Zoogeschichten I – Teil 8

Wilde Tiere und Bärenkunde

Ich gab mir einen Ruck und lief zu meiner Mum.

„Das war Michael…“

„Aha.“

Ich schüttelte meinen Kopf und besann mich wieder auf Krümel, der in seiner Box nun unruhig wurde. „Kannst du mal die Box mit Krümel nehmen, ich möchte die zwei Kisten reintragen“, fragte ich.

„Da ist ein Bär drin?“, fragte sie ungläubig.

„Ja Mum, er ist ein Baby, die sind nicht größer.“

Etwas nervös, als hätte die Kiste etwas Ansteckendes an sich, nahm Mum sie mir ab. Ich nahm die Kisten auf und trug sie ins Haus, gefolgt von Mum mit Krümel.

„So mein Kleiner, jetzt holen wir dich erst mal aus deinem Gefängnis heraus“, meinte ich und nahm den Käfig meiner Mum wieder ab.

Mit Adleraugen beobachtet mich meine Mutter. Ich stellte den Käfig auf den Treppenabsatz und öffnete die Klappe. Krümel schien sich dagegen gelehnt zu haben, denn er fiel mir schon fast entgegen.

Vorsichtig zog ich ihn heraus und nahm ihn auf den Arm.

„Ist der aber noch klein“, kam es von Mum.

Ich grinste ihr für diese geistreiche Feststellung entgegen. Dass sie jetzt schon Respekt vor dem Kleinen hatte, merkte ich sofort. Krümel dagegen interessierte das nicht. Neugierig schaute er sich um.

„Na, willst du ein bisschen die Gegend erkunden?“, fragte ich ihn und lief mit ihm ins Wohnzimmer.

„Dennis, was hast du vor?“, fragte meine Mum.

Ich setzte ihn etwas auf den Teppich. „Keine Angst, er wird nicht abhauen, dafür ist er wirklich noch zu klein.“

„Aber Dennis…“

„Mum… er mag zwar ein wildes Tier sein, aber nicht in der Größe. Könntest du mir mal bitte die Decke in der Kiste geben?“

Wie in Trance bückte sich meine Mum und zog die Decke aus der Kiste, aber nicht ohne den Kleinen aus den Augen zu lassen. Zaghaft reichte sie mir die Decke, die ich auf dem Wohnzimmerboden ausbreitete.

Ich stand wieder auf und nahm noch den Stoffbären aus der Kiste, den ich dann auf die Decke legte und Krümel dazu.

„So jetzt ist er erst mal beschäftigt.“

„Aha.“

Gebannt schaute Mum zu, was der Kleine machte. Krümel dagegen beschäftigte sich mit dem Teddy. Spielerisch versuchte er, mit ihm zu kämpfen, was zur Folge hatte, dass er ein paar Mal auf seiner Nase landete.

Ein herzzerreißendes Jammern ging durch die Wohnung. Ich musste lachen, weil er sich so tollpatschig anstellte. Vergessen war für einen Augenblick Michael und was er gerade abgezogen hatte.

„Und du bist sicher, da kann nichts passieren?“

„Nein Mum und sei froh, dass ich nicht bei den Schlangen angefangen habe!“

Entsetzt schaute sie mich an.

„Hilfst du mir, eine Flasche Milch für den Kleinen warm zu machen?“

„In der Küche steht ein Flaschenwärmer“, sagte sie, ohne den Blick von Krümel abzuwenden.

„Wie bist du denn an den gekommen?“

Jetzt hatte ich anscheinend wieder ihre volle Aufmerksamkeit, sie sah mich wieder an.

„Den habe ich von unserer Nachbarin. Du glaubst gar nicht, wie sie mich angeschaut, regelrecht gemustert, hat, als ich nach dem Flaschenwärmer gefragt hatte, besonders ihre Blicke auf meinen Bauch… da musste ich dann loslachen.“

Das tat ich nun auch… Mum schwanger – was hatten die Leute nur für wirre Gedanken.

„Und was machen wir jetzt warm? Normale Milch?“

Wir… aha sie bezog sich also gleich voll mit ein.

„Nein, ich habe da ein spezielles Milchpulver, da ist alles drin, was Krümel braucht.“

Meine Mum lächelte und ein kurzer Blick zu Krümel verriet mir den Grund ihres Lächelns. Krümel hatte sich am Teddy eingekuschelt und gähnte herzhaft.

„Da wird wohl einer müde“, meinte sie.

„Ja, er schläft noch viel, deswegen möchte ich die Flasche fertig machen, bevor er mir hier wegratzt.“

Meine Mum befüllte den Flaschenwärmer mit Wasser und schaltete ihn ein, während ich die Flasche mit Milch anrührte.

„Irgendwie finde ich es toll, dass du gleich soviel Verantwortung übertragen bekommst und dann gleich noch ein Bär. Das glaubt mir keiner, wenn ich das erzähle.“

„Mum, das sollst du auch nicht, oder willst du hier Führungen veranstalten?“

„Nein, um Gottes willen, wie kommst du darauf?“

Ich lächelte, sagte aber weiter nichts und stellte die Flasche in den Wärmer.

„Schaust du kurz etwas nach Krümel, ich möchte seine Sachen in mein Zimmer räumen und dann noch unter die Dusche. Irgendwie hab ich das Gefühl, ich rieche immer noch nach Rauch.“

„Wenn du meinst, dass ich das kann?“

„Mum, du brauchst nur zu gucken, nichts zu machen. Krümel bleibt auf seiner Decke.“

„Sicher?“

„Ja bin ich, die Gegend ist fremd und der Teddy das Einzige, was ihm vertraut ist, außer mir. Also bleibt er beim Teddy auf der Decke.“

Wieder traf mich ein ungläubiger Blick.

„Dein Vater kommt ja bald nach Hause…“

„Wieso… ist er ein Bärenbändiger?“

Ich grinste und es dauerte etwas, bis Mum begriff was ich gerade sagte.

„Nun geh schon duschen und beeile dich.“

Ich nahm die Kisten und trug sie in mein Zimmer. Schnell war alles verräumt und ich entledigte mich meiner miefenden Klamotten. Nackt wie ich war, spazierte ich ins Bad. Die Klamotten warf ich in die Wäschetonne und drehte das Wasser an.

Das war eine Wohltat auf meiner Haut. Im Bärenhaus war es die ganze Zeit recht feucht gewesen durch das Löschwasser und später vom Hochdruckreiniger sowieso. Jetzt aber ließ ich es mir gut gehen, genoss die Wärme auf meiner Haut.

Plötzlich erschien das Bild von Michael wieder, wie er am Lenkrad saß und eine Träne vergoss. Ich nahm mein Shampoo, wusch mir die Haare, bevor ich den Rest von mir einseifte. Nach dem ich alles abgespült hatte, drehte ich das Wasser ab und öffnete die Duschkabine.

Er wusste, wo ich wohnte, hielt genau vor unserem Haus. Diese traurigen Augen und dann wieder das Lächeln auf seinen Lippen, als er sagte, er würde mich heimbringen. Was war nur mit ihm los? Er kannte mich doch kaum, warum benahm er sich dann so?

Ich ging zurück in mein Zimmer und zog mir meinen alten Trainingsanzug über. Meine Haare ließ ich so, wie sie waren. Die würden auch so trocknen. Also ging ich wieder nach unten, betrat das Wohnzimmer und traute meinen Augen nicht.

Mum saß in ihrem Sessel und hatte Krümel im Arm, der lautschmatzend an seiner Flasche nuckelte. Sie hob den Kopf und lächelte mich verlegen an.

„Er hat plötzlich angefangen so komische Laute von sich zu geben, fast als würde ein Kind schreien. Das hat mich irgendwie an dich erinnert. Immer, wenn du Hunger hattest als Baby, hast du angefangen, zu schreien.“

Ich zeigte erstaunt auf mich.

„Ja und da hab ich all meinen Mut zusammen genommen und hab diesem Kleinen einfach die Flasche hingehoben und als ich merkte, er kann sie nicht halten… na ja das Resultat siehst du ja.“

„Ich hab dir doch gesagt, Krümel ist ganz pflegeleicht.“

Sie lächelte den Kleinen an und kraulte ihn am Kopf. So hatte Krümel nun einen Fan mehr. Ich hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.

„Ich bin zu Hause?“, hörte ich Dad rufen.

„Wir sind hier im Wohnzimmer.“

Seinen Schlüsselbund warf er wie immer auf die Kommode und seine Tasche auf den Boden. Wie sehr man sich doch an Geräusche gewöhnen konnte. Er betrat das Wohnzimmer.

„Na, was macht unser Familienzuwachs?“, fragte er und schaute zu Mum.

„Schau nur, wie lieb er an seiner Flasche nuckelt“, sagte Mum und ich runzelte die Stirn.

„Vor wenigen Minuten hielt sie Krümel noch für eine wilde Bestie“, raunte ich Dad zu, der darauf zu lachen begann.

Versteh ich aber, dass sie ihre Meinung geändert hat, er ist ja wirklich süß, der Kleine. Bei euch im Zoo alles okay? Deine Mutter hatte mich im Büro angerufen und mir alles erzählt, auch, dass wir heute schon einen Gast bekommen.“

„Ja, soweit denke ich, ist alles okay, bis auf das Büro, wo Krümel sein Quartier drin hatte, haben wir fast alles wieder sauber gekriegt…“

Mir fiel Tamara wieder ein, die es nicht überlebt hatte.

„Eine der alten Bärinnen hat es nicht überlebt“, sagte ich traurig.

„Das ist schade, aber Gott sei Dank ist nicht mehr passiert. Ähm…. gibt es noch etwas zu Essen?“

„Ach du…“, fing meine Mum an, „ich hab noch gar nichts gekocht.“

Mein Vater lachte.

„Kaum ist ein anderer Mann im Haus, vernachlässigst du mich“, sagte mein Vater.

Dafür erntete er einen vorwurfsvollen Blick meiner Mutter.

„He, wir können den Pizzadienst anrufen, oder was meint ihr?“, schlug mein Dad vor.

Ich nickte, denn Pizza hatte ich schon lange nicht mehr. Mum erhob sich und reichte mir Krümel.

„Soll ich wirklich nicht kochen?“

„Nein Christine, geht schon in Ordnung, man hat ja nicht alle Tage einen Bären im Haus.“

Plötzlich fing er laut an zu lachen.

„Wenn ich das morgen meinen Kollegen erzähle, die denken bestimmt, ich will ihnen einen BÄREN aufbinden“, lachte er weiter, verschwand nach draußen zum Telefon.

„Dein Vater und sein Humor…“, sagte Mum.

Ich fand es jedenfalls lustig.

*-*-*

Diesmal weckte mich nicht der Wecker, sondern die Geräusche, die aus Krümels Käfig kamen. Gähnend stand ich auf und holte das muntere Kerlchen heraus.

„Na du, gut geschlafen?“

Ich schaute auf meinen Wecker und entschloss mich, das Bett noch einmal aufzusuchen. Krümel lag auf meiner nackten Brust und brummte während ich ihm den Nacken kraulte. Sein Fell fühlte sich so weich und warm auf meiner Haut an.

Da entschloss ich mich dann doch, aufzustehen. Ich musste ja noch Krümel eine Flasche machen, weil ja Michael um halb acht auf der Matte stand. Michael… an ihn hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.

Krümel hatte mich so beansprucht, dass ich keinen Gedanken mehr an Michael hegte. Doch jetzt war alles wieder da. Ich setzte Krümel auf meine Bettdecke und zog meine frischen Klamotten an.

Ich riskierte kurz, Krümel alleine zu lassen und verschwand im Bad. Als ich zurückkam, lag er immer noch auf der Decke, wie ich ihn verlassen hatte. Ich nahm ihn hoch und legte ihn halb auf meine Schulter.

Nun konnte Krümel umherschauen, während ich mit ihm nach unten lief.

„Morgen ihr Zwei!“, begrüßte ich meine Eltern, die am frühstücken waren.

„Morgen, na wie war die Nacht mit dem Bären?“, fragte Dad.

„Gut, er hat mich schlafen lassen.“

Mum schenkte mir einen Kaffee ein und schmierte mir ein Brot. Normalerweise hätte ich ja protestiert, dass ich kein kleines Kind mehr war, aber diesmal gefiel mir das – alleine schon wegen Krümel.

Ein Blick auf den Flaschenwärmer verriet mir, das Mum schon eine Flasche gerichtet hatte. So nahm ich sie, testete die Temperatur und zog Krümel auf meinen Arm herunter. Dann setzte ich mich zu meinen Eltern und lies Krümel trinken.

Mit der freien Hand schnappte ich mir mein Brot und aß nun selber. Es klingelte an der Tür, mein Blick viel auf die Küchenuhr. Halb acht… Michael.

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