Wahrheiten
„Könnte mir mal jemand sagen, was der Scheiß hier soll?“, fragte Michael und trat auf uns zu.
Erschrocken wich ich etwas zurück.
„Ihr könnt doch den Kleinen nicht einfach als Schwulen hinstellen… am Schluss tut ihm Karl noch etwas!“
Gut, er schien nur die Ausführungen von Volker gehört zu haben, aber nicht mein Geständnis… was wiederum schlecht war… das stand mir noch davor.
„Michael… Dennis ist doch…“, begann Volker.
„Volker er weiß es nicht!“, unterbrach Sabine.
„Nicht?“
„Nein!“
„Ups, wie kompliziert!“
„Gell?“, kam es von Sabine und begann zu kichern.
Oh man, mein Puls war nicht mehr zu zählen… der Schweiß rann nur so von der Stirn und ich zitterte am ganzen Körper. Sabine schien dies zu bemerken und nahm mich in den Arm.
„Was ist Dennis?“, fragte Michael sauer.
„Ich bin… schwul…“, stotterte ich.
„Dennis, ich habe dir schon mal gesagt, du brauchst mich nicht zu verarschen und… was das hier angeht, ist doch Scheiße!“
Ich atmete tief durch und wollte schon anfangen, mich zu verteidigen, als mir Sabine zuvor kam. Sie war auf Michael zugegangen und ihn am Kragen packte.
„Jetzt hör mir mal zu, Kleiner. Dennis hat das eine riesen Überwindung gekostet, uns allen das zu sagen und ich weiß nicht, ob du dich noch an dein Outing erinnern kannst. Der Kleine will dir nur helfen, also benimm dich nicht wie eine arrogante Zicke, die sich selbst bemitleidet!“
Oh, oh, das hat gesessen, Michael war ganz weiß um die Nase. Insgeheim speicherte ich auch für mich ab, dass man Sabine nie zur Feindin haben sollte.
„Das stimmt… wirklich?“, fragte Michael leise.
Ich nickte.
„Und ich Arschloch hau dir eine runter?“
„Du hast was?“, fragte Volker entsetzt.
„Hallo, dass ist Vergangenheit, okay? Steht jetzt nicht zur Debatte!“, warf ich ein. Mich nervte diese Situation, wo über mein Leben, meine Gefühle so öffentlich gesprochen wurde, „das war alles ein Missverständnis!“
„Dann war der Kuss echt?“, stammelte Michael.
„Was? Also läuft doch was zwischen euch“, meinte Volker verwirrt.
„Oh Volker, jetzt halt doch mal den Rand!“
Ups, jetzt hatte ich mich im Ton vergriffen.
„Tschuldigung… habe ich nicht so gemeint…“, setzte ich noch schnell dran.
„Schon gut, aber jetzt solltet ihr mal die ganze Geschichte erzählen, damit wir wissen, auf was wir uns da jetzt einlassen“, meinte Volker.
Ich atmete tief durch und ließ mich auf einen Hocker fallen. Leise erzählte ich alles, was sich seit Montag, meinem ersten Tag hier, zugetragen hatte. Bei Erzählungen, die mit Michael zu tun hatten, spürte ich, wie meine Ohren glühten, von meinem Gesicht ganz zu schweigen.
Ich traute mich nicht einmal aufzusehen, wusste nicht, wie Michael reagieren würde. Als ich fertig war, schwieg erst mal jeder.
„Eine Woche und schon so viel passiert!“, unterbrach Fritz die Stille.
„Ich sag doch immer, hier im Zoo wird es dir nie langweilig!“, meinte Volker dazu.
Langsam schaute ich auf, sah zu Michael. Er starrte mich bloß an, sagte aber kein Wort.
„Eine Entschuldigung wäre fällig!“, meinte Sabine.
Vorwurfsvoll schaute ich sie an, sie grinste nur verlegen und zuckte mit den Schultern. Michael dagegen kam auf mich zu und kniete sich vor mich hin, da ich ja immer noch auf dem Stuhl saß.
Er legte seine Hand auf meine Wange, genau die, die er so kräftig geschlagen hatte.
„Dennis… ich weiß nicht Recht, was ich sagen soll.“
„Entschuldigung!“, kam es im Chor von Fritz, Volker und Sabine.
Ich musste kurz lachen, die drei waren einfach nur cool. Michaels Hand lag immer noch an derselben Stelle, es fühlte sich gut an, so warm und weich.
„Sie haben Recht, ich hab mich wie ein Idiot benommen.“
„Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung!“, warf Volker ein, der dafür einen Schlag von Sabine kassierte.
„Aua… was denn? Stimmt doch!“
Michael sah wieder zu mir.
„Jetzt, wo du alles weißt, willst du mir trotzdem helfen… ich meine, wegen Karl und den Drogen?“
„Das war ein Ausrutscher, oder?“, fragte ich leise und schmiegte mich an der Hand von Michael.
„Ja, ich will nichts mit dem Zeug zu tun haben.“
Dass ich mich grad noch mehr in Michael verliebte, wollte ich nicht mal mir eingestehen.
„Klar will ich dir helfen, wir hier im Zoo sind doch ein Team, müssen zusammen halten.“
Ob dass die Antwort war, die er hören wollte. Sabine war zufrieden, denn sie lächelte.
„Du willst mit mir ein Liebespaar spielen?“
„Ja. Kein Problem.“
Jetzt hatte ich definitiv gelogen, konnte aber die Röte in meinem Gesicht unterdrücken.
„Und ihr denkt wirklich, Gudrun hat ihm eine Codekarte gegeben?“, stellte er seine Frage an die Anderen.
„Anders kann ich mir nicht erklären, wie er an die kommen sollte und Gudrun ist nicht wirklich gut auf dich zu sprechen“, sagte Sabine
Michaels Hand entfernte sich von meiner Wange, was ich sehr schade fand. Oh Gott, wo war ich hier nur reingeraten. Vor einer Woche war ich noch ein glücklicher Mensch, der eine Lehre begann.
Gut, ich war jetzt auch glücklich. Michael wusste endlich, dass ich auch schwul war, dieses Missverständnis war vom Tisch. Aber ich war in ihn verliebt und das war eben eine andere Sache, das einfach so zu sagen.
„Meint ihr, dieser Karl ist jetzt auf dem Gelände?“, fragte Fritz.
„Sicher!“, antwortete Michael.
„Muss der nicht arbeiten?“, fragte ich verwundert.
„Karl ist von Beruf Sohn, der weiß gar nicht, was Arbeit ist“, kam es von Michael.
„Wie konntest du dir den nur als Freund aussuchen?“, fragte Volker.
Michael winkte ab.
„Wir könnten doch nachschauen, welche Karte diese Gudrun dem Karl gegeben hat und ob er sich damit heute Eintritt verschafft hat“, schlug ich vor.
„Gute Idee, aber Gudrun würde das sicherlich mitbekommen und könnte ihn warnen, wir wissen nicht, wie sehr sie ihm hörig ist“, sagte Sabine.
„Wir wissen nicht mal, ob sie die Karte rausgegeben hat“, warf Michael ein.
„Doch, da bin ich mir sogar fast sicher“, meinte Sabine.
„Also ich würde sagen, ihr zwei geht jetzt mal raus ans Gehege… knutscht… oder was Schwule eben tun…“
„Alles, was du mit deiner Freundin auch tun würdest“, meinte Michael spitz.
Jetzt war er wieder der Michael, wie ich ihn kennen gelernt hatte, lustig, aber doch irgendwie arrogant.
„Ich meine… ich wollte…“, stotterte Volker.
Sabine fing laut an zu lachen.
„Was seid ihr nur für Männer?“, kam es von ihr.
*-*-*
„Und du bist dir wirklich sicher… ich meine, ich bin fast sechs Jahre älter als du?“, fragte Michael.
„Wieso… bist du jetzt ein alter Mann deswegen?“
„Nein Dennis, so hab ich das nicht gemeint… nur… jemand in deinem Alter…“
„Michael… wir knutschen hier bloss rum, der halbe Zoo guckt zu, dann mach dir doch jetzt darüber keine Gedanken.“
Michaels Augen wurden irgendwie traurig. Hatte er sich doch mehr vorgestellt? Ich wusste es nicht, kannte Michael zu wenig, um das einzuschätzen. Ich wollte mich nicht zum Clown machen, indem ich ihm erzählte, dass ich mich in ihn verliebt hatte.
Michael kam näher, nahm mich in den Arm und drückte sich an mich. Wow, war das ein schönes Gefühl! Seine Wärme an mir spüren, seinen Duft in mich aufziehen. Jede einzelne Bewegung seiner Hände ließ meinen Körper erschaudern.
Ich sah ihn an, sah diese funkelnden Augen und verlor mich darin. Meine schloss ich und wenige Sekunden später berührten sich unsere Lippen. Ganz anders als beim ersten Mal, als ich ihn einfach küsste.
Seine Lippen waren weich und warm, ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und forderte mit meiner Zunge Einlass und Michael gewährte ihn. Ich spürte plötzlich, dass dies nicht nur einfach ein gespielter Kuss war, sondern dass da mehr dahinter stecken musste, er war so intensiv.
Michaels Hände wanderten über meinen Körper und ich bekam weiche Knie davon. Mein Magen kribbelte und ich versuchte, alles in meinen Kuss hinein zu legen, was ich fühlte. Auch meine Hände gingen auf Wanderschaft und zum ersten Mal konnte ich diese Muskeln, die ich bisher nur erahnen konnte, fühlen.
Michael setzte ab.
„Was ist?“, fragte ich.
Er schnaufte leicht.
„Wow, hast du vorher geübt?“
„Ich? Wieso?“
„Du hast sicher einen Freund oder?“
„Wie kommst du darauf?“
„Du hast keinen?“
Ich schüttelte den Kopf, ein Freund… für mich alleine… was für ein Traum.
„Das glaube ich dir jetzt nicht, Dennis. Du siehst so verdammt gut aus, bist so lieb“, ich wurde voll rot, das war ja schon fast eine Liebeserklärung, „bei dir ist alles so… es stimmt alles.“
Und wieder küsste er mich – noch intensiver als vorher – nun konnte ich nichts mehr machen, in meiner Hose fing sich was an zu regen.
„Ich dachte, die haben nichts miteinander“, hörte ich es aus dem Busch neben mir.
Erschrocken fuhren Michael und ich auseinander.
„Macht bloss weiter, soll niemand merken, dass Fritz und ich hier in dem Stachelbusch sitzen“, hörten wir Volker flüstern.
Wenn die Sache jetzt nicht so todernst gewesen wäre, hätten wir bestimmt gelacht, man und jedes Wort hatten sie mitgehört. Etwas unsicher nahm mich Michael wieder in den Arm. Natürlich fiel dieser Kuss jetzt recht simpel aus, nachdem wir wussten, was für Spanner da in dem Busch neben uns saßen.
Er wuschelte mir beim Küssen etwas durch die Haare, die Luft war aber draußen. Er drückte mich fester an sich, legte seinen Kopf auf die Schulter.
„Was soll ich nur machen?“, flüsterte er.
„Was meinst du?“, fragte ich genauso leise zurück.
„Dennis, ich bin im Begriff mich gerade ordentlich in dich zu verlieben… das geht doch nicht, du hast was Besseres verdient.“
Erschrocken drückte ich ihn von mir weg.
„Was soll der Quatsch jetzt? Dürfte ich mir meine Meinung bitte selber bilden.“
„Ach Dennis komm, es würde sicher nichts werden.“
„Ihr sollt nicht streiten, sonder knutschen“, flüsterte der Busch neben uns.
Ich hörte Schritte, die sich uns näherten.
„Ich habe es gewusst, du hast mich wegen diesem Stück Scheiße verlassen.“
Michael drehte sich um, stellte sich vor mich. Es war dieselbe Stimme, wie einen Abend zuvor in der Umkleide.
„Und, fickt er dich auch gut, besorgt er’s dir?“
„Lass den Scheiß, Karl! Ich hab dir gesagt, du sollst dich hier nicht mehr blicken lassen.“
„Nein, nein, Freundchen, nicht mit mir“, sagte Karl und zog etwas Glänzendes aus der Jackentasche. Ein Messer.