Zoogeschichten I – Teil 26

Der Wahnsinn

Was ich nicht sah, wie Tim hinter mir aus der Deckung hervorsprang und nach Gisberts Faust griff. Das ging alles so schnell, dass ich gar nicht richtig folgen konnte. Nun lag Gisbert auf dem Boden und jaulte.

„Irgendwann musste sich ja mein Judotraining bezahlt machen“, hörte ich Tim sagen.

„Du machst Judo?“, fragte ich erstaunt.

„Ja, seit ich wusste, dass wir mit dem Schwimmen aufhören.“

Die Tür ging auf und der Chef Jürgen Kolping kam herein.

„Ah Bruderherz, ihr kommt gerade richtig um diesen… Herrn mitzunehmen.“

Gisbert richtete sich benommen auf.

„Ah… die Polizei, sie können gleich diese zwei … Subjekte mitnehmen… wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und … und wegen unnatürlichen sexuellen Handlungen“, sagte Gisbert in ruhigem Ton und zeigte auf Michael und mich.

Ist der noch ganz bei Trost? Spinnt der? Michael beugte sich zu ihm hinunter.

„Der Paragraf 175 ist abgeschafft worden!“

„Ein schwerer Fehler, das müssen Sie doch zugeben“, meinte Gisbert.

Was war plötzlich mit Gisbert los, er redete mit Michael, als würde er ihn nicht kennen.

„Warum sitze ich eigentlich auf dem Boden, kann mir mal bitte jemand aufhelfen?“, fragte Gisbert.

Alle schauten sich verwundert an. Die Beamten kamen und halfen Gisbert auf.

„Wir werden den Herren erst mal ins Krankenhaus bringen“, meinte der eine Beamte.

„Ja, in die geschlossene Abteilung!“, sagte Volker, der einen grinsenden Blick von seinem Bruder empfang.

Anscheinend hatte der Gute den Sturz auf den Kopf nicht so gut vertragen. Ich schaute zu Tim.

„He, ich habe mich nur verteidigt… na ja, dich habe ich verteidigt.“

„Habe ich etwas gesagt?“, fragte ich.

„Nein, aber geguckt.“

„Wie denn?“

„Als wäre ich Schuld daran.“

„Du bist nicht schuld daran, hast uns höchstens von einem Übel erlöst.“

Tim lächelte mich schüchtern an. Michael trat zu uns heran und Tim wich etwas zurück.

„Hast du etwa Angst vor mir?“, fragte Michael verwundert.

„Ich … würde es verstehen…, wenn du sauer auf mich wärst.“

„Sauer würde ich nicht sagen… aber mir ist das schon sehr Nahe gegangen.“

„Deswegen bin ich heute auch gekommen… wollte… wollte mich bei dir entschuldigen.“

„Angenommen!“

Michael trat näher auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. Hallo ich bin auch noch hier! Gespielt empört, schaute ich die Beiden an.

„Vergessen wir einfach, was gewesen ist, okay?“, fragte Michael.

„Danke… ja.“

Die Beamten hatten Gisbert mitgenommen.

„Den werden wir nicht so schnell wieder sehen“, meinte Volker.

„Da hast du Recht, Trebnitz füllt gerade die Kündigung aus“, sagte Herr Kolping.

Apropos Wiedersehen, wo war Krümel?

„Hat von euch jemand Krümel gesehen?“, fragte ich mitten in die Runde.

„Wieso?“, fragte Fritz.

„Tim hier hat gesehen, wie Gisbert Krümel hier hereingetragen hat.“

„Hier rein…, ich habe Krümel nicht gesehen“, meinte Fritz und Volker nickte zustimmend.

„Ich mach mir jetzt wirklich langsam Sorgen.“

„Du bist Dennis, der unseren Malaienbärennachwuchs beaufsichtigt?“, fragte der Chef.

„Na ja, bis vorhin ja…“, meinte ich und ließ den Kopf sinken.

„Langsam junger Mann, den finden wir schon! Los Leute jeder sucht nach… wie heißt der Bär?“

„Krümel“, kam es im Chor zurück und alle lachten.

Auf einmal hörte ich ein vertrautes Brummen.

„Seid doch alle mal leise, bitte!“, rief ich und augenblicklich waren alle still.

„Krümel?“, rief ich.

Ein leises Brummen war zu hören. Ich folgte diesem Ton, konnte aber keinen Krümel entdecken.

Vor uns stand ein Tisch, daneben mehrere Fässer und ein Haufen alter Stoffsäcke.

„Er muss doch hier irgendwo sein“, meinte Volker.

„Jetzt sei doch mal still!“, fuhr ich ihn an.

Volker blieb abrupt stehen und sagte keinen Ton mehr. Wieder war ein leises Brummen und Quicken zu hören. Ich musste dicht davorstehen, aber von Krümel keine Spur. Plötzlich wackelte eine der Plastiktonnen.

Ich griff nach dem Deckel und schaute hinein. In Tonne saß ein verängstigter Krümel und schaute mich hilflos an.

„Mann Krümel, wie kommst du denn hier rein, hat dich der böse Onkel einfach hier hinein gesteckt?“

Ich bückte mich und zog ihn vorsichtig heraus. Er zitterte am ganzen Körper.

„He du kleiner Mann, jetzt ist alles wieder gut!“, meinte ich und nahm ihn in den Arm.

„Das ist also der sagenumwogende Krümel“, sagte Herr Kolping.

„Ja, das ist unser Prachtbär“, meinte Sabine stolz.

„Darf ich ihn mal nehmen?“

Verwundert schaute ich Herrn Kolping an.

„Es ist ihr Bär… warum sollten sie nicht?“ meinte ich.

„Also um eins klar zu stellen, Dennis. Mir mögen die Tiere laut Unterlagen alle gehören, aber ich höre immer noch auf meine Pfleger, wenn es um die Tiere geht.“

Er hatte so ein liebes Lächeln und wuschelte mir durch die Haare. Auf seine Pfleger hören, ich war doch erst eine Woche hier und zudem ein Azubi. Ich reichte ihm, unter Protest von Krümel, den Kleinen.

„Schon ganz schön schwer, dir scheint es bei uns ja gut zu gehen“, sagte Herr Kolping.

Er reichte ihn mir zurück.

„Hast du alles, was du brauchst für den Bären?“, fragte er.

„Ja, danke“, antwortete ich.

„Gut Leute, wenn ihr schon mal da seid, habe ich auch eine gute Neuigkeit für euch.“

Alle schauten gespannt zu ihm.

„Wie ihr wisst, träume ich schon lange von einem Eisbärengehege… und na ja, was soll ich sagen, die Stadt hat endlich Hilfe zugesagt, sie unterstützt uns mit einem sehr hohen Betrag.“

„Und wo kommt das dann hin?“, fragte ich neugierig.

„Ach so, du kannst ja noch nicht wissen, was mir vorschwebt.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Also nach meinem Wunsch hat das Architektenbüro Walther schon Pläne gemacht, genauso wie ich mir das vorstelle und auch noch im Rahmen bleibt, was die Kosten betrifft. Wir nutzen einfach schon vorhandenes und verbinden es mit etwas Neuem.“

„Du willst also wirklich die beiden Bärenhäuser miteinander verbinden?“, fragte Volker.

„Ja. So, wie du es vorgeschlagen hattest… alle Bären unter einem Dach. Und ihr könnt dann alle gemeinsam hier arbeiten. Es ist auch eine eigene Küche geplant, also kein weites Schleppen der Grundnahrungsmittel mehr.“

„Und wo kommt dann das Gehege hin?“, fragte Fritz.

„Vor das Gebäude. Es wird ein Querbau zwischen beide Häuser gezogen. Dadurch entsteht eine Art U-form und da hinein kommen dann die Eisbären.“

„Und wann ist Baubeginn?“, fragte Sabine.

„Noch diesen Herbst, wenn es klappt und wir eine gute Baufirma bekommen.“

Der Mann war mit Leib und Seele Zoodirektor. Man spürte förmlich, wie sehr er seine Tiere liebte.

„Wenn ihr wollt, kommt doch nachher kurz zu mir. Das Architektenbüro hat ein kleines Model anfertigen lassen, das ich schon habe. Da könnt ihr euch das schon mal angucken und eventuell auch noch Verbesserungsvorschläge machen. Ihr kennt euch schließlich besser mit den Bären aus.“

„Aber in den alten Häusern ändert sich nichts?“, fragte Michael.

„Nein, die sind ja erst renoviert worden. Einzig die Wände dort drüben werden verändert, um einen Durchgang zu schaffen.“

„Stelle ich mir toll vor“, rutschte es mir raus.

„Das ist es auch, Dennis“, meinte Kolping und klopfte mir auf den Rücken, was mir schmerzlich meine Schürfwunden in Erinnerung brachte.

Er schien dies gemerkt zu haben.

„Das war aber jetzt nicht zu fest… oder?“

„Nein… sicher nicht… nur….ich habe mich auf dem Rücken aufgeschürft.“

„Hier im Zoo?“

Ich wurde rot.

„Nein, zuhause“, log ich. Brauchte ja nicht jeder wissen, aber Volkers und Fritz’ Grinsen verriet mir, dass sie sich gerade köstlich amüsierten.

„Okay, also Leute, wünsche frohes Schaffen, ich muss zurück ins Büro. Volker, kannst du nachher mal bei mir vorbeikommen, wir haben wieder Ärger mit Schwesterchens Jüngstem.“

„Was, schon wieder? Okay, ich mach hier nur mit Fritz alles fertig, dann schau ich bei dir rein.“

„Gut, also dann tschüss, bis später vielleicht.“

Und schon war Kolping verschwunden.

„Netter Chef“, sagte ich.

„Ja, mein Bruder eben, wie er leibt und lebt.“

„Ich wusste nicht, dass du der Bruder vom Chef bist“, sprach ich weiter.

„Das wussten viele zu Anfang nicht.“

„Aber warum?“

„Ich bin kein Büromensch. Ich will lieber bei den Tieren sein, so haben wir entschieden, dass mein Bruder den Zoo führt und ich mich um die Tiere kümmere.“

Plötzlich wurde wieder die Tür aufgerissen und Kolping kam zurück.

„Leute – ein Problem… Gisbert hat nur simuliert und hat sich durch einen weiteren Trick der Beamten entledigen können. Er ist hier irgendwo auf dem Gelände.“

„Ich wusste gleich, dass da was faul ist“, meinte Volker.

„So, Änderung im Ablauf. Michael, du fährst Dennis nach Hause, ich möchte euch beide nicht mehr auf dem Gelände haben, bis Gisbert hinter Gittern sitzt.“

„Ich muss aber dann noch meine Sachen holen“, meinte ich nervös.

„Quatsch, die bringe ich dir nachher zu Hause vorbei“, meinte Sabine und schob mich Richtung Ausgang.

Michael nickte und wir verließen das Gebäude.

„Keine Angst, Schatz. Es wird uns nichts passieren!“

Die Nerven hätte ich gerne, ich zitterte am ganzen Körper. Wir verließen den Zoobereich und liefen schnurstracks zu Michaels Wagen auf dem Parkplatz. Ich wollte gerade einsteigen, als ich ein Geräusch hinter mir hörte.

„Wohin so schnell die Herren?“

Gisbert. Er griff mich von hinten an und legte seinen Arm um meinen Hals, zog mich an sich. Auf der anderen Seite blitzte etwas auf… ein Messer. Schon wieder ein Messer… waren hier nur Irre am Werk… plötzlich die Klinge an meinem Hals.

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