No one else – 22.Türchen

Es sieht nicht gut aus. Er war zwar kurz bei sich, ist auch weitgehend stabil, aber wir können erst morgen genau sagen, wie es um ihn steht“, erklärte der Arzt.

Betroffen sah ich zu meiner Familie.

„Sie können zu ihm, aber wirklich nur kurz und nur sie“, meinte der Arzt zu meiner Mutter.

Ich atmete tief durch. War ich wirklich daran schuld, so wie es Emilio sagte. Nur weil ich so leben wollte, ich selbst sein, kein schauspielern und verstecken mehr. Einen Mann liebte, der mir sehr viel bedeutete.

Letizia trat neben mich und hängte sich bei mir ein, während mein Blick meiner Mutter folgte, wie sie mit dem Arzt den Intensivstationsbereich betrat.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Ich zuckte mit den Schultern. Zum ersten Mal, seit ich mit Placido wieder vereint war, kamen Zweifel auf. Tat ich das Richtige, oder war ich einfach nur egoistisch. Meine Blicke trafen sich mit deren meines Bruders.

Verächtlich schnaubte er und drehte sich weg. Letizia löste sich von mir und ging hinter ihm her.

„Letizia nicht…“, krächzte ich.

„Du halt den Mund!“, fuhr sie mich an, bevor sie sich wieder Emilio zuwandte.

Erschrocken fuhr der herum und lief einen Schritt rückwärts. Letizia war geladen und das war nicht gut. Wenn sie diesen Blick drauf hatte, war alles, was sich ihr in den Weg stellte, gnadenlos verloren.

„Was soll der ganze Scheiß? Davide ist dein Bruder. Das erste Mal in seinen Leben ist er richtig verliebt und was machst du, du polierst ihm die Fresse. Wer denkst du, bist du eigentlich?“

„Aber er setzt unsere Familienehre aufs Spiel…“

„Familienehre? Wo leben wir, im Mittelalter? Ich würde dich verstehen, wäre er ein Dieb oder Mörder, aber Davide hat nichts falsch gemacht, er liebt nur jemanden.“

Ich konnte nicht anders, ich begann zu weinen. Mitleidig schaute mich Dana an. Ja ich liebte Placido und dieser liebte mich, was war so falsch daran.

„Was ist daran so schlimm, dass Davides „Auserwählte“ ein Mann ist und keine Frau?“, sprach Letizia weiter, „es ist dein kleiner Bruder, der jede Unterstützung seiner Familie braucht, die er bekommen kann und keinen prügelnden Hirnaffen, davon gibt es schon genug.“

Emilio senkte schüttelnd den Kopf.

„Das ist nicht recht, das ist wider der Natur…“

„Ah, das erlaubt dir dann auch deinen eigenen Bruder zu schlagen…? Der ach so hochherrschaftliche Bruder, als Hüter der Gesetzte? Und du denkst genauso?“

Die letzte Frage war an Dana gerichtet. Sie gab keine Antwort. So drehte ich mich um und lief los.

„Davide, bleib hier“, hörte ich Letizia rufen.

„Könnten sie bitte die Station verlassen, hier ist die Intensiv, hier muss Ruhe herrschen!“, hörte ich eine andere Stimme, drehte mich ab nicht mehr um.

„Ihr seid eine schöne Familie, verstoßt den eigenen Bruder, weil er angeblich abnormal ist. Schaut mal in den Spiegel und denkt darüber nach, wer hier abnormal ist!“

*-*-*

Ich saß vor dem Krankenhaus auf der Bank und starrte den Boden an. Meine Tränen fielen ungehindert zu Boden. Warum das alles? Womit hatte ich das verdient? Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

Mein Hals brannte, trotzdem konnte ich mein Schluchzen nicht unterdrücken. Plötzlich spürte ich eine Hand, wie sie sanft über mein Haar streichelte.

„Lass uns gehen“, hörte ich Letizias sanfte Stimme.

Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und erhob mich. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und schaute mir tief in die Augen.

„Das schaffen wir schon, okay? Ich lass dich nicht alleine!“

Ich nickte.

„Was macht dein Hals?“

Wehleidig schaute ich sie an.

„Starke Schmerzen?“

Wieder nickte ich.

„Komm lass uns noch einmal hinein gehen, vielleicht sollte ein Arzt danach sehen.“

Ich war unschlüssig. Aber Letizia griff nach meiner Hand und zog mich nochmals in das Gebäude. Schnell war ein Arzt gefunden. Letizia erklärte kurz die Sachlage, da ich ja nach wie vor nicht reden konnte. Er untersuchte mich kurz und machte ein ernstes Gesicht.

„Ich kann ihnen dagegen leider nichts geben. Aber wie mein Kollege in Amerika schon sagte, absolutes Sprechverbot, auch kein Flüstern, das beansprucht ihre Stimmbänder noch mehr. Ich will ihnen ja keine Angst einjagen, aber wenn man die Stimmbänder weiter belastet, kann das chronisch werden.“

„Was heißt das?“, wollte Letizia wissen.

„Er wird anfälliger für Krankheiten wie Bronchitis, Lungenentzündung, oder Keuchhusten und in schweren Fällen kann es zur Diphtherie ausarten.“

„Diphtherie? Davon habe ich noch nie etwas gehört.“

„Eine ansteckende Infektionskrankheit, die trotz Behandlung tödlich ausgehen kann.“

Geschockt sah ich den Arzt an.

„Aber wie gesagt, ich will ihnen keine Angst machen. Halten sie sich an das Sprechverbot, trinken sie warme Getränke, oder verabreichen sie ihren Stimmbändern ein Dampfbad.“

„Sie sind gut, sogar ich bekomme da Angst. Aber ich verspreche ihnen, ich werde dafür Sorge tragen, dass Davide kein Wort spricht“, meinte Letizia.

„Wenn er sich daran hält, sollte in vier oder fünf Tagen eine Besserung bemerkbar werden, wenn nicht sollten sie sich beim Arzt oder wieder hier melden.“

„Ich danke ihnen“, meinte Letizia und schüttelte ihm die Hand.

Ich tat das ebenso und versuchte etwas zu lächeln.

„Binden sie ruhig ihren Schal über den Mund“, meinte er und zeigte auf den roten Schal, der neben mir lag.

Ich griff nach ihm und dachte an Placido. Bisher hatte ich ihn jeden Tag getragen, seit Placido ihn mit gegeben hatte.

„Lass uns gehen“, forderte mich Letizia auf.

Dick eingepackt betraten wir wieder den Eingangsbereich des Krankenhauses.

„Ich bring dich noch ins Hotel“, meinte Letizia neben mir, als ich Dana und Emilio erblickte.

Letizia stoppte, doch ich schüttelte den Kopf. Ich hatte jetzt nicht den Nerv dazu, mich noch mal mit den beiden auseinander zu setzen. Ohne Stimme konnte ich mich eh nicht wehren und ich hatte auch keine Lust darauf, dass Letizia sich laufend für mich einsetzte. So lief ich weiter auf den Ausgang zu.

„Davide…“, hörte ich Danas Stimme.

Ich durchschritt die Schiebetür und kalte Luft blies mir entgegen. Bloß weg von hier, dachte ich nur. Letizia neben mir sagte nichts.

„Davide, jetzt warte doch bitte.“

Ich schloss die Augen und blieb stehen. Was wollte sie noch? Letizia neben mir schaute mich traurig an. Ich hörte die Schritte meiner Geschwister, die dicht hinter mir stoppten.

„Davide, können wir reden?“, kam es fragend von Dana.

„Leute, wir kommen gerade vom Arzt. Davide darf absolut nicht sagen, sonst kann das Ganze zu einer Lungenentzündung oder Schlimmeren ausarten. Er muss sich schonen. Zudem sollte er jetzt schnell ins Warme und etwas Heißes trinken“, sprach Letizia besorgt.

„Dann gehen wir doch zu mir“, schlug Dana vor.

Ich drehte mich um und sah Letizia hilfesuchend an.

„Keine gute Idee, neutraler Boden wäre besser. Was ist mit eurer Mutter?“

„Sie bleibt hier.“

„Seid ihr mit dem Wagen hier?“

„Ja“, antwortete Emilio, der bisher noch nichts gesagt hatte.

„Gut, dann fahren wir ins St. Regis.“

„Warum ins St. Regis?“, wollte Dana wissen.

„Weil da dein Bruder zurzeit wohnt.“

*-*-*

Ich fühlte mich unwohl, Letizia stand an der Rezeption und redete mich Alfredo, dem Concierge.

„Ich war hier noch nie, sieht furchtbar teuer aus“, flüsterte Emilio.

„Keine Sorge Brüderchen, ist es auch. Davide, wieso wohnst du hier?“, wollte Dana wissen.

„So, wir können hoch gehen, Gasparo wird uns Getränke bringen“, kam es von Letizia, die wieder zu uns gekommen war.

„Wer ist Gasparo?“, wollte Emilio wissen.

„Der Butler…“, antwortete Letizia, während ich grinsen musste, als ich Emilios fragendes Gesicht sah.

Wir liefen zum Aufzug.

„Werde ich eigentlich Jakob auch kennen lernen?“, fragte Letizia, als wir den Fahrstuhl betraten.

„Jakob?“, kam es wieder von Emilio

Mir fiel mein Block ein.

„Der wohnt auch in der Suite“, schrieb ich und hielt es Letizia vor die Nase.

„Ähm…, ist er auch…?“

Ich schüttelte den Kopf. Wieder nahm ich den Block.

„Er ist Placidos Assistent und wird hier Kunst studieren. Und solange Placidos Haus nicht fertig ist, wohnt er hier, hat sein eigenes Zimmer in der Suite.“

„Ach so.“

Ich schaute zu meinen Geschwistern, die etwas betreten dreinschauten. Der Aufzug stoppte und ich lief zielsicher zur Suite. Letizia reichte mir die Codekarte und ich öffnete die Tür. Ich fand Jakob auf der Couch sitzend vor.

„Hallo Davide“, begrüßte er mich, „… oh du hast Besuch mitgebracht.“

„Hallo ich bin Letizia, Davides Chefin“, begrüßte sie im einwandfreien Englisch, Jakob.

„Oh, Placido hat mir schon von ihnen erzählt.“

„Gut. Das sind Dana und Emilio, die Geschwister von Davide.“

„Habe ich mir irgendwie gedacht, sie sehen sich sehr ähnlich. Davide, ich soll dir übrigens einen schönen Gruß von Placido ausrichten, er wäre alles geregelt und er sitzt morgen früh schon im Flieger hier her.“

Ich lächelte und entledigte mich meiner Winterkleidung. Dana und Emilio standen währenddessen immer noch am Eingang.

„Kommt, macht es euch bequem“, meinte Letizia und zog ebenfalls ihren Mantel aus.

Emilio zog seinen Reisverschluss auf, behielt die Jacke aber an und ließ sich umschauend auf der großen Sitzgruppe nieder. Dana folgte ihm unsicher.

„Was ist das hier?“, wollte Emilio plötzlich wissen.

Letizia schob mich ebenfalls zur Sitzgruppe und wir setzten uns ebenfalls. Auch Jakob gesellte sich zu uns. Es klopfte an der Tür und Gasparo trat ein. Als er mich sah lächelte er.

„Hier ihr heißer Tee, Signore De Luca“, meinte er und servierte eine Kasse mit einer kleinen Teekanne.

„Darf ich einschenken?“, fragte er und ich nickte.

Danach stellte er noch mehr Tassen auf den Tisch und eine große Kanne.

„Möchten sie den Kaffee gleich?“, fragte Gasparo.

„Danke Gasparo, wir bedienen uns selbst.“

„Wenn sie noch etwas brauchen, Signora Greco, dann melden sie sich einfach.“

Er verbeugte sich leicht und verließ das Zimmer. Emilio und Dana schauten ihm nach, dann fiel ihr Blick wieder zu mir.

„Davide, was ist das hier?“, wollte Dana wissen.

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