Zoogeschichten III – Teil 110

Der Anruf

Dennis

Endlich zu Hause – der Tag heute war anstrengend. Kurz unter die Dusche und ich fühlte mich wieder wie neu geboren. Michael wollte später noch vorbei kommen. Frisch, aber dennoch erschöpft, ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen.

Mein Blick wanderte über das Durcheinander auf dem Schreibtisch. Er blieb haften, als ein farbiger Zettel in meinem Blickfeld auftauchte. Den Zettel, den mir Mum vor ein paar Tagen gereicht hatte.

Ich zog ihn aus dem Durcheinander heraus. Sven Meisenberger mein Vater. Er wollte mich treffen.

„Hi Schatz“, hörte ich hinter mir.

Ich drehte meinen Kopf und wurde noch mit einem Kuss begrüßt. Michael setzte sich neben mich aufs Bett.

„Was machst du? In China surfen?“

„Ich dachte gerade an meinen Vater.“

„Dein Dad ist noch nicht da?“

„Nein, ich meine meinen leiblichen Vater…“

„Ach so.“

„Ich überlege gerade, ob ich anrufen soll, ob er heute Abend Zeit hat.“

„Und was hindert dich daran?“

„Ach… ich weiß auch nicht… Ich trau mich nicht.“

„Wovor hast du denn Angst?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Würdest du mitkommen?“, fragte ich und legte den treuherzigsten Bärenblick auf, den ich konnte.

„Ich weiß nicht recht, ob das gut ist. Gleich mit deinem Freund zu erscheinen.“

„Wieso denn? Was soll daran nicht gut sein?“

„Du hast ihm sicherlich nicht erzählt, dass du schwul bist, oder?“

„Nein, habe ich nicht.“

„Siehst du. Er sollte dich vielleicht erst mal so kennen lernen.“

„Also Michael, wenn er mich so wie ich bin, nicht akzeptiert, ist er gleich für mich gestorben.“

Ich nahm den Zettel und wählte die Nummer meines Vaters.

Sebastian

Michael schien da zu sein, sein Wagen parkte vor dem Kahlbergschen Haus. Ich zog den Schlüssel heraus und schloss die Haustür auf. Anscheinend wurde ich schon erwartet, denn Dennis` Mutter streckte ihren Kopf aus der Küche.

„Hallo Sebastian… hast du Hunger?“, fragte sie.

„Klar, immer doch, was gibt es denn?“

„Einen Nudelauflauf.“

„Ah, lecker.“

„Kannst du Micha und Dennis herunter holen?“

„Klar.“

„Mein Mann braucht wohl noch etwas länger, hat vorhin angerufen“, meinte sie und verschwand in der Küche.

Ich dagegen lief erst mal hoch in mein Zimmer, um mich meiner Sachen zu entledigen. Schnell waren die Wohlfühlsachen angezogen. Ich verließ mein Zimmer wieder und klopfte bei Dennis.

„Ja?“, hörte ich es von drinnen rufen und ich öffnete die Tür.

Volker

„Willst du nicht hier bleiben?“, fragte mich Rolf.

Ich antwortete nicht sofort. Nach dem Besuch bei Lucca war ich mit Rolf zu ihm nach Hause gefahren.

„Du musst nicht, wenn du nicht willst“, meinte Rolf, der meine Reaktion, nämlich keine, anscheinend falsch verstand.

„Doch… ich würde gerne bleiben“, meinte ich und rutschte noch etwas tiefer in Rolfs Arm.

„Hunger?“

„Nicht unbedingt. Wegen mir musst du nichts machen.“

„Habe aber Lust dazu“, säuselte Rolf mir ins Ohr, was mir eine Gänsehaut einbrachte.

„Das musst du wirklich nicht, Rolf.“

„He, ich will nicht, dass du mir vom Fleisch fällst.“

„Ich habe genug drauf… das schadet mir nicht!“

„Mir gefällst du so“, entgegnete Rolf und beugte sich etwas vor, um mich richtig in den Arm zu nehmen.

Dennis

Sebastian streckte den Kopf in mein Zimmer.

„Deine Mum meint, ich soll euch zum Essen rufen.“

„Oh, danke okay“, antwortete ich.

„Was macht ihr?“

„Dennis hat grad mit seinem Dad telefoniert“, erklärte Michael.

„Ähm… ja und, der ist noch im Krankenhaus hat deine Mum gesagt.“

„Seinem leiblichen Vater!“, betonte Michael.

„Oh… ja und trotzdem, und?“

„Ich habe die Telefonnummer meines leiblichen Vaters von Mum bekommen, damit ich bei ihm anrufen kann“, sagte ich leise.

„Und die von deiner Mutter?“

„Die lebt nicht mehr, kam damals bei meiner Geburt ums Leben.“

„Heftig!“, meinte Sebastian und betrat nun mein Zimmer.

„Und was spricht er… dein Vater?“, fragte Sebastian.

„Das war jetzt schon das zweite Mal, es geht um ein Treffen“, meinte Michael.

„Ach so… da will ich mal nicht stören… ihr kommt ja sicherlich gleich runter.“

„Du störst nicht. Aber wir gehen runter. Mum wartet nicht so gerne mit dem Essen“, meinte ich.

*-*-*

„Meinst du, ich hätte nicht etwas mitbringen sollen… einen Blumenstrauß oder eine Flasche Wein?“, fragte ich.

„Das fällt dir früh ein. Da drüben ist eine Handelskette, vielleicht kriegen wir dort etwas“, meinte Michael und zog mich über die Straße.

Weniger später standen wir wieder vor der Gartentür. Diesmal mit einem – na ja – Blumenstrauß in der Hand. Recht kümmerlich, meinte Michael, aber besser als gar nichts. Ich atmete noch einmal tief durch und drückte den Klingelknopf am Türpfosten.

Es dauerte einige Sekunden, bis man ein Knacken in der Sprechanlage hörte.

„Ja?“

Eine Frauenstimme.

„Hier ist Dennis Kahlberg.“

Ein Summen war zu hören und die Gartentür sprang auf. Wir betraten gemeinsam das Grundstück und Michael drückte das Tor wieder zu. Die Haustür ging auf.

Volker

Rolf saß süß aus in seiner Kochschürze. Erstaunt war ich allerdings über seine Kochkünste. Das Messer jagte über das Brett und im Nu war das Gemüse zerkleinert. Immer wieder steckte er mir irgendein Stückchen in den Mund.

„Machst du mal die Weinflasche auf?“, fragte Rolf.

„Welchen? Den Roten?“

„Wie du möchtest.“

Also griff ich mir die Rotweinflasche.

„Wo hast du einen Öffner?“

„Dritte Schublade von oben… auf der rechten Seite. Gläser hat es im Hängeschrank da drüben.“

Wie beschrieben, zog ich nun die dritte Schublade auf und fand auf Anhieb den Korkenzieher. Korkenzieher? Ich hatte irgend so ein Designerding in der Hand. Also fummelte ich das Alu herunter und betrachte mir das Teil genauer.

„Ist etwas?“, fragte Rolf.

„Ich kenn mich ja mit vielem aus, aber wie man mit dem Ding eine Flasche öffnen soll – kannst du mir das erklären?“

Rolf begann zu lächeln und nahm mich kurz in den Arm.

„Kriegt mein starker Mann die Flasche nicht auf?“, grinste er mich an.

‚Mein Mann’ hatte er gesagt… unweigerlich musste ich auch grinsen, hörte sich komisch an. Ich hielt ihm die Flasche hin und auch das Teil. Und schneller, als ich schauen konnte, war die Flasche offen.

Verdutzt schaute ich ihn an. Man konnte doch immer etwas dazu lernen.

Michael

Ein Mann und eine Frau traten heraus. Dennis stand wie angewurzelt vor mir. Ich schob ihn sanft an.

„Hallo Dennis“, sagte der Mann und streckte die Hand aus.

Unverkennbar Dennis’ Vater. Er hatte das gleiche reizende Lächeln wie sein Sohn.

„Hallo“, meinte Dennis und streckte nun seinerseits sehr zaghaft seine Hand aus.

„Das ist meine Frau Sandra“, meinte Dennis’ Vater.

„Hallo Dennis, freut mich, dich kennen zu lernen.“

„Hallo.“

Wieder brachte Dennis nicht mehr über die Lippen. Das Ehepaar schaute mich an. Da Dennis nichts sagen konnte, drängte ich mich einfach nach vorne.

„Michael, Dennis` Freund.“

Die beiden schauten mich erstaunt an, aber schüttelten mir beide die Hand.

„Kommt doch rein“, bat uns Sandra ins Haus.

Nur langsam setzte sich Dennis in Bewegung. Ich gab Dennis, für die beiden unbemerkt, einen leichten Stoss in die Rippen, was ihn zusammen zucken ließ. Irgendwie erwachte er nun aus seiner Starre sah mich ängstlich an.

Wir folgten den beiden durch den Flur ins Wohnzimmer. Dennis hielt Sandra den verunglückten Blumenstrauß entgegen.

„Och, das wäre doch nicht nötig gewesen, Dennis. Aber danke schön“, meinte Sandra.

Sie verließ das Wohnzimmer mit den Blumen.

„Setzt euch doch“, meinte Dennis’ Vater.

Dass Dennis sich nicht auf meinen Schoss setzte, war verwunderlich, so dicht drückte er sich an mich.

„Habe ich das vorhin richtig verstanden? Sie sind Dennis’ Freund, also im Sinne von…“

„Ja, der bin ich“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „und dass der Kleine so stumm ist, ist auch nicht normal.“

Das hatte gesessen, denn jetzt reagierte Dennis plötzlich.

„Stimmt doch gar nicht“, meckerte er.

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