Dass ich den Wecker, der um 7:00 Uhr sein Werk verrichtete, hätte erschlagen können, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Ich blickte auf die andere Seite des Bettes, mein Gatte schlief einfach weiter den Schlaf der Gerechten, das Getöse des Wachmachgerätes
schien ihn in keinster Weise zu stören. Ein Druck auf die Taste und die Lärmquelle verstummte augenblicklich. Ich rappelte mich auf, quälte mich aus dem Bett und ging nach unten, um das Frühstück zu bereiten.
Während ich den Tisch deckte, die Kaffeemaschine beschickte, den Toaster befüllte, Marmelade und Milch aus dem Kühlschrank holte, leistete das kleine Küchenradio Schwerstarbeit: Rachel Meyers war mit ihrem Daybreak Express on air, jazzige Töne erfüllten den Raum. WKCR auf 89.9FM ist zwar ein ganz normaler Radiosender, aber er ist gleichzeitig auch das Studentenradio der CU, hervorgegangen aus dem Columbia University Radio Club aus dem Jahre 1936.
Als die Vorbereitungen längst beendet waren, war ich immer noch alleine in der Küche, von meinem Gatten weit und breit keine Spur. Nach dem ersten Schluck des braunen Gebräus blickte ich auf die Uhr und stellte fest, ich hatte noch über anderthalb Stunden Zeit, ehe mich der Fahrer hier abholen würde. Wieder oben im Schlafzimmer schaute ich auf den Mann meiner Träume, ich zog ihm einfach die Bettdecke weg. Der angehende Journalist grummelte zwar, aber er ließ sich dennoch, wie nicht anders erwartet, nach unten führen.
Die ersten Minuten der Mahlzeit verliefen schweigend, kaum ein Wort wurde gewechselt. Aber das ist eigentlich normal. Nach der zweiten Tasse Kaffee und der ersten Zigarette bin ich bereit, sämtliche Probleme der Welt zu lösen, aber vorher? Vorher sollte man mich tunlichst in Ruhe lassen! Mein Engel war ähnlich gestrickt, jedoch verzichtete er meistens auf das Tabakopfer.
Um kurz vor acht führte mich mein Weg zu meinen Aktenkoffer. Ich hatte am Freitag noch ein kleines Geschenk für meinen Liebsten vorbereitet. Zwar hatte ich es nur provisorisch in Zeitungspapier eingewickelt, auf eine Schleife verzichtet, aber es ist ja der Gedanke, der zählt!
„Hier, mein Schatz, ein kleines Präsent für einsame Tage.“ Ich schob ihm den Karton zu.
Jost schaute erst das Paket und dann mich erstaunt an. „Was ist das?“
„Ein kleiner Seelentröster für die kommenden einsamen Nächte ohne mich an deiner Seite, aber nicht erschrecken wegen der Farbe!“ Ich grinste.
Er hielt den Karton in Händen, schüttelte ihn sacht. „Was ist denn da drinnen?“
„Mach es doch einfach auf!“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich hoffe, ich habe deinen Geschmack getroffen; musste allerdings etwas improvisieren.“
Er zerriss das Papier und starrte auf den giftgrünen Dildo, der sich in der Verpackung befand. Jost verdrehte die Augen. „Was soll ich denn mit dem Teil?“
„Wolltest du nicht was von mir haben, während ich weg bin?“ Ich schenkte ihm ein Lächeln.
Er grummelte. „Stimmt, aber lieber hätte ich deinen echten Schwanz und nicht so einen billigen Gummiprügel; und dann auch noch in der Farbe!“
„Schau dir das Teil doch erst einmal an und fang dann an zu meckern!“ Männer! Jost bewegte den Latexfreudenspender in seinen Händen. „Na? Fällt dir was auf? Ich meine, außer der Farbe?“
„Eine gewisse Ähnlichkeit …“ Er grinste mich frech an. „Das ist doch nicht etwa dein Teil?“
„Doch! Klein-Gordon im Maßstab 1 zu 1, hergestellt am Freitagmorgen im Büro unter Einsatz meines Lebens.“ Naja, das war etwas übertrieben: Dad war mit einem Typen von der Bank auf dem Golfplatz und Elisabeth Willsey, unserer altgedienten Chefsekretärin, hatte ich aufgetragen, mir eine Stunde jedwede Störung vom Hals zu halten, was sie dann auch tat.
Jost kam lachend auf mich zu, setzte sich auf meinen Schoß und drückte mir einen langen Kuss auf den Mund. „Gordon Henry Lensing, du bist unmöglich, weißt du das?“ Eine erneute Vereinigung unserer Lippen erfolgte. „Aber deshalb liebe ich dich auch! Wann hast du das Zeug denn besorgt?“
„Am Donnerstag. Kurz bevor Steven kam, bin ich doch noch einmal kurz weggefahren; du erinnerst dich?“ Ich lachte. „Ich war in einem Sex-Shop und habe mir so ein Abdruck-Set besorgt. Das Teil hat sogar einen eingebauten Vibrator. Warte mal, ich zeig es dir.“ Ich drehte am Schalter, ein Surren drang an das Ohr; wir grinsten beide. „Aber in dem Laden … naja … die hatten keine normalen Farben mehr, nur noch das Set in Grün, das im Dunkeln leuchten soll, und eins in Blau.“
„Ein Leuchtdildo?“ Mein Engel konnte sich vor Lachen kaum halten. „Das glaub ich jetzt nicht!“
„Kannst du aber! Sah auf der Verpackung echt witzig aus.“ Meine Hand legte sich auf seinen Oberschenkel und wanderte langsam nach oben. „Ich habe die beiden Sets zu einem Sonderpreis bekommen, denn …“
„Du hast beide Sets gekauft?“ Mein Engel schaute mir tief in die Augen.
Ich zuckte mit den Schultern. „Habe ich, denn ich wusste ja nicht, ob der erste Versuch auch klappt! Aber die Sache ist relativ einfach, habe ich sogar hingekriegt.“
„Und? Wie lange dauert so ein Abdruck?“ Neugierig blickte er mich an.
Was sollte das werden? „Du brauchst 45 Minuten, dann ist das Teil ausgehärtet, steht jedenfalls so in der Anleitung. Das Silikon ist übrigens gesundheitlich unbedenklich und allergen- und latexfrei.“
„Und wie macht man das genau?“ Wieso war er so aufgekratzt?
Ich spielte an seinem Beutel. „Nun, du rührst das Abdruckpulver an, machst dein Teil steif, steckst es in das Rohr und füllst mit dem Zeug die Gussform. Nach fünf Minuten ist der Abdruck fertig, dann kann man die Silikonmasse herstellen und einfüllen, das Vibratorelement steckst du dann einfach rein und lässt das Ganze aushärten; das war es dann auch schon. Wieso fragst du?“
„Wir haben jetzt noch fast eine Stunde, bis du weg musst.“ Er lachte mich an. „Dann hol das zweite Set und wir machen einen Abdruck von mir: Du sollst ja auch keine einsamen Nächte erleben.“
Ich musste grinsen. „Ich würde aber die restliche Zeit mit dir lieber anders nutzen. Außerdem …“
„Nichts da! Wir können unter die Dusche, während das Zeug hart wird.“ Männer! Er erhob sich.
Ich zog ihn sacht zurück. „Mr. Lensing! Das zweite Bastelset liegt brav in der Schreibtischschublade in meinem Büro in der Firma, ich kann es also gar nicht holen.“
„Mist! Aber dann …“ Er stand erneut auf. „… werde ich mir das Original gleich unter der Dusche noch einmal einführen. Du sollst ja auch nicht auf dumme Gedanken kommen. Jetzt komm endlich! Ich bin geil auf meinen Mann!“
„Und ich auf meinen Gatten!“ Ich erhob mich und gab ihm einen Klaps auf den Hintern. „Na? Worauf wartest du dann noch? Ab ins Bad, meine Stute!“
Jost grinste mich verschmitzt an. „Stute? Ich werde dir zeigen, wer hier der Hengst ist!“
Der Fahrer musste dann allerdings doch zehn Minuten auf mich warten, ich wollte schließlich auch noch einmal in den Genuss meines Süßen kommen, ehe ich auf Handbetrieb würde umstellen müssen. Der Chauffeur grinste nur, als Jost mir mit einem großen weißen Taschentuch vom Bürgersteig aus sehnsuchtsvoll nachwinkte.
Als Lee in den Wagen einstieg, grinste er mich bitterböse an. „Ich will gar nicht wissen, wie oft ihr euch voneinander verabschiedet habt. Aber hast du mal auf die Uhr geschaut?“
„Ein Liebender kennt keine Zeit! Außerdem fliegen wir Business, da musst du nicht eine Stunde vor Abflug eingecheckt haben.“ Ich grummelte. „Aber erst einmal einen Wunderschönen!“
„Wünsche ich dir auch!“ Der chinesische Eisenbahnexperte grinste. „Aber du konntest dich ja wenigstens richtig verabschieden, ich hatte gestern ja leider nicht die Gelegenheit dazu!“
Wurde er jetzt melancholisch? „Also ist es was Festes mit dir und Steven?“
„Noch ist nichts spruchreif, ich hätte zwar nichts dagegen, wenn aus uns ein Paar werden würde, aber …“ Er starrte aus dem Fenster, rührte sich nicht.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter. „Aber was? Sprich dich aus!“
„Natürlich wäre ich happy, wenn das mit dem Job bei den VN klappen würde und Steven ganz in den Big Apple ziehen würde, aber …“ Er atmete tief durch. „… aber meine Hütte ist für zwei Leute einfach zu klein und wenn aus uns ein Paar wird, wären zwei Wohnungen unsinnig und auf Dauer auch zu teuer, wir… wir werden uns also erst einmal irgendwie behelfen müssen, bis wir was Passendes und vor allen Dingen auch Bezahlbares gefunden haben.“
„Frag doch einfach mal Eric.“ Ich versuchte ein Lächeln. „Der hat doch genügend Wohnungen.“
„Du meinst, er würde mir … oder uns eine … zu günstigen Konditionen … vermieten?“ Lee blickte mich mit großen Augen an.
Ich grinste. „Wieso sollte er nicht? Er kriegt vernünftige Mieter, die er auch noch privat kennt. Frag ihn einfach, denn mehr als ‚Sorry, im Moment ist leider nichts frei!‘ sagen, kann er nicht.“
„Auch wieder wahr!“ Er lachte leicht. „Aber wenn Eric mit seinem Umbau durch ist, wird Ian doch wohl bei ihm einziehen? Falls er Nachmieter braucht, könnte man ja auch …“
Ich grübelte. „Aber so toll finde ich seine Wohnung auch wieder nicht. Sie ist irgendwie … komisch geschnitten. Mir würde mindestens ein Zimmer fehlen.“
Ian wohnte unmittelbar an der Kreuzung St Marks/Vanderbuilt Avenue über einem Buchladen. In früheren Zeiten lebte die Eigentümerfamilie über ihrem Geschäft, aber damals ging der Wohnbereich auch über zwei Etagen. Aus diesen sind eigenständige Wohnungen geworden, im ersten Stock befindet sich aber immer noch das Büro und die Bedürfnisbefriedigungsanlage des Lesetempels, von daher war die Grundfläche des Appartements des Buchhalters etwas eingeschränkt: Wohn-, Ess-. Küchen- und Arbeitsbereich gingen nahtlos ineinander über, nur Schlafzimmer und Bad verfügten über eigene Türen. Um korrekt zu sein, der kleine Abstellraum war auch separat begehbar. Eine Möglichkeit des Rückzugs gab es nicht, man hockte sich immer auf der Pelle und das unmittelbar.
„Ist sie denn so schlimm?“ Neugier lag in seinem Blick.
Ich schüttelte mein weises Haupt. „Nein, das nicht, aber sie hat maximal nur 650 Quadratfuß; mit meinem Engel hätte ich es da keine zwei Wochen ausgehalten, wir hatten schon Probleme auf 825.“
„Gut, dein Jost ist Student, der braucht seinen eigenen Raum.“ Lee lächelte mich an.
„Es mag vielleicht sein, dass Studenten einen erhöhten Platzbedarf haben, zumindest was ihren Arbeitsbereich anbelangt, aber auch zwei …“ Ich malte Anführungszeichen in die Luft. „… normale Menschen brauchen ihre Rückzugsmöglichkeiten, die hast du in Ians Behausung aber nicht! Du kannst keine Tür hinter dir zu machen, falls dein Liebster dir mal auf den Keks gehen sollte.“
„War ja auch nur so ein spontaner Gedanke.“ Der Eisenbahnexperte lächelte gequält. „Dann werde ich Eric fragen und die Times wälzen. Bleibt mir ja nichts anderes übrig.“
Ich stupste ihn an. „Nötigenfalls kannst du deine Wohnungssuche auch am Schwarzen Brett bekannt geben. Wozu haben wir das Dingen denn sonst?“
„Na ja, aber es muss ja nicht jeder mitkriegen, dass ich auf Wohnungssuche bin.“ Lee versuchte ein Grinsen, aber es gelang ihm nicht richtig. Da war sie wieder, die typisch amerikanische Art, an Probleme heranzugehen: Man macht es lieber mit sich selber aus, als andere Leute, die eventuell helfen könnten, um Rat anzugehen. Europäer sind der anders, wenn die vor einem Problem stehen, versuchen sie meistens eine kollektive Lösung, während US-Amerikaner den Alleingang bevorzugen.
„Wenn du meinst, es ist deine Entscheidung.“ Ich zuckte mit den Schultern, denn ich hatte keine Lust, tiefer in Problemlösungsmechanismen und deren Eigenschaften einzutauchen.
Der Fahrer ließ uns aussteigen; nach einer Zigarette, ich brauchte einfach Nikotinnachschub, betraten wir das Terminal von Newark. Das Einchecken verlief ohne große Probleme. Der Raucherbereich der Lounge glich, Gott sei Dank, keinem Aquarium, man konnte in Ruhe seinen Laster frönen. Um kurz nach zehn nahmen wir unsere Plätze in der fünften Reihe der Boeing 757-200 ein.
Einige Fluglinien in den US of A, so auch die Continental, mit der wir flogen, bieten auf Inlandsflügen nur noch zwei Buchungsklassen an: Einmal Economy, wie in jedem anderen Flieger der Welt auch, zum anderen eine Mischung aus Business und First. Diese Mixtur würde uns in den nächsten sechseinhalb Stunden beherbergen. Hätten wir tatsächlich First gebucht, mein Vater hätte mir den Hals umgedreht, aber er konnte also nichts sagen: Die Tickets trugen den Aufdruck Business.
Der Service war hervorragend, man konnte sich wirklich nicht beklagen. Während des Essens – nicht auf Plastikgeschirr serviert – gingen wir noch einmal die Einkaufsliste für die kommenden Tage durch. Ohne den Leser groß langweilen zu wollen, aber wir bräuchten noch mindestens 30 rollende Einheiten, würden wir auch nur annähernd eine schwarze Null schreiben wollen. Der chinesische Eisenbahnexperte referierte über Zugzusammenstellungen und mögliche Einsatzmöglichkeiten. Je tiefer wir in die Materie eintauchten, desto bewusster wurde es mir, die Anfangsinvestitionen würden weitaus höher liegen als veranschlagt.
Während des Nachtisches, eine Art Herrencreme, und des anschließenden Kaffees sinnierte ich daher über die Idee meines Vaters, mit den Zügen Geld zu verdienen. Bis jetzt glich das ganze Unterfangen eher einem Fass ohne Boden, die Kosten explodierten, Gewinne waren lange noch nicht in Sicht. Hätte mein Produzent sich nicht auf ein anderes Geschäftsfeld verlagern können? Kreuzfahrten sind doch auch lukrativ, wenn man es richtig angeht.
Der Sohn chinesischer Eltern schien mich intensiv zu beobachten, denn plötzlich fragte er mich: „Du, Gordon, was ist mit dir? Du … du wirkst so abwesend!“
„Sieht man mir das an?“ Ich blickte in mitfühlende Augen.
Der Experte nickte. „Yepp, seit der Idee mit den Restaurantzügen, da … hätte ich dir auch das Kursbuch von Maine vorlesen können und du hättest nur genickt. Also? Was ist los?“
Ich stöhnte. „Es sind die Züge, aber … es ist … es ist auch Jost!“
„Was ist mit ihm? Hattet ihr Streit?“ Besorgnis lag in seinem Blick. „Sah aber nicht so aus.“
„Nein, Streit hatten wir nicht, es ist nur …“ Ich atmete tief durch. „… wir … wir sind das erste Mal getrennt, seit Monaten muss ich zum ersten Mal ohne ihn einschlafen.“
„Das ist dein Problem?“ Ich sah in ungläubige Augen und nickte, Lee schüttelte sich. „Wenn das alles ist, dann kann ich nur sagen: Deine Probleme möchte ich haben!“
Tja, das war wirklich mein Problem. Seit unserem Kennenlernen waren Jost und ich keinen einzigen Tag getrennt gewesen. Kann man von einem Menschen körperlich abhängig sein? Ich wusste es nicht, aber mein Engel fehlte mir jetzt schon. Auch wenn wir die Tage getrennt verbrachten, er in der Uni, ich im Büro, aber wir haben den Rat von Magdalene Laufenberg beherzigt, den sie uns damals auf der Tour durch den Indian Summer gegeben hatte: ‚Redet im Bett miteinander, lasst den Tag Revue passieren‘. Wie würde diese Woche werden?
Aber auch andere Gedanken lenkten mich ab: Wie sollte ich die kommenden Tage sexuell überstehen? Mein Gatte meinte zwar, ich könne mich ja an Lee kuscheln, aber war das auch ein Freifahrtschein für außerhäusliche Aktivitäten? Ich wusste es nicht, darüber hatten wir nie ein Wort verloren. Wir waren uns selbst genug, Gedanken der Geilheit an andere Männer hatte ich – seit Jost in mein Leben getreten war – nie verschwendet, ich brauchte es gar nicht.
Man könnte zwar jetzt einwerfen, dass wir uns an den Wochenenden in den Pines und auch bei unseren häuslichen Spieleabenden ab und an alleine, also ohne den anderen, vergnügt hatten, aber diesen Vorwurf kann man so nicht stehen lassen: Auch wenn Jost schon mit Juan in der Sauna saß, den Reigen schon begonnen hatte, beide wussten doch, ich würde bald dazu stoßen. Auch wenn es sich dumm anhört, der eine war immer in der Nähe des anderen, wenn dieser mit einem Dritten das Wort Begehren buchstabierte. Nun aber war ich auf der anderen Seite des Kontinents, ein örtlicher Zusammenhang war also nicht mehr gegeben.
War ich wütend auf mich selber? „Warte ab, bis aus dir und Mister Rossberg endgültig ein Paar geworden sein wird, dann wirst du anders darüber denken!“
„Du wirst lachen, Steven und ich haben schon darüber gesprochen, was wir machen würden, würden wir je in eine solche Situation geraten.“ Dunkle Augen grinsten mich an.
Eine gewisse Neugier konnte ich nicht abstreiten. „Und? Wie wollt ihr diese Klippe umschiffen?“
„Ganz einfach! Wir würden nie fremdgehen.“ Er griente. „Aber Spaß mit Bekannten ist erlaubt!“
Meine Augen verdrehen sich. „Wie meinst du das jetzt?“
„Mein Lehrer weiß, wir beiden sind unterwegs!“ Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Da es die ewige Treue nur in Romanen und im Wunschdenken gibt, ist der Spaß nur mit bekannten Personen erlaubt. Nimm doch nur mal unsere kleine Wanderung am vorletzten Wochenende … Als du mich da auf der Lichtung berieselt hast, wir hätten auch einen Schritt weiter gehen können, es war einfach die Situation, die uns und unsere Geilheit bestimmte. Steven empfand das nicht als Betrug, denn wir beiden hätten das, was wir auf der Lichtung getan haben, ja auch unter der Dusche am Pool in seiner Anwesenheit machen können.“
Mein Erstaunen wuchs. „Du meinst also, wenn wir beiden … es miteinander machen … er hätte nichts dagegen? Er würde nicht sagen, keine Szene, kein Streit, kein Nichts?“
„Gaynau! Er weiß, es ist nur ein Abreagieren, mehr nicht.“ Er lachte mich an. „Ihm ist es egal, ob er unmittelbar dabei oder er über 2.000 Meilen entfernt ist, wenn wir …, du weißt schon.“
Ich wunderte mich. „Eine solche Einstellung hätte ich ihm gar nicht zugetraut! Die ist ziemlich …“
„… europäisch?“ Er schmunzelte. „Steven und Jost haben nicht nur an dem Referat gearbeitet, sie haben auch lange und intensive Gespräche geführt. Also beschwere dich jetzt nicht, wenn der Mann aus der Provinz mit dem Virus aus der alten Welt infiziert ist; bedank dich bei Jost.“
„Das werde ich auch!“ Ein entsprechendes Gespräch würde nach meiner Rückkehr ganz oben auf der Agenda zwischen mir und meinem Gatten stehen.
Bis kurz vor dem Ziel waren wir im Zeitplan, dann aber wurde der Flieger in eine Warteschleife beordert, wir landeten mit mehr als 20 Minuten Verspätung, auch die Gepäckausgabe verlief ziemlich schleppend. Es war 2:30 pm PST (Pacific Standard Time), als die freundliche Dame am Schalter von Hertz, einem Kooperationspartner von Lensing, Schlüssel und Papiere des Firmenwagens, den Brüderchen – wie versprochen – für uns am Airport abgestellt hatte, übergab. Das Parkareal von Hertz ist zwar nicht gerade klein, aber das Finden des mobilen Untersatzes war einfach: Es war der einzige Wagen in Violett, der dort stand.
Der Weg zum Hotel war schnell zurückgelegt, der Zimmerbezug verlief auch ohne Probleme. Wie bei Lensing üblich, teilten sich zwei Geschlechtsgenossen ein Doppelzimmer. Eigentlich wollte ich diese Firmenmaxime bei Lensing Cross Country erst gar nicht einführen, aber ich hatte Lees Tourkonzept ja nur genehmigt, gebucht hat Elisabeth Willsey, Dads und meine Sekretärin, die gute Seele kannte es ja nicht anders. Ich hatte mich schon gewundert, dass sie die Buchungsklasse im Flieger nicht geändert hat, aber anscheinend fliegt die Geschäftsführung immer besser als normale Angestellte.
Ich kam, nur mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt, aus dem Badezimmer und blickte auf den Eisenbahnexperten, der – schon geduscht – in gleichem Bekleidungszustand auf dem Bett lag und in der New York Times, die er aus dem Flugzeug mitgenommen hatte, blätterte. „Und? Was steht heute Nachmittag noch auf der Agenda?“
„Für Ausflüge ins Umland ist es jetzt schon zu spät, das lohnt sich nicht mehr. Wonach ist dir denn? Museum, Shoppen, Hollywood, Chinatown?“ Lee blickte mich fragend an. „Oder lieber das, was man hier in Venice am besten machen kann? Chillen an der Promenade und Leute beobachten?“
„Klingt gut, denn auf Kultur hab ich keinen Bock. Die nächsten Tage werden anstrengend genug, also warum sollen wir es nicht gemütlich angehen lassen?“ Ich lächelte ihn an.
Der Chinese erhob sich grinsend. „Weise Entscheidung! Ich habe an der Rezeption gesehen, die verleihen hier auch Fahrräder. Nach dem langen Flug könnte etwas Bewegung nicht schaden.“
„Ich bin zwar jahrelang nicht mehr gefahren, aber das verlernt man ja nicht. Aber …“ Ich rieb mir den Hintern. „… hoffentlich können wir morgen dann noch sitzen.“
„Wieso sollten wir das nicht können? Wir fahren ja nicht unter erschwerten Bedingungen!“ Er lachte mich an und ließ das Handtuch fallen, um in eine 3/4-Jeans zu steigen.
Ich angelte mir meine Bermuda, wollte dann aber doch nicht auf Unterkleidung verzichten. „Was sind denn erschwerte Bedingung beim Radfahren?“
„Schieb dir einen Plug oder Liebeskugeln hinten rein und fahr 20 Meilen!“ Er grinste diabolisch, als er in sein himmelblaues Shirt schlüpfte. „Du saftest wie eine überreife Pflaume und hast das Gefühl, von mindestens zwei Typen hintereinander wild durchgerammelt worden zu sein. Je nach Strecke kriegst du einen Analorgasmus nach dem anderen.“
„Du machst doch jetzt Witze, oder?“ Ich schaute ihn ungläubig an.
Sein Grinsen wurde breiter. „Du erinnerst dich an unser erstes Zusammentreffen? Als ich mit den Ben-Wa-Bällen in mir bei euch aufgetaucht bin?“
„Aber selbstverfreilich!“ Wie konnte ich mein erstes Sandwich vergessen?
Der Chinese zwinkerte mir zu. „Du musst nicht unbedingt mit dem Rad fahren! Ein Ritt mit der Metro reicht durchaus auch, um Spaß im Hintern zu haben!“
„Du bist mir einer! Aber nur gut, dass du die Bälle nicht mit hast.“ Ich schüttelte mit dem Kopf.
„Wer sagt denn das? Schau mal in meine Kulturtasche!“ Er grinste immer noch. „Außerdem habe ich, für einsame Nächte, auch noch einen Plug mit. Wenn du willst, wir könnten …“
Wollte ich? Eine anale Stimulation ohne eine zweite Person in mir würde mir sicherlich nicht als Fremdgehen ausgelegt werden können. Ich zierte mich, aber meine Neugier wurde stärker. „Dann müsste ich allerdings noch einmal ins Bad und …“
„Beeil dich, ich war vor der Dusche auf dem Klo! Willst du die Kugeln oder das Gummiteil?“ Er lachte.
Ich überlegte kurz, stieg wieder aus der Bermuda. „Ich nehme die Kugeln.“
Als ich nach ein paar Minuten wieder aus dem Bad kam, war mir zwar etwas mulmig zumute, aber ich hatte Ja gesagt, also musste ich jetzt da durch. Lee stand mit heruntergelassener Hose am Schreibtisch und streckte mir schon sein ansehnliches Hinterteil entgegen. „Hast du Gel dabei?“
„Habe ich!“ Schon kniete ich hinter ihm, zog seine Backen auseinander, ließ aber meine Zunge erst die speichelnden Vorarbeiten vollbringen. Lee stöhnte wohlig, reckte sich mir noch mehr entgegen. Wenn ich jetzt weitermachen würde, ich würde für nicht garantieren können, also stoppte ich mein Tun, griff mir die Tube und gönnte seinem Eingang und dem Gummiteil eine reichliche Portion der gelartigen Masse. Mit leichten Drehbewegungen führte ich den schwarzen Pfropfen in den Chinesen ein. Der Eisenbahner grunzte zufrieden, als das Teil ganz in ihm verschwunden war.
Lee drehte sich zu mir um, sein Mast war voll ausgefahren und sonderte einen Lustfaden nach dem anderen ab. Ich leckte kurz über seine Kuppe, aber mehr durfte ich nicht, er entzog sich mir. „So, mein Lieber, jetzt bist du an der Reihe.“
Wir tauschten die Plätze, leider bekam ich den Waschlappen des Eisenbahners kaum zu spüren, er verlegte sich sofort auf die chemischen Hilfsmittel. Die ersten Kugeln drangen relativ leicht und schnell ein, das Gefühl ließ Klein-Gordon anschwellen, nur beim letzten Ball, der einen Durchmesser von knapp zwei Inch hatte, gab es leichte Schwierigkeiten. Lee zog die Kugeln in Gänze heraus, was mich mehr als geil Aufjaulen ließ, und dehnte mich dann erst mit zwei, dann mit drei Fingern vor. Dann wurden alle Kugeln erneut versenkt, auch die unterste Kugel fand, nachdem ich mein rechtes Bein auf dem Stuhl abgestellt hatte, ihren Weg in mein Loch.
Als ich wieder auf beiden Füßen stand, musste ich erst einmal tief durchatmen. Die Metallkugeln in meinem Inneren hatten doch eine Wirkung, mit der ich vorher nicht gerechnet hatte; ich war mehr als ausgefüllt. „Ich bin gespannt, wie lange ich das aushalte!“
„Keine Angst, falls es dir zu viel wird, werden wir einfach an der nächsten Bar anhalten, du gehst auf Klo und ziehst die Dinger wieder raus!“ Lee grinste.
Mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, ich hatte doch die falsche Wahl getroffen. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich bei Lee damals ja Schwierigkeiten, die Dinger wieder ans Tageslicht zu befördern. Ich ging die ersten Schritte wie auf Eiern, dann aber ich ging wie auf Wolken. „Dann lass uns mal los, allerdings sollten wir uns vorher noch was anziehen.“
Auf Unterhosen verzichtete ich und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur Leihstation. Ich ging nicht, ich schwebte regelrecht. Wie würde das erst auf dem Rad werden? Der Eisenbahnexperte hatte vorgeschlagen, am Pazifik entlang in Richtung Malibu zu fahren, dort irgendwo zu Abend zu essen und dann wieder zurück: Er sprach von einer Gesamtstrecke von 20 oder 30 Meilen. Was meinte er? Das könnte man einem Anfänger wie mir gerade noch zumuten. Danke!
Allerdings, nach einem Blick auf die Preistafel, schüttelten wir beide den Kopf: Für mehr als zwei Stunden sollte die Leihgebühr 25 $ Dollar pro Rad betragen; soviel war uns der Spaß dann doch nicht wert. Wir disponierten kurzerhand um und mit dem Bus ging es dann nach Downtown Santa Monica, der Rückmarsch sollte per pedes erfolgen. Zwar würden wir auf die Surf City USA verzichten müssen, aber Stars und Sternchen kann man ja auch in New York treffen.
Es war Viertel vor Fünf als wir, nach über 20 Minuten in städtischen Bussen, am Pacific Park, einem Vergnügungsareal am Santa Monica Pier ankamen. Eigentlich bin ich ja ein Freund von solchen Spaßstätten, aber erstens hatten wir nur zwei Stunden, bis der Park schließen würde, und zweitens, viel wichtiger, ich wusste nicht, wie wir in unserem gefüllten Zustand Achterbahn, Autoscooter und andere Fahrgeschäfte heil überstehen sollten. Wir schlenderten daher nur mit der Masse mit.
Im Gegensatz zu anderen Parks muss man keinen Gesamteintritt zahlen, man kann, wie auf einer Kirmes, die Attraktionen auch einzeln – gegen Entgelt versteht sich – nutzen. Wir entschieden uns unisono für eine ruhige Fahrt mit dem 26 Meter hohen Riesenrad, eigentlich keine große Höhe, auch die Lage am Meer ist nichts Besonderes, aber der Antrieb ist einzigartig in der Welt: Solartechnik treibt das Teil an. Das alte Riesenrad wurde bei eBay für einen guten Zweck versteigert und steht nun in Oklahoma City.
Nach dem Genuss des weiten Ausblicks auf den Pazifik und West Los Angeles ging es auf den eigentlichen Pier, den langen und schmalen Municipal Pier, der, 1909 eröffnet, eigentlich nur dazu diente, Abwasserrohre hinter die Brandung zu führen. Wir schauten den Anglern etwas beim Fischen zu, traten dann aber, nach einem Blick auf die Uhr, es war fast Sechs, den Rückweg an. Zwar waren es nur knapp fünf Meilen, aber die wollten auch erst einmal bewältigt werden.
Nach einem Drittel des Weges, wir waren knapp eine halbe Stunde unterwegs gewesen, dirigierte mich Lee zum Waterfront Cafe. Eigentlich hätten wir auch jedes andere Lokal zwecks Rast aufsuchen können, aber, nach einem Blick auf das Gebäude, wusste ich, warum der Eisenbahner gerade dieses Etablissement ausgesucht hatte: Reklame von Erdinger und Bitburger war auf dem Sonnenschutz zu sehen, es gab sogar deutsches Bier vom Fass.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Dann machen wir also eine Bierpause! Auch gut!“
Wir setzten uns auf die Terrasse, genossen den Ausblick und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein. Während ich ein Bit orderte, wollte Lee das Erdinger Dunkel probieren. Ich warnte ihn zwar, aber nach dem Zuprosten und den ersten Schlucken blickte er mich mit ziemlich verändertem Gesichtsausdruck an. „Schmeckt deutsches Bier immer so … komisch?“
„Du hast dir ein Weizen bestellt, da ist der Hefeanteil ziemlich hoch und es schmeckt vollmundiger.“ Ich lachte. „Aber keine Angst, nach zwei oder drei Gläsern hast du dich daran gewöhnt.“
„Ein zweites Glas muss ich echt nicht haben, wenn ich ehrlich sein soll. Aber ich werde mal kurz verschwinden, ich hätte mich doch vorher spülen sollen. Es drückt etwas.“ Verlegen stand er auf.
„Tue dir keinen Zwang an!“ Ich grinste, als ich den großen Fleck in seinem Schritt sah. „Aber wenn zu den Örtlichkeiten gehst, sagt doch bitte der Bedienung, sie soll mir noch ein Pilz bringen.“
„Kein Thema, Chef! Werde ich machen.“ Mein chinesischer Experte entfernte sich.
Ich lehnte mich zurück, beobachtete das Treiben auf der Straße. Es war eigentlich nichts Besonderes, es war der übliche Trubel der Eitelkeiten auf einer Promenade, die seit Jahrzehnten der Kurzweil ihrer Besucher dient. Ich versank in meinen Gedanken, schaltete mein Gehirn auf Leerlauf, erfreute mich an der abendlichen Sonne, die an diesem Frühlingstag ihre Strahlen vom Himmel schickte.
Ich versuchte, an zu entspannen, aber so recht wollte mir das nicht gelingen. Auch wenn ich meine Augenlieder geschlossen hatte, ich war doch aufnahmefähig. Vom Nachbartisch hörte ich deutsche Töne. Das Paar am Nebentisch, ein Mann und eine Frau, stritten sich darüber, ob der Taxifahrer, der sie ihr hergebracht hatte, nun zu viel verlangt hatte oder nicht. Ich schmunzelte innerlich: Taxifahrer in aller Welt nutzen die Ortsunkenntnis ihrer Fahrgäste zur Erhöhung ihres Salärs aus.
Ich ging auf den Nebentisch zu und sprach das Paar auf Deutsch an. „Entschuldigung, aber ich habe ihr Gespräch mitgehört, darf ich fragen, was sie bezahlt haben?“
Der Frau verschlug es wohl die Worte, in ihrer Muttersprache angesprochen zu werden, sie schaute mich nur verdattert an. Der Mann an ihrer Seite, vermutlich ihr Gatte, war schlagfertiger. „38 Dollar!“
„Das waren mindestens zehn über dem normalen Preis.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Von LAX nach Venice Beach kostet 25 oder 26 Dollar auf dem direkten Weg. Wenn sie mehr bezahlt haben, hat der Taxifahrer sie betrogen! Darf ich fragen, was Sie hier machen?“
Der alte Mann lächelte. „Das habe ich mir auch schon gedacht, dass wir über den Leisten gezogen wurden, aber das buche ich als kleine Besichtigungstour ab. Es bringt aber nichts, wenn ich mich jetzt darüber aufrege: Die Taxifahrer in Köln sind nicht besser!“
„Wenn ich meine Verwandten besuche, lande ich normalerweise in Düsseldorf oder Frankfurt. Meine Schwiegereltern wohnen in der Nähe von Hamburg und Freunde von mir leben in Bayern.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Köln kenne ich leider nicht.“
Der Mann, ich schätzte ihn auf Anfang bis Mitte 60, lachte. „Ich bin zwar Lokalpatriot, aber Köln ist noch lange keine Weltstadt, auch wenn man es gerne sein möchte. Zu einer richtigen Metropole gehören mehr als eine Million Einwohner. Woher können sie so gut Deutsch?“
„Familie! Mein Vater ist Deutscher und meine Mutter mehr als zur Hälfte.“ Ich lachte das Pärchen an. „Ihr Vater kam aus Westfalen und meine Granny ist das Kind deutscher Einwanderer; bei uns daheim wird nur Deutsch gesprochen.“
Der Mann mit den grünen Augen grinste. „Aha, also familiär vorbelastet! Aber, um ihre erste Frage zu beantworten, wir haben hier einen unfreiwilligen Stopp-Over, unsere Anschlussmaschine hatte einen Triebwerkschaden, deshalb sitzen wir hier erst einmal fest. Wir sind eigentlich auf dem Weg nach Tahiti, um dort eine Südseekreuzfahrt für das nächste oder übernächste Jahr zu planen, mindestens 200 Passagiere. Ich kann nur hoffen, dass die Typen von der Reederei auf uns warten.“
„Sie sind in der Tourismusbranche?“ Ich rieb mir die Nase.
Der Mann nickte. „Stimmt, spezialisiert auf Individualtourist, aber ab und an auch besondere Reisen wie halt jetzt die Tour durch die Südsee. Und was machen Sie?“
„Ich bin der Assistent meines Vaters und dem gehört eins der größten Touristikunternehmen Neu-Englands, über 100 Reisebüros und mehr als 200 Reisebusse im Liniendienst und für Rundreisen, die wir entweder selbst oder im Auftrag durchführen, hauptsächlich für deutsche Touristen. Vielleicht kann man ja mal zusammenarbeiten.“ Ich holte mein Portemonnaie heraus, reichte ihm meine Karte.
Der etwas dickliche Mann grinste, als der den Karton betrachtete. „Von mir aus gerne! Aber, wenn sie aus New York kommen? Was machen sie dann hier in Kalifornien? Ferien?“
„Urlaub ist ein Fremdwort! Mein Vater will die Zug-Touristik als neues Geschäftsfeld erobern, ich bin auf der Suche nach adäquatem Zugmaterial. Einer der größten Händler von … rooling stock … äh … Eisenbahnwagen sitzt hier in Los Angeles, deshalb bin ich in der Stadt.“ Ich lächelte ihn an.
Mein Gegenüber grübelte. „Ein Bekannter von mir hat einen kompletten TEE erworben, aber er kommt damit auf keinen grünen Zweig. Er will ihn lieber heute als morgen loswerden, vielleicht kann ich vermitteln.“ Er griff in seine Brusttasche und reichte mir seine Karte. „Und mit den Reisen? Wir können es ja mal versuchen!“
Ich las seine Karte ‚Huisgen Touristik GmbH‘, mein Gegenüber hieß Walter mit Vornamen. „Gerne, würde mich freuen, wenn es klappen sollte, sowohl das eine wie auch das andere. Geschäftspartner kann man nie genug haben!“
„Sie sprechen mir aus der Seele!“ Er reichte mir seine Hand, die ich auch ergriff. „Aber wir müssen jetzt, wenn wir wieder pünktlich am Flughafen sein wollen. Hat mich gefreut, sie kennengelernt zu haben. Wir hören voneinander?“
„Aber mit Sicherheit.“ Ich blickte den Zwei hinterher, ehe ich mich wieder auf meinen Platz setzte und etwas wunderte: Die Dame hatte sich mit keinem Wort an dem Gespräch beteiligt.
Lee setzte sich wieder und leerte das dunkle Weizen in einem Zug. „Ich hab mir doch noch ein Glas davon bestellt, vielleicht komme ich ja auf den Geschmack!“
Nach der zweiten Runde brachen wir dann aber doch auf, der größte Teil des Rückwegs lag ja noch vor uns. Wir flachsten, alberten herum und wunderten uns über die teilweise ziemlich skurrilen Typen, welche die Promenade bevölkerten. Nach etwas über einem Kilometer verließen wir den Ocean Front Walk und bogen links in die WIndward Avenue ab.
Der Eisenbahner tippte mir auf die Schulter. „So langsam kriege ich Hunger! Essen wir im Hotel?“
„Nein, da gibt es nur Frühstück, wir müssen auswärts dinieren.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mir soll es egal sein, ob jetzt oder später.“
„Da vorne ist Mao’s Kitchen.“ Er deutete auf das Gebäude auf der anderen Seite der Kreuzung.
Ich sah zwar nur Rundbögen und Werbung für ein Cafe, aber er war der Ortskundige. „Nichts gegen Chinesen, aber, um ehrlich zu sein, mir ist eher nach mexikanischem Essen, wo ich einmal hier bin.“
„Ok, aber dann wenigstens eine Frühlingsrolle auf die Hand, sonst kannst du mich den Rest des Weges tragen.“ Lee klang weinerlich amüsiert.
Ich zog die Augenbrauen nach oben. „Von mir aus, aber du zahlst!“
So gestärkt ging es auf die letzten zwei Meilen. Ich war fix und alle, als wir wieder in unserem Zimmer waren; mir taten nicht nur die Füße weh. „Wie spät ist es eigentlich jetzt in New York?“
„Wir haben es jetzt kurz vor Acht, dann haben wir zu Hause kurz vor Elf.“ Er schmiss seine Schuhe in die Ecke. „Wieso fragst du?
„Weil ich mich bei Jost noch nicht gemeldet habe.“ Warum hatte ich jetzt ein schlechtes Gewissen?
Das himmelblaue Shirt landete auf dem Bett. „Dann wird es aber Zeit!“
Ich griff mir mein Mobilknochen und drückte die Kurzwahltaste, die mich mit der 113.ten Straße im Big Apple verband. Es dauerte einen Moment, aber dann hörte ich die Stimme meines Liebsten, mein Herz machte Freudensprünge. „Lensing!“
„Hier auch! Ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen.“ Schuld lag in meiner Stimme.
Mein Engel grummelte. „Nein, ich hab noch gelesen und auf den Anruf meines Mannes gewartet! Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“
„Lee und ich waren im Vergnügungspark am Santa Monica Pier und sind dann die fünf Meilen zurück zum Hotel geschwebt!“ Ich gluckste wie ein Backfisch.
„Bitte? Was seid ihr? Geschwebt?“ Hörte ich Zweifel in seiner Stimme? „Gordon Henry Lensing! Wie viel Bier hast du schon wieder intus?“
„Nur zwei Gläser auf dem Rückweg. Ehrlich!“ Warum kicherte Lee hinter mir.
Ein Stöhnen war zu vernehmen. „Nach zwei Gläsern schwebst du? Bekommt dir das Wetter nicht?“
„Doch, aber erinnerst du dich an Lees Tampon?“ Ich musste lachen.
In diesem Moment nahm mir der Eisenbahner das Telefon ab. „Jost? Lee hier! Mach mal deinen Rechner an, wir chatten per MSN weiter. Ist günstiger, denn die Geschichte dauert etwas länger.“ Mein Gatte antwortete augenscheinlich, denn mein Assistent nickt nur. „Gut, dann bis gleich.“
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Lee holte seien Laptop, baute ihn auf dem Tisch vor dem Zweiersofa, das in unserem Zimmer stand, auf. Das Notebook war zwar nicht das neuste Produkt aus dem Hause Asus, mindestens zwei Jahre alt, aber es hatte alles, was man brauchte. Während des Hochfahrens verband der Eisenbahner das schwarze Teil mit dem Stromsystem, mehr Kabel waren nicht notwendig, mittels WiFi konnte man ins Internet. Die Kennung gegen den unbefugten Gebrauch dieses Zugangs war auf der Schlüsselkarte unseres Zimmers abgedruckt.
Wie bei Winzigweich üblich, dauerte es etwas, bis das System voll einsatzbereit war. Der Chinese startete MSN, loggte sich an und blickte mich fragend an. „Unter welcher Addy ist Jost online?“
Ich nannte ihm die Adresse meines Gatten, mein Assistent fügte den neuen Kontakt hinzu und, siehe da, mein Schatz war tatsächlich im Netz unterwegs. Die ersten Nachrichten wurden noch schriftlich ausgetauscht, dann aber wurde die Videoverbindung initialisiert und mein Engel erschien in dem Fenster neben dem Chatverlauf.
Er winkte ihn die Kamera, im Hintergrund erkannte ich unser Schlafzimmer. „Hallo Leute!“
„Hallo Schatz!“ Ich hob meine Hand zum Gruß.
Lee tat es mir nach. „Hallo Jost!“
„Schatz! So schlimm siehst du gar nicht aus!“ Er gluckste. „Ich hab dich schon schlimmer gesehen!“
Ich grummelte. „Ich hab doch gesagt, ich bin nicht betrunken.“
„Das sehe ich, denn wenn du es wärst, wärst du anlehnungsbedürftiger, ihr sitzt da wie auf einer Kirchenbank, die Hände brav gefaltet.“ Er lachte. „Aber, ehe ich es vergesse, ein Greg Pennington hat angerufen, ziemlich kryptischer Typ. Ich soll dir sagen, der Engel steht gerade noch im Steinbock, wird wahrscheinlich aber bald in das Nachbarhaus einziehen, und der Baumeister braucht dringend neuen Zement, denn sein Bogen ist wohl auf Sand gebaut. Das sollte ich dir ausrichten. Kannst du mir sagen, was das bedeutet? Ach, er hätte gern den üblichen Handwerkerlohn für die Auskunft.“
Ich grübelte, konnte mit der rätselhaften Botschaft des Finanzbeamten, der ein Ex von mir war, nicht viel anfangen. „Mehr hat er nicht gesagt? Das war alles?“
„Ja, ich hatte es mir extra aufgeschrieben! Was hat ein Engel mit Sternzeichen zu tun? Astrologie und Religion passen doch nicht zusammen.“ Auch mein Gatte wirkte ratlos.
„Ich hab‘s!“ Lee haute sich auf den Oberschenkel. „Jost! Du hast den Weg zur Lösung gefunden!“
„Wie? Kannst du mich bitte aufklären?“ Die Ostküste schien überfragt.
Er rieb sich die Hände. „Tierkreiszeichen! Die westliche Astrologie wird in zwölf Abschnitte eingeteilt, die man auch als Häuser bezeichnet; der Steinbock steht für das zehnte Haus. Seine Nachbarn sind Schütze und Wassermann. Wenn er gerade noch im Steinbock steht, dann wird er wohl eher in das elfte Haus einziehen, denn sonst hätte die Botschaft ja gelautet: Der Engel wäre gerade erst in den Wassermann eingetreten. Und jetzt ersetze Haus durch Kapitel! Was hast du dann?“
„Der Engel steht wohl für Los Angeles und zehn plus eins macht elf, also …“ Ich rieb mir die Augen. „Moment! Chapter 11, das amerikanische Insolvenzrecht! Monad steht kurz vor der Pleite.“
Lee grinste. „Gaynau! Und mach dann mal weiter!“
„Der Bogen? Das dürfte der Gateway Arch in St. Louis sein, also Gateway Rail. Wenn das Fundament auf Sand gebaut ist und die Zement brauchen, dann brauchen sie Eigenkapital, um eine Schieflage zu vermeiden.“ Ich blickte fragend in die Runde.
Jost rieb sich die Nase. „Klingt logisch! Aber was ist mit der Bezahlung des Handwerkers gemeint?“
Ich musste laut lachen. „Der Judaslohn! Die 30 Denare für den Verrat an Jesus entsprachen damals dem Monatslohn eines Handwerkers. Greg arbeitet für die Steuerbehörde, er hat Finanzen verraten, er will also wieder einen Reisegutschein haben!“
„Du bestichst also Beamte!“ Mein Gatte schüttelte grummelnd den Kopf. „Schäm dich!“
„Ich besteche nicht, ich verzichte lediglich auf einen Teil meiner Provision.“ Ich griente in die Kamera.
Mein Gatte hob mahnend den Finger. „Das kommt aufs Gleiche raus! Du schwebst quasi schon mit einem Bein im Knast! Aber apropos Schweben! Wieso seid ihr geschwebt und was sollte das mit Lees Tampon? Das ist ja genauso kryptisch wie die Nachricht von diesem Greg Pennington!“
Mein Assistent erzählte von der Idee mit dem erschwerten Fahrradfahren, um für etwas persönlichen Spaß zu sorgen. Jost kriegte einen Lachanfall, fiel fast vom Bett. Meine Rolle bei dem chinesischen Vortrag beschränkte sich auf gelegentliches Nicken, was sollte ich auch sagen?
Mein Gatte giggelte. „Sagt bloß, ihr habt die Teile immer noch im Arsch?“
„Ja, denn dein Gordon wollte dir unbedingt erst noch ‚Gute Nacht‘ sagen. Hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht früher bei dir gemeldet hat.“ Mein Assistent grinste mich frech an.
Jost schüttelte den Kopf. „Das glaube ich jetzt nicht! Wollt ihr damit etwa auch zum Essen?“
„Du kannst es ruhig glauben! Hier …“ Der Eisenbahner erhob sich, öffnete seine Jeans und ließ seine Hose fallen, hielt seine Apfelbäckchen in die Kamera. Er schaute über die Schulter, vergewisserte sich so, dass auch alles gut zu sehen war. Um das schwarze Ende des Gummipfropfens deutlich sichtbar zu machen, zog er sogar die Backen auseinander und tänzelte dabei vor der Kamera.
Was Jost nicht sehen konnte, war das langsame Erwachen der chinesischen Schlange, aber dem Studenten, der im Schneidersitz auf unserem Bett saß, schien die Show auch so zu gefallen, seine Hand wanderte in Richtung Körpermitte. Seine Finger fuhren um die Konturen des Zauberstabes, die sich deutlich in der Retro abzeichneten.
„Das sieht echt heiß aus! Zieh ihn raus, aber langsam!“ Lag es an der Leitung oder warum klang die Stimme meines Liebsten leicht abgehackt?
Die Hand des Eisenbahners machte sich an dem Teil zu schaffen. „Aber gerne doch!“
Während mein Assistent versuchte, sich von dem Gummiverschluss zu befreien, verschwand Josts Hand unter dem Bund seiner weißen Hilfinger. Entweder war die Tonleitung gestört oder mein Gatte stöhnte tatsächlich. Lee tänzelte immer noch. Sein Gesicht verkrampfte sich, als er zur endgültigen Entfernung des Stöpsels ansetzte. Er sog scharf die Luft ein, um dann befreit aufzuatmen, als er seine Verstopfung endgültig los war. Wie eine Jagdtrophäe hielt er der schwarzen Stopfen erst in die Kamera und zeigte sie dann, mit einem befreienden Lachen, mir. Ob meine Erlösung auch so einfach vonstattengehen würde?
Ich blickte auf den Bildschirm; mein Gatte hatte die Bedeckung seiner Scham heruntergezogen und bearbeitete jetzt offen sein bestes Stück. Was sollte das werden? Plötzlich, wie durch einen Nebel, nahm ich seine Stimme wahr! „Und jetzt befreie meinen Mann … von dem Tampon.“
Was geschah hier? Der Chinese, eben noch darauf bedacht, seinen Hintern möglichst kameragerecht zu präsentieren, stürzte sich auf mich und hantierte am Bund meiner Hose. Als es ihm gelungen war, Gürtel und Reißverschluss zu öffnen, grinste er mich leicht diabolisch an und irgendwie schaffte er es auch, mich hochzuziehen. Es war keine richtige Rangelei, die wir uns da lieferten, eher ein festeres Zupacken, aber, ehe ich mich versah, hatten wir die Plätze getauscht und mein Assistent saß nun auf der Couch, während ich nun meinen Allerwertesten meinem Gatten präsentierte.
Der Eisenbahner nestelte an dem Stoff, meine Beinbekleidung fiel zu Boden. Ich spürte, wie seine rechte Hand durch meine Beine griff, nach dem Faden tastete und daran zog. Der Befreiungsversuch ließ mich aufschreien, der Schmerz, den er durch das Ziehen hervorrief, war doch größer als gedacht. War das die Stimme meines Gatten, die ich da vernahm? „Schmier ihn mit Gleitgel ein!“
Lee krabbelte kurz vom Sofa. Ein Blick auf den Monitor ließ mich Stutzen: Jost hatte sich seines Shirts entledigt und eine Hand spielte mit seinem Stift, die andere mit seiner rechten Brustwarze. Ich wollte gerade etwas sagen, aber da bekam ich einen kleinen Schups von hinten und taumelte einen Schritt nach vorne. Halt fanden meine Hände an der Sofalehne.
Der Chinese musste wohl auf die Knie gegangen sein, denn plötzlich spürte ich, wie meine Backen auseinandergezogen wurden und mir etwas Kühles in meine Spalte geschmiert wurde. Ein Finger, welcher es genau war, kann ich nicht sagen, spielte an meinem Eingang. Um ihn bei seinem Tun zu unterstützen, stützte ich mich von der Couch ab, kam mit meiner Kiste der Extremität, die da in mich eindringen wollte, entgegen.
Ich stöhnte kurz, als die erste Fingerkuppe das geschlossene Portal durchbrochen hatte. Eine große Verschnaufpause wurde mir jedoch nicht gegönnt, das Gegenteil war der Fall. Eine erneute Portion des kühlen Gels für heiße Spiele wurde, diesmal direkt oberhalb des Grotteneingangs, platziert und sofort der weiteren Verarbeitung zugeführt. Lee war nun mit zwei Fingern in mir, ich musste mich an der Wand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Nach einer erneuten Schmierung setzte mein Assistent sein Werk fort. Das Raus und Rein der Finger wurde immer schneller, auch die Drehbewegungen, die er dabei machte, wurden ausladender; mein Atem ging stoßweise. Der Eisenbahner musste wohl etwas um mich herum gerutscht sein, ich spürte seine Zunge plötzlich auf meiner linken Hüfte. Es musste daher seine linke Hand sein, die da an meinem Beutel spielte, die Finger seiner Rechten waren weiterhin mit der Vergrößerung meines Ausgangs beschäftigt.
Wieso hatte Lee seine Stellung gewechselt? Er konnte nun doch nicht mehr genau sehen, was er mit mir machte. Aber die Antwort auf meine Frage kam von der Ostküste, respektive aus den Lautsprechern des Laptops. „Das sieht echt geil aus! Und jetzt zieh die Kugeln raus!“
Es ging also nur darum, dass mein Gatte eine bessere Sicht auf das Geschehen hatte. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte man durchaus der Meinung sein können, dass die Beiden sich irgendwie abgesprochen haben. Als ich keine Finger mehr in mir spürte, hielt ich, in Erwartung des gleich wohl folgenden Schmerzes, die Luft an. Er zog an dem Band, das aus mir heraus hing. Ich biss, so gut ich konnte, die Zähne zusammen, aber es war nicht die Intensität, sondern eher die Dauer der Pein, die mich zusammenzucken ließ. Ich klopfte, wie zum Zeichen der Aufgabe, dreimal an die Wand. Mein Assistent verstand sofort, dass sein Befreiungsversuch, jedenfalls in der bisher durchgeführten Art und Weise, gescheitert war.
Unter Protest der Ostküste nahm er seine alte Position hinter mir wieder ein. Er wollte wohl, zulasten der Sichtbarkeit, den Zugwinkel verbessern. Aber, anstatt eines erneuten Drucks auf das Innere meines Ausgangs, war erst einmal wieder Handarbeit angesagt. Ich atmete tief durch, es machte fast Spaß, wie er mich da bearbeitete. Mich überfiel zwar kein richtiges Gefühl der Geilheit, aber Klein-Gordon schien die Behandlung dann doch zu gefallen.
Der Chinese murmelte etwas, verstehen konnte ich ihn allerdings nicht. Seine Finger waren wieder aus mir verschwunden, hatten sich wohl das Ende des Fadens gegriffen, ich verspürte eine Bewegung in mir. Allerdings war auch dieser zweite Versuch, mich von seinen Bällen zu befreien, nicht von Erfolg gekrönt. Ich war froh um jeden Kubikzentimeter Luft, den ich in meine Lungen aufnehmen konnte, denn ein erneutes Rumpeln erfüllte meine Gedärme.
Lee tippte mir auf den Rücken. „Stell mal bitte ein Bein auf das Sofa.“
„Ok!“ Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. „Sind die Dinger eigentlich immer so hartnäckig?“
Der Eisenbahner lachte. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Normalerweise trage ich sie weder in der Sauna noch laufe ich damit fünf Meilen durch die Gegend.“
„Aber fährst damit mit Fahrrad, oder?“ Hatte er mir vorhin etwa einen Bären aufgebunden?
Mein Assistent nickte. „Natürlich, aber viel länger als zwei Stunden habe ich die normalerweise dann auch nicht in mir. Aber jetzt hebe mal bitte brav das Beinchen.“
Ich tat das, was er von mir wollte. Versuch Nummer Vier erfolgte, aber das Ergebnis war das gleiche wie bei den Vorangegangenen: Fehlschlag! Innerlich war ich ziemlich sauer auf mich, dass ich die falsche Wahl getroffen hatte, aber ändern konnte ich das nun auch nicht mehr.
„Wo ist denn euer Problem?“ Die Stimme meines Gatten klang halbwegs wieder normal.
Lee ließ von mir ab, drehte sich wohl in Richtung Kamera. „Gute Frage! Dein Gatte ist noch zu eng.“
„Brauchst du einen Korkenzieher?“ Jost lachte.
Mein Assistent schien ebenfalls amüsiert zu sein. „Wenn man damit auch Bälle rauskriegen kann: Ja!“
„Dass ihr Yankees so gar keine Fantasie habt!“ Er schüttelte den Kopf. „Lee, du stellst dich breitbeinig vor die Couch und Gordon, du hockst dich vor Lee und stützt dich mit deinem Rücken am Sofa ab.“
„Wie soll das denn gehen?“ Ich war etwas verwundert.
Jost schnappte sich den Laptop und stellte ihn auf dem Boden, auf dem Bild war nun ein Stück des Fußbodens und unser Bett zu sehen. Dann sah man, wie er sich, auf dem Rücken liegend, langsam auf den Teppich gleiten ließ. Am Schluss hing sein Hintern am Bettrand und seine Beine schwebten mehr oder minder in der Luft, während seine Schultern auf dem Fußboden lagen und er sich mit den Händen zusätzlich abstützte. „So geht das! Lee wir über dir stehen und dir Halt geben!“
„Alles klar!“ Ich hatte verstanden und nahm die gewünschte Position ein. Der Eisenbahner grinste und drückte meine Beine erst noch ein Stück nach hinten, als er sich auf seinen Platz stellte. Er griff nach hinten, um dann noch etwas von der zähflüssigen Masse auf meine Grotte zu schmieren. Seinen linken Mittelfinger steckte in der Schlinge, hielt sich nach vorne, während die Finger seiner rechten Hand mich erneut weiteten.
Ich blickte nach oben, dass Bild, das sich mir bot, war geil. Lee stellte sich noch etwas breitbeiniger, zog mich noch einmal ein Stück höher. Die chinesische Schlange wippte im Takt des Ein- und Ausfahrens der Finger. Außerdem wurde sie jetzt auch noch von der linken Hand bearbeitet. Zwar konnte ich nicht mehr viel auf dem Bildschirm erkennen, aber Jost schien sich wieder auf das Bett verzogen zu haben.
Mein Assistent schnappte sich die Schnur und begann, den Faden stramm zu ziehen, der immer noch aus mir hing. Er zog immer stärker, ich saugte scharf die Luft ein und plötzlich war es dann soweit: Die Kugeln schossen in hohem Bogen aus mir, fast hätten sie Lee im Gesicht getroffen. Das Gefühl, endlich wieder von der Verstopfung befreit zu sein, war unbeschreiblich. Ich hätte, wenn ich nicht mit dem Rücken auf dem Fußboden gelegen hätte, Freudensprünge machen können.
Ich wollte mich schon wieder in eine vernünftige Ausgangsposition bringen, um mich zu erheben, als der Eisenbahner sich erneut an meinen Oberschenkeln zu schaffen machte und mich noch näher an sich heranzog. Was hatte er vor? Geschmiert war ich mittlerweile ja genug, drei Finger, diesmal kamen sie von der linken Hand, drangen ohne Probleme in mich ein. Die Rechte des Eisenbahners massierte das wohlproportionierte chinesische Essstäbchen. Der Takt, mit dem er ein- und ausfuhr und sich selbst bearbeitete, wurde schneller. Meine Skepsis, was mein Assistent mit mir machen wollte, wich, langsam aber sicher, dem Gefühl einer aufkommenden Geilheit.
Plötzlich zogen sich seine Finger aus mir zurück, aber lange dauerte die Leere nicht an. Er brachte mich noch einmal in die richtige Position, um mich dann erneut zu füllen. Diesmal waren es jedoch keine Finger, die den Weg in mein innerstes suchten, Lee versenkte seinen Luststab in einem Zug, ich spürte, wie sein Schamhaar meine hinteren Backen kitzelte. Er streckte wieder seine Beine, fuhr aus mir aus, nur um im nächsten Moment wieder zuzustoßen.
Meinem Gatten schien die Show zu gefallen. „Das sieht echt scharf aus. Mach weiter!“
„Aber gerne doch!“ Der Chinese griente mich von oben an und ich spürte wieder seine Schamhaare.
Ich umklammerte Klein-Gordon und begann, selbstständig mit Lockerungsübungen. „Ja! Tiefer!“
„Kannst du kriegen.“ Er gluckste erneut. „Schade, dass du nicht sehen kannst, was dein Gatte macht.“
„Was … was … was macht er denn?“ Sprechen und wichsen in der Lage war nicht gerade einfach.
„Er bearbeitet sich mit einem Dildo! Du wirst es nicht glauben!“ Er lachte und stieß erneut in mich hinein. „Das Teil ist giftgrün!“
Ich hätte das Bild jetzt gerne auf dem Bildschirm gesehen, aber das ging in meiner Position leider nicht. Aber die Gefühle, die Lee mir bescherte, waren auch nicht von schlechten Eltern. Er wurde langsam schneller, meine Lockerungsübungen ebenfalls. Zugegeben, in einer solchen Stellung hatte ich bis jetzt weder aktive noch passive Erfahrungen, aber es machte eindeutig Spaß. Gut, ich würde so, mehr oder minder nur auf den Schultern liegend, keine Orgie durchstehen können, aber mal als kleine Alternative zwischendurch? Echt nicht schlecht, es muss ja nicht immer Doggy sein.
Der Eisenbahner fuhr jetzt in der Geschwindigkeit eines Expresszuges in mir aus und ein, es war einfach nur grandios. Sein Stöhnen wurde immer lauter, heftiger und intensiver. Auch mein Atem ging schneller, ich war ja nicht ganz untätig. Irgendwann hatte ich den Punkt der Lustreise erreicht, der eine Umkehr unmöglich machte. Es würde nicht mehr lange dauern und mein eigener Kessel würde explodieren. Aber bis es soweit war, genoss ich einfach nur die Fahrt in dem Schnellzug der Geilheit, in dem Lee Schaffner, Heizer und Bremser in einer Person war.
Der erste Schub meiner Sahne traf meine Stirn: Kein Wunder, denn die Stellung, in der ich da lag, prädestinierte mein Gesicht geradezu als Zielscheibe. Der zweite Spritzer landete auf meiner Nase, der dritte Klecks verklebte mir mein rechtes Auge, aber noch hatte ich mein Pulver noch nicht ganz verschossen. Nach Kinn, Hals und Brust erreichte ich mit den letzten zwei Eruptionen nur noch meinen Bauchnabel. Ich war fertig.
Der Überdruck im Kessel des Eisenbahners schien ebenfalls ernorm zu sein. Als er seine Beine streckte und sich mir entzog, bedurfte es nur eines Handgriffes und die chinesische Soße kam auch über mich und vermischte sich mit meinem eigenen Saft. Ich war vollgekleistert. Was macht Lee? Er hilft mir auf, setzt sich auf das Sofa, zieht mich dann auf seinen Schoß. Während seine Hände den natürlichen Klebstoff auf meiner Brust verreiben, leckte er mit seiner Zunge über mein Gesicht, um auch dort für eine Vermischung zu sorgen.
Wie durch einen Schleier, mein rechtes Auge war immer noch nicht ganz einsatzfähig, konnte ich nur noch sehen, wie mein Gatte, fast 3.000 Meilen von uns entfernt, sich ebenfalls entlud. Als sich die Welle seiner Eruption gelegt hatte, hatte ich auch wieder die volle Sehkraft erlangt.
Jost grinste frech in die Cam. „Die Show war echt geil! Ich werde jetzt wohl gut pennen und ihr wollt ja noch Essen. Macht aber auch nicht mehr zu lange! Und Schatz?“
„Ja, mein Engel?“ Was wollte mein Gatte?
Er lächelte verschmitzt. „Bei der nächsten Vorführung möchte ich mehr von dir sehen. Dein Schwanz ist zwar toll, aber ein Blick auf dein Gesicht dabei wäre geil gewesen.“
Ich schüttelte nur den Kopf: Männer!
Der Wecker klingelte um 7:00 am, ich war leicht gerädert, als ich mich aus dem Bett schälte. Ich blickte auf meinen Nachbarn, der wohl noch im Reich der Träume weilte. Aber es half nichts, auch er musste geweckt werden. Der Termin in La Miranda war zwar erst in drei Stunden, aber wir mussten uns fertigmachen, frühstücken und dann noch packen und auschecken. Für die Fahrt hatte Lee eine knappe Stunde kalkuliert.
Es ging dann aber doch schneller als gedacht, während ich mich duschte und rasierte, packte der Chinese. Die Wachablösung im Bad verlief schnell und reibungslos, auch ich brauchte nicht lange, um mich anzuziehen und meine Sachen in den Koffer zu verfrachten. Um kurz vor Acht hatte ich bereits die Formalitäten an der Rezeption erledigt und wir konnten zur ersten Nahrungsaufnahme des Tages. Das Frühstück war wirklich seinen Preis wert, ich hätte noch länger sitzen bleiben können, aber wir mussten los, die Pflicht rief.
Ob wir es wollten oder nicht, aber wir mussten am Flughafen vorbei, der Verkehr war entsprechend zäh. Auch auf der Interstate 105 ging es anfangs nicht viel flüssiger voran, erst als wir das Judge Harry Pregerson Interchange, das Autobahnkreuz mit der I-110 war tatsächlich nach einem Richter benannt worden, hinter uns gelassen hatten, wurde es etwas besser. Nach 52 Minuten Fahrt waren wir am Ziel, ich stellte den Wagen auf dem Firmengelände von Monad Railway Equipment ab.
Ich wunderte mich etwas, wir waren in einem ganz normalen Industriegebiet, von Eisenbahnwagen weit und breit keine Spur. Wo waren all die ganzen Wagen, die sie im Angebot hatten? Auch Lee schien überrascht zu sein, zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte meine Zigarette gerade ausgemacht, als ein Herr mittleren Alters, ich schätze ihn auf um die 50, uns auf dem Parkplatz langsam entgegen kam.
„Sie müssen die Herren aus New York sein. Angenehm, Lon Goldenberg, ich bin der Geschäftsführer.“ Er streckte mir die Hand entgegen. „Mister Lensing?“
„Der bin ich und das ist mein Assistent Lee Ang Sung.“ Ich machte den Fehler und reichte ihm meine Finger, der Kerl hatte einen Händedruck wie ein Schraubstock.
Auch mein Mitarbeiter zuckte zusammen, hielt aber tapfer stand. „Hallo.“
„Dann haben wir miteinander telefoniert?“ Der grauhaarige Brillenträger blickte fragend.
Lee nickte, massierte sich die Hand. „Das haben wir!“
„Wundern sie sich nicht, dass sie hier keine Wagen sehen. Unser eigentliches Depot ist in der Nähe von Lenwood im San Bernardino County, drei Meilen westlich von Barstow und knapp 120 Meilen nördlich von hier.“ Er blickte uns entschuldigend an. „Hier ist nur die Verwaltung, aber ich habe drei Waggons herbringen lassen, damit sie sich einen Eindruck verschaffen können. Wir müssen nur kurz in die Macaw Street. Nehmen wir ihren Wagen?“
„Gerne!“ Ich war – zugegeben – etwas überrumpelt. Mit San Bernardino konnte ich etwas anfangen, aber weder Barstow noch Lenwood sagten mir etwas, man kann ja nicht alles kennen. Die Fahrt zu besagtem Abstellgleis dauerte keine fünf Minuten, wir mussten nur einmal kurz über einen dieser Betonkanäle, die früher mal wohl richtige Flussbetten waren. Als wir hielten, sah es nicht viel besser aus, das Gelände war dreckig und staubig; asphaltierter Untergrund, wohin das Auge auch blickte.
Auf dem Gleis standen drei Wagen, die Farbgestaltung war einheitlich in Oliv und Orange. Auch wenn der Schriftzug schon leicht verblasst war, man konnte noch deutlich die Worte ‚Empire Builder‘ im oberen Streifen lesen, der in der Militärfarbe gestrichen war. Was von außen noch relativ gut aussah, glich im Inneren einer mittleren Katastrophe: Im Schlafwagen waren alle Kabinen ausgeschlachtet, im Speisewagen war die Küche ausgebaut und im Großraumwagen konnte man die Sprungfedern der einzelnen Sitze zählen.
Lee, der eher ein Auge auf die technischen Aspekte der Wagen hatte, schien wenig begeistert, sein Gesicht sprach Bände. „Also, ich habe genug gesehen.“
„Ich auch.“ Ich drehte mich zu dem Grauhaarigen um, der am Eingang des Sitzplatzwagens stehen geblieben war. „Wir können die weiteren Details gerne in ihrem Büro besprechen.
Da wir auf der Rückfahrt wohl nicht frei sprechen konnten, nutzten wir die Gelegenheit, als dieser Lon den Zug wieder verschloss, für einen kurzen Kriegsrat. Weder Technik noch Innenausstattung konnten so richtig überzeugen.
Nach dem maximalen Preis gefragt, grübelte der Chinese kurz. „Weniger als Xanterra! Die Wagen müssen ja komplett neu aufgebaut werden. Wenn die alle so aussehen, dann Porst Mahlzeit!“„
Im Büro wurden wir von einer etwas dicklichen Latina mit rot gefärbten Haaren mit Kaffee und Wasser versorgt. Lon Goldenberg setzte sich, mit einer Tasse in der Hand, umständlich an seinen Schreibtisch. „Ich biete ihnen die beiden kompletten Zugmuster des ‚Empire Builder‘ für läppische drei Millionen an, den Speise- und den Aussichtswagen aus dem Jahr 1933 packe ich noch als Beigabe obendrauf. Was halten sie von dem Angebot!“
„Um ehrlich zu sein: Nichts!“ Ich blickte ihn offen an. „Ich kaufe vielleicht ein Buch oder einen Mantel aus dem Katalog, aber keinen kompletten Zug. Hätten sie uns gesagt, die Waggons würden in Alaska stehen, wir hätten uns dort getroffen. So aber muss ich annehmen, dass sie uns die besten Wagen aus ihrem Bestand gezeigt haben. Wenn das aber das Beste war, was sie zu bieten haben, dann …“
Mein Gegenüber schluckte schwer. „Wie meinen sie?“
„So, wie ich es gesagt habe.“ Ich lachte ihn an. „Sie sind Eisenbahnausrüster und ein Bahnausrüster ohne eigenen Bahnanschluss ist … sagen wir mal so … etwas merkwürdig. Gut, die Konzernzentrale von United Airlines hat zwar auch keine eigene Landebahn, aber …“
„Ich glaube, ich muss etwas klarstellen: Monad ist zwar aus einer Waggonbauschmiede entstanden, aber das ist schon lange nicht mehr unser Hauptgeschäft.“ Der Brillenträger fuhr sich durchs Haar. „Wir handeln jetzt fast ausschließlich nur noch mit Ersatzteilen. Gut, ab und an rüsten wir noch Waggons für Film und Fernsehen aus, aber die meisten Studios setzen jetzt lieber auf Computer und gehen zu uns ins Studio und wollen nicht mehr in realer Kulisse drehen.“
In meinem Kopf ratterte es. Für den schnellen Versand von Ersatzteilen war der Standort Los Angeles erheblich besser geeignet als ein Provinznest wie Lenwood. Aber, wenn der ursprüngliche Betrieb dort lag und jetzt kaum oder gar nicht mehr genutzt würde, war ein Grund für die Schieflage der Firma klar: Doppelte Standortkosten! Entweder kam man aus dem alten Pachtvertrag nicht heraus oder fand keinen Käufer für das Gelände.
„Was haben sie denn außer den Wagen des ‚Empire Builder‘ anzubieten?“ Ich wollte ihn locken.
Lon tappte mir in meine Falle. „Einen normalen Wagen, den wir zu einer behindertengerechten Lounge umbauen, einen Schlafwagen der Union Pacific von 1950 und ein Zugrestaurant der Southern Pacific aus dem gleichen Jahr. Aber sie legten ja mehr Wert auf komplette Züge.“
„Das stimmt, aber ich nehme alles, was sie mir bieten können.“ Lee schaute mich an, als ob ich von einem anderen Stern kommen würde, ich jedoch grinste Lon an. „Die zwei alten Zugmuster der Great Northern mit je 12 Waggons, plus die fünf anderen Wagen macht 29 Einheiten. Sie übernehmen den Transport nach New York und ich zahle ihnen 25.000 Dollar inclusive Steuern pro Einheit.“
Der Brillenträger blickte mich erbost an. „Mister Lensing, ihr Angebot ist … ist indiskutabel!“
„Ist es das? Ich brauche einsatzfähige Wagen, ihre muss ich erst komplett renovieren.“ Ich lachte ihn an. „Ausgemusterte Wagen von Amtrac, die weit besser in Schuss sind, kriege ich schon für 20.000. Warum soll ich dann jetzt mehr als das Doppelte für ihren Schrott … äh … ihr Material bezahlen? Wie mir ein kleines Vögelchen zwitscherte, ist Monad so kurz davor …“ Zwischen Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand war kein Zentimeter Luft mehr. „… Gläubigerschutz zu beantragen. Sie wollen oder besser müssen ihr Unternehmen umstrukturieren, dazu gehört wahrscheinlich dann auch die komplette Aufgabe des Waggonbaus. Ich kann warten und später, beim Insolvenzgericht, für weniger als 15.000 zuschlagen. Ihre Entscheidung!“
Dem guten Mister Goldenberg schien es die Sprache verschlagen zu haben, außer Husten kam nichts mehr von ihm. „Und jetzt wünschen wir ihnen noch einen schönen Tag! Bleiben sie sitzen, wir finden den Weg schon selber hinaus. Falls sie mein Angebot doch noch annehmen wollen, dann lassen sie es mich wissen! Meine Erreichbarkeiten haben sie, und jetzt: Schönen Tag noch!“
Als wir wieder im Wagen saßen, blickte mich Lee fast besorgt an. „Verhandelst du immer so scharf? Ich dachte, der Kerl kriegt gleich einen Herzkasper und wir müssten den Notarzt holen.“
„So schlimm war das doch nun auch nicht!“ Ich blickte ihn an und fädelte mich in den Verkehr ein.
Mein Experte ließ nicht locker. „Gut, das Material war zwar nicht das Beste, aber allein der Name hat einen enormen Wert: Der ‚Empire Builder‘ ist ja kein gewöhnlicher Zug.“
„Das mag zwar stimmen, aber du darfst nicht vergessen, wir müssen mit den Zügen Geld verdienen.“ Ich räusperte mich. „Eisenbahnfans mag der Name vielleicht ja etwas sagen, aber dem normalen Touristen? Dem kommt es doch eher darauf an, dass er ein vernünftiges Bett und eine Dusche im Abteil hat. Du musst alte Wagen aufpeppen oder neue Wagen auf alt trimmen, kommt auf das Gleiche raus. Der Reisende muss nur das Feeling haben, in einem alten Zug zu sitzen, das Baujahr ist fast vollkommen egal.“
„Ok, es kommt auf das Ambiente an. Aber meinst du nicht, man würde mit großen Namen nicht mehr Geld verdienen können?“ Er blickte mich fragend an.
Ich schüttelte den Kopf. „Bei Nostalgikern magst du vielleicht recht haben, die würden für eine Nacht im ‚Empire Builder‘ vielleicht 50 $ pro Nase mehr zahlen, aber mit dieser Einstellung wirst du nie schwarze Zahlen schreiben.“
„Und warum nicht?“ Mein Experte wollte es wohl genau wissen.
Ich fuhr wieder auf die Schnellstraße auf, ehe ich antworte. „Bei den Zügen ist es wie mit Bussen und Flugzeugen, die bringen nur dann Geld, wenn sie unterwegs sind. Ein Amerikaner zahlt, weil er mit dem ‚American Orientexpress‘ reist, einem Europäer ist es jedoch egal, ob er in einem Wagen des ‚California Zephyr‘ sitzt oder mit dem Hiawatha durch die Gegend fährt; ihm kommt es nur auf die Einheitlichkeit des Zuges an.“
Der Verkehr wurde wieder dichter. „Nehmen wir mal den ‚Empire Builder‘: Für unsere Rundreisen brauche ich von diesem Zug hauptsächlich die Schlaf- und Aufenthaltswagen, ich benötige weder die alten Post- noch die Menge an Sitzplatzwagen. Aber aus diesen Wagen kann ich einen Restaurantzug machen. Wie du merkst, habe ich meine Hausaufgaben gemacht!“
Der Eisenbahner lachte. „Stimmt! Aber um Dinnerfahrten auf Long Island zu machen, brauchst du erst einmal einen Zug. Was machst du, wenn du kein Material kriegst?“
„Rollendes Material gibt es genug, nötigenfalls dehnen wir die Suche auf Kanada aus.“ Ich drückte den Knopf für den Tempomat und schaute meinen Beifahrer an. „Die Sache steht und fällt allein mit einer guten Restaurierungsmannschaft.“
„Und wo willst du die hernehmen?“ Die Frage des Chinesen war berechtigt.
Ich grübelte. „Wenn wir uns morgen mit den Typen von Xanterra treffen, sollten wir unsere Ohren offen halten. Die haben zwar nicht viel umgebaut, aber es waren bestimmt keine Heinzelmännchen, die da am Werke waren.“
„Du willst die Leute also abwerben?“ Lee lächelte verschmitzt.
Meine Schultern zuckten. „Nein, ihnen höchstens eine neue Arbeitsgrundlage geben.“
„So kann man das auch nennen!“ Ein Lachen war zu hören. „Aber ich glaube nicht, dass wir in Denver fündig werden, jedenfalls was Renovierungsspezialisten betrifft.“
Meine Stirn legte sich in Falten. „Wieso meinst du?“
„Nun, ich glaube nicht, dass die American Railway Explorer eine eigene Waggonbau-Abteilung unterhalten hat, dafür war die Firma einfach zu klein. Der Muttergesellschaft Xanterra gehört ja auch die Grand Canyon Railway in Arizona.“ Der Mann mit den schwarzen Augen holte Luft. „Entweder kamen die Spezialisten von dort oder über die Beteiligung von Anschutz an der Union Pacific.“
Die erneute Nachfrage hätte ich besser gelassen, denn bis zum Hotel durfte ich Lees Vortrag über das Engagement von Philip Anschutz im Eisenbahnbereich lauschen. Der Milliardär kaufte 1984 die Rio Grande Industries und somit die Rio Grande Railroad. Vier Jahre später übernahm die Rio Grande die Southern Pacific Railroad, um dann 1996 in der Union Pacific aufzugehen. Der medienscheue Mann ist mit 6 % der größte Einzelaktionär der größten Eisenbahngesellschaft der Vereinigten Staaten.
Aufgrund unseres vorzeitigen Aufbruchs bei Monad waren wir eine halbe Stunde zu früh wieder am Hotel und der Tisch, den Greg für das Lunch reserviert hatte, war noch nicht frei. Lee und ich entschlossen uns, einmal das Hotel, das auf drei Seiten von Wasser umgeben war, zu umrunden; etwas Bewegung konnte weder vor dem Essen noch vor dem Flug nach Denver schaden.
Wir hatten gerade den Eingang wieder erreicht, als lautes „Bruderherz!“ über den Parkplatz schallte. Ich drehte mich um und konnte sehen, wie Greg, Hand in Hand mit Melissa, auf uns zukam. Ich stürmte auf ihn zu, ließ ihn allerdings links liegen und herzte erst einmal seine Frau, die wirklich gut aussah, Hawaii schien ihr gut getan zu haben. Nach Mel musste Greg aber die Umarmung über sich ergehen lassen, er ertrug sie tapfer. Der Eisenbahner war mir langsam gefolgt, stand nun schräg hinter mir und beobachtete schmunzelnd, wie ich meinen Bruder die Küsse des gesamten Küchenkabinetts auf die Wangen drückte.
Etwas pikiert drückte er mich weg. „Gordon, das reicht jetzt! Was sollen denn die Leute denken?“
„Welche Leute? Ich sehe hier nur deine wunderhübsche Frau, dich und meinen Assistenten. Da diese Leute mich kennen …“ Ich lachte ihn an, stellte Lee aber noch persönlich vor. Nach dem allgemeinen Händeschütteln ging es in das Waterfront Restaurant, der Tisch war jetzt frei.
Die Mittagskarte war wirklich nicht reichhaltig, aber für den kleinen Hunger reichte es. Während wir Männer uns an flachen Pizzen, ich hatte BBQ Chicken, labten und dazu Wein oder Bier tranken, hatte Mel sich einen glutenfreien Gesundheitssalat und Mineralwasser bestellt. Ich beobachtete meine neue Schwägerin von der Seite, wie sie sich ein- oder zweimal über den Bauch strich. Die Gespräche bei Tisch drehten sich um die Hochzeitsreise und die Fortschritte bei Dads Eisenbahnprojekt.
Die beiden Jungvermählten schwärmten von den Inseln, es wäre einfach nur herrlich gewesen. Man hätte eigentlich zwei Wochen länger bleiben müssen, um alles zu sehen. Die Planungsabteilung von Lensing hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet: Von Oahu, dem Versammlungsplatz der alten Hawaiianer und heutigen Hauptstadt des Bundesstaates, gab es Ausflüge zur ‚Freundlichen Insel‘ Molokai (mit vierstündiger Besichtigung der alten Leprakolonie), zur ‚Großen Insel‘ Hawaii, Namensgeber des Archipels und Austragungsort des Ironman Hawaii, und zur ‚Talinsel‘ Maui, die den Namen eines polynesischen Halbgottes trägt und die zweitgrößte der insgesamt 137 Inseln ist.
Greg berichtete vom „Maui Snow“, ich dachte erst an ein Rauschmittel, aber damit bezeichnet man die Asche von abgebrannten Zuckerrohrfeldern. Das gezielte Abfackeln kurz vor der Ernte ist eine Eigenart des dortigen Zuckerrohranbaus und geht auf einen entlassenen Plantagenarbeiter zurück, der aus lauter Frust über seinen Rauswurf die Felder seines Arbeitgebers angesteckt hatte. Als dieser die Ernte trotzdem einholte, zeigte sich, dass die Ausbeute höher war als üblich.
Seine Frau bekam ganz leuchtende Augen, als sie von der über 54 Brücken führenden Straße nach Hana berichtete. Die ziemlich kurvenreiche Strecke bietet nicht nur grandiose Aussichten über Täler wie Wailua und Waianapanapa oder den Regenwald, durch den man fährt. Besonders die Waikamoi Falls mit ihren idyllischen Badeteichen hätten sie verzaubert, in einer der Wasserstellen hätte man sogar das Wort Begehren buchstabiert und so fast den Rückflug nach Oahu verpasst. Sie gluckste wie ein Schulmädchen, als sie davon berichtete.
„Und was hat ihr in Oahu so unternommen?“ Lee war wohl auch vom Reisefieber angesteckt.
Greg zuckte mit den Schultern. „Das übliche halt: Waikiki, Pearl Harbor, Diamond Head, Hanauma Bay, Kaneohe Bay, Kailua Bay und die North Shore.“
„Aber ich habe noch nie so viele japanische Touristen gesehen wie in Honolulu, als ob da ein Nest gewesen wäre.“ Mel gluckste.
„Schatz! Unseren nächsten Urlaub machen wir direkt auf Maui. Da können wir zwar auch Kanadiern begegnen, aber die sind mir lieber als diese knipsenden Japse!“ Mein Bruder lächelte erst seine Frau an, dann blickte er zu mir. „Meinst du, es war richtig, Monad so schroff zu behandeln? Bei Xanterra hattest du Glück, aber ob dein Weg auch hier …“
„Ich weiß es auch nicht! Aber ich brauche erst einmal vernünftige Handwerker, die die Wagen wieder in Schuss bringen. Unfertige Wagen haben wir schon genug, da brauchen wir die Waggons von Monad nicht auch noch dazu.“ Ich stöhnte.
Greg kratze sich am Kinn „Ich weiß ja nicht, ob es nützlich ist, aber … auf dem Flug haben wir einen Werftbesitzer aus Bridgeport getroffen, der war auf dem Weg zu einem Veteranentreffen.“
„Das Bridgeport in Connecticut?“ Es gibt mehr als eine Stadt mit dem Namen in den US of A.
Mein Bruder nickte. „Genau. Sam hat bisher in Jachten gemacht, Innenausbau und so. Aber bei der Wirtschaftskrise im Moment leidet er aber unter akutem Auftragsmangel.“
„Das wäre ideal!“ Lee strahlte plötzlich.
Ich schaute meinen Assistenten leicht verdutzt an. „Ist da nicht ein kleiner Unterschied?“
„Nein! Ob man nun ein Schiff oder einen Waggon ausstattet, ist fast das Gleiche!“ Er lachte mich an. „Du musst gut und präzise und vor allem auf engstem Raum arbeiten. Wenn er den Innenausbau gemacht hat, ist er eigentlich ideal für unsere Zwecke.“
„Dann werde ich euch seine Adresse heute Abend noch mailen. Aber wir sollten uns so langsam beeilen, wenn ihr den Flieger noch erwischen wollt.“ Greg schaute auf die Uhr.
Wo war die Zeit geblieben? „Aber Aufessen darf ich doch noch, großer Bruder?“
„Gerade noch! Aber Nachtisch gibt es nicht mehr!“ Der junge Ehemann lachte und biss in seine Pizza.
Als wir unsere Plätze in der Boeing 757, die uns nach Denver bringen sollte, eingenommen hatten und auf die Startfreigabe warteten, schaute mich mein Assistent fragend an. „Gordon? Was ist?“
„Nichts!“ Ich schüttelte mich kurz. „Ich muss nur an Mel denken.“
„Was ist mit deiner Schwägerin? Sie scheint ziemlich nett zu sein.“ Der Chinese grinste.
Ich nickte. „Ist sie auch, aber …“
„Aber was?“ Neugier lag in seiner Stimme.
„Ich weiß auch nicht, aber …“ Ich zuckte mit den Schultern. „… ich glaube, sie hat doch etwas mehr mitgebracht als Massen an Urlaubsfotos und tollen Eindrücken. Sie wirkte irgendwie … fraulicher.“
Er stutzte. „Du meinst, sie ist schwanger?“
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Der Flug nach Denver und die dortige Gepäckausgabe verliefen reibungs- und ereignislos. Meinen Gatten rief ich sofort nach der Landung in der Mile High City an, wir waren jetzt zwar eine Zeitzone näher beieinander, aber am Hudson war es schon Viertel vor neun. Zum einen vermisste ich ihn, zum anderen wollte ich mir nicht noch einmal eine Standpauke anhören müssen, ich würde mich nicht melden. Gut, richtig abgekanzelt hatte er mich am Vortag zwar nicht, aber dennoch hatte ich irgendwie leichte Gewissensbisse.
Auch die Taxifahrt zum Hotel, diesmal waren wir im Warwick in der Grant Street untergebracht, konnte man als langweilig bezeichnen. Der Fahrer schaffte die fast 25 Meilen vom Flughafen zum Capitol Hill in weniger als 40 Minuten. Leichte Probleme gab es dann aber doch beim Einchecken; die gebuchte Junior-Suite wäre am Vortag von einem abgehalfterten Country-Star in all ihre Einzelteile zerlegt und damit unbewohnbar geworden. Man bot uns stattdessen einen Deluxe-Room und ein Abendessen auf Kosten des Hauses im hoteleigenen Randolph’s Restaurant an.
Das Randoph’s, mit angeschlossener Bar, die an eine New Yorker Kneipe in den späten 1920er Jahren erinnert, ist eins der besten Restaurants der Metropole und serviert moderne amerikanische Küche mit regionalem Einschlag der Rocky Mountains. Ich hatte eigentlich vor, zum Abendessen wieder in Mary’s Bar und Grill, dem schwulsten Burgerladen der ganzen Rocky Mountains, zu gehen, aber einem geschenkten Gaul und dann auch noch in diesem noblen Ambiente?
Der Abend verlief in ruhigen Bahnen, das Programm am nächsten Tag würde anstrengend genug werden. Nach dem Essen und einem Verdauungsspaziergang um den Block, gut, wir waren noch auf ein oder zwei Bier im Denver Wrangler, machten wir uns gegen Mitternacht bettfertig. Allerdings musste ich die Bettbesteigung etwas verschieben, ich hatte noch meine Mails abgerufen.
Greg hatte sein Versprechen gehalten und mir die Adresse dieses Schiffsrestaurators aus Bridgeport geschickt, den er auf dem Flug nach Hawaii kennengelernt hatte. Ich formulierte eine kurze Anfrage und bat um einen Termin in der nächsten Woche. Spätestens in einem Monat würden die Waggons im Big Apple ihren Stützpunkt haben, bis dahin sollte ich auch spätestens den Renovierungstrupp für die Wagen zusammengestellt haben.
Das Frühstück, dass ebenfalls im Randoph’s serviert wurde, war gut, zwar war die Auswahl nicht so reichhaltig wie in Los Angeles, aber wer braucht auch schon zehn verschiedene Sorten Müslis und vier Arten Stillen Mineralwassers? Ich auf alle Fälle nicht! Bei der zweiten Tasse Kaffee schaute ich meinen Assistenten an, der gerade sein viertes Croissant mit reichlich Ahornsirup beschmierte. „Lee, ich hätte da mal eine Frage.“
„Welche denn?“ Er grinste mich an.
Warum fühlte ich mich plötzlich unwohl? „Es geht um die Zeit, wenn die Planungsphase beendet sein wird und wir den normalen Betrieb aufgenommen haben. Welche Rolle möchtest du dabei spielen?“
„Irgendwann musste diese Frage ja kommen!“ Lee schien sich auf einmal ebenfalls nicht besonders behaglich zu fühlen. „Welche Rolle soll ich denn spielen? An was hattest du gedacht?“
Ich stöhnte, der Ball lag nun wieder in meiner Spielfeldhälfte. „Für den normalen Betrieb bräuchten wir einen Disponenten, mehrere Zugchefs und das übliche Personal für Küche und Service.“
„Und ich soll mir jetzt einen Job aussuchen?“ Er blickte mich Hilfe suchend an.
Ich nickte. „Ich will dich auf alle Fälle behalten!“
„Danke, also …“ Er stöhnte trotzdem. „… solange wir nur mit einem einzigen Zug unterwegs sein werden, habe ich kein Problem, auch die Personalplanung dafür zu übernehmen. Aber bei drei oder mehr Zügen gleichzeitig? Sorry, das ist dann doch eine Nummer zu groß für mich. Ich werde gern dein Zugchef, aber Disponent für den ganzen Betrieb? Da muss ich erst einmal ablehnen.“
„Ich danke dir für deine ehrlichen Worte, mein Lieber. Aber du darfst nicht vergessen, als Disponent hättest du geregelte Arbeitszeiten. Wenn das mit dir und Steven klappt, dann wäre das doch besser, oder?“ Ich schaute ihn intensiv an.
Der Chinese mit den kurzen Haaren rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher. „Das mag vielleicht sein, aber … das mit mir und Steven ist ja noch lange nicht in trockenen Tüchern. Gut, ich mag ihn und er mag mich, aber …“
„Du willst nichts überstürzen?“ Auch ich gönnte mir auch noch ein Croissant.
Lee wischte sich den Mund ab. „So kann man das sagen! Wir bräuchten eine größere Wohnung und die komplette Einrichtung, denn weder Steven noch ich verfügen über den notwendigen Hausrat. Ich habe mein Appartement möbliert gemietet und Steven wohnt in Delaware auch nur zur Untermiete. Und da man als Zugchef ja auch an den Trinkgeldern beteiligt ist, ist das sicherlich in den nächsten Jahren besser für mein Konto.“
„Du solltest die Entscheidung aber nicht vom Geld abhängig machen.“ Ich biss in den gebutterten Blätterteig. „Über ein Darlehen kann man reden, du willst ja kein Haus im Grünen kaufen.“
„Das zwar nicht, aber … ich fühle mich einfach noch nicht so weit, die Verantwortung für den ganzen Zugbetrieb zu übernehmen. Gib mir drei oder vier Jahre als Zugchef, dann kann man über andere Tätigkeit nachdenken.“ Sein Blick hatte etwas Flehendes.
Ich nickte. „Alles klar, aber du suchst die neuen Leute mit mir aus und bildest sie auch aus!“
„Das kann ich gerne machen!“ Lachend griff er sich das nächste Croissant.
Der weitere Morgen begann mit einer kleinen Überraschung: Dirk Bach alias William Royal, holte uns nach dem Frühstück und Auschecken mit dem gleichen Van wie vor Wochen ab; die Fahrt nach Fort Lupton glich diesmal keiner Verkaufsveranstaltung, Lee und der dickliche Mitarbeiter von Xanterra unterhielten sich ziemlich angeregt über die Reste des alten American Oriental Express. Auch bei der anschließenden Besichtigung hielt ich mich zurück, ich ließ die Zwei weiter fachsimpeln und ohne mich durch die Hallen laufen.
Meine Aufmerksamkeit erregte ein ganz in Gelb gestrichener Wagen, der beim letzten Mal noch nicht in diesen heiligen Hallen stand. Da Lensing Travel mittlerweile der Mieter war, wollte ich schon wissen, welches Gefährt da zusätzlich stand. Ich hatte kaum meine Hand gerade an die Waggontüre gelegt, als mich jemand von hinten ziemlich barsch ansprach. „Ey! Was machen sie da? Das ist mein Wagen! Das ist Privatbesitz!“
„Sorry, aber …“ Ich drehte mich um und sah einen ziemlich bulligen Typen, offenes Cowboyhemd, die letzten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, Vollbart. Ich schätzte mein Gegenüber auf Ende 50, Anfang 60. „… ich bin Gordon Lensing, der neue Eigentümer der Wagen.“
„Und ich bin ihr Nachtwächter!“ Der Kerl lachte mich hämisch an.
Ich stutzte. „Nachtwächter?“
„Nachtwächter! Aufpasser! Nennen sie es, wie sie wollen.“ Er rieb sich den Bart und reichte mir dann seine Hand. „Mein Name ist übrigens Lester P. Cherridan.“
„Ich wusste noch gar nicht, dass ich einen Nachtwächter angestellt habe!“ Ich blickte ihn immer noch ziemlich irritiert an.
Er schüttelte seinen Kopf. „Haben sie auch nicht, es ist eher … das hier sind meine Babys!“
„Ihre Babys?“ Meine Augenbrauen gingen nach oben.
Er ging an mir vorbei, öffnete die Tür und blickte mich an. „Kaffee?“
„Gerne!“ Ich folgte dem bulligen Typen in sein Reich.
Es war wohl ein ehemaliger Gepäckwagen, in dem ich da stand, viele Fenster hatte er jedenfalls nicht; jetzt diente er als Behausung auf Schienen. Gut, Gemütlichkeit und Komfort sehen für mich etwas anders aus, aber es war ausreichend, wenn man nicht so viel Wert auf ein behagliches Heim legt. Er deutete auf eine Sitzreihe, hantierte an der Kaffeemaschine und reichte mir eine Tasse des ziemlich schwarzen Gebräus.
Er setzte sich mir gegenüber. „Der Orientexpress sollte eigentlich mein letztes Projekt werden. Nach über 35 Jahren im Waggonbau wollte ich mich endlich zur Ruhe setzen, aber die Typen …“
„Die von Xanterra?“ Ich wurde neugierig.
Er nickte. „Nachdem die die Wagen verkauft hatten, fuhren die hier die Sicherheitsmaßnahmen derart nach unten, das ging überhaupt nicht! Auch wenn die Gegend hier ziemlich beschaulich und ruhig aussieht, es treibt sich doch viel Gesindel rum. Aber ich hätte von vorneherein wissen müssen, dass hier was oberfaul ist!“
„Und was ist … faul?“ Sollte der Vertrag doch noch einen Haken haben?
Er zuckte mit den Schultern. „Na alles hier war Lug und Trug! Wir haben hier nur mit sechs oder acht Mann an den Wagen gearbeitet, eigentlich hätte man mehr als 80 Männer gebraucht, wenn man es in einem Jahr hätte schaffen wollen.“
„So etwas dachte ich mir auch schon.“ Ich blickte ihn an. „Und wieso sind sie dann noch hier?“
„Ein Cherridan erfüllt seinen Auftrag! Wie gesagt, diese Renovierung sollte eigentlich die Krönung meines beruflichen Lebens werden, aber … daraus wird ja jetzt nichts! Man schickt mich jetzt in den vorzeitigen Ruhestand! Aber die Typen von Xanterra haben bei meinen Papieren geschlampt und, da sie keine andere Arbeit mehr für mich hatten, hat man mich kurzerhand zum Nachtwächter gemacht, aber so kann ich wenigstens noch für eine vernünftige Übergabe der Wagen sorgen. Mein Beruf war mein Leben, meine Frau ist vor 20 Jahren mit einem dahergelaufenen Trucker durchgebrannt.“ Er blickte mich leicht verlegen an, seine Stimme war belegt. „Willkommen in meinem rollenden Heim, dass bald auf das Abstellgleis des Lebens rollen wird, um dann endgültig stillgelegt zu werden.“
Ich war leicht erschrocken, aber mir kam ein Gedanke. „Und was würde Lester P. Cherridan davon halten, sein Werk doch noch zu vollenden?“
„Wie meinen sie das?“ Verwunderung lag in seinem Blick.
Ich grinste ihn an. „So, wie ich es gesagt habe: Wir haben leider noch nicht die passenden Experten für die Renovierung des Zuges gefunden, stehen aber in Verhandlungen mit einem Jachtbauer, der sich auf Schiffsrestaurierungen spezialisiert hat. Aber mir fehlt noch ein Bauleiter!“
„Für den Innenausbau ist das fast kein Problem, eine Kabine ist eine Kabine, egal ob auf der Schiene oder auf dem Wasser.“ Er grinste mich leicht an. „Aber Experten für Eisenbahntechnik brauchen sie doch schon noch. Wenn die mit einem Wagen fertig sind, dann kann der Innenausbau starten.“
„Wenn sie mir welche nennen können, wäre ich ihnen sehr verbunden.“ Ich versuchte ein Lächeln. „Aber ich brauche diese Mannschaft nicht nur kurzfristig für die Wagen hier, es geht um mindestens die doppelte Anzahl. Lensing will ja eines Tages mehr als nur Rundreisen und Dinnerfahrten anbieten. Außerdem … in ganz Neu-England gibt es keine professionellen Zugrenovierer, deshalb wollen wir auch da tätig werden.“
Er fuhr sich durch die nicht vorhandenen Harre. „Wenn das so ist, dann … hätte ich vielleicht …“
„Was?“ Meine Ohren wurden spitz.
Er lachte. „Mein Sohn und meine beiden Neffen sind bei der Instandsetzung der Union Pacific, aber die wollen da weg, das Betriebsklima stimmt schon lange nicht mehr. Die Büroheinis aus der Hauptverwaltung in Omaha wollen jetzt bestimmen, wie man einen Wagen zu reparieren hat, als ob die mehr Ahnung hätten als der Mann im Blaumann vor Ort.“
„Ich mische mich in so etwas nicht ein, denn Technik ist nicht mein Metier! Ich erwarte von meinem technischen Leiter aber, dass er mir vor Beginn der Arbeiten eine genaue Kostenschätzung erstellt und mich informiert, wenn die Kosten nach oben hin abweichen.“ Ich trank einen Schluck des mittlerweile lauigen Gebräus. „Aber ich bin in der Hinsicht wie mein Vater: Ich verlasse mich lieber auf den Rat eines Praktikers als auf den eines Theoretikers, auch wenn der eine Universität von innen gesehen hat!“
„Wie darf man das verstehen?“ Er wirkte neugierig.
Ich stellte die Tasse wieder ab. „Was nützt mir eine billige Lösung vom Reisbrett, wenn sie technisch nicht umsetzbar ist oder immense Folgekosten nach sich zieht? Der Praktiker weiß jedoch, wie er was machen muss, um an das gleiche Ziel zu kommen. Da wir aber nicht nur kurzfristig mit den Waggons Geld verdienen wollen, geht Sicherheit vor Komfort, aber das kennen sie ja.“
„Die Wagen, an denen ich Hand angelegt habe, hatten nie einen Unfall! Gut, der übliche Verschleiß, aber mehr? Mehr ist in den ganzen Jahren nicht passiert.“ Man hörte den Stolz in seiner Stimme.
„Lensing Cross Country ist jedoch nicht wie Union Pacific, wir sind klein und wollen erst noch den Markt erobern.“ Ich blickte ihm direkt in die Augen. „Wenn sie den Job als technischer Leiter übernehmen, sind sie sowohl für die Renovierung als auch für die Einsatzfähigkeit der ganzen Flotte in den nächsten Jahren verantwortlich. Ich sage aber gleich: Viel kann ich ihnen zu Anfang nicht zahlen, aber … wenn sie den Job trotzdem haben wollen, sie können ihn haben.“
„Sie bieten mir also den Job des Wagenmeisters an? Ich dachte, der Chinese, der jetzt mit dem Typen von Xanterra durch die Halle läuft und die Wagen begutachtet, ist ihr Mann dafür.“ Das Erstaunen war in sein Gesicht geschrieben.
Ich schüttelte den Kopf. „Lee ist im Moment zwar mein technischer Berater, aber, wenn wir in ein paar Monaten den eigentlichen Betrieb aufnehmen, wird er andere Aufgaben haben. Und? Kann ich mit ihnen rechnen?“
„Wenn sie mich nach New York umziehen, dann …“ Lester Cherridan grinste mich frech an.
Ich lachte. „Wenn es mehr nicht ist! Die Waggons werden doch eh überführt; wir hängen ihren Wagen einfach an den Zug an und, falls sie mehr Platz brauchen? Die meisten Wagen sind doch eh ausgeschlachtet und stehen leer. Das Transportproblem wäre also gelöst!“
„Die Idee hätte von mir sein können! Ich sehe, sie sind auch ein Praktiker.“ Der bullige Mann mit dem Vollbart lachte und streckte mir seine Hand entgegen, wir waren uns also einig. „Ich wollte schon immer mal mit meinem Waggon an die Ostküste, aber … wir brauchen noch einen Platz für die anderen Jungs.“
„Auch das ist kein großes Problem: Wir haben zwar keine Werkswohnungen, aber wir sind gerne bei der Suche nach passenden Wohnraum behilflich.“ Wozu hatte Eric denn seine Immobilien?
Der bullige Waggonbauer machte ein zufriedenes Gesicht. „Wenn jetzt noch das Gehalt stimmt, dann kann die Sache steigen.“
Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über weitere Details, bis mein Mobilteil die äußerst angeregte Diskussion störte. Es war Lee, der sich fragte, wo ich abgeblieben wäre, da er mich in der Halle nicht mehr finden könne; man wäre soweit durch und wollte jetzt die Rückfahrt antreten. Ich erbat mir noch einen Augenblick.
Als ich mich von Lester, wir hatten seinen Wagen mittlerweile verlassen, verabschiedete, beäugte uns der dickliche Mann von Xanterra etwas argwöhnisch, sagte aber nichts. Mein Assistent hatte auch Fragezeichen in den Augen, als ich dem Pferdeschwanzträger, der erst einmal weiterhin den Nachtwächter für uns spielen sollte, jovial auf die Schulter klopfte und ihm viel Spaß bei seinem weiteren Schaffen hier in den Hallen wünschte.
Als wir wieder im Van saßen, wandte ich mich an die amerikanische Ausgabe von Dirk Bach. „Wir müssten noch einmal kurz zur hiesigen Filiale der Bank of Colorado.“
„Darf man nach dem Warum fragen?“ Mister Royal grummelte leicht; hatte er etwa Hunger?
Ich nickte. „Wie ich von dem Nachtwächter erfahren habe, gehört der Bank das Gebäude. Da wir in ihren Vertrag eingestiegen und jetzt Mieter sind, wollte ich einmal kurz Hallo sagen und einfach mal fragen, ob wir nicht einige der Geräte und Maschinen, die noch vorhanden sind, käuflich erwerben können. Wir müssen unsere eigene Werkstatt ja auch ausrüsten.“
„Ich glaube zwar nicht, dass man ihre Frage dort sofort beantworten kann, aber …“ Er blickte auf seine Uhr. „… aber wir liegen gut in der Zeit, das Treffen in Greenwood ist für 3:00pm angesetzt.“
Wenn Banker etwas verdienen können, verzichten sie gerne auch mal auf ihre Mittagspause. Zwar schaute man mich erst etwas befremdlich an, als ich meinen Wunsch äußerte, aber die Filialleitung, eine vollschlanke Dame mittleren Alters, war ziemlich kundenfreundlich orientiert und hatte das Wertgutachten sofort griffbereit. Projekte dieser Größenordnung waren in der Kleinstadt wohl nicht an der Tagesordnung.
Während sie das Elaborat durch den zweiten Mann in der Filiale kopieren ließ, mehr Personal hatte die kleine Filiale nicht, meinte sie bei einem erstklassigen Espresso, den man selbst im Big Apple nicht an jeder Ecke findet, dass man jetzt schon seit zweieinhalb Jahre nach einem Käufer für das ganze Areal suchte. Man hätte zwar die komplette Inneneinrichtung, soweit wie möglich, bereits einer Verwertung zugeführt, aber der bisher einzig ernsthafte Interessent hätte jedoch verlangt, dass die Hallen komplett leer übergeben würden.
Als ich – mehr aus Spaß – meinte, für den symbolischen Kaufpreis von einem Dollar würde ich ihr die Hallen „besenrein“ übergeben, grübelte sie kurz und meinte dann mit einem Lächeln auf den Lippen, sie würde den Vorschlag an die Regionaldirektion weiterleiten. Nach der langen Suche könnte man auch ungewöhnlichere Wege gehen. Bis jetzt wäre alles in der Halle nur totes, nicht zu verwertendes Material. Hatte ich mir da gerade ein Eigentor geschossen?
Zum Mittagessen ging es nach Downtown Denver, fast zum Hotel zurück, der Avenue Grill in der East 17th Avenue wäre eigentlich ein Geheimtipp, wie uns der dickliche Bill hinter vorgehaltener Hand mitteilte. Er hatte recht, das Essen war wirklich vorzüglich, die Preise im Vergleich zum Big Apple ziemlich moderat. Zwar erinnerten Einrichtung und Ambiente eher an die 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts und man kam sich auch irgendwie an die Küste San Franciscos versetzt vor, aber das tat dem Genuss keinerlei Abbruch.
Nach der Nahrungsaufnahme ging es zu Claudia Roovingham in die Zentrale von Xanterra nach Greenwood Village; die American Railway Explorer Incorporated wurde inzwischen abgewickelt, die Muttergesellschaft hatte das Ruder wieder übernommen. Mir sollte es egal sein, in wessen Namen die Akteure auf der anderen Seite des Tisches agierten, es waren eh nur noch ein paar Kleinigkeiten zu regeln, die eigentlichen Verträge waren ja schon längst unter Dach und Fach.
Die ehemalige Abteilungsleiterin trug diesmal ein Brombeerfarbenes Kostüm, sie wirkte irgendwie frischer als bei unserem ersten Zusammentreffen. Die erste halbe Stunde in der fünften Etage des Bürokomplexes konnte man als Geplänkel bezeichnen, die letzten Unklarheiten wurden beseitigt. Doch dann glich die Zusammenkunft einer Verkaufsveranstaltung der billigen Art, zwar ging es auch diesmal nicht um Rheumadecken, man versuchte stattdessen, uns Betten in den noblen Herbergen von Xanterra in den Nationalparks anzudrehen, in denen sie das Beherbergungsmonopol hatten. Der Großteil der Touristen dieser Landschaftsschutzgebiete jedoch bevorzugt das Kampieren in freier Natur, entweder urig im Zelt oder gemütlich im beheizbaren Caravan, oder man nimmt sich billige Unterkünfte außerhalb der eigentlichen Nationalparks.
Irgendwann wurde es mir zu bunt. „Liebe Claudia, ich glaube Lensing Cross Country ist der falsche Ansprechpartner für sie. Ich werde die Unterlagen aber gerne an die Planungsabteilung von Lensing Travel weiterleiten, denn wir haben den Zug ja gekauft, um von Hotels unabhängiger zu sein.“
„Das ist mir klar, aber …“ Sie wirkte leicht verlegen. „… aber wir dachten an eine Art Nationalpark-Hopping, das sie anbieten könnten. Unsere Resorts sind ja nicht nur in den Rocky Mountains und von Williamsburg in Virginia im Osten zum Death Valley in Kalifornien im Westen braucht der Zug mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Tage. Wenn sie das Programm ausbauen, könnten sogar vier oder fünf Übernachtungen daraus werden.“
Von daher wehte also der Wind. „Ich glaube nicht, dass es einen großen Markt für so eine Art Reisen gibt. Aber … sie bringen mich auf eine andere Idee.“
„Welche?“ Ihre Augen wurden größer.
Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Ich werde unseren Partnern in Europa folgende Reise vorschlagen: von New York zum Grand Canyon mit dem Zug, dort zwei Tage Aufenthalt. Der Zug fährt leer nach Los Angeles und holt neue Gäste. Die kommen zum Ressort, die Zimmer werden getauscht, die neue Gruppe besucht den Park, während die alte Truppe nach LA fährt und da in den Flieger steigt. Dann kommt der Zug zurück, lädt die Passagiere ein und es geht wieder zur Ostküste.“
„Nur vier Übernachtungen? Ist das nicht etwas wenig?“ Raffgier ließ grüßen.
Ich zuckte mit den Schultern. „Um ehrlich zu sein, ihre Idee mit dem Hopping ist nicht gerade der Bringer. Die einzigen Parks, die man Europäern gemeinsam verkaufen könnte, wären Yellowstone und der Grand Canyon, aber das ist bahntechnisch nicht machbar, auch wenn man auf die BNSF und ihre Güterstrecken ausweicht.“ Ich blickte zu Lee, der bestätigend nickte. „Touristen im Allgemeinen und Europäer im Besonderen wollen auf Rundreisen etwas sehen. Sind sie mit dem Bus unterwegs, ist es klar, dass sie zum Übernachten in ein Hotel müssen. Aber wie soll ich diesen Leuten erklären, dass sie ein Ressort müssen, wenn sie eine Kabine in einem Schlafwagen haben? Das macht alles, aber keinen wirklichen Sinn!“
Die Dame von Xanterra atmete tief durch. „Bis auf den Grand Canyon können wir also nicht ins Geschäft kommen?“
„Sorry, aber bei einer Zugrundreise kann ich einen zweitägigen Aufenthalt in einem Nationalpark als den Höhepunkt verkaufen, das wird mir jeder abnehmen. Aber mehr?“ Ich schüttelte den Kopf. „Und mehr als zwei Leerfahrten können sie nicht von mir verlangen, es sei denn, sie chartern den Zug! Dann ist es mir egal, mit wie vielen Personen er besetzt ist. Sie wissen ja, nur mit einem vollen Bus … äh … ich meinte natürlich Zug, kann man Geld verdienen.“
„Ich glaube, dann bringt das hier nicht mehr viel! Mister Lensing, ich wünsche ihnen und ihrem Assistenten einen angenehmen Heimflug. Will, begleitest du unsere Gäste bitte zum Flughafen?“ Das brombeerfarbene Kostüm erhob sich und warf mir einen grimmigen Blick zu. Wieso hatte ich den Eindruck, dass sie über das Ende des Gesprächs nicht gerade erfreut war?
Wir reichten uns dennoch zum Abschied die Hände. Das Treffen war beendet und der amerikanische Dirk Bach geleitete uns zum Van. Die Fahrt verlief zunächst schweigend, dann aber wurde er auf einmal etwas redseliger. „Das war es dann wohl mit der lieben Claudia und ihren hochtrabenden Plänen bei Xanterra!“
„Wieso?“ Ich stutzte.
Er blickte mich verschwörerisch an. „Bis zu einer gewissen Position kann man sich …“
„Hochschlafen?“ Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.
Der dickliche Mann lachte verlegen. „Ich hätte zwar eher den Begriff des Einschmeichelns gebraucht, aber … man kann es auch so bezeichnen! Meine bald wohl ehemalige Vorgesetzte mag ja eine Menge Wissen an der Uni gesammelt haben, aber sie stand nie hinter dem Produkt, dass sie vermarkten sollte. Sie ist ziemlich dilettantisch an die Sache mit dem alten Oriental Express herangegangen.“
„Was haben sie eigentlich vor dem Projekt gemacht?“ Mein Assistent war ja auch noch da.
Der dicke Mann drehte sich zu ihm. „Ich war Zugdisponent bei der Grand Canyon Railway in Williams, Arizona. Als vor anderthalb Jahren die Idee mit dem Zug aufkam und Xanterra, die uns 2008 gekauft haben, Fachleute für das Projekt suchte, hatte ich mich beworben und bekam die Stelle.“
„Und was werden sie jetzt machen, wo das Konzept beerdigt worden ist?“ Lee war wirklich neugierig.
Die Dirk-Bach-Imitation zuckte mit den Schultern. „Mein alter Job ist mittlerweile zwar anderweitig besetzt worden, aber ich bin ja – Gott sei Dank – nur für zwei Jahre ausgeliehen worden. Nötigenfalls bleiben meine Frau und ich in Denver, auch wenn sie die Stadt nicht besonders mag, aber unser kleines Nesthäkchen ist hier vor ein paar Monaten eingeschult worden.“
„Und was würde ihre Frau zu New York sagen?“ Ich grinste ihn an.
Seine Augen wurden größer. „Wie soll ich das verstehen?“
„Lensing kennt sich zwar mit Bussen ziemlich gut aus, aber mit Zügen haben wir es bis jetzt noch nicht so.“ Ich lachte ihn an. „Wir bräuchten daher einen erfahrenen Disponenten, der die Abteilung mit aufbaut. Das wäre eine ziemlich langfristige Angelegenheit.“
„Sie wollen mich also abwerben?“ Ungläubig blickte er mich an.
Ich schüttelte lachend den Kopf. „Nein! Abwerben kann ich nur einen aktiven Disponenten, sie aber sind im Moment nur Mitarbeiter eines gescheiterten Projektes. Loten sie ihre Zukunft aus, reden sie mit ihren Chefs und vor allem mit ihrer Frau, dann sehen wir weiter.“
Der Rest der Fahrt verlief in angenehmer und harmonischer Atmosphäre, es wurde viel gelacht und gescherzt. Den ersten Eindruck, den ich vor Wochen von William Royal gewonnen hatte, er präsentierte sich ja als gestriegelter Verkäufer, musste ich revidieren, die amerikanische Ausgabe von Dirk Bach war doch ein ziemlich netter und umgänglicher Typ.
Aufgrund der Tatsache, dass das Gespräch bei Xanterra ein vorzeitiges Ende gefunden hatte, hatten Lee und ich genügend Zeit, uns in der Lounge von United Airlines behaglich zu tummeln. Da auf dem abendlichen Flug nach St. Louis – auch in der ersten Klasse – kein Abendessen serviert wird, mussten wir unseren aufkeimenden Hunger am bereitgestellten Buffet stillen. Es war reichhaltig und gut, aber ich hatte ein kleines Problem mit der Größe: Anstatt normalen Sandwiches gab es nur Häppchen, die noch nicht einmal die Hälfte einer Zigarettenschachtel hätten bedecken können. Ist es da ein Wunder, dass man sich gleich fünf oder sechs dieser Happen auf den Teller legt, anstatt nur eines vernünftig belegten und normalgroßen Baguettes?
Der Lambert-St. Louis International Airport, 1920 von einem gewissen Albert Bond Lambert auf dem Gelände eines Ballon-Startplatzes erbaut, hatte, wie die Stadt selbst, schon erheblich bessere Zeiten gesehen. Einst Heimatbasis der TWA, verlor er nach der Übernahme der Gesellschaft, die einmal dem legendäre Howard Hughes gehört hatte, durch American Airlines in der letzten Dekade fast 20 Millionen Passagiere.
Dank der so vorhandenen Überkapazitäten brauchten wir nach der Landung keine 20 Minuten, um mit unserem Gepäck das Terminal zu verlassen, es war 9:45 pm und leicht bewölkt. Auf der Fahrt zum Hotel versuchte ich meinen vermissten Gatten zu kontaktieren, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. Ich wollte schon einen bösen Spruch nach dem Verbleib meines Liebsten auf das Band sprechen, da fiel mir ein, wir hatten ja Mittwoch, das übliche Essen mit Chester und Jonathan stand auf der Agenda. So hinterließ ich nur einen kurzen, aber lieben Gruß.
Die Stadt am Lauf des Mississippi war einst als Handelsposten von französischen Händlern gegründet worden und entwickelte sich im Lauf der Zeit zum Startpunkt vieler Expeditionen und von noch mehr Siedlern gen Westen; nicht umsonst schmückt man sich heute noch mit dem Beinamen Gateway City. Es ist fast ein Witz der Geschichte, der Gastgeber der Olympischen Spiele von 1904, hat heute weniger Einwohner als 1880. Viele der verlassenen Hausgrundstücke wurden in kleine Grünflächen umgewandelt, so dass sich die Stadt heute rühmen kann, über tausend Parks zu verfügen; auch ein Weg, mit dem Bevölkerungsschwund umzugehen.
Dass die Ansiedlung durch ihre geografische Lage ein Verkehrsknoten ist, kann man überall sehen, so viele Hochstraßen und Eisenbahnschienen sieht man in kaum einer anderen Stadt in den US of A. Vom Wohnraum unserer Junior-Suite im Sheraton an der Spruce Street aus sah man auf Gleisanlagen und die Interstate 64. Glaubt man dem Hotelprospekt, führte nur ein paar Blocks entfernt von dem ehemaligen Warenhaus, dass heute das Hotel beherbergte, die legendäre Route 66 vorbei.
Der einzige Nachteil an der Herberge war das absolute Rauchverbot, man kann es auch übertreiben. Lee machte, um mir den Nikotinnachschub zu ermöglichen, den Vorschlag, zu dem nur eine Meile entfernten Gateaway Arch zu sparzieren. Ein Besuch in der Szene des Städtchens hätte mindestens die dreifache Wegstrecke bedeutet und schied, in Ermangelung eines eigenen Transportmittels, aus. Zwar war es schon ziemlich dämmerig und auch die Wolken am Himmel waren mehr geworden, aber ich nahm die Einladung gerne an; umgezogen in Räuberzivil machten wir uns auf den Weg.
Das unterirdische Besucherzentrum hatte zwar schon längst geschlossen und auch das Aussichtsdeck des mit 192 Metern höchste Nationalmonument der Vereinigten Staaten war nicht mehr zugänglich, aber das war eher zweitrangig: Der aus rostfreien Stahldreiecken zusammengesetzte Bogen ist auch so monumental genug, um Eindruck zu schinden. Wir hatten, nach erfolgter Besichtigungstour, den Ausgang des Parks erreicht, als die ersten Tropfen vom Himmel fielen. Mit Regen hatte ich wirklich nicht gerechnet, einen Schirm gar nicht im Gepäck.
Auch wenn wir unsere Beine in die Hand nahmen, aber, je näher wir dem Hotel kamen, desto mehr wurden auch die Tropfen vom Himmel, die kurze Zeit später vom Asphalt wieder hochspritzten. Ich hatte ja gehofft, spätestens am Busch Stadium, der Spielstätte der St. Louis Cardinals, ein Taxi zu finden, aber die Hoffnung erwies sich – wie so oft – als trügerisches Weib: Immer, wenn man einen dieser gelben Wagen braucht, findet man kein solches Gefährt. Wir waren nass bis auf die Knochen, als wir endlich die trockene Halle unserer Herberge erreichten.
Lee schüttelte sich wie ein nasser Kater, als wir wieder im Zimmer waren. „Ich glaube, wir sollten ein heißes Bad nehmen; ich habe keine Lust, am Wochenende mit einer Erkältung flach zu liegen.“
„Nicht nur du!“ Ich grinste ihn frech an. „Ich lass dann schon mal das Wasser ein und du holst Bügel.“
„Wozu brauchst du Bügel?“ Er schaute mich verdattert an.
Ich grinste ihn an. „Unsere Klamotten müssen ja irgendwie trocknen.“
„Wozu gibt es hier einen Wäscheservice?“ Die Frage war berechtigt. „Auch wenn dein Leinenhemd wieder trocken werden sollte, mein Lieber, aber willst du es morgen vor dem Anziehen bügeln?“
Ich gab mich geschlagen. „Dann ruf du die Rezeption an, dass sie die Klamotten jetzt noch abholen!“
„Werde ich machen, aber in die heiße Wanne gehen wir trotzdem!“ Lee grinste.
Ich griff mir einen der Wäschebeutel, die im Badezimmer hingen, und begann, meine nasse Wäsche in das Plastik zu befördern. Als ich damit fertig war, griff ich mir eine zweite Tüte, denn den Sachen meines Assistenten sollte ja die gleiche Behandlung widerfahren wie die Meinigen. Ich hatte kaum den Wohnraum der Suite betreten, da kam mir der Chinese auch schon entgegen, seine ebenfalls durchfeuchteten Sachen in der Hand haltend.
Wir waren gerade dabei, seine Tüte zu befüllen, als Billy Joels ‚Pianoman‘ plötzlich den Raum erfüllte. Der Sänger, Pianist und Songschreiber aus der Bronx gehört zu meinen Lieblingsmusikern und sein Stück aus dem Jahr 1973 ist seit Kurzem der Klingelton meines Mobilteils. Ich blickte Lee kurz an, der nickte nur.
Ein Blick auf das Display verriet mir den Anrufer. „Hallo Schatz!“
„Süßer! Wie ist die Lage? Ich hoffe, ich habe euch nicht geweckt.“ Mein Gatte sprach ziemlich leise.
Ich musste grinsen. „Nein, wir sind gerade erst wieder ins Zimmer, zwar nass wie begossene Pudel, aber wir leben noch.“
„Wie? Bei euch regnet es?“ Ist bei einer Entfernung von fast 900 Meilen Luftlinie anderes Wetter nicht normal? „Hier weht nur ein laues Lüftchen, wir haben bei Jonathan fast den ganzen Abend auf der Terrasse gesessen.“
Der Patio des stellvertretenden Dekans in Riverdale lag ziemlich windgeschützt. „Geht es ihm wieder besser? Was gab es denn zum Dinner?“
Jost berichtete kurz vom Essen, ich gab meinem Schatz einen Abriss unseres Tages. Er freute sich mit mir über die Fortschritte, die das Projekt, zumindest in personaltechnischer Sicht, machte. Der Gong ertönte plötzlich. „Wer klingelt denn da bei euch?“
„Das wird der Zimmerservice sein, der unsere nassen Sachen abholt.“ Ich grinste erst, aber dann erstarrte ich vor Schreck, ich hatte das Badezimmer und den Whirlpool vergessen. „Lee, das Wasser!“
„Keine Angst, Chef! Das habe ich schon längst ausgestellt.“ Mein Assistent grinste frech, als er sich zur Tür aufmachte, um unsere Kleidungsbeutel abzugeben.
„Wasser?“ Mein Engel hatte Fragezeichen in der Stimme.
Ich giggelte in den Hörer. „Wir wollen jetzt noch kurz in die Wanne, um wieder warm zu werden. Oder willst du am Wochenende Krankenschwester für mich spielen?“
„Lieber nicht, du bist doch der Dschungeldoktor von uns beiden! Wir treffen uns aber alle mit dem Architekten, der will uns die endgültigen Baupläne vorstellen.“ Jost lachte.
Ich stutzte. „Wo?“
„Auf der Insel natürlich! Wo denn sonst?“ Ich schüttelte innerlich den Kopf, Jost hatte wieder diesen Journalistenton in seiner Stimme: Widerspruch zwecklos!
Man könnte die Pläne ja auch in der Stadt zur Begutachtung vorlegen, aber mir war es letztendlich egal. „Alles klar, dann ist das Wochenende ja auch schon verplant. Fährt Chester?“
„Die beiden fahren Freitagnachmittag schon, Brewster holt uns Samstag mit dem Boot ab.“ Der arme Ian! „Wenn Lee und Steven mitwollen, sie müssten eh bei ihm nächtigen.“
Ich grinste in mich hinein. „Dann werde ich meinen Assistenten gleich mal fragen. Ich kann dir ja morgen Bescheid geben, ob oder ob nicht.“
„Wieso erst morgen? Nimm deinen Laptop mit ins Bad!“ Ein Grummeln war zu vernehmen.
Was sollte das? „Wieso sollte ich?“
„Nicht, dass ihr mir noch Unsinn macht. Aber Lee sollte seinen Schlepptop auch mitnehmen, falls er eine Cam hat.“ Der Student lachte. „Internet werdet ihr ja wohl im Hotel haben, oder? Du machst einfach deinen Compi an und startest MSN. Ich melde mich dann gleich!“
„Schatz? Was hast du vor?“ Wollte er wieder spannen? Aber wozu dann auch Lees mobiler PC?
Mein Schatz gluckste. „Lass dich überraschen. Ich muss erst einmal kurz telefonieren und melde mich dann, wenn ihr in der Wanne sitzt.“
Noch ehe ich eine Antwort geben konnte, hatte mein Gemahl schon aufgelegt, die Leitung war tot. Lee schaute mich zwar ungläubig an, als ich ihm den Wunsch meines Gatten übermittelte, aber er zuckte nur mit den Schultern und fügte sich, wie meine Wenigkeit, in sein Schicksal. Die Technik war relativ schnell aufgebaut und auch einsatzbereit, aber wir fragten uns beide, was mein Engel im Schilde führte.
Wir saßen, kurze Zeit später, in dem warmen und sprudelnden Wasser, die beiden Rechner standen, vor etwaigen Wasserspritzer leicht geschützt, auf der etwas erhöhten Wannenablage. Ein Handtuch lag griffbereit daneben, ich wollte nicht mit nassen Fingern an die Tastatur. Wir waren zwar immer noch nicht schlauer, weshalb ausgerechnet zwei Rechner notwendig waren, aber die Antwort auf unsere Frage würde sicherlich bald kommen.
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Das Blubberbad tat gut, die Blasen sprudelten jedwede Kälte und Anspannung aus dem Körper. Zwar konnten wir nicht planschen wie die Kleinkinder, dazu stand die Elektronik im Weg, aber das tat dem Badespaß keinen großen Abbruch. So lagen wir nun nebeneinander in der sprudelnden Badewanne und starrten auf die Displays, auf denen sich nichts, aber auch absolut gar nichts, tat, abgesehen von den Bildschirmschonern, die das Auge mehr oder minder ablenkten.
Ich fragte mich immer noch, warum wir zwei Rechner benötigten und MSN starten sollten. Es konnte sich also nur um eine Art Videokonferenz handeln, die Jost da geplant hatte, aber das Produkt aus dem Hause Winzigweich war für Konferenzen mit mehr als zwei Teilnehmern nicht geeignet. Hätte mein Engel mich vorher gefragt, wie man Zusammenkünfte dieser Art visualisieren könnte, ich hätte ihm einiges erzählen können, aber dazu war es jetzt zu spät.
Wenn mein Rechner gleich mit New York verbunden sein würde, würde Lees Computer mit … natürlich! Der vierte Mann in der Runde musste also Steven sein. Als ich Lee in meine Spekulationen einweihte, reagierte mein Assistent, als ob er Hummeln im Hintern hätte: Er hampelte hektisch herum. „Meinst du wirklich? Aber er hat doch keine Cam, wir … haben bisher immer nur gechattet.“
„Webcams kann man käuflich erwerben, mein Lieber.“ Ich grinste. „Ich vermute mal, er und Jost haben gestern miteinander telefoniert und mein Gatte hat ihm von der Aktion vom Montag erzählt.“
„Das kann sein.“ Der Eisenbahner neben mir grübelte, sprang aber plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, auf, als sich an meinem Rechner etwas tat: MSN avisierte einen Anruf. Seine Hände waren trocken, so konnte er ohne Probleme für die teure Technik, die Chatanfrage annehmen. Sehen konnte ich aus meinem Blickwinkel nicht viel, aber ich vernahm plötzlich die Stimme meines Gatten, der Chinese hatte wohl sofort auf Videoübertragung geklickt. „Hallo Lee.“
„Hi Jost! Wie ist die Lage?“ Der Eisenbahner ging wieder zurück in seine Ausgangslage.
„Hier ist alles Roger.“ Der angehende Journalist gluckste. „Und bei euch?“
Ich ging mit dem Kopf vor die eingebaute Kamera und lachte meinen Gatten an. „Wir liegen hier brav nebeneinander, die Hände keusch gefaltet, wärmen uns auf und Lee wartet auf seinen Lehrer. Der soll doch wohl auch an der Videoschaltung teilnehmen, oder?“
„Eigentlich sollte er das, aber … Jungs, ich muss euch enttäuschen: Aus der Session wird nichts!“ Die Stimme meines Engels wirkte leicht bedrückt. „Steven hat leichte Probleme mit seinem Rechner.“
„Was ist denn los?“ Lee war überhaupt nicht neugierig.
„Tja, wie soll ich das sagen?“ New York schien nach den passenden Worten zu suchen. „Mister Rossberg ist gerade dabei, sein System neu zu installieren, vom Betriebssystem angefangen.“
Lee machte einen Satz nach vorn. „Warum das denn?“
„Wenn ich Steven richtig verstanden habe, dann hat er sich heute eine Webcam gekauft, allerdings irgendein koreanisches Billigteil zum Sonderpreis und wohl für das falsche Betriebssystem. Er hat sich bei der Installation den kompletten Rechner zerschossen.“ Eine gewisse Häme lag in seiner Stimme.
Mein Nebenmann hatte hörbar Mitleid. „Das ist mehr als Mist!“
„Davon kannst du ausgehen. Aber man soll nicht immer am falschen Ende sparen.“ Ein Lachen drang aus dem eingebauten Lautsprecher. „Aber vielleicht klappt es ja morgen.“
„Wenn ich meinen Lehrer jetzt nicht sehen kann, dann gehe ich ins Bett.“ Lee stieg schmollend aus der Wanne, griff sich ein Handtuch und begann, sich langsam trocken zu rubbeln. Mit dem Frottee um die Hüften schnappte er sich seinen Rechner, wünschte meinem Gatten noch eine gute Nacht und verschwand aus den marmornen Wasserspielen.
Ich blickte ihm kurz nach und beugte mich dann zur Cam. „Dein Plan war gut, mein Engel, er hätte funktionieren können. Aber du entwickelst dich langsam zu einem richtigen Spanner!“
„Ich spanne nicht, ich wollte meinen Engel nur in Aktion sehen.“ Jost giggelte wie ein Kleinkind.
Kopfschüttelnd stöhnte ich in die Kamera. „Wie er mit einem anderen Spaß hat?“
„Lee ist doch kein Fremder, er gehört ja quasi zur Familie. Außerdem …“ Sein Augenaufschlag kam via Cam nicht so gut rüber wie in natura. „… außerdem machst du dich echt gut als Pornostar. Ich hätte die Session vorgestern aufzeichnen sollen.“
„Untersteh dich!“ Mein Grummeln klang – zugegeben – gekünstelt. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, aber dann wurde es mir auch zu kalt im Wasser. Der Abschied von meinem Gatten fiel mir unsagbar schwer, ich vermisste ihn mit jeder Faser meines Herzens.
Die Fahrt über den Mississippi nach East St. Louis, keinem Stadtteil der Gateway City, sondern eine eigenständige Stadt im St. Clair County im Staate Illinois mit ebendiesem Namen, dauerte knapp eine halbe Stunde. Normalerweise würde es schneller gehen, fluchte unser Taxifahrer, aber ein Lkw-Unfall auf der Poplar Street Bridge hätte zu Vollsperrung der Interstate in östlicher Richtung geführt; der gesamte Verkehr musste also auf Eads und die Martin Luther King Bridge ausweichen.
Aber bis auf diesen Verkehrshinweis ließ uns der Mann mit der beginnenden Halbglatze in Ruhe, aus dem Radio drangen gerade die Wirtschaftsnachrichten. Ebay verkündete, dank enormen Zuwächsen in Deutschland und Großbritannien, einen Umsatzanstieg um neun Prozent im ersten Quartal auf 2,2 Milliarden Dollar. Starbucks und Burger King hätten sich verbündet und würden nun ab September gemeinsam gegen McDonald’s und ihre McCafé-Linie in den 7250 US-Restaurants der Fast-Food-Kette auf Kundenfang gehen.
Im Gegensatz zu Monad in Los Angeles war die Gateway Rail Services ein Eisenbahnbetrieb, wie man sich ihn vorstellt: Schienen und Eisenbahnwagen, wohin das Auge auch blickte. Ich war erstaunt, anscheinend waren die Auftragsbücher voll; wieso also die Schieflage, von der mein alter Freund Greg in seiner kryptischen Botschaft gesprochen hatte?
Das Büro, in das man uns führte, diente augenscheinlich wohl auch als Pausen- und Aufenthaltsraum für die Belegschaft, eine kleine Küchenzeile und eine Eckbank waren zu sehen. Hinter einem ziemlich überladenen Schreibtisch saß ein etwas dürrer Mittfünfziger in einem etwas zerschlissenen Anzug, an einem kleinen Nebentisch hatte wohl die Sekretärin ihren Arbeitsplatz. Nancy, wie sie sich später vorstellte, befüllte gerade die Kaffeemaschine.
Der Dürre erhob sich und rückte seine Krawatte zurecht. „Sie müssen die Herren aus New York sein.“
„Sind wir! Ich bin Gordon Lensing und das ist mein Assistent Lee Ang Sung. Dann sind sie Mister Ford?“ Ich reichte Gerald Ford, der Mann hieß tatsächlich wie der ehemalige Präsident, die Hand.
„Genau der bin ich; nehmen sie doch Platz.“ Er deutete auf die zwei Holzstühle, die vor seinem Tisch standen. „Nancy? Ist der Kaffee fertig?“
„Kommt gleich!“ Die leicht rubenshafte Frau kam auf uns zu und begrüßte uns ebenfalls.
Nach dem üblichen Small Talk über Dinge wie Wetter, Verkehr und den ersten Eindrücken hier in St. Louis kamen wir, nach der zweiten Tasse des braunen Getränks, allmählich zum eigentlichen Grund unseres Besuchs. Unter präsidialer Führung ging es über das weitläufige Gelände, neben Nancy hatte sich auch ein junger Schwarzer in Latzhose zu uns gesellt, wohl einer der Mechaniker hier. Jedenfalls fachsimpelten Jeremia, so hieß der muskulöse Typ mit der Nickelbrille, und Lee kurze Zeit später weit jenseits meines technischen Verstandes.
Gerry, wie ich ihn nennen sollte, war nicht der geborene Verkäufer, dazu wirkte er zu unbeholfen. Er war eher der stille Fachmann, der sich nicht gerne in den Vordergrund drängt, und daher meist im Hintergrund stehen bleibt. Er tat mir fast leid, aber mit diesem Verkaufstalent an der Spitze war die Schieflage der Firma leicht zu erklären. Aber auch ein näherer Blick auf die Waggons sprach Bände, die meisten rosteten still und leise vor sich hin. Entweder kam man mit der Aufarbeitung nicht nach, was ich mir bei den Arbeitslosenzahlen in der Gegend eigentlich nicht so richtig vorstellen konnte, oder aber man fand in den Zeiten der Finanzkrise, in der wir lebten, nicht die passenden Abnehmer, die auch zahlungskräftig genug waren, ihrem doch recht teuren Hobby zu frönen.
Auf zwei Abstellgleisen standen die Objekte meiner Begierde, die beiden Zugmuster des Olympian Hiawatha aus dem Jahre 1953, die auf einen Käufer warteten. Hiawatha war ursprünglich der Name des Zuges, der ab 1935 täglich von Chicago zu den ‚Twin Cities‘, eine andere Bezeichnung für die Zwillingsstädte Minneapolis und Saint Paul in Minnesota, fuhr. Bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann insgesamt fünf Züge dieses Namens, unter anderem den Olympian Hiawatha, der von Chicago am Michigansee bis nach Seattle am Pazifischen Ozean seine Gäste transportierte.
Der Name stammt übrigens aus einem Epos von Henry W. Longfellow, einem Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer aus dem 19.ten Jahrhundert mit dem Titel: ‚Das Lied von Hiawatha‘. Ich musste auch erst im Internet googeln, denn das lange Gedicht, das in 22 Abschnitten das Leben des Häuptlings Hiawatha von dessen Kindheit bis hin zu seinem Tod beschreibt, ist längst keine Schullektüre mehr. Kein Wunder, endet das an das finnische Nationalepos Kalevala erinnernde Werk doch mit der Einsicht des ‚Wilden‘, es wäre besser, sich dem ‚Weißen Mann‘ zu unterwerfen.
Dem Gefährt auf Schienen widerfuhr ein ähnliches Schicksal, denn es musste sich der Konkurrenz, die die gleichen Städte, jedoch nur schneller und auch billiger, miteinander verband, schlussendlich 1961 beugen. Daran konnte auch die Tatsache, dass er durch sein ausgefallenes und exotisches Aussehen als einer der originellsten Züge der USA galt, nicht ändern. Was zehn Jahre zuvor noch als das Nonplusultra galt, war, zum Zeitpunkt seiner Einstellung, nur ein alter Zopf, der abgeschnitten werden musste, um nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten.
Ich war in der Zwickmühle, denn durch meinen forschen Auftritt bei Monad in Los Angeles brauchte ich dringend rollendes Material, sollte Lensing Cross Country noch in diesem Jahr an den Start gehen. Diese prekäre Situation, in der ich mich befand, hätte meinem Gegenüber einen unglaublichen Verhandlungsvorteil gebracht, so er denn meine missliche Lage kannte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf mein Glück und mein Verhandlungsgeschick zu vertrauen, aber ich glaubte auch nicht, dass sich die Anbieter von Waggons untereinander absprechen würden.
Am Ende der Besichtigung, wir befanden uns im Schlusswagen ‚Gold Creek‘, dessen halbrundes Ende komplett verglast war und somit eine sehr gute Aussicht auf die Landschaft ermöglicht, blickte mich der präsidiale Namensträger hoffnungsvoll an. „Und? Was halten Sie von dem Zug?“
„Es muss noch viel getan werden, aber man könnte es schaffen.“ Ich blickte kurz zu meinem Assistenten, der aufmunternd nickte. „Aber lassen Sie uns doch die weiteren Einzelheiten beim Essen besprechen, denn so langsam kriege ich wieder Hunger, das Frühstück war nicht so besonders.“
Der dürre Anzugträger machte ein Gesicht, als ob ich ihm ein unmoralisches Angebot gemacht hätte. „Sie wollen mit uns zum Lunch?“
„Genau das will ich, beim Essen in gemütlicher Atmosphäre besprechen sich die Dinge in der Regel leichter.“ Ich schenkte ihm ein Lächeln. „Hier wird es doch sicherlich in der Nähe ein Restaurant geben, indem man sich über Geschäfte unterhalten kann.“
„Wir könnten zu Sally in den Fourth Street Grill, da ist sowieso besser als bei Chang oder Kramdon’s am Broadway.“ Der dunkelhäutige Latzhosenträger war ja auch noch anwesend.
Ich zuckte mit den Schultern. „Sie kennen sicher besser aus, dann gehen wir zu dieser Sally.“
„Sie können ja von hier über die Wiese zur Straße, ich müsse noch einmal kurz ins Büro, um meiner Frau Bescheid zu sagen, dass ich nicht zum Mittagessen komme.“ Gerald Ford wirkte immer noch leicht irritiert. „Ich komme dann mit meinem Wagen und lade sie ein.“
„Genauso machen wie es.“ Lee grinste. „Aber ich werde ihnen folgen, denn ich müsste dringend die Wasserspiele aufsuchen, wenn sie verstehen?“
Jeremia und ich blieben allein zurück. Der Schwarze in der Latzhose lächelte mich verlegen an. „Sie müssen entschuldigen, aber Gerry ist neu in der Position.“
„Wie muss ich das jetzt verstehen?“ Ich hatte Fragezeichen in den Augen.
Mein Gegenüber verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere, die Frage schien ihm unangenehm zu sein, er musterte mich neugierig. „Wir sind ja ein genossenschaftlicher Betrieb und Gerry war immer der Mann im Hintergrund, der Fachmann für die Technik. Erst durch den Rücktritt des Vorsitzenden wurde er der Chef vom Ganzen.“
„Wenn das so ist, dann will ich nichts gesagt haben.“ Ich blickte ihn direkt an. „Wohin müssen wir?“
„Wenn wir nicht über Zäune klettern wollen, müssen wir bis zum Tor da hinten.“ Er deutete in westliche Richtung, ich nickte nur und ließ in vorangehen. Er drehte sich laufend zu mir um.
Während wir schweigend zum Ausgang des Geländes und somit zur Straße gingen, arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren. In den US of A gibt es kein staatlich geregeltes Gesellschaftsrecht, jeder Bundesstaat hat seine eigenen Richtlinien, die teilweise diametral voneinander abweichen können. Die Gateway Rail Services Inc. war also eine ‚incorporated cooperative‘, man kann den Begriff zwar mit einer eingetragenen Genossenschaft übersetzen, aber das trifft es nicht ganz genau.
Als wir den möglichen Treffpunkt erreicht hatten, bot ich dem Mann in der Latzhose, ich schätzte ihn auf Ende 20, eine Zigarette an, die er auch annahm. Wir rauchten und erfuhr ich, dass Jeremia eine Art Vertrauensmann der Angestellten der Genossenschaft war, die sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze machten. Zwar war ich jetzt etwas schlauer, aber den genauen Grund der aktuellen Schieflage eines auf Gegenseitigkeit beruhenden Betriebes kannte ich immer noch nicht. Es musste sich daher wohl um ein internes Problem handeln, von dem die Öffentlichkeit bisher nicht erfahren hatte.
Sally wurde schon in der Bibel erwähnt: Eine lange Dürre wird kommen! Die Frau hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Brigitte Nielsen, der Dänin, aber das nur am Rande bemerkt. Das Essen war eher rustikaler Natur, von gehobener Küche nicht den Hauch einer Spur, aber das sollte mir in dem Falle egal sein. Die angebotenen Burger waren frisch und, zugegeben, sehr gut zubereitet. Wer in eine einfache Frittenschmiede geht, kann halt keine hohe Kochkunst erwarten.
Das Gespräch beim Essen drehte sich, wie könnte es anders auch sein, um die Wagen, die wir kaufen wollten. Der Mann im Anzug blickte mich neugierig an. „Wie wollen sie eigentlich den Hiawatha einsetzen? Sie haben doch schon den alten American Oriental Express gekauft. Reicht das denn nicht als Reisezug für die wenigen amerikanischen Eisenbahnfreunde?“
„Wir planen die Rundreisen eher für den europäischen Markt, also von Küste zu Küste in sieben oder acht Tagen. Aber das soll ja nicht unser einziges Standbein werden, wir wollen die Wagen auch anderweitig nutzen.“ Ich steckte mir ein paar French Fries in den Mund.
Der Latzhosenträger blickte mich fragend an. „Und wie?“
„Ein Beispiel sind Dinner-Fahrten, drei oder vier Stunden mit dem Zug über Long Island, dabei ein Vier- oder Fünf-Gänge-Menü. Es gibt genügend Restaurants in New York, die aus allen Nähten platzen und sich gerne auf diesen Versuch einlassen würden.“ Ich blickte in erstaunte Gesichter. „Wir stellen nur den Zug und kassieren pro Gast 20 Dollar für die Fahrt, den Rest macht der Wirt.“
„Dann wollen sie die Züge auseinandernehmen und neu wieder zusammensetzen?“ Der Präsident schaute mich eher skeptisch an.
Ich nickte. „Bei Rundreisen brauche ich keine Sitzplatzwagen, jedenfalls nicht in der Anzahl. Die kann man zu fahrenden Restaurants umbauen und aus dem Gepäckwagen, der ebenfalls überflüssig ist, mache ich dann die Küche. Außerdem hat die Reduzierung auf zehn Waggons bei diesen Reisen einen enormen Vorteil: Ich kann im Gebirge auf die zweite Lokomotive verzichten.“
„Sie meinen, mit zehn Wagen pro Zug kommen sie aus?“ Zweifel lagen in Gerrys Stimme.
Ich nickte. „Fünf Schlafwagen, vier Einheiten für Aufenthalt und Essen und einen Mannschaftswagen. Es reichen mir 80 bis 100 Gäste pro Zug, denn bei Ausflügen braucht man dann nur zwei Busse und zwei Reiseleiter. Außerdem kriege ich leichter 80 Leute für eine Reise zusammen als 200.“
„Das stimmt zwar, aber …“ Die Latzhose nickte. „… dann kommt es auch öfters zu Absagen.“
„Das soll es ja auch!“ Ich grinste den Nickelbrillenträger frech an.
Der Anzugsträger wirkte nun ganz verwundert. „Sie wollen Gästen wirklich absagen?“
„Ja, denn ich sage einem europäischen Kunden lieber: ‚Sorry, die von dir gewünschte Reise ist bereits ausgebucht, ich kann dir aber einen anderen Termin oder eine andere Tour anbieten.‘, als das ich ihm später mitteilen muss, dass die Reise – mangels Teilnehmer – nicht zustande gekommen ist.“ Ich wischte mir den Mund ab. „Im ersten Fall habe ich diesen Kunden gewonnen, bei einer Absage aber habe ich sein Vertrauen komplett verloren. Europäer sind da halt etwas anders gestrickt.“
Der Chef der Genossenschaft stöhnte. „Wem sagen sie das? Die kommen besser als wir Amerikaner durch die Krise und werden wahrscheinlich auch gestärkt aus ihr hervorgehen.“
„Aber das ist eine Frage der Mentalität, Europäer sind in der Regel keine Spieler, sie sind eher auf Sicherheit bedacht, auch in ihren finanziellen Dingen.“ Ich trank einen Schluck Wasser, auf Bier hatten wir alle verzichtet. „Auch würde kaum eine seriöse Bank in Europa den zukünftigen Wert eines Hauses als Grundlage für eine Immobilienfinanzierung nehmen. Dass diese Blase eines Tages platzen würde, war nur eine Frage der Zeit.“
„Sie meinen also, die Immobilienkrise ist hausgemacht? Ist das nicht eine etwas einseitige Sichtweise, schließlich ist die Wirtschaft global vernetzt.“ Überzeugt klang der Vorsitzenden jedoch nicht.
Ich nickte. „Ja, denn es ist eine Frage, wie wir mit Geld umgehen: Wir zahlen das Meiste nicht mehr bar, sondern nutzen eine Kreditkarte, weil es ja so schön einfach ist. Die Summe ist egal, ob wir nun im Supermarkt für 20 Dollar Lebensmittel kaufen oder eine Stereoanlage für 2.000 Dollar, wir kriegen nur ein Stück Papier mit ein paar Zahlen darauf als Beleg.“
„Das mag ja sein, aber ich frage mich wirklich, was hat die Zahlungsweise mit der Immobilienkrise zu tun haben sollte?“ Die Latzhose schien ebenso verdutzt wie ihr Chef.
Ich atmete tief durch. „Weil die USA den Bezug zum Geld verloren haben. Beispiel: Ich will ein Haus kaufen, gehe zur Bank und sage, ich bräuchte 100.000. Der Banker sagt: ‚Fein, hier sind 125.000, du musst das Haus ja noch einrichten.‘ Ich nehme das Geld, es sind ja nur Zahlen auf dem Papier, ich sehe es nicht, kann es nicht in der Hand halten. Dann muss ich umziehen, weil ich in einem anderen Bundesstaat eine bessere Arbeit gefunden habe. Um nun ohne Schulden aus der Sache wieder rauszukommen, muss ich jemanden finden, der mir das Haus für 125.000 abkauft. Sagen wir, ich habe Glück und finde einen Käufer, aber bei dem macht die Bank das Gleiche, er kriegt auch einen, durch eine Hypothek abgesicherten, Einrichtungskredit von 25.000. Die Bank weiß, dass das Haus nur 100.000 wert ist, beleiht es aber mit 150.000? Das nenne ich eine selbst gemachte Blase!“
Jeremia schaute mich verwundert an. „Von der Warte aus habe ich das Ganze noch nicht betrachtet.“
„Den Letzten in dieser Kette beißen dann die Hunde.“ Ich blickte den Nickelbrillenträger an. „Wenn der nicht mehr zahlen kann, muss er alles zu Geld machen, was er hat; die Bank ist fein raus, obwohl sie eine gewisse Mitschuld trägt. Aber der Käufer war es ja, der das Geld haben wollte, die Bank hat nur das getan, wofür sie auch da ist, nämlich Kredite zu vergeben.“
„Und in diese Falle sind etliche unserer Mitglieder getappt.“ Der dürre Anzugträger legte im Zeitlupentempo die Servierte auf den Tisch und beim anschließenden Kaffee offenbarte der schlaksig wirkende Präsidentennamensträger, dass fast ein Drittel der Genossenschafter ihre Anteile gekündigt hätten. Spätestens bei der Vollversammlung im August müsste man ihnen die Einlage von 10.000 Dollar auszahlen, insgesamt fast eine halbe Million Dollar. Bei der momentanen wirtschaftlichen Lage war das ein schier unmögliches Unterfangen, denn das Kapital war in Form von Werkzeugen und Material gebunden, die finanziellen Reserven längst aufgebraucht.
Greg, mein Freund von der Finanzverwaltung, sollte sich weniger kryptisch ausdrücken: Klartext ist doch immer besser als verklausulierte Formulierungen! Aber was konnte ich in dem Moment tun? Ich hätte zwar die fast unausweichliche Abwicklung der Genossenschaft abwarten können, aber ob ich bei einem Insolvenzverfahren auch das bekommen würde, was ich haben wollte, war mehr als fraglich, einem Gesamtaufkäufer würde Vorrang eingeräumt werden und ich wollte nur die beiden Exemplare des Hiawathas.
So blieb nur eine Möglichkeit, die Genossenschaft zu retten. Aber wie sollte ich dieses Unterfangen bewerkstelligen? Ich kannte weder die Gründungsurkunde von Gateway Rail Services noch hatte ich eine Ahnung vom Genossenschaftsrecht des Staates Illinois; Improvisation war also angesagt.
„Gerald, ich mache ihnen jetzt folgendes Angebot: Lensing Cross Country tritt mit heutigem Datum ihrer Genossenschaft bei, den Scheck können sie sofort kriegen. Als Genosse bekomme ich ja gewisse Vergünstigungen, wenn ich über die Genossenschaft Wagen kaufe oder sie reparieren lassen.“ Ich blickte ihn an, er nickte nur. „Gut, ich will die beiden Muster des Hiawatha, also alle 30 Wagen! Für ein überführungsfähiges Exemplar, egal welcher Art der Wagen ist, zahle ich ihnen 30.000 inklusive Steuern, macht also 900.000 in Gänze.“ Ein erneutes Nicken folgte. „Wenn es ihre Satzung zulässt, übernehme ich die Anteile der ausgeschiedenen Mitglieder oder, falls das nicht geht, gewähre ich der Genossenschaft ein Darlehen zu einem halben Prozent Zinsen pro Jahr.“
„Sie wollen uns retten?“ Eine brüchigere Stimme hatte ich noch nie vernommen.
Ich lächelte ihn an. „Ja, das will ich!“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich bin … Ich werde gleich unseren Anwalt und das Direktorium benachrichtigen.“ Er blickte mich dankbar an. „Ich glaube, wir müssen heute Nachmittag noch einmal zusammenkommen, um das Rechtliche in trockene Tücher zu bringen.“
„Kein Problem, wir sind im Sheraton in der Spruce Street.“ Ich winkte Sally heran. „Das Essen übernehme ich, reden sie jetzt mit ihrem Vorstand.“
Als wir alleine waren, schaute Lee mich mit großen Augen an. „Gordon, ich finde es ja toll, dass du die Genossenschaft retten möchtest, aber … ich frage mich, ob du dich nicht etwas übernimmst?“
„Nein, ich sichere nur meine Interessen ab.“ Die lange Dürre kam mit der Rechnung und den beiden Bieren, die ich noch für uns bestellt hatte. Nach dem Zahlen prostete ich meinem Assistenten zu, der immer noch einen besorgten Eindruck machte. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wirklich nicht; sieh es als Investition in die Zukunft.“
„Du willst 5.000 mehr pro Wagen zahlen als bei Monad und gibst dann noch eine halbe Million Kredit oder willst dafür Anteile kaufen und sagst mir, ich soll mir keine Sorgen machen? Du bist echt gut!“ Der Chinese fuhr sich entnervt durch die Haare.
Ich trank einen Schluck. „Lee, die Waggons hier machten auf mich einen besseren Eindruck als die, die man uns in LA gezeigt hat. Und du vergisst die Psychologie an der ganzen Sache!“
„Klar, die Wagen hier sind in einem weit besseren Zustand, aber was hat das finanzielle Engagement hier mit Seelenkunde zu tun?“ Mein künftiger Zugchef hatte Fragezeichen in den Augen.
Meine Augenbrauen wanderten nach oben. „Viel! Monad will seine Zugsparte sowieso aufgeben, Gateway will Arbeitsplätze erhalten. Hier sind wir der Retter, in Kalifornien nur einfacher Kunde.“
„Du meinst also, wenn wir in Zukunft Hilfe benötigen sollten, man wird uns hier besser behandeln als dort?“ Mein Assistent massierte sich sein Kinn.
Ich nickte. „Meine ich und wir schaffen uns damit ein großes Renommee bei den Eisenbahnfreunden; eine neue Gesellschaft rettet eine alte Genossenschaft! Wir müssten viel Geld für PR-Aktionen in die Hand nehmen, um uns in diesen Kreisen bekannt zu machen, so aber übernimmt die Szene selber die Vermarktung für uns.“
„Tue Gutes und rede darüber.“ Mein Gegenüber lachte verschmitzt. „Auch wenn wir darüber eher andere reden lassen; der Plan ist einfach genial!“
„Sag ich doch! Und ob wir nun Anteilseigner oder Kreditgeber werden, wir schaffen für unsere Firma Aktivposten in der Bilanz, außerdem ist es steuerlich absetzbar.“ Ich leerte meine Flasche.
Zurück im Hotel telefonierte ich erst einmal meinen alten Herren, um ihn über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Ich hatte ihm zwar die eine oder andere E-Mail zukommen lassen, aber eine Antwort hatte ich bisher nicht bekommen. Mein Vater ist halt doch eher der altmodische Typ, der neue Techniken nur dann einführt, wenn sie wirklich unumgänglich sind. Aber das heißt noch lange nicht, dass er sie dann auch persönlich gebraucht.
Der Herr der Busse zeigte sich erst wenig begeistert, meinte, im Fall eines Konkurses würden wir von unserem Geld nichts mehr sehen. Ich konnte ihn jedoch beruhigen, das amerikanische Insolvenzrecht schützt eher die großen Gläubiger als die kleinen Kleinanleger; Dad wollte sich diese Information jedoch erst noch durch unseren Firmenanwalt bestätigen lassen. Nicht, dass er mir nicht traute, es ist nun einmal seine ureigenste Art, seine Geschäfte doppelt und dreifach abzusichern, um sie wirklich wasserdicht zu machen. Dass er dadurch nur unnötig Zeit verliert und der Konkurrenz dadurch einen Vorteil verschafft, scheint ihn keineswegs zu stören. Nur in der Ruhe würde die Kraft liegen, meint er immer. Allzu falsch kann sein Weg, die Dinge zu regeln, jedoch auch nicht sein: Lensing Travel ist ein mehr als gesundes Unternehmen, die Kredite der Firma belaufen sich im unteren sechsstelligen Bereich und sind eher aus steuerrechtlichen Beweggründen aufgenommen worden.
Aber auch er hatte positive Nachrichten für mich: Die Baugenehmigung für das Betriebsgelände sei heute in der Post gewesen, am Montag würde der erste Spatenstich erfolgen. Das Büro des Bürgermeisters wäre schon informiert und die Chefetage der MTA hätte auch ihre Teilnahme zugesagt. Er suchte nur noch einen Caterer für das Event, ich schlug ihm das Casa Pietro vor. Der Mann meiner Mutter wirkte pikiert, als ich ihm den Edelitaliener vorschlug.
„Dad, Pietro hat ab September zwölf Dinnerfahrten geordert, obwohl wir noch keinen einzigen Wagen haben. Wie sagst du immer? Gebe, dann wird dir gegeben?“ Schmalz lag in meiner Stimme.
Mein Produzent grummelte. „Ja gut, aber muss es unbedingt dieses teuere Restaurant sein?“
„Dad, du kannst den Bürgermeister nicht mit Fast Food von McD abfüttern und, wenn du Pietro sagst, er kommt in das Programmheft, wird er dir sowieso einen Sonderpreis machen.“ Ich lachte.
Mein Vater stutzte. „Welches Programmheft?“
„Dad, sag Elisabeth, sie soll die Baugenehmigung einscannen und mir mailen. Ich mach das schon!“ Ich atmete tief durch, Werbung war nicht das Metier meines Produzenten.
Ein Räuspern erfolgte. „Werde ich machen. Dann euch noch viel Erfolg in St. Louis.“
Die nächsten zwei Stunden waren voller Arbeit, Lee und ich werkelten an der Pressemappe für das bevorstehende Ereignis. Zwar waren noch einige Telefonate notwendig, aber die waren schnell erledigt. Noch vor Büroschluss in der Zentrale konnten wir das fertige Elaborat, wir kamen auf zwölf Seiten, nach New York zur Vervielfältigung mailen.
Lee blickte mich fragend an. „Was machen wir nun?“
„Gute Frage, die nächste bitte!“ Ich stöhnte. „Ich hätte jetzt gerne ein Bier und eine Zigarette.“
Mein Assistent lachte mich an. „Ein Bier würde ich jetzt auch nicht stehen lassen, aber bei den Preisen der Zimmerbar? Sorry, ich bin meinem Geld echt nicht böse, aber zehn Dollar für die kleine Flasche halte ich mehr als übertrieben.“
„Ich habe eine Idee!“ Ich grinste meinen chinesischen Freund an. „Wir haben doch gestern Abend diesen kleinen Laden an der Ecke gesehen, wo man auch Spirituosen kaufen konnte.“
„Stimmt, der war auf dem Weg zu Gateway Arch.“ Lee grinste ebenfalls.
Ich schlüpfte in meine Schuhe. „Wir können ja nicht weg, wir müssen ja auch die Entscheidung der Genossenschaft warten. Ich hole uns jetzt ein Sixpack, um die Wartezeit zu überbrücken.“
„Chef! Du hast doch immer die besten Ideen.“ Mein Assistent wollte mir auch mein Sakko reichen, aber darauf verzichtete, bei Außentemperaturen von 70 °Fahrenheit war der Stoff nicht nötig.
Als ich ungefähr 20 Minuten später unser Zimmer wieder betrat, mein Nikotinspiegel war wieder im grünen Bereich, kam mir Lee schon entgegen. Er deutete hinter sich und meinte, wir hätten Besuch. Ein Blick in das Wohnzimmer zeigte mir, dass die Pläne für einen Umtrunk durchkreuzt worden waren: Jeremia hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht.
Er erhob sich, als ich den Raum betrat, und kam mir entgegen. „Hallo Mr. Lensing.“
„Einen Wunderschönen!“ Etwas unentschlossen ging ich an die Minibar und stellte das Mitbringsel in die Kühlung. „Wie mir scheint, gibt es auf eurer Seite eine Entscheidung.“
„Die gibt es!“ Der Neger, mittlerweile nicht mehr in Arbeitskleidung, sondern eher formal angezogen, nickte. „Ich soll sie abholen, man hat die Papiere zur Unterschrift fertig.“
„Können wir gerne, ich springe eben kurz ins Bad. Dann können wir los.“ Ehe er antworten konnte, war ich auch schon in den Wasserspielen verschwunden und machte mich etwas frisch, noch kannte ich ja das Abendprogramm nicht.
Die spätnachmittägliche Zusammenkunft in einem komplett renovierten Salonwagen, der leider nicht zum Hiawatha gehörte, hatte eher förmlichen Charakter: Zum einen wurde Lensing Cross Country offiziell Genossenschaftsmitglied, zum anderen unterschrieb ich sowohl den Kauf- als auch den Kreditvertrag, nachdem ich diesen durchgelesen hatte. Der Anwalt der Genossenschaft, ein ziemlich bedächtig wirkender weißhaariger Hornbrillenträger namens Fred E. Arnold, stand für Fragen, die ich allerdings nicht hatte, bereit und nahm dann lächelnd beide Schecks entgegen.
Der Geldtransfer mittels dieses Stück Papiers ist zwar erheblich aus der Mode gekommen, wird aber immer noch akzeptiert. Gut, es wäre einfacher und auch schneller gewesen, ich hätte das Ganze per Online-Überweisung gemacht, aber die Zeremonie sollte fototechnisch für künftige Generationen festgehalten werden und bei Bildern kommt ein Mensch mit Füller in der Hand besser rüber als ein Mann, der lediglich ein paar Tasten auf einer Tastatur drückt.
Nachdem die Aufnahmen im Kasten waren, ging es zu einem der Exemplare des Hiawatha, der mir durch einen symbolischen Schlüssel übergeben wurde, auch dieses Ereignis wurde für die Nachwelt dokumentiert. Danach ging man zum gemütlichen Teil der Veranstaltung über. Zwar wirkte der Imbiss reichlich improvisiert, neben belegten Sandwiches gab es zu warmen Weißwein, aber das tat der Stimmung keinen Abbruch. Auffällig war nur, dass sich der auf solchen Anlässen sonst übliche Small Talk in Grenzen hielt, die Erleichterung aufseiten der Einheimischen überwog eindeutig.
Nach etwas mehr als anderthalb Stunden in dem Gefährt, die Sandwiches waren mittlerweile vertilgt und man war von Reben- auf Gerstensaft umgestiegen, löste sich die Gesellschaft langsam auf. Jeder ging zu seinem Wagen, nur Lee und ich standen da, wie bestellt und nicht abgeholt.
Ich wollte schon mein Mobilteil zücken, um ein Taxi zu rufen, als Jeremia mir auf die Schulter tippte und meinte, er würde uns auch wieder zurück zum Hotel bringen. Der Schwarze, der sich in dem Anzug, den er jetzt trug, sichtlich unwohl fühlte, hatte uns eh die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen; er war immer genau da, wo Lee und ich auch waren. Entweder hatte er einen Narren an uns gefressen oder, was wahrscheinlicher war, man hatte ihn zu unserer persönlichen Ordonnanz gemacht. „Mister Lensing, da hinten steht mein Wagen.“
„Ich bin Gordon, die Anrede Mister Lensing ist bei uns in der Firma nur meinem Vater vorbehalten.“ Ich lachte den schwarzen Riesen an und reichte ihm meine Hand. „Wenn mich jemand so anspricht, denke ich, mein alter Herr würde neben mir stehen.“
Der Händedruck war herzlich und kräftig zugleich. „Das kenne ich irgendwoher. Sollen wir?“
„Gerne, es wird Zeit, dass ich aus dem Anzug rauskomme.“ Ich grinste.
Lee schaute mich amüsiert an. „Jaja, die Herren von der Geschäftsführung! Von ihren Angestellten immer Krawatte verlangen, aber selber lieber nur im Polohemd rumlaufen wollen.“
„Haha, so ein schlimmer Chef bin ich ja auch wieder nicht. Du darfst dir gleich auch was Bequemeres anziehen.“ Ich lachte meinen chinesischen Zugchef in spe an.
Die Fahrt verlief in ziemlich lockerer Atmosphäre, Lee und ich alberten weiter herum, ab und an machte Jeremia einen trockenen Einwurf, den wir aber geschickt konterten. Kurz vor dem Mississippi ertönte Billy Joels ‚Pianoman‘. Ich griff in die Innentasche meines Sakkos und holte mein Mobilteil raus, auf dem Display war ‚Jost mobil‘ zu lesen. „Hallo Schatz!“
„Engelchen! Ich hoffe, ich störe die Vertragsunterzeichnung nicht.“ Mein Gatte klang leicht nervös.
Ich stutzte. „Alles schon gelaufen, wir sind auf dem Weg ins Hotel. Aber … woher weißt du?“
„Mein Schwiegervater wollte auch mal etwas sagen!“ Jost giggelte. „Er und Gladys waren gerade hier, sie sind jetzt auf dem Weg nach Riverdale zu irgendeiner Hausbesichtigung.“
Also ließ Mum mit ihren Umzugsplänen nicht locker, ich grinste. „Dad kann einem richtig Leid tun. Du hättest ja als Unterstützung mitfahren können.“
„Das hätte ich vielleicht ja auch getan, aber deine Mutter hat uns Spargel mitgebracht, den ich gleich noch schälen werde: Mein Mann soll morgen Abend ja was Gutes zum Essen kriegen.“ Jost giggelte.
Mum hatte immer noch Angst, dass bei uns nichts Vernünftiges auf den Tisch kam. „Spargel?“
„Jepp, Asparagus officinalis, frisch aus Michigan, fast drei Pfund. Die Stangen sind zwar etwas dünn, aber die Spargelsaison hat ja auch gerade erst begonnen.“ Mein Gatte stöhnte.
Ich musste grinsen. „Da will mich wohl jemand scharfmachen, oder?“
„Dazu brauche ich keinen Spargel, mein Engel!“ Der angehende Journalist lachte in den Hörer. „Dazu reicht ein Kuss und ein Griff in deine Kronjuwelen, die ich tierisch vermisse.“
„Ich vermisse dich und deinen Körper auch, mein Schatz. Aber morgen bin ich ja wieder bei dir. Wir sagen alle Termine ab, nur wir beide …“ Ich hauchte einen Kuss in den Hörer, es war nur gut, dass die anderen Insassen des Wagens uns nicht hören konnten.
Jost grummelte. „Dass will ich dir auch geraten haben. Camen wir gleich noch?“
„Kann ich dir noch nicht sagen: Wir wollen jetzt erst einmal ins Hotel, uns umziehen und dann noch was Essen, denn dein Mann hat nämlich großen Hunger und das nicht nur nach dir, mein Hase.“ Die Sandwiches waren wirklich nicht magenfüllend gewesen.
Der Blonde mit den smaragdgrünen Augen hatte wohl auf eine andere Antwort gehofft, man hörte einen leichten Unmut in seiner Stimme. „Wenn es nicht zu spät wird, können wir ja auch später. Aber nicht vergessen: Ich bin ja eine Stunde vor dir und ich bin scharf auf dich!“
„Ich auf dich auch, mein Engel. Sobald morgen die Tür hinter uns zu ist, werde ich dich erst auf der Treppe nehmen, um dann im Schlafzimmer weiterzumachen.“ Regte sich in mir was?
Mein Schatz prustete laut ins Telefon. „Gordon Henry Lensing! Willst du mich etwa zum Telefonsex animieren? Und das in einem Taxi! Ich fass es nicht!“
„Hase, ich bin in keinem Taxi. Jeremia, einer der Mechaniker von hier, bringt uns in die City.“ Ich blickte den schelmisch grinsenden Mann am Steuer an, der gerade die Interstate verließ. „Und Lee ist von uns ganz andere Sachen gewöhnt, aber wir von ihm auch, oder?“
„Du musst es aber nicht übertreiben, du Kraut.“ Ich konnte das Lächeln auf seinen Lippen förmlich spüren. „So, ich widme mich jetzt dem Spargel, morgen wird mir das zu knapp, da hab ich bis vier Uhr Seminar. Ach übrigens: Ich liebe dich!“
„Ich dich auch, mein Schatz!“ Nach einem gehauchten Kuss drückte ich die rote Taste und beendete so das Gespräch, Klein-Gordon brauchte etwas länger, um wieder Normalgröße einzunehmen.
Der Schwarze mit der Nickelbrille blickte hämisch zu mir rüber. „Deine Frau scheint ja ein ziemlich heißer Feger zu sein. Glück für dich!“
„Glücklich bin ich wirklich, aber, um ehrlich zu sein, das am anderen Ende der Leitung …“ Warum wurde mir etwas mulmig? „… war nicht meine Frau!“
Jeremia klopfte lachend auf das Lenkrad und hielt vor dem Hotel. „Na, dann von mir aus auch deine Freundin! Ich wünsch Euch noch einen schönen Abend, vielleicht sieht man sich im August bei der Versammlung? Ist immer ein riesiges Event.“
„Ich denke, da kriege ich eine Einladung.“ Ich stieg aus und klopfte zum Abschied aufs Autodach.
Lee grinste mich an. „Warum hast du ihm nicht gesagt, mit wem du da fast tele-onaniert hast?“
„Wieso sollte ich mich outen?“ Ich blickte meinen Assistenten fragend an. „Jeremia ist zwar ein netter Typ, aber ich muss mit meiner Sexualität doch nicht Hausieren gehen, oder?“
„Stimmt auch wieder.“ Lee zuckte mit den Schultern und wir eilten in den Schlaftempel.
Zwanzig Minuten später standen wir, wieder in bequemerer Zivilkleidung, auf dem Bürgersteig vor dem Hotel und warteten auf ein Taxi, das uns diesmal in die Szene bringen sollte. Lee hatte im Internet einen Nachtklub namens ‚Just John‘ in der Manchester Avenue aufgetan, der sowohl Essen als auch Getränke im Angebot hatte. Zwar hatte ich keine große Lust, selbst an der donnerstäglichen Karaoke-Show teilzunehmen, aber etwas Abwechslung nach den stressigen Tagen konnte wirklich nicht schaden.
Wir hatten den letzten freien Tisch im Patio ergattert und gerade unsere Pizzen bestellt, einmal mit Hühnchen und eine Nacho Tacko, als mein Assistent plötzlich zusammenzuckte und sich grinsend zu mir vorbeugte. „Gordon, dreh dich mal langsam um und schau, wer da an der Bar steht!“
„Wer denn?“ Zugegeben: Neugierig war ich zwar schon, aber ich saß leider mit dem Rücken zu besagter Getränkeausgabestelle.
Lee grinste. „Unser Mechaniker, allerdings auch in Zivil. Das ist er doch, oder?“
„Moment!“ Ich blickte jetzt direkt zum Tresen und rieb mir die Augen. „Das könnte er sein, aber …“
In diesem Moment schreckte auch der muskulöse Nickelbrillenträger an der Theke zusammen, er hatte mich also auch entdeckt. Ich hob grüßend die Hand, er tat das Gleiche. Langsam und mit einem Bier in der Hand kam der dunkelhäutige Mechaniker zu uns an den Tisch, schüttelte den Kopf. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr!“
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„Was verstehst du nicht?“ Ich blickte Jeremia an und deutete auf den freien Stuhl, der an unserem Tisch stand. „Im Sitzen spricht es sich erheblich einfacher.“ Der Nickelbrillenträger, der um die sechs Fuß maß, kam der Aufforderung nach kurzem Zögern nach, rückte sich aber erst einmal umständlich das Sitzmöbel zurecht. Nach dem Setzen blickte ihn fragend an. „Also, was ist nicht klar?“
„Na, dass du hier bist, in einem …“ Der Mechaniker machte eine ausladende Handbewegung durch den Raum, als ob er etwas Aufsehenerregendes zeigen wollte. „… in einem Szeneladen.“
Innerlich schüttelte ich den Kopf. „Und was ist so schlimm daran, dass wir in einem Restaurant der etwas anderen Art essen? Ist das Essen etwa verdorben? Oder ist ‚Something in the Water‘?“
„Nein, aber …“ Ich hasse Kunstpausen. „Was bist du eigentlich?“
Nun verstand ich die Welt nicht mehr. „Was soll ich denn sein?“
„Äh … also …“ Er vorzog sein Gesicht. „Du weißt schon. Als ich bei euch in der Suite war, dachte ich, du bist schwul, zwei Männer in einem Zimmer. Aber dann im Auto, nach dem Telefonat mit deiner Tussi, da wusste ich echt nicht mehr, was ich von dir halten sollte. Bist du bi?“
„Wieso sollte ich das sein?“ Wie kam er bloß auf den Trichter?
Unser Gegenüber räusperte sich leicht verlegen. „Naja, zwei Mann in nur einem Bett? Die können doch nur … Bei Lee hatte ich ja geahnt, dass er auf Männer steht.“ Der Schwarze blickte meinen Assistenten an. „Sorry, aber du wirkst nicht wie eine neue Ausgabe von Bruce Lee, eher wie … der schwule Chinese aus dem Film ‚Das Hochzeitsbankett‘; wie hieß der Typ noch?“
„Wai-Tung, aber der war kein Chinese sondern kam aus Taiwan!“ Mein Assistent grummelte. „Aber wie kommst du darauf, dass Gordon bi ist?“
Der Schwarze nahm sich die Brille ab. „Wie gesagt, erst die Situation im Zimmer, dann du, aber … dann hat mich das Telefonat vollkommen aus dem Konzept gebracht!“
„Er hat doch nur mit seinem Gatten telefoniert!“ Mein Assistent grinste den Mechaniker frech an.
Jeremia bekam große Augen. „Wie jetzt? Du bist verheiratet? Etwa mit einem Mann? So richtig mit allem Drum und Dran?“
„Ja, mit Urkunde, Ringen und Trauzeugen. Aber Jost, das ist mein Gatte, und ich führen keine Ehe, sondern wir sind nur – in Anführungsstrichen – verpartnert; ist zwar fast das Gleiche, aber leider nicht dasselbe!“ Ich griff nach meinem Glas und trank einen Schluck.
Unser Gegenüber wirkte noch verstörter als vorher. „Äh, und dein Mann hat nichts dagegen, dass du mit Lee … äh … in einem Bett schläfst?“
„Hat er nicht, denn …“ In diesem Moment brachte der Kellner die Pizzen, die wirklich gut waren, wie sich später im Mund herausstellte. „… Lee hat schon öfters bei und mit uns im Bett gelegen.“
Während des Vertilgens der italienischen Teigscheiben klärte ich den sympathischen Mechaniker erst über die Unterbringungspolitik meines Dads bezüglich seiner doch meist männlichen Angestellten auf. Gut, Lee und ich waren zwar auf keiner Rundreise sondern auf einer Einkaufstour, aber die Buchungsabteilung von Lensing Travel verfuhr nach althergebrachtem Schema und buchte für zwei Männer auf Reisen das übliche Doppelzimmer. Die Hotels, die wir normalerweise anfahren, geben dann meist ein Zimmer mit zwei Einzelbetten, aber das Holiday Inn, der übliche Schlaftempel in St. Louis, war wegen eines Ärztekongresses komplett ausgebucht, man musste daher, der Not folgend, auf das Sheraton ausweichen.
Im zweiten Teil des Tischgespräches, mehr als die Hälfte des zusammengekehrten Küchenbodens auf Teig, der da auf meinem Teller lag, war mittlerweile in meinem Magen verschwunden, wurde es persönlicher, es ging um Jost und mich. Es war zwar nicht ganz einfach, die Geschichte unseres Kennenlernens und die des alltäglichen Zusammenlebens auf die restliche Lebensdauer der Resteverwertung auf italienisch zu begrenzen, aber es gelang mir dann irgendwie doch.
„Und was sagt dein Vater, dass er einen schwulen Sohn hat?“ Der Schwarze wirkte neugierig.
Ich zuckte mit den Schultern. „Nichts, denn was soll er schon groß sagen? Es ist mein Leben, er kann es eh nicht ändern und … er hat sich damit abgefunden, dass es keine Enkel von mir geben wird. Es hat zwar einige Zeit gedauert, bis wir normal miteinander umgehen konnten, manchmal war es ziemlich problematisch, aber heute?“ Ich blickte in gespannte Augen. „Heute ist unsere Beziehung normal, wenn man das so sagen kann. Gut, wir haben zwar auch unsere Differenzen, aber eher in geschäftlicher Hinsicht als im Privatem; Dad und sein Schwippschwager hatten eigentlich die Idee, Jost und mich zusammen zu bringen, also kann man fast sagen, wir haben den väterlichen Segen.“
„Dann freu dich!“ Jeremia starrte plötzlich starr auf den Boden, irgendetwas schien ihn zu bedrücken.
Ich blickte ihn an. „Tue ich auch, aber was ist mit dir? Du siehst plötzlich so …“
„Ach, geht schon wieder.“ Er schniefte durch. „Es ist nur, ich … ich lebe mit einer Art Lebenslüge.“
„Lebenslüge?“ Lee ließ sein Besteck fallen.
Der Mechaniker ließ den Blick erneut sinken. „Es fing eigentlich alles in der Highschool an. Ich wusste damals nicht so richtig, was mit mir los war, also so sextechnisch gesehen. Ich mochte Mädchen, aber mit ihnen ins Bett? Sorry, das war mir dann doch eine Nummer zu groß. Aber alle in meiner Clique hatten eine Freundin, also habe ich mir auch eine zugelegt, jedenfalls nach außen hin so getan. Aber ich hatte Glück, man hat mich und mein geheimes Leben nicht entdeckt.“
„Meine Eltern wollten mir damals auch eine echte Chinesin besorgen, sie hatten sogar Kataloge gewälzt. Aber da es kein Umtauschrecht gab …“ Mein Assistent feixte, aber der Scherz erreichte den Empfänger nicht so richtig.
Jeremia verzog das Gesicht. „Ich hatte Glück, mit 17 lernte ich Mahalia kennen, die Tochter eines Presbyters unserer Gemeinde. Wir haben, kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag, gemeinsam das goldene Gelübde vor der ganzen Kirche abgelegt.“
„Das was?“ Ich kannte wohl den Fahneneid, den wir vor Unterrichtsbeginn immer mit der rechten Hand auf dem Herzen aufsagen mussten: ‚Ich gelobe Treue der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika und der Republik, für die sie steht, eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.‘ Es fehlte nur noch das Amen oder das ‚So wahr mir Gott helfe!‘ und ein Schwur wäre perfekt gewesen.
Unser Gegenüber lächelte. „Na ja, das ist … eine Art Versprechen … nach dem Motto: ‚Kein Sex vor der Ehe!‘. Ich war also fein raus, musste erst einmal nicht ran. Aber, als sie dann doch schwanger wurde, wusste jeder bei uns im Viertel, dass sie mich betrogen hatte! Meine Familie meinte dann, ich müsse mich von dem Schock erholen und mein Vater schickte mich zu seiner Schwester Daphne nach New Orleans. Ich habe da für die BNSF in West Bridge Junction gearbeitet und Mariah kennengelernt. Mariah war ganz anders als die Mädchen, die ich bis dahin kannte; für die Familie war offiziell alles in Ordnung, aber …“
„Aber was?“ Ich war mehr als neugierig auf seine weitere Geschichte.
Jerry zuckte mit den Schultern. „Aber dann kam Katrina und mit dem Hurrikan auch das Aus. Mariah ist seitdem wie vom Erdboden verschwunden.“ Er atmete tief durch. „Ich weiß nicht, ob sie damals gestorben ist, Opfer gab es ja genug. Ich hoffe jedoch, sie ist nur abgetaucht, um anderswo einen Neuanfang zu machen. Wahrscheinlich hätte ich es so gemacht, hätte ich so viel Dreck am Stecken wie sie, sie hat ihr Geld hauptsächlich als Drogenkurier verdient.“
„Danach bist du wohl zurück. Lass mich raten: Dein Vater hat dir die Stelle bei der Genossenschaft besorgt.“ Mitgefühl lag in meinem Blick.
Der Schwarze nickte. „Genau. Nach dem Sturm ließ mich meine Familie erst einmal in Ruhe, ich sollte wieder zur Besinnung kommen. Aber nach anderthalb, zwei Jahren fing mein Vater wieder an, für mich nach einer passenden Frau zu suchen: Ich müsse endlich unter die Haube, den Fortbestand der Familie sichern. Ich weiß nicht, was ich machen soll, ich komme einfach nicht gegen ihn an!“
Wir, die wir da um den Tisch versammelt waren, schwiegen erst einmal. Mein künftiger Zugchef klopfte plötzlich auf den Tisch. „Und was wäre, wenn du im Internet eine Frau kennenlernst und wegen dieser vermeintlichen Liebe plötzlich umziehen würdest?“
„Lee, was würde das bringen?“ Ich blickte meinen Experten zweifelnd an. „Das Problem wäre nicht gelöst, sondern nur auf die lange Bank geschoben. Irgendwann wird Jerry seiner Familie reinen Wein einschränken müssen, ob er will oder nicht. Eine fiktive Frau ist dabei wirklich keine gute Lösung.“
„Das sehe ich genauso!“ Der Mechaniker pflichtete mir nickend bei.
Der Chinese trank einen Schluck. „Dann bleibt nur die absolute Offenheit!“
„Und wie soll die bitteschön aussehen?“ Jeremia fuhr sich durch die Haare. „Soll ich am Sonntag vor der Kirche zu meinem Vater sagen: ‚Dad, lass es endlich sein, ich brauche keine Frau, ich bin schwul!‘ Oder wie dachtest du dir das? Mein alter Herr ist nun einmal ultrareligiös.“
Lee grübelte, Jeremia schien immer noch aufgebracht zu sein. Mir kam ein Gedanke. „Sag mal, hast du eigentlich noch eine Mutter? Nicht böse sein, aber ich frage deshalb, weil Mütter in der Regel ihre Söhne besser verstehen als die dazugehörigen Väter.“
„Meine Mutter ist vor zwei Jahren bei einem Banküberfall getötet worden, ein Querschläger aus der Waffe des Wachmannes, der eigentlich den Räuber treffen wollte.“ Der Mechaniker schluchzte, als er uns von dem räuberischen Akt mit tödlichem Ausgang berichtete. Bankangestellte leben gefährlich, besonders in einer Stadt wie St. Louis, die seit den 1990er Jahren regelmäßig einen der vorderen Plätze in der Kriminalstatistik der USA einnimmt. Aber Jeremias Mutter war nur in dem Geldtempel, weil sie Wechselgeld für den Drugstore, in dem sie seit drei Jahrzehnten arbeitete, brauchte.
Ich blickte den sympathischen Nickelbrillenträger an. „Hast du noch Geschwister?“
„Nicht wirklich. Samuel, mein älterer Bruder, fiel im ersten Golfkrieg im Dienste für das Vaterland. Meine Schwester Ruth lebt mit ihrem Sohn Noah in Las Vegas, mein Vater hat jeden Kontakt zu ihr abgebrochen, weil sein Enkel unehelich geboren wurde; sie hätte Schande über die Familie gebracht. Würde sie ihm einen Vater präsentieren, alles wäre wieder in Ordnung, aber … sie sagt nicht, wer sie damals …“ Er atmete tief durch. „Und Isaak, unser Nesthäkchen, sitzt seit drei Jahren wegen Drogen im Gefängnis. Wenn mein alter Herr wüsste, dass Mum, als sie noch lebte, Isi regelmäßig im Knast besucht hat …“ Er blickte mich verzweifelt an. „Ich glaube, er hätte sie auch aus seinem Leben gestrichen. Er ist nun einmal ein Fanatiker! Gott, Gott und nochmals Gott! Ihm ordnet er alles unter: Sich, seine Familie, einfach alles!“
Was sollte man in einer solchen Situation tun? Ich rieb mir die Nase. „Wenn man mit einer Person nicht reden kann, dann schreibt man ihr am besten einen Brief!“
„Wie soll der Wisch denn aussehen? ‚Dad, was ich Dir schon immer sagen wollte: Ich liebe Männer!‘ Dachtest du vielleicht an so etwas? Das ist doch hirnrissig!“ Er wirkte mehr als leicht gereizt.
„Ich bin damals ausgezogen, weil Streit zwischen meinem Dad und mir einfach vorprogrammiert war; wir mussten uns nur über den Weg laufen und schon keiften wir uns an.“ Ich blickte den Mechaniker direkt an. „Als ich das Reich meiner Eltern verlassen hatte, hatten wir eine vollkommen andere Kommunikationsbasis. Wie gesagt: Zieh weg und erklär ihm die Gründe in einem Brief. Du musst ihn ja nicht gleich mit der ganzen Wahrheit konfrontieren, erst einmal …“
„Ich soll also weglaufen wie ein kleines Kind, das etwas ausgefressen hat? Ich bin doch kein Dieb oder Mörder, der vor dem Gesetz fliehen muss; das kann es doch wirklich nicht sein!“ Der Schwarze spielt mit seiner Brille. „Und wo soll ich überhaupt hin?“
Lee schüttelte mit erhobenen Augenbrauen seinen Kopf. „Falls du es vergessen haben solltest, lieber Jerry: Wir bauen gerade eine Werkstatt auf, da wird jede Hand gebraucht, oder Gordon?“
„Das ist richtig, aber …“ Ich dachte kurz nach. „… wir bräuchten die helfenden Hände so schnell wie möglich. Montag ist der erste Spatenstich auf dem Gelände und spätestens nach Muttertag fängt der Innenausbau an.“
„Hast du 500 Bauarbeiter angeheuert, um das Projekt so schnell zu realisieren?“ Der dunkelhäutige Brillenträger schaute mich leicht irritiert an.
Ein freches Grinsen huschte über meine Lippen. „Nein, nur eine kleine Firma mit 40 Angestellten, aber die ist auf Systembau spezialisiert. Die Hallen für die Züge sind aus Stahl, sind ja sowieso nur bessere Garagen, aber die Werkstätten und die Lackiererei sind dann doch aus stabilem Beton, zwar auch Fertigbau, aber …“
„Du willst die Züge in einer Garage parken?“ Jeremia blickte mich verwundert an.
Ich nickte. „Die Busse meines Vaters stehen ja auch geschützt und … irgendwoher muss ich ja die notwendige Kollektorfläche herkriegen.“
„Kollektorfläche?“ Man sah große Fragezeichen in seinen Augen.
Lee lachte. „Wir produzieren unseren eigenen Strom, speisen ihn in das Stromnetz ein und kriegen dafür echt gute Kohle. Gordon hat vier verschiedene Fördertopfe aufgetan und die Solarmodule sind eine Neuentwicklung von Sharp, aber die wollten mehr als 200.000 Quadratfuß für Testzwecke.“
„Und wie viel bietet ihr ihnen an?“ Neugier lag in seiner Stimme.
Ich grinste ihn frech an. „Etwas mehr als das Doppelte der geforderten Fläche. Ein Freund von mir ist bei SHARP USA im Management und brauchte dringend eine Testfläche in einem Ballungsraum. Die habe ich ihm geboten und er hat sie genommen; hat aber auch noch zwei andere Vorteile.“
„Welche da wären?“ Jeremia schien mehr als interessiert.
„Die Waggons, die ich im Moment nicht brauche, stehen geschützt, ich brauche sie also nicht so oft zu waschen.“ Ich erntete von dem Schwarzen ein wohlwollendes Nicken. „Aber viel wichtiger: Da sie nachts in Hallen stehen, ist die Versicherungsprämie weitaus günstiger als stünden sie einfach im Freien. Außerdem ist es der Versicherung egal, was ich auf und mit dem Dach mache.“
„Du nutzt es ja, um Strom zu erzeugen.“ Ein Lachen erfüllte sein Gesicht.
Lee kniff die Augen zusammen. „Einmal das, aber mit einem Dach über dem Kopf ist es auch ziemlich einfach, Regenwasser zu sammeln!“
„Wie? Du sammelst auch noch Wasser?“ Wieder dieser fragende Blick.
Ich nickte. „Ja, wird fangen den Regen auf, sammeln ihn in Rückhaltebecken und entnehmen daraus unser Brauchwasser. Teures Frischwasser brauchen wir eigentlich nur noch in den Wagen.“
Lensing Cross Country war mittlerweile mehr mein Baby als noch die ursprüngliche Idee meines Vaters, der ja eigentlich nur einen Zug sein Eigen wollte. Die Firma sollte, so war jedenfalls mein Ansatz, von Anfang an zu einer ‚Green Company‘ werden, nicht nur aus billigen Werbezwecken heraus, sondern weil ich der Ansicht bin, wir haben nur den einen Planeten, auf dem wir leben und den wir deshalb schützen müssen; wir können nicht, wie in einem Computerspiel, zurück auf Start und wieder von vorne anfangen.
Mein alter Herr hatte zwar erst wegen der erhöhten Baukosten Bedenken, aber, nach dem Studium der diesbezüglichen Kosten-/Nutzenrechnungen, sah auch er ein, dass es sich in absehbarer Zeit rechnen würde. Gut, dieser Einsicht hatte ich etwas nachgeholfen, denn die neuesten Ergebnisse meiner Nachforschungen auf der Suche nach Fördertöpfen teilte ich ihm nicht im Büro mit, sondern machte sie zum Gegenstand der sonntäglichen Mittagessen im Familienkreis. Bei Granny, seit Jahren Mitglied von Greenpeace, und Mum rannte ich mit meinem Vorgehen offene Türen ein; mein Vater musste sich daher eher den ökologischen Zielen beugen, als das er wirklich hinter ihnen stand.
ConEdison, größter Energieversorger im Big Apple, hatte ich als Partner für das Projekt gewinnen können, er wollte sich mit drei Dollar pro installiertem Watt an den Baukosten beteiligen. Dafür wollte er aber auch, dass wir ihm in den nächsten 20 Jahren den produzierten Strom zu einem Festpreis verkauften. Eine solch lange Laufzeit zu solch starren Bedingungen schreckte selbst mich als Umweltfreund ab, aber nach intensiven Verhandlungen unterschrieb ich dann doch: Man garantierte mir schlussendlich den Inflationsausgleich plus ein Prozent Preissteigerung in zwei Jahren.
Der Staat New York subventionierte einmalig den Bau der Anlage ebenfalls mit 1,75 $ pro Watt, auch diesen Zuschuss strich ich gerne ein. Ein normales Solarpanel hat eine Leistung von rund 150 Watt pro Quadratmeter, das Testprodukt von Sharp, dass bei uns verbaut werden sollte, kam auf fast das anderthalbfache dieses Wertes. Die Stadt New York City zahlte pro Quadratfuß Solar, unabhängig von der Leistung, ebenfalls einen Dollar; ich bekam also quasi das entsprechend abgedeckte Stück Land geschenkt. Wieso sollte ich mir diese Zuschüsse entgehen lassen?
Die Förderung durch das Energieministerium der US of A bezieht sich jedoch immer auf die gesamte Bausumme im Bereich Fotovoltaik, 30% werden als Steuergutschrift an den Bauherren wieder zurück gegeben. Hätten wir handelsübliche Module verwendet, allein die Rückerstattung hierfür hätte fast zweieinhalb Millionen betragen, so aber konnten wir insgesamt nur mit maximal etwas über einer Million rechnen. Gut, man hätte zwar etwas an der Rechnung drehen können, aber nur ein gewiefter Buchprüfer und der läppische Schreibfehler wäre aufgeflogen. David Corner, Projektbeauftragter von SHARP und Mitglied der LIGA, hätte seinem Job und ich der Steuergutschrift Lebewohl sagen können, von anderem Ungemach gar nicht zu reden.
„ich würde ja gerne mal einen Blick auf die Pläne werfen.“ Jeremia lächelte mich an.
Ich grinste zurück. „Da müsstest du mit uns ins Hotel kommen, die Entwürfe sind im Rechner.“
„Also, ich habe heute nicht mehr vor, aber wenn ihr zum Karaoke bleiben wollt? Die Show fängt in knapp einer Viertelstunde an.“ Der Mechaniker blickte uns fragend an.
Mein Assistent schüttelte sich. „Ich weiß ja nicht, wie es um Gordons Gesangskünste bestellt ist, aber ich singe noch nicht einmal unter der Dusche, ich will ja das heiße Wasser nicht verscheuchen.“
„Bis zum Stimmbruch habe ich im Schulchor gesungen, aber danach?“ Ich schüttelte den Kopf. „Jost ist der musikalische Part von uns und für Karaoke bin ich, ehrlich gesagt, noch zu nüchtern. Von mir aus können wir uns gleich ein Taxi bestellen und …“
„Wieso wollt ihr zahlen? Ich bin mit dem Wagen da!“ Der Mann mit der Nickelbrille zeigte Grübchen.
Ich winkte nach dem Kellner, unser Essen musste ja beglichen werden. „Dann lass uns mal!“
Die Rückfahrt zum Hotel kam mir kürzer vor als die Hinfahrt; sollte der bezahlte Chauffeur uns etwa über Umwege geführt haben oder kannte Jeremia irgendwelche Schleichwege? Mir war es egal. In der Suite angekommen entledigen wir uns erst einmal der Jacken, um dann in den Wohnbereich zu wechseln. Ich stellte meinen transportablen Computer auf den Couchtisch und drückte die Power-Taste. Das Betriebssystem aus dem Hause Winzigweich braucht ja leider eine ganze Weile, ehe man die erste Eingabe machen kann, so verteilte ich derweil eine Runde Bier; den gekauften Sixpack wollte ich schließlich nicht wieder mit in die Heimat nehmen.
Nach dem Zuprosten und dem Setzen, im Stehen kann man den Bildschirm ja schlecht betrachten, präsentierte ich unserem Gast die Pläne für das Betriebsgelände. Jeremia staunte nicht schlecht, ihm gefiel offensichtlich das, war er sah. „Ihr habt ja alles, was man braucht.“ Er deutete auf das Display. „Und was soll da oben hin?“
Ich lachte. „Das ist der Teil, der in der zweiten Phase, so ab Mitte Juli, gebaut werden soll. Mein alter Herr will unbedingt einen eigenen Bahnhof haben und daneben kommt ein Parkhaus.“
„Ist das nicht etwas übertrieben? Eine eigene Station?“ Der Schwarze blickte mich irritiert an.
Ich konnte nur mit den Schultern zucken. „Übertrieben vielleicht, aber … irgendwie auch notwendig, zumindest für die ausländischen Gäste: Die kommen ja meistens nicht gleichzeitig an und ehe man einen Bahnsteig reserviert, den man dann bezahlen muss, ist …“
„…die Lösung erheblich einfacher.“ Der Nickelbrillenträger schmunzelte. „Aber würde nicht auch ein einfacher Gleisanschluss reichen? Muss es denn gleich ein ganzer Bahnhof sein?“
„Der würde zwar auch reichen, aber irgendwo müssen wir ja mit der Gastronomie hin und Teile der Verwaltung sollen da auch unterbracht werden.“ Ich blickte ihn frech grinsend an. „Und was würde sich da besser eignen als ein alter europäischer Bahnhof?“
„Verwaltung leuchtet mir ja ein, aber Gastronomie?“ Seine Augen verrieten Irritation.
Lee lachte. „Die ist dort wirklich angebracht: In der Ecke gibt zwar viel Industrie, aber leider keinen einzigen vernünftigen Imbiss! Es wird daher ein normaler Diner werden, so mit Hausmannskost und so, und keiner dieser neumodischen Fresstempel wie in der City.“
„Und irgendwie müssen die Gäste ja auch die Wartezeit bis zur Abfahrt überbrücken, denn für einen Besuch in der Stadt hat man kaum Zeit, wenn man Nachmittags landet, die Rundreise mit dem Zug aber abends erst losgeht.“ Ich lachte unseren Gast an.
„Wieso? So weit ist der Weg doch auch wieder nicht.“ Der Mechaniker blickte mich fragend an.
Ich nickte bestätigend. „Stimmt zwar, aber du vergisst das Alter und die Herkunft der meisten Gäste. Europäer wollen nach dem Flug so schnell wie möglich in ihr Hotel, ihre Koffer loswerden, dann erst beginnt ihr Urlaub. Aber sie machen eine Rundreise mit dem Zug, haben bis zur Abfahrt vielleicht zwei oder maximal drei Stunden, die werden also nicht für eine Stunde in die Stadt fahren, denn sie hätten Angst, nicht wieder rechtzeitig wieder da zu sein.“
„Ihr habt ja wohl an alles gedacht.“ Hörte ich da Bewunderung in seiner Stimme?
Ich zuckte mit den Schultern. „Dein Wort in Gottes Gehörgang, aber wir sind alle nur Menschen und keine allwissenden Götter, von daher können Fehler vorkommen, auch wenn wir sie vermeiden wollen. Wir haben zwar wochenlang alle möglichen und unmöglichen Eventualitäten intensiv durchgesprochen, mal in kleiner Runde, mal im großen Kreis, aber …“
„Manchmal kam ich mir richtig verloren vor.“ Lee wechselte die Sitzposition auf seinem Sessel. „Ich bin Eisenbahner, kenne mich mit Wagen aus, weiß, wie ich mit Kunden umgehen muss, aber der Betrieb einer richtigen Eisenbahnlinie? Ich hätte nie gedacht, dass das Ganze so kompliziert ist.“
Jeremia lachte. „Das ist wie der Bau einer Kirche …“
„Wie meinst du das?“ Mein Assistent stutzte, konnte wohl mit dem Vergleich nicht viel anfangen.
Der Schwarze zeigte seine Zähne. „Der Zimmermann sieht nur die Bänke und die Türen, die er für die Kirche gemacht hat, der Glaser betrachtet ausschließlich die Fenster, der Glockengießer hört nur den Klang der Glocken, die er für die Kirche gegossen hat. Der Priester aber, der später den Gottesdienst halten wird, der sieht das Gebäude als eine Art Kultplatz, nur Gott … Gott sieht es als Ganzes.“
„Und das heißt?“ Die chinesische Neugier war augenscheinlich geweckt.
Der Nickelbrillenträger grinste ihn an. „Ganz einfach: Damit der Gottesdienst, den der Pfaffe halten wird, den Besuchern auch gefällt und sie immer wieder wiederkommen, denn nur so hat die Kirche Erfolg, müssen gute Sitzgelegenheiten her, die Fenster müssen Eindruck machen und auch die Glocken müssen gut klingen. Stimmen diese Voraussetzungen nicht, kann der Priester noch so gut predigen, die Leute würden – über kurz oder lang – wegbleiben. Aber auf der anderen Seite, auch wenn das Äußere stimmt, der Prediger aber Scheiße ist, werden die Leute ausbleiben. Ein Rädchen greift ins andere …“
„Ich bin also der Priester?“ Der Sohn chinesischer Eltern blickte den Mann, der neben mir saß, erstaunt an. „Und Gordon ist Gott?“
„So ungefähr.“ Die Hand des Schwarzen landete auf meinem Oberschenkel.
Der Gedanke hatte etwas, war mir dann aber doch etwas zu groß. „Sorry, aber ich bin nicht das göttliche Wesen, eher die Kirchleitung …“
Jerry ließ seine Hand höher wandern. „Wieso magst du diese Rolle nicht?“
„Nun, nach deiner Instandsetzung kommt ja noch der Innenausstatter, aber das lassen wir jetzt mal außen vor.“ Ich gluckste. „Also kann man sagen, ohne deine Arbeit kann Lee keinen guten Job bei den Gästen machen. Aber …“ Mein Gegenüber nickte. „… aber ich steuere ja nur die Konzeption der Reise bei, mehr mache ich nicht.“
Jeremia blickte mich intensiv an. „Du gibst die Leitlinien vor, insofern könnte man sagen, du gehörst zu den Kirchenoberen, aber … deiner Familie gehört die Firma.“
„Na, dann lasse ich lieber meinen alten Herren Gott spielen und trete in die zweite Reihe!“ Ich lachte.
Jeremia nickte. „Wenn du das so haben willst … aber ein Punkt würde mich dennoch interessieren.“
„Was denn?“ Meine Augen drehten sich in seine Richtung.
Der Mechaniker rieb sich das Kinn. „Wie sehen denn die Überreste des alten Orient Expresses aus? Ist ja viel spekuliert worden.“
„Wenn es mehr nicht ist!“ Ich wechselte auf dem Rechner den Ordner, weg von den Projektplänen, die wir gerade noch betrachtet hatten, hin zu den Aufnahmen von unserem ersten Besuch in der Lagerhalle von Xanterra. „Hier, das sind die Aufnahmen. Lee kann dir sicherlich mehr dazu sagen. Ich bin mal kurz für kleine Königstiger.“
„Dann mal viel Spaß!“ Lee hatte sich, wie ich, erhoben, wohl die Plätze wechseln.
Als ich später aus den Wasserspielen zurückkam, die Finanzdebatte hatte etwas länger gedauert, wunderte ich mich, die beiden auf der Couch giggelten um die Wette; was war an den Zugbildern so lustig? „Was lacht ihr denn so?“
„Du fickst ja auch wohl alles.“ Hörte ich da einen Vorwurf in der Stimme meines Assistenten?
Wurde ich verlegen? „Äh, wie meinst du …?“
„Der Schnuckel sieht ja auch wirklich scharf aus!“ Jeremia stieß jetzt ins gleiche Horn.
Ich umrundete den Tisch, warf so einen Blick auf das Display; meine Befangenheit wuchs. Auf dem Bildschirm war gerade zu sehen, wie ich in einem schwarzen Hintern steckte. Erdboden; tue dich auf! Aber! Wie kamen sie dazu, meine privaten Bilder zu betrachten? „Das ist Matt!“
„So heißt er also! Ihr scheint ja richtig Spaß gehabt zu haben!“ Der Mechaniker grinste mich frech an und massierte die Mitte seines Schrittes, klickte ein Bild weiter; man sah nun denjenigen, dem der Hintern gehörte, nackt in der Wanne stehen.
„Den hatten wir auch. Eigentlich wollte ich ja mit seinem Cousin, aber …“ Ich musste mich setzen. „… aber der machte plötzlich einen Rückzieher.“ Die Geschichte mit den beiden Cousins aus Boston war wirklich etwas skurril, wenn man das so sagen kann. Aber direkt am Tag danach lernte ich meinen Engel kennen.
„Du treibst es also mit der ganzen Familie?“ Der Mechaniker grinste immer noch.
Ich schüttelte den Kopf. „Nur mit dem einen Teil, der andere …“ Die Geschichte war kurz erzählt, ich blickte Lee etwas streng an. „Aber nun verrate du mir mal, warum du meine privaten Bilder …“
Mein Assistent schaute mich betreten von der Seite an. „Sorry, Chef, aber Jerry wollte wissen, wie die Wagen von Monad aussehen, die wir uns in LA angesehen haben, so zum Vergleich. Du hast doch da auch ein paar Bilder gemacht.“ Ich nickte, aber die Bilder waren immer noch auf dem Speicherchip der Kamera. „Ich sah nur den Ordner mit dem Buchstaben M, ich dachte, das steht für Monad, wenn ich gewusst hätte, dass das ‚M‘ für Matt steht, hätte …“
Ich hätte den Ordner schon längst löschen sollen, die Bilder waren ja als Entspannungsgrundlage für einsame Stunden auf der Rundreise für die Presseleute im letzten Jahr gedacht gewesen. Das einzige aber, was ich gemacht hatte, war den Ordnernamen zu ändern: aus ‚Matt-Bos‘ wurde ‚M‘. Konnte ich ihm wegen meines eigenen Fehlers böse sein? Ich drehte den Rechner zu mir, machte der Diashow so ein Ende. „Schwamm drüber!“
Plötzlich machte es Pling und ein Fenster auf dem Laptopbildschirm ploppte auf. Ich erschrak und nahm die Nachricht, dass mein Gatte mich zu sprechen wünschte, maximal nur im Unterbewusstsein wahr, aber ich klickte trotzdem auf Annahme der Videokonferenz. Das Bild zeigte erst einmal eine Werbeeinblendung, dann drang ein Knarzen aus den Lautsprechern des mobilen Arbeitsgerätes. Die Stimme meines Gatten erfüllte den Raum. „Hallo Engelchen! Ihr seid schon zurück?“
„Äh, ja, sind wir.“ Dann sah ich, die Werbung war mittlerweile beendet, meinen Gatten nackt auf unserem Bett liegen, ich musste schlucken. „Aber wir … äh … wir … wir haben Besuch.“
„Ihr habt Besuch? Du verarscht mich doch jetzt, oder? Sieht der mich etwa?“ Ich nickte in die Kamera und mein Engel griff sofort nach einem Kissen, bedeckte seine Kronjuwelen.
Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich nehme dich zwar gerne auf und in den Arm, aber Lee und ich sind wirklich nicht alleine im Zimmer: Jeremia ist bei uns, er arbeitet noch für Gateaway und …“
Mister March, wie der Mechaniker mit Nachnamen hieß, rückte näher an den Laptop und lächelte in die Kamera. „Hallo nach New York. Ich bin Jerry und habe deinen Mann und Lee beim Essen in der Szene getroffen. Gordon hat mir die Pläne für das Bahnprojekt gezeigt, von daher …“
„Meinen Gatten kaufe ich mir morgen, mich so zu blamieren! Du musst mich ja für ein Luder halten!“ Jost grummelte. „Er hätte ja schreiben können, dass er im Moment keine Zeit hat, um …“
„Zu camen?“ Der Nickelbrillenträger leckte sich kurz die Lippen. „Mache ich auch öfters, wenn mir danach ist und ich Druck auf den Eiern habe. Aber keine Angst, ich habe fast nichts gesehen.“
„Soll ich dir das glauben?“ Mein Gatte lachte. „Aber auch wenn, wäre es egal, denn ich habe nichts, was Gordon nicht auch hat.“
„Stimmt, eure Prügel sind auf den ersten Blick fast gleich.“ Der Schwarze ließ seine Zähne aufblitzen.
„Also hast du doch gelinst, du Schlingel!“ Plötzlich riebt sich Jost das Kinn. „Aber woher hast du denn den Vergleichswert? Habt ihr euch schon nackt gesehen?“
„Nein, jedenfalls nicht live.“ Der dunkelhäutige Mechaniker blickte verlegen nach unten. „Lee wollte mir Wagenbilder zeigen, aber … naja … irgendwie hat er den falschen Ordner erwischt und … und auf den Fotos war dein Mann in Aktion zu sehen, wie er … mit einem Schwarzen … Na, du weißt schon.“
Jost schlug lachend auf die Bettdecke. „Die mit diesem Matthew?“
„Wie? Sag bloß, du kennst die Bilder?“ Jerry wirkte ziemlich verwundert.
New York winkte ab. „Klar, waren doch eh nur Wichsvorlage gedacht! Die hat mir Gordon schon in unserer ersten Woche gezeigt, der Typ sah echt nicht schlecht aus, auch wenn …“
„Wenn er was?“ Neugier lag in der Stimme des Mechanikers.
Mein Engel druckste. „Naja, ich hab ja noch nie mit einem Schwarzen, aber … in Geschichten oder in Videos haben die immer Monsterdödel. Aber Matts bestes Stück … war eher Normalmaß.“
„Viele von uns verfügen über große, ja sogar sehr große Sahnespender, aber … nicht jeder ist damit gesegnet.“ Die Antwort war mir etwas zu kryptisch.
Der angehende Journalist gluckste. „Na, dann wirst du ja wohl auch nicht viel in der Hose haben.“
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Fühlte sich da jemand in seiner Ehre gekränkt?
„Ganz einfach: Logik!“ Was führte mein Gatte im Schilde? „Hättest du selbst viel in der Hose, dann hättest du Matt wohl eher als die Ausnahme von der Regel bezeichnet und bei einem Mikropenis ihn eher verteidigt; folglich liegst du mit deinem Ding auch im Mittelfeld.“
Die Nickelbrille zog verdutzt die Augenbrauen hoch. „Du bist mir ja echt eine Marke! Man könnte fast meinen, du willst mein Teil sehen, um zu camen und sich dabei ….“
„Und was wäre, wenn es so wäre?“ Jost grinste frech in die Kamera, als er das schützende Kissen beiseite legte und so den Blick auf seine Kronjuwelen freigab.
Der Mann neben mir hatte wohl nicht damit gerechnet, leichter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. „Äh, aber was … äh … ich meine … dein Mann und Lee … die sind ja auch noch hier.“
„Die haben mich schon ganz anders gesehen!“ Mein Gatte spielte an seiner linken Brustwarze. „Und frag die beiden mal, was sie am Montag vor der Webcam für mich veranstaltet haben.“
Lee musste grinsen. „Besser nicht!“
„Wieso? Was habt ihr denn angestellt?“ Neugierig blickte Jeremia uns an.
Die Geschichte der Vorführung war relativ schnell erzählt, Lee legte sogar die Liebeskugeln als Beweismaterial vor, nachdem er sie aus seinem Kulturbeutel geholt hatte. Der schwarze Mechaniker wurde, je länger er uns zuhörte, immer hibbeliger und rieb sich immer öfter den Schritt; es schien ihm zu gefallen, was er da hörte. Ich konnte mir denken, was Jost in seiner offenen Art mit der Aktion bezweckt hatte, er wollte wohl Spaß via Cam haben.
Die 113.te Straße spielte an ihrem Teil. „Und, kriege ich jetzt endlich auch was zu sehen?“
„Hier, sonst gibst du ja keine Ruhe, du Luder.“ Der Mechaniker sprang auf, nestelte an seinem Gürtel und zog sich die Hose samt darunterliegender Boxer bis auf die Knie. Außer einem wohlgeformten Hintern konnte ich nicht viel sehen, ich saß ja immer noch auf dem Sofa, aber allein der Anblick des Hinterteils gefiel mir und auch Klein-Gordon freute sich.
Ich blickte kurz zu Lee, der auf der andren Seite des Mechanikers saß, seine Zunge umspielte lasziv seine Lippen; auch er freute sich wohl auf das Kommende, denn seine Hände beschäftigten sich intensiv mit seiner Körpermitte. Ich schwankte, ob ich einen genaueren Blick riskieren sollte, aber ich ließ es dann doch: Hätte ich mich nach vorn bewegt, es wäre sicherlich aufgefallen. Warum sollte ich das Spiel, was wohl gleich folgen würde, unnötig gefährden?
„So, mein Lieber! Ich hoffe, das reicht für’s Erste.“ Jerry zog sich abrupt die Hose hoch und setzte sich wieder zwischen uns; es gab leider nichts mehr zu sehen und zu bewundern. Leichte Enttäuschung machte sich in mir breit. Der Schwarze blickte in die Kamera. „Mehr gibt es heute nicht, denn …“
„Denn was?“ Mein Gatte fasste meinen Gedanken in Worte.
Der Mechaniker lachte. „Sorry, wenn ich came, zeige ich normalerweise nie mein Gesicht und … ich habe zwar nichts gegen Gruppe, aber ein Dreier vor der Cam? So was habe ich noch nicht gemacht und …“ Er suchte wohl nach den passenden Worten. „Nicht böse sein, aber ich muss mich erst einmal daran gewöhnen, mit meinem Chef und dessen Mann … äh … intim zu werden. Ich hoffe, du bist mir jetzt nicht böse, wenn ich hier und jetzt abbreche.“
„Kein Thema, Jerry, Gordon brauchte auch so seine Zeit, um sich an diese Art von Gruppenspielen zu gewöhnen. Aber wir werden das nachholen, wenn du dann hier bist.“ Mein Gemahl gluckste.
Ich rieb mir verwundert die Augen. „Äh? Wie meinst du das denn jetzt?“
„Schatz! Logik! Jerry bezeichnet dich jetzt schon als Chef, von daher wird er für dich arbeiten, aber das geht nur hier in New York, also wird er umziehen müssen.“ Der Student mit den smaragdgrünen Augen grinste. „Und da er mit uns spielen will, scheint er beidseitig bespielbar zu sein, denn er will nicht nur den Mann des Chefs ficken oder von seinem Brötchengeber genommen werden, er will mit uns intim werden. Das man euch Amerikanern auch immer alles erklären muss!“
„Engelchen! Wir reden morgen.“ Ich grummelte innerlich: Jost und seine Logik.
Mein Schatz warf mir einen Luftkuss zu. „Wenn wir dann mal zum Reden kommen. Euch einen schönen Abend noch und Schatz? Keine Dummheiten!“
„Ich doch nicht!“ Mit einem Kussmund beendete den Chat.
Nach der zweiten Hälfte des Sixpacks verabschiedete sich Jerry. Wir hatten ausgemacht, dass er in knapp einem Monat zu uns stoßen sollte, solange würde er vermutlich auch brauchen, um hier seine Zelte geordnet abzubrechen. Zwar lag ihm die mögliche Reaktion seines Vaters im Magen, aber selbst dieser gottesfürchtige Mann würde ihm wohl nicht die Chance, die sich ihm in New York bot, durchkreuzen und zunichte machen wollen.
Nach einem ausgiebigem Frühstück, im Flieger sollte, wie den Reiseunterlagen zu entnehmen war, kein Mittagessen gereicht werden, bestiegen wir um viertel nach zehn das Flugzeug, das uns zurück nach Newark bringen sollte. Ich wunderte mich etwas über die Lackierung des Flugzeugs, waren wir auch auf United Express, den Zubringerdienst von United, gebucht, die Maschine erstrahlte aber in den Farben von Delta Connections.
Eine freundliche Stewardess in typischer Kluft von United klärte mich noch vor dem Start auf: Das eigentliche Fluggerät wäre beim Landeanflug in einen Vogelschwarm geraten und müsse jetzt genau untersucht werden. Da aber die Shuttle America Corporation, ein Tochterunternehmen der Republic Airways Holding, sowohl für United als auch Delta Zubringerdienste erledigen würde, hätte man sich entschlossen, kurzfristig das Flugzeugmuster zu wechseln. Wir würden ja auch nicht, wie ursprünglich ausgewiesen, in einer Embraer 170 sitzen, sondern hätten in der anderthalb Meter längeren Version 175 Platz genommen.
Viel wurde auf dem Flug nicht gearbeitet, jeder von uns war eher mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Das fehlende Wagenmaterial, der eigentliche Grund der Reise, war gekauft und das größte Problem, die Unterbringung der angeworbenen Arbeitskräfte, konnte man nur von New York aus und nicht vom Flieger angehen.
Ich wollte gerade den Schlüssel ins Schloss stecken, da wurde unsere Haustür von innen aufgerissen, mein Arm gepackt und ich samt Gepäck in die Diele gezogen. Jost umklammerte mich regelrecht, ließ mir kaum Luft zum Atmen. Mein Gesicht wurde mit Küssen bedeckt, seine Arme waren überall und nirgends. War meine Hose schon offen? Ich spürte Finger an meinem besten Stück.
Jost ging vor mir auf die Knie, zerrte an dem Stoff, der meine Beine vor fremden Blicken schützte. Ich spürte, wie sich seine Fingernägel in meine Hüften bohrten, um die Retro nach unten zu ziehen. Als ich freigelegt war, stöhnte mein Engel. „Endlich habe ich dich wieder!“
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Weiter bitte, ich liebe deinen schreibstil.