Ein anderes Leben – Teil 2

(zu Teil 1)

Er näherte sich mir und legte seine Hand auf meinen Bauch. Seine Augen glänzten feucht.

„Lucas…, würdest du mir ein Gefallen tun?“

„… ähm ja natürlich. Was denn?“

„Ich muss zurück nach Amerika, einige wichtige Dinge erledigen…, würdest du solange hier auf mich warten?“

„Hier?“, fragte ich total verwirrt.

Si-Won fing laut an zu lachen und löste sich wieder von mir.

„Ich meinte hier in Seoul…, ich kenne deine Pläne nicht…“

„Die kenne ich selbst nicht…, aber was seit meiner Ankunft geschehen ist, reicht schon für ein Jahr.“

„Lukas, das ist mir wichtig, denn mit dir an meiner Seite schaff ich sicher auch alles, was ich mir vorgenommen habe.“

„… mir… an deiner Seite“, stammelte ich ihm nach.

Etwas erschrocken schaute mich So-Woi an.

„Du… du hast gesagt du hilfst mir…“

Ich atmete tief durch, das meinte er also. Etwas schämte ich mich jetzt, dass ich gleich solche Gedanken hegte.

„Ja, klar So-Woi, versprochen ist versprochen!“

Nun lächelte er wieder, dann griff er in seine Tasche und zog etwas heraus. Zum Vorschein kam ein Handy, welches er mir reichte.

„Wenn irgendetwas ist, dann ruf mich bitte an!“, meinte er.

„Ähm… ich habe ein Handy…“, sagte ich erneut verwirrt.

„Nicht eins, welche alle meine Nummern gespeichert hat.“

„Alle? Also ich habe nur eine…“

„Das wirst du schon herausbekommen“, lächelte er mich an.

Ich nahm dieses kleine schwarze dünne Etwas entgegen.

„Am liebsten würde ich dich ja mitnehmen“, sprach So-Woi weiter, während er den Glastunnel weiter durchquerte, „aber wie ich gehört habe, hast du ja einiges vor.“

„Ähm… ich?“, kam es von mir, während ich ihm weiter folgte.

„Ja, deine Familie kennen lernen.“

Ich brauchte nicht zu fragen, woher er das wusste, aber ich war mir sicher, dass Hyun-Woo Jack nur so viel erzählt hatte, wie nötig war.

*-*-*

Das war nun der zweite Abschied innerhalb einer Woche. Erst Jae-Joong und nun So-Woi. Ich sah noch dem Flieger nach, obwohl er fast nicht mehr zu sehen war.

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Hyun-Woo neben mir.

„Nein, alles in Ordnung, nur irgendwie… seit ich hier bin, ist viel passiert…, zu viel.“

„Dürfte ich einen Vorschlag machen?“

„Immerzu, ich bin für jede Aufmunterung zu haben.“

„Ich kenne einen Ort, wo du dich etwas erholen kannst, ich müsste vorher nur kurz bei KBS vorbei, etwas abgeben.“

„Ich bin dabei…“

*-*-*

Hyun-Woo hatte mir einen Gästeausweis besorgt, da es anscheinend etwas länger ging. So lief ich in dem unteren Bereich des Hauses herum. Jedes Mal, wenn mir jemand entgegen kam, wurde sich leicht verneigt.
Ich tat dasselbe und war froh, dass mich niemand ansprach, denn zum reden war mir nicht zu mute. Ich kam an einer halb offenen Tür vorbei und erlaubte mir, einen Blick zu riskieren. Auf der Bühne waren Instrumente aufgebaut, drum herum ein wildes Gewimmel von vielen Leuten.
Genau in der Mitte stand ein Hocker, wo sich gerade jemand mit einer Gitarre hinsetzte. Ich zwängte mich durch die Tür. Der hintere Bereich in dem ich mich befand war dunkel, gut für mich, so konnte mich niemand entdecken und ich störte niemand.
Vorne begann die Gitarre zu spielen und bei näherem Hinsehen, erhaschte ich einen Blick auf das Gesicht des Gitarrenspielers. Wenn ich mich nicht irrte, war dass der Sänger Jung Yong-hwa von CN Blue.
Auch sie hatten einen Auftritt bei der Benefizveranstaltung am Wochenende. Es wurde etwas ruhiger und ich lauschte einfach dem Lied.

Always the same sky, always the same day
Besides the fact that you’re not here
Nothing has changed
I want to laugh just as if I forgot everything
I want to live as I laugh as if nothing’s wrong
But because I miss you, because I miss you
Everyday I call out…
Your name by myself
Because I miss you, because I miss you
I call out your name like a habit
Today once again
I thought I let you go without any remains
But no, no I still haven’t let you go
But because I miss you, because I miss you
Everyday I call out…
Your name by myself
Because I miss you, because I miss you
I call out your name like a habit
Today once again
Each day I feel like I could die
What do I do?
I love you I love you
I love you
Without even saying those words
I am letting you go
I’m sorry I’m sorry, can you hear me?
Can you hear my confession…
That is too late?
I love you
© Jung Jong Hwa 2011

Ich spürte die Tränen in meinen Augen. Ein wunderschönes Lied, über eine Liebe, die nie enden sollte. Ich fuhr mir über die Augen und verließ schnell den Raum wieder, wo ich einen suchenden Hyun-Woo entdeckte.

„Ist etwas?“, fragte Hyun-Woo, der sicherlich meine verweinten Augen gesehen hatte.

„Nein, ist schon in Ordnung, ich habe eben nur, da drinnen ein wunderschönes Liebeslied gehört.“

„CN Blue probt für einen Auftritt in einer Show.“

Ich nickte.

„Können wir?“

Wieder nickte ich und so folgte ich Hyun-Woo zum Wagen nach draußen.

*-*-*

Ich weiß nicht wie lange wir unterwegs waren, denn ich hatte die Augen geschlossen und ich war etwas eingenickt. Als ich sie wieder öffnete, waren wir bereits aus der Stadt heraus, denn die Häuser wurden kleiner und weniger, sprich immer mehr Grünflächen tauchten auf.
Nach einer geschätzten Stunde, bog Hyun-Woo von der großen Straße ab. Eine kleine am Rand unbefestigte Straße führte zwischen hohen alten Bäumen Richtung Berge. Ein paar Häuser erschienen und Hyun-Woo wurde langsamer, bis er schließlich in einem kleinen Seitenweg einbog und den Wagen anhielt.
Etwas aufgeschreckt, aus meinen Gedanken, sah ich durch die Scheibe nach draußen.

„Wir sind da“, meinte Hyun-Woo und stieg als erstes aus.

Ich folgte ihm. Er durchlief ein steinernes Tor und wir kamen in einen kleinen Innenhof. Er rief etwas, was ich nicht genau verstehen konnte und wenige Sekunden später wurde eine Tür am mittleren Gebäude geöffnet.

„Hyun-Woo, was für eine Überraschung, warum hast du dich nicht angemeldet?“

„Verzeih Mutter, es sollte eine Überraschung werden…, darf ich dir Lukas aus Deutschland vorstellen, der zur Zeit bei den Chois logiert?“

Wir waren also bei Hyun-Woos zu Hause. Die Frau, seine Mutter trat vor mich.

„Es freut mich sie kennen zu lernen, Lukas“, meinte sie und streckte mir ihre Hand entgegen.

Freundlich, wie ich es gelernt hatte, verbeugte ich mich leicht und schüttelte leicht ihre Hand. Sie fühlte sich warm und weich an.

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Hyun-Woos Mutter kennen zu lernen.“

„Habt ihr schon etwas gegessen?“

Bevor Hyun-Woo antworte konnte, sprach ich einfach weiter.

„Bitte machen sie sich keine Umstände.“

Sie lächelte über ihr ganzes Gesicht und drehte sich leicht nach hinten.

„Mutter, komm heraus, dein Enkel kommt uns besuchen!“, rief sie.

Hyun-Woo lächelte mich leicht verlegen an. Wieder öffnete sich die Tür und eine ältere Frau mit Kopftuch schaute heraus.

„Hyun-Woo? Bist du es wirklich?“, rief sie.

„Ja, Großmutter!“

Sie trat heraus und Hyun-Woo lief auf sie zu.

„Junge, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mehr essen, du hast sicher abgenommen.“

„Nein Großmutter, ich esse genug und habe nicht abgenommen.“

Sie fasste nach seinem Ohr und zog leicht daran.

„Du sollst deiner Großmutter nicht widersprechen!“

„Mutter, lass doch den Jungen, er sieht doch gut aus… schau er hat Besuch mitgebracht.“

Erst jetzt nahm mich die alte Frau war und schaute mich genau an.

„Der ist nicht von hier.“

„Nein Großmutter. Lucas ist zu Besuch bei den Chois, bei denen ich arbeite. Er kommt aus Deutschland und möchte ein Jahr lang unser Land kennen lernen.“

„Dafür wird ein Jahr nicht reichen, ich bin jetzt 79 Jahre alt und kenne vieles hier nicht.“

Ich trat auf sie zu und streckte ihr meine Hand entgegen.

„Ist mein Enkel auch nett zu ihnen? Kümmert er sich richtig um sie?“

Während sie meine Hand schüttelte, schaute sie mich noch einmal genau an.

„Warum müsst ihr jungen Kerle immer so dünn sein?“, sagte sie anschließend und ließ meine Hand los.

Ich wusste nicht genau, was ich darauf antworten sollte und lächelte verlegen. Im Hintergrund sprach Hyun-Woo leise mit seiner Mutter, die darauf nickte.

„Mutter lass uns essen, ich habe Hunger auf ein Essen.“

„Schmeckt es dir denn nicht, da wo du arbeitest und wohnst?“

„Doch Mutter, es ist aber eben nicht wie zu Hause.“

„Hör auf deiner Mutter zu schmeicheln, erzähl uns lieber, was du den ganzen Tag machst!“, schimpfte Hyun-Woos Großmutter, aber mit einem Lächeln, das ansteckend war.

„Ich eigentlich nur den ganzen Tag mit Lucas unterwegs.“

„Aha! Und Lucas, warum sind sie wirklich hier her gekommen.“

„Mutter!“

Ich lächelte verlegen.

„Es stimmt schon, ich bin her gekommen, weil ich das Land meiner Ahnen kennen lernen will.“

„Ahnen?“

„Meine Mutter stammt aus Seoul.“

„Deine Mutter? Wie ist denn ihr Name?“

Hyun-Woo zog mich an den Tisch und ich setzte mich neben ihn.

„Park Min-Ja hieß sie, bevor sie meinen Vater heiratete…“

„Und dein Vater?“

„Mein Vater ist Deutscher…“

„Mutter, jetzt sei doch nicht so neugierig.“

„Jetzt lass mich doch, wann erlebe ich hier mal etwas Aufregendes und erfahre etwas aus einem anderen fremden Land.“

Lächelnd schaute ich zu Hyun-Woo, dem das ganze peinlich schien.

„Alles klar?“, fragte ich leise.

Das ist normalerweise eigentlich immer seine Frage an mich, aber er nickte.

„Und wo sind deine Eltern? Hyun-Woo, warum hast du sie nicht mitgebracht?“

„Großmutter, weil die in Deutschland sind.“

„Du bist ganz alleine hier?“

Ich nickte ihr zu, während Hyun-Woos Mutter begann Essen aufzutragen. Wie bei den Chois, mächtig viel.

„Und was ist mit der Familie deiner Mutter? Du sagtest etwas von Ahnen.“

Die Frau war wirklich neugierig, aber es machte Spaß mit ihr zu reden.

„Großmutter bitte, Lucas ist erst ein paar Tage hier…“

„Schon gut Hyun-Woo…, aber ich denke, deine Großmutter kann ich die Geschichte erzählen.“

Hyun-Woo nickte, aber sein Gesicht sagte mal wieder etwas anderes. Ich wandte mich wieder zur Großmutter.

„Ich bin mit den Sitten und Bräuchen in Korea noch nicht so vertraut…, aber meine Mutter wurde damals verstoßen, weil sie meinen Vater einen Deutschen heiratete. Daher kenne ich die Familie meiner Mutter fast nicht…“

„Was hat das mit unseren Bräuchen zu tun, deshalb verstößt man doch nicht sein Kind.“

Die Frau gefiel mir immer besser, sie sagte, was sie dachte.

„Ich habe durch Zufall einen Teil der Familie meiner Mutter kennen gelernt und habe erfahren, dass mein Großvater keine Ausländer mag.“

„Auch kein Grund, aber in den Dickschädel eines Mannes kann man eh nicht hineinschauen.“

„Mutter!“

„Ach, sei ruhig, dein Mann, mein Sohn war da auch nicht besser und sein Vater… ach lassen wir das, essen wir lieber.“

Ich wusste nicht worum es ging, aber merkte schon, dass die Großmutter ein anders Thema angeschnitten hatte, von dem ich nichts wusste.

*-*-*

Nach dem Essen war ich mit Hyun-Woo ein paar Schritte gelaufen. Das übige Mahl von eben verlangte danach.

„Hier bist du also aufgewachsen…, schöne Gegend.“

„Ja, ich komme gerne hier her.“

„Noch Freunde hier?“

„Eigentlich nicht, die sind alle irgendwo in Seoul verstreut, ein Treffen ist da eher Zufall.“

„Das ist schade, aber deine Mutter besuchst du oft?“

„So oft es mir möglich ist, die Arbeit geht vor.“

„Verstehe…“

„Hast du zu Hause viele Freunde?“

„Eher weniger, ich bin sehr Familienbezogen und bin die meiste Zeit zu Hause.“

Das eben von mir Gesagte, erinnerte mich an So-Woi, so wie Hyun-Woo sagte, war dieser auch sehr oft zu Hause, aber sicher nicht, wegen seiner Familie. Hyun-Woo schwieg. Wir hatten eine Brücke erreicht, die ein kleines Flüsschen überzog. Auf der Mitten blieb wir stehen und schauten zum Wasser hinunter.

„Hier kann man richtig auftanken!“, meinte ich.

„Dann haben wir ja das Richtige getan“, meinte Hyun-Woo und lächelte mich an.

Spät abends kamen wir zurück. Hyun-Woo setzte mich wie gewohnt vor der Haustür ab. Mich wunderte, dass alles noch beleuchtet war. Ich klingelte wieder und wurde sofort eingelassen. Hyo-Joo stand wie üblich an der Tür und begrüßte mich herzlich.
Die Frage, ob ich was essen wollte, verneinte ich höflich, da ich immer noch satt war. Das Essen bei Hyun-Woo war sehr mächtig. Eigentlich wollte ich mich verabschieden und in mein Zimmer gehen, als Hyo-Woo mich bat, ins Wohnzimmer einzutreten.
Ich folgte ihr, weil ich nicht unhöflich sein wollte, blieb aber schon in der Tür wieder stehen, weil das jemand auf der Sitzgruppe saß, den ich nicht erwartet hätte und jetzt auch noch aufstand.
Ich verneigte mich kurz.

„Mrs. Park kam vorhin vorbei und bat mich dich sprechen zu können. Da Hyun-Woo angekündigt hatte, dass du bald hier eintreffen wirst, habe ich sie gebeten zu warten“, erklärte Hyo-Joo und machte eine Handbewegung uns doch zu setzten.
Wieder nickte ich und setzte mich gegenüber meiner Tante hin.

„Du heißt Lucas?“, fragte meine Tante.

„… ja“, sagte ich heißer, räusperte mich kurz und wiederholte das Ja nocheinmal.

„… und Min-Ja ist deine Mutter.

„Ja, ich bin ihr Neffe…“

Mein Tante schaute zu Hyo-Joo.

Sie hat einen Sohn, dass freut mich sehr.

„… und noch einer Tochter…, zwei Jahre jünger…, als ich.“

„Zwei Kinder…?

Ich nickte. Zunehmend fühlte ich mich unwohler, aber da musste ich jetzt wohl durch, denn ich hatte es ja angezettelt.

„Darf ich dich fragen, wie es meiner Schwester geht?“

„Meiner Mutter geht es gut! Wir haben gestern miteinander gesprochen.“

„Ihr habt telefoniert?“, fragte nun Hyo-Joo.

„Wir haben über das Internet miteinander gesprochen, da können mich meine Eltern sogar sehen, weil mein Laptop über eine Kamera verfügt.“

„Das ist ja praktisch, was es heute nicht alles gibt.“

Ich nickte lächelnd.

„Kommt sie auch nach Korea…?“, fragte nun Min-Sun wieder.

„Nein, ich bin alleine hier und darf netterweise für ein Jahr hier bei Familie Choi wohnen.“

„Lucas, es tut mir leid…, ich weiß nicht recht was ich sagen soll…, ich vermisse meine Schwester sehr und habe nicht gedacht, dass ich noch einmal von ihr höre.“

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, so lächelte ich sie einfach nur an.

„Und dann bist du plötzlich aufgetaucht und sagtest du seist Lucas, der Sohn von Min-Ja…“

Ich erhob mich und verneigte mich noch einmal.

„Es tut mir leid, wenn ich sie erschreckt habe, das war nicht meine Absicht.“

„Lucas hat erzählt, dass er gerne mehr über seine koreanische Familie wissen wollte. So haben wir gemeinsam nach ihnen gesucht und als Lucas die Unterlagen über seine von hier stammende Familie erhielt, saß ich sofort, dass es sich und sie handelte. Es war wohl meine Schuld, dass Lucas so impulsiv war.“

Das wollte ich jetzt wirklich nicht und erhob mich.

„Ich bin sehr dankbar Hyo-Woo, dass du dich so für mich eingesetzt hast, sonst wüsste ich nichts über meine Familie hier.“

„Hat denn meine Schwester nichts über uns erzählt?“, wollte Min-Sun wissen.

Ein weiteres Fettnäpfchen tat sie vor mir auf. Wie konnte ich das erklären, ohne dass meine Mutter nicht schlecht da stand. Ich bemerkte, dass ich schon leicht die Denkweise der hiesigen Bevölkerung angenommen hatte. Meine Mutter davor bewahren, damit sie ihr Gesicht nicht verliert.

„Als wir klein waren, war das kein Thema. Es gab aber Tage im Jahr, wo meine Mutter sehr traurig war. Später, nach einem langen Gespräch mit unserem Vater erfuhren wir, dass diese Tage, Geburtstage aus ihrer Familie waren. Irgendwann haben wir diese Tage dann angefangen mitzufeiern. Vor meinem Besuch hier in Korea hatte ich dann ein längeres Gespräch mit meiner Mutter und sie erzählte mir ihre Geschichte.“

„Warst du dann nicht verärgert, über meine Schwesters Familie?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Verärgert trifft es nicht, eher traurig darüber, was meiner Mutter passiert war und dass ich diese Verwandtschaft nicht kennen lernen konnte.“

„Ein Grund für dein Hiersein?“

„Nicht direkt, meine Mutter hat sehr viel über Korea erzählt, auch Traditionen und kulturelles immer in den Vordergrund gestellt, so dass ich eine natürliche Neugier auf das Land entwickelt habe.“

„Du sprichst ein sehr gutes Koreanisch.“

„Meine Mutter hat uns zweisprachig aufgezogen, von klein auf, daher ist es kein Problem für mich.“

Das war zwar jetzt etwas geflunkert, aber seit ich hier war, täglich diese Sprache anwendete, fiel es mir Zusehens leichter.

„Hast du keine Fragen?“, wandte sich Hyo-Joo an mich.

„Doch schon, aber wie ich schon sagte, weiß ich noch nicht sehr viel über koreanische Gepflogenheiten, Kultur oder Traditionen, auch wenn mir meine Mutter sehr viel beigebracht hat. Daher bin ich etwas unsicher, was ich fragen darf, oder was nicht.“

„Du kannst mich alles fragen, Lucas, denn ich möchte dich näher kennen lernen und auch mehr über meine Schwester erfahren.“

„Das freut mich, danke“, meinte ich ehrlich und verneigte mich leicht lächelnd.

Bevor Min Sun was sagen konnte, machte sich die Hausglocke bemerkbar.

„Nanu, wer kommt denn noch um diese Zeit?“, fragte Hyo-Joo und verschwand aus dem Wohnzimmer.

Angestrengt lauschte ich, ob ich etwas hören konnte.

„Du gehst noch zur Schule?“, riss mich Min Sun aus dem Gedanken.

„Nein, ich habe mein Abi gemacht, gut bestanden und nach dem Jahr Korea, möchte ich anfangen studieren.“

Als Min Sun eine weitere Fragen stellte wollte, kam Jae-Joongs Mutter mit einem Mann zurück.

„Sung Ja, was tust du hier?“, fragte Min Sun und stand auf.

Ich erhob mich ebenfalls.

„Dein Vater fragt nach dir und ist ärgerlich, dass du nicht zu Hause bist.“

Sie schaute kurz zu mir, dann wieder zu diesem Mann.

„Sung Ja, darf ich dir deinen Neffen Lucas vorstellen?“

Ich verbeugte mich tief und streckte meine Hand entgegen.

„Hallo Sung Ja. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit habe.“

„Mir tut es leid, dass meine Tante wegen mir vielleicht Ärger bekommt.“

Plötzlich hoben beide die Hände und machten abwehrende Bewegungen damit.

„Nein Lucas, so darfst du nicht denken, wir freuen uns wirklich, endlich etwas über meine Schwägerin zu hören“, kam es von Sung Ja.

Seine Frau nickte.

„Hyo-Joo, danke, dass ich Lucas besuchen durfte“, meinte Min Sun und verneigte sich, ihr Mann ebenso.

„Jederzeit wieder!“, entgegnete Hyo-Joo.

Als beide gegangen waren, saß ich immer noch nachdenklich am Tisch, während Hyo-Joo wieder zurück kam.

„Alles in Ordnung?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Das kann ich nicht sagen. Klar freut es mich mit meiner Tante sprechen zu können, auch dass ich meinen Onkel noch kurz kennen gelernt habe, aber langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich zuerst zu meinem Großvater muss.“

„Bist du dir sicher?“

„Ja. Solange der mich nicht als Enkel akzeptiert, meiner Mutter verzeiht, lerne ich die Familie nie richtig kennen.“

„Da magst du recht haben, aber wie stellst du dir das vor?“

„Eben das weiß ich noch nicht. Hyo-Joo, ich werde mich zurück ziehen, es war ein langer Tag.“

„Stimmt, du brauchst deine Ruhe… gute Nacht.“

„Gute Nacht!“, erwiderte ich, verbeugte mich kurz, um danach in mein Zimmer zu verschwinden.

Die letzten Stufen bis zu meiner Empore erklommen, ließ ich mich erst mal auf mein Bett fallen. Jeden Abend überfluteten mich die Bilder, die ich über den Tag wahrgenommen hatte.
Irgendwann in der Nacht, wachte ich auf und stellte fest, dass ich in meinen Klamotten geschlafen hatte.
Schnell war ich derer entledigt und wieder eingeschlafen.

*-*-*

Ich wurde durch einen sanften Windhauch geweckt, der über meine nackte Schulter streifte. So öffnete ich langsam die Augen und ich sah gerade, wie Hyun-Woo die Empore herauf kam.
Irgendwie automatisch setzte ich mich auf und die Decke rutschte zurück. Da ich wohl gestern Abend nur meine Klamotten aus und keine Schlafsachen angezogen hatte, saß ich jetzt oben ohne da.
Hyun-Woo lächelte verschüchtert und schaute dezent weg.

„Guten Morgen Lucas, hast du gut geschlafen?“

„Ja Hyun-Woo, sogar sehr gut… ähm warum schaust du weg?“

„Weil du nichts anhast…“, flüsterte er leise.

Ich schaute unter die Decke.

„Meine Shorts habe ich an, also ich bin nicht völlig nackt.“

„Hier in Korea gibt es viele, die möchten sich so nicht zeigen, meist tragen sie ein Tshirt das die nackte Haut verdeckt…“

„Öhm, bei einem Mädchen würde ich so etwas ja verstehen, aber bei Jungs…“

„Die sind genauso scheu.“

Da fiel mir auf, dass Hyun-Woo, egal was für Wetter immer recht zugeknöpft gekleidet war.

„In Deutschland schlafen viele nur in Shorts, oder sogar nackt…“

„Ich habe gehört, du hattest gestern Abend noch Besuch.“

Hyun-Woo wollte anscheinend das Thema wechseln, was mir sehr recht war, denn etwas begann sich zu regen, was bis jetzt noch von meiner Shorts und der Decke verborgen lag.

„Ja, meine Tante war kurz da.

Ein Handy machte sich bemerkbar, nicht meins, denn das klang anders. Ich sah Hyun-Woo verwundert an, als er in meine Richtung zeigte.

„Hinter dir…“, meinte er.

Ich drehte mich um, oh, ich hatte ja noch ein Handy, das von So-Woi. Ich griff danach.

„Ja hier Lucas…“

„Hallo Lucas, hier ist So-Woi, wie geht es dir?“

War So-Woi wieder in Seoul?“

„Ähm…, mir geht es soweit gut…“

„Das freut mich, dass wollte ich nur hören, weil Jack nichts von Hyun-Woo gehört hat.“

„Aha“, meinte ich und schaute Hyun-Woo durchdringend an, „… bist du schon wieder zurück?“

„Wieso?“

„Dein Anruf…, ich dachte du bist hier…?“

„Nein, nein“, lachte So-Woi laut ins Handy, ich bin noch in Amerika.“

„Du bist noch dort? Ist das nicht sau teuer hier anzurufen?“

„Daran habe ich nicht gedacht, ich wollte nur wissen, ob es einem Freund wieder besser geht.“

„Ja geht es…, meine Tante war gestern hier.“

„Wow… und?“

„Es war nur ein kurzes Gespräch, ihr Mann tauchte auf und hat sie abgeholt.“

„Gab es Streit?“

„Nein, aber komisch war es doch irgendwie. Wann kommst du wieder?“

„Ich denke ich zwei Tage…, du ich muss Schluss machen, Jack holt mich gerade ab, ich lass von mir hören, oder melde du dich, okay?“

„Ja So-Woi“, rief ich, aber da war das Gespräch schon unterbrochen.

Ich schüttelte den Kopf und drückte das Gespräch weg.

„Ruft der aus Amerika an…“, meinte ich eher zu mir selbst und sah zu Hyun-Woo, „was steht heute an?“

„Nichts Konkretes! Mr. Choi bat um ein Gespräch, soll ich dir von seiner Frau ausrichten.“

„Heute Abend, wenn er zurück ist?“

Hyun-Woo schaute etwas betreten zur Seite und ich spürte, dass er jetzt nicht weiter darüber reden wollte. So warf ich meine Decke komplett zurück und stand auf. Natürlich bemerkte ich die versteckten Blicke Hyun- Woos.
Ich stand nun direkt vor ihm, immer noch nur mit Shorts begleitet.

„Ist irgendetwas anders an mir, als bei den anderen?“, fragte ich ihn direkt.

Sein Gesicht wurde rot und er schüttelte den Kopf. Ich überlegte kurz, ging zu meinem Schrank.

„Wie wird das Wetter heute?“

„Warm…“, antwortete Hyun-Woo leise.

Ich griff nach meiner knielangen Jeans und dem weißen Hemd. Dann schnappte ich mir die Socken und die Turnschuhe.

„Ich bin mal kurz im Bad.“

Hyun-Woo nickte.

*-*-*

Nach einem guten Frühstück und einem kurzen Gespräch mit Hyo-Joo, saß ich nun wieder neben Hyun-Woo im Auto. Unser erstes Ziel war der KBS- Center, wo mich Seung Won, Hyun-Woos Chef anscheinend schon erwartete.
Dort angekommen, fuhr Hyun-Woo in die Tiefgarage und parkte den Wagen. Dann folgte ich ihm quer durch das Haus und unser kurzer Ausflug endete in einem Vorzimmer.

„Sie werden bereits erwartet“, meinte die junge Dame hinter dem Tresen und wies auf eine große Tür auf der linken Seite.

Ich blickte zu Hyun-Woo.

„Ich werde hier warten“, sagte er ganz leise.

Das war mir nun irgendwie nicht recht, denn ich war es mittlerweile gewohnt, dass Hyun-Woo mir wie ein Schatten folgte. Mein Bauchgefühl meldete sich und argwöhnte sehr. Aber es halb nichts und ich lief der jungen Dame in Uniform nach. Sie zog die schwere Holztür auf und bat mich einzutreten.

„Ceo, ihr Gast Mr. Dremmler ist da.“

Sie verbeugte sich kurz vor mir uns verließ den Raum wieder, in den ich jetzt eintrat.

„Lucas“, hörte ich Mr. Chois Stimme und fand ich hinter einem großen Schreibtisch sitzend.

Er erhob sich, umrundete den riesen Tisch und kam auf mich zu. Wie ich es gelernt hatte, verbeugte ich mich und streckte ihm meine Hand entgegen.

„Guten Morgen Seung Won“, meinte ich und verneigte mich nochmals leicht.

Ich wusste nicht, ob es so recht war, aber es war mir im Augenblick auch egal. Seung Woo schüttelte kräftig meine Hand.

„Setz dich Lucas“, meinte er und lief wieder zurück auf seinen Platz, „ich habe von meiner Frau gehört, dass du gestern Abend Besuch von deiner Tante hattest.“

„Ja, wir führten ein kurzes Gespräch, bevor sie wieder zurück musste.“

Nun saßen wir beide gegenüber nur getrennt durch seinen Schreibtisch.

„Und wie ist dein Gefühl, wenn ich fragen darf, wie findest du deine Familie hier?“

„Das kann ich nicht wirklich genau sagen…, ich habe bisher nur kurz mit meiner Tante gesprochen, meinen Onkel und meinen Großvater kurz gesehen.“

„Das wird schon denke ich. Warum ich dich eigentlich hergebeten habe ist eine Sache…“

Aha, jetzt lässt er die Katze aus dem Sack. Mein Bauch machte sich jetzt auch fühlbar bemerkbar. Ich bekam leichte Magenschmerzen.

„…, ich habe gehört, du hast So-Woi näher kennen gelernt, der Sohn vom Chef.“

Ich nickte und spürte, wie mein Magen sich mehr und mehr zusammen zog.

„Lucas… ich… ähm… möchte mich nicht in dein Privatleben einmischen…“

Als hätte jemand ein Messer in den Magen gestochen, spürte ich den Schmerz, aber ich versuchte es zu verbergen.

„… aber ich würde dir empfehlen,… den Umgang mit So-Woi zu meiden…“

Fragend schaute ich ihn an.

„Gibt es dafür einen bestimmten Grund, wenn ich fragen darf?“

„Darfst du, natürlich Lucas…, wie soll ich es ausdrücken. So-Wois Vater, ist ein sehr strenger Mann, der noch an die alten Werte glaubt. Er achtet sehr darauf, wer mit seinem Sohn verkehrt.“

Ich zog meine Stirn in Falten.

„Habe ich irgendetwas falsch gemacht…? Wie schon gesagt, kenne ich mich in der Kultur noch nicht so aus…“

„Nein, nein… so ist es nicht, das war nicht gemeint. Es geht…, es geht um deinen Stand…“

Ach so, reicher Junge und armer Junge, die alte Geschichte.

„Ich stamme zwar aus einer, wie mir gesagt wurde, sehr angesehenen Familie, aber ich möchte niemandem auf die Füße treten…“

Seung Woo lächelte immer noch.

„… ich kann für mich entscheiden So-Woi nicht mehr zu treffen, aber ich kann es nicht für ihn entscheiden, das steht mir nicht zu.“

Meine Antwort, war wohl nicht die, die er erwartet hatte, ich wusste eh nicht, was man sich von mir hier erwarten würde. Eigentlich war ich ja nur Gast.

„Ich wollte dir nur… Bescheid geben Lucas…, ich möchte nicht, dass du irgendwie in Schwierigkeiten kommst.“

„Das ist sehr nett und ich wollte mich auch noch mal bedanken, dass sie mir Hyun-Woo zur Seite gestellt haben, das ist eine sehr große Hilfe für mich.“

Seung Woo erhob sich und dies war wohl das Zeichen, dass das Gespräch wohl gleich beendet sein würde. Wieder umrundete er den Tisch und ich stand ebenso auf.

„Das freut mich zu hören…, hast du schon Pläne für den Tag?“

„Hyo-Joo hat mir einen Tag im Asan Spavis empfohlen…, sie meinte etwas Erholung würde mir gut tun.“

„Da gebe ich meiner Frau Recht, das wird dir sicher gut tun“, meinte er und wie von Geisterhand geführt, öffnete sich die schwere Tür und gab den Blick ins Vorzimmer frei. Seung Woo verabschiedete sich von mir, wir schüttelten nochmal die Hände.

*-*-*

Gedankenverloren saß ich im Wagen.

„Wohin?“, riss mich Hyun-Woo aus dem Gedanken.

„Hm?“

„Wohin jetzt?“

„Erst mal raus hier“, meinte ich.

Hyun Woo startete den Motor, parkte aus und ließ den Wagen zur Ausfahrt rollen. Ich wusste nicht, was ich falsch gemacht haben sollte. Gut ich wollte So-Woi helfen, weil es mir leid tat, ihn so traurig zu sehen.
Aber ich bin eben so und helfe gerne, aber gleich o darauf reagieren?

„Man hat mir gesagt, ich solle von So-Woi fernbleiben.“

„Was?“, entfuhr es Hyun-Woo, beide ruckte es uns nach vorne, weil Hyun-Woo irgendwie auf die Bremse gekommen war.

„Ich soll mich von Hyun-Woo fernhalten.“

Hyun-Woo gab Gas und wenige Minuten später waren wir wieder auf der Straße. Ich atmete tief durch und beobachtete draußen, wie alles an mir vorbeizog.

„Fahr einfach irgendwo hin, wo es schön ruhig ist und ich in Ruhe nachdenken kann“, meinte ich leise.

Das Hyun-Woo nickte bekam ich nur am Rande mit, zu tief war ich in meiner Gedankenwelt und noch immer meldete sich mein Magen.

„Lucas, geht es dir nicht gut?“

Ich schaute zu ihm hinüber.

„Warum… fragst du?“

„Du bist ganz weiß im Gesicht.“

„Mein Magen schmerzt…“, beantwortete ich seine Frage und rieb mir leicht über die Magengegend.

„Ist dir irgendwie schlecht… schwindlig?“

Ich schüttelte den Kopf, „nur Magenschmerzen.“

*-*-*

Ich war wohl eingeschlafen, denn ich wurde sanft von Hyun-Woo wachgerüttelt. Viel Wald konnte ich um uns herum sehen, aber auch vereinzelt Häuser.

„Wo sind wir?“

„Asan Spavis…“

„Woher weißt du…?“, ich brach ab und fragte nicht weiter. Bei Hyun-Woo wunderte mich nichts mehr.

Hyun-Woo lächelte und stieg aus. Ich tat es ihm nach. Er zog eine große Tasche aus dem Kofferraum und kam zu mir zurück.

„Deine Magenschmerzen…?“

Ich streichelte über meinen Bauch.

„Sind noch leicht da…“

„Gut, dann gehen wir da hinein, mal sehen, ob es dir danach besser geht.“

An der Kasse angekommen, erledigte Hyun-Woo alles Finanzelle. Ich wartete einfach und folgte ihm, wenn es weiter ging. Irgendwann kamen wir an eine große Reihe von Umkleidekabinen und dazu gehörende Schränke.

„Möchtest du eine spezielle Nummer haben?“

Ich schüttelte den Kopf und Hyun-Woo ließ die Tasche sinken. Er öffnete sie, zog ein Handtuch und eine Badeshorts von mir heraus und legte sie in eine Kabine. Dann stellte er sich wieder neben die Tasche.

„Und du?“, fragte ich.

„Ich werde im Cafe auf sie warten.“

„Ich soll da alleine hinein? Nein, du kommst schön mit mir!“

„Aber ich…“

„Keine Wiederrede, du gehst mit!“

„Wie du wünschst, ich muss mir nur etwas zum Umziehen besorgen…“

„Okay“, meinte ich und verschwand in der Kabine.

*-*-*

Hyun-Woo war noch nicht zurück, so begann ich meine Sachen in den Schrank zu räumen. Da fiel mir das Handy, So-Wois Geschenk in die Hände. Ich schaute drauf und dachte an So-Woo.
Nicht wissend warum, suchte ich im Speicher nach seiner Nummer, wurde fündig und drückte sie. Ich dachte nicht darüber nach, was das jetzt kostet und wer das genau bezahlen würde. Es dauerte eine Weile, bis mein Gegenüber dran ging.

„Lucas?“, hörte ich seine mittlerweile vertraute Stimme.

„Ja…“

„He, so schnell hatte ich gar nicht damit gerechnet, wieder mit dir zu reden, oder ist etwas geschehen.“

„… so kann man das sagen…“

„Was ist passiert?“

„Ich hatte gerade ein Gespräch mit Seung Woo Choi, den Vater von Jae Joong…“

„Ich weiß wer er ist, er arbeitet für meinen Vater…, was wollte er.“

„…ähm…, dass ich mich von dir…fern halten soll…“

„WAS? Was geht den das an?“

„Ich weiß es nicht…, um ehrlich zu sein, war mir das Gespräch zu wider…, er hat von deinem Vater gesprochen, der sehr einflussreich ist…“

„Mein Vater…, ich habe mir schon so etwas gedacht.“

„Was hast du dir gedacht?“

„Mein Vater hat sicherlich mitbekommen, dass ich in Seoul war…“

„Warst du nicht bei ihm?“

„Nein…, noch nicht…“

Mir wurde diese Vater Sohn Sache etwas zu viel. Wenn ich nach Hause käme, würde ich erst zu meiner Familie gehen, auch zu meinem Vater. Aber So-Wois Vater war aber anscheinend anders und hier schien auch das Vater Sohn Verhältnis anders zu sein.

„Lucas? Lucas bist du noch dran?“

„Ja…“

„Lucas, tu einfach nichts. Morgen früh, oder noch heute Abend werde ich einen Flieger besteigen und zu dir kommen.“

„Du hast doch aber so viel zu klären, hast du gesagt. Das möchte ich nicht.“

„Doch Lucas…, du warst für mich da, als ich dich dringend brauchte und jetzt brauchst du mich.“

Ich seufzte laut.

„Jack soll Hyun-Woo mitteilen, wann ich zurück komme…, wir treffen uns dann am Flughafen.“

Ich hob die Hand, fuhr mir durch die Haare.

„Lucas?“

„Ja, ich bin noch da…, bist du wirklich sicher…, dass du…“

„Jetzt mach dir mal keine Gedanken um mich, okay?“

Das sagte einer, der noch vor einer Woche den Weltuntergang vor sich sah.

„Okay…“

„Das wird alles gut, keine Sorge Lucas.“

Ich zuckte mit den Schultern, was So-Woi natürlich nicht sehen konnte.

„Ich freu mich…, dich wieder zu sehen, als bis dann.“

„… ähm ich mich auch… Bye So-Woi.“

Ich drückte das Gespräch weg. Hyun-Woo kam mit etwas aus Stoff zurück.

„Alles klar?“, fragte er mich und blickte auf das Handy.

„So-Woi… kommt morgen oder irgendwann zurück… Jack wird dir mitteilen wann…“

„Mir?“

„Ja, du musst ja wissen, wann du mich zum Flughafen bringen musst…, ich soll So-Woi dort abholen.“

Er nickte und ich rieb mir durch das Gesicht. Wo war ich da nur hineingeraten.

*-*-*

Ich lag auf dem Bauch und hatte die Augen geschlossen. Ich spürte starke Hände, wie sie seitlich an meiner Wirbelsäule entlangfuhren. Dabei spürte ich die Fingerkuppen des Masseurs, die leichten Druck auf meinen Rücken ausübten.
Die Verspannungen konnte ich nun deutlich spüren, als sich die Finger und Daumen sich mit dem Zwischenraum meiner Schulter befassten. Auch wenn es etwas weh tat, es war irgendwie wohltuend.
Irgendwie verlor ich den Bezug auf Raum und Zeit und genoss einfach die Berührungen auf meinem Rücken, der sich langsam immer mehr entspannte. Erst, als ich die Hände seitlich an meinem Po spürte, hatte der Mann wieder meine volle Aufmerksamkeit.
Es war ein sehr komisches Gefühl, da diesen Ort noch nie jemand außer mir berührt hatte. Auch war ich überrascht, dort Muskeln zu spüren, die weh taten. Klar hatte jeder hintern Muskeln, aber so hatte ich sie eben nie gespürt.
Doch bevor Kleinlucas sich melden konnte, war das Ganze wieder vorbei. Ich öffnete wieder meine Augen und sah direkt Hyun-Woo neben mir liegen. Zum ersten Mal sah ich Hyun-Woo ohne Klamotten. Wie ich hatte war er in der Mitte nur mit einem Handtuch bedeckt.
Sein Körper war nicht dick, wie es durch seine weiten Klamotten immer schien, nein er war nur stärker gebaut als ich, fast schon muskulös. Seine Oberarme hatte er bis jetzt immer erfolgreich vor mir versteckt.
Wie ich war auch er fertig und als wir nun alleine waren richtete ich mich auf, setzte mich an den Rand der Liege und bedeckte das nötigste wieder mit dem Handtuch. Ich musste grinsen, denn auch Hyun-Woo setzte sich auf.
Nur er, im Gegensatz zu mir, versuchte mit dem wenigen Stück Stoff seinen ganzen Körper zu bedecken.

„Warum ist es dir so peinlich, deinen Körper zu zeigen, du siehst doch gut aus!“

Peinlich berührt, hielt Hyun-Woo in seiner Bewegung inne.

„Da gibt es nichts, was du verstecken müsstest!“

„Es tut mir leid, ich bin es nicht gewohnt mich so zu zeigen, dass ist für uns ein sehr privater Bereich.“

Ich stand auf, band mir das Handtuch um die Hüften und ging zu Hyun-Woo hinüber. Sanft hob ich mit der Hand sein Kinn an, so dass ich ihm direkt in die Augen schauen konnte.

„Hyun-Woo…, es gibt wirklich nichts, worüber du dich schämen müsstest, besonders nicht vor mir. Du siehst gut aus, bist nett und zu vorkommend. Du bist für mich viel mehr, als ein Assistent. Du bist Berater, Beschützer und ein Freund zugleich.“

Mein Gesagtes hatte die Wirkung, dass Hyun-Woos Augen heftig blinzelten und Tränen verließen.

„Das…das hat bisher noch niemand zu mir gesagt…“

„Ich weiß du bist nicht dumm, Hyun-Woo und ich denke, dass du weißt, dass ich mir aus Mädchen nichts mache. So sieh, dass was ich gesagt habe, als ein Kompliment an. Ein Kompliment von jemand, der dich mag!“

Ein kleines Lächeln kam zum Vorschein, dass aber wieder schnell verschwand.

„Und… und was… erwartest du jetzt … von mir?“

„Gar nichts, Hyun-Woo. Sei einfach du selbst, wenn du mit mir zusammen bist…, keine Unterwürfigkeit…, keine Fügsamkeit, sei einfach… ein guter Freund!“

Lange schaute mich Hyun-Woo an.

„Darf… darf ich dich umarmen?“, fragte er sehr leise und schüchtern.

Ich breitete die Arme aus und spürte kurz darauf seine warme Haut auf meiner, seine starken Arme, die mich fest an sich drückten.

„Danke“, meinte er und ließ mich wieder los.

Mir war jetzt peinlich, dass sich an meinem Handtuch eine stärkere Beule zeigte, heftiges Rot stieg mir ins Gesicht. Hyun-Woo grinste breit und schaute schüchtern weg.

„Tut mir leid…“, sagte ich leise, „aber so etwas lässt mich nicht kalt…“

„Entschuldige, ich wollte nicht…“

„Halt! Hyun-Woo, ich sagte gerade keine Unterwürfigkeit!“

Er nickte.

„Darf ich dich etwas fragen?“

„Du kannst mich alles fragen, aber langsam wird mir kalt, gibt es einen Ort, wo es etwas wärmer ist?“

Er nickt und gab mir einem Wink zu folgen. Gegen meiner Erwartung, ging er nicht zu unserem Schrank und die Shorts zu holen, sondern führte mich in einen anderen Gang, der von hölzernen Türen unterbrochen war.
Einer dieser Türen öffnete sich und eine Art Whirlpool kam in mein Blickfeld. Er machte eine leichte Verbeugung und bat mich einzutreten. Ich spürte beim Eintreten, dass die Luft hier deutlich wärmer und feuchter war, als noch draußen im Flur.
Er schloss die Tür und wir stiegen beide in das blubbernde Rundteil. Aber dabei trugen wir beide noch unsere Handtücher, welche jetzt nass an unseren Körpern klebten. Erst, als er fast vom Wasser bedeckt war, kam dieses Handtuch von ihm zum Vorschein, welches er am Rand ablegte.
Da ich nicht so scheu war, legte ich es sofort ab und setze mich erst dann neben ihn. Natürlich konnte Hyun-Woo mich völlig nackt sehen.

„So, was war deine Frage?“, wollte ich wissen.

Etwas verunsichert schaute er sich um, als hätte er Angst hinter einer der zahlreichen Pflanzen im Raum würde sich jemand verstecken.

„Wie… wie ist das so mit einem … anderen Mann zusammen.“

„Ich könnte dich fragen, wie ist das so… mit einer Frau zusammen.“

„Darüber… kann ich dir keine Auskunft geben…, ich hatte noch nie Sex… mit einer Frau… oder Mann.“

„Nicht? Das überrascht mich jetzt wirklich“, sagte ich lächelnd.

„Wieso?“

„Wie alt bist du jetzt?“

„Einundzwanzig.“

„Da hatte bei uns in Deutschland schon mindestens einmal Sex!“

„Hier ist es etwas anders…, wenn du nicht gerade dafür bezahlen willst, habe viele ihren ersten Sex in der Ehe.“

„Das muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen, denke ich.“
„Und wie hast du das gemerkt?

„Das ich mich nur für Männer interessiere?“

Hyun-Woo nickte.

„Sexuelle Fantasien, die hast du sicher auch.“

Hyun-Woo wurde trotz der hohen warmen Luftfeuchtigkeit tief rot in seinem Gesicht. Ich grinste ihn an.

„Und bei diesen Fantasien dachte ich immer nur an das gleiche Geschlecht, mit Frauen konnte ich absolut nichts anfangen.“

„War das schlimm für dich?“

„Anfangs schon, denn ich konnte mit niemanden darüber reden, war auf mich selbst gestellt. Am Anfang denkst du eh, du bist alleine so, aber das stimmt nicht.“

„Ist es schlimm, wenn ich sage…, ich bin nicht schwul?“

„Boah nein, Hyun-Woo, wieso sollte das schlimm sein?“

„Ich dachte, weil du… und ich…“

„Nein Hyun-Woo, das darfst du niemals denken. So etwas würde ich sicher nicht von dir verlangen.“

„Man hört halt manchmal so Sachen von anderen Assistenten.“

„Nein, gegen so etwas bin ich total…, seinen Rang für sexuelle Übergriffe zu benutzen, nein das ist ekelhaft.“

Nun blieb Hyun-Woo stumm und ich begann dieses Bad zu genießen. Aber ich sah, dass Hyun-Woo noch etwas auf dem Herzen hatte. So rutschte ich näher an ihn heran, so dass sich unter Wasser unsere Körper berührten.

„Was ist?“, fragte ich leise.

Verschüchtert schaute er mich an.

„Ich… ich bin ganz hart…“

Ich konnte nicht anders und fing etwas an zu lachen.

„Und jetzt fragst du dich warum?“

Er nickte.

„Das ist doch nicht schlimm“, meinte ich grinsend, „aber ich finde es ist normal, wenn man sich über ein Thema unterhält, dass sonst hier tabu ist.“

„Ist… ist deiner auch…?“

Grinsend stand ich auf und mein steifer Schwanz prangte direkt vor seinem Gesicht. Mit riesen Augen schaute er darauf, bevor ich mich wieder ins Wasser gleiten ließ.

„Ich habe schon davon gehört…, dass Europäer gut… bestückt sind“, meinte er leise und schaute wieder auf die Wasseroberfläche.“

„Naja, ich finde er ist eher normal“, meinte ich, das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.

Unerwartet stand nun Hyun-Woo auf und ich konnte sein Heiligtum betrachten. Er war genauso groß oder klein wie der von Jae-Joong, auf alle Fälle, viel kleiner als meiner.

„Ist Größe denn so wichtig?“, fragte ich sanft, als er sich wieder setzte.

Er zuckte mit den Schultern.

„Also mir ist das egal“, meinte ich, legte meine Arme auf den Rand des Beckens und ließ mich dabei weiter ins Wasser gleiten.

„Darf…, darf ich dich berühren?“

Oh, was war jetzt das für eine Frage, klar, irgendwie waren wir jetzt wohl beide aufgeheizt, aber ich hätte bei Hyun-Woos Schüchternheit nicht gedacht, dass er so etwas fragen würde.

„Oh entschuldige Lucas, ich hätte so etwas nicht fragen dürfen.“

Da hatte wohl einer meine zögernde Antwort falsch verstanden.

„Hyun-Woo, es macht mir nichts aus, wenn du mich berührst…, aber ich kann nicht dafür garantieren…, dass ich dabei still sitzen kann…“

Wieder lächelte Hyun-Woo verschämt. So griff ich beherzt einfach nach seiner Hand und legte sie auf meinen Bauch. Fast dachte ich schon, er würde sie wegziehen, aber sie blieb da, wo ich sie abgelegt hatte, Mehr noch, sie fing an zu wandern.
Wie befürchtet, trat das ein, was ich erwähnt hatte, ich reagierte darauf. Mein Schwanz wurde steinhart und ich konnte ein leichtes Stöhnen nicht zurückhalten. Anscheinend mutiger und auch von innerer Erregtheit gesteuert, wurde Hyun-Soo mutiger.
Er trieb langsam auf mich zu, legte beide Arme um mich und schmiegte sich fest an mich. Trotz des warmen Wasser spürte ich seine Haut auf meiner, auch seine Erregtheit, die gegen meinen Bauch drückte.
Ich legte meine Arme um ihn und küsste sein feuchtes Haar. Ich musste lächeln, da er vorhin noch meinte, er wäre nicht schwul, aber ich dachte, es ist ein Ausprobieren seinerseits, was er dabei fühlte.
Ich ließ eine Hand über seinen nackten Rücken gleiten und sofort spürte ich, wie Hyun-Woos Körper zu zittern begann und er etwas heftig ausatmete. Meine Hand wanderte, gesteuert von meiner eigenen Geilheit, nun über seinen Hintern.

„Lucas…“, stöhnte Hyun-Woo leise.

„Entschuldige…, ich hör lieber auf…“, meinte ich und versuchte wieder Kontrolle über mich zu bekommen.

„… nein…, ich habe nicht gewusst…, dass das so schön ist.“

Und ich hatte nicht gewusst, dass ich so aktiv war. Schon bei Jae-Joong war mir aufgefallen, dass er das machte, was ich wollte. Wie denn auch, hatte ich vorher selbst noch nie Sex mit einem anderen Jungen.

„Soll ich… weiter machen?“

Hyun-Woo nickte leicht.

„Darf… ich dich küssen?“, fragte ich erregt.

Wieder nickte er und hob leicht seinen Kopf. Wenig später trafen sich unsere Lippen. Hätte ich nun erwartet, dass Hyun-Woo nun weiterhin ganz sanft war, wurde ich wieder von ihm überrascht.
Er wurde intensiver, begann mich zu küssen, als wäre es sein letztes Mal. Auch dies ließ mich nicht kalt. Meine Hände gingen auf Wanderschaft, während meine Zunge wie wild um seine herumtanzte.
Beide atmeten wir heftiger, doch als meine Hand seinen Schwanz berührte, stöhnte er regelrecht laut auf. Ich griff nach seiner Hand und legte sie auf meinen Schwanz. Anfänglich noch zögerlich, dann kräftiger, verstärkte sich sein Griff.
Natürlich stöhnte ich genauso auf wie er. Doch das Vergnügen war nur kurz. So aufgegeilt, kamen wir beide fast gleichzeitig und pumpten das Sperma ins warme Wasser. Schwer atmend lag Hyun-Woo in meinen Armen.
Selbst japste ich auch nach Luft, noch überwältigt über die Stärke meines Orgasmus.

„Wow“, konnte ich Hyun-Woos leise Stimme hören.

Ich konnte nicht anders und begann zu kichern.

„Ja, wow…heftig.“

„Danke“, meinte Hyun-Woo und gab mir einen Kuss auf die Wange, „dass ich das erleben durfte.“

Ich küsste ihn auf die Nase.

„Es war für mich genauso schön.“

Er versuchte sich von mir wegzudrücken.

„Was ist los? Kein Kuscheln mehr?“

„Ich dachte… danach…“

„Was immer du auch denkst, bleib bitte noch etwas in meinen Armen liegen.“

*-*-*

Die Fahrt zurück war eher ruhig. Deutlich spürte ich, wie es in Hyun-Woos Kopf arbeitete. Aber ich wollte ihn jetzt nicht irgendwie stressen, so blieb ich auch ruhig. Wenn er reden wollte, würde er sich schon bemerkbar machen.

„Wie fühlst du die jetzt?“, fragte er dann doch plötzlich.

„Sehr entspannt und sehr wohl.“

„Freut mich zu hören.“

„Und du?“

Er schaute kurz zu mir herüber.

„Aufgewühlt…, aber auch gut.“

Ich lächelte ihn an. Etwa eine Stunde später fuhren wir vor das große Tor der Chois vor. Das Gespräch vom morgen kam mir wieder in den Sinn und plötzlich war die gute Laune dahin.

„Lucas, ist alles in Ordnung mit dir? Du schaust plötzlich so ernst.“

Ich hielt inne.

„Mir ist nur das Gespräch mit deinem Boss von heute Morgen eingefallen…“

Betrüb schaute mich Hyun-Woo an. Er verschloss den Wagen und folgte mir zum Tor. Sein Handy machte sich bemerkbar.

„Entschuldige“, meinte er leise und nahm das Gespräch an.

Kurz darauf trat er wieder zu mir.

„Das war Jack. Er teile mir mit, dass er und So-Woi morgen gegen sechs Uhr ankommen.“

„Morgen Abend?“

Hyun-Woo schüttelte den Kopf.

„Morgen früh…“

„Oh, das ist wirklich früh.“

„Ich werde da sein und dich rechtzeitig abholen.“

Ich überlegte kurz, während ich die Klingel betätigte. Das Tor sprang auf und gefolgt von Hyun-Woo trat ich ein. Wenig später stand ich in der Küche bei Hyo-Woo.

„Du warst heute Morgen bei meinem Mann?“, fragte sie ohne jegliche Begrüßung.

Oje, sie schien schlecht gelaunt, wenn sie mich nicht mal mehr begrüßte. Ich nickte zaghaft. Plötzlich griff sie nach meiner Hand.

„Lucas, hör mir genau zu. Was immer mein Mann auch von dir wollte, mach das, nach dem dir der Sinn steht.“

„Aber wieso…“

„Ich kenne meinen Mann. Er mischt sich gerne in Dinge ein, die ihn nichts angehen und lässt dann seine Doppelmoral heraus hängen.“

Doppelmoral? Was meinte sie damit?“

„Lucas, tu einfach was du möchtest, du bist auch weiterhin gerne Gast bei uns.“

Wieder nickte ich. Ob sie wusste, was ihr Mann am Morgen zu mir sagte, wusste ich nicht, nur, dass sie so etwas wohl schon gewohnt war.

„Danke“, sagte ich leise, „ich … wollte eigentlich nur fragen…, ob Hyun-Woo heute hier nächtigen dürfte, da wir morgen sehr früh heraus wollen…“

Sie schaute Hyun-Woo kurz an, der verschämt in der Tür stand, dann wieder mich.

„Hyun-Woo, möchtest du auch eine Tasse Tee“, fragte sie plötzlich, „ich denke, dass hier wird eine längere Unterhaltung, bei der du beiwohnen solltest.“

Hyun-Woo nickte.

„Nehmt bitte Platz“, sagte sie, während sie die Kanne mit Wasser aufstellte, dann setzte sie sich zu uns.

„Darf ich fragen, was mein Mann von dir wollte?“

Ich war mir nicht sicher, ob ich etwas davon sagen sollte, einen Streit in der Familie wär das letzte, was ich auslösen wollte. Unsicher schaute ich zu Hyun-Woo, der mich aber nickend freundlich anlächelte.

„Er wollte…, dass ich mich von So-Woi fernhalten solle.“

„Der Sohn vom Ceo von KBS?“

Ich nickte. Sie stand auf, zog drei Tassen aus dem Schrank und verteilte sie auf dem Tisch. Das Wasser kochte in der Zwischenzeit und sie zog es von der Flamme. Sie nahm eine Dose, entnahm ihr per Löffel etwas und streute es ins Wasser.
Dann setzte sie sich wieder zu uns.

„Woher kennst du ihn?“

„Jae-Joong hat mich mit ihm bekannt gemacht und wir haben uns etwas näher kennen gelernt.“

Sie lächelte.

„Ja, mein Junge kennt Gott und die Welt“, dabei goss sie nun jedem die Tasse voll.

„Morgen kommt So-Woi aus Amerika zurück und ich musste ihm versprechen, ihn am Flughafen abzuholen. Nur die Maschine kommt gegen sechs Uhr in der Früh an, deswegen fragte ich, ob Hyun-Woo hier schlafen kann, damit er nicht so früh aufstehen muss.“

„Du bist ein mitfühlender Junge Lucas, hat dir das schon mal jemand gesagt. Du besitzt ein sehr großes Herz!“

Verlegen lächelnd schaute ich auf meine Tasse.

„Natürlich darf Hyun-Woo bei dir schlafen, das ist kein Problem. Jae-Joongs Bett ist ja frei.“

„Danke!“, meinte ich und Hyun-Woo verneigte sich.

Ich wusste, dass dies ihm jetzt unangenehm war, aber er musste eine Stunde hier her fahren und das wollte ich nicht.

„Du hast nichts dagegen, dass ich mich weiterhin mit So-Woi treffe“, fragte ich vorsichtig.

„Du meine Güte, nein Lucas. Hör nicht auf meinen Mann. Er ist ein alter Mann, der starrsinnige Ansichten hat.“

Ich hatte plötzlich das Gefühl ihr alles anvertrauen zu können.

„Ich will nur nicht, dass du wegen mir Ärger mit deinem Mann bekommst, oder dass alles irgendwie ausufern könnte.

„Keine Sorge Lucas. Du brauchst auch keine Angst zu haben, du bist nach wie vor hier immer herzlich willkommen. Mein Mann ist eh fast nie da, von daher auch kein Problem.“

So hatte ich richtig vermutet, dass er selten hier war, aber keiner ein Wort darüber verlor. Noch immer hatte ich das Wort Doppelmoral im Kopf, fragte mich, was sie damit gemeint hatte.

„Was hast du heute Abend noch vor?“, fragte sie mich dann.

„Ich weiß es nicht. Das Spa, das du mir empfohlen hast, war sehr entspannend. Ich fühle mich als könnte ich tausend Bäume ausreisen.“

„Na, na, na junger Mann, nicht gleich übertreiben. Du weißt selbst, wie schlecht es dir ging.“

Ich nickte.

„Ich war heute Morgen im Obstladen deiner Familie. Deine Tante hat sich sehr positiv über dich geäußert.“

„Ich würde ja gerne noch einmal hingehen, aber wenn ich dann auf Großvater treffe…, ich bin ein Kuscheltier und extrem Harmoniebedürftig, ich möchte nirgends Ärger verursachen.“

„Das habe ich schon bemerkt Lucas. Aber ich denke, nur du alleine kannst deinen Großvater umstimmen, seine Meinung ändern.“

„Ich? Wieso?“

„Lucas, du hast etwas an dir…, etwas Entwaffnendes… und Beeindruckendes.“

„Ich muss Mrs. Choi Recht geben Lucas, sie sind zu jedem immer sehr freundlich und hilfsbereit. Sie möchten helfen, wo sie können.“

Er sagte wieder sie, aber wir waren auch nicht alleine. Hyo-Joo lächelte.

„Ihr meint, ich solle einfach hingehen und mein Glück probieren?“

Beide nickten.

„Aber nur wenn du dazu bereit bist!“, sagte Hyo-Joo.

„Ich kann mitkommen, wenn sie sich dann sicherer fühlen“, kam es von Hyun-Woo.

*-*-*

Hyun-Woo und ich liefen den gleichen Weg, wie beim ersten Mal. Als wir an dem Schuhgeschäft vorbei kamen, bemerkte ich, dass die roten Schuhe, die mir so gefielen nicht mehr in der Auslage standen.
Etwas später standen wir wieder vor dem Obstladen. Ich atmete tief durch, schloss kurz meine Augen und betrat ihn dann durch die offene Tür. Ich sah nur Sung-Ja, den Mann meiner Tante im Laden stehen, wie er gerade Äpfel ins Regal räumte.

„Hallo… Sung-Ja“, sagte ich leise.

Etwas erschreckt drehte er seinen Kopf zu mir. Dann stellte er die Kiste ab und kam zu mir.

„Hallo Lucas“, sprach er mich freundlich an und ich streckte meine Hand entgegen, machte wieder den Diener, „das ist aber nett, dass du vorbei schaust… Min-Sun?“

Er rief nach seiner Frau, die wenige Sekunden später im Laden erschien.

„Lucas?!“, rief sie und auch bei ihr verbeugte ich mich und bekam die Hand geschüttelt, „was führt dich her?“

„Naja…, ich weiß nicht so recht… die Neugier vielleicht. Man lernt nicht jeden Tag jemand aus seiner Familie kennen.“

Hyun-Woo hielt sich im Hintergrund.

„Min-Sun, wo bist du, hörte ich plötzlich Großvaters Stimme von hinten.

Meine Tante und Onkel sahen sich kurz an.

„Ich bin hier vorne, im Laden Vater.“

Ich hörte leise Schritte und wenig später betrat nun auch mein Großvater den Laden.

„Vater, darf ich dir Lucas vorstellen, den Sohn von Min-Ja“, sagte Sung-Ja laut.

Mein Großvater musterte mich, gab einen verächtlichen Laut von sich und drehte sich um, als wolle er den Laden wieder verlassen. Ich wusste nicht, was mich plötzlich geritten hatte, aber leicht angesäuert wandte ich mich zu Min-Sun.

„Anscheinend bin ich hier im Hause wohl nicht erwünscht. Dabei hätte ich mich sehr gefreut, meinen Großvater kennen zu lernen“, sagte ich laut.

„Lucas!“, hörte ich es hinter mir flüstern, Hyun-Woo zog an meinem Arm, aber das war mir jetzt egal.

Auch meine Tante und Onkel schauten mich mit großen Augen an.

„Ich dachte immer ein Großvater freut sich über seine Enkel, aber dies scheint hier nicht so zu sein. Tante… Onkel, es war nett euch wieder zu sehen und freue mich, wenn wir das bald wiederholen können.“

Ich schüttelte Hände, verneigte mich auch ganz freundlich, bevor ich Anstalten machte, den Laden wieder zu verlassen.

„Halt!“, hörte ich die Stimme meines Großvaters.

Ich überlegte noch, ob ich weiter gehen sollte, dachte aber dann, dass es nicht gut wäre, die Stimmung noch weiter unnötig anzuheizen. So blieb ich stehen und drehte mich um.

„Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, wie man sich Älteren gegenüber zu verhalten hat?“, fragte er mit scharfer Stimme.

Ich antwortete nicht sofort, sondern schaute ihn direkt an.

„Doch, meine Mutter hat mir all diese Umgangsformen, die in Korea hochgehalten werden, beigebracht. Sie sagte auch wörtlich ich solle jeden Menschen Respekt zollen“, kurz atmete ich durch, „der auch mich respektiert!“

Gut, dass hatte sie nur im Zusammenhang meiner Schulklasse gesagt, aber ich warf es nun einfach so in den Raum, gespannt auf die Reaktion meines Großvaters.

„Respekt muss man sich verdienen!“, sagte mein Großvater und kam auf mich zu.

„Gilt das nicht auch für beide Seiten?“, fragte ich frech und neugierig.

Er hielt kurz inne und schien zu überlegen.

„Deine Mutter hat dich der koreanischen Sprache gelehrt, du bist sehr Wortgewandt!“

„Warum sollte sie nicht, es ist ihre Muttersprache. Korea ist das Land, dass sie liebt.“

„Und warum hat sie es dann verlassen?“

Nun war ich wieder am Zug, ich musste genau überlegen, was ich antwortete. Längst hatte ich den Bogen überspannt, aber mein Vater hatte mich auch gelehrt, für meine Meinung einzustehen.

„Sie respektiert ihren Mann und ist ihm gefolgt, was ihr sicherlich nicht leicht gefallen ist.“

„Und was ist mit dem Respekt der Familie gegenüber?“

Mittlerweile stand mein Großvater mir direkt gegenüber. Wild zuckten die kleinen Augen hinter der Nickelbrille. Ich war wieder an der Reihe. Wieder atmete ich tief durch, wich aber nicht zurück.

„Wenn man jemand liebt“, begann ich leiser als zuvor, „ihn heiratet, verändert sich dann nicht die Art des Respektes?“

Er schwieg. Wusste er darauf nichts zu sagen? Er wandte sich leicht ab.

„Aber man heiratet nicht, wenn die Familie etwas dagegen hat, man hat den Entschluss zu respektieren!“

„Der Familie und ihre Entscheidung!“

Wieder schnaufte er verächtlich und wandte sich von mir ab.

„Kann man etwas dafür, wenn man den Menschen findet, sich verliebt und spürt, dass man mit diesem Menschen sein Leben teilen möchte. Niemand kann etwas dafür, wen er liebt!“

Ich wunderte mich selbst, dass ich so schlagfertig antwortete, aber bei den vielen Diskussionen mit meinem Vater hatte ich wohl viel gelernt. Mein Großvater drehte sich wieder zu mir.

„Wie alt bist du?“

„Achtzehn…“

„Und doch redest du mit einer Weisheit eines alten Mannes.“

Ich konnte nicht anders und musste lächeln.

„Das ist zu viel der Ehre. Ich stehe nur für das ein, was ich glaube, das hat mich mein Vater gelehrt.“

„Deine Eltern haben dir viel beigebracht…“

„Ich bin sehr stolz sie zu haben, sie waren und sind immer für mich da…“

„Hast du Geschwister?“

Sein Ton hatte sich geändert.

„Eine Schwester… Mia ist sechszehn und besucht noch die Schule.“

„Bildung ist wichtig! Und du?“

„Ich habe mein Abitur gemacht und habe in Absprache mit meinen Eltern mich für ein Jahr in Korea entschieden, um mehr über meine Familie hier und das Land zu erfahren.“

„Du willst dann studieren?“

Ich nickte. Ich schaute kurz zu meiner Tante und meinem Onkel, die mich freundlich anlächelnden und nickten.

„Was hat er denn schon wieder?“ hörte ich plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund, „verscheucht er wieder Kundschaft mit seiner schlechten Laune.

Hervor trat eine ältere Frau, die bei meinem Anblick stehen blieb. Sie war wohl meine Großmutter.

Sung-Ja und Min-Sun wichen etwas zurück.

„Ich habe noch niemanden verscheucht!“, kläffte er sie an.

„Wer ist das?“, fragte sie.

Mein Großvater schaute kurz zu mir, dann wieder zu ihr.

„Dein Enkel… von deiner missratener Tochter Min-Ja.“

Ich wollte etwas darauf sagen, aber Sung-Ja gab mir Zeichen nichts zu sagen, so blieb ich still.

„Mein Enkel… Min-Ja hat einen Sohn? Ist sie auch hier?“

Das Gesicht meiner Großmutter hellte auf. Dieses Mal konnte ich mich nicht zurückhalten und trat neben meinen Großvater.

„Es freut mich sie kennen zu lernen, mein Name ist Lucas“, gab ich von mir, verbeugte mich und streckte ihr meine Hand entgegen.

Sie griff aber nicht nach meiner Hand, sondern ich spürte plötzlich ihre Hände auf meinen Wangen.

„Lucas… ist ein schöner Name und du bist ein so hübscher Junge…“

Ich lächelte und wurde wieder verlegen.

„Ist deine Mutter nicht hier?“

„Nein! Er ist ganz alleine hier und will Korea kennen lernen, Mutter“, meldete sich nun Mia-Sun zu Wort.

„Schade… es hätte mich sehr gefreut sie wieder zu sehen.“

Deutlich hörte ich die Enttäuschung heraus, ihre Augen wurden traurig.

„Er wohnt bei den Chois, du weißt doch, der Mannarbeitet fürs Fernsehen. Lucas ist dort für ein Jahr Gast.“

Der Blick verwandelte sich von Traurigkeit in Entsetzen um.

„Zu Gast bei den Chois. Mein Enkel sollte eigentlich hier wohnen und nicht bei fremden Leuten!“

Wieder hatte ich das Bedürfnis mich mitzuteilen und blabberte einfach drauf los.

„Mein Zeichenlehrer Park In-Jeu stammt auch aus Korea, er bekräftigte mich, das Land und seine Menschen kennen zu lernen. Er hat sich um meine Unterkunft und alles andere hier gekümmert.“

„Park In-Jeu, der Name sagt mir etwas“, meinte meine Großmutter und kratzte sich dabei am Kopf.

Kundschaft kam in den Laden, drei Frauen die sich unterhielten. Sung-Ja lief auf die beiden zu, während Min-Su, mich und Hyun-Woo nach hinten lotse. Ob dies, Großvater recht war, wusste ich nicht. Er und seine Frau folgten uns nun auch.
Ich hörte jedenfalls keinerlei Einwände. Eine offene Tür schien wohl den Rest des Hauses vom Laden zu trennen. So schlüpfte ich aus meinen Schuhen und trat strümpfig in den Wohnraum ein.
Wie Hyun-Woo hielt ich mich nun eher auf der Seite, bis die Großeltern ebenso eingetreten waren.

„In-Jeu ist mit Min-Chul in die Schule gegangen“, hörte ich Min-Sun der Großmutter zuflüstern.

Wer war Min-Chul?

„Wirklich?“, fragte diese, aber benahm sich dann komisch, als der Großvater eintrat, „Junge komm, setz dich zu mir, erzähl mir mehr von dir.

Leicht verbeugend folgte ich der Aufforderung der Großmutter und setzte mich zu ihr auf den Boden an den Tisch.

„Hast du noch Geschwister?“, wollte sie wissen.

„Eine jüngere Schwester, Mia heißt sie. Sie geht noch zur Schule.“

„Und wie wohnt ihr?“

„Meine Eltern haben ein Haus mit Garten am Stadtrand…, sehr schön gelegen in der Natur…, ich kann ja mal beim nächsten Mal Bilder mitbringen.“

„Und dein Vater hat einen guten Job?“

Diese Frage kam nun von Großvater, der bisher immer noch stand. Seine Stimme klang immer noch kritisch und verbittert. Da fiel mir ein, dass ich auf meinem Handy ja ein paar Bilder der Familie hatte, falls ich doch kurzfristig Heimweh bekämpfen musste. Aber erst wollte ich die Frage meines Großvaters beantworten.

„Mein Vater ist Arzt und führt eine gut gehende Praxis. Er hat sich der traditionellen chinesischen Medizin verschrieben, was sehr gut angenommen wird.“

Jeder der mich so reden hörte, dachte sicherlich, ich wüsste gut darüber Bescheid, was ich da von mir gab. In Wirklichkeit hatte ich mir diese Antwort schon im Vorfeld zu recht gelegt, weil diese Frage nach meinem Vater ja sicherlich kommen würde.
Ich zog umständlich mein Handy aus der Tasche, stellte fest, dass ich So-Wois Handy erwischte, steckte es zurück und wurde in der anderen Hosentasche fündig. Nach kurzen Suchen hatte ich die Bilder gefunden und reichte meiner Großmutter als erstes ein Familienbild.

„Wo habe ich denn meine Brille?“

„Hier“, kam es von Mun-Sun“, welche ihr die Brille dann auch gab.

„Deine Schwester ist ein hübsches Mädchen“, kam es dann von Großmutter, nachdem sie das Bild länger betrachtet hatte, „Mann schau dir das Bild an.“

Verächtlich schnaufend wandte sich ab und machte irgendetwas an einer Kommode. Min-Sun trat aber heran, ging neben der Großmutter auf die Knie.

„Min-Ja sieht gut aus, er scheint ihr gut zu gehen. Arbeitet sie auch?“

„Sie hilft ab und zu meinem Vater, aber sonst ist sie zu Hause, führt den Haushalt, dann ist da ja auch noch der große Garten… Moment…“

Ich griff nach meinem Handy und suchte nach dem Bild und gab das Handy wieder zurück.

„Wir haben einen großen Kräutergarten mit Obst und Gemüse, da findet man meine Mutter ständig.“

Meine Großmutter schaute sich das Bild wieder länger an, lächelte dabei meine Tante an, die zustimmend nickte.

„Und du bist jetzt für ein Jahr hier?“, fragte sie und gab mir mein Handy zurück.

„Ja! Mama hat mir sehr viel von zu Hause erzählt, hat mir viele Bilder gezeigt, mit auch ihre Kräuter versucht näher zu bringen, aber ich habe wohl noch nicht so den grünen Daumen, wie mein Vater immer behauptet.“

„Grüner Daumen?“

„Das ist so eine deutsche Redewendung und heißt, dass ich mich mit den Sachen im Garten nicht so gut auskenne.“

Darauf lachte meine Großmutter herzig und Min-Sun stimmte ein. Sung-Ja kam herein.

„Vater, die Kundin frägt nach einer großen Menge Kartoffeln, ich wollte dich fragen, wann wir die nächste Lieferung erwarten?“

„Morgen früh, warte ich komme mit dir.“

So verschwanden beide wieder. Meine Großmutter griff nach meiner Hand.

„Junge, du darfst ihm sein Verhalten nicht krumm nehmen, er ist eben so. Erzähl mir mehr von deiner Mutter, was macht sie sonst noch und wie geht es ihr wirklich?“

So unterhielten wir uns noch eine ganze Weile über meine Mutter, bis der Großvater zurück kam. Ihm folgte ein Jugendlicher.

„Teak, du kommst spät, wo warst du?“, meinte Min-Sun streng und stand auf.

„Ich war mit Freunden unterwegs…“, hörte ich seine tiefe Stimme.

„Freunde sind wichtig!“, kam es von Großvater.

„Aber ich wüsste gerne, wo sich mein Herr Sohn herumtreibt.“

„Er ist alt genug!“

Ich wunderte mich, das Großvater so hinter seinem Enkel stand, wo war hier der Respekt vor den Älteren? Auf die letzte Bemerkung von Großvater antwortete Min-Sun nichts, sie schaute ihren Sohn nur böse an.

„Wer ist das?“, fragte Teak.

„Dein Cousin aus Deutschland!“, beantwortete Min-Sun seine Frage.

„Wer?“, fragte er nochmal und schaute mich für meine Verhältnisse etwas zu abgehoben an.

Ich stand auf und ging zu ihm hin.

„Ich bin Lucas, Sohn deiner Tante Min-Ja“, sagte ich laut und deutlich und streckte ihm meine Hand entgegen.

„Ich habe keine Tante Min-Ja…“ gab er trotzig von sich und drehte sich von mir weg.

Gut, wenn er nicht wollte, mir war das egal, aber anscheinend seiner Mutter nicht.

„Teak!“, rief sie ging zu ihm hin und gab ihm eine Kopfnuss.

Das hat sicher weh getan, war aber wohl verdient. Mich wunderte nur, dass der Großvater, der sich zu Großmutter an den Tisch setzte kein Machtwort sprach. Durfte er sich mehr erlauben als andere?

„Entschuldige dich bei Lucas!“

„Warum denn, was habe ich falsch gemacht?“

Ich wollte etwas sagen, aber meine Großmutter griff nach meiner Hand und schüttelte den Kopf.

„Habe ich dir nicht beigebracht, dass man den Älteren seinen Respekt zeigen muss?“

Das Thema hatten wir vorhin schon, ich musste grinsen. Aber so recht war mir die Situation jetzt auch nicht.

„Großmutter, ich werde jetzt gehen, ich muss morgen sehr früh raus und möchte bald zu Bett gehen.“

„Aber Junge, du musst doch nicht schon gehen“, meinte sie.

„Doch, auch ich brauche meinen Schlaf“, lächelte ich sie an.

„Hast du morgen Mittag schon etwas vor?“

Ich schaute zu Hyun-Woo, der seinen Kopf leicht schüttelte.

„Noch nichts.“

„Komm doch zum Tee, ich will noch mehr von dir wissen.“

„Sehr gerne!“, gab ich zur Antwort, verneigte mich und gab ihr die Hand.

Als ich die Hand Großvater entgegen streckte kam keinerlei Reaktion. So verabschiedete ich mich noch von Min-Sun, nickte meinem Cousin zu und verließ mit Hyun-Woo die Wohnstube.
Im Laden winkte ich Sung-Ja zu, der gerade jemand bediente, machte den Diener dazu und verließ dann endlich den Laden. Es war dunkel geworden und die Luft zwar klar aber kalt. Tief atmete ich durch.

„Alles klar mit dir?“, fragte Hyun Woo.

Ich nickte und schaute zu ihm. Er grinste.

„Was?“

„Dein Gespräch vorhin mit deinem Großvater…“

„Ich weiß, das war wahrscheinlich peinlich und unangebracht.“

„Nein, ich fand es mutig…, du hast immer wieder die richtigen Worte getroffen.“

„Findest du?“, sagte ich und drehte mich noch einmal zum Haus.

Hyun-Woo nickte. An eine der oberen Fenster des Hauses, sah ich diesen Teak. Als er bemerkte, dass ich zu ihm hinaufschaute, verschwand er schnell vom Fenster.

„Lass uns nach Hause gehen, ich werde müde.“

*-*-*

Mit viel Engelszungen überredete ich Hyun-Woo bei mir zu schlafen und nicht in Jae-Joongs Bett. Auf alle Fälle war es angenehm warm, als der Wecker los ging. Es war diese Nacht nichts passiert, wir lagen angezogen aber aneinander gekuschelt im meinem Bett.

„Guten Morgen“, brummte es neben mir verschlafen im Kissen.

„Morgen!“, antwortete ich lächelnd.

Ich wusste nicht, warum ich so fit war, aber es ging mir richtig gut. Ich stütze meinen Ellenbogen aufs Bett und legte meinen Kopf auf die Hand. So beobachtete ich grinsend Hyun-Woo, der total zerzaust neben mir lag.

„Stehen wir auf?“, fragte ich kichernd.

„Gleich…“, brummte es wieder aus dem Kissen.

„Du, oder ich zuerst?“

„Moment…“, brummte es wieder.

Sein Kopf bewegte sich und unter der Decke kam eine Hand zum Vorschein, die, die Ablage abtastete. Sie wurde fündig und die Brille wanderte langsam in Hyun-Woos Gesicht. Dann hob er langsam den Kopf an.
Seine Augen waren ja normal schon klein, aber nun sahen sie winzig aus, vor allem noch zu.

„Entschuldige…, ich bin morgens nicht so fit…“, kam es Hyun-Woo über die Lippen.

Ich lächelte ihn an, weil ich ihn irgendwie absolute süß fand. So gesehen war es auch meine erste Nacht, die ich mit jemand anderem im Bett verbracht hatte. Gut ohne Sex, aber das war jetzt egal.

„Ich…“, er gähnte kurz herzhaft, „oh, entschuldige, ich werde kurz ins Bad gehen, dann kannst du dich fertig machen.“

Ich grinste ihn schelmisch an.

„Was hältst du davon, wenn wir beide gemeinsam duschen gehen“, fragte ich.

„Ähm…“

Nun waren seine Augen weit offen und ich kicherte.

„Komm und denk nicht darüber nach!“

So schob ich mit den Füßen unsere Decke weg und stand auf.

„Komm schon“, meinte ich und streckte ihm meine Hand entgegen.

Zögerlich griff er danach und so zog ich ihn aus dem Bett. Ich lief voraus und er folgte mir nur langsam.

*-*-*

Trotz der frühen Zeit brauchten wir doch etwas länger zum Flughafen. Beim Duschen vorhin war nichts passiert, dafür war wohl Hyun-Woo viel zu müde. Enttäuscht war ich nicht, denn schon alleine mit jemandem gemeinsam zu duschen sich gegenseitig zu waschen war schön.
Ich hatte es voll genossen. Jetzt saß er schweigend neben mir und konzentrierte sich auf den Verkehr. Dort endlich angekommen, suchte er einen passenden Parkplatz. Wir stiegen aus du betraten das große Gebäude.

„Möchtest du auch einen Kaffee?“, fragte mich Hyun-Woo plötzlich.

„Gerne!“

Wir hatten uns regelrecht aus dem Haus geschlichen, um niemand zu wecken, so hatten wir auch nicht gefrühstückt. Mein Magen rumpelte etwas, aber dies schien Hyun-Woo nicht zu hören.
Er machte sich davon und ich sah mich etwas um. Eigentlich hätte ich erwartet, dass es um diese Zeit sehr leer wäre, aber es war schon gut Betrieb. Nicht so voll, an dem Tag als ich hier ankam, aber es liefen genug Menschen mit Gepäck herum.
Ich suchte nach der Anzeigetafel, fand sie aber anfänglich nicht. Erst als Hyun-Woo wieder zu mir stieß, fand ich sie an einer großen Wand.

„Hier dein Kaffee und eine heiße Kirschtasche für den Magen“, lächelte er mich an.

Er selbst hatte das gleiche für sich, vermutete ich jedenfalls, denn außer einem Becher hatte er auch eine Papiertüte in der Hand. Dann trug er noch eine große Tasche auf dem Rücken. Mein Blick auf die Anzeige sagte mir, dass der Flug von So-Woi nicht aufgeführt war.

„Hyun-Woo, dort steht nichts über eine ankommende Maschine aus Amerika…“

„Privatmaschinen werde dort nicht angezeigt!“

Eine Privatmaschine… interessant. So setzten wir uns auf eine der Sitzgruppen und ließen uns die Kirschtasche schmecken. Das warme Essen und der Kaffee taten gut.

„Wo müssen wir dann hin? Oder kommt er bei irgendeinem Terminal an?“

„Moment…!“, kam es von Hyun-Woo.

Er zog sein Handy heraus und tippte kurz etwas ein. Wenig später gab es einen kleinen Summton.

„Jack hat mir geschrieben, wo wir hinmüssen, sie landen ungefähr in zehn Minuten.“

„Okay… und wo müssen wir hin?“

„Man folge mir“, meinte er.

Er schulterte die Tasche und lief voran, während ich mit meinem Kaffe in der Hand ihm folgte. Mir kam es so vor, als würden wir den halben Flughafen durchqueren. Plötzlich blieb
Hyun-Woo an einer Absperrung stehen.
Er führte dort ein kurzes Gespräch mit der dort stehenden Dame und holte einen Ausweis heraus. Dann winkte er mir zu. Ich warf meinen leeren Becher in eine Mülltonne und lief zu Hyun-Woo.
Die Dame am Schalter begrüßte mich freundlich und ließ uns durch die Absperrung. Ich lief einfach Hyun-Woo nach, da ich mich hier so wieso nicht auskannte. Er öffnete eine Tür und bat mich einzutreten.
Drinnen tat sich für mich ein edler Raum mit Sitzgruppen und einer Theke auf. Hyun-Woo sprach die Dame hinter der Theke kurz an und bat dann mich sich zu setzten. Wenig später bekam ich einen Orangensaft serviert.

„Danke“, meinte ich und die Dame verbeugte sich kurz lächelnd.

„Dauert es noch lange bis die beiden ankommen?“, fragte ich Hyun-Woo.

„Nein, die Maschine ist bereits im Landeanflug.“

„Setz dich doch“, meinte ich, doch er schüttelte den Kopf.

Er trat zu mir heran und beugte sich zu mir herunter.

„Das gehört sich nicht“, flüsterte er leise ins Ohr, „Bedienstete haben zu stehen.“

Ich nickte verstehend, aber war nicht damit einverstanden, aber was sollte ich machen. So fügte ich mich den Regeln. Ich nahm einen Schluck und fuhr etwas zusammen, als die Tür, an der gegenüberliegende Seite aufging.
Ein lächelnder So-Woi kam ins Blickfeld, dicht gefolgt von Jack, schwer beladen mit mehreren Taschen. Bei seinem Körperbau schien ihm das aber nichts auszumachen.

„Lucas!“, rief So-Woi und kam auf mich zu.

Ich stand auf und es folgte eine Umarmung.

„Freut mich, dass du kommen konntest.“

„Freut mich, dass du wieder da bist“, lächelte ihn wieder an.

Irgendwie kam er mir anders vor. Er strahlte regelrecht, schien größer, ging aufrechter. Alles an ihm wirkte positiv auf mich.

„Möchtest du noch etwas trinken, oder gehen wir gleich?“

„Wo willst du denn hin?“, fragte ich.

„Zu mir!“, antwortete er mir lächelnd.

„Okay, dann zu dir.

Hyun-Woo nahm Jack ein paar Taschen ab und beide verließen sie mit uns den Raum. Draußen war schnell ein Wagen gefunden, auf dem Jack problemlos das Gepäck verstauen konnte.
So ausgestattet durchquerten wir wieder den Flughafen.

„Gut siehst du aus!“, meinte So-Woi und boxte mir leicht gegen den Arm.

„Ich fühle mich auch gut. Wie war dein Flug?“

„Lang, aber ich habe nicht viel davon mitbekommen, weil ich geschlafen habe.“

Plötzlich wich sein Lächeln von den Lippen.

„Du Lucas…“

„Hm…?

„Es tut mir leid, dass du wegen mir Unannehmlichkeiten hattest. Ich hätte mir gleich denken können, dass mein Vater seine Fühler ausstreckt.“

„Du wirst überwacht?“

„Ja, er will ja schließlich über all meine Schritte informiert sein.“

„Krass! Ich würde mich da unwohl fühlen, wobei mein Vater so etwas nie tun würde, denke ich.“

„Bei uns gestaltet sich das etwas anders.“

„Mach dir keinen Kopf, ich ertrage viel.“

*-*-*

Wenig später kamen wir an dem Hochhaus an, wo ich schon einmal war. So-Wois Wohnung. Er verließ mit mir den Wagen und steuerte den Eingang an. Eigentlich war es meine Art bei dem Gepäck zu helfen, aber mir wurde klar, dass ich das besser lassen sollte.
So folgte ich So-Woi ins Haus, während die anderen ausluden. Mit dem Fahrstuhl hatte ich so meine Probleme, wie das letzte Mal und war froh, als wir wieder ausstiegen.
In der Wohnung angekommen, wunderte ich mich darüber, dass dort schon Licht brannte. So-Woi warf seine Jacke über eine Sessellehne und ließ sich auf der Couch fallen.

„Komm setz dich!“

Auch ich entledigte mich meiner Jacke und setzte mich neben ihn.

„Wie war Amerika?“

„Anstrengend, aber ich konnte alles regeln.“

„Trotz der verkürzten Zeit?“

„Ja und außerdem hatte ich große Sehnsucht dich wieder zu sehen.“

Verlegen lächelte ich.

„Und wie sehen deine weiteren Pläne aus?“

„Zuerst werde ich später bei meinem Vater vorbei schauen und mit ihm ein längeres Gespräch führen.“

„Brauchst du da keinen Termin für…?“

So-Woi lachte.

„Du lernst schnell! Ja bräuchte ich einen, sogar als Sohn, aber dies wird ja auch kein normales Gespräch. Jack hat für mich heraus gefunden, dass er keine Termine am Morgen haben soll.“

„Schlau!“

So-Woi nickte grinsend.

„Und du, was hast du gemacht?“

„Einen Teil meiner Familie hier kennen gelernt!“, antwortete ich.

Die Tür öffnete sich leise und Jack schaute herein. So-Woi stand auf und ging zu ihm hin. Sie wechselten ein paar Worte und Jack drücke ihm eine rote Box mit roter Schleife in die Hand. Dann verschwand Jack wieder.

„Ähm… ich hab da noch etwas für dich.“

„So-Woi, du sollst mir doch nichts kaufen, du hast mir doch schon das Handy geschenkt!“

„Handy ist ein absolutes Muss!“, meinte er und drückte mir die Box in die Hand.

Klar freute ich mich wie ein Schneekönig, wer tat das nicht, wenn er etwas geschenkt bekam. So zog ich an der roten Schleife, öffnete langsam den Deckel und war erstaunt und etwas schockiert zu gleich.

„Die waren doch teuer…“

„Aber sie gefallen dir gut… und sie stehen dir sicherlich gut.“

„Aber woher…, halt sag nichts, ich ziehe die Frage zurück.“

Ich zog die roten Lederstiefel aus der Box, die mir in der Auslage, in dem Laden nähe des Obstladens, so gut gefallen hatten.

„Du bist verrückt!“

„Und es macht Spaß, dich so lächeln zu sehen. Los, zieh sie an!“

Ich öffnete etwas die Schnürsenkel und schlüpfte hinein, was sich nicht als ganz einfach erwies. Dann verschnürte ich die Schnürsenkel, stand auf und ging ein paar Schritte.

„Das sieht geil aus“, meinte So-Woi.

Ich lächelte und lief zu ihm hin.

„Danke!“

Ich warf meine Arme um ihn und drückte ihn fest an mich.

„He, du zerquetscht mich!“, brummte es von unten.

Ich ließ ihn wieder los und schaute nochmal auf die neuen Schuhe. So-Woi ging an die Tür, hinter der anscheinend Jack und Hyun-Woo gewartet hatten. So-Woi bat sie herein und beide betrachteten meine neuen Schuhe und beide hoben ihren Daumen nach oben.

*-*-*

Etwas rüttelte an meinem Arm. Blinzelnd schaute ich auf.

„Wieder wach?“

Ich drehte mein Kopf zur Seite und schaute in So-Wois Gesicht. Ich rieb mir die Augen und wuschelte durch mein Haar.

„Bin ich eingeschlafen?“, fragte ich verwundert.

„Ja“, lächelte So-Woi, „aber verständlich, du bist ja auch sehr früh aufgestanden.“

Ich setzte mich ordentlich hin und bemerkte, dass mich irgendwer zugedeckt hatte.

„Wie viel Uhr haben wir denn?“

„Kurz vor neun…, Lust auf Frühstück?“

Ich nickte. So-Woi stand auf, griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her. Bisher hatte ich ja nur diesen großen Raum gesehen, aber durch eine Seitentür gelangten wir eine Küche.
Küche, konnte man fast als untertrieben bezeichnen, so etwas hatte ich auf alle Fälle noch nicht gesehen. Hier hätte locker eine kleine Kneipe darin Platz gehabt. Ausgestattet mit allem was Mann so zum Kochen oder derartiges brauchen konnte.
Hinter einer großen Theke konnte ich Hyun-Woo und Jack entdecken, die sich beide bei unserem Eintreten leicht verneigten. So-Woi zog mich zu den Barhockern, worauf er sich auf einen dieser Teile niederließ. Ich setzte mich neben ihn.

„Kaffee oder Tee?“, fragte Jack.

„Kaffee“, meinte ich, während So-Woi sich lächelnd einen Tee wünschte.

„Ich hoffe dir macht es nichts aus, dass die beiden mit uns frühstücken?“

„So-Woi, du müsstest mittlerweile wissen, dass ich anders gestrickt bin. Für mich ist es etwas Normales, wenn die beide mit uns frühstücken. Ich hatte schon unzählige Unterhaltungen mit Hyun-Woo darüber, dass ich diese überfreundliche Bedienung und Unterwürfigkeit, absolut nicht gewohnt bin.“

So-Woi schaute mich wachen Augen an, sagte aber kein Wort dazu.

„Ich weiß, ich bin hier in einem Land, wo die Gastfreundlichkeit sehr hoch angesiedelt wird und vieles von eurer Kultur und Mentalität ist mir noch unbekannt. Es ehrt mich auch, dass Hyun-Woo sich so sehr für mich einsetzt, auch wenn ich nicht immer Hilfe brauche.“

Ich sah aus den Augenwinkeln, dass Hyun-Woo rot wurde.

„Hyun-Woo ist keineswegs ein Assistent für mich, sondern eher ein Freund, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht.“

„So verhält es sich bei mir und Jack auch, wobei er mir auch schon lange zur Seite steht…, ich glaube seit meinem Fünfzehnten Lebensjahr. Er kennt mich in und auswendig und ich vertraue ihm Hundertprozentig.“

Ich überlegte, ob ich fragen sollte, denn es beschlich mich das Gefühl, zwischen den beiden war mehr, als nur eine normale Freundschaft. So umschiffte ich das Ganze damit, dass ich meine Frage anders formulierte.

„Wie ist es eigentlich hier in Korea, darf man nur Leute vom gleichen Stand heiraten, oder ist es auch möglich, zum Beispiel, wenn ein Chef seine Sekretärin heiratet?“

„Das ist möglich, zwar nicht gerne gesehen, wird aber oft praktiziert.“

„Also könntest du problemlos mit Jack ausgehen, wenn du wolltest?“

War es Einbildung, oder verfärbten sich die Gesichter beider leicht rot? Hyun-Woo schaute kurz zu mir und grinste.

„Da Jack eh immer bei mir ist, wer das kein Problem.“

„Ihr seid zusammen…, oder?“

Jacks Kopf knickte nach unten und So-Woi sah mich schockiert an.

„Wo… woher…?“

„Ach komm So-Woi, so wie ihr beide miteinander umgeht, kann ich für mich nur zu der Schlussfolgerung kommen und keine Sorge, von mir erfährt sicherlich niemanden etwas, auch wenn etwas neidisch bin.“

„Neidisch?“, fragte So-Woi.

„Ich hätte gerne auch einen Freund…, also etwas Festes, für lange Zeit, mit dem ich alles teilen kann.“

Nun lächelte So-Woi wieder.

„… und Jack sieht ja auch unheimlich gut aus…“, schob ich leise hinterher.

Ich hatte die Worte noch nicht richtig ausgesprochen, als Jack das Messer fallen ließ und kurz fluchte. Er hatte sich wohl in den Finger geschnitten. Das tat mir jetzt leid. So-Woi war sofort aufgesprungen und zu ihm hingelaufen.

„Jae-Yun, hast du dich verletzt?“, fragte So-Woi besorgt.

Das war das erste Mal, dass ich So-Woi Jacks richtigen koreanischen Namen sagen hörte.

„Alles in Ordnung…, ist nicht tief.“

Fast liebevoll nahm So-Woi die Hände seines Gegenübers, in die seinen. Hyun-Woo schien sich hier auszukennen, denn er ging an einen separaten Schrank und kam mit einer Box voll mit Verbandszeug zurück.
Er reichte So-Woi ein Pflaster, was dieser gleich auf Jacks Finger klebte.

„Setz dich!“, sagte So-Woi.

„Aber…“

Weiter kam Jack nicht, denn So-Woi schaute ihn streng an. So nahm Jack direkt neben mir Platz, während So-Woi seine Stelle am Tresen einnahm. Während Hyun-Woo Reis in Schälchen abfühlte, warf So-Woi verschiedene Gemüsestreifen in eine Pfanne und schwenkte es kurz an.
Aus einem Ofen zauberte Hyun-Woo Fisch und Geflügel hervor, was mir sagte, dass er und Jack wohl schon länger in dieser Küche zu Gange waren. Alles würde schon abgefüllt in Schälchen, welche nach und nach, nun die Theke vor mir füllten.
Zum Schluss zog Hyun-Woo einen Topf vom Herd und rührte darin um, dabei schaute er mich an.

„Möchtest du auch gerne eine Suppe?“

Er hatte du gesagt, als fühlte er sich hier wohl frei von Zwängen und Gewohnheiten. Ich nickte, obwohl ich nicht wusste, was in dieser Suppe drin war. Wenn meine Mutter zu Hause ein koreanisches Frühstück zubereitete, meist sonntags, dann handelte es sich meist und eine Kimchisuppe.
Kimchi ist ein würzig eingelegter Chinakohl, was man grob mit dem deutschen Sauerkraut vergleichen konnte und wird oft zu allen Mahlzeiten dazu gereicht, entweder als Beilage, oder als Zutat in dem jeweiligen Gericht.
Wenig später hatte ich ein Schälchen, befüllt mit Suppe vor mir stehen. Wie angenommen, war es Kimchisuppe, es duftete herrlich. So-Woi verteilte noch Tassen und dann setzten sich er und Hyun-Woo zu uns.
Es schmeckte herrlich und wieder einmal wunderte ich mich selbst, wie viel ich essen konnte. Seit So-Woi kennen lernen, hatte ich Jack noch nie so viel reden gehört, ebenso Hyun-Woo. Hier unter uns konnten sie alles fallen lassen, was Regeln aufstellte.
Während sich später Jack und Hyun-Woo um die Küche kümmerten, zeigte So-Woi mir den Rest der Wohnung. Sie war wie vermutet einfach riesig. Selbst das Bad hatte die Größe vergleichsweise, wie bei uns ein normales Wohnzimmer.
Zum Schluss bekam ich auch So-Wois Schlafzimmer zu sehen. Ein großes Bett war der Mittelpunkt, der Rest des Zimmers war schön dekoriert mit vielen Bildern und Grünpflanzen. Jacks Zimmer danebengelegen, wirkte auf mich dann eher schlicht un klein.
Nach der Besichtigungstour standen wir dann noch auf einer Terrasse. Gut abgeschirmt zu den Nachbarn des Wohnhauses, war man hier total ungestört. Die Aussicht war umwerfend und die aufgehende Sonne wärmte bereits mit ihren ersten Strahlen.

„Du hast es wirklich schön hier.“

So-Woi lächelte nickend.

„Meine Großmutter hat mir sehr geholfen, als ich beim Einrichten war.“

„Sie fehlt dir…?“

Er setzte sich auf eine der Korbsessel, ich tat es ihm gleich. Er nickte.

„Hast du für das Wochenende geplant?“, fragte er plötzlich.

Themawechsel, also war es etwas, worüber er nicht weiter reden wollte. Ich akzeptierte das. Geplant hatte ich nichts. Jeder Tag hatte bisher so viele Überraschungen parat, dass ich bisher nicht dazu kam etwas zu planen. Jae-Joong würde erst Ende nächster Woche zurück kommen, so war dies auch kein Thema.

„Eigentlich nichts Bestimmtes“, antwortete ich, womit ich mich nicht festlegte.

„Was hältst du von einem gemeinsamen Wochenende am Meer?“

Ich lächelte. Für Herbst war es noch immer sehr warm, aber im Meer schwimmen wollte ich nicht.

„Was stellst du dir da so vor?“, fragte ich.

„Ein kleines Häuschen in Meeresnähe, lange Strandsparziergänge, gutes Essen und eine Menge Spaß.“

„Klar, So-Woi war es nicht anders gewohnt und so langsam gewöhnte ich mich auch an diesen Standard, obwohl ich von meinem eigenen Geld bisher noch nicht viel ausgegeben hatte.
Gezahlt hatte bisher immer jemand anders. Aber diesen Gedanken verwarf ich gleich wieder, weil ich neugierig war, was ich dann alles zu sehen bekommen würde.

„Hört sich gut an.“

„Hyun-Woo soll dich nach Hause fahren und du kannst dann das nötigste zusammenpacken.“

„Kann Hyun-Woo mit?“

So-Woi grinste breit.

„Davon ging ich eigentlich aus“, meinte er.

Er zog sein Handy heraus und tippte etwas ein, dann steckte er es wieder weg.

*-*-*

Hyo-Joo fing mich ab, als ich mit meiner Tasche nach unten kam.

„Kommst du bitte noch in die Küche?“

„Ja, klar, gerne!“

Ich folgte ihr also in die Küche und fand den Tisch mit ein paar Stoffpaketen vor.

„Hier ein paar Sachen zum Essen“, meinte sie.

„Das ist sehr nett von dir, aber du hättest dir doch nicht so viel Mühe geben müssen.“

„Das habe ich gerne gemacht. Ich wünsche dir viel Spaß, Lucas.“

„Danke Hyo-Joo! Ich werde es gleich holen.“

Diese Frau war Gold wert. Ich fragte mich, warum sie keinen Beruf nachging, ob dass ihr Mann vielleicht nicht duldete. Das Haus war immer aufgeräumt, es gab reichlich zu essen und sonst war sie die Freundlichkeit in Person.
Ich verneigte mich tief und verließ mit meiner Tasche die Küche. Vor dem Haus stand Hyun-Woo und nahm mir meine Tasche ab.

„Moment Hyun-Woo, ich habe da noch mehr…“

Verwundert schaute er mich an. Ich ging noch mal ins Haus zurück und kam wenig später wieder mit dem Essen zurück. Hyo-Woo ließ es sich nicht nehmen, selbst etwas hinauszutragen.

„Hyun-Woo“, rief sie, „pass mir auf den Jungen auf.

„Ich werde mein Bestes tun!“, antwortete Hyun-Woo und verneigte sich.

Wenig später waren wir schon wieder unterwegs.

„… ähm Lucas, wäre es ein Problem, wenn wir kurz bei mir vorbei fahren würden, ich benötige auch noch ein paar Sachen zum Wechseln.“

„Kein Problem Hyun-Woo, du bist der Fahrer!“

Verlegen grinste Hyun-Woo.

*-*-*

Verwundert darüber, dass Hyun-Woo mir ausreden wollte, ihn in seine Wohnung zu begleiten, verstand ich es, als ich eben diese Wohnung nun betrat. Ein kleines Zimmer, Platz für ein Bett, Schrank und ein Tisch mit Stuhl.
Eine kleine Küchennische, ein Bad und noch ein Balkon, auf dem man die gerade so mal umdrehen konnte. Hyun-Woo schnappte sich eine Tasche und belud sie mit allerlei aus seiner Wohnung.

„… ich wäre fertig.“

Ich nickte und folgte wortlos aus der Wohnung. Wenig später saßen wir wieder im Wagen und fuhren zu So-Woi.

„Gefällt mir bei dir“, meinte ich um die Stille zu durchbrechen.

„Danke.“

„Mein Zimmer zu Hause ist auch nicht größer“, sagte ich, aber Hyun-Woo blieb still und schaute auf den Verkehr.

Als wir am Hochhaus, in dem So-Woi wohnte, ankamen, war Jack gerade dabei einen großen Geländewagen zu beladen. Als er uns bemerkte, schenkte er uns ein Lächeln und während ich nun das Haus betrat, half Hyun-Woo nun auch unser Gepäck zu verstauen.
Alleine betrat ich den Aufzug und drückte die Zahlenfolge ein, die mir Hyun-Woo gegeben hatte. Die Tür schloss sich und wieder kam dieses eklige Gefühl im Kopf und Magen, als er anfuhr, das Gleiche, als er wenig später auf dem gewünschten Stockwerk hielt.
Schnell war ich aus diesem Horrording aus gestiegen. Ich klopfte an der Tür zum Wohnzimmer, bekam aber keine Antwort. So trat ich ein.

„So-Woi?“, rief ich, bekam aber keine Antwort.

Ich verließ das Zimmer wieder und rief abermals nach ihm.

„Bin im Schlafzimmer!“

Welche Zimmertür war das nochmal? Ich folgte einfach der Stimme und drückte die einzig geöffnete Tür weiter auf. Dort stand So-Woi am Bett und zog sich gerade einen weiten Pulli über.
Wurde ich gerade neidisch auf So-Wois Body. Ich war froh, dass er den Oberkörper verhüllte und die Beinkleider folgten.

„Hi“, sagte ich leise.

Er drehte den Kopf und wurde leicht verlegen. Schnell war der Rest angezogen.

„Hi Lucas“, meinte er und umarmte mich kurz.

„Wollte nur sagen, dass wir da sind und unser Gepäck verladen ist.“

„Gut, dann können wir“, meinte So-Woi.

So folgte ich ihm aus dem Zimmer, er schnappte sich noch eine kleine Umhängetasche und eine Jacke und schon hatten wir die Wohnung verlassen. Auf dem Weg zum Fahrstuhl klingelte sein Handy.
Er zog es aus seiner Hosentasche.

„Chung So-Woi!“, meldete er sich, während er den Fahrstuhl herbei drückte.

Sein Gesicht änderte sich plötzlich von strahlend hell, in bitter böse ernst.

„Nein werde ich nicht!“, kam es etwas lauter.

Ich schaute ihn an, aber er wich meinem Blick aus.

„Wenn er etwas will, dann soll er gefälligst selbst kommen und nicht seinen Lakai schicken!“, schrie er ins Handy und drückte anschließend das Gespräch weg.

„Alles…, alles in Ordnung?“

Es machte Pling und die Fahrstuhltür öffnete sich.

„Ja!“, pflaumte mich So-Woi an.

Hallo? Was war jetzt los? So-Woi trat ein, drückte den Knopf nach unten und nur widerwillig folgte ich ihm. Ich beschloss erst mal nichts mehr zu sagen. Der Fahrstuhl fuhr los und ich schloss die Augen.

„Alles in Ordnung mit dir?“, hörte ich So-Wois Stimme, einige Töne freundlicher als eben.

„Ich vertag diese Art Aufzüge nicht.“

„Das wusste ich nicht.“

„Auch egal“, meinte ich und bereitete mich auf das Bremsen vor, was auch gleich folgte.

Der nächste Schock bekam ich, als sich die Tür öffnete und wir nach draußen traten. Einige Männer in schwarzen Anzügen traten auf uns zu. Bevor ich So-Woi fragen konnte, was hier vor sich ging, packten uns die Männer und zogen uns in schwarze Limousinen.
Während ich nicht in der Lage war, mich dem festen Zugriff der Männer zu entziehen, auch viel zu geschockt war, um einen Ton zusagen, schrie So-Woi laut und schlug auch wild um sich.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich Hyon-Woo, der ebenso von zwei Männer festgehalten wurde, aber auch einen leblos am Boden liegenden Jack. Was war hier los? Eine Entführung?

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3 Kommentare

    • Andreas auf 4. Februar 2016 bei 08:43
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    Hallo Pit,
    tolle Geschichte, hatte sie gar nicht mehr auf dem Schirm, so lange ist der 1. Teil schon im Netz.
    Um so mehr freut es mich, dass es jetzt eine Fortsetzung gib, in der Hoffnung, den auf den nächsten Teil
    nicht ganz so lange warten zu müssen.
    Die Art Deines Schreibens ist immer wieder klasse, wenn ich anfange zu lesen kann ich nicht aufhören,
    und dann finde ich es schade, dass ein Teil – trotz der Länge – schon zu Ende ist.
    Ich wünsche Die alles Gute und freue mich auf weiteres von Dir.
    Herzlichst
    Andreas

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    1. Danke Andreas, der dritte Teil ist fast fertig 🙂

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  1. Hi Pit, bin echt gespannt auf den nächsten Teil.
    Darüber hinaus freut es mich sehr dass hier so viele schöne, gutgeschriebene Stories präsentiert werden, hoffentlich bleibt das so.

    VlG Andi

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