Adventskalender – Ein anderes Leben – 21. Türchen (16 Teil)

Am Morgen stand ich mit Hyun-Woo wieder gemeinsam auf. Es tat einfach gut, beim Frühstück zusammen zu sitzen und über alles Mögliche zu reden, oder etwas zu schmusen. Beides war schön.

Ich entschloss mich auch, heute mit in die Firma zu fahren, weil ich So-Woi und Jack noch ihre Einladung geben wollte. Zudem hatte So-Woi eine Nachricht hinter lassen, dass er noch meine Hilfe bräuchte, bei was auch immer.

„Meine Mutter hat sich gemeldet. Wenn wir vor Weihnachten noch Zeit fänden, sollen wir doch vorbei kommen, sie hätte da etwas für uns.“

„Du weißt was?“

„Nein.“

„Wird das nicht ziemlich knapp? Euer Terminplan ist so voll und ihr habt noch so viel zu machen, bis zu der großen Feier an Sylvester.“

„Das geht schon irgendwie. Mal sehen, was So-Woi von dir möchte, vielleicht können wir uns schon heute davon schleichen.“

„Das hört sich irgendwie romantisch an, davon schleichen.“

„Es wäre romantisch…, wäre da nicht ein winzig kleiner Grund, der uns davon abhalten könnte.“

Ich überlegte kurz.

„Juen…“

Mein Schatz nickte.

„Den könntest du jetzt wecken, wenn wir pünktlich fortfahren möchten. Ich kümmer mich solange um das Geschirr!“

„Okay!“

Während sich Hyun-Woo um das Geschirr unseres Frühstücks kümmerte, ging ich zu Juens Tür und klopfte.

„Juen? Aufstehen!“, rief ich, bekam aber keine Antwort.

Ich schaute zu Hyun-Woo. Der lächelte nur. Ich klopfte abermals, aber wieder kam keine Reaktion. So öffnete ich langsam die Tür und schaute in einen total dunklen Raum. Technik sein Dank, tastete ich neben der Tür die Wand ab. Aber nicht, um das Licht anzuschalten, sondern die Bedienung des Rollladen in Bewegung zu setzten.

Ritz für Ritz wurde sichtbar und es wurde langsam heller im Raum.

„Juen…“, sagte ich.

„Hm…?

„Aufstehen, wir möchten wegfahren.“

Keine weitere Reaktion kam. Der Rollladen war etwa ein Drittel hochgefahren, so stoppte ich das Ding und ging zu Juen ans Bett. Der Kleine lag doch tatsächlich fast nackt in seinem Bett und schlief fest. Sehr verführerisch. Ich stubste ihn an.

„Juen! Aufwachen!“

Aber anstatt aufzuwachen, griff er nach meiner Hand und zog sich heftig zu sich. Ich natürlich, verlor mein Gleichgewicht und landete auf ihm. Mein Gesicht direkt vor seinem. Er blinzelte mit den Augen.

„Guten Morgen Juen“, sagte ich süffisant.

Er schien noch nicht richtig mit bekommen zu haben, wer da auf ihm lag, denn ich spürte eine Hand auf meinen Rücken.

„Öhm, was soll das werden, wenn es fertig ist?“, hörte ich Hyun-Woos Stimme von der Tür her.

Ich begann zu kichern.

„Dass musst du Juen fragen, er hat mich auf sich gezogen… Juen, jetzt wach endlich auf!“, sagte ich laut.

Dies schien gewirkt zu haben, seine Augen öffneten sich nun ganz und er schaute kurz zu mir, dann zu Hyun-Woo, der mittlerweile neben mich getreten war. Seine Augen wurden immer größer und auch panischer.

Mit einem lauten Schrei drückte er mich von sich weg, was zur Folge hatte, dass ich vom Bett vor Hyun-Woos Füße purzelte. Das tat etwas weh. Hyun-Woo zog mich hoch und tätschelte mich am Hintern.

„Geh dich umziehen Schatz, ich kümmere mich um das hier“, meinte er nur und schob mich

Richtung Tür.

Zu gerne hätte ich gewusst, was Hyun-Woo jetzt gemacht hatte, aber das Umziehen war wichtiger. Etwas später stand ich frisch gestriegelt wieder im Wohnzimmer und fand dort Hyun-Woo mit Juen vor, der ebenso fertig angezogen war.

Naja, so halb angezogen, er zupfte immer noch an seinen Klamotten herum.

„Dann können wir ja endlich fahren…, ich komme sonst zu spät!“, meinte Hyun-Woo.

*-*-*

Es war schon komisch So-Woi und Jack mehr in der Firma zu sehen, als zu Hause, wo er gerade ein Stockwerk höher wohnte. Auch ihnen gab ich die Einladung zum Weihnachtsfest, was freudig begrüßt wurde.

Danach gab es dann Arbeit für mich. Neue Muster waren fertig und es hieß Anziehen und Ausziehen. Fotos wurden gemacht, nicht nur von mir, dieses Mal waren auch Klamotten für Juen dabei.

Er sah gut aus, verdammt gut! Nie würde jemand darauf kommen, dass dieses kleine Bündel voll Charme ein ganz normaler Polizist war. Ich wusste nicht mal ob ihm selbst bewusst war, wie er auf andere wirkte.

Jack schien dies ebenso bemerkt zu haben, denn nicht nur einmal erwischte ich ihn, wie er dieses kleine Muskelpaket beobachtet. Und einmal trafen sich danach unsere Blicke. Er grinste verlegen und wurde leicht rot.

Da die Wintersaison eigentlich gelaufen war, hatte So-Woi nur Dinge für den nächsten Sommer entworfen. So stand ich mal in einem Anzug mit kurzen Hosenbeinen vor der Linse, oder im legeren sportlichen Outfit.

So wie die ersten Entwürfe, gefiel mir durchweg alles, was uns da So-Woi präsentierte. Alles traf mein Geschmack. Diese Anprobe zog sich den ganzen Vormittag hin und ich war froh, als Jack mit dem Mittagessen auftauchte und endlich Pause war.

Noch voll geschminkt, saß ich nun am Tisch und machte mich hungrig über das mitgebrachte Essen her. Am Tisch war es seltsam ruhig, keiner sagte ein Wort, nur Essgeräusche drangen an mein Ohr.

Aber um ehrlich zu sein, ich genoss diese Ruhe im Kreis meiner Freunde. Keiner hatte mehr ein Wort über die Entführung verloren. Jeder benahm sich so, als wäre sie nie geschehen. Aber das war mir nur recht.

Aber etwas anderes kam mir wieder in den Sinn. Dieser Professor war noch immer auf freien Fuß. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob er sich wirklich abgesetzt hatte. Dagegen sprach, dass er nirgends aufgetaucht war.

Keinem Flughafen, Bahnhof oder Busstation. Er hatte genug Vorsprung, um einer dieser Dinge benutzen zu können. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Und gerade das beunruhigte mich ein wenig.

Wussten wir wirklich wie dieser Typ tickte? War er an der Ermordung dieses anderen Arztes real beteiligt, oder zog er nur die Fäden im Hintergrund, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen?

Alles Fragen, die unbeantwortet blieben. Und dies so kurz vor Weihnachten. Ich wollte den Gedanken nicht weiter folgen und versuchte mich abzulenken.

„Sind wir eigentlich fertig?“, fragte ich in die Runde.

„Die Fotos sind im Kasten, Änderungen wurden alle notiert, also von meiner Seite aus sind wir fertig“, antwortete So-Woi.

„Wie sieht es mit den Stoffen aus?“, fragte Hyun-Woo.

„Heute nicht mehr, dass wird selbst mir zu viel. Zudem wollte ich mit Jack nachher noch Grandma besuchen. Also eher morgen oder übermorgen.“

„Gut, ich werde sehen, wann die Zeit haben in der Stofffabrik.

„Stofffabrik?“, fragte ich.

„Ja, dort werden die Stoffe nach meinen Wünschen und vorlagen hergestellt“, antwortete So-Woi.

„Dürfte ich da eventuell mit, dass würde mich jetzt auch interessieren.“

„Sicher doch, da Hyun-Woo den Termin ausmacht, dürfte das kein Problem sein.“

Hyun-Woo nickte.

„Lucas, hast du heute Mittag noch etwas vor?“, fragte mein Schatz.

„Nichts besonderes, vielleicht wieder meine Großeltern besuchen. Aber wenn du einen besseren Vorschlag hast, bin ich ganz Ohr.“

Er lächelte mich breit an. So-Woi und Jack waren beide fertig und erhoben sich. Nach einem kurzen Abschied verschwanden beide. Eigentlich wäre ich gerne mitgefahren, nicht nur, weil ich Grandma Shin-Sook wieder sehen wollte.

Nein, mich interessierte es auch, ob sich bereits etwas ergeben hatte und So-Woi endlich Ruhe vor seinem Vater hatte. Wurde so etwas eigentlich an die große Glocke gehängt, oder einfach unter den Teppich der Verschwiegenheit gekehrt.

Ich fragte mich, ob Grandma Shin-Sook es sich vielleicht nicht doch noch mal überlegt hatte. Es war schließlich Weihnachten, das Fest der Liebe. Wenig später war ich  Hyun-Woo und Juen alleine.

„Juen, wann warst du zum letzten Mal auf dem Land?“, fragte Hyun-Woo.

„Ich? Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Wenn höchstens als Kind mit meinen Eltern, aber das ist dann schon sehr lange her.“

„Lust auf eine Spritztour aufs Land?“

„Gerne, wo soll es denn hin gehen?“

„Das wirst du dann sehen. Ich werde mich noch kurz meinen Leuten ein paar Anweisungen geben, dann können wir los!“

Mein Schatz der Unternehmer. Ich war richtig stolz auf ihn und glücklich, dass man ihm so ein tolles Angebot gemacht hatte.

*-*-*

Wir fuhren zu Hyun-Woos Mutter, sie hatte gebeten, dass er vorbei schauen sollte und extra betont, dass ich dabei sein sollte und da ich ohne meinen Schatten nie etwas unternahm, war Juen natürlich mit von der Partie.

Seit unserem Gespräch war Juen viel ruhiger geworden, auch entspannter. Auch auf dieser Fahrt saß er ruhig auf dem Rücksitz. Das Gefühl, verfolgt zu werden, kam dieses Mal nicht auf, jedenfalls nicht bewusst.

Der Weg zu Hyun-Woos Mutter kam mir jetzt schon bekannter vor. An mehreren Stellen auf der Fahrt, konnte ich mich an Einzelheiten erinnern, die ins Blickfeld kamen. Aber eins war neu für mich.

Schon von weiten entdeckte ich, dass sich an Hyun-Woos Elternhaus etwas geändert hatte. Alles was wir beim letzten Besuch besprochen hatten, war bereits installiert worden. Das ging ja wirklich fix.

Da zeigte sich wieder mal, wie gut mein Schatz im Organisieren war. Ein Panel war aufs Dach montiert worden und hinter dem Haus, konnte ich einen Tank ausmachen, der vorher noch nicht dort gestanden hatte.

Natürlich war die Wiedersehensfreude groß und die Begrüßung dementsprechend. Auch ließ sich Hyun-Woos Großmutter nicht nehmen Juen genauer unter die Lupe zu nehmen. Später nahm uns Hae-Soon zur Seite und führte uns in einem Seitenraum.

Er war klein und mit Schränken vollgestellt. Einer dieser Schränke öffnete nun Hyun-Woos Mutter und zog ein Päckchen hervor.

„Setzt euch“, meinte sie und da hier weder Stühle oder Ähnliches waren, ließen wir uns auf dem Boden nieder. Hae-Soon tat es uns gleich und stellte das Päckchen zwischen uns.

„Dieses Paket ist von deinem Vater Hyun-Woo. Er wollte immer, wenn es an der Zeit ist, dass du das erhältst. Und ich finde, jetzt ist es an der Zeit, dass du es bekommst!“

*-*-*

 

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