wir sind alle traurig darüber. Du, ich bringe Krümel heute schon mit, da sein Raum auch betroffen ist.“

„Und wann kommst du dann nach Hause?“

„So gegen fünf heut Abend.“

„Okay, dann kann ich noch etwas sauber machen in deinem Zimmer.“

„Mum, da habe ich schon aufgeräumt!“

„Schon gut, also bis heute Abend.“

„Tschüss Mum.“

Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche meiner Cargohose. Zusammen mit den Anderen stand ich wieder in der Küche und schnitt Gemüse und Obst für die Bären.

„Süß!“, hörte ich jemanden sagen.

Ich drehte mich um, da stand Michael und betrachtete meinen Untermieter, der friedlich an meinem Bauch schlief.

„Bitte?“, fragte ich.

„Das steht dir gut.“

„Was denn?“

„Übst wohl schon für später, mit eigenen Kindern.“

Was sollte die Bemerkung jetzt, ich gab keine Antwort darauf, lächelte ihm gequält entgegen. Er klopfte mir leicht auf die Schulter, hatte ein so seltsames Lächeln auf den Lippen und ging wieder seiner Arbeit nach.

Später standen wir am Gatter des Geheges und versuchten, die Bären zu füttern. Das war gar nicht so einfach, weil hier draußen im Freien eben die Hackordnung unter den Tieren funktionierte.

Die Chefs bekamen als erstes zu essen. So achteten wir darauf, dass jeder seinen gerechten Anteil bekam, ohne dass irgendwelche Rivalitäten ausbrachen. Danach ging ich zurück ins Bärenhaus und wunderte ich mich, dass alle schon kräftig am Aufräumen waren.

Sabine erklärte mir, dass ein Sachverständiger der Versicherung schon vor Ort war und, bedingt durch den relativ geringen Schaden, beschlossen worden war, das Bärenhaus gleich wieder in Betrieb zu nehmen, allein schon wegen der Tiere.

Volker hatte mir einen Käfig gebracht, in den ich Krümel nun reinsetzte. Beim Putzen wollte ich ihm jetzt nicht unbedingt am Bauch haben. Da war er wirklich störend. So schrubbte ich zusammen mit anderen Pflegern von den Kachelwänden ab, was der Hochdruckreiniger nicht abbekam.

Fritz kam mit einem kleinen Bulldozer und nahm das verkohlte und matschige Heu auf, um es draußen auf einem Lader zu entsorgen. Ohne auf die Zeit zu achten, verbrachten wir ein paar Stunden mit dieser Arbeit.

Plötzlich erschienen Michael und Simone mit belegten Brötchen und etwas zu Trinken. Wir waren so am Schuften, dass wir nicht mal die Mittagspause genommen hatte. Volker und Fritz kamen derweil mit der ersten Lieferung neuem Heu zurück.

Michael drückte mir eine Milchflasche für Krümel in die Hand, dabei berührten sich unsere Finger. Wie ein kleiner Stromstoss durchfuhr es mein Körper. Ich spürte, wie mein Gesicht zu Glühen begann.

„Sagst mir dann später, was wir alles zusammenpacken müssen für Krümel“, meinte er noch und widmete sich wieder den Anderen.

Ich starrte ihm nach, mit der Flasche in der Hand.

„Was ist denn mit dir?“, fragte mich Sabine, die mich durch ihre Worte wieder aus der Starre holte.

„Äh… nichts, alles okay.“

„Nichts? …versprich mir eins Dennis, pass auf dich auf, okay?“

Fragend schaute ich sie an, ich verstand jetzt nicht was sie meinte. Sabine zog mich zur Seite, sie hatte wahrscheinlich gemerkt, dass ich auf dem Schlauch stand.

„Ich weiß nicht, wie viel Tratsch du schon mitbekommen hast hier im Zoo.“

„Eigentlich noch gar nichts, ich bin die ganze Zeit bei dir.“

„Es geht um Michael… ich weiß nicht, ob ich dir das so einfach sagen soll, aber nachdem es Michael ja selbst öffentlich zugegeben hat…“

„Was ist mit Michael?“, fragte ich.

„Michael ist schwul!“

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