Zoogeschichten I – Teil 11

Fieberträume

Starr vor Schreck stand ich immer noch da und sah Michael wegrennen. Meine Hand strich über meine Wange, die höllisch wehtat.

Was hatte ich jetzt wieder falsch gemacht? Tränen drückten sich mir in die Augen. Ich machte kehrt und betrat wieder das Bärenhaus. Sabine fegte den Vorraum und sah auf, als sie mich kommen hörte.

„Und?“, fragte sie, doch dann sah sie meine Tränen, nahm meine Hand weg und sah die rote Wange.

„War er das?“

Ich nickte.

„Was ist denn passiert?“

„Ich habe ihn geküsst…“, sagte ich fast unhörbar.

„Was hast du?“

„Geküsst…“

„Und dann hat er dir eine runter gehauen?“

Mir war jetzt nicht nach reden zumute. Am liebsten würde ich mich jetzt gerne verkriechen, irgendwo hin, wo mich keiner findet oder stört. Ich nickte.

„Spinnt der? Ist dem jetzt eine Sicherung durchgebrannt? Na warte, wenn ich das Bürschchen in die Finger kriege.“

„Sabine, bitte, sag nichts.“

„Nein Dennis, das geht mir einfach zu weit. Du hast Recht, was da zwischen euch läuft, das geht mich nichts an, aber jemanden schlagen, da hört es bei mir auf.“

Jetzt liefen die Tränen erst richtig und Sabine nahm mich in den Arm.

„Ich dachte doch nur… wenn ich ihn küss… glaubt er’s mir…“

„Männer und ihre Dickschädel… komm, wasch dir dein Gesicht ab und dann machen wir, dass wir hier fertig werden.“

Es dauerte noch eine Weile, bis alles wieder weggeräumt und für den nächsten Morgen alles hergerichtet war. Die Bären waren heute sehr träge und es brauchte viel Überzeugungsarbeit und gutes Zureden, bis auch der letzte Bär in seinem Käfig war.

Ich packte Krümel unter meine Jacke, nahm meinen Rucksack, den Beutel mit den nassen Sachen und folgte Sabine nach draußen auf den Parkplatz. Reifen quietschend verließ gerade Michael den Parkplatz, was wiederum einen bösen Blick und Kopfschütteln bei Sabine auslöste.

„Was ist nur in den Kerl gefahren, so kenne ich ihn gar nicht“, sagte sie, als wir einstiegen.

Ich wusste zu wenig von Michael, als dass ich etwas sagen könnte. Aber mein erster Eindruck von ihm, dass ich ihn als arrogant empfand, trat immer mehr in den Vordergrund.

„Dann werde ich mich halt in Zukunft von ihm fernhalten… hatschi.“

„Gesundheit.“

„Danke.“

Ich putzte meine Nase und Krümel, der beim Niesen zusammengefahren war, verkroch sich noch mehr in meiner Jacke.

„Dennis, so geht es aber nicht. Ich habe dir schon gesagt, wir sind ein Team und das muss zusammenhalten, schon alleine der Arbeit wegen.“

Ich atmete tief durch und schaute zum Fenster hinaus, auf die Häuser, die an mir vorbeizogen.

*-*-*

Mum war gleich in den Keller gestürmt, um die nassen Sachen zu reinigen, während Dad mir Krümel entführte und mit ihm spielte. Wegen Michael hatte ich nichts gesagt, ich schob einfach meine schlechte Laune auf Krümels Bewässerungsaktion und mein unfreiwilliges Bad im Bärenbecken.

Wieder musste ich niesen. Den Vorschlag meines Dad’s, ein heißes Bad zunehmen, nahm ich dankend an, denn ich wusste Krümel gut versorgt. Müde entledigte ich mich meiner Klamotten, ging ins Bad und ließ mir Wasser ein.

Sanft strich ich mir abwesend über die Wange, wo Michael am Mittag seine Abdrücke hinterlassen hatte. Mir fiel aber auch etwas Anderes ein. Die weichen Lippen von Michael. Es waren nur Sekunden, die sich unsere Lippen berührten, aber es waren schöne Sekunden.

Sie waren so weich…, ich stieg in die Wanne und ließ mich langsam in das heiße Wasser gleiten.

Ich war wohl eingenickt, denn mein Vater schaute herein und fragte, ob ich schon Schwimmhäute hätte. Langsam stieg ich aus der Wanne. Mir tat alles weh. Nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen hatte, machte ich noch schnell alles sauber und ging wieder nach unten.

Dad saß lächelnd auf seinem Sessel und schaute diesmal nicht fern, wie er es sonst jeden Abend tat. Er gab Krümel die Flasche und amüsierte sich über dessen Tollpatschigkeit. Meine ewige Nieserei nervte mich.

Mum hatte mir ein paar belegte Brote auf einen Teller gemacht, so setzte ich mich zu Dad ins Wohnzimmer und beobachtete, wie er mit Krümel spielte.

„Alles klar mit dir?“, fragte Dad.

„Ich weiß nicht… bin so müde“, antwortete ich.

„Dann leg dich hin, ich bringe Krümel nachher schon in seine Kiste.“

„Okay… danke Dad.“

Müde schleppte ich mich die Treppe hinauf und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich nahm meinen Teddy in den Arm und meine Gedanken drehten sich wieder nur um Michael. Wie konnte man aus ihm nur schlau werden?

Warum konnte ich diese Gedanken nicht einfach abstellen? Ständig sah ich Michael vor mir. Seine strahlenden Augen, sein Lächeln und die Berührung seiner Lippen kam mir in den Sinn.

Mit einem zufriedenen Lächeln schlief ich dann ein.

Irgendwas rüttelte mich an der Schulter.

„Junge, du musst aufstehen“, hörte ich gedämpft.

„…will schlafen.“

Ich spürte eine Hand auf der Stirn.

„Harald, Dennis hat Fieber, seine Stirn glüht ja.“

Eine weitere Hand machte sich auf meiner Stirn breit und es fühlte sich so herrlich kühl an.

„Ich werde im Zoo anrufen und Dennis krank melden“, hörte ich Dad sagen.

Irgendwie hatte ich Schwierigkeiten, meine Augen zuöffnen.

„Und was ist mit dem Bären, der hängt auch so müde da.“

Was… Krümel… ich muss aufstehen. Kraftlos drückte ich mich hoch, aber mein Kopf belehrte mich eines Besseren. Es drehte sich alles.

„Dennis, du bleibst liegen!“, sagte Mum.

„… muss mich um Krümel kümmern.“

„Du musst gar nichts, höchstens auf den Doktor warten.“

„Ruft Doktor Reinhard an… wegen Krümel.“

Könnte mal jemand dieses Karussell anhalten? Mir war so schwindlig und übel. Irgendwie verschwamm alles…. Ich schlief wieder ein.

„Aua!“

Boah, was soll dass?

„Er reagiert zumindest auf die Spritze. Ihr Sohn hat sich nur übernommen, ein Tag Bettruhe und er ist wieder fit.“

Unser Hausarzt… Spritze… gut, dass ich Augen zu hatte. Übernommen? Was habe ich denn gemacht?

„Hat er irgendwas Schweres gemacht?“, hörte ich meine Mutter fragen.

„Nein, er hat mit uns das Außengelände aufgeräumt, dann haben wir noch das Becken gereinigt, alles normale Arbeiten.“

Sabine? Sabine ist hier? Ich versuchte, meine Augen zu öffnen, aber irgendwie fiel mir das schwer.

„Irgendetwas muss aber vorgefallen sein, sonst würde Dennis Körper nicht so reagieren. Wie gesagt, ein Tag Bettruhe und er kann sogar wieder arbeiten“, meinte der Arzt und verabschiedete sich.

Meine Mum schien ihn hinauszubegeleiten, also musste ich mit Sabine alleine sein.

„Sabine?“, fragte ich leise in den Raum.

„He Kleiner, da bist du ja wieder.“

Ich öffnete die Augen und sah etwas verschwommen die Umrisse von Sabine vor mir, aber das Bild klärte sich schnell.

„Sieht so aus… sorry wenn ich gleich in der ersten Woche ausfalle.“

Mich plagte das schlechte Gewissen.

„Hey Dennis, ist nicht schlimm. Wobei wir beide wissen, was dafür der Auslöser war. Und du kannst jetzt sagen, was du willst, ich werde mit Michael reden, ob du das willst oder nicht!“

Ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich kannte Sabine zwar noch nicht so gut, aber ich sagte jetzt lieber nichts.

„Was… was ist mit Krümel?“

„Dem geht es gut, der war einfach noch müde. Doktor Reinhard war vorhin hier und hat ihn untersucht. Er ist völlig gesund. Und nachdem wir gesehen haben, wie aufopfernd sich deine Eltern sich um ihn kümmern, haben wir beschlossen, dass er hier bleiben kann, auch wenn du krank bist.“

„Danke!“

„Nichts zu danken. Und wenn du wieder gesund bist, regeln wir den Rest.“

Ich wollte etwas sagen, aber Sabine legte ihren Finger auf meinen Mund.

„Pst! Schlaf jetzt. Ich schau morgen wegen Krümel nach Feierabend noch einmal vorbei.“

„Tschüss…“

„Tschüss Dennis, und werd mir wieder fit. Ich will nicht auf dich verzichten, die Bären warten auf dich!“

Ich lächelte und sie verschwand.

*-*-*

Ich saß in der Küche und löffelte meine Suppe. Krümel kullerte über seine Decke, die meine Mum für ihn am Küchenboden ausgelegt hatte. Außerdem musste sie irgendwo einen alten Teddybären von mir ausgegraben haben, mit dem Krümel nun spielte.

Er war immer noch recht unbeholfen, setzte wacklig eine Tatze vor die andere.

„He Kleiner!“, sagte ich und Krümel schaute mich an.

„Morgen gehen wir wieder in den Zoo!“

Das schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. Nachdem ich fast die ganze Nacht und den halben Tag verschlafen hatte, fühlte ich mich wieder recht gut. Mum und Dad waren bei Freunden und ich saß nun hier, aß brav meine Suppe und wartete auf Sabine.

Es klingelte an der Tür. Ich stand auf und lief zur Wohnungstür. Da ich dachte, es wäre Sabine, schaute ich auch nicht durch den Türspion. Ich öffnete die Tür und erschrak etwas, denn Michael stand vor mir.

„Moment, ich komme, nur noch diese Tasche.“

Michael drehte sich um und ich sah Sabine am Auto eine Tasche aus dem Kofferraum ziehen. Ich traute mich nicht, Michael direkt anzugucken, stellte mich sogar hinter die Haustür, als würde ich mich vor ihm schützen wollen.

„He, du siehst ja wieder super fit aus. So eine Spritze möchte ich auch haben“, kam es von Sabine, die endlich vom Auto kam.

„Danke“, antwortete ich nur und plötzlich wurde mir bewusst, hier nur in Shorts und Shirt da zu stehen, „kommt rein, ich ziehe mir nur etwas über. Krümel spielt in der Küche.“

Ein Klirren bestätigte dies.

„Oder auch nicht!“, meinte Sabine und folgte mir in die Küche.

Der Nachteil gewisser Dekotischdecken war, wenn man sie quer über den Tisch legte, hingen sie an den Seiten fast bist zum Boden. Doch nicht in jeder Wohnung gab es einen kleinen Bären, der sich daran zu schaffen machte.

Auch stand da nicht immer ein gefüllter Suppenteller darauf. Krümel sah irgendwie lustig aus, so geschmückt mit Suppennudeln im Pelz.

„Oh Krümel, da hast dir bestimmt einen mächtigen Schrecken eingefahren“, meinte ich und wollte die Küche betreten, aber eine Hand – Michaels Hand – hielt mich fest.

„Da liegen Scherben und du bist barfuss. Ich mach das weg“, sagte er und ging an mir vorbei.

Verwundert schaute ich zu Sabine, die aber nur grinste.

„Ich habe dir frisches Obst und Gemüse für Krümel mitgebracht.“

Sie stellte es auf die Küchentheke. Michael sammelte die Scherben des Tellers auf und schaute mich hilflos an, bis ich verstand, was er wollte.

„Der Mülleimer ist unter der Spüle“, sagte ich und wollte schon loslaufen, aber Michael hob die Hand und ich stoppte wieder.

Sabine nahm Krümel und drehte sich zu mir um.

„Ich geh kurz auf die Terrasse und mach Krümel sauber.“

Schon war sie weg. Und ich… mit Michael alleine.

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