Zoogeschichten I – Teil 33

Ein Tag wie jeder andere

Robert

Ich hörte das Surren der Tür und zog sie auf. Mit der rechten Hand suchte ich den Schalter, um das Hallenlicht anzumachen. Ein Klick und alle Neonröhren an der Decke flammten auf.

„Morgen Jungs und Mädels“, rief ich.

Mit einem Quietschen und Pfeifen wurde ich begrüßt. Ich ging an den Beckenrand und es dauerte gar nicht lange, bis Paula ihren Kopf aus dem Wasser streckte. Paula war der älteste Delfin in der Gruppe und kannte mich somit am längsten.

„Na altes Mädchen, hast schon auf mich gewartet?“

„Ein Röchelton war zu hören und sie klatschte mit der einen Flosse aufs Wasser.

„Kriegst ja gleich etwas zu essen und dann werden wir eine Runde schwimmen.“

Ich hob die Hand und Paula machte einen Satz nach hinten und tauchte wieder ins Wasser ein. Das Surren des Türöffners ließ mich nach hinten schauen, Heike war eingetroffen.

„Morgen Robert. Na, wie war dein Wochenende?“

„Wie immer, langweilig und öde. Weißt doch, mein eigentliches Zuhause ist hier im Delfinarium.“

„Typisch Robert. Und, alles klar mit den Rackern?“

„Mich hat bisher nur Paula begrüßt.“

„Gut, dann werden wir mal mit dem Frühstück beginnen.“

Die Halle war in drei Blöcke eingeteilt. Der hinter Block war für die Besucher, hier war auch die Tribüne für die täglichen Vorführungen. Der mittlere Block war alleine den Becken vorbehalten.

Das Große in der Mitte, das Rundbecken auf der rechten Seite und schließlich noch der Schwimmkanal, der zum Außenbecken führte. Der dritte und letzte Block war für uns, das Personal, bestimmt. Dort war unsere Küche mit den Kühlhäusern, aber auch kleine Umkleideräume, in denen wir die Neoprens an- und auszogen. Außerdem befand sich dort noch ein kleineres Becken und dorthin folgte ich Heike jetzt.

„Ist die neue Fischlieferung schon eingetroffen?“, fragte ich.

„Ich weiß es nicht, aber sie soll heute Morgen kommen. Apropos Morgen, ich habe eine tolle Neuigkeit für dich. Wir bekommen Hilfe und das noch heute.“

„Wie – Hilfe?“

„Du jammerst doch immer, wir könnten noch jemanden als Hilfe hier vertragen und nun hat der Chef für uns noch jemand eingestellt. Besser gesagt, er beginnt seine Lehre bei uns.“

„Oh Gott, wo möglich noch so ein Grünschnabel, der alles besser weiß.“

„Nein, der kam mit Empfehlung von Michael.“

„Bären-Dennis sein Michael?“

„Ja, genau der.“

„Dann lass ich mich mal überraschen und wann kommt der?“

„So gegen neun hat Trebnitz mir gesagt.“

„Dann haben wir ja noch fast zwei Stunden. Zeit genug, um das Frühstück zu machen und die Delfs zu füttern.“

„Dann mal ran an die Arbeit.“

Während Heike die Fische aus dem Kühlhaus holte, ging ich in den hinteren Raum, wo sich mein Neoprenanzug befand. Ich schlüpfte aus meinen Klamotten und verstaute sie im Schrank. Danach stieg ich in den Anzug, zog ihn über meine Hüfte und schloss den Reisverschluss auf dem Rücken.

Ich zwängte mich in die engen Schuhe und schon war ich fertig mit dem allmorgendlichen Ritual. Zurück bei Heike, half ich ihr, die Fische in die Eimer zu verteilen, für jeden Delfin einen Eimer.

Außer Paula hatten wir noch drei weitere Tümmler. Da gab es noch Theo, unser Männchen, Hedi, unsere Jüngste und dann noch Dana, die im Augenblick trächtig war. Sie verzehrte besonders viel Fisch, deshalb füllte Heike auch extra Portionen in ihren Eimer.

Ich ging ins Tiefkühllager, um den nächsten Block Heringe heraus zu holen. Jetzt ins Wasser gelegt, war er bis zum späten Mittag aufgetaut. Heike hatte schon in das große Becken Wasser gelassen, so dass ich diesen gefrorenen Block nur noch ins Wasser gleiten lassen musste.

Heike war mit ihren zwei Eimern schon rausgegangen und ich folgte ihr nun. Ein Pfiff hallte durch die Halle und schon gab es Leben im Wasser.

„Morgen Mädels, morgen Theo… na Hunger?“

Theo war wieder mal am schnellsten am Beckenrand. Ohne Mühe glitt er aus dem Wasser und schnappte sich den Hering, den Heike hoch in die Luft hielt. Ich dagegen stieg über die Treppe ins Wasser auf den Vorsprung, auf dem ich Hüfthoch im Wasser stand.

Paula kam gleich zu mir geschwommen stupste mich mit ihren spitzen Maul in die Seite.

„He Kleine, lass das“, sagte ich und kraulte ihr über die Stirn.

Ich lief zum Beckenrand und zog drei Fische an den Flossen heraus. Paula blieb die ganze Zeit in meiner Nähe, weil sie wusste, es gab jetzt Futter. Ich hob die andere Hand, gab einen Wink und Paula drehte noch einmal eine Runde bevor sie mich wieder anschwamm.

„So hier, altes Mädchen, wartest ja schon die ganze Zeit drauf.“

Ich hielt ihr den Fisch entgegen und sie schnappte danach. Wieder drehte sie eine Runde und sprang diesmal sogar kurz aus dem Wasser. Dana kam langsam am Beckenrand entlang geschwommen.

„Unsere werdende Mutter wird immer ruhiger, das kann nicht mehr all zu lange dauern mit der Geburt“, rief mir Heike zu, die gerade Hedi einen Fisch zuwarf.

„Sollten wir sie dann nicht bald von den Anderen trennen?“

„Reinhard meint, wir sollten es hier probieren – mit den anderen zusammen.“

„Und was ist mit Theo? Nicht dass der das Kleine anfällt.“

„Da müssen wir eben die Augen aufhalten, notfalls sogar Theo aus der Schule nehmen.“

„Du weißt, das gibt wieder Ärger. Das letzte Mal, als wir ihn von den Anderen…“, Paula stupste mich wieder an, „ja du kriegst ja was…, getrennt haben, hat er sich ganz übel benommen.“

„Wir probieren es einfach, okay?“

Ich nickte und gab Paula endlich ihren Fisch, den sie genüsslich runterschlang. Dana war jetzt dicht neben sie geschwommen und erhielt jetzt nach und nach auch ihre Ration. Theo machte natürlich wie jeden Morgen den Kasper, nach jeder Runde die er schwamm, sprang er aus dem Wasser und machte eine Rolle rückwärts.

Man konnte fast glauben, er wollte damit Heike nass spritzen, die ja in normalen Klamotten am Beckenrand stand, was ihm natürlich auch immer wieder gelang.

„Theo, hör auf, sonst kriegst du keinen Fisch mehr“, hörte ich Heike rufen, während sich Paula mit dem Rücken nach unten von mir kraulen ließ.

„So, der Eimer ist leer, gibt nix mehr“, sagte Heike und stellte die Eimer weg.

Das Surren der Tür ließ uns beide aufschauen. Michael betrat die Halle und hatte einen jungen Mann im Schlepptau.

„Morgen“, brüllte er durch die Halle.

„Morgen“, riefen Heike und ich zurück.

„Ich bring euch den Sebastian, der ab heute bei euch seine Lehre anfängt“, meinte Michael.

„Ja, Trebnitz hat uns schon informiert“, sagte Heike und ging zu den beiden.

Theo, der Spezialist, sprang fast zeitgleich neben den Drei aus dem Wasser und ließ sich mit voller Breitseite ins Wasser plumpsen. Der Effekt – die drei wurden von einer Salve Wasser nass.

„Theo aus, lass dass“, rief Heike.

„Tut mir leid, Sebastian… hallo.“

„Hallo“, sagte Sebastian und streckte die Hand aus, die Heike dann auch schüttelte.

„Ich bin Heike und das im Wasser ist Robert. Christians und Doris wirst du noch kennen lernen, die haben aber heute frei.“

Sebastian nickte, wobei seine blonden Locken wild durcheinander fielen. Ich stieg nun auch aus dem Wasser, um ihn ebenso zu begrüßen.

„Hallo Sebastian. Na, bereit mit den großen Fischen zu spielen?“, fragte ich.

„Fischen? Ich dachte, Delfine sind Säugetiere.“

„Sind sie auch.“

Oh, doch ein Klugscheißer?

„Du hast ungefähr die Größe wie ich. Wenn du willst, kannst du auch einen Tauchanzug anziehen und mit mir ins Wasser gehen.“

Er zögerte etwas, es schien ihm unbehaglich.

„Das musst du natürlich nicht“, sagte Heike, „aber so lernen dich die Tiere am ehesten kennen.“

„Okay und wo muss ich da hin… ich meine …..mich umziehen?“, fragte Sebastian.

„Komm, ich zeige es dir“, sagte ich und wollte schon loslaufen, als wieder der Summer der Haupttür zu hören war.

Dennis kam herein.

„Hier bist du also, ich suche dich schon überall“, rief er uns entgegen.

„Guten Morgen erst Mal!“, sagte Heike neben mir.

„Morgen zusammen… eh hallo Sebastian, du bist ja schon da.“

„Ja, bin etwas früher gekommen… mein erster Tag… ich war aufgeregt.“

Sebastian und Dennis umarmten sich kurz zur Begrüßung.

„Und warum hast du mich gesucht?“, fragte Michael.

„Jürgen will uns sehen, wir sollen den ersten Bären abholen.“

„Für eure Aufzuchtsstadion?“, fragte Heike.

„Ja“, antwortete Dennis stolz.

„Gut, Sebastian, ich lass dich dann mal bei Heike und Robert, vielleicht sehen wir uns ja später noch.“

Sebastian nickte und Dennis und Michael verschwanden.

„Dann zeige ich dir den Umkleideraum… Heike, wir sind gleich wieder da.“

So trottete Sebastian einfach hinter mir her, bis in den kleinen Raum hinter der Küche. Ich öffnete den Schrank und zog einen weiteren Neoprenanzug heraus. Ich hielt ihn an Sebastian dran.

„Der müsste dir passen.“

Er nickte und begann, sich auszuziehen. Ich musste schlucken, denn bisher war ja nur immer Christian mit mir hier drinnen und der war schon weit über vierzig und keineswegs interessant für mich.

Aber nun stand da Sebastian, der ein Kleidungsstück nach dem anderen ablegte, vielleicht zwei oder drei Jahre jünger war als ich und dann noch verdammt gut aussah.

„Du… du kannst deine Klamotten da in den Schrank hängen und dann wieder nach draußen kommen“, meinte ich und wollte schon gehen.

„Öhm… kannst du mir sagen oder zeigen… wie man das Ding anzieht?“, fragte Sebastian.

„Äh… ja doch.“

Mist, warum ich. Und da fiel mir das nächste Übel ein.

„Eine … Badehose hast du nicht zufällig dabei… oder?“, fragte ich leise.

„Nein… das hat mir niemand gesagt, dass ich die brauche.“

„Schon gut, du kannst eine von meinen bekommen.“

„Danke!“

„Nichts zu danken, man hilft sich ja schließlich unter Kollegen.“

„Morgen bring ich dann meine Eigene mit“, sagte Sebastian und stand jetzt nur noch in einer Boxershorts vor mir.

Ich ging an meinen Schrank, zog aus dem Fach eine Badehose und reichte sie Sebastian. Er nahm sie und legte sie auf den Tisch neben sich. Dann zog er die Boxer hinunter und ich konnte nicht anders und starrte ihn an.

Mir wurde ganz komisch, als Sebastian so wie ihn Gott schuf vor mir stand und die Badehose nahm. Was für ein Traum … was… halt Stopp, ich wurde sauer über mich, jetzt hatte ich doch meine erste Grundregel gebrochen, Privates hatte nichts im Job zu suchen und, das hier war verdammt privat.

„Ist irgendetwas?“, fragte Sebastian, der meine Blicke auf ihn sah.

„Oh sorry… nein…“

Volltrottel die Erste! Ich nahm den Neoprenanzug und hielt ihn Sebastian hin, er aber schaute mich nur mit seinen wunderschönen blauen Augen an.

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