Im Büro war es für kurze Zeit ruhig, bis So-Woi deutlich hörbar tief durchatmete.
„Du hast ihm aber doch gesagt, ein Verkauf steht nicht zur Debatte!“, sagte mein Schatz.
„Ja, eigentlich hatte ich mich klar und deutlich ausgedrückt.“
Jack steckte sein Kopf in durch die offene Tür.
„So-Woi, Grandma auf Leitung drei!“
So-Woi nickte und ging zu Hyun-Woos Telefon, er drückte zwei Knöpfe.
„Hallo Grandma, hier ist So-Woi.“
„Hallo Junge, was erfahre ich da gerade in den Nachrichten?“
So-Woi hatte das Gespräch wohl auf Lautsprecher gelegt, denn ich konnte seine Grandma hören.
„Grandma, keine Sorge, dass ist eine Falschmeldung, ich habe Vater klipp und klar gesagt, dass ich niemals verkaufen werde, schon gar nicht an ihn!“
„Er war bei dir und wollte deine Firma kaufen? Jetzt hat er den Bogen überspannt! Wenn es dich nicht stört, dann werde ich die Sache in die Hand nehmen.“
„Grandma, dass musst du nicht tun.“
„Ich weiß, ich will es aber. Er hat sich dieses Mal einen Fehler zu viel geleistet, mir reicht es jetzt! Ich habe viel zu lange seine Eskapaden ertragen, aber nun ist Schluss damit!“
Ich hatte Grandma Shin-Sook noch nie so sauer erlebt. Ich schaute zu Hyun-Woo, aber der schüttelte leicht den Kopf.
„Das ist dein alleiniges Recht, Grandma…“, sagte So-Woi, „willst du gleich zu so harten Mitteln greifen?“
Was meinte So-Woi mit, nach solchen Mitteln greifen?
„Ich kann ihm nicht alles durchgehen lassen, gerade weil er dein Vater ist. Junge ich melde mich wieder, ich habe zu tun.“
„Okay Grandma.“
„Grüß mir die anderen schön“, hörte ich sie in einem wesentlich sanfteren Ton sagen.
„Das werde ich machen Grandma, danke.“
Ein Knacken war zu hören und das Gespräch war wohl beendet, denn So-Woi drückte erneut eine Taste am Telefon.
„Und jetzt?“, fragte Hyun-Woo.
„Wir arbeiten weiter, wie gewohnt, wie haben viel Arbeit!“
„Entschuldige, wenn ich frage“, mischte ich mich ein, „was hat deine Grandma vor?“
Er schaute mich an und sein kalter Blick erschreckte mich etwas.
„Sie wird wohl gerade in diesem Augenblick den Vorstand von KBS anrufen und dafür sorgen, dass mein Vater seinen Posten verliert.“
„Er wird rausgeschmissen?“
„Ja Lucas, sie kann das und mit meinen Wertanteilen an der Firma, hat sie das absolute alleinige Sagen und bräuchte nicht mal den Vorstand dafür! Das ist der höfliche Weg.“
Ich schüttelte den Kopf. Der höfliche Weg jemand zu entlassen.
*-*-*
Immer noch geschockt, saß ich still neben Hyun-Woo im Wagen auf dem Nachhauseweg. Auch Juen hatte schon über einer Stunde keinen Piep mehr von sich gegeben. Ich drehte den Kopf zu Hyun-Woo, der verbissen auf die Straße schaute.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich.
Er nickte.
„Ich verstehe das alles nicht…“
„Musst du auch nicht, Lucas. Du hast seinen Vater kennen gelernt und kannst dir vielleicht vorstellen, dass dieser Mann, wenn er etwas möchte, alle Register zieht, die ihm möglich sind.“
„Ja, aber doch nicht bei seinem eigenen Sohn“, sagte ich sauer.
Hyun-Woo schaute kurz zu mir herüber.
„Ich glaube, bei euch in Deutschland, gibt es dafür ein Sprichwort… „Geld verdirbt den Charakter!“
„Grandma Shin-Sook und So-Woi haben auch Geld und die sind doch auch voll in Ordnung.“
„Ausnahmen bestätigen die Regel.“
„Noch so ein blödes Sprichwort! Woher kennst du plötzlich so viele Deutsche Sprichwörter?“
„Ich habe mich etwas im Internet umgeschaut.
*-*-*
Juen stand bei Hyun-Woo und half ihm in der Küche. Er hatte anscheinend ebenso Erfahrung in der Küche. Leicht frustriert ging ich ins Schlafzimmer und zog mich gemütlicher an. Was konnte ich dafür, dass meine Mutter so eine altertümliche Meinung hatte und ich dazu nicht mal auf Mädchen stand?
Ich hatte meine Klamotten über den Boden verstreut, besann mich aber des Besseren. Hyun-Woo würde wieder hinter mir herräumen und das mochte ich nicht. So hob ich alles mit einem lauten Seufzer auf und legte es schon geordnet über den Stuhl.
Als ich zurück in den Wohnbereich kam, roch es verführerisch gut. So lief ich direkt zur Theke und ließ mich nicht auf der Couch nieder. Bevor ich aber alle diese Leckereien bewundern konnte, klingelte es.
Schweren Herzens ging ich an die Türsprechanlage und schaute auf den Bildschirm. Der Sicherheitsbeauftragte kündigte einen Polizisten an, aber im Hintergrund konnte ich Onkel Min-Chul entdecken.
„Onkel, komm doch rauf!“, rief ich und er nickte.
Das Bild verschwand und ich lief so wie ich war, an den Fahrstuhl. In Shorts und langem Pullover. Ich schaute hoch auf die Zahlen und freute mich, als die Zahl endlich bei der fünf stehen blieb und sie die Tür öffnete.
„Hallo Onkel Min-Chul“, begrüßte ich ihn und fiel ihm um den Hals.
Ich spürte Hände, die mir auf den Rücken klopften.
„Daran muss ich mich echt noch gewöhnen“, sagte er.
„An was?“
„Das mit dem Umarmen…, aber wenn ich ehrlich bin, es gefällt mir. Besonders, wenn es ein so gut aussehender junger Mann wie du bist.“
Gespielt entsetzt schaute ich ihn an.
„Onkelchen, da tun sich ja Abgründe auf, wenn die junge hübsche Männer gefallen!“
Er kicherte mit vorgehaltener Hand.
„Ein Kollege sagte mal, wenn man bi ist, hat man viel mehr Auswahl“, flüsterte er mir ins Ohr.
Ich konnte nicht anders und begann zu lachen.
„Muss ich mir jetzt um Juen Sorgen machen?“, fragte ich.
„Wieso, ist der auch…?“
„Schwul? Ich denke eher nicht…, wobei, wenn ich an heute Morgen denke…“
Ich erzählte ihm die Geschichte vom Morgen und so gingen wir beide lachend in die Wohnung, denn der Flur war etwas kalt. Hyun-Woo begrüßte Min-Chul ebenso mit einer Umarmung, nur Juen, der verneigte sich und war sichtlich rückhaltener als sonst.
Er setzte sich auch erst, als mein Onkel bereits Platz genommen hatte. Es stellte sich heraus, dass mein Onkel nur vorbei gekommen war, weil er mich sehen wollte. Nicht mit einem Wort wurde die Geschichte mit den Medikamenten erwähnt.
„Da fällt mir ein, dass ich noch etwas habe.“
Ich stand auf und ging zum Regal neben dem Fernseher. Dort entnahm ich einen Stapel Briefumschläge, lass die Namen, bis den Umschlag meines Onkels fand. Auch den von Juen und Hyun-Woo fand ich.
„Hier für dich“, sagte ich und streckte Onkel Min-Chul den Umschlag entgegen.
Auch Juen und Hyun-Woo erhielten einen.
„Was ist das?“, wollte mein Onkel wissen.
„Mach auf und du wirst es wissen.“
Wie die anderen beiden, öffnete auch er den Umschlag und zog eine Karte heraus. Er lass kurz und schaute mich dann an.
„Danke!“, meinte er nur stand auf und umarmte mich.
„Du weißt gar nicht, wie viel dies mir bedeutet!“
Ich konnte es mir gut vorstellen.
„Wann hast du die denn gemacht?“, wollte Hyun-Woo wissen.
„Och, ich hatte ein wenig Hilfe von Jack, der mir die Karten besorgte und mit Absprache meines weiblichen Fanclubs, ist schon alles für den Abend geregelt“, prahlte ich stolz.
„Aha, weiblicher Fanclub…, interessant“, kam es von Onkel Min-Chul.
„So und jetzt gibst du mir deinen Mantel und isst mit uns“, kommandierte ich ihn herum.
„Wenn mein Neffe das meint, muss ich das wohl machen.“
Er ließ den Mantel herunter gleiten. Ich nahm ihm den ab und legte ihn über die Sofalehne, bevor ich mich wieder zu ihm setzte. Juen hielt seine Einladung hoch.
„Danke…, bist du sicher?“
„Sicher mit was?“
„Dass du mich auch einlädst?“
„Warum soll ich dich nicht einladen, du gehörst doch auch dazu.“
Er ließ seinen Kopf sinken.
„Ich gehöre aber nicht zur Familie und weiß auch nicht, ob das deinem Onkel recht ist.“
Mein Onkel schwieg überraschenderweise, so übernahm ich den erklärenden Part, auch wenn ich nicht richtig wusste, was ich sagen sollte.
„Juen, es heißt ausdrücklich Familie und Freunde! Auch wenn du der Kollege meines Onkels bist, bist du auch mein Freund, warum soll ich dich dann nicht einladen sollen?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Setz dich!“, sagte plötzlich mein Onkel.
Unsicher umrundete Juen die Theke und setzte sich zu Onkel Min-Chul.
„Jetzt hör mir mal zu Juen. Ja, es stimmt, du bist mein Kollege und Partner. Ich weiß selbst, dass ich manchmal nicht sehr umgänglich bin und von den Kollegen oft als eigenbrötlerisch, starrsinnig bezeichnet werde und ab und wann sehr aufbrausend bin.“
Juens Augen waren groß und sein Kopf machte leicht nickende Bewegungen. Onkel Min-Chul legte seine Hand auf Juens Schulter.
„Ich bin nur so streng dir gegenüber Juen, weil du zu euphorisch bist. Ich weiß es ist toll, wenn man nach der Akademie seinen ersten Dienst antreten darf. Aber deine Euphorie bremst deine Aufmerksamkeit auf und die brauchst du in diesem Job. Ich versuche dich lediglich zu bremsen, damit du alles richtig machen kannst, in einer ruhigeren Gangart.“
Ich war über die Worte meines Onkels beeindruckt und diese Sichtweise nicht gewusst. Juen sagte immer noch nichts, sondern nickte nur.
„Ich habe wirklich nichts dagegen, dass du mit Lucas befreundet bist, je mehr Leute er hier kennt, umso besser ist es auch für ihn.“
„Heißt das, ich soll dich zur Begrüßung nun auch umarmen?“
Ich prustete los und fiel fast dabei vom Stuhl. Ab und zu fragte ich mich, war er so frech, oder war er ein Naivchen, das es nicht besser wusste. Onkel Min-Chul schüttelte resigniert den Kopf.
„Yuen, ich bin dein Vorgesetzter und Kollege, du begrüßt mich wie immer. Vielleicht wenn wir mit Lucas und den Jungs alleine sind, dann ist es etwas anderes, aber bitte nie vor den Kollegen…, die könnten sonst noch was glauben.“
Juen lief rot an und ging auf Abwehrstellung.
„Ich steh wirklich auf Mädchen, das habe ich schon heute Morgen Lucas gesagt!“
Bevor irgendwer etwas darauf erwidern konnte, meldete sich Hyun-Woo zu Wort.
„Das Essen wird kalt!“
*-*-*
Wir waren noch ein wenig auf der Couch gesessen und Onkel Min-Chul erzählte noch ein wenig von sich. Juen hörte aufmerksam zu und unterbrach ihn nicht. Danach konnte ich mir schon vorstellen, wie er sich fühlen musste, nicht mehr bei der Familie zu sein und wie wichtig es ihm jetzt war, wieder dazu gehören zu dürfen.
Ein Anruf unterbrach unsere heitere Runde und Onkel Min-Chul war schnell verschwunden. Juen half noch die Tassen zu spülen, während ich schon gähnend den beiden dabei zu sah.
„Ich sag dann mal gute Nacht“, meinte Juen, „ihr braucht mich ja nicht mehr.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein Juen, nun kann ich selbst auf meinen Großen aufpassen“, lächelte Hyun-Woo.
Juen verneigte sich leicht und verschwand in seinem Zimmer. Er war ein so lieber Kerl und doch hatte er so viel mit sich herum zu schleppen.
„Müde oder nachdenklich?“
„Beides!“
Und als wollte ich es unterstreichen, begann ich zu gähnen.
„Dann mal ab ins Bett mit dir, ich mach hier nur noch alles aus“, sagte mein Schatz und zog mich von der Couch herunter.
2 Kommentare
Und was für ein Knall 🙂
Huhu Pit,
hach, es macht jeden Tag Freude ein weiteres Türchen zu lesen. Hab das Gefühl, dass da nochmal ein großer knall vor dem Finale kommt. Bin jedenfalls sehr gespannt.
Wünsche dir, lieber Pit, und allen anderen Lesern und Autoren eine schöne Rest-adventszeit.
VlG Andi