Zoogeschichten I – Teil 17

Erkenntnisse im Grünzeug

Brit und ich schauten uns erstaunt an.

„Könnten… wir nach oben gehen?“, fragte Tim.

„Dad, ich nehme Krümel etwas mit hinauf“, rief ich ins Wohnzimmer.

„Bringst ihn aber bald wieder!“, kam es postwendend von Dad zurück.

„Eltern“, sagte ich bloß und schüttelte den Kopf.

*-*-*

Wir saßen alle drei auf dem Boden und Krümel krabbelte zwischen uns herum. Gespannt sah ich, wie auch Brit, zu Tim, der Krümel kraulte.

„Also“, fing er an, „ mir fällt das jetzt nicht leicht, das zu erzählen… aber ich denke, ihr zwei seid die, die ich eigentlich meine Freunde nennen kann.“

Er schluckte kurz und atmete tief durch, anscheinend fiel es ihm wirklich schwer. Fast genauso wie bei mir, als ich Brit sagte, dass ich … Moment mal, er wird doch nicht…

„Also ihr wisst ja, ich arbeite jetzt seit einer Woche in der Gärtnerei Wohlpfad. Es macht viel Spass dort und ich habe auch schon Einiges gelernt. Alle sind sehr nett zu mir, haben mich ganz lieb aufgenommen.“

„Ja und?“, unterbrach ihn Brit.

„Na ja, da ist der eine Chef, Johann, dem ich unterstellt bin. Er kümmert sich wirklich ganz toll um mich, ist immer da, wenn ich ein Problem habe, oder etwas nicht so hinkriege, wie es sein soll.“

„Ist doch gut!“, warf ich ein.

Tim druckste herum, wusste wahrscheinlich nicht Recht, wie er weiter erzählen sollte.

„Ich habe erfahren…, dass Johann… schwul ist… und er ist der Freund vom anderen Chef, die Gärtnerei gehört den Beiden.“

„Hast du etwas gegen Schwule?“, fragte Brit und ich wusste genau, sie würde mich jetzt am liebsten anschauen, aber jeder schaute auf Krümel, der gerade an Brits Jeans knabberte.

„Nein… im Gegenteil.“

„Wie jetzt?“

Brit fragte das, was ich gerade dachte.

„Während der ganzen Arbeit… habe ich viel mit Johann geredet und dann kam auch immer Lukas vorbei, sie küssten sich kürz und dann wurde weitergearbeitet, niemand schien das zu stören.“

„Dann stört es dich?“, fragte Brit.

„Nicht so… ich meine… Scheiße ist das schwer…!“

„Bist du schwul Tim?“, fragte ich frei heraus und er schaute mich entsetzt an.

Ich wusste nicht, ob es gut war, ihm so eine Hilfestellung zu geben. Ich wäre froh gewesen, sie damals bei Brit gehabt zuhaben. Tims Kopf sank nach unten, ich glaubte, ein Wimmern zu hören.

Ich beugte mich nach vorne und hob Tims Kopf sanft an. Seine Augen waren feucht, erste Tränen rannen über seine Wangen.

„Tim, dass ist doch kein Grund, zu weinen. Du bist so wie du bist.“

Brit neben mir fing an, breit zu grinsen, was Tim sicherlich irritierte.

„Euch macht das nichts aus, dass ich lieber mit … Jungs zusammen bin, als mit Mädchen?“

„Mir bestimmt nicht und Dennis sowieso nicht“, sagte Brit und ich gab ihr einen Knuff in die Seite, weil sie mal wieder nicht ihr vorschnelles Mundwerk halten konnte.

„Wieso Dennis?“, fragte Tim verwundert.

Ich atmete tief durch und nahm Krümel auf den Arm.

„Moment, ich bring ihn kurz nach unten, will jemand etwas zu trinken?“, fragte ich.

Beide nickten. Krümel wurde wie immer von meinen Eltern umsorgt, langsam fragte ich mich, wer hier eine Lehre machte. Ich lief mit Getränken und Gläsern wieder nach oben, vor meiner Tür stoppte ich.

„Und wie hast du das gemerkt?“, fragte Brit.

„Durch Johann, er fragte mich, ob ich später denn nicht auch eine Freundin haben wollte. Ich habe nur >ich weiß nicht< geantwortet, dass ich ja nicht mal richtige Freunde hätte, bis auf euch beide. Er erklärte mir dann, wie wichtig eine Freundschaft wäre, zeigte mir ein Gewächshaus. „Was hat ein Gewächshaus mit einer Freundschaft zu tun?“ „Nichts mit dem Gewächshaus direkt, das war nur bildlich gemeint. Wie du vielleicht weißt, ziehen Wohlpfads ihre kompletten Pflanzen selber. Er ging also in eins der vielen Gewächshäuser, wo frische Zöglinge gezogen wurden.“ Ich überlegte, ob ich rein gehen sollte, die Flaschen wurden langsam lästig, aber ich lauschte dann doch lieber weiter. „Er nahm eine der kleinsten Pflanzen, gab sie mir in die Hand und meinte, Freundschaft wäre wie diese kleine Pflanze. Am Anfang kann sie schnell eingehen, wenn man sie nicht hegt und pflegt. So gingen wir von Tisch zu Tisch und die Pflanzen, die er mir zeigte, wurden immer größer und auch schöner. Und am Schluss sagte er dann, nur wenn man immer seine Freundschaften pflegt, dann kann so etwas Wunderschönes herauskommen, wie eben die Pflanze - beständig und langlebig.“ „Und was hat das jetzt mit mir und Dennis zu tun?“, fragte Brit. „Ich hab in der Vergangenheit unsere Freundschaft ganz schön schleifen lassen und das will ich ändern… und dann…“ „Was ist?“, hörte ich fragen. „Na ja… es stimmt schon, meine Freundschaft zu euch beiden ist mir sehr wichtig, aber bei Dennis… Brit… ich glaub, ich hab mich in Dennis verguckt!“ Bitte… was hat er? Vor Schreck segelte mir die Colaflasche aus der Hand, die mit lautem Gepolter auf dem Boden aufkam. Sofort wurde die Tür aufgezogen und Brit und Tim erschienen. „Sag mal… hast du gelauscht?“, fragte Brit. Wie viel Blut pumpt sich eigentlich in den Kopf, wenn man sich schämt. Tim bückte sich und hob die Petflasche auf. „Hast du das eben… gehört?“ Ich nickte, bekam aber keinen Ton heraus. „Oh Mann, ich hab es versäbelt oder?“, fragte Tim. „Wieso?“, fragte Brit und zog Tim wieder in mein Zimmer und ich folgte. „Ihr sagtet zwar, ihr habt keine Probleme mit Schwulen… aber… sorry Dennis, ich wollte dir nicht zu nahe treten… ich geh lieber.“ Brit boxte mir kräftig auf die Schulter. „Hallo, Erde an Dennis, könntest du vielleicht auch mal etwas sagen?“ „Bleib Tim… bitte…!“, stotterte ich. Tim hielt inne und drehte sich um. „Tut mir leid, wenn ich so … reagiere…, aber zweimal am Tag gesagt zu bekommen, dass man sich in mich verliebt hat… ist bisschen viel!“ „Noch jemand? Und das erzählst du mir jetzt erst? Wie heißt denn der Glückliche?“, fragte Brit. „DER Glückliche?“ Tim schaute verdutzt zwischen mir und Brit hin und her. „Ich sollte vielleicht erst mal Tim sagen… Tim, ich bin auch schwul!“ Da klappte vor mir ein Kiefer herunter und ging nicht mehr zu. „Du… schwul? Nein, das glaube ich nicht… du, der Mädchenschwarm schlecht hin…“ „… ist schwul“, beendete Brit Tims Satz. Ich nickte und musste grinsen. Mein Handy machte sich bemerkbar, eine SMS kam an. > Hi Dennis, hoffe dir geht es wieder gut, freu mich ganz toll auf morgen, Gruß dein Micha< An Michael hatte ich jetzt gar nicht gedacht. O je, jetzt waren zwei Kerle in mich verknallt, was sollte ich nur machen. In meinem Kopf war wieder das volle Chaos… Gedanken verloren starrte ich auf mein Handy. „Schlechte Nachricht?“, fragte Brit. Das hörte ich nur aus der Ferne. Was sollte ich jetzt nur tun, da saß ein absolut süßer Megaboy mir gegenüber, der mich wollte. Aber was machte ich dann mit Michael? Ich hatte es offen gelassen, ihm nicht gesagt, dass ich mich in ihn verliebt hatte. „Wird das jetzt zur Dauerverfassung bei dir?“, wurde Brit lauter. „Bitte was?“, fragte ich, zurück aus meinen Gedanken. „Dennis, was ist? Kannst du mir vielleicht mal sagen, was mit dir los ist, so kenne ich dich gar nicht!“ „Tut mir Leid… ich weiß es ja selbst nicht. Erst die Geschichte im Zoo und jetzt Tim… das ist für einen Tag etwas viel.“ „Ich wusste, ich hätte es nicht sagen sollen!“, sagte Tim und sprang wieder auf. „Tim… bitte…!“ „Ach, was soll ich noch hier, Dennis ist es doch scheiß egal, was ich gerade erzählt habe und…“ Ich war aufgesprungen und erstickte seine Worte mit einem Kuss. Mit einer Hand hielt ich seinen Nacken fest, mit der anderen zog ich ihn an mich heran. Tim schien mir irgendwie wegzukippen, doch ich hielt ihn fest im Arm. Mir fiel ein, dass ich Michael auch so ausbremsen wollte. Wurde das jetzt zur Angewohnheit von mir… zu meiner Masche, Jungs küssen, damit sie aufhörten zu reden? Ich trennte meine Lippen von Tims. „Wow, wie romantisch“, hauchte Brit. Tim schaute mich verstört an. „Sorry!“, meinte ich. „Aus euch Jungs wird man irgendwie nicht schlau, wisst ihr das? Ihr seid voll kompliziert!“, meinte Brit. Tim ließ sich fallen und landete auf meinem Bett. Ich sah, wie er zitterte und mich immer noch anstarrte. „Ich … ich wollte dir nur zeigen… dass du mir nicht … scheiß egal bist“, sagte ich leise. Ich ließ mich neben Brit auf dem Boden nieder und lehnte mich an sie. Meine Augen wurden feucht und ich begann zu erzählen. Unter Tränen erzählte ich von der ganzen Woche, was mir passiert war. Wie ich Michael kennen gelernt hatte, von den Feuern und den Tieren, auch das mit Karl hatte ich nicht ausgelassen. Irgendwann verstummte ich, war fertig mit den Erzählungen, einzig alleine meine Tränen rannen über meine Wangen. Ich war einfach nur fertig, meine Nerven machten nicht mehr mit. Tim rutschte vom Bett und setzte sich wieder neben mich, zaghaft legte er seinen Arm um mich und zog mich zu sich. Seine Hand spürte ich sanft auf meinen Haaren, wie er sachte darüber streichelte. „Und ich behellige dich mit meinen Problemen“, sagte Tim leise. „Ich bin doch dein Freund… für was bin ich denn sonst gut… als für dich da zu sein…“, wimmerte ich leise. „Michael liebt dich und du ihn, was gibt es noch groß zu entscheiden? Was hindert dich?“, fragte Tim. „Du!“, sagte ich heiser. „Ich?“ Ich setzte mich auf und sah ihm in die Augen. „Tim… ich weiß jetzt schon, seit ich sechszehn war, dass ich schwul bin. Seit zwei Jahren kenne ich dich, gerade kurz nachdem ich festgestellt hab… dass ich auf Jungs stehe, kommst du in mein Leben.“ Tim schluckte und Brit war völlig ruhig neben mir, als wollte sie unsichtbar sein. „Dann lernte ich dich näher kennen, wir verstanden uns auf Anhieb und ich…ich … ich hab mich in dich verliebt.“ „Von Anfang an?“, warf Brit nun doch ein, „erzählt hast mir das aber nicht.“ „Ich wollte es niemand erzählen“, sagte ich zu ihr, „Tim war ein Traum für mich… ein unerreichbarer.“ „Und jetzt?“, fragte Tim fast unhörbar. „Jetzt habe ich Michael kennen gelernt, mich in ihn verguckt… ja vielleicht auch in ihn verliebt… dann kommst du, gestehst mir, dass du schwul bist, dass du mich lieb hast… mein Kopf dreht grad völlig hohl…“ „Hab ich denn überhaupt eine Chance?“, fragte Tim und senkte den Kopf.

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