Frachtgut und Schwimmübungen
Robert
„Du brauchst echt keine Angst zu haben, Theo macht dir nichts“, meinte ich und nahm seine Hand in die Meine.
Hedi und Paula waren mittlerweile auch im Becken eingetroffen und genossen die Spätsommersonne, die das Becken beschien. Sanft legte ich die Hand von Sebastian auf Theos Schnauze.
Deutlich spürte ich die Angst von Sebastian, er zitterte am ganzen Körper.
„Und jetzt streichelst du ganz langsam darüber.“
Das machte dann Sebastian auch und er wurde langsam ruhiger. Ich fand es toll, weil diese Tiere auch auf mich immer eine unwahrscheinliche Ruhe ausübten. Wenn es mir mal nicht so gut ging, hier konnte ich mein Seelenheil wieder richten.
„Das ist ja ganz glatt.“
„Was dachtest du denn?“, fragte ich.
„Na… ich habe an Fisch gedacht…“
„Vorhin hast selber noch gesagt Delfine sind Säugetiere und keine Fische und zudem stößt ein Delfin alle zwei Stunden seine äußersten Hautzellen ab, damit die Gleitfähigkeit im Wasser hoch bleibt.“
„Alle zwei Stunden?“
„Ja.“
Ich ging zum Beckenrand und holte weiteren Fisch. Nach einem Pfiff kamen auch die zwei Damen zu uns.
„Meinst du, ich kann mit Theo mal schwimmen…, ich meine ob er mich zieht?“
„Klar macht er das.“
„Und wie stelle ich das an?“
„Erst mal gehst du neben ihm ins Wasser.“
Vorsichtig ließ sich Sebastian neben Theo ins Wasser gleiten, während ich Paula mit Fisch fütterte.
„Streichle ihn ruhig dabei“, meinte ich, „und dann greifst du ihm an die Finne.“
„An die was?“
„An die Finne, die Rückenflosse.“
Dennis
„Michael bitte, hör auf…“, brüllte ich vor Schreck.
„Gut, dann weißt du ja, dass es verboten ist, den Fahrer während des Fahrens zu berühren.“
„Nicht mal einen Kuss?“
„Das wäre verhandlungsfähig“, meinte Michael mit einem Lächeln.
Ich atmete tief durch, denn ich dachte wirklich, der Wagen würde umkippen.
„Wie alt ist der Bär eigentlich, den wir holen?“
„Sieben Monate, also schon etwas größer als Krümel.“
„Männchen oder Weibchen?“
„Auch ein Männchen.“
„Dann bekommt ja Krümel endlich einen Spielkameraden.“
„Und meine Eltern verlieren ihren Pflegesprössling“, meinte ich grinsend.
„Sie könnten doch die Patenschaft für Krümel übernehmen, da können sie ihn jederzeit besuchen.“
„Das geht?“
„Klar, einige unserer Tiere haben Paten.“
„Das wäre verhandlungsfähig!“
Robert
Ich schaute Sebastian zu, wie er sich von Theo durchs Wasser ziehen ließ.
„Na, geht es dir wieder besser?“
Heike stand neben mir. Ich nickte.
„Hör mal Robert… wir kennen uns schon ziemlich lange und… ich kenne dich ganz genau. Was ich damit sagen will, wenn du Probleme hast, du kannst jederzeit zu mir kommen… ich weiß, du bist ein Eigenbrödler. Versuchst, alles alleine zu schaffen, aber manche Dinge lassen sich zu zweit besser tragen… ertragen.“
Ich blickte Heike an und spürte, wie meine Augen feucht wurden.
„Ist es… so offensichtlich?“, fragte ich leise.
„Nein Robert… keine Sorge, nur wenn man dich näher kennt und das scheint ja auch nur ein kleiner Kreis zu sein, oder?“
Ich nickte und senkte den Blick. Heike kniete sich an den Beckenrand.
„Robert, deswegen bricht doch nicht die Welt zusammen, nur weil du denkst, du bist anders als andere. Schau dir Micha und Dennis an, sie werden auch von jedem Einzelnen akzeptiert.“
„Akzeptieren… ich kann es ja nicht mal selbst akzeptieren.“
„Das musst du aber, zu dem stehen, was du bist – wie du bist.“
„Ich kann das nicht…“
„Leute…das ist super!“, hörte ich Sebastian rufen.
„Jetzt kommst du mir vor wie ein kleiner Junge, der trotzig sagt, ich kann das nicht“, sagte Heike und äffte mich etwas nach.
„Und wie soll ich das anstellen?“, sagte ich hob meinen Blick an, um Heike ins Gesicht zu sehen.“
„Einfach ehrlich zu dir sein, dich nicht mehr selbst anlügen.“
Mich stupste etwas von hinten an. Ich drehte meinen Kopf und erkannte Paula, die mich mit ihrer Schnauze immer noch anschob. Kraulend streichelte ich ihr über den Kopf.
„Siehst du, für Paula bist du niemand anders als Robert…, für mich ebenso nicht, das ist ein kleiner Anfang … oder?“, hörte ich Heike sagen.
Ich nickte, gab Paula einen Fisch und sie schwamm wieder weiter. Meinen Kopf drehend sah ich wieder zu Heike.
„Übrigens weiß ich das schon sehr lange mit dir“, meinte Heike.
„Und warum hast du nie was gesagt?“, fragte ich.
„Weil ich dir einfach die Zeit geben wollte, die du brauchst. Dass es jetzt so gekommen ist, dass erst ein süßer blonder Bengel dich aus der Bahn wirft… vielleicht ist es gut so…, vielleicht brauchtest du diesen Stoss.“
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.
„Und zudem, Robert, du bist zweiundzwanzig und auch nicht von schlechten Eltern, dir stehen noch alle Türen offen.“
Jetzt musste ich grinsen, Heike verstand es immer, mich aufzumuntern.
„Was ist denn mit euch beiden los?“, fragte Sebastian, der gerade von Theo herangezogen wurde.
„Ach nichts, wir hatten nur etwas zu besprechen“, meinte Heike und stand wieder auf.
„Scheint aber nichts Erfreuliches gewesen zu sein, so wie Robert guckt.“
Mann, kann der direkt sein, aber ich wusste keine Erklärung darauf.
„Wer sagt denn, dass hier nur geschäftliche Sachen besprochen werden?“ meinte Heike und warf Dana einen Fisch zu.
Die ersten Besucher standen am Gatter. Ich musste mich jetzt zusammenreißen. Lächeln und freundlich sein als Mitarbeiter des Zoos. Ich holte tief Luft und atmete langsam aus.
„Zudem bekommst du gleich noch viel mehr Arbeit“, begann Heike zu erzählen, „wir bekommen nämlich Besuch.“
„Wen denn?“, fragte ich.
„Schon vergessen? Doktor Gärleich kommt mit ihren Kindern hier her.“
„Die behinderten Kinder?“
„Genau die“, antwortete Heike.
„Sorry, das hatte ich ganz vergessen.“
„Und was machen wir mit denen?“, fragte Sebastian.
„An die Delfine heranbringen, sonst nichts. Ihnen die Tiere zeigen, sie mit ihnen vertraut machen.“
„Sonst nichts?“, fragte Sebastian.
Heike und ich fingen an, zu lachen.
„Stell dir das mal nicht so einfach vor, dass sind autistische Kinder!“, erklärte ich Sebastian.
„Ich habe schon oft davon gehört, aber so richtig damit befasst habe ich mich nie, muss ich zugeben.“
„Wenn du nicht gerade Arzt werden willst, ist das auch nicht nötig. Viel weiß ich ja auch nicht darüber und ich verhalt mich immer so, als wären es normale Kinder. Nur, dass sie nicht mit dir reden, oder normale Antworten von ihnen kommen.“
„Und was hat das alles mit den Delfinen zu tun?“, fragte Sebastian.
„Delfine haben anscheinend die Gabe, diese Kinder aus ihrer Welt zu reißen und etwas näher an unsere zu kommen“, erklärte Heike, wurde aber von einem Kinderlaut unterbrochen.
Dennis
Ich musste eingeschlafen sein, denn ein sanftes Rütteln an meiner Schulter weckte mich.
„Kleiner, wir sind da“, hörte ich Michael sagen und ich öffnete die Augen.
Draußen regnete es. Ich sah etwas verschwommen die Aufschrift des Zoos über dem Tor. Müde streckte ich mich und rieb mir die Augen.
„Weißt du, wie süß du gerade aussiehst?“, kam es von Michael.
„Frisch aufgewacht und schlecht geschminkt, sagte ich trocken.
Michael fing laut an zu lachen.
„Komm, lass uns reingehen, die warten schon sicher auf uns.“
So stieg ich mit Michael aus und zog mir meine Jacke über. Hier war es deutlich kälter als bei uns. Wie Michael vermutete, erwartete man uns schon und wir wurden freundlich begrüßt.
„Sie sind sicher Dennis!“, meinte der Mann, der sich als Herr Vanberghet vorstellte und gab Michael die Hand.
„Nein Ich bin Michael, Dennis ist mein Kollege hier.“
Vanberghet musterte mich kritisch von oben bis unten.
„Du willst Bären aufziehen?… Du bist doch …viel zu jung!“
Bitte, was war das jetzt?
„Ich muss mit dem Chef reden, das hat mir keiner gesagt…, dass hier ein Kind kommt“, meinte Vanberghet und ließ uns einfach stehen.
„Was war das jetzt?“, fragte ich.
„Das weiß ich auch nicht, aber ich glaube, ich sollte Jürgen anrufen.“
Robert
Frau Gärleich war eingetroffen und hatte drei Kinder bei sich.
„Habt ihr nicht von Kindern gesprochen?“, meinte Sebastian zu mir und deutete auf den jungen Mann in meinem Alter, direkt hinter Frau Gärleich.
Ich zuckte mit der Schulter.
„Hallo Heike, hier sind wir wieder“, hörte ich Frau Gärleich sagen.
„Hallo Frau Gärleich, wir freuen uns, dass sie es wieder einrichten konnten, uns zu besuchen“, erwiderte Heike.
„Tut mir leid, dass wir uns etwas verspätet haben, aber ich konnte niemand für Adrian finden.“
„Adrian?“, fragte Heike.
„Ja Adrian. Das ist mein Sohn, der hinter mir steht.
Sie ging etwas zur Seite, zog das kleine Rudel Kinder mit sich und gab somit den Blick auf diesen Adrian frei. Dieser starrte nur vor sich hin, schien auch komplett weggetreten.
„Entschuldigen sie, Frau Gärleich. Ich wusste nicht, das sie einen autistischen Sohn haben“, meinte Heike.
„Nein Heike, mein Sohn ist nicht autistisch… nur sagen wir… etwas seiner Welt entrückt.“
Das sollte jetzt jemand verstehen, das war doch das Gleiche?!
„So, jetzt kommt mal her“, sagte Sebastian einfach, um die Situation zu entspannen.
Er nahm einen Jungen an der Hand und führte ihn an den Beckenrand.
„Sie haben einen neuen Mitarbeiter?“, fragte Frau Gärleich.
„Unser Azubi“, meinte ich und nahm die beiden anderen Kinder an die Hand.
Sebastian war schon ins Wasser gegangen, trotzdem den Kleinen im Auge, dass dieser nicht ins Wasser fiel. Theo kam aus Neugier gleich angeschwommen. Ich war ebenso ins Wasser geglitten und meine zwei Kinder setzten sich von alleine an den Beckenrand.
„Ich weiß, das hört sich komisch an, aber seit dem Feuer, wo Adrian seinen besten Freund verloren hat, vegetiert er in diesem Zustand vor sich hin“, erzählte Frau Gärleich weiter.
„Und es hat sich nichts seitdem verändert?“, fragte Heike.
„Das Einzige, was er wieder selbstständig macht, ist alleine Essen. Aber sonst rührt er sich den ganzen Tag nicht. Meine Kollegen haben gemeint, er hat sich in dieses Trauma gestellt um alles von sich abprallen zu lassen, den Unfall nicht verarbeiten zu müssen.“
Auch wenn Sebastian und ich mich jetzt mit den Kindern beschäftigten, so hatten wir beide doch eifrig zugehört, das merkte ich daran, dass Sebastian sich zu Wort meldete.
„Wäre es dann nicht gut, Adrian auch mit zu den Delfinen zu nehmen?“
„Sebastian, ich denke, du beschäftigst dich erst mal mit den Kindern, Frau Gärleich wird schon wissen, was mit Adrian zu tun ist“, sagte ich.
„Nein Robert, ich denke … Sebastian heißen sie?“, er nickte, „wir könnten dies mal probieren, meine Kollegen und ich wissen nämlich auch nicht mehr weiter.“
Die Kinder quiekten vergnügt, als Theo und Paula sie etwas mit Wasser bespritzten. Ich schaute Sebastian an… was hatte er nur vor?