Schneemann – Teil 7

»Nein, mein Lieber. Du kannst nicht aus deiner Haut. Das macht dich doch auch so liebenswert. Und glaube mir Thomas, ich würde dich um nichts in der Welt eintauschen wollen.«

Damit rückte er noch etwas mehr an mich heran. Überflüssig zu erwähnen: Seine Worte waren wie Balsam. Sie taten mir gut.

Daheim machten wir uns sofort auf ins Bett. Der Tag ist lang geworden und mein Akku einfach leer. In Hans Arm schlief ich ohne weiteres ein.

»Guten Morgen Thomas, Zeit zum Aufstehen!«

Hans säuselte mir die Worte leise ins Ohr. Danach presste er seine Lippen auf die meinigen und vollzog einen bestimmten, liebevollen Kuss.

»Nee, du schwindelst mich an. Ich bin doch erst eben ins Bett.«

»Das ist nicht ganz falsch, wir haben gerade Acht durch. Aber Alex hat angerufen, er muss euren Termin auf heute Nachmittag verschieben.«

»Hat er auch gesagt warum?«

»Ich glaube wegen eines neuen Patienten, der zu ihm auf das Zimmer gekommen ist.«

»Und wann soll ich bei ihm eintrudeln?«

»Er sagte etwas von zwei, halb drei!«

»Na dann habe ich ja auch noch etwas Zeit für mich.«

Obwohl noch recht früh am Morgen, standen wir auf. Es gab Einiges zu tun. Besonders das Frühstück war jetzt wichtig.

»Schatz, ich geh mal die Zeitung holen.«

»Mach nur Thomas, die Brötchen brauchen noch etwas Zeit. Und der Kaffee – du trinkst doch welchen? – ist auch noch nicht durch.«

In meinem Freizeitanzug ging ich zum Zeitungskasten runter.

»Guten Morgen Thomas.«

»Hallo Frau Schmitt, wie geht es ihnen?«

»Mein Rheuma macht mir noch immer zu schaffen. Mein Hausarzt meinte, ich sollte mal eine Kur machen. Aber ich weiß nicht wie und wo! Meinst du, Herr Hausach könnte mal?«

»Fragen sie doch einfach mal Frau Hausach, sie kann ihnen sicherlich weiterhelfen.«

»Ja, das ist eine gute Idee. Danke.«

Ich schnappte mir die Lokalzeitung und verabschiedete mich von unserer Nachbarin.

»Wo warst du, hast du die Zeitung von der Presse geholt?« frotzelte Hans.

»Frau Schmitt!«

»Dir sei vergeben, dass es länger gedauert hat.«

Ich legte die Zeitung auf den Tisch. Xavier schaute mich erwartungsvoll an, dann flog er auf mich zu. Punktgenau landete er auf meinem Arm. Kuschelte sich etwas an mich und pfiff vergnügt vor sich hin. Hans sah uns beiden zu. Sanft kraulte ich die kleine Brust des Papageis, dann nahm ich eine Nuss und hielt sie dem Vogel hin. Xavier schnappte sich die Leckerei und lupfte vom Arm auf eine Stuhllehne.

Es sah einfach lustig aus, wie sich der Vogel bemühte, die Nuss zu knacken. Mit seinem Fuß fasste er die Nuss, drehte sie geschickt hin und her. Dann der finale ‚Knacks‘ und ich sah die Frucht in mehre Teile zerspringen.

»Thomas, ich zieh meinen Hut vor Xavier.«

»Es ist wichtig, es sich mit ihm nicht zu verscherzen. Ein Finger ist für ihn, was für uns ein Käsestangerl ist. So mein Lieber, wie wäre es mit Frühstück für uns?«

»Gute Idee. Setz Dich einfach, ist soweit alles fertig.«

Das Frühstück nahmen wir mehr schweigend ein. Kommt halt auch mal vor 🙂 Hans schenkte Kaffee ein, ich reichte ihm die Semmeln und so weiter. Hin und wieder gaben wir Xavier etwas Obst oder so etwas.

»Gibst du mir mal den Sportteil, Thomas?«

»Im Austausch gegen die Lokalseite!«

Und wieder raschelte Zeitungspapier. Xavier fühlte sich wohl etwas gelangweilt, jedenfalls machte er sich auf, eine große Runde zu drehen. Auf dem Halogenfluter ließ er sich nieder und fing an sein Gefieder zu pflegen. Ich schaute von dem Artikel auf und sah zu ihm hinüber. Ich fühlte mich glücklich. Ich hatte Freunde, auf die ich zählen konnte, war finanziell mehr oder weniger unabhängig und selbst mein Papagei sah gesund und gepflegt aus. Dann wandte ich meinen Blick zum Wintergarten hinüber. Meine Gedanken verloren sich in der Ferne.

»Thomas?«

Hans schmunzelte mich an.

»Ja?«

»Einen Penny für deine Gedanken!«

»Ich habe gerade gedacht, wie gut ich es habe. Ich fühle mich einfach glücklich – Schatz.«

Süffisant grinste er.

»Was brauchen wir denn alles so?«

»Eigentlich nur frische Lebensmittel, Vogelfutter, Klopapier. Mehr fällt mir just nicht ein. Warum fragst du? Willst du freiwillig einkaufen gehen?«

»Jein, ich möchte die Gelegenheit beim Schopf packen. Mum und Dad brauchen ja auch was und meistens zahlen die meine Sachen mit.«

»Ach so ist das, dann einen neuen PC, ein weiterer Kühlschrank wäre auch nicht schlecht, eine…«

Weiter kam ich nicht, Hans bohrte mit seinem Finger in meiner Seite. Nach einigen Minuten auf dem Boden wälzen lagen wir uns in den Armen. Seine Hände glitten sanft über meinem Körper. Wir streichelten uns an allen möglichen und unmöglichen Stellen.

»Habe ich dir schon gesagt, dass ich dich Liebe?«

»Ja, hast du. Mit jedem deiner Blicke heute Morgen.«

Zu guter Letzt versiegelte Hans meine Lippen. Eine Ewigkeit später entließ er mich wieder.

»So und was brauchen wir sonst noch?«

»Wie schon erwähnt, nur das Übliche.«

Hans nickte einfach. Wir gaben uns einen kleinen Kuß und standen dann auf. Gemeinsam räumten wir den Frühstückstisch auf. Xavier saß wieder einmal auf dem Bauer und schaute gemütlich unserer Geschäftigkeit zu.

»Stellst du noch den Toaster in den Schrank!«

»Warum?«

»Xavier mag es, an Elektrokabeln zu knabbern, zwei davon hat er schon auf dem Gewissen!« grinste ich zurück.

»Und er lebt noch?«

»Ich bin doch nicht blöd, ich habe zwar vergessen den Toaster in den Schrank zu stellen, aber doch nicht, den Stecker aus der Steckdose zu ziehen. Außerdem schalten sich alle Steckdosen über der Anrichte ab, sobald du das Licht ausschaltest. Sicher ist sicher.«

»Und was ist mit dem Radio?«

»Ist dir das noch nicht aufgefallen? Dieses Radio steht so nah an der Wand, dass er das Kabel nicht erreichen kann. Außerdem ist es fixiert. Xavier wird sich hüten, seine einzige Unterhaltungsquelle in unserer Abwesenheit zu zerstören.«

Dann ging es ins Bad. Knapp eine Stunde später klingelte es an der Tür, Hans Eltern holten ihren Sohnemann zum Einkauf ab. Ich nahm den Wäschekorb und sortierte die Wäsche. Ist halt doch etwas mehr, wenn zwei Leute in einem Haushalt leben. Wie wird das erst, wenn wir das Haus bezogen? Na bis dahin ist noch etwas Zeit hin.

Während die Waschmaschine lief, schwang ich den Putzlumpen und den Staubsauger. Zu Mittag hatte ich das Schlaf- und Arbeitszimmer wieder auf Vordermann gebracht.

***

Die Tür ging auf, die Deckenbeleuchtung flammte auf, und ein weiteres Bett wurde in den Raum geschoben. Alexander schaute aus zusammengekniffenen Augen auf die Uhr, die blauen Leuchtziffern deuteten auf halb fünf. Nachdem das zweite Bett in Position stand, verließen einige Pfleger den Raum. Einer von ihnen blieb, hängte diverse Infusionsbehältnisse an einen Ständer. Alex richtete sich auf, schaute verschlafen hinüber. Viel konnte er nicht sehen.

»Sorry, Alex das wir dich geweckt haben…« Der Pfleger sprach mit dem Rücken zu dem Jungen. Routiniert stöpselte er die verschiedenen Kabel zusammen. Dann begann es zu piepsen und zu blinken. Dann drehte er an den verschiedenen Knöpfen, die Geräusche wurden leiser und letztendlich verstummten sie.

»Lasst mich dafür länger schlafen!«

»Ist gebongt, eine halbe Stunde, reicht das?«

»Ich dachte eher an zwei bis drei…«

»Ich werde Antje eine Notiz hinlegen, versprechen kann ich nichts. So, und nun versuch noch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.«

Damit ging der Pfleger zur Tür, löschte das Licht und verließ das Zimmer. Alex drehte sich um, sah noch einmal zum Nachbarbett hinüber. Die Pfleger hatten über dem Nachbarbett die Nachtbeleuchtung eingeschaltet gelassen. Jetzt sah er den Jungen, er war noch ein Kind. Sein Kopf war bandagiert und ein dicker, durchsichtiger Schlauch führte zu seinem Mund. Das andere Ende mündete in einen Zylinder, der wie eine Ziehharmonika auf und ab ging. Die Bettdecke war wie ein kleines Zelt über seine Beine aufgezogen. Mehr konnte er nicht erkennen. Alex drehte sich um und schlief ein.

»Guten Morgen Alex, es ist Zeit.«

»Zeit wofür? Sebastian!«

»Fürs Bad!«

»Hatte ich eines bestellt?«

»Du nicht, aber ich, also keine Widerrede.«

»Kann ich vorher noch telefonieren, Thomas und ich wollten heute morgen zusammen lernen.«

»Kein Problem.«

Die Jungs machten sich auf, im Stationszimmer machten sie halt, damit Alex sein Telefonat machen konnte. Dann fiel ihm noch ein, dass er ja mal anfragen konnte, ob sie noch professionelle Hilfe bekommen könnten.

»Sebastian, habt ihr ein Telefonbuch?«

Er reichte Alex das gewünschte. Seine Finger glitten über eine Seite, wählte die gesuchte Nummer und sein Gesicht hellte sich nach einigen Momenten auf. Danach ging es in die Bäderabteilung. Das Badewasser füllte langsam die Wanne. Sebastian schüttete einen Badezusatz hinein und es entstand ein wenig Schaum auf der Oberfläche des Wassers.

»Sag mal Sebastian, das mit dem Bad war doch nur ein Trick, um mich aus dem Zimmer zu bekommen?«

»Du hast es erfasst. Bei Andreas, dem neuen Patienten, wird es unangenehm. Einige seiner Verbände müssen gewechselt werden. Die künstliche Beatmung wird entfernt etc. Ist nicht jedermanns Sache.«

»Darfst Du mir sagen, was passiert ist?«

»Soweit ich weiß, ein Autounfall. Muss heftig gewesen sein, die Autobahn war mehrere Stunden gesperrt. Der Rettungshubschrauber hat ihn hergebracht. Doc Hausach hat mit seinem Team Schwerstarbeit leisten müssen.«

»Wie alt ist er?«

»Neun. So, und nun entspanne dich bei einem Bad. Ich hole dich in einer halben Stunde wieder ab. Dann gibt es Frühstück.«

Sebastian half Alexander noch ins Wasser und verließ den Raum. Alexander staunte nicht schlecht, wie schnell doch die Zeit um war.

»Na wieder wach?« grinste ihn Sebastian an. »Komm endlich raus, du musst dich ja schon aufgelöst haben.«

Alex schaute sich seine Hand an. Die Haut war ganz runzelig. Sebastian half ihm, reichte ein großes Badetuch. Dann ging es zurück ins Zimmer, wo ein Frühstück auf Alexander wartete.

Das Nachbarbett war verschwunden.

»Wo ist er denn hin?«

»Andreas? Er bekommt noch eine CT. Und nun frühstücke!«

***

»Hallo Sebastian, ist Alex in seinem Zimmer?«

»Hallo Thomas. Ja er wartet auf dich.«

Ich klopfte leise an und trat nach Aufforderung ein. Alexander las in einem Buch. Neben seinem Bett stand ein Paravent, der die Sicht verhinderte.

»Hi Alex!«

»Hi Thomas, bitte sei leise, Andreas schläft. Helfe mir mal aus dem Bett, wir gehen nach unten. Antje hat mir einen ruhigen Raum zum Lernen besorgt.«

Ich schob den Rollstuhl den Gang entlang. Doc Hausach kam uns entgegen. Er sah irgendwie müde aus.

»Hallo ihr Beiden. Wie geht es Dir, Thomas?«

»Hallo Felix, mir geht es gut und Hans auch. Aber du!«

»Ich weiß, ich fühle mich auch gerädert, war eine lange Nacht. Was habt ihr jetzt vor?«

»Wir wollen zusammen lernen, die Schule macht ja keine Pause.«

»Dann viel Spaß.«

»Danke!«

Die Cafeteria war noch nicht sehr gut besucht, aber uns interessierte das nicht.

»Wohin, Alex?«

»Da hinten durch und dann rechts. Das ist unser Schulraum, nicht sehr groß aber mit dem Wichtigsten ausgestattet.«

»Ich wusste gar nicht, dass dafür ein eigener Raum ausgestattet wurde.«

»Ich glaube, der ist auch nur zum Ausweichen gedacht. Im Normalfall haben wir oben im Aufenthaltsraum Unterricht. Manchmal kommt es vor, dass der oben besetzt ist. Dann gehen wir hier rein.«

Ich öffnete die Tür und staunte nicht schlecht.

»Hallo Jungs, ihr seid spät dran!«

»Hallo Herr Schneider.«

»Ich konnte ihn für unsere Nachhilfe gewinnen.«

»Also, meine Zeit ist bemessen Jungs. Lasst uns anfangen.«

In den nächsten Stunden ging es hoch her mit Kurvendiskussionen, Graphen, Funktionen. Herr Schneider, der Mathelehrer, war sehr geduldig mit uns. Zwischendurch gab es Kaffee, Kakao und Kola.

»So Jungs, ich glaube das reicht für heute. Ihr habt es.«

»Ja, ich habe wohl noch einiges gut zu machen!«

»Nicht doch Alex, einige Lehrer sind zwar von deiner mangelnden mündlichen Kooperation genervt gewesen, doch deine schriftlichen Leistungen sind alles andere als schlecht. Mach beim Unterricht mit und dir steht einem guten Abi nichts im Weg. So, und nun will ich nach Hause.«

Herr Schneider nahm seine Unterlagen.

»Hier Alex, gebe das dem Kollegen hier, da sind Übungen für dich und noch einige Hinweise für die nächste Klausur. Ach, bevor ich es vergesse, Frau Krause lässt euch ausrichten, dass euer Referat gestrichen wurde.«

Damit verabschiedete er sich ins Wochenende.

»Komm Thomas, es war ein langer Tag.«

»Wem sagst du das. Was bin ich froh, morgen ausschlafen zu können. Ich bringe dich noch hoch. Wie geht es Corinna?«

»Ihr geht es gut, sie war heute Morgen mit Ramona hier. Sie verstehen sich prächtig. Sie sind anschließend die Stadt unsicher machen. Tapeten aussuchen, Möbel, Spielzeug etc. Ich glaube, es geht wieder bergauf mit uns.«

»Das will ich schwer hoffen. Resignieren hat wirklich noch niemandem geholfen. Vielleicht braucht man hin und wieder einen Freund, der ein mächtig in den Hintern tritt…«

»Davon habe ich ja ausreichend. Es wird Zeit, dass ich…«

»…zurückzahlen? Vergiss es, sieh lieber zu, dass du und Corinna die Kurve bekommt. Es wird noch schwer genug für euch werden, ich kann davon ein Lied singen.«

»Du hast mir noch nie erzählt, wie es damals weiter gelaufen ist. Nach deinem Coming Out bei deinen Eltern.«

»Alexander, dazu habe ich jetzt wirklich keine Lust. Vielleicht, wenn wir in der neuen Wohnung sind.«

Den Rest des Weges legten wir schweigend zurück. Auf der Station angekommen, trat uns ein Pfleger in den Weg.

»Alexander, du hast Besuch. Wir haben ihn in den Aufenthaltsraum geschickt. Dein Mitpatient braucht noch Ruhe.«

»Danke, wer ist es denn?«

»Schau selber nach, nur soviel, Sebastian hat sein Okay gegeben.«

Alexander staunte nicht schlecht, als er seinen Besuch sah. Die halbe Klasse war gekommen und das, obwohl er ihnen das Leben in der Schule nicht leicht gemacht hatte.

Ich verabschiedete mich von ihm und überließ ihn dem Besuch. Es freute mich, dass meine Mitschüler auch mal die Vergangenheit sein lassen konnten.

Im Eingangsbereich traf ich auf Olaf Johannsen, den Anwalt der Stiftung meines Großvaters.

»Hallo Olaf, was führt dich her?«

»Die Arbeit, Thomas, die Arbeit.«

»Am Samstagabend?«

»Ja, ich habe vorhin eine traurige Nachricht erhalten. Gestern Nacht wurde ein Junge hier eingeliefert. Ein Autounfallopfer. Ich habe von der zuständigen Polizeibehörde einen Anruf erhalten, dass seine Eltern den Unfall nicht überlebt haben. Herr Hausach wird gleich auch noch kommen, wir müssen es ihm sagen.«

»Sch… Wie kommt die Polizei auf dich, normalerweise ist das doch deren Aufgabe?«

»Die haben hier im Krankenhaus angerufen, und dann ging es über Felix direkt an mich weiter.«

»Ich weiß, das mag jetzt etwas geschmacklos klingen, glaubst du die Stiftung kann ihm helfen?«

»Es ist nicht geschmacklos. Dafür bin ich hier, dein Großvater hätte es gewollt, dass wir dem Jungen helfen. Brigitte hat schon in Erfahrung gebracht, dass es wohl noch Großeltern gibt. Entsprechende Anweisungen an die Behörden sind schon in die Wege geleitet. Ich denke, morgen sind sie hier, und dann werden wir weiter schauen.«

»Wie machst du das bloß, alles am Wochenende?«

»Ich habe viele Kollegen, da wäscht ganz schnell mal eine Hand die Andere.«

»Olaf, ich möchte dich jetzt nicht weiter aufhalten.«

»Schon gut, tschüs und grüße Hans von mir.«

»Mach ich Olaf.«

***

»Thomas, Du kommst spät.«

»Sorry Hans, ich bin vom Krankenhaus hierher gelaufen. Ich musste mal wieder nachdenken.«

»Und wie war das Lernen, seid ihr weiter gekommen?«

»Ja, ich habe einen ganzen Nachmittag in Mathe Nachhilfe bekommen. Alex konnte Herrn Schneider mobilisieren, frage mich nicht, wie er das geschafft hat. Dann hat die Krause unser Referat gestrichen. Und viele Grüße von Olaf Johannsen.«

»Danke, wo hast du ihn getroffen?«

»Im Krankenhaus, heute mal als Bote schlechter Nachrichten.«

»Erzähl!«

»Ein neuer Patient, er hat wohl als Einziger einen Autounfall überlebt. Olaf wurde von der Polizei informiert.«

»Wieso Olaf?«

»Felix hatte ihn wohl angerufen, der Patient ist ein Kind…«

Hans schaute mich einfach nur an, in seinen Augen lag sehr viel Traurigkeit. Ich nahm ihn in den Arm.

»Hey! Du weißt doch, wenn Felix und Olaf mitmischen, dann wird das Beste für den Jungen getan.«

»Das schon, aber sie können die Eltern nicht ersetzen…«

Ich konnte darauf nichts antworten, was denn auch, Hans hatte Recht.

Die Einweihungsparty ging in den frühen Morgenstunden zu Ende. Alexander, Corinna, Hans und ich wohnten nun seit einer Woche ganz offiziell in den neuen Wohnungen. Felix hatte zugestimmt, dass Alex schon früher das Krankenhaus verlassen konnte. Aus medizinischer Sicht stand dem nichts entgegen. Einzig Alex musste dem Doc versprechen, die begonnene Therapie weiterzuführen. Bei der Einrichtung und den Umzügen in unsere Wohnungen hatte die ganze Jahrgangsstufe geholfen. Als Belohnung wurde diese Fete organisiert, und es war ein Megaereignis geworden. Die Nachbarn hatten in weiser Vorsicht das Weite gesucht.

»Mann bin ich froh, gleich ins Bett zu kommen.«

Hans stellte noch einige Flaschen beiseite.

»Alexander und Corinna?«

»Alex bringt sie ins Bett. Danach wollte er noch einmal runter kommen.«

»Ihr sprecht von mir?«

»Jepp, ich habe da noch etwas. Kommt mit ins Wohnzimmer.«

Neugierig folgten Alexander und ich Hans in den besagten Raum. Der hatte es irgendwie geschafft, drei saubere Gläser aufzutreiben. Jedem von uns gab er eines, und in der anderen Hand hielt er eine kleine Flasche Champus. Mit einem leisen „Pöff“ öffnete er sie und schenkte uns ein.

»Auf unsere kleine WG!« schlug Hans an.

»Auf unsere WG!« klang es im Chor zurück.

Wir stießen mit einem leisen Klirren unsere Gläser zusammen und tranken das prickelnde Getränk.

»Das war eine super Fete, sieht aber noch nach Arbeit aus, beim Aufräumen.«

»Kathrin und Peter wollen helfen, sie kommen wahrscheinlich so gegen Eins. Ich schlage vor, wir gehen auch schlafen.«

»Gute Idee, ich bin saumüde. Ich schlafe gleich im Stehen ein.«

Hans stellte sein Glas weg, stand auf und ging. Ich folgte ihm. Alex setzte sich auch in Bewegung und löschte die Lampen. In den Wohnungen kehrte Ruhe ein. Hans kuschelte sich dicht an mich heran.

»Du Thomas, weißt du eigentlich, was mit Andreas geschehen ist? Der Junge, der bei Alexander auf dem Zimmer gelegen hat.«

»Hans, es ist mitten in der Nacht!«

»Und?«

»Andreas wurde nach München verlegt, dort wohnen seine Großeltern, die sich um ihn kümmern wollen. Felix hat alles Medizinische in die Wege geleitet und Olaf alles Juristische. Ich wünsche, es wird ihm nun besser gehen.«

»Danke, Schatz. Du bist einfach lieb.«

Es reichte mir mit Hans Geplapper, ich drehte mich um und küsste ihn. Nun war endlich Ruhe.

***

Mitten in der Nacht klingelte es an der Tür.

»Machst du mal auf, Hans?«

»Nee, du bist dran, Tommi. Wie spät ist es denn?«

Mit einem zugekniffenen Auge lugte ich zum Wecker. Die Zahlen deuteten etwas mit Zwölf an.

»Irgendetwas nach Zwölf und vor Eins, Schatz.«

»Wird wohl die Aufräumtruppe sein, ich geh dann mal. Aber morgen bist du dran.«

»Okay, aber nun dreh ich mich um.«

Hans zog sich eben schnell noch seinen Morgenrock über und ging zur Tür. Da mich mein schlechtes Gewissen zwar nicht besonders plagte, mich jedoch nicht schlafen ließ, stand ich ebenfalls auf. Schlüpfte in den Freizeitanzug und machte mich auf in die Küche.

»Kommen sie doch herein Herr Kunibert.« sprach Hans. »Sorry, wir hatten gestern eine Fete, schauen sie sich bitte nicht so genau um.«

»Nee, mach ich schon nicht, außerdem habe ich selber Kinder im Teenageralter.«

Im Flur trafen wir zusammen.

»Guten Morgen Thomas.«

»Guten Morgen, was führt sie her?«

»Eine gute Nachricht, wir haben den Täter gefunden. Kennen sie einen gewissen Herrn Nauheimer?«

»Ja, der war bis Anfang des Jahres Lehrer an unserer Schule.«

»Nun, wir wissen, dass er im Haus gewesen ist. Der Fingerabdruck auf der Glühlampe war seiner. Können sie sich vorstellen, was er gegen sie hatte?«

»Gegen Thomas hatte er wohl nichts.« mischte sich nun Hans ein. »Meine Eltern haben durch einen Elternbeschluss bewirkt, dass er von der Schule verwiesen wurde und seine Stellung verloren hat.«

»Dann galt die Aktion ihnen und nicht Thomas. Sie haben Glück gehabt.«

»Glück gehabt, fast wäre mein Freund draufgegangen und da soll ich…«

»Hans, lass gut sein. Er ist es nicht wert, sich weiter über ihn aufzuregen. Konnten sie ihn auch überführen?«

»Ja, der Händler hat ihn als denjenigen Kunden identifiziert, welcher die Sachen erworben hat, die verwendet wurden. Manchmal liebe ich den Strichcode.«

»Und was geschieht jetzt?«

»Anklage ist erhoben worden, ab jetzt läuft es seinen Gang in der Justiz. Der Staatsanwalt kümmert sich drum.«

»Und wie sind die Aussichten?«

»Gut bis sehr gut. So, das war es auch schon. Ihr bekommt noch einmal Besuch von Staatsseite wegen Aussagen und so. Macht euch nun keinen Kopf mehr drum. Justitias Mühlen mahlen langsam, aber dafür recht gründlich.«

Nachdem der Kriminalist gegangen war, gingen wir in die Küche und bereiteten unser Frühstück. In Gedanken waren wir wohl beide noch bei dem eben Erfahrenen. Das sollte sich ganz schnell ändern. Hans zog die Decke von Xaviers Käfig und schwups war Leben in der Bude. Dem Gekrächze nach zu urteilen, war er etwas sauer. Kletterte aus dem Bauer und flog einige Runden durch die Küche. Dann landete er auf einer Stuhllehne und krächzte weiter vor sich hin. Irritiert schauten wir uns an. Dann fiel mir siedendheiß ein, dass ich ihm am Vorabend noch frisches Wasser hatte geben wollen. Also, erst einmal die Futterschale frisch auffüllen und auf den Tisch stellen. Dann rüber zu seiner Behausung und frisches Nass einfüllen, und wo ich schon einmal dabei war, gleich auch seinen Futtervorrat erneuern. Der Papagei wurde leiser.

»Puh, das war kurz vor knapp.«

»Wie meinst du das?«

»Das letzte Mal, als ich vergessen habe Wasser aufzufüllen, hat er mich zwei Tage nicht angeschaut. Heute ist er besser drauf.«

Damit setzte ich mich zu meinem gefiederten Freund und beschäftigte mich mit ihm. Er ließ sich von mir füttern, streicheln und er kletterte auf mir herum. Hans grinste nur, laut loslachen tat er, als Xavier mir leicht in die Nase zwickte. Danach pfiff er wieder vor sich ihn und unsere Welt war wieder in Ordnung.

»Hallo!«

»Hallo Corinna, schon wieder auf?«

»Ja, ich konnte nicht mehr schlafen. Ich habe Hunger.«

»Dann setz dich zu uns, wir wollten gerade auch etwas essen. Ist Alexander auch schon wach?«

»Nein, der schläft noch.«

Das Mädchen guckte zum Papagei hinüber. Geheuer war ihr der Vogel noch immer nicht. Respektvoll schauten sich beide an. Corinna holte sich eine Nuss und gab sie dem Vogel.

»Gelle, Du bist lieb zu mir, Xavier!«

Xavier nahm sie an und vor Freude wiegte er sich hin und her. Das brachte uns alle zum Lachen.

Corinna half uns beim Tischdecken. Schon nach kurzer Zeit konnten wir uns an den Tisch setzen. Corinna erzählte uns, was sie so alles erlebt hatte in der vergangenen Woche. Heute, am Samstag, war sie zum Spielen bei einer Freundin eingeladen. Ramona würde sie später abholen und abends dann Alexander.

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So meine getreuen Fans, Thomas und Hans verabschieden sich. Das Abitur steht an, das heißt lernen, lernen und nochmals… nee, es gehört auch eine Portion Spaß dazu. Die kleine WG wurde freundlich in die Nachbarschaft aufgenommen. Zu ihrem Geburtstag bekam Corinna ein Zwergkaninchen geschenkt. Xavier hat vor kurzem auch eine Lebensgefährtin bekommen. Der Tierarzt sagte, sie sei in etwa seinem Alter. Einzig Alexander ist noch immer auf der Suche nach seinem Mr. Right.

Euer Thomas Julian

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