Geständnis
Ich musste schlucken. Diese Offenbarung brachte jetzt zwar mein Chaos im Kopf auch nicht weiter, aber nun erklärten sich einige Dinge über Michael.
„Und was hat das mit mir zu tun?“, fragte ich leise.
„Na ja Dennis… du musst zu geben, du siehst verdammt gut aus… und Michael ist bis jetzt jedem hinterhergestiegen, der ihm in die Finger kam… wobei ich zugeben muss, bei dir verhält er sich komisch.“
„Tut mir leid Sabine, ich kann dir nicht ganz folgen… aber … meint hier jeder, ich sei schwul?“
„Um Gottes Willen, Dennis! Nein, das hat niemand gesagt… ich … ach Mensch, ich hätte den Mund halten sollen.“
Sollte ich ihr es erzählen? Sabine war mir gleich von Anfang an vertraut und hier schien auch niemand mit einem Schwulen Probleme zu haben. Ich kämpfte mit mir.
„Ist nicht schlimm Sabine, vielleicht ist es auch besser so.“
„Was meinst du?“
„Wie soll ich dir das jetzt erklären.“
Ein Schrei ließ uns zusammenfahren. Michael hatte einem Kollegen einen Eiswürfel in den Kragen gesteckt, das Gelächter folgte sofort.
„Männer! Nichts als Blödsinn im Kopf“, hörte ich Sabine sagen und sie schüttelte dabei den Kopf. Ihr Blick richtete sie jetzt wieder auf mich.
„Bin auch einer“, meinte ich entschuldigend und hob die Hände, als wollte ich mich ergeben.
„Na ja, du bist vielleicht eine Ausnahme… aber wie sagt man so schön, Ausnahmen bestätigen die Regel, und zu dem bist du für dein Alter noch ein Männchen, auch wenn ich freiwillig zugebe, dafür verdammt gut auszusehen.“
Wieder stieg mir die Röte ins Gesicht.
„Sabine…“, ich rang nach Worten, „danke… aber ich …“ oh Mann, ist das schwer, „ ich bin … auch schwul.“
Sabine schaute mich mit großen Augen an.
„Oje!“, sagte sie nur.
„Was?“
„Weiß das Michael?“
„Du bist gut. Bisher war er nicht gerade freundlich zu mir, wie soll ich dann mit ihm reden.“
„Zwei süße Platzhirsche, die nichts von einander wissen… na ja, du weißt es jetzt ja… Michael…“, sie zeigte in seine Richtung, „hoffentlich habe ich da jetzt nichts angerichtet.“
„Wieso denn, wenn du ihm nichts sagst…, ich tu es auch nicht!“
„Nicht? Warum denn?“
„Hallo Michael, ich bin schwul, hast du Interesse an mir?“, brachte ich die Aussage etwas tuntig herüber, so das Sabine schallend laut anfing zu lachen und sich alle nach uns umdrehten.
„So einfach ist das nicht“, sagte ich jetzt wieder normal, nicht ohne eine tuntige Bewegung hinterher zusetzten, was Sabine eine weiteren Lachanfall einbrachte.
„Du bist in Ordnung junger Mann“, meinte sie und wuschelte mir durch Haar.
„Danke“, lächelte ich zurück.
„So, nun lass uns Krümels Sachen herrichten, damit wir alles beieinander haben.“
Plötzlich hielt sie inne.
„Ist es dir überhaupt Recht, dass dich Michael nach Hause fährt?“
„Recht? …ich werde es überleben und er wird ja bestimmt nicht im Auto über mich herfallen.“
„Wäre ich mir nicht so sicher, schau ihn an, er ist kräftig!“
Beide gemeinsam fiel unser Blick auf Michael, der gerade half, an einem Schieber einen neuen Seilzug anzubringen.
„Willst du mich jetzt verkuppeln?“, fragte ich gespielt empört, vielleicht jetzt wirklich eine Spur zu tuntig, denn Sabine ließ vor lachen eine Schüssel fallen.
„Wer weiß, vielleicht wird es hier dann wieder ruhiger, scheint Brunftzeit zu sein.“
„Bist du dir da sicher?“, grinste ich fies und hob die Schüssel wieder auf.
Sabine konnte sich wohl gerade nicht entscheiden, ob sie jetzt lachen oder lieber gequält schauen sollte. Eine Antwort blieb ihr aber erspart, denn Fritz tauchte bei uns auf.
„Spielst du jetzt Handwärmer?“, fragte er mich.
„Bitte?“
„Du stehst jetzt schon eine halbe Stunde mit der Flasche da, willst du sie selber erwärmen?“
Ach du grüne Neune, ich hatte Krümel ganz vergessen. Fritz grinste, als ich zu Krümels Käfig spurtete.
„He Kleiner, du hast bestimmt Hunger oder?“
Fiepend und brummend strampelte er, als ich versuchte, ihn aus dem Käfig zu ziehen.
„Komm Kleiner jetzt zick hier nicht rum, weil du ein wenig später deine Flasche kriegst.“
Endlich hatte ich ihn auf dem Arm und er nuckelte zufrieden an seiner Flasche. Sabine stellte zwei Kisten neben mich.
„Das sollte für den Anfang reichen. Das Büro hat anscheinend doch mehr abgekriegt und eine andere warme Unterkunft haben wir im Augenblick nicht hier im Bärenhaus.“
„Sabine kein Problem, ich helfe gerne aus.“
„Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass Männer mit Babys auf dem Arm verdammt attraktiv aussehen?“, meinte Sabine leise, gerade dann, als Michael zu uns herüber sah.
Das tat er im Augenblick wirklich oft, wie mir auffiel.
„Ha ha!“, antwortete ich, „zwei Tage hier und man wird hier als attraktiver Platzhirsch in der Brunftzeit abgetan, schöner Laden ist das.“
„Was ist mit unserem Laden?“, fragte Volker, der plötzlich hinter mir stand.
Sabine lachte laut auf und ließ mich einfach mit Volker alleine stehen.
„Also ich denke, Krümel kann am Montag spätestens wieder hier einziehen, bis dahin müssten wir das Büro renoviert haben“, erklärte mir Volker, „ich würde vorschlagen, du machst heute etwas früher Schluss und kümmerst dich heut nur noch um Krümel. Wer fährt dich?“
„Ähm… Michael.“
„Gut, dann sag ich ihm, er soll sich auch fertig machen und den Wagen holen.“
Und schon war Volker weg, hin zu Michael. Irgendwie war das heute alles recht unwirklich. Alles ging so schnell. Michael schwul… wow… aber… meine Gedanken verabschiedeten sich.
Ich schaute nur noch auf Krümel, der vergnügt an seiner Flasche nuckelte.
*-*-*
„Hast du alles?“, fragte mich Michael, als er die Heckklappe des Zootransporters schloss.
„Mein Rucksack und die Jacke noch“, antwortete ich.
„Liegt schon auf dem Vordersitz, habe ich mitgebracht.“
„Danke“, sagte ich leise und mir strahlte ein Michael entgegen.
„Dann können wir ja losfahren, komm steig ein.“
Krümels Käfig stand hinten im Auto. Er würde sowieso nicht viel von dieser Fahrt mitbekommen, weil er wieder mal schlief. Ich setzte mich zu Michael nach vorne und schnallte mich an.
„Alles klar mit dir?“, fragte Michael.
„Ja, warum?
„Ich weißt nicht… ich werde aus dir irgendwie nicht schlau“, antwortete er und startete den Motor.
„Verstehe ich jetzt nicht.“
„Man redet über uns, oder?“
„Wer redet über uns?“
„Unsere Kollegen, wir sind das Thema der Woche.“
„Michael, ich bin jetzt den dritten Tag hier im Zoo“, zügig zog er mit dem Wagen auf die Straße, „ich kenne dich so gut wie gar nicht, bis auf einige kurze Begegnungen, warum sollten
wir dann Thema sein?“
Gut, ich wusste von Sabine mehr, aber das brauchte er nun wirklich nicht zu wissen. Was ich mit Sabine redete, ging niemanden etwas an.
„Du weißt es also wirklich nicht, oder?“
„Was denn?“, sagte ich jetzt etwas genervt.
„Sorry Dennis, ich wollte dir nicht zu Nahe treten.“
„Tust du nicht, aber es nervt, wenn jeder um mich herum in Rätseln redet.“
„Jeder? Also wird doch geredet.“
„Jetzt dreh mir bitte nicht die Worte im Mund herum. Ich habe seit Montag nur ein paar Sachen dich betreffend aufgeschnappt und mehr nicht, es war kein Getratschte sondern nur Feststellungen.“
„Und was waren das für Feststellungen?“
Oh Mann, wo hatte ich mich da nur reingeredet, aber ich sah jetzt auch keinen Ausweg, hier heraus zukommen, als einfach nur die Wahrheit zusagen.
„Dass du… du würdest so oft traurig gucken, dein Lachen wäre nicht echt… „, ich stockte, ging ich zu weit?
Michael schaute stur auf die Straße und ich sah eine einzelne Träne über seine Wange rinnen.
„.. und DU fragst MICH, ob alles mit mir in Ordnung ist. Sorry Michael, wenn ich jetzt zu weit gegangen bin. Dein Auftreten mir gegenüber war bisher einfach nur Scheiße. Kann sein, dass ich etwas empfindlich reagiere. So bin ich nun mal, aber ein guter Start für eine Freundschaft ist das sicher nicht!“
Hatte ich das eben wirklich gesagt? Was hatte mich denn jetzt gestochen, so offen mit Michael über mich zu reden?
„Freundschaft?“, kam es leise von Michael, „wer will schon mit einem Schwulen befreundet sein.
Boah, wo waren wir hier, Treffen der Megazicken? Zerfloss er grad vor Selbstmitleid und was ging das überhaupt mich an? Gut, ich war auch schwul, aber man muss doch dann nicht gleich sich den erstbesten Schwulen schnappen und mit ihm eine Kiste beginnen.
Ich beschloss, jetzt einfach zu schweigen, schaute auf den Verkehr, der jetzt um diese Zeit recht dicht war. Michael sagte auch nichts, starrte weiter stur nach vorne. Ab und zu konnte ich einen kleinen Seufzer von ihm hören, als würde er weinen.
Doch ich blieb stur und schaute nach vorne. Was mich jedoch wunderte, woher wusste Michael, wo ich wohnte. Er fuhr genau die Strecke, die ich jeden Tag mit der Straßenbahn fuhr.
Er hatte mir gerade gesagt, er ist schwul und ich hatte nicht reagiert, fasste er das vielleicht falsch auf? Und überhaupt – sein Benehmen mir gegenüber – ich verstand überhaupt nichts mehr. Diese giftigen Blicke, die er mir beim Besuch von Brit zugeworfen hatte.
Die fiesen Kommentare mir gegenüber, obwohl er mich nicht mal kannte. Als er jetzt in unsere Straße bog, wurde es mir dann doch komisch zumute.
„Woher weißt du, wo ich wohne?“
Er parkte den Wagen vor unserem Haus und stellte den Motor ab. Sein Kopf senkte sich, so dass er jetzt fast das Lenkrad damit berührte. Ein Blick zum Haus zeigte mir, dass meine Mutter schon auf mich wartete.
Sie stand an der Haustür.
„Sorry Dennis, ich kann nicht…“, er atmete tief durch, dann stieg er aus.
Ich folgte ihm. Er lud die zwei Kisten ab und trug sie bis zur Haustür. Er sagte kurz Hallo zu meiner Mum, kam zum Wagen zurück und drückte mir Krümels Käfig in die Hand.
„Tut mir leid Dennis… ich komm morgen und hole dich um halb acht wieder ab.“
Ohne noch etwas zu sagen, drehte er sich um, stieg in den Wagen und fuhr zügig davon.
„Hallo Dennis, was war das jetzt?“, fragte meine Mutter.
Ich stand mit dem Käfig immer noch auf der Straße und schaute dem Zootransporter nach.