22. Türchen – No one else II

Eine weitere Taschenlampe, eine stärkere als unsere, flammte vor uns auf und blendete mich. Schützend hob ich die Hand vor meine Augen und versuchte etwas zu erkennen. Das einzige, was ich sehen konnte, war eine Hand, die eine Waffe trug, die auf uns gerichtet war.

„Es ist lange her, als wir uns zuletzt gesehen haben“, sagte die Stimme.

„Ethan!“, hörte ich Placidos trockene Stimme neben mir.

Das war also Ethan? Seine Stimme war noch tiefer, als die von Placido.

„Was willst du?“, durchbrach Placidos sauer klingende Stimme.

„Nana, wer wird denn gleich so unfreundlich werden.“

„Ich will dich mal hören, wenn eine Waffe auf dich gerichtet ist!“

Der Lichtkegel der Taschenlampe sank etwas und es blendete nicht mehr so stark. Im schwachen Licht des Hintergrundes, konnte ich leicht die Umrisse unseres Gegenübers erkennen.

Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich behauptet, Placido stünde mir gegenüber. Ich hätte nicht gedacht, dass die beiden sich so sehr ähneln.

„War sicher teuer!“, sprach Placido, in einem wesentlich gelassenen Ton, weiter.

„Was?“

„So auszusehen, wie ich!“

Eine dreckige Lache hallte uns entgegen.

„Wolltest du meinen Platz übernehmen, um so an das Geld meiner Eltern zu kommen?“

„Guter Plan… nicht? Aber das erübrigt sich ja jetzt.“

„Hätte eh nicht funktioniert!“

„Wieso?“

„Davide hätte sofort gemerkt, dass du nicht ich bin!“

„Bist du dir sicher?“, hörte ich Ethan Stimme, die nun in Placidos Tonlage klang.

Etwas verblüfft war ich jetzt schon. Von Letizia und Emilio neben mir hörte ich nur ihre Atmung, sonst schwiegen sie.

„Du kannst wohl dein Aussehen und deine Stimme ändern, das macht dich aber noch lange nicht zu meiner Person.“

„Egal, das brauche ich ja jetzt nicht mehr. Also wo ist das Geld, habt ihr es hier versteckt?“

Hallo? Wer hat denn dem das Hirn zermatscht? Wie sollten wie diese vielen Millionen hier verstecken? So langsam kam in mir der Verdacht auf, dass dieser Typ vor uns, nicht mehr rational denken konnte.

„Die ganzen Millionen?“, kam es von Placido, „die liegen nach wie vor, auf einer Bank, in Mailand. Von mir unangerührt!“

„Das glaubst du doch selbst nicht! Wie willst du mir den luxuriösen Lebenswandel erklären, den du bis jetzt gelebt hast!“

„Weil ich mit meiner Arbeit ehrlich Geld verdiene, nicht so wie du!“

„Was weißt du denn schon von mir?“

„Was weißt Du von mir? Nichts! Du enttäuschst mich…, ich hätte mehr von dir erwartet, dass du bei deiner Schulbildung, etwas mehr auf den Kasten hast.“

Ich verstand nicht, warum Placido ihn in solch einer Situation auch noch reizte, sollte er nicht das Gegenteil tun?

„Weiß dein Stiefvater überhaupt, was du hier gerade abziehst?“

„Lass Vater aus dem Spiel!“

„Das war mein Fehler! Ich hätte schon damals, als du mit dieser fixen Idee angefangen hast, das ganze Geld gehört dir, schon mit Onkel Macavelli reden sollen!“

Was jetzt, Vater oder Stiefvater? So langsam wurden die Familienverhältnisse undurchsichtiger.

„Ach der Sack, was macht der denn schon groß? Zu Hause in seinem Sessel sitzen und ein paar lächerliche Befehle geben. Sonst macht er nichts, außer den lieben langen Tag vor sich hin sabbern! Mutter hätte ihn niemals heiraten sollen!“

„Das ändert nichts daran, dass er immer noch das Oberhaupt der Familie Barberie ist und was er sagt, das gilt!“

Ich war echt jetzt überrascht, wie Placido mit Ethan redete und so gut über die Familie Barbieri Bescheid wusste. Ethan war der Enkel von Placidos Mutters Bruder, somit im weitesten Sinne ein Cousin, oder Großcousin, wie es Placido nannte.

Wenn dieser Barbieri der Stiefvater war, hatte dieser rein verwandtschaftlich, mit Placido gar nichts zu tun. Ich kratzte mich am Kopf, weil alles doch sehr verwirrend war.

„Raus mit euch!“, kläffte uns Ethan an und winkte mit seiner Waffe.

Langsam setzten wir uns in Bewegung. Placido lief schräg vor mir, als wollte er mich schützen. Mein Bruder folgte dicht auf und hatte eine Letizia im Arm. Als ich Ethan näher kam, sah ich doch kleine Unterschiede zu Placido, die mir im Falle eines Rollenwechsels, sofort aufgefallen wären.

Vor allen die Augen, sie sprachen eine ganz andere Sprache, wie ich sie von Placido gewohnt war. Placido hatte völlig Recht damit, dass mir der Wechsel sofort aufgefallen wäre. Als Emilio an ihm vorbei lief, gab Ethan ihm einen Stoß, dass es mein Bruder fast hingehauen hätte.

Letizia schrie auf. Ich drehte mich um und wollte meinem Bruder helfen, da hatte ich schon den Lauf von Ethans Waffe vor meinem Gesicht.

„Geh weiter, du Stück Dreck, oder du bist der erste hier mit einem Loch im Kopf!“, knurrte er mich an.

Placido zog mich von hinten am Ärmel und ich lief etwas rückwärts, direkt in Placidos Arm.

„Ach wie süß! Ist es eigentlich teuer, sich so einen Straßenjungen zu halten?“, sagte Ethan im  bittersüßen Ton, aber seine Stimmlage änderte sich.

„Du gibst mein Geld aus, für diese schwule Ratte? Eigentlich sollte ich ihn hier und gleich kalt machen, dann ist wenigstens das Geld nicht ganz verloren.“

Ich wollte schon darauf etwas erwidern, aber Placido zog mich hinter sich.

„Ich kann mich nur wiederholen“, fing Placido ebenso zu knurren, „du weißt nichts über mich und auch über Davide nicht, du bist nur peinlich!“

Ethan hob die Waffe und zielte damit genau auf Placidos Stirn. Ich hielt die Luft an.

„Warum drückst du nicht ab? Hast du etwa Angst, jemanden umzubringen?“

Ich sah wie Ethans Daumen sich bewegte und die Waffe entsicherte.

„Du dummes arrogantes Schwein, denkst du ich bring das nicht, dich abzuknallen?“

„Das weiß ich sogar mit hundert prozentiger Gewissheit, denn ohne mich kommst du erst recht nicht weit… schönes Geld ade!“

Meine Beine wurde weich, dass hier wurde mir einfach zu viel. Dieser Typ war total von der Rolle, redete wirres Zeug und war zu dem absolut Weltfremd. Die verrückt wirkende Fratze von Ethan, wandelte sich plötzlich in ein breites Grinsen.

Er ließ zwar die Waffe langsam sinken, aber nur um gleich danach auszuholen und Placido damit ins Gesicht zu schlagen. Erneut schrie Letizia auf und mein Schatz torkelte von der Wucht des Schlages getroffen, etwas nach hinten und ging zu Boden.

„Placido“, schrie ich, ging neben ihm zu Boden und versuchte ihn an mich zu ziehen.

„Dich töten? Dich quälen macht viel mehr Spaß!“

Wieder traf uns der starke Lichtkegel von Ethans Taschenlampe. Geblendet blinzelte ich nur noch, damit ich überhaupt etwas sehen konnte.

„Los aufstehen!“, schrie Ethan und sei es noch nicht genug, unterstrich er das ganz mit einem Schuss.

Dicht neben mir zerfetzte es den Boden, da wo die Kugel einschlug. Ich zog den leicht benommenen Placido nach oben und versuchte ihn am Stehen zu halten.

„Zum Wagen!“

Emilio und Letizia waren uns nun gleich auf und mein Bruder half mir, so gut es konnte Placido zu stützen, wie es ging. Im Schein der Taschenlampe konnte ich Letizias ängstliche Blicke sehen.

Wo waren wir da nur hineingeraten? Sollte alles jetzt wirklich so enden? Mehr Recht als schlecht liefen wir zurück Richtung Straße, da wo wir vom Taxi abgesetzt wurden. Placido stöhnte irgendetwas, aber ich konnte es nicht verstehen.

Mit der Gewissheit, einer auf uns gerichteter Waffe im Nacken, näherten wir uns langsam dem großen offenen Tor zur Straße. Und dann ging irgendwie alles sehr schnell. Vor uns fiel ein Schuss, was zur Folge hatte, dass hinter uns plötzlich das Licht erlosch.

Wir ließen uns alle vier vor Schrecken zu Boden fallen und vor uns, entlud sich auf einmal die Wucht mehrerer aufflammender Scheinwerfer vieler Wagen.

„Waffe runter“, schrie es vor uns.

Fast blind von dieser Lichtfülle, zog ich den Kopf ein und versuchte auch noch mit meinem Körper auch noch Placido zu schützen, der immer noch benommen halb unter mir lag. Waren wir jetzt irgendwie zwischen die Fronten geraten.

Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich nun deutlich hinter uns Ethan erkennen, der immer noch mit gezogener Waffe da stand, die Hand zwar vor Augen, aber in unserer Richtung zielte.

„Ihr könnte mich mal“, schrie Ethan und ballerte plötzlich drauf los.

Auch von der anderen Seite fielen Schüsse. Letizia schrie, wie am Spieß und auch Emilio neben mir jaulte laut auf.

„Feuer einstellen!“, schrie jemand.

Emilio hielt sich die Schulter und über seine Hand quoll Blut. Plötzlich wurden wir von vielen Leuten umringt.

„Geht es ihnen gut, sind sie verletzt?“, richtete irgendwer die Frage an mich.

Erst jetzt traute ich mich wieder richtig aufzuschauen. Neben mir kniete ein Carabinieri.

Immer mehr Uniformierte umringten uns.

„Mein Bruder… und Freund… verletzt…“, stammelte ich.

Letizia war nur am heulen und ich war ebenso den Tränen nahe.

„Placido… Placido…“, nuschelte ich mit verweinter Stimme und ruckelte an ihm.

*-*-*

Ich saß, in eine Decke gehüllt, auf der Stufe vom Krankenwagen, in dem Placido lag. Dicht daneben stand der andere Krankenwagen, in dem ich Emilio und Letizia vermutete.

„Das war ganz schön leichtsinnig Seniore De Luca“, hörte ich jemand vor mir sagen.

Ich schaute auf und sah ins Gesicht von Commissario Lambardo.

„Woher…?“, wollte ich fragen, brach ab, weil ein dritter Krankenwagen mit Sirene und Blaulicht, die Platz vor der Grundstückseinfahrt verließ.

Als der Lärm langsam nachließ kam der Commissario auf mich zu.

„Woher wir wussten, dass sie hier sind?“, fragte er.

Ich nickte.

„Ihre Telefone wurden überwacht und ihr Freund Seniore Romano bestellte ein Taxi, dass sie hier her bringen sollte. Zudem wurde ihr Bruder die ganze Zeit überwacht!“

Erschrocken schaute ich auf.

„Sie wussten wo Emilio war?“, fragte ich verwundert.

„Seit dem Zeitpunkt, als sie ihn vor dem Haus, in dem ihre Schwester wohnt, gesehen hatten.“

„Da waren sie auch?“, fragte ich schon fast resigniert und lief den Kopf sinken.

„Tja, mein Vorgesetzter war sich nicht ganz sicher, ob sie nicht doch alle irgendwie alle in diese Sache involviert waren, deshalb wurde jedes Haus, in dem sich Mitglieder der Familie De Luca aufhielten, überwacht.“

Das hätten die uns auch sagen können, dann wäre das alles hier nicht passiert!

„Was ist mit Ethan?“, fragte ich.

„Er wurde von zwei Kugeln getroffen…, aber nicht lebensgefährlich.“

„Und was passiert jetzt?“, fragte ich und zitterte immer mehr.

„So wie ich gehört habe, ist ihr Bruder knapp von einem Querschläger getroffen worden… Streifschuss, nicht tief und Seniore Romano kommt auch wieder langsam zu sich. Wir werden sie gegen die Anweisungen meines Chefs, sie zurück bringen zu ihrem Haus. Dort bleiben sie alle vorläufig noch unter Bewachung, bis alles abgeschlossen ist!“

Ich fand keine Widerworte und blieb still.

*-*-*

Placidos Kopf ruhte auf meinem Schoss, er lag neben mir auf der Couch. Emilio saß mir gegenüber, in einem der großen Sessel vor dem offenen Kamin. Sein Arm war verbunden und er hielt seine Hand darauf.

Hinter mir waren Letizia und Dana zu Gange, was sie machten konnte ich nicht sehen. Verstehen konnte ich ihre Unterhaltung erst recht nicht. Mein Blick ruhte auf den Flammen, die hecktisch über das Holz tänzelten.

Meine eine Hand ruhte auf Placidos Arm, während die andere sanft durch sein Haar strich. An der Stelle, wo Ethans Waffe ihn getroffen hatte, ruhte nun ein Kühlpad, der feine Riss an der Lippe hatte schon längst aufgehört zu bluten.

Die Türglocke ging und ich schaute auf. Jakob verließ humpelnd das Zimmer. Wenig später hörte ich eine mir bekannte Stimme.

„Wo sind sie?“

Das war Mama und sie klang gleichzeitig beunruhigt und böse.

„Im Wohnbereich“, hörte ich Jakob antworten, „darf ich ihnen ihren Mantel abnehmen?“

„Danke…“

„Ihnen auch Seniore De Lucca?“

Was, Papa war auch hier? Aber mir blieb nicht viel Zeit, mehr darüber nachzudenken, denn schon erschien Mama in der Tür.

„Was habt ihr nun wieder angestellt?“, rief sie laut in unsere Richtung.

Placido schlug die Augen auf und wollte aufstehen, aber ich hielt ihn unten.

„Mama“, hörte ich Dana sagen.

„Kind, ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, Mama, ich war die ganze Zeit hier im Haus mit Jakob.“

Ich kam mir vor, wie früher, wenn Mama uns bei irgendetwas erwischte.

„Und ihr beiden?

Der Ton war wieder etwas schärfer und ich zuckte leicht zusammen. Ich war auf alles gefasst und zog leicht den Kopf ein.

„Davide und Letizia ist nichts passiert“, hörte ich Dana erklären, „Emilio hat eine Kugel gestreift…“

„Emilio?“

Ich hörte Schritte hinter mir. Mama kam in Sicht, als sie an mir vorbei lief.

„… alles in Ordnung, Junge.“

„Ja Mama…“

Plötzlich spürte ich eine Hand auf dem Kopf, die sanft anfing, mir über den Kopf strich.

„Das hätte verflucht ins Auge gehen können!“

Das war die Stimme meines Vaters und trotzdem traute ich mich nicht, ihn anzuschauen.

„Euer Vater hat recht, das hätte alles viel schlimmer werden können.“

„Es tut mir leid… Mama…, das ist alles meine Schuld gewesen…“, sagte Emilio mit leiser Stimme.

„Quatsch!“, meldete sich plötzlich Placido zu Wort und richtete sich gegen meinen Willen auf.

„Das ist alles Ethans Schuld! Nicht deine, oder sont wer hier!“

„Placido, du siehst fürchterlich aus!“, sagte Mama erschrocken, denn Placidos Kühlpad war vom Gesicht gerutscht.

Seine rechte Seite des Gesichts, war leicht geschwollen und etwas blau gefärbt. Noch immer ruhte Vaters Hand auf meinem Kopf und ich traute mich nicht zu bewegen.

„Ethan hat ihm eins mit der Waffe überzogen…!“, kam es von Emilio.

Emilio bekam einen kleinen Klaps mit der Hand auf den Hinterkopf.

„Aua…“, gab er von sich, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass dies weh getan hatte.

Ich musste leicht grinsen, weil es mich doch recht stark an früher erinnerte.

„Ihr seid alle so leichtsinnig!“

„Ist gut Mama“, meinte Dana, „es ist nichts weiter passiert, es ist alles vorbei!“

„Und warum stehen draußen immer noch die Carabinieri?“

„Maria… bitte!“, hörte ich Papas Stimme, der immer noch neben mir stand.

„Holst du mir einen Neuen?“, fragte mich Placido und hielt mir den Kühlpad entgegen.

Die Hand von meinem Kopf verschwand. Ich nahm ihn entgegen und stand auf. Leicht drehend stand ich nun direkt vor Papa. Seine Augen waren leicht rot und auch so wirkte er auf mich plötzlich viele älter, als vorher.

„Dir ist wirklich nichts passiert?““, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

„Tzis…!“, hörte ich es hinter mir.

Ich drehte den Kopf und sah wie Emilio seinen schüttelte

„Was?“, fuhr ich ihn an.

„Es ist doch immer wieder das Gleiche, unser Nesthäkchen bekommt den Vorzug!“

„Streitet nicht!“, sagte Mama.

Täuschte ich mich, oder grinste sie etwa? Ich besann mich wieder auf Placidos Wunsch und lief zur Küchenzeile hinüber, wo Dana und Letizia grinsend empfingen. Dana hielt mir schon das Kühlpad entgegen.

„Die Carabinieri sind nur abgestellt, weil man nicht weiß, ob Ethans Familie etwas mit der ganzen Sache zu tun hat, oder es ein Alleingang war!“, hörte ich Placido, es hinter mir erklären.

„Was hast du mit dieser Familie zu schaffen?“, fragte Mama.

„Ethans Großvater, war der Bruder meiner Mutter und Ethans Mutter hat in die Familie Barbieri eingeheiratet.“

„Barbieri sagst du? Macavelli Barbieri?“, fragte mein Vater.

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1 Kommentar

    • Andi auf 22. Dezember 2017 bei 06:12
    • Antworten

    Hm Spannung pur bis zum letzten Moment. Gefällt mir sehr.

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