No one else – 18.Türchen

„Hallo?“

„Hallo kleiner Bruder, hast du Zeit, ich muss mit dir sprechen!“

Was war jetzt das. Seit fünf Monaten war Funkstille, kein Sterbenswörtchen kam von Dana. Sonst hatte sie mich ihren täglichen Anrufen schon fast genervt. Ebenso mein ältere Herr Bruder. Emilio war genauso ein Sturkopf wie unser Vater.

„Jetzt am Telefon?“

„Nein, du sollst zu mir kommen, ich bin zu Hause.“

„Dana, das geht schlecht, ich habe nämlich wirklich keine Zeit, ich bin am Flughafen.“

„Was willst du denn am Flughafen?“

„In wenigen Minuten besteige ich einen Flieger nach New York, ich kann mich ja melden, wenn ich wieder zurück bin.“

„Aber…“

„…Ciao!“, unterbrach ich sie und drückte das Gespräch weg.

Danach schaltete ich das Handy aus und verstaute es in meiner Umhängtasche. Nicht dass sie auf die blöde Idee kam, mich noch einmal anzurufen.

„Deine Schwester?“, kam es von Placido.

Ich nickte.

Warum?“

„Ich weiß es nicht, sie wollte mit mir sprechen, aber das ist mir jetzt egal. Die letzten fünf Monate hat sie nicht mehr mit mir gesprochen, ebenso mein Bruder. Das kann warten, bis wir wieder zurück kommen.“

Placido griff nach meiner Hand.

„Wirklich?“

„Ja…, lass uns gehen“, meinte ich und stand auf.

*-*-*

Nach einer Zwischenlandung in Paris, wo noch einmal zwei Paare hinzu gestiegen, waren wir endlich nach New York unterwegs. Mittlerweile hatte ich mich an die zwölfsitzige, kleine Maschine gewöhnt.

„Möchtest du noch etwas?“, fragte ich Placido, weil ich keinen richtigen Appetit hatte.

„Nein, ich bin satt, aber du solltest etwas mehr essen, du bist richtig weiß um die Nase.“

Ich tupfte mir mit der Serviette den Mund ab und legte sie dann zusammengefaltet unter mein Besteck. Der Flugbegleiter kam vorbei, fragte, ob es mir nicht schmeckte. Ich war ehrlich, sagte, dass ich keinen rechten Hunger hätte, so räumte er es ab.

Als er sich entfernte, blieb mein Blick auf seinem breiten Kreuz hängen.

„He, ich sitze hier“, kam es leicht empört von meiner rechten Seite.

Ich schaute zu ihm und lächelte.

„Du gefällst mir gar nicht, Davide.“

„Vielleicht sollte ich es mit etwas Schlaf versuchen.“

„Meine Schulter steht dir jederzeit zur Verfügung“, meinte er und lehnte sich etwas zu mir hinüber.

„Danke, erwiderte ich und nahm die Schulter gleich in Anspruch.

*-*-*

„Emilio lass das!“, keuchte ich.

 Er hatte mich in den Schwitzkasten genommen und ich bekam jetzt fast keine Luft mehr.

 „Emilio, drück fester!“, schrie Dana.

 „Du suchst dir jetzt eine Freundin, oder du kannst dir das Gras von unten anschauen!“

„… Davide…“

„Bitte Emilio…“

„…Davide… wach auf…“

Ich schlug die Augen auf, atmete heftig, versuchte mich zu Recht zu finden. Vorsichtig drehte ich den Kopf und schaute in Placidos besorgte Augen.

„Du hast schlecht geträumt…“, hörte ich seine Stimme.

Ich musste husten, atmete immer noch sehr schnell. Langsam richtete ich mich auf und setzte mich normal hin.

„Geht es wieder?“, fragte Placido.

Verunsichert schaute ich umher, kein Emilio, kein Schwitzkasten. Ich griff mir an den Hals, der sich immer noch komisch anfühlte. Placido hatte meine Hand genommen und streichelte sie sanft.

Der breitschultrige Flugbegleiter von vorhin kam, servierte mir unaufgefordert ein Glas Wasser.

„Danke“, meinte und nahm sofort einen Schluck, was zu neuem Husten führte, weil mir der Hals wehtat.

„Langsam“, meinte Placido und nahm mir das Glas ab, „war es so schlimm?“

Ich musste mich erst richtig sammeln. Ich saß im Flieger mit Placido und war auf dem Weg nach New York. Kein Emilio, keine Dana waren an Bord. So einen Scheiß Traum hatte ich noch nie.

Gut, es hatte mir schon zugesetzt, dass meine Geschwister den Kontakt einfach so mit mir abgebrochen hatten, Vater war ihnen wohl echt wichtiger als ich, oder war es das Geld, waren sie mit Geld geködert worden.

Ich verstand auf einmal die Welt nicht mehr. Warum brach das jetzt über mich herein und nicht vor fünf Monaten, als es aktuell war?

„Davide?“

„Hm?“

„Alles in Ordnung mit dir?“

„…nein…“, meinte ich und schüttelte den Kopf.

Immer noch hatte ich meine Hand am Hals und rieb ihn sanft. Er tat weh und es wurde beim Schlucken immer wieder stärker.

„… willst du darüber sprechen, kann ich dir irgendwie helfen?“

„… ich…, ich habe von meinen Geschwistern geträumt.“

„Dann hat dich der Anruf am Flughafen doch mehr mitgenommen, als du gesagt hast.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, als wir das Flugzeug betraten, hatte ich fast nicht mehr daran gedacht…, eigentlich mehr auf das, was auf mich zu kommt.“

„Du hast Angst?“

Ich nickte.

„Wovor?“

„… mein Bruder… hat mich gewürgt…, meine Schwester in angefeuert…“

Placidos Augen wurden groß.

„Hat er das öfter gemacht?“

Entsetzt sah ich Placido an.

„Nein nie…, natürlich haben wir uns als Kinder geklopft, ist wohl so eine Brudersache, aber er hat mich nie gewürgt, geschweige denn hat meine Schwester ihn angefeuert, die hat immer zu mir gehalten.“

„Du hast aber Angst, deine Geschwister lehnen dich weiterhin ab?“

Ich versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, aber ich schaffte es nicht.

„Ich weiß gar nichts mehr“, antworte ich kleinlaut, die ersten Tränen rannen über meine Wangen.

Placido nahm mich in den Arm und streichelte mir über den Kopf.

„Psssch…, ich bin bei dir, wir schaffen das gemeinsam.“

Das hörte sich so wunderschön an, aber war es auch so leicht zu machen. Langsam beruhigte ich mich wieder, mein Hals kratzte aber immer noch.

„Ist dir kalt? Du zitterst.“

„Etwas…“

„Du wirst dir eine Erkältung eingefangen haben.“

„Meinst du?“

Er beugte sich vor und zog die heruntergefallene Decke nach oben und deckte mich mit ihr zu.

„Ich frage, ob du einen heißen Tee haben kannst, vielleicht wird es dir dann wärmer.“

Ich nickte und Placido drückte sich an mir vorbei auf den Gang. Er lief den Gang vor und verschwand aus meinem Sichtfeld.

*-*-*

Bei der Einreise wurde ich komische beäugt, hatte ich den roten Schal tief ins Gesicht gezogen. Immer wieder hustete ich stark und die Schmerzen waren stärker geworden.

„Bevor wir ins Hotel fahren, suchen wir einen Arzt auf“, sagte Placido, nach dem wir die Passkontrolle hinter uns gebracht hatten.

Ich versuchte erst gar nicht zu widersprechen, meine Stimme hatte mich kurz vor dem Landeanflug komplett verlassen. Als wir dann drei Stunden später endlich im Hotel ankamen, hatte ich absolutes Sprechverbot, weil meine Stimmbänder geschwollen waren.

So hatte ich aus Europa eine richtig schöne Grippe eingeschleppt und fragte mich, ob man für so etwas schon nicht in Quarantäne gesteckt wurde. Trotz meiner körperlichen Gegenwehr, steckte mich Placido gleich ins Bett.

Er war aber nicht lange im Zimmer, weil sich Besuch angekündigt hatte. Lautstark wurde eine Unterhaltung geführt, verstehen konnte ich auch etwas, mein Englisch war immer nicht gut genug, um eine Unterhaltung zu führen, was jetzt eh egal war, wegen dem Redeverbot. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein fremder Mann stürmte herein.

„Wegen dem da, willst du deine Zukunft aufs Spiel setzten?“, sagte dieser.

Ich hätte gerne etwas gesagt, aber Placido sah mich warnend und böse an.

„Das ist Davide und wenn du was dagegen hast, dass er mein Lebenspartner ist, kannst du gleich wieder gehen!“

Eine kurze Stille entstand, in der ich mich aufrichtete.

„Leg dich wieder hin, der Arzt hat dir Ruhe verordnet!“

Flehend schaute ich ihn an. Er atmete tief durch, er versuchte wieder herunter zu kommen, er hatte selbst gemerkt, dass er sich im Ton vergriffen hatte.

„Davide, bitte bleib liegen. Richard und ich haben noch einiges zu regeln, ich komme später wieder!“

Bei diesen Worten schob er Richard einfach hinaus und schloss hinter sich die Tür. Ich ließ mich wieder ins Kissen fallen und dachte darüber nach, warum ich eigentlich hier war. Hatte ich mich doch so gefreut, doch mit Placido zu fahren und jetzt?

Jetzt lag ich im Bett und bekam nichts mit. Da ist man einmal in Amerika und dann so etwas.

*-*-*

Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, brannte nur noch eine kleine Lampe neben dem Bett und im Zimmer war es leicht dunkel. Die Vorhänge waren zugezogen. Sonst konnte ich keinen Laut in der Suite hören.

Auf dem Tisch neben dem Bett stand ein Glas Wasser. Da ich Durst verspürte, nahm ich es und trank vorsichtig. Beim Schlucken fing ich wieder an zu Husten und stellte das Glas wieder ab.

Die Tür wurde leise geöffnet und ein junger dunkelhäutiger Mann kam ins Sichtfeld.

„Hallo Mr. De Luca, sie sind wach. Mr. Romano musste kurz weg, solange bin ich bei ihnen, falls sie etwas brauchen… ach so mein Name ist Jakob Baker, ich bin Mr. Romanos Assistent.“

Davon hatte er mir nichts erzählt. Bisher war mir nur bekannt, dass Placido hier in Amerika einen Agenten hatte, aber einen Assistent, davon war nie die Rede. Ich nickte, was anderes blieb mir nicht übrig.

Langsam richtete ich mich auf. Jakob kam her und half mir dabei, schüttelte mein Kissen auf und stellte es hinter meinen Rücken. Verlegen nickte ich ihm zu.

„Haben sie Hunger…, soll ich ihnen etwas bringen?“

Ratlos blickte ich ihn an. Auf einmal haute er sich auf die Stirn.

„Oh, entschuldigen sie bitte, sie dürfen ja nicht reden. Wenn sie Hunger haben, lass ich ihnen eine heiße Gefügelbrühe bringen, die hilft fast immer, meinte meine Großmutter. Nicken sie einfach, wenn sie damit einverstanden sind.“

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2 Kommentare

    • Andi auf 18. Dezember 2016 bei 01:14
    • Antworten

    Hallo Pit, das ist wieder eine gute Fortsetzung, bin gespannt was da noch passiert bzw sich ergibt.

    VlG Andi

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    • claus auf 18. Dezember 2016 bei 04:41
    • Antworten

    Hallo Pit,

    Du machst ja wieder sehr spannend.

    Grüße Claus

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