Fotostudio Plange – Teil 10 – Geburtstagstalk

Geburtstagstalk

Tja, lieber Leser, wo war ich stehengeblieben? Achja, im Partykeller, bei der zweiten Runde! Was Igor und ich da gemacht hatten, kann man es sich denken und bedarf deshalb auch wohl keiner großen epischen Darstellung. Als wir nach einer ausgiebigen Dusche wieder die Wohnung betraten, unsere normalen Sachen trugen wir in den Händen, lief Marvin im Flur herum, als hätte er Hummeln im Hintern.

„Ich will gar nicht wissen, was ihr da unten gemacht habt! Aber Igor, gut das du da bist, ich muss dir was zeigen! Ich hab da was gefunden, was mir gefällt!“ Er packte Igor am Unterarm und zog ihn von mir fort. Was sollte das bedeuten? Während ich mich im Schlafzimmer anzog, waren die beiden in Marvins Zimmer wohl am Rechner beschäftigt. Als ich dann seine Chill-Out-Zone betrat, wurde der Monitor kurzerhand ausgemacht. Ich war so schlau wie zuvor.

„Schatz, du siehst zwar lecker aus, aber ich glaube nicht, dass du nur mit dem Handtuch zum Essen gehen willst, oder?“

„Stimmt! Aber du musst mir was leihen, eine Jeans habe ich zwar noch in der Tasche, aber der Rest ist wohl eher ein Fall für die Waschmaschine!“ Er lachte mich schelmisch an.

Er schob mich wieder in Richtung Schlafzimmer zum Kleiderschrank. Das Handtuch warf er aufs Bett neben seine Tasche und bediente sich erst einmal an meinem Unterwäschefach. Figürlich liegen wir zum Glück nicht so weit auseinander. Er ist zwar definierter und wirkt irgendwie drahtiger, aber uns unterscheiden nur zwei Zentimeter in der Größe, mein kleiner Russe ist mit 184 cm zwei Zentimeter kleiner, seine Brust dafür zwei Zentimeter breiter und seine Hüfte zwei Zentimeter schmaler als ich.

In Boxer und Shirt gewandet kramte er in seine Sporttasche und verzog das Gesicht, als er seine Jeans in Händen hielt. Ein ziemlich großer Fleck zierte die Vorderseite. „Mist! Der Energie-Drink ist ausgelaufen. Jetzt brauch ich auch noch eine Hose!“ Er blickte mich lieb an und ich deutete auf den Kleiderschrank.

„Nimm die 501, die ist mir etwas eng, müsste dir also passen. Soll ich deine Sachen gleich mit in die Waschmaschine schmeißen?“

Kopfnicken. „Kannst du sofort machen, ich brauche nur noch etwas aus der Tasche!“ Er kramte in seinem Transportbehältnis, entnahm zwei kleine Päckchen und warf sie mir zu. „Viel Spaß bei der Hausfrauenarbeit.“

Ich verschwand mit Sporttasche im Badezimmer und kippte den Inhalt auf dem Boden. Neben einem eigentümlichen Geruch aus altem Schweiß gepaart mit der Süße des ausgelaufenen Getränks, fielen sein Kulturbeutel, eine blaue Flasche mit ehemals isotonischen Inhalts und ein kleiner Zettel aus dem Nylonbehälter, der ziemlich klebte. Igor stand mittlerweile hinter mir. Ich drückte ihm seine Tasche und die Plastikflasche in die Hand. „Ab in die Küche und Saubermachen! Deine Tasche riecht bis zum geht nicht mehr.“ Ich grinste.

Er gab mir noch einen Kuss und machte sich auf den Weg. Ich leerte den Wäschekorb und fing an, die Sachen zu sortieren und befüllte die Trommel. Mir fiel dabei wieder der Zettel in die Hand. Ich bin zwar nicht neugierig, aber ich las ihn trotzdem, es war der Kaufbeleg eines Hamburger Juweliers.

Um viertel vor sieben, ich hatte kurz vorher die zweite Maschine Wäsche angestellt und den Inhalt des ersten Waschgangs in den Trockner befördert, fuhren wir zu dritt zu diesem ominösen Termin, der mir immer noch Rätsel aufgab. In dem Viertel hinter dem Bahnhof, in das Igor fuhr, war ich schon Ewigkeiten nicht mehr gewesen, obwohl es nicht weit entfernt war. Ich war mehr als überrascht, hatte ich doch dort eine Industriebrache erwartet. Das alte Drahtwerk, was einmal Stahlseile produziert hatte, war schon zu meinen Studienzeiten aufgegeben worden. Aus den ehemaligen Werkshallen war mittlerweile ein modernes Gründerzentrum für Klein- und Kleinstgewerbe geworden. Der Strukturwandel zeigte sich von seiner besten Seite, die Gebäude des Gewerbehofes sahen modern und zukunftsorientiert aus. Wir stoppten vor einem der Läden, ich sah auf das Schild und mir wurde schlecht. Wir standen vor einem Tattoo-Laden. Was, um Gottes willen, wollten wir hier?

Igor zog mich mehr oder minder aus dem Wagen und führte mich in den hellgelb gestrichenen und freundlich eingerichteten Empfangsbereich. Man schien uns zu erwarten, denn ein Mittvierziger mit Vollbart und Pferdeschwanz kam auf uns zu und begrüßte Igor auf Russisch. Mein Engel stellte uns vor und meinte dann zu mir: „Schatz, ich habe dich immer im Herzen, aber ich möchte dich auch am Herzen haben. Deswegen habe ich uns in Hamburg etwa machen lassen. Hier, ich hoffe, es gefällt dir!“ Er holte ein Schmuckkästchen aus der Jackentasche und öffnete es. Zwei goldene Ringe mit einem Durchmesser knapp einem Zentimeter und ungefähr anderthalb Millimetern Dicke stecken in dem Samt, eine Goldkugel, die jeden Ring wohl verschloss, konnte ich erkennen, eine kleine Gravurplatte in Herzform hing an dem kreisrunden Gebilde. Ich betrachtete das Geschmeide genauer und erkannte auf der Vorderseite der Platte die Buchstaben S und I ineinander verschlungen. Auf der Rückseite das Datum von Marvins Geburtstag, wo wir uns unsere Liebe gestanden hatten. Ich war mehr als gerührt. Aber was war das gerade? Nicht nur im, sondern auch am Herzen? Sollte das etwa heißen, dass wir uns ein bestimmtes Körperteil …?

Ich war hin und her gerissen, einen solchen Liebesbeweis hatte ich bisher noch nie bekommen. „Du meinst also, wir sollten uns jetzt jeder die linke Brustwarze durchstechen lassen?“

„Ja!“

Ich hatte zwar schon lange überlegt, mir eines Tages einen solchen Körperschmuck zuzulegen, war bis jetzt jedoch, ich gebe es ja zu, zu feige dazu. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich wurde ja mehr oder minder dazu gedrängt. Also warum eigentlich nicht? „Gut! Aber warum müssen wir das heute machen? Ich hab doch erst in vierzehn Tagen! Wir könnten doch verschieben und dann …“

„Nein! Du hast jetzt ja gesagt, also machen wir das gleich. Außerdem muss das ganze erst etwas abheilen, ehe wir die Sonderanfertigungen einstecken können.“ Er blickte mich liebevoll an.

„Abheilen? Das tut doch nicht weh, oder doch?“ Ich hatte leichten Bammel.

Er lächelte mich an. „Nein! Wadim ist ein Spezialist in solchen Sachen. Deswegen gibt es erst einmal so eine Art Gesundheitsstecker, wie bei Ohrringen!“

„Na dann ist ja gut!“ Ich fügte mich in mein Schicksal, denn wenn er einmal seinen Dackelblick aufgesetzt hatte, so wie jetzt, konnte man ihm eh nicht widerstehen, jedenfalls ich nicht.

Mein Schatz legte ab. „Du musst schon die Brust frei machen!“

Das tat ich dann auch, allerdings nicht nur ich, wir alle legten unsere Oberkörper frei. Alle? Wieso zog sich Marvin aus? Ich blickte meinen Neffen an: „Was machst du da?“

„Das gleiche wie du und Igor!“ Er grinste spitzbübisch.

„Kommt ja gar nicht in Frage! Deine Eltern werden dir die Leviten lesen und mir die Haare waschen, oder umgekehrt oder Beides!“

„Lass ihn doch! Wenn er unbedingt eins haben will, dann wird er es sich über Kurz oder Lang eh stechen lassen, auch ohne dein Wissen. Hier wird es vernünftig gemacht, nicht wie in den Kaschemmen, wo der Kleine schon gefragt hat.“ Was war das? Wieso mischte sich Igor jetzt ein?

Ich blickte zwischen den Beiden hin und her. Sie grinsten mehr oder minder um die Wette, irgendwie schienen sich meine Lieben abgesprochen zu haben. „Du willst also wirklich ein Piercing?“

Er nickte. „Ich war auch schon in dem Laden in der Wilhelmstraße. Aber der Typ wollte ohne eine Einverständniserklärung von dir nicht.“

„Du bist ja auch noch nicht volljährig!“ Diese Jugend!

„Noch nicht! Aber er hätte es trotzdem gemacht, wenn ich das Doppelte gezahlt hätte.“ Er blickte auf dem Boden.

„Außerdem hätte Marvin ja auch einfach die Einverständniserklärung fälschen können. Stefan, meinst du wirklich, der Inhaber hätte sich tatsächlich von der Authentizität deiner Unterschrift überzeugt, wenn ihm der Wisch vorgelegt worden wäre? Doch wohl weniger, oder?“ Igors Argument war nicht so einfach zu widerlegen.

Ich blickte auf meinen Neffen und schüttelte immer noch mit dem Kopf. „Dann nenne mir bitte einen vernünftigen Grund, warum ich es dir jetzt erlauben sollte?“

„Na, wenn mein erziehungsberechtigter Onkel sich verschönern lässt, muss ich als folgsamer Neffe das ja auch machen! Bin ja ein sehr braver Junge!“ Er grinste. Die Antwort war gut, wirklich gut, wie ich fand. Woher hatte er nur diese Schlagfertigkeit? Von Claudia bestimmt nicht, denn die war eher etwas trocken in ihren Reaktionen, meistens jedenfalls.

Er blickte mich tief an. Sein Dackelblick funktioniert zwar nicht so gut wie der meines Russen, aber sein Augenaufschlag war mehr als ausbaufähig. Ein künftiger Freund hätte es sicherlich nicht einfach, sich gegen den Kleinen durchzusetzen! „In drei Teufels Namen! Einverstanden!“

„Ich darf wirklich?“ Er kam auf mich zu und drückte mir einen Kuss auf die Wangen. „Stefan, du bist spitze!“

„Ich weiß! Aber du wirst selbst zahlen! Das Stechen geht nicht auf Igors Rechnung, auch wenn er dir das wahrscheinlich versprochen hat!“

Beide schauten mich irritiert an. „Woher weißt du das, dass ich ihm das Stechen zahlen wollte?“

„So verschwörerisch, wie ihr heute Nachmittag getan habt, gab es keine andere Möglichkeit. Was hast du dir denn ausgesucht?“ Ich blickte meinen kleinen Neffen scharf an.

„Einen BCR, an dem Ringe in Regenbogenfarben sind.“ Marvin wirkte ziemlich kleinlaut.

„BCR? Was ist das denn?“ Ich war, ob des Fachausdrucks, etwas ratlos.

Igor klärte mich auf. „Einem geschlossenen Ring, so einen, wie ich ihn für uns aus Gold habe machen lassen. Nur aus Silber!“

„Aha! Wieder etwas gelernt! Aber es bleibt dabei, wenn er ein Piercing haben will, dann zahlt er das selber! Anscheinend hat er schon Geld dafür gespart, oder habe ich ihn der falsch verstanden? Dieses medizinische…“

„Das medizinische Barbell meinst du.“ Marvin hatte sich anscheinend doch intensiver mit der Sache auseinander gesetzt, als ich bisher gedacht hatte.

„Igor kann von mir aus diese Bärbel zahlen, aber …“ Ich blickte auf den Schwimmer.

„Wer die Musik haben will, der muss auch für sie bezahlen! Alles klar, Onkelchen, ich hab schon verstanden! Aber du musst mir das Geld jetzt erst einmal vorstrecken, ich geb es dir heute Abend noch wieder, soviel habe ich jetzt nicht im Portemonnaie.“ Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, er tat es später tatsächlich ohne das es einer Aufforderung bedurfte.

„Das ist kein Problem! Dann mal los, ehe ich es mir noch anders überlege! Maestro, darf ich bitten?“ Ich blickte auf den Zopfträger, der ziemlich unsicher dastand.

Igor übersetzte und dieser Wadim legte los. Säuberung, Anzeichnen, erneute Desinfektion, dann der Stich, ein kurzer Schmerz, dann wurde dieser Barbell eingeführt und erneut gereinigt. Das Ganze wurde mit einem luftdurchlässigen Pflaster versorgt. Der Barträger arbeitete schnell und wechselte permanent seine Handschuhe und seine Arbeitsgeräte. Wie man mich hinterher aufklärte, verzichten gute Piercer auf eine Betäubung. Erstens durften sie sie nicht setzen und zweitens wäre die Spritze ebenso schmerzhaft wie das Piercing selber. Auch von Eissprays und Nervensuchgeräten sollte man besser die Hände lassen. Alles Neuland für mich!

Igor zückte, nachdem uns wieder angezogen hatten, seine Geldbörse, auch ich griff in meinen Beutel. Ich zahlte für Marvin und erstand die schwule Variante des Schmucks, den er sich ausgesucht hatte. Mein Großer, der immer noch tapfer gegen seine Tränen ankämpfte, schaute mich fragend an. „Das ist dann dein Geschenk zu Nikolaus.“

Die Zeit bis zu meinem Geburtstag verging wie im Fluge. Viel war nicht vorzubereiten, es war ja kein rundes Wiegenfest, dass würde erst im nächsten Jahr folgen. Man konnte es also etwas kleiner halten: Norwegische Fischsuppe, eine Käseplatte, Stangenbrot, etwas Knabberzeug und Berliner sollten als Nahrung reichen. Aber trotz des leicht intimen Rahmens kam ich auf fast 14 Personen, die mehr oder minder zugesagt hatten.

Die größte Schwierigkeit bestand in der Vorbereitung des Eierlikörs, denn es mussten 40 Eier getrennt werden, Arbeit für jemanden, der Vater und Mutter erschlagen hat. Auch wenn ich nur den einfachen Korn für dieses selbstgemachte Produkt nehme, kommen pro Flasche zehn Eigelb, eine Packung Puderzucker, ein Becher Sahne, drei Päckchen Vanillezucker, zwei Pinnchen Rum und etwas Zimt in die Mischung. Den Eierlikör gab es als Erinnerung an alte Studientage. Lars und Kai hatten zugesagt, auch Markus Brauer und Olaf Krenzer, beides Rechtsanwälte in gemeinsamer Kanzlei, wollten kommen. Mit Thomas Obermann, mittlerweile Regionalleiter einer Versicherung, war die alte Clique komplett.

Manuel sagte ab. Der Grund, eine verschleppte Entzündung im Handgelenk bzw. deren Spätfolgen, war mehr als fadenscheinig, wahrscheinlicher war, dass er nicht mit Igor zusammentreffen wollte. Verstehe einer diese Tunten! Klaus und Ingo riefen zwei Tage vorher an, sie hätten plötzlich Besuch gekommen und könnten deshalb nicht erscheinen. Wer es glaubt! Ich vermutete eher, dass sie immer noch sauer auf mich waren, dass ich ihre Hochzeit letztes Sylvester nicht fotografiert hatte. Aber was sollte ich damals machen? Erst hieß es, sie feierten groß mit allem Drum und Dran, dann wieder im kleinen Rahmen, nur Familie und engste Freunde. Zuerst sollte die Hochzeit Mitte September stattfinden, aber dieser Termin wurde aufgrund, nennen wir es interne Differenzen, abgesagt. Auch der Folgetermin, Ende Oktober, wurde gestrichen, diesmal wegen eines Beinbruchs. Schließlich einigte man sich nach langem Hin und Her auf Jahreswechsel, vergaß aber, mich darüber in Kenntnis zu setzen. Als sie das dann doch noch zwei Wochen vor dem Ereignis taten, war es zu spät, ich hatte einen anderen, ziemlich lukrativen, Auftrag auf einer Gala angenommen.

Marius Stauder, Leiter eines Supermarktes, würde mit seinem Oliver Tramm, Oberkommissar seines Zeichens, später kommen. Der blonde Verkaufsleiter musste bis acht, der schwarzhaarige Ordnungshüter durfte bis neun Uhr arbeiten. Carsten Baumann, mein Versicherungsmakler und Klaas Günther, Lokalredakteur unseres heimischen Käseblättchens, komplettierten die Gästeliste.

Letzterer rief mich am Freitagabend an und fragte, ob er seinen Praktikanten, dessen Beaufsichtigung ihm von seinem Chef aufs Auge gedrückt worden war, mitbringen könne. Eigentlich hatte ich ja nichts dagegen, aber alle Anwesenden waren verzaubert. Ich wollte nicht, dass es zu irgendwelchen Komplikationen kommt.

„Keine Angst, Stefan, Frederick ist so was von schwul, der könnte es glatt erfunden haben!“

„Und da hat man gerade dich zur Anstandsdame bestimmt? Da hat man doch den Bock zum Gärtner gemacht!“ Ich lachte

„Haha, selten so gelacht! Mein kinderloser Herausgeber ist der Patenonkel dieses Knaben, aber für ein verlängertes Wochenende nebst Gattin in Berlin. Da der Kleine wahrscheinlich eines Tages den Verlag erben wird, …“

„… willst du dich gut mit ihm stellen!“

„Das auch! Aber ich will eher meine Nerven schonen. Gestern Abend durfte ich den lieben Herrn von Dunkel von der Polizeiwache abholen!“ Er klang fertig.

„Bitte? Was musstest du?“

„Ihn von der Wache abholen. Er ist auf der Klappe an der Marktkirche aufgegriffen worden, hat da randaliert, wohl weil er nicht zum Zuge gekommen ist. Kannst du dir das vorstellen? Knapp 20 Jahre aber ne Schnauze wie ein Zuhälter. Dabei wollte er nur einen Sparziergang machen! Ich will mir gar nicht vorstellen, was er alles anstellt und wo er dann landet, wenn ich in drei oder vier Stunden alleine lasse.“ Er wirkte wirklich verzweifelt.

„Dann lass es und bring ihn einfach mit. Wir haben ja schließlich die Polizei im Hause!“

„Äh?“

„Oliver kommt auch!“

„Dann ist ja gut!“

Der Samstag kam und ebenso meine Gäste. Um kurz vor acht klingelte Klaas mit seiner Begleitung. Besagter Frederick von Dunkel war höchstens 22 Jahre und strohblond. Er war etwas größer wie ich, wirkte aber ziemlich schlaksig. Brav reichte er mir die Hand und gratulierte artig. Gleiches erfolgte mit den anderen Anwesenden, nur das Händeschütteln mit Marvin dauerte länger als nötig. Mein Neffe hatte sich, obwohl Samstag Ausgehtag Nummer Eins für ihn ist, angeboten, mir zur Hand zu gehen und die Getränkeversorgung zu übernehmen. Ich nahm diese Offerte dankend an, denn ich wusste oder befürchtete es vielmehr, es würde mit dieser Gästekonstellation ein ziemlich langer Abend werden.

Nach und nach trudelten alle ein. Bis auf die beiden Nachzügler waren wir komplett. Man entschied, mit dem Essen auf die Beiden zu warten. Die ersten anregenden Getränke wurden konsumiert und die ersten Anekdoten aus Studientagen ausgetauscht. Als Markus die Geschichte mit dem Aassee zum Besten brachte, sprach die Reaktion der beiden jüngsten Mitglieder der Runde Bände. Man traute uns Älteren wohl nicht zu, Spaß gehabt oder gar Verbotenes in unseren früheren Leben getan zu haben.

Um kurz nach neun, die zweite Flasche Eierlikör war schon leer, kamen Marius und Oliver, wir waren komplett. Während des Essens wurde ziemlich viel gelacht. Thomas und Carsten versuchten sich mit Geschichten über vermeintliche Versicherungsbetrüger zu übertrumpfen, aber die beiden Anwälte setzten immer noch einen drauf. Als die Tafel aufgehoben wurde, war die dritte Flasche Likör zum Altglas gestellt worden. Wir verlagerten ins Wohnzimmer, wo es mit gleichem Gelächter weiterging.

Irgendwie kam das Thema auf Ruhestörung in allen möglichen und unmöglichen Schattierungen. Kai hatte gerade die Geschichte erzählt, wie er einmal von einem besoffenen Fahrgast, der in einem seiner Busse randaliert hatte und daraufhin vom Fahrer mitten in der Nacht auf einem französischen Rastplatz abgesetzt wurde, wegen Aussetzung verklagt worden war. Die beiden Anwälte stritten sich sofort über den möglichen Gerichtsort. Aber Oliver, der Polizist, meinte plötzlich: „Aber für Randale brauchen wir nicht nach Frankreich zu gehen, die haben wir auch hier! Ich musste ja heute den Wochenbericht fertig machen und ich hab mir bei einem Protokoll fast in die Hosen gemacht. Der verkappte Sänger hat meine Kollegen gerufen, er wurde Opfer eines Randalierers!“

„Meinst du den zahnlosen Peter?“ Carsten war neugierig geworden.

„Genau denjenigen welchen! Aber ich habe ja nichts gesagt, nenne keine Namen. Aber es war wirklich nur lustig!“ Er schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel.

„Nun erzähl schon!“ Marius wollte es anscheinend auch wissen.

„Stellt euch folgende Szene vor: drei Leute auf der Klappe.“

Las kraulte sich am Kinn. „Da ist einer zu viel!“

„Genau! Zwei junge Typen und die Diva!“

„Wie kann man denn mit der? Da muss man sich ja vorher und hinterher desinfizieren! Ich krieg Pickel, wenn ich mir nur vorstelle, dass der mich küsst!“ Mein Versicherungsmakler war anscheinend näher mit dem verhinderten Opernsänger bekannt.

„Die beiden jungen Typen fangen an, am Pinkelbecken. Das übliche Anbahnen, wenn ihr wisst, was ich meine. Man gibt sich Kopfzeichen, man will ins Klo!“

„Schatz, spann uns nicht auf die Folter!“ Marius wieder.

„Wie gesagt, der eine ab in die Kabine, der andere will hinterher, aber die Diva ist schneller und schließt die Tür vor ihm zu. Der Typ ist sauer und fängt an, gegen die Tür zu schlagen. Berechtigt, aber egal. Die Diva ist verängstigt und ruft mit Handy die Polizei. Meine Kollegen kommen und nehmen alle mit!“

„Den Einsatz hab ich gesehen! Bin dann lieber weiter gegangen.“ Was machte Marvin an der Klappe?

„Und wie ist es ausgegangen?“ Aus Olaf sprach der Jurist.

„Wie das Hornberger Schießen! Alle wurden ermahnt und konnten hinterher wieder gehen! Ist doch Kinderkram! Die Diva wollte zwar Strafanzeige stellen, wurde aber darauf aufmerksam gemacht, sich selbst der Freiheitsberaubung schuldig gemacht zu haben. Da hat sie den Schwanz eingezogen und ist ab!“

„Mir tut es um die beiden Jungen leid!“ Typisch Kai, er hätte wohl beide selbst gerne vernascht.

Alles lachte, nur Klaas und Frederick waren ruhig. Der angehende Verlagserbe räusperte sich: „Ich finde es ja toll, dass ihr auf meine Kosten lacht. Das war alles andere als spaßig! Abgeführt wie ein Schwerverbrecher!“

Oliver blickte ihn verzeihend an. „Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du …“

„Ist ja schon gut, aber da findet man mal was Nettes in diesem Kaff und was ist? Diese abgehalfterte Trümmertunte ist schneller und schließt sich mit dem Schnuckel ein! Da kann man ja nur wütend werden!“

„Verständliche Reaktion!“ Da sprach der Pädagoge in Lars. „Aber Marvin, da fällt mir auf, was hast du denn da gemacht? Wenn du das Ganze mit eigenen Augen gesehen hast?“

Der Kleine wurde richtig verlegen. „Naja, ich wollte auch mal wieder…“

Es war ein lustiger und gelungener Abend. Wir waren schon bei fünften Flasche Selbstgemachtem, da wollte Olaf unbedingt eine Hausführung haben. Er kannte das Haus noch von früher. Mit gewissem Stolz führte ich die Truppe in den Keller und zeigte ihnen die Umbauten. Auf einem Ausflug auf den Dachboden, wo die Sachen meines Bruders in seiner Frau lagerten, wollte ich auf Rücksicht auf meine oberen Mieter verzichten. Es war mittlerweile weit nach elf.

Bei den Berlinern und dem obligatorischen Mitternachtskaffee schüttelte Marius sein weises Haupt. „Der hatte der Kerl eine eigene Sauna und sagt keinen Ton! Ich fass es nicht! Da könnte man sich ja eine Menge Geld sparen!“

„Was willst du uns damit sagen?“ Igor wirkte etwas angeschlagen, die siebte Flasche war längst ausgetrunken.

„Ist doch ganz einfach! Man könnte ja mal zusammen in die Sauna gehen!“

„Wann denn? Ich bin dabei!“ Ist das eine Nachricht für den Lokalteil?

„Jetzt zum Beispiel! Stefan, in deinem Schwitzkasten können mindestens vier Leute bequem liegen! Wenn ich jetzt mal den Platzbedarf eines Liegenden auf einen Sitzenden aufteile, dann komm ich zu dem Ergebnis, dass wir alle, die wie versammelt sind, auch zusammen da rein können.“ Die Logik des Verkäufers war unverkennbar.

Ich blickte in die Runde. „Wenn ihr wollt, mach ich die Sauna an. Handtücher sind ja genug da! Aber wenn, dann alle oder keiner! Eure Entscheidung!“ Ich vernahm nur zustimmendes Gemurmel, teilweise laut und deutlich, teilweise verzagt und leise.

„Schatz, dürfen wir eigentlich?“ Igor nickte, aber er meinte, wir sollten die Barbells zur Vorsicht rausnehmen, man könne ja nie wissen. Es könnte zu heiß werden.

Das war für die anderen natürlich ein gefundenes Fressen. Sie wollten wissen, was Igor und ich hatten machen lassen. Ich schälte mich aus meinem Hemd und deutete auf meine Brust. Ich biss die Zähne zusammen, es tat etwas weh, als ich das Pflaster abzog, aber ein Indianer kennt keinen Schmerz. Alle bestaunten meine Brust, einige positive Äußerungen waren zu hören.

Mein Igor entfleuchte in den Keller, um die Sauna anzustellen, während Marvin im Bad verschwand, um die Handtücher zu holen. Er verteilte eins an jeden der Anwesenden. Langsam, aber sicher, fing jeder an, sich auszuziehen. Die Idee der Mitternachtssauna war geboren.

Nur mit Handtüchern um die Hüften zog die gesamte Gesellschaft in den Keller in Richtung Sauna. Wir brauchten knapp 20 Minuten, bis sich jeder von uns saunafertig gemacht hatte. Duschen dauert halt einige Zeit! Als wir den Schwitzkasten betraten, zeigte das Thermometer knappe 75 Grad.

Nach einer Viertelstunde verließen wir die Holzbänke und begaben uns zur Abkühlung in den Partykeller. Igor verteilte Getränke, ich riss die Kellerfenster auf und hatte Lungenschmacht. Ich schaute Marvin an. „Kannst du mir bitte meine Zigaretten holen?“

Er verstand und fragte in die Runde: „Braucht jemand was von oben? Zigaretten oder sonst was?“ Einige Wünsche wurden geäußert und er wandte sich an Frederick: „Hilfst du mir bitte?“

Der Angesprochene nickte und beide verschwanden nach oben. Nach einigen Minuten kehrten sie mit den Begehrlichkeiten zurück. Die Handtücher, die um ihre Hüften geschlungen waren, zeigten eine deutliche Belebung. So gestärkt begaben wir uns zum zweiten Gang, bei 95 Grad.

Die Sitzordnung war durcheinander gewürfelt, aber das tat den Gesprächen keinen Abbruch. Wir lachten unheimlich viel, besonders als Carsten versuchte, sich als Saunameister zu betätigen. Sein Aufguss war wirklich flüssiger als Wasser.

Wir verließen die Sauna und Igor drehte den Temperaturregler auf 110 Grad. Wir verlagerten uns wieder in den Partykeller. Die Gespräche waren zwar nicht mehr ganz so lebhaft, man saß, teilweise paarweise, zusammen. Marius entschuldigte sich für den dritten Durchgang, er würde lieber für den Kaffee danach sorgen. Auch Markus wollte oder konnte nicht mehr.

So dezimiert wanderten wir wieder in Richtung Schwitzanstalt. Ich blickte in die Runde, aber es fehlten mehr als zwei Gesichter. Wo waren Marvin und Frederick? Bei der hohen Temperatur war es kein Wunder, dass die Gespräche nicht mehr so flüssig verliefen. Jeder schwitzte für sich und vor sich hin! Nach dem Abduschen erholten wir uns alle bei einem Spaziergang durch den kleinen Garten.

Wir betraten die Wohnung. Die beiden M und M’s, sprich Marius und Markus, hatten auf den Esstisch ein Ensemble aus Kaffeetassen aufgebaut. Wir genossen genüsslich ihre Gaben, aber es war unvermeidlich, langsam aber sicher löste sich die Geburtstagsgesellschaft auf. Nach und nach verließen alle die Ludwigstraße, dankbar und wohlwollend. Am Ende, es war kurz vor drei, saßen nur noch Thomas und Carsten, Igor und ich und der rasende Reporter Klaas beieinander. Ich kredenzte die letzte Flasche Eierlikör, die ich in meinem Besitz hatte. Klaas wollte wissen, wo sein Schützling sei. Wir lachten alle! Besagter Verlagserbe würde sich wohl mit meinem Neffen verlustieren, denn beide waren seit dem dritten Gang nicht mehr greifbar.

Wir verabredeten uns für den nächsten Mittag zu einem ausgedehnten Frühstück.

Tja, lieber Leser, das war mein Geburtstag. Es sind zwar noch einige Unklarheiten vorhanden, dass gebe ich gerne zu, aber was soll das? Marvin und Frederick hatten offensichtlich ihren Spaß. Die anderen Teilnehmer der Geburtstagsgesellschaft allerdings auch? Also wozu eine Unterschreitung treffen?

Wenn ihr also aber wissen wollt, was ich zu bezweifeln wage, wieso und weshalb, dann bitte entsprechende Rückmeldung bitte an mich!

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