Zoogeschichten II – Teil 69

Rote Birne

Dennis

Nachdem ich ein paar trockene Sachen von Angelo bekommen und diese angezogen hatte, ging ich wieder nach draußen. Michael war schon wieder weg, ebenso Sabine und Heike. Nur noch Sebastian stand gemeinsam mit Angelo und Lucca im Becken.

Ich beobachtete Lucca genau. Wo er anfänglich noch recht trotzig war, schien ihm die Arbeit nun Spaß zumachen. Er hielt den Wasserstrahl auf den Schaum, so dass dieser zum Abfluss gespült wurde.

„Dennis, hilfst du mir mal bitte bei den Steinen?“, rief mir Angelo zu.

Ich ging zu ihm hinüber und hob sie mit ihm gemeinsam auf die Seite.

„Wir müssen darauf achten, dass wirklich kein Schaum oder Spülmittel zurückbleibt.“

„Ist das wirklich so schlimm?“, hörte ich Lucca fragen.

Angelo und ich drehten uns zu ihm um.

„Hör mal, Junge. Diese Tiere nehmen ihr Futter über das Wasser auf. Sie werden mit Krabben gefüttert, damit sich ihre schöne Farbe erhält. Deswegen darf das Wasser nicht verunreinigt sein.“

Mir schien, als würde Lucca mittlerweile verstehen, was er da für einen Mist gebaut hatte. Betroffen schaute er wieder zu Boden.

„Erst Hirn einschalten… dann handeln“, meinte Angelo und verschwand im Haus.

Sebastian

Nachdem die Anderen alles im Griff hatten, zog ich es vor, Heike zu folgen. Ich verabschiedete mich kurz und lief in meiner Montur zurück zum Delfinarium. Klar starrten mich einige Leute merkwürdig an.

Es begegnet einem ja nicht jeden Tag ein Typ im Neoprenanzug. Als ich die letzte Kreuzung zum Delfinarium einbog, kamen mir die zwei alten Damen von vorhin entgegen.

„Hallo…, das war vorhin eine schöne Vorstellung“, meinte die eine Dame.

„Danke“, meinte ich nur, weil ich nicht wusste, was ich sonst erwidern sollte.

„Man muss sicher viel mit diesen Tieren trainieren“, meinte nun die andere Dame.

„Ich kann ihnen leider nicht sehr viel Auskunft geben. Die Tricks hat jemand Anderes den Tieren beigebracht. Ich habe hier erst vor Kurzem meine Lehre begonnen“, erklärte ich.

Beide Damen schauten mich erstaunt an.

„Respekt, junger Mann, dafür können sie das aber gut!“

„Ja Elvira, da muss ich dir Recht geben, der junge Mann hat… wie sagt man bei den jungen Leuten… etwas auf dem Kasten!“

Verschämt lächelte ich die beiden Damen an.

„Ich muss nun zurück zu den Delfinen, meine Damen.“

„Oh, wir wollten sie nicht aufhalten.“

„Nein haben sie nicht, man trifft ja nicht jeden Tag seine ersten Fans“, erwiderte ich und legte mein charmantestes Lächeln auf.

Beide Damen fingen an zu kichern. Ich nickte den beiden Damen zu und verließ schleunigst diesen Ort, aber ich kam nicht weit.

„Sebastiaaaaaaaaaan“, hörte ich jemand rufen…, eine Kinderstimme.

Ich drehte mich in die Richtung, aus der ich den Ruf gehört hatte. Da kam ein strahlender Florian auf mich zu gerannt.

„He, du Tierpfleger, was steht an?“, rief ich zurück.

Endlich hatte er mich erreicht und sprang mich regelrecht an. Nur mit Mühe konnte ich seinen Schwung abfangen und hob ihn hoch.

„Ich zeig Papa den Zoo.“

„Du kennst dich ja auch prima aus“, meinte ich.

Der Kleine drehte hastig den Kopf und schaute hinter sich. Ich folgte seinem Blick und sah einen Mann im Rollstuhl.

„Papa, Papa hier bin ich“, rief Florian.

Etwas gequält rollte der Mann auf uns zu. Ich ließ Florian herunter, der auch gleich zu seinem Papa rannte.

„Papa, das ist Sebastian, der arbeitet bei richtigen Delfinen.“

„Flo…, du hast mir etwas versprochen… schon vergessen?“

Verschämt schaute mich Florian kurz an.

„Wir haben ausgemacht, dass du nicht immer abhaust. Du weißt, Papa kann nicht so schnell.

„Ja Papa“, antwortete Florian schuldbewusst.

„So und nun komm mal her.“

Zögernd schritt er auf seinen Vater zu, als wüsste er, was nun auf ihn zukommen würde. Als er in die Reichweite seines Vaters kam, schnappte sich dieser Florian und fing an, ihn durchzukitzeln.

Florian fing laut an zu lachen und zu quietschen.

„Nich Papa… hör auf!“, schrie Florian und wand sich in den Armen seines Vaters.

Dieser Anblick machte mich irgendwie traurig und ich merkte, wie sehr ich doch meinen Vater vermisste. Aber das glasklare Lachen von Florian ließ mir nur Sekunden Zeit, um traurig zu sein, ich musste einfach mitlachen.

Volker

Ich hatte das Gefühl, als würde jedes Tröpfchen Blut aus meinem Körper weichen und alles sich in meinem Kopf sammeln. Sonst war ich ja schon schlagfertig, aber auf diese Hammerfrage war ich nicht gefasst.

Meine Ohren fingen an zu glühen, meine Wangen brannten höllisch.

„Entschuldigen sie bitte, die Frage war ausgesprochen doof und es geht mich auch nichts an“, meinte Genster und drehte sich etwas weg.

„Aber…, aber… wie kommen sie da drauf?“, brachte ich heraus.

Meine Verwirrung war komplett. Sah man mir das jetzt schon an, wo ich es doch selbst erst ein paar Tage wusste?

„Vergessen sie die Frage bitte… da sind mir wohl die Pferde durchgegangen.“

Er machte Anstalten zu gehen und drehte sich Richtung Ausgang.

„Rolf… bleib bitte.“

Ich wusste nicht, was mich geritten hatte. Ich redete ihn mit Vornamen an, sagte du, als würde ich ihn schon lange kennen. Aber tief in mir drin hatte ich das Gefühl, ich würde ihn schon seit Ewigkeiten kennen.

Rolf drehte seinen Kopf und sah mich beschämt an.

„Es tut mir leid Herr Kolping.“

„Volker.“

„Hä?“

„Ich heiße Volker!“

Ein winziges Lächeln huschte über Rolfs Gesicht. Boah, der Typ macht mich Jeck. Meine Knie wurden weich… und dieses flaue Gefühl im Magen. Er stand da und sah mich an. Seine Lippen zeigten nun ein verlegenes Lächeln. Er zuckte kurz mit den Schultern.

„Was soll’s“, kam es von ihm und er lief wieder auf mich zu.

Irgendwie lief jetzt gerade alles in Zeitlupe ab. Meine Augen starrten förmlich auf jede Bewegung, die Rolf machte. Seinen Schritt, wie sich die Arme und auch die Hände dazu bewegten.

Und wieder dieses Funkeln in seinen Augen. Wie ein kleiner Schuljunge, der gleich ein riesiges Geschenk bekam, stand ich da.

„Ich glaube, ich sollte ihnen einiges erklären, Volker.“

„Dir…, bleiben wir bitte bei DU!“

„Danke“, meinte er, immer noch verlegen.

„Ich glaube, wir gehen doch zu meinem Bruder… ich bräuchte nun auch etwas Kräftigeres als ein Kaffee.“

Nun zeigte er ein anderes Lächeln. Dieses Lächeln zog sich über das ganze Gesicht, es strahlte förmlich. Ich hob die Hand und zeigte Richtung Jürgens Haus. Rolf bewegte sich zuerst zaghaft, dann festen Schrittes in die angegebene Richtung und wir liefen nebeneinander zum Haus.

„Hast du überhaupt Zeit…, musst du nichts Verwaltungstechnisches machen?“, fragte Rolf plötzlich in die Stille.

„Ach.. so nein, dafür ist mein Bruder zuständig, mich zieht es eher zu den Tieren.“

Wieder Schweigen. Diesmal war ich es, der die Stille unterbrach.

„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte ich leise.

Rolf schaute mich kurz an, bevor sein Blick wieder zu Boden sank.

„Weißt du…, wenn man schwul ist, bekommt man irgendwann einen Blick für, ob es jemand anderem ebenso geht.“

„Du bist schwul?“, fragte ich erstaunt.

Jedenfalls zu laut, denn einige Besucher drehten sich nach uns um. Ich zog das Gartentürchen auf, hinter dem das private Grundstück der Familie anfing. Ich ließ Rolf den Vortritt und schloss das quietschende Teil hinter mir.

„Ja…, auch ein Grund… warum Lucca so ist…, wie er ist.“

Ich verstand jetzt nicht, was er meinte. Ich dirigierte Rolf auf die Terrasse und bot ihm einen Stuhl an. Rolf setzte sich.

„Moment, ich bin gleich wieder da“, meinte ich und eilte ins Haus.

Ich lief in den Wohnraum und begab mich an die Theke. Als ich nach zwei Gläsern griff, schubste ich ein anderes Glas dabei um. Nur meiner schnellen Reaktion verdankte ich es, dass es jetzt nicht auch noch Scherben gab.

Ich stellte das eine Glas zurück und schaute auf die Flaschen. Beim Anblick der Schnapsflasche verzog ich das Gesicht. Einen Martini oder etwas Anderes konnte ich ihm ja jetzt schlecht anbieten.

So griff ich nach dem Cognac und lief zurück auf die Terrasse. Rolf hatte sich mittlerweile eine Zigarette angezündet und schnippte gerade die Asche in den Aschenbecher. Ich stellte die Gläser ab und schenkte jedem ein halbes Glas Cognac ein.

Nachdem ich die Flasche fest verschraubt hatte, setzte ich mich zu Rolf. Das Handy ging. Genervt zog ich es aus meiner Weste und nahm das Gespräch entgegen.

Dennis

„Den Rest bekommt ihr ja sicher alleine hin“, meinte ich zu Angelo, „ich muss mich langsam um meine Bärchen kümmern. Krümel hat heute eh noch nicht soviel von mir gehabt.“

„Geht klar Dennis, ich schaff das schon mit Lucca.“

„Okay, dann vielleicht bis nachher“, meinte ich und ging Richtung Haus, um noch meine nasse Klamotten zu holen.

„Du gehst zu den Bären?“, fragte Lucca plötzlich.

Ich stoppte und nickte ihm zu.

„Kann ich die auch mal sehen?“

„Ähm…, ich glaube, du hast hier noch Arbeit“, erinnerte ich ihn.

Angelo sah grinsend zu mir herüber.

„Nur kurz…, ich geh auch gleich wieder hier her“, bettelte Lucca.

„Nimm ihn mit, Dennis. Wir sind eigentlich fertig. Das Becken füllt sich von alleine wieder“, meinte Angelo.

Na toll, sollte ich jetzt Babysitter spielen? Gut, Lucca war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, aber trotzdem. Bock hatte ich keinen.

„Okay, aber räume wenigstens noch die Sachen weg“, meinte ich und Angelo nickte zustimmend.

Schnell sammelte Lucca alle Gebrauchsgegenstände, die sich noch im Becken befanden zusammen. So beladen, folgte er mir und Angelo ins Haus. Mein erster Blick wanderte Richtung Käfig, wo alle Flamingos dicht gedrängt in einer Ecke standen

„Das hätte wirklich ins Auge gehen können“, sagte ich eher zu mir.

„Wie oft soll ich mich denn noch entschuldigen…, es tut mir wirklich leid!“, meinte Lucca und sah mich flehend an.

Ich winkte ab und schnappte mir meine tropfenden Sachen.

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