Zoogeschichten II – Teil 75

Gewitter

David

Es war Zeit geworden, mich aus den Fängen von Jürgen zu befreien, der hätte mich sonst noch zum Bürodienst verknackt. Eigentlich hatte ich ja keine Lust, zurückzufahren, aber irgendwann musste ich ja. Meinen Krempel musste ich ja auch noch aus der WG holen.

Aber erst wollte ich mich noch mit Volker absprechen. Also machte ich mich auf die Suche. Letzter bekannter Standort war das Flamingobecken, das hatte mir jedenfalls Jürgen gesagt. Es blitze schon ordentlich und der Donner ließ auch nicht lange auf sich warten.

Als ich um die nächste Ecke bog, rannte jemand mit einer Wucht in mich hinein, dass ich zur Seite segelte.

„Entschuldigung, ich habe sie nicht gesehen…, haben sie sich wehgetan?“, hörte ich die Stimme eines Jungen.

Oh Mann, wie tief war ich gesunken, sah ich jetzt schon so alt aus, dass man mich mit SIE ansprach? Womöglich kam er gleich her und wollte mir aufhelfen.

„Nein, geht schon“, antwortete ich.

„Soll ich ihnen aufhelfen?“

Aaaaaaaaaaaaaaaahhh, ich hatte es geahnt. Ich schaute hoch und sah in zwei wundervolle Augen. Es traf mich wie ein Blitz. Wow!

„Ist alles in Ordnung?“, fragte der Junge.

„Ja…, ja…“

„Soll ich vielleicht jemand holen?“

„Ähm…, nein… geht schon.“

Langsam stand ich auf, ohne meinen Blick von diesen Augen abzuwenden. Er schien geweint zu haben, denn diese Augen waren rot umrandet.

„Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte nun ich.

„Ähm, ja.“

„Und warum hast du geweint?“

Der Junge schaute blitzartig zu Boden. Ich muss zugeben, so einen schönen Jungen hatte ich noch nie gesehen.

„Ich will sie nicht damit behelligen“, sagte er leise.

„Ach Quatsch, sag endlich du, so alt bin ich auch nicht, bin der David.“

„Ich heiße Tim!“

Sebastian

Sebastian erschauderte diese Antwort. Mit allem hätte er gerechnet, nur nicht mit dieser Antwort.

„Aber Florian…“

„Florian war zu dieser Zeit noch nicht auf der Welt.“

Ein Blitz zuckte und kurze Zeit später grollte der Donner über der Stadt.

„Florian, komm bitte!“, rief Phillip.

Er brauchte ihn nicht zu rufen, denn Florian hatte sich erschreckt und kam von alleine gerannt. Das Gespräch zwischen mir und Phillip brach ab, schleunigst schob ich Phillip zum Delfinarium.

Da Florian schon wusste, wie man die Codekarte benutzte, drückte ich sie ihm einfach in die Hand. Stolz rannte er an die Tür, stellte sich auf die Zehenspitzen und zog die Karte durch den Scanner.

Ein Summen und Florian konnte die Tür aufziehen. Er blieb stehen und hielt sie offen, bis ich seinen Vater durchgeschoben hatte. Gerade rechtzeitig, denn die ersten dicken Tropfen klatschen auf den Boden.

Die Halle war leer, kein Publikum, dafür trainierte Heike mit den Delfinen.

„Hallo Heike“, rief Florian und rannte zu ihr.

Als Theo einen Sprung aus dem Wasser machte, blieb er ehrfürchtig stehen.

„Florian kennt hier wohl alle?“, meinte Phillip.

„Ja, er hat sich ganz schnell in unsere Herzen geschlichen, er ist aber auch goldig.“

„Hallo Flo, wo kommst du denn her?“, rief sie dem Kleinen entgegen.

„Bin mit meinem Papa da und draußen ist ein ganz schlimmes Gewitter… es blitzt und donnert.“

Nun schaute Heike auf und nickte uns zu. Phillip rollte nun aus eigener Kraft Richtung Heike.

„Hallo“, meinte Heike und streckte Florians Vater die Hand entgegen, „bin die Heike.“

„Phillip“, entgegnete er und schüttelte ihre Hand.

„Wo sind denn die großen Fische?“, meinte Florian, der sich bis an den Beckenrand herangewagt hatte.

Plötzlich tauchte Theo unmittelbar vor ihm auf und Florian begann zu schreien.

„Der will mich fressen!“

„Nein Flo, Theo frisst Fisch, keine kleinen Jungs“, erklärte Heike.

Über Phillips Lippen huschte ein Lächeln, bevor wieder sein ernstes Gesicht erschien.

„Moment, ich zeige dir, das Theo nicht beißt“, meinte ich und ließ mich in das Wasser gleiten.

„Pass auf, Sebastian, der hat doch Zähne“, meinte Flo ängstlich und versteckte sich hinter Heike.

„Ja hat er, er muss ja auch etwas essen können“, meinte ich und plätscherte mit der Hand auf dem Wasser.

Im Nu war Theo da und ließ sich von mir kraulen.

„Der ist soooooooo groß“, sagte Florian leise.

„Geh doch mal näher hin“, sagte nun Phillip.

„Papa ich will nicht ohne dich, ich habe Angst…“

Phillip schaute etwas ratlos drein.

„Flo, ich kann nicht ans Wasser. Dazu müsste ich aus dem Stuhl heraus.“

„Geht das denn?“, fragte Heike.

„Ja, mit fremder Hilfe schon, aber ich möchte ihnen keine Umstände machen.“

„Flo, komm mal mit, ich habe da eine Idee.“

Neugierig lief Flo mit Heike in die hinteren Räume.

„Was hat sie vor?“, fragte Phillip.

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich, während mich Theo laufend anstupste.

„Ja, du Nervensäge, bekommst ja deinen Fisch“, sagte ich genervt und Griff in den Eimer am Rand des Beckens.

Daneben lag meine Pfeife, die ich mir auch gleich angelte. Ich gab Theo den Fisch und blies gleichzeitig in die Pfeife. Theo schwamm rückwärts davon, umrundete einmal das Becken, um dann mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit in der Mitte des Beckens aus dem Wasser aufzutauchen.

Er sprang komplett aus dem Wasser und ließ sich dann mit voller Breitseite wieder ins Wasser fallen, so dass es ordentlich spritzte. Wieder etwas, was ihm anscheinend Robert beigebracht hatte.

„Der ist gut trainiert“, meinte Phillip.

„Ja, ich weiß, aber nicht durch mich…, Robert, mein Kollege hat das gemacht. Aber der liegt gerade im Krankenhaus, so versuche ich halt alles, was mir einfällt. So wie eben, das war auch für mich neu.“

„Du wusstest nicht, was er macht?“

„Nein, ich weiß nur dass er auf die Pfeife reagiert. In welcher Reihenfolge und mit was die verschiedenen Abfolgen zusammenhängen, weiß ich nicht, kann nicht nachfragen.“

„Sieht aber trotzdem sehr interessant aus“, meinte Phillip.

„So, da sind wir wieder“, kam es von Heike, die wieder mit Flo zurückkam.

Dieser trug einen Stuhl…, aber einen Stuhl ohne Beine.

Dennis

Jetzt fing auch noch dieses blöde Gewitter an, wo wir gerade die Bären wieder rausgelassen hatten. Sabine schien meine Gedanken lesen zu können.

„Keine Sorge, die finden da draußen irgendwie Unterschlupf“, erklärte sie.

„Darf man hier rauchen?“, fragte Lucca plötzlich.

„Nein Lucca, bei den Tieren ist es grundsätzlich verboten. Alleine draußen vor der Tür!“

Dass Lucca davon nicht begeistert war, konnte ich ihm ansehen – jetzt, wo draußen das Gewitter losbrach.

„Und was machen wir solange es regnet?“, fragte Lucca.

„Die Käfige sauber und fertig für die Nacht“, sagte ich und schnappte mir wieder meinen Besen.

Lucca blieb nichts anderes übrig und er griff auch nach einem Besen.

„Warte, ich mach dir einen Käfig auf“, sagte Sabine.

Sie zog ihren Schlüsselbund und öffnete damit den vierten Käfig.

„Sei vorsichtig beim Reinklettern und bleib nicht am Gestänge hängen.“

Lucca nickte und hangelte sich hinein.

Robert

Draußen blitze es heftig, sonst war es im Zimmer fast dunkel. Adrian lag in meinem Arm und schlief. Sanft streichelte ich ihm über den Kopf. Er machte Pläne, was er alles mit mir vorhatte, wenn ich rauskommen würde.

Na ja, ich hatte ihm noch nicht gesagt, dass ich morgen gehen durfte…, auf eigene Verantwortung natürlich. Aber Dennis’ Vater meinte, soweit wäre alles in Ordnung, ich sollte nur langsam machen.

Einen privaten Krankenpfleger hatte ich ja. Irgendwie war ich doch gespannt, was sich in den fünf Jahren zu Hause alles geändert hatte. Und die Idee, mit Adrian hinzufahren, kam da gerade Recht.

Ich war auf seine Reaktion gespannt, wenn ich es ihm nachher sagen würde.

„Nicht aufhören“, brummte Adrian.

Während ich in Gedanken versunken war, vergaß ich, ihn weiter zustreicheln. Also kraulte ich ihn weiter. Wieder kam ein Brummen und Adrian schmiegte sich enger an.

„Bist du schon lange wach?“, fragte Adrian.

„Du, ich liege hier den ganzen Tag…, ich war die ganze Zeit wach.“

„Warum weckst du mich dann nicht?“

„Weil ich es genossen habe, neben dir zu liegen.“

„Und niemand ist reingekommen?“

„Nein, wir waren die ganze Zeit ungestört.“

„Ich freue mich schon, wenn wir zusammen wegfahren können.“

„Hast du schon gepackt?“, fragte ich und grinste.

„Nein, du musst ja erst mal entlassen werden.“

„Werde ich morgen!“

„Was?“

„Ja, Dennis Vater hat mir grünes Licht gegeben, ich soll halt noch etwas langsam tun.“

„Dafür sorge ich… und du willst morgen gleich fahren?“

„Ja, möchte ich, aber ich muss erst mal meine Eltern anrufen, ob es ihnen auch Recht ist.“

„Kann mir das Gegenteil nicht vorstellen.“

„Ich auch nicht“, meinte ich und kraulte ihn weiter, während er wieder brummte.

„Vielleicht sollte ich dann mal langsam losziehen. Ich muss noch einiges machen, wenn ich morgen mit dir wegfahren will.“

„Okay, dann rufe ich gleich meine Eltern an.“

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