Zoogeschichten I – Teil 9

Wenn etwas in die Hose geht

Mein Vater stand auf und ging wortlos zur Haustür.

„Hallo, ich wollte Dennis abholen“, hörte ich Michael sagen.

„Ah, dann müssen sie Michael sein. Kommen Sie doch rein, Dennis gibt dem Bären gerade noch die Flasche.“

Gegenüber Dad hatte ich nichts von Michael erwähnt, also hatte Mum ihm bestimmt das vor dem Haus erzählt. Ich hörte, wie Dad die Tür schloss und wenig später betraten beide die Küche.

„Hallo Dennis, morgen Frau Kahlberg.“

„Guten Morgen Michael“, grüßte ihn meine Mutter, „auch eine Kaffee?“

Schon war sie aufgestanden ohne eine Antwort abzuwarten, um eine weitere Tasse aus dem Schrank zu holen.

„Danke, gerne“, sagte Michael. Was blieb ihm schon anderes übrig.

Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihn die ganze Zeit angeguckt hatte, das bemerkte ich erst, als er schüchtern meinen Blick erwiderte. Wurde er da gerade rot im Gesicht?

„Also ich muss dann mal los, ins Büro. Tschüss euch allen und ein schönen Tag“, sagte Dad plötzlich, gab Mum einen Kuss und verschwand.

„Ich habe oben was zu tun“, meinte dann Mum und verschwand ebenso.

Alles Verräter – ließen mich hier einfach alleine sitzen. Nervös zipfelte ich an Krümel herum, der das mit einem Quicken quittierte.

„Dennis…“

Ich schaute auf und sah in Michaels traurige Augen.

„Es tut mir leid … wegen gestern… ich weiß… wenn du Schwierigkeiten haben solltest… wegen dem, was ich gestern alles losgelassen habe…, ich würde es verstehen, wenn du….“

„Ich habe damit kein Problem, Michael, aber…“

„Dennis, stell die Flasche einfach ins Waschbecken, wenn Krümel fertiggetrunken hat. Ich mach sie dann sauber“, unterbrach mich meine Mutter, die irgendwo im Flur herumgeisterte.

„Hier können wir nicht reden, lass uns in den Zoo fahren!“, sagte ich zu Michael, der nur nickte.

Ich stellte Krümels Flasche ins Waschbecken, ebenso die zwei Tassen und folgte Michael, der meinen Rucksack genommen hatte, nach draußen.

„Wir sind dann weg, Mum!“, rief ich, da sie nirgends zu sehen war.

Und schon waren wir draußen. Dennis öffnete mir die Beifahrertür, wartete, bis ich eingestiegen war, bevor er sie wieder schloss. Meinen Rucksack warf er auf die Rückbank, bevor er selbst einstieg.

Ohne einen Ton zu sagen, startete er den Motor. Es war nicht der Zootransporter, den wir gestern hatten. Ich denke eher, sein eigenes Gefährt. Alles war sehr aufgeräumt, nichts ließ auf ihn schließen.

Er zog aus dem Parkplatz vor unserem Haus und ordnete sich in den Verkehr ein. Sollte ich ihm jetzt sagen, was ich dachte. Gut, ich war etwas gerührt, dass er so ein Vertrauen in mich hatte.

Er war mindestens dreiundzwanzig und ich erst siebzehn. Sehr ungewöhnlich, mir so ein Geständnis zu machen. Eigentlich wäre es ja nur gerecht, wenn ich ihm auch sagte, dass ich schwul bin.

„Michael, ich… Scheiße!“

Ich spürte an meinen Beinen etwas Warmes. Michael schaute entsetzt zu mir herüber, da ich Krümel von mir weghielt.

„Der kleine Racker hat mir auf die Hosen gemacht“, schrie ich.

Michael hatte Schwierigkeiten, ernst zu bleiben und lachte laut los. Er suchte die nächste Parklücke und hielt an.

„Moment, ich habe im Kofferraum Trockentücher… sollen wir zurückfahren?“

„Nein, ich habe noch Klamotten im Zoo…“

Michael stieg aus und ging nach hinten. Wenige Augenblicke später erschien er wieder und reichte mir eine Rolle Tücher.

„Und dein Sitz?“, fragte ich. Ich begann, mich immer mehr unwohl zu fühlen.

„Keine Sorge, das kann man wieder reinigen. Aber du musst aus den nassen Hosen.“

Also startete er wieder den Motor und fuhr zügig weiter. Mit einer Hand hielt ich Krümel fest, der auf der Ablage saß, mit der anderen Hand versuchte ich, mich etwas ‚trocken zu legen’. Dann breitete ich ein paar Tücher auf meinem Schoss aus – man konnte ja nie wissen – und nahm Krümel wieder auf meinen Schoss.

Michael grinste immer noch, versuchte sich aber krampfhaft auf den Verkehr zu konzentrieren.

„Du bist mir einer, brauchst du jetzt wohl auch noch Windeln?“, fragte ich und hielt Krümel so vor mich hin, dass ich ihm in die Augen gucken konnte.

Er brummte leise und versuchte, mit seiner kleinen Tatze meine Nase zu erwischen. Er hatte diesen Unschuldsblick drauf… ich bin klein, mein Herz ist rein… ich musste jetzt selber grinsen.

„Ist das bis jetzt noch nicht passiert?“, fragte Michael.

„Was?“

„Dass er dich angepisst hat?“

„Nein… ich …äh, er hat bisher immer in seine Streu gemacht.“

„Wir sind gleich da, dann nehme ich dir Krümel ab und du verschwindest in die Umkleide!“, meinte Michael, der gerade auf den Personalparkplatz einbog.

Als der Wagen hielt, reichte ich ihm Krümel rüber und stieg aus. Mein Rucksack. Ich ging an die Hintertür.

„Geh, ich bring deinen Rucksack mit!“

Ich schnappte mir meine Codekarte und rannte zum Tor. Ein kurzes Surren und ich drückte es auf. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Michael mir inzwischen folgte, so ließ ich das Tor einfach offen.

Auf dem Weg zur Umkleide kam mir Volker entgegen, dessen Blick gleich nach unten wanderte, wo sich nun ein großer dunkler Fleck in der Höhe meines besten Stücks befand. Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Frag erst gar nicht!“, meinte ich mit abwehrender Haltung und betrat die Männerumkleide.

Etwas angeekelt setze ich mich auf die Bank und zog erst meine Schuhe aus. Langsam schälte ich mich aus der verpissten Hose. Ich sah auf die Tür zu den Duschen. Schnell duschen wäre nicht schlecht.

So ließ ich die Hose einfach auf dem Boden liegen und ging an meinen Spint. Jetzt wusste ich auch, warum ich Duschzeug und Sachen zum Wechseln im Zoo haben sollte. Als Trebnitz mir das damals sagte, konnte ich mir den Grund nicht richtig vorstellen.

Ich zog das Shirt aus, griff nach dem Duschzeug und dem Handtuch. Mit dem bewaffnet ging ich dann nur mit der nassen Boxer bekleidet in die Dusche. Vielleicht war ich etwas empfindlich, aber ich würde bestimmt noch öfter in solche Situationen kommen.

Ich sollte mir da wahrscheinlich eine dickere Haut zulegen. Als ich mich dann von dem letzten nassen Kleidungsstück befreit hatte, genoss ich erst mal die heiße Dusche und fühlte mich in Null-Komma-Nix wieder herrlich sauber.

Ich stellte die Dusche ab und trocknete mich ab. Mit Entsetzten stellte ich fest, dass ich eine Boxer zum Wechseln vergessen hatte. Also band ich mir das Handtuch um die Hüften, hob die nasse Boxer auf und wanderte zurück in die Umkleide.

In diesem Augenblick ging die Tür auf und Michael kam herein.

„Krümel habe ich bei Sabine…, Ups.“

Erstarrt standen wir uns gegenüber. Ich fragte mich, wer von uns beiden schneller rot wurde. Obwohl ich ja noch das Handtuch umhatte, versuchte ich mit meinen Händen irgendwas zu verdecken, was man eh nicht sehen konnte.

„Oh Entschuldigung…“, meinte Michael, stellte meinen Rucksack ab und ging wieder hinaus.

„Michael!“, rief ich hinterher, aber er war schon weg.

„Scheiße, scheiße, scheiße!“, brüllte ich und ließ mich auf die Bank sinken.

Was würde er jetzt von mir denken. Ich hatte ihm gesagt, dass ich keine Probleme mit seinem Schwulsein habe und jetzt reagier ich so… so blöd. Ich raufte mir durch die nassen Haare.

So schnell ich konnte, zog ich mich wieder an, verstaute die angepissten Sachen in einer Plastiktüte und warf sie in den Spint. Ich schaute nicht mal in den Spiegel und lief so, wie ich war zum Bärenhaus.

Fritz kam mir mit einem Schubkarren entgegen. Er begrüßte mich mit einem >Morgen<, sonst weiter nichts, aber sein breites Grinsen konnte man nicht übersehen. Volker, dieses Lästermaul, das hatte bestimmt schon seine Runde gemacht.

Ich betrat das Bärenhaus und schaute mich nach Michael um.

„Suchst du etwas… morgen Dennis.“

Ich drehte mich um. Sabine.

„Nein…“

„Da hat Krümel wohl voll zugeschlagen? Frisch geduscht?“

Sie zeigte auf meine nassen Haare und ich nickte.

„Ist hier bestimmt jedem schon einmal passiert. Du wirst dich daran gewöhnen, die Witze hören spätestens nach einer Woche auf“, meinte Sabine und nahm eine Schaufel und Besen in die Hand. Etwas gequält lächelte ich Sabine entgegen.

Die Bären waren alle in ihrem Käfig, aber Michael konnte ich nicht entdecken.

„Wir müssen raus ins Gehege, denn gestern konnten wir ja nicht saubermachen“, sagte Sabine, „nimm dir einfach auch eine Schaufel und Besen, Tonnen habe ich schon rausgestellt. Krümel hab ich übrigens bei Volker untergebracht.“

„Danke“, antwortete ich nur und nahm, ebenso wie sie, die Sachen.

Ich folgte ihr durch eine kleine Tür nach draußen. Hier sah es wirklich wild aus. Überall war Stroh verteilt und auch hier lagen natürlich, wie sonst im Käfig auch die Geschäfte der Tiere herum.

Die Hoffnung, Michael auch hier draußen vorzufinden, zerschlug sich sehr schnell. Sabine und ich waren alleine.

„Ist irgendwas?“, fragte Sabine.

„Nein, wieso?“

„Erst kommt Michael mit so einem Gesicht hier herein und nun du.“

„Sabine…“, ich stockte kurz, „ich wurde angepisst, sorry da hab ich noch etwas Schwierigkeiten mit.“

„Und es ist wirklich nichts wegen… zwischen dir und Micha?“

„Nein!“, log ich und ich bezweifelte, dass Sabine mir dies nun glaubte.

„Okay, dann machen wir uns mal an die Arbeit!“

So teilten wir uns auf und ich kehrte schön meine Haufen zusammen… passendes Wort… und schippte das Ganze in die Mülltonne. Was sich an einem Tag alles ansammeln konnte. Die Tonne war sehr schnell voll.

Mit ihr ging ich zurück ins Bärenhaus, um sie zu leeren. Am Ende des Flures verließ Michael gerade durch den anderen Ausgang dass Bärenhaus. Ich stellte den Pott ab und rannte hinterher.

„Michael, warte doch, ich muss mit dir reden!“

„Tut mir leid Dennis, ich hab keine Zeit!“, meinte er und ließ mich einfach stehen.

‚Oh Mann, wie kann man so zickig sein??’ Ich kickte vor Wut einen Stein in den Busch, ging zurück ins Bärenhaus und entsorgte den Inhalt meines Eimers, um dann wieder ins Gehege zu gehen.

Sabine stand am Wasserbecken.

„Ich denke, das werden wir auch ablassen müssen.“

Sie hatte Recht. Das Wasser war trüb und allerlei Sachen schwammen darin. Sabine schaute mich grinsend an.

„Ähm, damit du nicht gleich wieder nass wirst“, genervt ließ ich meine Augen rollen, „wir haben drin Trockenhosen, die du überziehen kannst, dann bleibt die Feuchtigkeit draußen und kommt nicht in die Hose.“

Ich atmete tief durch, was bei Sabine einen Lachanfall auslöste. Das konnte ja heiter werden.

*-*-*

Spritzender Weise schob ich den letzten Rest Dreck Richtung Abfluss.

„Vergiss den Korb im Abfluss nicht zu leeren“, meinte Sabine, die bereits aus dem Becken geklettert war, „ich sag dann Volker Bescheid, er kann dann die Leitung zum Füllen wieder aufdrehen.“

Ich nickte ihr zu und drehte die Sprühspitze ab. Rasch zog ich den Schlauch aus dem Becken um auch noch den Inhalt des Dreckkorbs zu entsorgen. Als ich wieder zurückkam, kletterte ich vorsichtig ins Becken, versenkte den Korb im Abfluss und verschloss ihn.

Ich hörte im Hintergrund noch >Wasser marsch!<, aber es war schon zu spät. Die Fontäne vom Füllrohr traf mich direkt. Ich hechtete zur Seite, um nicht noch mehr abzukriegen, kletterte mit letzter Kraft aus dem Becken und ließ mich auf den Boden fallen.

Ich fuhr mit der Hand über mein nasses Gesicht und erblickte Sabine mit Volker am Gatter stehen. Natürlich lachten sie. Michael stand auch da, aber er hatte nicht mal ein Grinsen auf den Lippen. Er drehte sich weg und ging.

Sabine blickte zwischen mir und Michael hin und her.

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