Zoogeschichten II – Teil 79

Sorgenkinder

Lucca

„Na und, was dagegen?“

Felix hatte sich vor mir aufgebaut. Bisher hatte er mich in Ruhe gelassen. Es waren ja genug Jüngere an der Schule, die er diskriminieren konnte. Doch jetzt schien sich das Blatt gewendet zu haben, er war auf Ärger aus.

Felix grinste breit und steckte sich selbst eine Zigarette an.

„Deine Aktion im Zoo war cool, wie ich gehört habe.“

„Wenn du meinst“, sagte ich und zog an meiner Zigarette.

„Hast du nicht mal Lust, mit uns loszuziehen?“

Felix und sein Gefolge…, sie waren genauso bescheuert wie er. Darauf hatte ich nun wirklich kein Bock.

„Nein, lass stecken“, antwortete ich und winkte ab.

„Das Angebot steht!“, sagte er und ließ mich wieder alleine.

So langsam füllte sich der Hof und auch die Raucherecke wurde langsam voller. Wie gewöhnlich saß ich in der Ecke auf meinem Platz und wurde auch von niemand anderem angesprochen. Freakstatus eben.

Bisher war ich ganz glücklich darüber, aber seit ich gestern mit Sabine und Dennis zusammen war, merkte ich, dass etwas fehlte. Ich beobachtete die anderen Kids im Hof, wie sie zusammenstanden.

Ja, die standen zusammen… ich war alleine. Ich trat meine Zigarette auf dem Boden aus und verließ meinen angestammten Platz. Ich spürte die kritischen Blicke der Anderen, doch ich reagierte nicht.

Nach dem heftigen Gewitter gestern, war nun alles wieder klar. Die Sonne blendete mich und so ließ ich meine Sonnenbrille auf die Nase rutschen. Cool wie immer hangelte ich mich zwischen den Grüppchen hindurch.

Mein Ziel…, meine Klasse. Helen erschrak regelrecht, als ich knapp hinter ihr auftauchte.

„Genster, was willst du denn hier“, kam es von Andreas.

„Wieso? Ist doch der Schulhof, oder?“

Keiner gab Antwort und alle wendeten sich wieder ihrem vorherigen Tun zu. Ich setzte mich an den Rand, blieb aber in der Nähe. Reichert kam auf den Schulhof und bat um Gehör. Es dauerte etwas, bis die restlichen Schüler unter seinen Pfiffen verstummten.

Er teilte uns mit, dass eine wichtige Lehrerkonferenz einberufen worden war und wir nach Hause gehen konnten. Das war mal eine gute Nachricht. Ich lief als fast einer der ersten ins Schulgebäude zurück, um meine Sachen zu holen.

Erst wollte ich kurz nach Hause, mich umziehen und dann gleich in den Zoo.

Volker

Sorgenvoll sah ich die Kleine an. Sie hatte etwas getrunken, aber eben nicht genug. Ich strich mir mit der Hand über das Gesicht. Das erste Mal seit Langem war ich ratlos…, was ein Tier betraf.

Ich zog mein Handy heraus und wählte Jürgens Nummer.

„Hallo Volker, was steht an?“, begrüßte mich mein Bruder.

„Es geht um das kleine Bärchen, es trinkt seine Milch nicht.“

„Und wie kann ich dir da weiterhelfen?“

„Könntest du nicht mal bei deinen Kollegen herumhören, ob es da jemand gibt mit Erfahrung?“

„Kein Problem, ich melde mich dann wieder.“

„Danke!“

„Bis später, Volker.“

„Tschüss!“

Ich drückte das Gespräch weg und kümmerte mich wieder um mein Sorgenkind.

„Was soll ich nur mit dir machen? Du musst trinken!“

Sanft strich ich mit der Fingerspitze über das weiche Fell der Bärin. Sie war schwach, was auch kein Wunder war. Alle drei oder vier Stunden bekam sie Milch von ihrer Mutter. Seit gestern hatte sie nicht mehr richtig getrunken.

Wieder träufelte ich Milch auf meinen Finger und hielt es vor ihre Schnauze, die sie zaghaft ableckte. Ich hörte die Tür, Fritz schien zurückzukommen.

Dennis

Sabine hatte erzählt, dass Lucca heute Morgen schon kommen würde, weil bei ihm etwas in der Schule ausgefallen war. Ich kämpfte gerade mit dem Neuzugang, bei dem eine Auffrischung der Impfungen anstand.

Wie immer fauchte er mich an und versuchte, nach meiner Hand zu schnappen. Ich fragte mich, wie das Jungetier vorher behandelt wurde, dass es so aggressiv reagierte. Doc Reinhard war bereits da und zog vor der Tür seine Spritzen auf.

„Jetzt halt doch endlich mal still! Ich tu dir doch nichts!“

„Na, macht er immer noch Schwierigkeiten?“, kam es vom Doc, der gerade den Käfig betrat.

„Ja, irgendwie ist das Tier voll misstrauisch. Außer ich habe dieses Bärenkostüm an.“

„Verstehe ich auch nicht. Kannst du trotzdem versuchen, ihn stillzuhalten. Ich möchte mit den Spritzen nicht abrutschen.“

So griff ich in den Nacken und der Bär hielt augenblicklich ruhig. Reinhard setzte seine erste Spritze an und ich schaute weg.

„Du magst wohl keine Spritzen?“, fragte Reinhard.

„Nein, ganz und gar nicht.“

„Sind aber nötig!“

„Solange sie mir keine geben.“

Reinhard lachte und setzte die zweite Spritze an. Das Bärchen zuckte kurz, gab aber sonst keinen Laut von sich.

„So, fertig!“

Ich nahm das Bärchen und trug es in seine Kiste. Vorsichtig setzte ich ihn ab, bevor er wieder nach mir schnappen würde. Aber diesmal blieb das Bärchen erstaunlich ruhig.

„Und was macht unser Krümel?“, fragte Reinhard.

„Wächst und gedeiht“, antwortete ich stolz.

Krümel hatte seinen Namen gehört und schon kam er angerannt. Reinhard kraulte den brummenden Knäuel. Ich verließ mit Reinhard den Raum.

„So, jetzt geh ich ins Savannenhaus. Unser Girraffenmädchen hat ihre erste große Untersuchung.“

Ich reichte ihm seine Sachen, gab aber keine Antwort. Savannenhaus stand für mich für Michael und an ihn wollte ich gerade nicht denken.

Michael

Ich versuchte, mich etwas zusammenzureißen. Im Gehege war Saubermachen angesagt. Mit Rechen, Schaufel und Eimer bewaffnet, ging ich nach draußen, wo Kevin und die Anderen bereits am Arbeiten waren.

Ich ging absichtlich etwas abseits. Ich wollte kein Gespräch aufgedrückt bekommen. Ich hatte ohnehin das Gefühl, dass mich jeder anstarrte. So stellte ich den Eimer ab und begann, die Ausscheidungen der Tiere zusammenzurechen.

Immer wieder hatte ich Dennis’ Gesicht vor Augen. Ich glaubte nicht, dass er wusste, wie sehr ich darunter litt, was ich gemacht hatte. Mir kamen die Ringe in den Sinn, die ich heute noch abholen wollte.

Hatte ich sie umsonst anfertigen lassen? Mir fiel ein schwarz weiß gefärbter Fleck an einem Baum auf. Ich lief hin und erkannte, dass es sich um ein Haarbüschel eines Zebras handelte. Was mich stutzig machte, dass das Ganze mit Blut beschmiert war.

Keinem von uns war eine Verletzung bei den Zebras aufgefallen. Ich drehte mich zu den Anderen und suchte Günther, den Verantwortlichen für das Savannenhaus.

„Kevin, hast du Günther gesehen?“, rief ich und augenblicklich fuhren alle Köpfe herum.

„Der müsste bei den Giraffen sein. Wieso?“, bekam ich als Antwort zurück.

„Hier ist ein blutverschmiertes Zebrahaarbüschel.“

Augenblicklich ließ Kevin seine Sachen fallen und kam zu mir. Ich zeigte auf die Stelle am Baum. Uns war bekannt, dass sich die Zebras ab und zu an der Rinde der Bäume kratzen. Aber nie war dadurch eine Verletzung entstanden.

„Da sollte wir lieber gleich nach den Zebras schauen, welches sich da verletzt hat“, meinte Kevin und zog das Büschel von der Rinde ab.

Ein rostiger Nagel kam zum Vorschein.

„Wie kommt denn der Nagel da hin?“, fragte ich verwundert.

„Er muss schon länger drin sein, so verrostet wie er ist“, meinte Kevin.

„Aber dass er uns noch nie aufgefallen ist.“

„Von uns schaut keiner auf die Bäume, jedenfalls nicht so, dass uns ein Nagel auffallen würde.“

Kevin hatte ein Klappmesser herausgezogen und puhlte den Nagel heraus.

„Ich hole noch schnell meine Sachen, dann treffen wir uns bei den Zebras“, meinte Kevin und lief zu den Anderen zurück.

Ich schaufelte meine Haufen in den Eimer und ging zurück zum Savannenhaus. Kevin kam wenig später nach. Im Savannenhaus lief ich zu den Giraffen, wo ich Günther und Doc Reinhard vorfand.

„Hallo ihr beiden. Eines der Zebras scheint verletzt zu sein“, meinte ich und erzählte kurz, was Kevin und ich gerade gefunden hatten.

„Wir sind hier gleich fertig“, sagte Reinhard.

„Gut, ich geh dann schon mal zu den Boxen der Zebras“, sagte ich und ließ die zwei alleine.

Auf dem Weg zu den Boxen kam nun auch Kevin. Gemeinsam schauten wir uns die Zebras an, konnten aber nichts Genaues ausmachen.

„Ich geh rein“, meinte ich.

„Sei aber vorsichtig“, mahnte Kevin.

Ich öffnete die Riegel und drückte mich durch den Spalt in die Box, wo drei der weiblichen Zebras waren.

„Hast du eigentlich mit Dennis gesprochen?“, fragte Kevin plötzlich.

„Ja!“, antwortete ich nur und versuchte, mich auf die Tiere zu konzentrieren.

„Und, was ist…, erzähl.“

„Mann, Kevin…“, begann ich, atmete tief durch.

Die Tiere waren unruhig, das spürte ich selbst. Wen ich jetzt auch noch anfing, würde das schnell auf die Tiere übergehen.

„Er braucht Zeit, hat er gemeint“, sagte ich tonlos um die Tiere nicht aufzuschrecken, „ja braves Mädchen.“

Das erste Zebra hatte nichts, ich klopfte mit der Hand sanft auf das Fell am Rücken und versuchte, sie etwas bei Seite zu drücken.

„Und, schon etwas gefunden?“, hörte ich Günther fragen.

„Nein, aber Michael ist drinnen und schaut sich die Damen genauer an.“

Ein besorgtes Gesicht mehr tauchte an der Boxtür auf.

„Michael, sei ja vorsichtig. Seit ein paar tagen sind die Mädels ziemlich gereizt“, meinte Günther.

„Gereizt?“, fragte Reinhard und Kevin fast gleichzeitig und ich konnte auch bei der zweiten Dame nichts entdecken.

„Ich weiß selbst nicht, was los ist. Vielleicht hängt es aber auch mit dem neuen Hengst zusammen, sie vertragen sich anscheinend nicht.“

Ich bückte mich, um auch die das dritte Zebra in Augenschein zu nehmen, als ich den Hengst wiehern hörte und Bewegung in die Box kam. Aschanti, das alte Mädchen, drehte sich recht schnell und so kam ich in Zugzwang.

Es kam, wie es kommen musste. Ich wurde von der jüngeren Dame, Gersti, an die Wand gedrückt. Aber nicht nur gerempelt, Gersti klemmte mich regelrecht zwischen sich und die Boxenwand ein.

„Mach den Schieber auf!“, hörte ich Günther rufen.

Ich fühlte nur noch einen stechenden Schmerz in Brusthöhe und stöhnte kurz auf. Sobald das Tor offen war, verließen die drei rennend die Box und ich fiel in das kniehohe Stroh. Kevin war als Erster bei mir.

Das Luftholen tat mir weh.

„Micha, alles klar mir dir?“, fragte er entsetzt und versuchte, mich hochzuziehen, was bei mir einen Schmerzensschrei auslöste.

„Leg Micha vorsichtig ab“, meinte Günther und Reinhard kniete sich neben mich.

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