Zoogeschichten I – Teil 48

Fünf Jahre

Dennis

Es war schon ein seltsames Gefühl. Drei Meter über dem Boden langsam und gemächlich durch den Zoo zu marschieren. Michael hatte mich überredet, mit ihm gemeinsam einen kurzen Ritt auf dem Elefanten Hela zu machen.

Hela war sehr friedlich, obwohl doch recht viele Besucher des Zoos unseren Weg kreuzten.

„Dennis?“

„Ja?“, antwortete ich und drehte meinen Kopf zu Michael.

„Ich weiß, es ist noch etwas früh, aber ich habe da eine Kleinigkeit für dich.“

Erstaunt schaute ich Michael zu, wie er Etwas aus seiner Weste zauberte. Er reichte mir einen winzigen Karton, der mit Bärenbildern beklebt war. Den Deckel vorsichtig zu öffnen, war bei dem Schwanken von Hela gar nicht so einfach.

Als ich endlich den Deckel herunter hatte, kam ein Ring zum Vorschein.

„Der ist für dich… mein Name steht drin.“

„Danke… Michael… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Zieh ihn an!“

Ich reichte ihm die Minikiste und zog den Ring über den rechten Ringfinger. Als ich die Hand anhob, um ihn mir besser anschauen zu können, fuhr Michael mit seiner Hand darunter und ich konnte den gleichen Ring an seiner Hand erkennen.

Sebastian

Traurig stand ich mit Frau Kahlberg an der Haustür und schaute dem Wagen meiner Eltern nach, der sich langsam entfernte.

„Sebastian, sie sind nicht aus der Welt und sind auch jederzeit bei uns willkommen… solange du hier wohnst.“

„Danke Frau Kahlberg, ich weiß das sehr zu schätzen.“

„Könnten wir beide uns mal kurz unterhalten?“, fragte Frau Kahlberg.

„Ja… natürlich!“

So folgte ich ihr ins Haus und begleitete sie zurück ins Wohnzimmer und setzten uns.

„Mein Mann und ich haben uns lange über deine Situation unterhalten. Du weißt, wir sind nicht ganz unvermögend und haben hier eine Menge Platz. Und da wir gemerkt haben, wie sehr du unseren Familienanschluss genießt… wollten wir dir vorschlagen, ob du nicht … na ja … für immer hier einziehen willst.“

Jetzt war ich baff. Herr Kahlberg war mir immer mit Rat und Tat im Krankenhaus zur Seite gestanden, er hatte mir auch viel gezeigt. Ich bewunderte den Mann sehr. Frau Kahlberg hatte mich hier so fürsorglich aufgenommen, als wäre es das Normalste der Welt.

„Ich möchte dich jetzt nicht zur Entscheidung drängen. Lass dir einfach Zeit, okay?“

Ich nickte.

„So, ich muss noch Einiges machen und kochen sollte ich auch noch, wenn meine Männer heute Abend hungrig nach Hause kommen.“

So ließ sie mich alleine auf der Couch sitzen. Hier fest einziehen… bei einer Familie wohnen. Zuhause war es nicht möglich… Zuhause… hatte ich denn das noch? Meine Eltern hatten erzählt, die Anfeindungen im Ort hätten nachgelassen, aber zu spüren war sie doch noch.

Schließlich hatte ich mit der Aussage bei der Polizei fünf Familien ins Gerede gebracht, deren Söhne mit von der Partie waren. Von da an wurden meine Eltern und ich immer mehr geschnitten. Niemand kümmerte es, dass Lutz bei der >Angelegenheit< ums Leben kam. Bei der Beerdigung waren auch nur die Verwandtschaft da… keine Freunde der Familie, kein einziger Freund von Lutz. Als die Beschimpfungen überhand nahmen, entschloss ich mich schweren Herzens weg zu ziehen, so dass wenigstens meine Eltern weniger abbekamen. Ob es eine gute Idee war, hier einzuziehen, wusste ich nicht… aber der Gedanke, jemanden um mich herum zu haben, der mir vertraut war, überwiegte. Die zwei Tage, in denen ich jetzt hier war, hatte ich mich mit Dennis so gut angefreundet… wir saßen jeden Abend beieinander, erzählten uns aus der Vergangenheit. Ich konnte mich bei ihm ausweinen… wie bei einem Bruder… auch wenn er jünger war als ich, Dennis gab mir das Gefühl, dazuzugehören und minderte meinen schmerzlichen Verlust von Lutz etwas. Robert „Robert, ich weiß jetzt, ich habe damals Mist gebaut… ich kann dir die fünf Jahre nicht zurückgeben… ich weiß nicht mal… ob hier eine Entschuldigung irgendetwas hilft.“ Es fehlte nur noch, dass dieser Mann jetzt vor mir auf den Boden kniete. Was sollte ich sagen? Ja, alles vergeben und vergessen… das konnte ich nicht! Egal, ob es jetzt falscher Stolz war oder etwas Anderes, ich konnte einfach nicht über meinen Schatten springen. Er streckte mir sozusagen die Hand entgegen, obwohl ich ihnen gerade sagte, ich sei schwul. In mir kämpfte es… ich kämpfte gegen mich selbst, weil ich keine Entscheidung fassen konnte. „Robert, es tut uns wirklich leid und wir würden es gerne ungeschehen machen, wenn wir könnten“, begann meine Mutter, „du musst wissen…seit du das Haus verlassen hast, ist es sehr ruhig geworden.“ „Ja, alle die von deinem Rauswurf erfahren haben, die meiden uns seit dieser Zeit“, erzählte mein Vater. „Und was soll ich jetzt machen?“, fragte ich, „ihr wisst nicht, was in den letzten fünf Jahren war, was ich durchgemacht habe, ihr wisst überhaupt nichts mehr von mir.“ „Das würden wir gerne ändern, Robert“, sprach meine Mutter. „Ich verstehe, dass du misstrauisch bist, Robert, aber wir meinen das wirklich ernst!“ „Es macht euch also nichts aus, dass der junge Mann, der eben bei mir war, mein Freund ist, der Mann, mit dem ich meine Zukunft verbringen will?“ Genau studierte ich ihre beiden Gesichter, welche Reaktionen sie zeigten. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll… es ist alles so neu… auch wenn du fünf Jahre weg bist. Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht, ob du mal einen Mann mit nach Hause bringen könntest“, sagte Vater. „Ich kenne Adrian erst kurz, aber meine Gefühle für ihn wachsen ständig… meint ihr, ihr kommt damit klar?“ Die Frage sollte eigentlich ernst rüber kommen, aber es lag mehr ein Flehen in meiner Stimme. Klar würde es mich freuen, endlich sagen zu können, ich habe Eltern, die ich auch besuchen konnte… aber. Wenn nicht dieses ABER wäre, das meine Gedanken so durcheinander brachte. „Ich weiß es wirklich nicht und ich möchte dich auch nicht belügen.“ Meine Mutter zuckte ebenso mit den Schultern. Ich stand auf und ging zur Tür und wie erwartet, saß Adrian in der Nähe auf einem Stuhl. Als er mich sah, sprang er auf und kam zu mir. Ich nahm - ohne ein Wort zusagen – seine Hand und zog ihn ins Zimmer, von Renate konnte ich nichts sehen. Wir gingen vorbei an meinen Eltern und setzten uns gemeinsam auf mein Bett. „Adrian hier war es, der mir meine Augen geöffnet hat. Seit fünf Jahren verstecke ich mich in meiner Wohnung, bin nur zum Arbeiten draußen. Fünf Jahre Zeit, um über mich nachzudenken, was ich möchte.“ Adrian sah mich verwundert an, unterbrach mich nicht. „Fünf Jahre, um diese Maske aufzubauen, dass mir keiner was kann, mich alle in Ruhe lassen. Und dann kommt dieser Mensch, hilflos, auf mich angewiesen und verändert in ein paar Stunden mein komplettes Leben… sogar… dass ich euch wieder sehen darf.“ Mir drückte es die Tränen in die Augen. „Fünf Jahre, in denen ich euch vermisst habe… fünf Jahre… wo ich jeden Tag überlegt habe… was ich machen kann…“ Ich konnte nicht mehr und begann, zu weinen. Adrian hatte die ganze Zeit meine Hand gehalten. „Junge… wenn du nichts dagegen hast… würden wir gerne ein paar Tage bleiben…“, sagte mein Vater. „Habe nichts dagegen.“ Ich spürte Adrians Hand auf meinem Rücken, wie er mich zärtlich tröstete. „Ich denke… wir sollten eine Pause machen… oder?“, fragte meine Mutter. „Ja… wir müssen uns auch noch eine Unterkunft suchen…“, sagte Vater. „Braucht ihr nicht… meine Wohnung ist groß genug…“ „Wir wollen dir aber nicht zur Last fallen“, meinte Mutter und ich sah sie an. Fünf Jahre waren sie sozusagen zur Last gefallen… da kam es auf ein paar Tage mehr auch nicht an… „Nein, kein Problem. Ich muss nur noch etwas unterschreiben, dann können wir los.“ „Du darfst schon gehen?“, fragte Vater. „Ja…, ich habe nur noch auf euch gewartet…“ Dennis „Hat er dir jetzt einen Antrag gemacht?“, hörte ich eine Stimme. Ich fuhr herum und da stand Volker neben uns, na ja unter uns, neben Hela. Ich musste grinsen. „Weiß ich nicht… viel hat er noch nicht gesagt!“ „Kann es einen romantischeren Ort als einen Elefantenrücken geben?“, fragte Volker und bemühte sich, nicht zu lachen. „Tja, mein Großer liebt mich eben und es ist ihm nichts zu schade!“ Ich spürte, wie sich Michael dichter an mich lehnte und ich genoss es. „Ach so, sorry, wenn ich eure Glückseligkeit unterbrechen muss. Ich bräuchte Dennis. Der Architekt für das Eisbärengehege ist da und Jürgen hätte auch Denis gerne bei der Besprechung.“ Michael seufzte hinter mir. „He, ihr habt noch den ganzen Abend vor euch - was sag ich - unendlich viel Zeit habt ihr, also komm schon Dennis.“ Schweren Herzen ließ ich mich an der Seite von Hela herunter. „Was soll ich bei der Besprechung? Ich kenn mich ja nun wirklich nicht mit Eisbären aus.“ „Jürgen will dich dabei haben, mehr weiß ich auch nicht.“ „Hat der eigentlich nicht gerade einen Termin mit dieser Frau Keller, Florians Mutter?“, fragte ich. „Der war eben zu Ende.“ „Und?“ „Sie hat den Job, hatte ein super Zeugnis dabei!“ „Klasse, dass freut mich für sie.“ „Du weißt aber auch, was das für uns heißt?“ Fragend schaute ich Volker an und er grinste. „Wir werden mehr Zeit mit unserem neuen Zoopfleger verbringen!“ Beide fingen wir an zu lachen. „Könnt ihr mir vielleicht verraten, von was ihr redet?“, fragte Michael vom Elefanten herunter. „Schatz, das erkläre ich dir in Ruhe!“, meinte ich. „Gut, denn ich muss mit Hela nämlich auch weiter.“ „Okay… bis später dann“, ich warf ihm einen Handkuss zu. „Hach… diese jungen Leute heute.“, meinte Volker und drehte sich um zum Gehen. Sebastian Ich stand im Türrahmen der Küche und beobachtete Frau Kahlberg beim Kochen. Sie schaute kurz zu mir und lächelte. „Also… ich würde schon gerne ihr Angebot annehmen…“, sagte ich leise. „Kommt da noch ein ABER?“, fragte sie. „Nein eigentlich nicht, Fragen sind aber trotzdem da.“ „Und die wären?“ „Zum Beispiel… ich wohne im Gästezimmer und das ist ja immerhin schon ihr Wohnbereich… mit ihrem Bad und Schlafzimmer.“ „Das wird kein Problem sein, denn darüber haben ich und mein Mann auch schon geredet. Zwar nicht im Bezug auf dich, sondern auf Dennis.“ Sie hielt mir ein Glas Saft entgegen, das ich dankend annahm.

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