Fotostudio Plange – Teil 11 – Jahreshauptversammlung

Jahreshauptversammlung

Dann machen wir mal – der Einfachheit halber –weiter mit dem nächsten Morgen. Nachdem ich um 10 Uhr wach geworden war und mich aus dem Bett geschält hatte, suchte ich die Wasserspiele auf, mich plagte ein menschliches Bedürfnis. Ich ging, ohne lang nachzudenken, nackt durch den Flur in Richtung Bad, ich war ja schließlich zu Hause, was hatte ich also zu befürchten? Igor lag, wie in den letzten Tagen, in gleichem Bekleidungszustand in meinem Bett, Marvin würde wahrscheinlich eh noch pennen. Er hatte seine Tür offengelassen und ich warf einem kurzen Blick in sein Schlafzimmer. Es lagen allerdings nicht nur seine Kleidungsstücke wild auf dem Boden verstreut. Ich erkannte zwei aufgerissenen Kondompackungen, die beiden, er und Klaas Schützling, mussten also ihren Spaß gehabt haben. Aber wo war sein Besuch? Im Bett konnte ich nur Marvins Kopf erkennen. Aber eigentlich auch egal, meine Blase drückte!

In dem gekachelten Raum angekommen erwartete mich jedoch eine Überraschung. Ein fremder Mann stand nackt am Klo und erledigte sein morgendliches Geschäft. Es war Frederick, ich erkannte seinen Haarschnitt. Er war mit seinem besten Stück beschäftigt, das ziemlich normal aussah, kein überdimensionierter Riesenprügel wie in Sexgeschichten üblich.

Ich räusperte mich. „Junger Mann, in diesem Haushalt setzt man sich beim Pinkeln. Wenn du gleich nicht das Klo sauber machen möchtest, dann solltest du …“

Der nackte Jüngling blickte mich an. „Äh, was ist das denn? Wird man hier auf dem Klo beim Pissen bespannt?“

„Normalerweise nicht, aber wenn man nackt in einer fremden Wohnung aus Klo geht und die Tür nicht verschließt, kann es passieren, dass man gesehen wird, wenn man sein Geschäft verrichtet. Du wolltest ich doch gerade hinsetzen, oder?“ Ich wunderte mich über meine Gesprächigkeit am frühen Morgen.

Der Angesprochene tat, wie ihm geheißen. Er setzte sich und der Strahl war wieder deutlich zu vernehmen. „Schaust du eigentlich gerne zu, wenn fremde Leute …“

„Ich wüsste zwar nicht, was dich meine sexuellen Spielarten angehen, aber da du anscheinend hier nicht nur gepennt hast, …“

„Woher weißt du das denn jetzt schon wieder?“

„Die Tür zu Marvins Schlafzimmer war offen. In diesem Haushalt gilt folgende Regel, …“

„Beim Pinkeln sich zu setzen!“ Konnte der Junge schnippisch sein!

„Einmal das, aber eine offene Tür heißt, man kann ohne weiteres eintreten, nur bei geschlossener Pforte wird angeklopft. Verstanden? Und nun beeil dich, ich muss auch mal meinen Jürgen würgen!“

Er nickte und gab nach einer halben Minute das weiße bei Email frei. Ich setzte mich und er machte sich am Waschbecken zu schaffen. Wenigstens ist er reinlich! In diesem Moment betrat Igor, ebenfalls im Adamskostüm, das Badezimmer. „Guten Morgen, mein Schatz! Äh, hallo Frederick!“

Der angesprochene Verlegererbe blickte auf meinen Freund und schüttelte den Kopf. „Jetzt läufst du auch noch nackt rum! Ist das hier so üblich?“

„Normalerweise laufen wir um diese Uhrzeit schon geschminkt und in Stöckelschuhen und mit Federboas um den Hals durch die Gegend, mein Süßer! Aber wir haben nur verschlafen, weil im Nebenzimmer zwei junge Rammler sich den Verstand aus den Lenden gefickt haben und wir deshalb nicht pennen konnten!“ Konnte Igor schön gemein sein, aber es geschah diesem Schnösel recht.

Es dauerte einige Zeit, aber schließlich fiel auch bei dem blonden Studenten der Germanistik endlich der Groschen. „Verarscht ihr eigentlich immer so früh schon fremde Leute?“

Igor ging auf ihn zu und strich ihm, wie bei einem Kleinkind, über die Wange. „Normalerweise nicht, wir warten damit meistens bis nach dem Frühstück, mein Süßer!“

„Wo bin ich hier nur hineingeraten?“ Er kratzte sich am Kinn, kniff dabei aber die Augen zu und grinste.

„Ich bin schwul, Igor steht auch auf Männer und Marvin ist ebenfalls verzaubert. Drei Homos in einer Wohnung? Was kann das sein? Lass mich kurz überlegen! Ich würde sagen, du bist in einem schwulen Haushalt gelandet, mein blonder Recke.“ Ich konnte mein Lachen gerade noch unterdrücken.

„Na dann bin ich ja richtig!“ Er lachte und verließ den gekachelten Raum.

Igor blickte mich an und grinste. „Was sitzt du da eigentlich immer noch auf dem Klo? Ich müsste nämlich auch mal, wenn du erlaubst.“

„Ich erlaube! Aber ich wollte Marvins Logiergast ja nicht meinen Vollmast präsentieren.“ Ich stand auf, drückte die Spülung, ging zum Waschbecken und wusch mir die Hände. Ich lehnte mich an den Waschtisch und betrachtete meinen Liebsten.

Mein Russe ging zurück zur Tür und verschloss sie. „Hat der Kleine dich etwa angemacht? Muss ich eifersüchtig werden?“

Ich schüttelte den Kopf. „Dazu besteht nicht der geringste Anlass! Der Knabe ist mir einfach zu jung zum zum. Aber ich geb zu, es sah schon geil aus, als er beim Wasserlassen an sich herumspielte.“

„Ach, sowas findest du geil? Na warte! Dann will ich dich mal noch geiler machen, mein Süßer! Mal sehen, wie du meine Show findest.“ Er ging in die Dusche und begann seine private Vorstellung für mich. Ich gab aber kurze Zeit später meine Beobachterposition auf und stieg zu ihm in das Becken. Aus dem Solo wurde ein Duett, das im gemeinsamen Duschen schließlich seinen Höhepunkt fand. Das Finale wurde allerdings durch ein Klopfen an der Tür jäh unterbrochen. Marvin begehrte unter Hinweis auf den baldigen Frühstücksbesuch Einlass.

„Sofort!“ Ich nahm Igor den Brausekopf weg, spülte den Schaum aus meinen Haaren und gab meinem angehenden Lehrer einen dicken Kuss auf die Lippen, ehe ich wie Wasserberieselungsanlage verließ. Ich öffnete die Tür, schnappte mir ein Handtuch und fing an, mich abzutrocknen.

„Endlich!“ Der Kleine stürmte herein und setzte sich auf die Schüssel. Sein Blick wanderte zwischen mir und der Dusche hin und her. Als Igor dann den Vorhang beiseite zog, konnte er seinen Blick nicht mehr von seinem Trainer lassen. Ich gab ihm ein Handtuch und er fing mit den Rubbelbewegungen zwecks Trocknung des nassen Körpers an. Marvins Blick wunderte mich etwas, aber wie mein Schatz mir hinterher erklärte, es wäre das erste Mal gewesen, wo er ihn über einen längeren Zeitraum bewusst nackt gesehen hätte. Normalerweise duschte der Trainer separat in seiner Kabine und nicht zusammen mit der Mannschaft. Solche Kontakte wollte er vermeiden!

Wir machten uns fertig und Igor trabte ab in Richtung Bäckerei, während ich anfing, den Frühstückstisch zu decken. Von meinem Neffen und seinem Gast war nichts zu sehen. Ich klopfte an Marvins Tür und hörte so etwas wie ein „Ja!“ Ich öffnete und musste feststellen, dass das Ja nicht mir gegolten hatte. Frederick hatte am kleinen Marvin angedockt und war anscheinend dabei, meinen Großen, der mit dem Rücken zur Tür stand, in den siebten Himmel zu blasen. Ich zog mich diskret zurück und zog die Tür wieder leise zu. Nach drei Minuten wiederholte ich das Hämmern am Holz, ließ die Tür jedoch geschlossen und rief nur: „Es ist gleich kurz vor elf! Wenn ihr noch duschen wollt, solltet ihr langsam fertig werden!“

Die Stimmung beim Frühstück setzte da an, wo die der abendlichen Feier geendet hatte, Humor und Spaß beherrschten den Tisch. Wie sich zu meiner Überraschung herausstellte, hatte Thomas bei Carsten übernachtet. Aber so, wie die beiden sich benahmen, konnte man annehmen, dass der Regionalleiter bei oder besser mit dem Makler geschlafen hatte. Ob sich da eine Versicherungsallianz anbahnte? Würde mich freuen für die Beiden, auch die Entfernung von knapp 30 Kilometern dürfte kein allzu großes Problem darstellen. Nur der Lokalreporter wirkte etwas mürrisch, sein Schützling hatte sich ohne sein Wissen aus seiner Obhut davon gestohlen und einen anderen Schlafplatz gesucht. Er wirkte etwas versöhnt, als die beiden Jünglinge in unserer Runde Hand in Hand zum gemeinsamen Frühstück erschienen.

Die nächsten paar Tage verliefen relativ ereignislos, jedenfalls für Igor und mich. Mein Russe verbrachte seine Zeit mit mir und fuhr nur zu Vorlesungen und anderen studentischen Veranstaltungen zur Uni nach Münster. Den Rest der Zeit waren wir zusammen, wir benahmen uns fast wie ein altes Liebespaar.

Marvin hingegen verbrachte seine sämtliche Freizeit mit Frederick, der bei uns ständig aus und einging. Die beiden schienen sich gefunden zu haben. Ich freute mich zwar für meinen kleinen Neffen, dass er nach seinen bösen Erfahrungen mit Sebastian endlich einen Silberstreif am Horizont sah, aber ich hegte leichte Befürchtungen, dass er wegen des blonden Germanistikstudenten die Schule vernachlässigen würde. Aber meine Sorgen waren unbegründet, denn in der Matheklausur vom Dienstag erzielte er zwölf Punkte, sprich eine zwei plus. Marvin kam jedoch am Mittwochabend ziemlich geknickt und mürrisch vom Training. Er knallte die Türen, schmiss seine Sporttasche ins Badezimmer, schrie einmal ganz laut „Scheiße!“ und knallte schlussendlich seine Zimmertür zu.

Ich hatte Musik gehört und erhob mich aus meinen Sessel, um nach ihm zu sehen. Obwohl seine Tür nicht richtig ins Schloss gefallen war, der Stoß war anscheinend zu heftig, klopfte ich an und hörte nur ein leichtes Wimmern aus seinem Zimmer. Ich trat ohne seine Antwort abzuwarten ein und sah ihn bäuchlings auf dem Bett liegen. Ich ging zu ihm und streichelte ihm über den Kopf. Er sah ziemlich mitgenommen aus. „Schatz? Was ist los?“

Er blickte auf, seine Augen sahen verheult aus. „Keiner liebt mich!“ Hatten wir das nicht schon einmal vor kurzem? Was war passiert?

„Was ist denn passiert?“

Er setze sich ganz auf und drückte mir sein Handy in die Hand. „Da! Hab ich gerade gekriegt, als ich im Bogarts auf ihn gewartet habe.“

Ich wunderte mich. „Was soll ich mit deinem Mobilknochen?“

Er tippte kurz darauf rum und zeigte mir eine SMS, Absender war Frederick. Der Inhalt war nicht ganz angenehm für meinen Kleinen. Da stand zu lesen: „Hallo Marv, Danke für die schöne Zeit, aber ich muss wieder zurück in die Heimat. Wünsche Dir ein frohes Fest und nen guten Rutsch. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. LG F“

Ich versuchte, ihn zu trösten, ihm zu helfen. Die Frage war aber nachdem Wie! „Das kommt aber plötzlich! Hat er nicht gesagt, dass er heute abreist!“

„Nein! Kein einziges Wort! Nichts! Und ich dachte, er liebt mich wirklich!“ Er klang verzweifelt.

„Ach, mein Engel, dass ist hart, ich weiß!“ Ich setzte mich neben ihn und legte meinen Arm um seine Schulter.

Er schniefte. „Frederick sagte gestern nichts von einer Abreise!“

„Vielleicht hat er einen Anruf gekriegt und musste weg. Familiärer Notfall oder so?“ Ich glaubte mir selbst nicht. Was sagte ich da?

„Hör auf, ihn zu verteidigen. Ich hab versucht, ihn anzurufen – nur die Mailbox. Auch auf meine SMS hat er nicht reagiert.“ Ein erneuter Weinkrampf überfiel ihn.

Ich drückte ihn fester. „Das ist bitter! Aber hast du ihm gesagt, wie es um dich steht? Was du für ihn fühlst?“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht direkt!“

„Tja dann, …“

„Was dann? Wir haben miteinander geschlafen! Reicht das nicht?“ Er klang verbittert.

„Anscheinend nicht! Jedenfalls nicht für ihn. Ich will ihn jetzt nicht in Schutz nehmen, aber ich vermute mal, ihr hattet ein Verständigungsproblem auf der Gefühlsebene.“ Es würde mit Sicherheit ein langes Gespräch werden, was folgen würde.

Er blickte mich verwirrt an. „Kannst du mir das mal erklären? Ich bin wahrscheinlich zu dumm, dass zu verstehen!“

„Du bist alles, aber nicht dumm! Vielleicht etwas unerfahren in der schwulen Welt, aber auch das wird sich mit der Zeit noch geben, glaub mir einfach! Das Problem ist einfach, auch wenn es für dich nur schwer zu verstehen ist, mein Engel! Er wollte Spaß und du wolltest Liebe. Für ihn war es der Spaß, den er gesucht hatte, und für dich war es eine Liebe, nach der du gesucht hast.“

„Das ist mir immer noch zu hoch!“ Resignation machte sich breit.

„Sagen wir es mal anders. Wenn ich hier in die Kneipe gehe und mir ein Alsterwasser bestelle, was bekomme ich?“ Manchmal hilft es, wenn man in Bildern spricht. Vielleicht würde es auch diesmal so sein, ich konnte nur abwarten und hoffen.

Er blickte mich erstaunt an. „Bier mit Sprite!“

„Richtig! Wenn ich jetzt aber im Rheinland in einer Kneipe ein Alster bestelle, was bekomme ich da? Erinnere dich an die Hochzeit in Königswinter!“

„Bier mit Fanta! Worauf willst du hinaus?“ Er war immer noch ratlos.

„Ganz einfach. Was hast du in beiden Fällen bestellt?“

Der Kleine zog die Augenbrauen hoch. „Ein Alster!“

Ich nickte. „Hast du im Rheinland das bekommen, was du erwartet hast?“

„Nein! Natürlich nicht!“ Der Schwimmer schüttelte fast verzweifelt den Kopf.

„Genau! Du hast etwas bestellt, aber der Kellner brachte dir etwas anderes. Nach deiner Sicht besteht ein Alster aus Bier und Sprite, und wenn du ein Alsterwasser bestellst, dann erwartest du Bier mit Sprite und nicht mit Fanta.“

Er nickte. „Klar!“

„Aber für den Kellner aus dem Rheinland ist ein Alster halt Bier mit Fanta. Nach seiner Sicht der Dinge brachte er dir das Richtige!“

„Aber was hat das mit Frederick und mir zu tun?“ Wieder dieser fragende Blick! Die Jugend kann manchmal schwer die Gedanken der Alten nachvollziehen und umsetzen.

„Überleg einmal und ersetzte das Alster durch Sex!“

„Äh, du meinst also …“ Die Fragezeichen in seinen Augen wurden kleiner. Ein kleiner Erfolg!

„Genau. Der körperliche Akt ist das Bier, der ist in beiden Fällen gleich. Nur die Beimischung ist eine andere, entweder Sprite, also Liebe und echte Gefühle, oder Fanta, sprich der pure Spaß oder das bloße Abreagieren!“

Er seufzte. „Man, ich hätte nie gedacht, das Schwulsein so kompliziert sein kann! Aber verrate mir mal bitte, woran man erkennen kann, dass man das gleiche meint, also entweder als Sprite oder Fanta.“

„Das ist unheimlich schwer, eine Patentantwort auf diese Frage gibt es nicht, es kommt immer auf die Art und Weise und die Umstände der Situation an. Es gibt vielleicht einige Anzeichen, aber mehr auch nicht! Und die muss man dann auch richtig zu deuten wissen. Das ist die Schwierigkeit!“

„Aber wie erkenne ich diese Anzeichen?“ Neugier machte sich breit.

„Ein gutes Zeichen ist ein Kuss!“

„Küssen?“

„Genau! Wie küsst du? Was machst du dabei?“

„Lippen aufeinander, mit der Zunge spielen, … Worauf willst du hinaus?“ Er klang fast gelangweilt.

„Ich zeig es dir! Komm einfach mal mit!“

Ich stand auf und zog ihn hoch und hinter mir her. Er folgte mir, zwar nicht enthusiastisch, aber immerhin. Durch das Treppenhaus und den Laden ging es ins Studio. Ich platzierte ihn vor die griechische Säule, die auch schon Igor als Hintergrund gedient hatte. Ich stellte das Licht ein und baute die Kamera auf, wählte eines der eingebauten Sportprogramme für Serienbilder und fokussierte auf ihn. Nachdem ich noch den Fernauslöser montiert hatte, stellte ich mich direkt vor ihn. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen.

„Was soll das werden, wenn es fertig ist?“ Er war gelangweilt neugierig.

„Wirst du gleich sehen! Jetzt küss mich mal als Onkel!“

„Was soll ich?“ Die Fragezeichen wurden wieder größer.

„Gib mir einen Kuss! Stell dir vor, es ist morgens, wir haben gerade gefrühstückt und du willst zu Schule. Da gibst du mir doch immer einen Abschiedskuss.“ Ich grinste, das morgendliche Ritual hatten wir beibehalten. Bevor er das Haus verließ, gab es ein inniges Zeichen der Verbundenheit.

„Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll! Aber bitte.“ Als er seinen Kopf auf mich zu bewegte, drückte ich den Auslöser. Marv hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und zog dann den Kopf wieder weg, wie von mir beabsichtigt.

Ich ging zum Kamera, kontrollierte die Bilder und war zufrieden mit dem Ergebnis. Erneut ging ich auf ihn zu. „So! Und nun küss mich mal so, wie du Frederick geküsst hast!“

Marvin starrte mich an. „Ich soll was? Spinnst du?“

„Ich spinne überhaupt nicht. Stell dir vor, ich bin Frederick und nun mal los.“

„Wie du meinst!“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern.

In der Vorwärtsbewegung drückte ich auf dem Knopf, der Apparat machte ein Bild nach dem anderen. Der Druck war stärker und dauerte diesmal länger, aber nach drei Sekunden ließ er jedoch von mir ab. „Reicht das?“

„Ich glaube zwar nicht, dass du ihn so geküsst hast! Das war alles andere als leidenschaftlich. Wo war deine Begeisterung? Wo war das Feuer, dass man durch die geschlossenen Türen hören konnte?“ Eine gewisse Ironie, ich gebe es ja zu, lag in meiner Stimme.

„Ah, du willst also, dass ich mit Zunge und allem Drum und Dran?“ Er war anscheinend äußerst irritiert.

Ich nickte. „Genau! Du hattest gerade mit deinem Liebsten einen Megaorgasmus, bist total fertig und glücklich, und küsst ihn jetzt voller Inbrunst und aller Leidenschaft, die in dir ist.“

Er überlegte kurz, zuckte erneut mit den Schultern, nahm dann schließlich meinen Kopf in seine Arme, zog mich heftig an sich und seine Zunge suchte meinen Mund und fuhr damit über meine Lippen. Er begehrte Einlass, dem ich ihm auch gewährte. Er drang in meine Mundhöhle wild und ungestüm ein, er verbiss sich fast in mich, als ob er explodieren würde.

Die Kamera fiepte schon lange und zeigte damit einen vollen Speicher an, ehe er von mir abließ. Diesmal war ich fertig und außer Atem. „Wenn du ihn immer so geküsst hast, ist er dumm, dich laufen zu lassen. Dann hat er dich wirklich nicht verdient!“

Ich ging zum Apparat, nahm den Speicherchip heraus und bedeutete Marvin, mir wieder nach oben zu folgen. Im Büro fuhr ich den Rechner hoch, nach der obligatorischen Anmeldeprozedur steckte ich die Karte in den Slot und die Bilder wurden automatisch auf dem Rechner überspielt. Mein Großer stand hinter mir und starrte auf den Bildschirm, der die ersten Bilder, also den freundschaftlichen Kuss, zeigte.

„Fällt dir an den Bildern was auf?“ Ich drückte dir Bild-Ab-Taste, die folgenden Aufnahmen erschienen. Es wurden heftiger.

„Nein! Aber warte mal …“ Er scrollte weiter nach unten, wo es immer leidenschaftlicher wurde und dann wieder nach oben. „Die Augen! Na klar! Die meintest du!“

„Genau! Wenn bei einem Kuss tiefe und innige Gefühle ins Spiel kommen, dann schließt man dabei, quasi als Reflex, die Augen. Frag mich bitte nicht, warum das so ist, nimm es einfach als Gegeben hin.“ Ich drehte mich zu ihm um.

„Aber wenn ich selbst die Augen zu habe, wie kann ich dann erkennen, ob der andere auch seine Lider geschlossen hat?“

Ich legte meinen Daumen auch seine Stirn und fuhr damit in Richtung Augapfel. „Entweder fühlen oder man kann ja auch mal kurz linsen!“ Ich grinste.

Die Fragezeichen in seinen Augen hatten sich zu Ausrufezeichen gewandelt. Er fing ebenfalls an herzhaft zu lachen. Er hatte anscheinend verstanden. Er betrachtete sich noch eine Weile die Bilder und wandte sich dann zur Tür. „Ich werd dann mal meine Tasche für Morgen packen.“

Während er in seinem Zimmer verschwand, löschte ich die Aufnahmen vom Rechner und von der Karte. Sie hatten ihren Zweck erfüllt und konnten daher in den Orkus des Vergessens wandern, andere Augen brauchten sie nicht zu sehen. Ich fuhr den Rechner runter und blickte auf die Uhr, es war kurz vor elf, also Zeit, ins Bett zu gehen. Ich ging ins Bad und machte mich fertig für die Nacht.

Marvin und ich gaben uns dann im Bad die Klinke in die Hand. Ich hatte mich gerade ausgezogen, als es an die Schlafzimmertür klopfte. Ich öffnete, der Große stand in Boxer und Shirt im Türrahmen und blickte etwas traurig drein.

„Du?“

„Ja?“

„Ich bin zwar schon groß, aber…“ Er setzte seinen Dackelblick auf, ich verstand und deutete mit meiner Hand auf das Bett.

Er blickte mich dankbar an und schlüpfte unter die Decke. Anscheinend wollte er nach der erneuten Enttäuschung nicht alleine sein, der Arme. Außerdem konnte ich es nachvollziehen, dass er in dem Bett, indem er gestern noch mit dem Germanistikstudenten mehr als Spaß gehabt hatte, nicht unbedingt alleine liegen wollte, allein der Duft nach seinem Verflossenem musste ihm Angst bereiten. Ich würde morgen dann mal wieder die Bettwäsche wechseln, um Fredericks Geruch aus seinem Leben endgültig zu verbannen. Ich löschte das Licht und krabbelte unter die Zudecke, Marv kuschelte sich an mich und gab mir noch einen Gute-Nacht-Kuss, um dann in Morpheus Reich einzutauchen. Er schlief ziemlich schnell in ein, er brauchte wohl nur das Gefühl von Geborgenheit, Zärtlichkeit, Liebe und Verständnis.

Frischer Kaffeeduft weckte mich. Hatten wir Heinzelmännchen? Eine automatische Kaffeemaschine nannte ich nicht mein eigen. Im Flur brannte Licht. Noch schlaftrunken taperte ich in die Küche. Igor saß am Küchentresen und las Zeitung. Er ließ das Blatt auf den Tisch gleiten und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Da ist man mal eine Nacht nicht da und schon holst du dir junge Männer ins Bett!“

„Ich wünsch dir auch einen wunderschönen guten Morgen, mein Geliebter. Aber ich brauche mir keine jungen Burschen zu holen, sie kommen freiwillig! Sieht man ja an dir.“ Ich versuchte, lustig zu sein und wollte ihn küssen, aber er entzog sich mir.

„Das kann ja jeder sagen! Was war denn wieder los, dass Marvin bei dir im Bett geschlafen hat?“ Mitleid schwang in seiner Stimme mit.

Nachdem ich ihn aufgeklärt hatte, bekam ich meinen gewünschten Kuss. Aber bei der einen Berührung der Lippen blieb es nicht.

„Aber was machst du denn schon so früh hier?“

„Heute ist doch Jahreshauptversammlung und als Angestellter des Vereins muss ich heute Abend arbeiten: Stühle schleppen, Saal herrichten, Mikrophonanlage aufbauen.“

„Und dazu braucht man über zwölf Stunden?“

„Nein! Aber ich hatte Sehnsucht nach dir. Ich kam mir richtig verloren vor, so alleine in meinem Bett. Am liebsten würde ich …“

„Was?“

„Meine Bude in Münster aufgeben und ganz bei dir einziehen. Ich brauch sie ja eh nur noch zum Lernen. Und die Nächte ohne dich sind einfach nur zum …“ Er steckte sich den Finger in den Hals. „Aber das klappt ja leider nicht, soviel Platz ist hier ja auch nicht, dass man mit drei Mann hier wohnen könnte.“ Er seufzte.

In diesem Moment kam Marvin in die Küche. Auch er war über den morgendlichen Besuch überrascht, gab ihn aber einen Begrüßungskuss. „Guten Morgen, Tante Igor!“

„Ich glaube, ich muss den Kleinen mal über das Knie legen und ihm Manieren beibringen.“ Er stand auf und machte einen Schritt auf meinen Neffen zu, der aber war schneller und verschwand im Bad.

Wir frühstückten in aller Ruhe und Gemütlichkeit und kitzelten Marv beim Abschied noch einmal durch, Rache musste sein.

„Wie viel Platz bräuchtest du denn?“

Er blickte erstaunt auf, anscheinend hatte er mit dieser Frage nicht gerechnet, denn wir hatten uns kurz vorher um die Marmelade gestritten. „Meine Studentenbude in Münster kennst du ja. Die hat knappe 25 m², ein besseres Wohnklo! Wieso fragst du?“

„Wenn dir das Büro zum Lernen reicht, dann kannst du es gerne haben. Eine eigene Küche und ein eigenes Bad brauchst du ja wohl nicht, oder?“

„Nein! Aber wohin willst du dann mit den Geschäftsunterlagen? Die brauchen doch auch Ihren Platz.“ Er blickte mich fragend an.

„Stimmt zwar, aber das Lager neben dem Studio ist eh viel zu groß und steht halb leer. Da könnte man ohne weiteres ein Büro einrichten, man müsste nur zwei Wände einziehen und ein paar Kabel verlegen. Also nichts, was geschickte Hände nicht erledigen könnten!“

„Klingt nicht schlecht, aber der Aufwand! Und die Kosten!“

„So groß ist der Aufwand nun auch wieder nicht. Außerdem brauch ich dringend noch was für die Steuer als Betriebsausgaben, das Jahr ist ziemlich gut gelaufen. Ich sollte daher meinen Gewinn schmälern, sagt auf jeden Fall meine Steuerberaterin und die muss es eigentlich wissen.“ Ich grinste ihn an.

„Das würdest du für mich machen?“ Er blickte mich liebevoll an. Anstelle einer Antwort küsste ich ihn nur. Es würden zwar noch einige Schwierigkeiten auf uns zu kommen, die mit seinem Einzug bei mir, einem Mann, verbunden waren, aber Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Diesen Moment des Glückes wollte ich nicht trüben! Was würden sein Bruder und besonders seine Eltern davon halten, wenn er sich offiziell Outen würde? Ihn verstehen oder ihn ausstoßen? Nichts anderes als ein Outing würde seinen Einzug bei mir bedeuten.

Um kurz vor sieben fuhren Marvin und ich in das altehrwürdige Sportcasino des Allgemeinen Sport- und Turnvereins in der Jägerallee zur Jahreshauptversammlung der Wasserballabteilung. Igor war schon am Nachmittag gefahren. Bei der Einlasskontrolle gab es leichte Schwierigkeiten, ich persönlich war ja kein Mitglied, sondern hatte nur nur als Erziehungsberechtigter von Marvin ein Recht auf Anwesenheit. Aber Clemens Münster sagte der Dame am Eingang, einer ältlich wirkenden Matrone, wohl ein paar passende Worte. Ich bekam wortlos neben den Stimmkarten einen entschuldigenden Blick von der Dame mit der übergroßen Brille.

Mein erster Weg führte mich zum Verkaufsstand der Wasserballjugend. Der Kalender fand, wie nicht anders zu erwarten, großen Absatz. Benny, der Torwart, meinte zu mir, sie würden jetzt nur noch Bestellungen annehmen, die erste Auflage wäre bereits restlos ausverkauft. Man müsse wohl nochmal dreihundert Exemplare nachdrucken. Ich solle mich besser schon einmal nach den Preisen für die Neuauflage erkundigen.

Wie bei solchen Versammlungen üblich, zogen sich die Formalien wie Kaugummi. Es folgten die Berichte des Vorstandes und der Obleute der einzelnen Gruppierungen der Wasserballabteilung. Nach dem Bericht der Kassenprüfer erfolgte ohne große Aussprache die Entlastung der bisherigen Amtsinhaber und man schritt zu den Neuwahlen, die etwas turbulent verliefen. Anstelle des vom Vorsitzenden vorgeschlagenen Stellvertreters wurde in einer Kampfabstimmung Clemens Münster zum Vizeabteilungsleiter gewählt.

Dann erfolgten die Ehrungen treuer Vereinsmitglieder durch den alten und neuen Vorsitzenden. Die Versammlung neigte sich ihrem Ende entgegen. Ich wollte schon die Bedienung rufen, um unsere Rechnung zu bezahlen, als ich meinen Namen hörte und auf die Bühne gebeten wurde. Ich betrat leicht verwundert das Podium und stellte mich neben den grauhaarigen Endsechziger, der alles andere als agil und zukunftsorientiert aussah. Über alte Funktionäre im Sport, die eher hinderlich sind, kann man ja ganze Bücher schreiben und dieser Mann würde sicherlich Bände füllen. Ich fühlte mich neben ihm unwohl. Was sollte das Ganze? Was wollte man von mir?

„Ah, da ist er ja. Her Plange, der Gesamtvorstand der Wasserballabteilung hat sich aus seiner letzten Sitzung einmütig dafür ausgesprochen, ihnen für ihren selbstlosen Einsatz für den Auftritt der Abteilung Wasserball des Allgemeinen Sport- und Turnvereins unserer Stadt in der Öffentlichkeit, besonders im Medium Internet, und für die Förderung der Jugendarbeit im Besonderen ihnen die Ehrennadel der Abteilung zu verleihen.“ Seine Rede wirkte gestellt und gekünstelt. Er kam auf mich zu, schüttelte mir die Hand und steckte mir eine silberne Nadel eines Revers. Ein erneutes Händeschütteln erfolgte.

Ich war mehr als überrascht, damit hatte ich nicht gerechnet. Clemens hatte auch kein Wort verlauten lassen, ich würde ihn gleich noch einmal gesondert interviewen müssen, diesen Schuft. Ich nahm dem Vorsitzenden das Mikrophon ab. „Her Handewitt, ich danke ihnen für die Ehre, die sie mir mit dieser Auszeichnung zuteil werden lassen. Aber für mich war es mehr oder minder eine Selbstverständlichkeit, da zu helfen, wo ich helfen kann. Als Mann hinter dem Objektiv habe ich nur das gemacht, was mir Spaß macht und was meine Bestimmung ist, nicht mehr um nicht weniger. Wenn sie und ihre Vorstandskollegen es wollen, werde ich das gleiche in den nächsten Jahren wiederholen. Mein Angebot steht, es ist Ihre Entscheidung.“

Der gute Mensch nickte und schüttelte mir erneut die Hand. Ich verließ das Podium und suchte meinen Platz wieder auf. Clemens Münster fing mich ab und gratulierte mir. „Du bist ja schlimmer als ich dachte! Wenn der Idiot jetzt seinen alten Knipser wiedernimmt, kann er sich seine goldene Vereinsnadel abschminken, auf die er spekuliert.“ Er klopfte mir auf die Schulter.

„Ich bin schlimm? Wir müssen den nächsten Tagen sowieso noch mal telefonieren, du hättest mir noch ein Wort sagen können.“

„Wieso? Ich wollte mit den Spaß gönnen!“ Er grinste mehr als frech.

Tja, lieber Leser, das waren wieder einige aufregende Tage in unserem Leben gewesen. Einige Fragen sind immer noch unbeantwortet, neue Probleme, wie der (mögliche) Einzug meines Russen, haben sich aufgetan. Aber, unter uns Betschwestern gesprochen, ich glaube nicht, dass das irgendeinen von euch interessieren könnte. Falls ich mich jedoch – wieder Erwarten – irren sollte, bitte ich um entsprechende Rückmeldungen! Aber ich glaube, ich kann mich doch eher über meine Rotweinvorräte hermachen und einen guten Tropfen genießen, als mich erneut an den Rechner zu setzen und weiter zu schreiben! Oder? *fg

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