Aschenbrödels Bruder – Teil 18

Noch bevor ich den Flur betreten konnte, war Alfred zur Stelle und wies mich mit der Hand, in die Küche zubleiben. Leider war ich viel zu neugierig und blieb an der Tür zur Küche stehen.
Alfred schaute durch den Türspion und riss dann plötzlich die Haustür auf.

Meine Mutter kam herein.

„Tut mir leid, anscheinend ist die Tür zugefallen und ich habe mich ausgesperrt“, erklärte sie.

Irgendwie atmeten alle im Haus durch.

„Ach Alfred, wo ich sie gerade noch treffe, wollen sie sich nicht ein paar Stunden frei nehmen? Sie arbeiten doch schon seit Tagen durch.“

„Das ist kein Problem, es ist noch genügend Freizeit für mich vorhanden, aber danke Madam, sehr aufmerksam von ihnen.“

So so, er hatte also Freizeit, was er da wohl machte? Ob er einen festen Freund hatte? Hm, mit dieser wenigen Freizeit, nach meiner Meinung, für eine feste Beziehung viel zu wenig Zeit.
Mir wurde langsam kalt, während Mum immer noch in der halboffenen Haustür stand. So entschloss ich mich weder nach oben zu gehen, vorbei an Alfred, der mich irgendwie immer mehr faszinierte.
Aber schon beim hochlaufen, löste sich dieser Gedanke weitgehend auf, denn jemand anderes machte sich in meinem Kopf breit, nicht nur im Kopf, sondern auch in meinem Herzen. Eine Stelle, die Alfred nie erreichen würde.
Lucas und Alfred konnte man auch schlecht miteinander vergleichen, jetzt nicht wegen dem Altersunterschied, nein sie waren einfach zwei total verschiedene Personen. Ich bekam nicht mehr mit, wie ich mit einem süffisanten Lächeln, die Treppe hinauf in mein Zimmer schwebte und mich in meinem Bett wiederfand.
Wieder etwas klarer im Kopf, griff ich nach meinem Handy und öffnete Whatapp. Ich ließ mich wieder auf mein Bett zurück gleiten, lehnte mich an die Rückseite und machte es mir richtig bequem.

*Hi Lucas, schon wach?

Ich wartete darauf, ob vielleicht eine Antwort kam, denn es stand dort Lucas das letzte Mal online gestern Abend. Plötzlich änderte sich aber oben das Schriftbild in Lucas schreibt…

„Morgen Benjamin… gut geschlafen?“

„Morgen Lucas ja, wie ein junger Gott!“

„Und das ohne mich unvorstellbar!“

„Da ist aber einer ganz schon eingebildet!“

„Du redest wieder von dir?“

Ich schickte ihm ein lachendes Smiley.

„Wann kommst du?“

Ich wechselte einfach das Thema.

„Ich weiß nicht genau, ab wann kann ich denn kommen?“

„Sofort!“

Ich musste kichern.

„Meinst du das jetzt ernst?“

„Wenn ich es nicht ernst meinen würde, dann würde ich es nicht schreiben.“

„Aber hat deine Mutter da nichts gegen?“

„Das könnte ich dich auch fragen, falls du gleich herkommst…, nein hat sie nicht.“

„Okay, ich frage nach, versprechen kann ich aber nichts.“

„Dann warte ich solange auf deine Antwort.“

So war unsere Unterhaltung unterbrochen. Wie lange so etwas wohl ging. Fing seine Mutter eine Diskussion an, oder verneinte sie sofort? Noch während ich weiter grübelte, fiepte mein Handy wieder.

„Also, wenn du das ernst gemeint hast, kann ich sofort kommen, ich müsste mich aber erst noch anziehen und zu dir laufen.“

„Wieso laufen, hast du kein Fahrrad…, oder den Bus?“

„Hast du vielleicht heute mal Zeit gehabt hinauszuschauen?“

„Öhm, nein, wieso?“

„Weil es heute Nacht heftig geschneit hat und so gut wie nichts mehr fährt.“

Mir war die Tipperei zu blöd und rief ihn einfach an. Dabei stand ich auf und lief zum Fenster. Er nahm sofort ab und ich führte das Gespräch einfach so weiter.

„Ich bin zwar schon eine Weile wach, aber raus habe ich noch nicht … ach du Käse, wo ist denn mein Weihnachtsbaum hin?“

„Welcher Weihnachtsbaum denn?“, hörte ich nun wieder seine so angenehme Stimme.

„Den ich mit Alfred zusammen mit Lichtern versehen habe, der ist weg, das heißt, dass ist eine Art Hügel.“

„Dann siehst du wohl, wie heftig es heute Nacht geschneit hat und wenn du noch eine Weile mit mir telefonierst, werde ich nie mit anziehen fertig.“

„Du ziehst dich schon um?“

„Klar ich will doch zu dir!“

„Okay, dann werde ich dich nicht weiter aufhalten.“

„Du doch nicht.“

„Aber du sagst doch gerade, du ziehst dich um.“

„Du wirst es nicht für möglich halten, aber ich kann zwei Dinge zur gleichen Zeit tun.“

Ich musste grinsen.

„Trotzdem lege ich jetzt auf, wir können nach her noch genug reden. Also bis gleich.“

„Ja, bis gleich… ciao!“

„Ähm… bye!“

Auf der anderen Seite kicherte Lucas, doch ich drückte das Gespräch weg. Sollte ich etwas anderes anziehen? Angestrengt überlegte ich, ging gedanklich meinen Kleiderschrank durch, um dann irgendwie laut loszulachen, weil mir der Gedanke kam, dass ich gerade ein Klischee für typisch schwul bediente, in dem ich dachte, was zieh ich nur an.
So blieb ich, wie ich war, lief an meinen Laptop und fuhr es hoch. Ob jemand eine Mail geschickt hatte. Hm, außer Werbung war da nichts zu sehen, halt, da dort, was war das, kein Betreff und der Absender, aus einem bekannten Internetcafe hier in der Stadt.
Ich drückte öffnen und noch während sich das Bild aufbaute, lief es mir kalt den Rücken runter.

„ALFRED!“, schrie ich, der auch wenige Sekunden später außer Atem erschien, so wie Sabine und dann auch meine Mutter.

Zitternd zeigte ich auf den Monitor.

„Ich krieg dich du kleiner schwuler Scheißer!!!!“

*-*-*

Noch immer zitterte ich, während Sabine mich im Arm hielt. Nicht der Spruch hatte mich so erschreckt, es war dieses blutige Bild mit einem abgestochenen Jungen darunter.

„Die Polizei ist verständigt! Entschuldige bitte Benjamin, wenn ich deinen Account durchgegeben habe, aber so lässt es sich leicht ermitteln.“

„Und was passiert jetzt?“, wollte meine Mutter wissen.

„Die Polizei geht davon aus, dass diese Mail von… ihrem Mann stammen könnte…“

„Warum sollte Werner so etwas machen, gut ab und zu war etwas jähzornig, aber seinem eigenen Sohn etwas antun?“

Alfred beugte seinen Kopf zu meiner Mutter und sprach deutlich leiser, zu meinem Leidwesen, verstand ich kein Wort. Ich sah nur, dass meine Mutter erst die Augen aufriss, dann unheimlich traurig das Zimmer verließ.

„Benjamin…, Sabine, ich weiß, es steht mir nicht zu euch irgendetwas vorzuschreiben, aber bitte keine Alleintouren nach draußen…“

Ich sah Alfreds bittende Augen, ich wusste, dass er es ernst meinte. So nickte ich, als unten die Türglocke ihren Dienst verrichtete. Sabine neben mir zuckte zusammen. Alfreds Gesicht wurde noch ernster und verließ mein Zimmer.
Wenig später hörte ich Alfreds Stimme.

„Hallo Lucas, Benjamin und Sabine sind oben.“

„Danke!“

Treppengetrampel – Lucas erschien in meinem Zimmer. Er sah erst mich dann Sabine an.

„Ähm… hallo, ist was passiert? Ihr schaut so komisch.“

Sabine zeigte auf meinen Laptop, wo noch immer die Email prangte.

„Ach du scheiße… und jetzt?“

Er zog sich seine Jacke aus, warf sie einfach über den Stuhl und setzte sich neben mich. So saß ich jetzt zwischen beide. Ich wurde ruhig, alleine schon durch Lucas sanftes Streicheln auf meinem Rücken.
Sabine schaute auch geknickt aus.

„Alles klar mit dir?“

Sie schaute mich traurig an.

„Ich werde Mum bitten, Madam Toufon anzurufen.“

„Wieso?“, fragten Lucas und ich gleichzeitig.

„Die Proben und den Auftritt werden wir uns ja jetzt wohl abschminken können.“

„Quatsch!, kam es von Lucas, bevor ich etwas erwidern konnte, „das wäre ja viel zu öffentlich, da wird sich bestimmt niemand trauen, Benjamin etwas anzutun.“

„Es ist mein Vater…“, sagte ich tonlos.

„Meinst du wirklich?“, fragte Sabine.

„Ja…“, meinte Lucas und ich wieder gleichzeitig.

Fragend schaute ich ihn an.

„Hä?, kam es von Sabine.

„Mit ja meinte ich, dass auch euer Vater an so einem Ort mit vielen Menschen sich nicht blicken lassen wird, da bin ich davon überzeugt.“

„Du schaust eindeutig zu viele Krimis“, meinte ich trocken und musste dann doch anfangen zu kichern.

Beide stimmten ein. Irgendwie wurde es mir jetzt leichter ums Herz.

„Ihr solltet nur darauf achten, dass ihr die nächsten Tage nicht alleine unterwegs seid.“

Ich lächelte Lucas an.

„Also ich denke, ich habe meinen Aufpasser“, grinste ich ihn an.

Am liebsten hätte ich ihm ja jetzt einen Kuss gegeben und ihn dolle umarmt, aber durch Sabine war ich irgendwie scheu jetzt.

„Dann heuern wir für Sabine Constanze an, die ist doch immer recht schlagfertig“, grinste Lucas.

Ich befürchtete schon, dass Sabine neben mir jetzt gleich explodierte, wurde aber auch hier überrascht.

„Wo Constanze hinlangt, da wächst kein Unkraut mehr“, scherzte Sabine.

„Warum rufen wir sie nicht an, ob sie auch kommen will?“, fragte Lucas.

„Du vergisst, dass Constanze die einzige ist, die bis Weihnachten noch Schule hat“, sagte ich.

„Oh stimmt, dass vergesse ich immer wieder.“

Jetzt tat mir Sabine richtig leid. Ich stand auf und lief zur Zimmertür.

„Benjamin, was ist? Was hast du vor?“, fragte Sabine.

„Moment, mir ist da etwas eingefallen“, antwortete ich brav und lief zur Treppe.

„Mum?“, rief ich.

„Ja mein Junge?“, kam es aus dem Wohnzimmer und wenige Augenblicke später erschien sie selbst.

„Ist alles in Ordnung Benjamin?“

„Ja Mum, ich wollte dich nur um einen Gefallen bitten.“

„Und der wäre?“

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