So für alle, die den Adventskalender noch nicht gelesen haben, oder ihn noch mal in einem Rutsch lesen möchten, hier der 16. Teil in voller Länge!
~~~Fortsetzung an Silvester – Teil 17 und weitere Geschichten zwischen den Feiertagen~~~
So-Wois neue Firma hatte uns eine Einladung bei einer der angesagtesten KPOP Gruppen von Südkorea, zum Abendessen beschert. Wenn man So-Woi und Jae-Joong zu Freunden hatte, wurde einem immer etwas geboten.
Bisher waren es Konzerte, oder ähnliche Veranstaltungen, nun dieses Abendessen. Der Vormittag war nicht besonders gut verlaufen und meine Wunde im Gesicht brannte immer noch, obwohl Hyun-Woo eine Salbe, selbst angefertigt von seiner Großmutter, aufgetragen hatte.
Aber ich wollt nichts sagen, sonst hätten die womöglich diese Einladung abgesagt. So fuhr ich artig im Fahrstuhl mit nach oben, wo wir schon erwartet wurden. Dort angekommen, drückte Jae-Joong die Türklingel, die sofort melodisch erklang.
Es dauerte nicht lange, bis die Tür aufgezogen wurde und ein blonder junger Mann erschien, den ich als den guten Tänzer wieder erkannte. Er stellte sich als Jimin vor und ein kleiner Begrüßungsmarathon begann.
Es wurden Hände geschüttelt und sich verbeugt, bis ich alle Mitglieder der Gruppe kennengelernt hatte. Darauf folgte eine kleine Wohnungsbesichtigung, die gut locker das Vierfache von Hyun-Woos Wohnfläche hatte.
Beeindruckt ließ ich mich neben Hyun-Woo auf der überdimensionalen Couchecke nieder. Jin, der Älteste der Sänger, brachte ein Tablett mit gefüllten Teetassen. Die Tassen wurden herum gereicht, bis jeder eine hatte.
„Du sprichst wirklich fließend koreanisch“, meinte Suga zu mir, während ich einen Schluck nahm.
„Ja, meine Mutter hat dafür gesorgt, dass ich mit beiden Sprachen aufwachse.“
„Englisch kann er auch“, kam es vonJae-Joong.
Vorlaut wie immer.
„Deine Mutter stammt von hier?“
„Ja, hier aus Seoul. Ihre… meine Familie führt dort einen Obst und Gemüseladen.“
Es war ja auch meine Familie.
„Liefern die auch?“, wollte dieser Jin wissen, der immer noch stand.
„Da bin ich ehrlich gesagt überfragt, solange kenne ich den Teil meiner Familie noch nicht.“
Jin sah mich fragend an, wie die anderen auch. So erzählte ich in Kurzfassung, die Sachlage, ließ aber alle Geschehnisse, die bisher passiert waren, aus.
„Aber ich kann mich gerne für dich erkundigen, wenn du möchtest“, beendete ich meine Erklärung.
„Das wäre toll, denn ich habe bis jetzt noch niemand gefunden, der meine Wünsche erfüllen konnte.“
„Wünsche?“, fragte ich.
„Du musste wissen, Jin ist unser Koch hier. Immer wenn er Zeit hat, kocht er für uns“, sagte Suga neben mir.
„Mit Erfolg wie ich sehe“, meinte ich.
„Hä?“, kam es von Jimin, „sehe ich fett aus?“
Alle lachten.
„Ähm…, es sieht keiner von euch unterernährt aus“, antwortete ich kichernd.
„Man kann es essen“, kam es dann von Jimin, der aber gleich in Deckung ging, als Jin sich ihm näherte.
Die Befragung ging weiter, und mitleidig schaute ich So-Woi an, dessen Firma der eigentliche Grund unseres Hierseins war. Wenig später bat uns Jin zu Tisch. Der Tisch meiner Großeltern war ja schon groß, aber dieses Teil hier, sprengte alle Vorstellungen.
Schön aufgereiht standen in der Mitte mehrere Tischgrills und auch der Rest des Tisches war mit Tellern und Schüsseln beladen. Wer sollte das alles Essen. Hatte Jin einen Supermarkt leer gekauft?
Als wir uns es alle bequem gemacht hatte, lagen schon die ersten Fleischteile auf Grill und Reis wurde verteilt. Ich saß zwischen Hyun-Woo und So-Woi. Mir gegenüber waren V und Jimin, die es nicht lassen konnten sich gegenseitig zu ärgern.
RM (Rapmonster) unterhielt sich währenddessen mit So-Woi über dessen Firma und auch sein Vater kam zur Sprache. So wurden am ganzen Tisch kleinere Unterhaltungen geführt. Hyun-Woo beugte sich zu mir.
„Alles okay mit dir?“, flüsterte er mir zu.
Ich nickte.
„Seit ich hier bin, habe ich schon so viele Leute kennen gelernt, nette Menschen, die mir gefallen und vor allem macht es Spaß. Es ist ja nicht so, dass nur negative Dinge passiert sind.“
Dass bisher noch niemand nach den Kratzern in meinem Gesicht gefragt hat, wunderte mich allerdings. Hyun-Woo lächelte mich breit an und reichte mir einer dieser gefüllten Salatkugeln.
Aufmerksam wurde die Szenerie auf der Gegenseite mit einem Grinsen beobachtet. Mein Blick wanderte weiter am Tisch entlang.
„Darf ich euch etwas Privates fragen?“, sagte ich.
Am ganzen Tisch gehörte mir plötzlich die ganze Aufmerksamkeit. Es kamen keine Einwände. So sprach ich einfach weiter.
„Wie ihr wisst, bin ich mit Hyun-Woo zusammen, dass ging ja sogar schon durch die Presse. Wie ist das mit euch? Ihr wohnt nun seit langem zusammen…, kommt da keiner auf die Idee, jemand von euch könnte zusammen sein?“
Am Tisch war es still und der Gedanke kam auf, dass ich vielleicht zu weit gegangen war.
„Kann ich antworten?“, fragte V Richtung RM.
Dieser nickte.
„Wir wissen, dass unser Tun und Handeln sehr von der Öffentlichkeit beobachtet wird, nicht nur von der Presse, sondern auch von den Fans. Wir versuchen aber, unser Privates verschlossen zu halten, dass schließt unsere Familien, Freund und auch das Liebesleben mit ein.“
Ich nickte ihm zu. Spätestens jetzt war ich seiner Ausstrahlung verfallen.
„Ob hier am Tisch einer eine Freundin, oder einen Freund hat… ist unsere alleinige Sache und geht niemanden etwas an. Natürlich tauchen hier und da Fotografien auf, werden Spekulationen verbreitet, genauso wie diese angeblichen Liebesbeweise auf YouTube. Ginge es nach denen, dann hätte ich mit jedem hier in der Gruppe etwas.“
„Und stimmt etwas davon?“, fragte ich neugierig.
„Unser inniges Verhältnis zueinander kann jeder sehen, unser Vertrauen untereinander ist groß. Jeder steht hier für den anderen ein, aber wie gesagt, was darüber hinausgeht, ist unsere Privatsache!“
„Verstehe und akzeptiere ich!“
V lächelte mir zu.
„Macht es dir nichts aus, dass man euch so öffentlich präsentiert hat?“, wollte Suga von So-Woi wissen.
„Hättest du das mich noch vor einem halben Jahr gefragt, hätte mich dies sehr gestört.“
„Und was hat deine Meinung geändert?“
So-Woi schaute grinsend zu mir.
„Unser Lucas hier. Lucas hat, ohne mich zu kennen, mir ohne Grund geholfen und obendrein auch noch einfach so seine Freundschaft angeboten. Lucas hat, sagen wir mal so, einfach meine Sichtweise über mein bisheriges Leben geändert.“
Natürlich spürte ich, wie sich mein Gesicht mit dem berühmten Rot füllte, aber auch, dass die Wunde etwas mehr brannte. Ich versuchte den Schmerz so gut wie möglich zu verbergen. Hyun-Woo neben mir erhob sich.
„Lucas Art, Dinge zu sehen, sein Gerechtigkeitssinn und vor allem seine Loyalität, zu seinen Freunden, ist bemerkenswert und ich finde… jeder der Lucas zu seinem Freund zählen darf, kann sich glücklich schätzen!“
„Wow…wow… wow“ kam es von J-hope, „da ist einer sehr von Lucas überzeugt.“
So-Woi lächelte und griff nach Jacks Hand.
„Ich kann mich nur wiederholen, ich bin sehr glücklich, zu Lucas engen Freunden zu gehören und er hat mir ermöglicht, dass ich öffentlich mit Jack zusammen sein kann.“
Am Tisch wurde applaudiert. Jetzt wurde mir die Sache langsam peinlich.
„Wenn ich auch etwas sagen darf…“, kam es verlegen von Juen, „ich kenne Lucas erst seit kurzen…, aber ich kann das, was So-Woi gesagt hat nur bestätigen…“
Ich beobachtete Hyun-Woo, der Jin etwas gefragt hatte und ihm nun in die Küche folgte. Beide kamen etwas später zurück. Hyun-Woo setzte sich wieder zu mir und legte eine kleine Tablette neben mein Wasserglas.
Juen lief derweil rot an und schaute verlegen nach unten. V schaute Hyun-Woo neben mir durchdringend an, als erwartete er, dass mein Schatz auch etwas sagte. Hyun-Woo fing breit an zu grinsen.
„Ich halte es so wie ihr… Privat ist Privat…, oder wie es Lucas sagen würde… der Gentleman schweigt und genießt.“
„Nein, dein Lucas würde ohne darüber nach zu denken, dir einfach einen Kuss geben“, kam es trocken von Jack.
Es wurde laut am Tisch alle lachten und redeten durcheinander. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, legte ich meinen Arm um Hyun-Woo, zog ihn zu mir und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Mit solchen Aktionen hält uns Lucas auf Trab…“, sagte Jack laut, damit es alle hören konnten.
Entsetzt schaute ich ihn an.
„…, aber ich hatte noch nie so viel Spaß, seit ich Lucas hab kennen lernen dürfen!“
Ich atmete tief durch, hatte ich plötzlich die Befürchtung, Jack könnte irgendwie sauer sein.
„Was ist das?“, fragte ich Hyun-Woo und zeigte auf die Tablette.
Er beugte sich zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr.
„Schmerztablette…, du hast doch Schmerzen…, oder?“
Mit großen Augen schaute ich ihn an, nahm artig die Tablette und schluckte sie mit einem Schluck Wasser herunter.
„Danke“, murmelte ich leise, während er mich nickend anlächelte.
„Wenn Lucas nichts dagegen hat, möchte ich euch etwas mehr über ihn erzählen, denn wir säßen nicht hier, würde es Lucas nicht geben.“
Am Tisch war es wieder ruhig geworden und ich schaute Jack verblüfft an. Ich nickte aber, gab ihm meine Zustimmung, denn ich war mir sicher, dass diese heitere Runde, nichts nach draußen dringen lassen würde.
Zudem war ich verwundert, dass Jack so offen sprach, was er bisher nur sehr selten getan hatte. Aber vielleicht hatte diese Offenheit in unserer Gruppe ihn etwas beflügelt.
„Lucas hat auch meine Sichtweise zu meinem Leben geändert. Er hat es fertig gebracht, dass ich öffentlich zu So-Woi stehen kann und er zu mir…“
„Ich hab doch gar nicht viel gemacht!“, protestierte ich.
„Doch, du warst für uns da, hast zu gehört und immer die richtigen Worte gehabt, das hat einen großen Eindruck hinterlassen…, aber ich möchte jetzt nicht von So-Woi und mir reden. Lucas ist ein Mensch, der die Gabe hat, in sein Gegenüber zu schauen. Er versetzt sich in dessen Lage und weiß meist Rat, wenn es darum geht, ein Problem zu lösen.“
Jack hatte wohl eine sehr hohe Meinung von mir, aber er wusste nichts von meinen Selbstzweifeln und meiner Unsicherheit, die ich anscheinend bisher gut verbergen konnte und nur Hyun-Woo sie gesehen hatte. Mein Schatz saß nur neben mir und lächelte.
„Ich weiß nicht, wie viel ihr mitbekommen hat, über den Sicherheitschef von So-Wois Vater.“
„Back In Jook?“, fragte RM.
Jack nickte.
„Ja, In Jook… er hat ein paar krumme Dinge gedreht, um Lucas zu schaden…“
„Er wollte ihn umbringen!“, kam es sauer von So-Woi.
„Umbringen?“, kam es schockiert von Jin und den anderen.
„Ja… so drastisch wollte ich es nicht sagen“, antwortete Jack.
„Aber warum? Ich dachte, Lucas ist erst seit kurzen in Korea“, sagte V verwundert.
Ich saß nur da und sagte nichts zu dem ganzen. Daran erinnert zu werden, war nicht angenehm.
„In-Jook war mein erster Fan und dachte wohl, Lucas würde mich ihm wegnehmen“, antwortete So-Woi.
„Jetzt hast es aber du sehr human umschrieben“, kicherte Hyun-Woo neben mir.
Ich musste ebenso grinsen, obwohl der Grund dafür eigentlich nicht spaßig war.
„Ich hab dir doch gesagt, bei denen ist immer etwas los“, meinte V zu Jimin.
„Bei uns nicht?“, kam es von J-Hope.
RM verbarg plötzlich sein Gesicht hinter seiner Hand und Suga kicherte.
„Unser 95er Duo und unser Maknea Jungkook halten uns auf Trap“, sprach J-Hope.
Sofort wurde das Trio aktiv und protestierte. Ich musste lächeln und beugte mich zu Hyun-Woo hinüber.
„Was bedeutet Maknea?“, flüsterte ich.
„Er ist der jüngste in der Gruppe und die werden immer als Maknea bezeichnet.“
„Ach so“, meinte ich.
„So gesehen, bist du der Maknea unserer kleinen Gruppe, wenn wir auch zu den Sängern gehören würden.“
„Du kannst singen?“, fragte Jimin gegenüber, der wohl etwas von unserer Unterhaltung aufgeschnappt hatte.
Sofort hob ich meine Hände und schüttelte sie abwehrend.
„Nein, mein Gesang kann man niemandem zumuten!“, verteidigte ich mich sofort.
„Aber du hast eine angenehme Stimme“, sagte Jimin und V neben ihm nickte zustimmend.
Flirtete dieser Jimin gerade mit mir?
„Mag sein, aber zum Singen reicht diese Stimme nicht und bevor jemand auf dumme Gedanken kommt, tanzen kann ich ebenso nicht, dass überlass ich lieber euch den Profis!“
„Schade“, meinte V und rollte sich eine weitere Salatkugel, gefüllt mit Leckereien aus den Schüsseln.
„Was ist?“ fragte Suga und lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihn und Jin, der neben ihm saß.
„Ich bin immer noch geschockt, dass jemand Lucas umbringen wollte“, antwortete Jin und sah mich an.
Mist! Es war so angenehm, dass das Thema gewechselt wurde, aber nun hatte ich plötzlich wieder die volle Aufmerksamkeit am Tisch, sprich jeder schaute zu mir.
„Kommt Leute, so interessant ist das nun auch wieder nicht“, versuchte ich das Thema zu ändern.
„Ich finde schon“, meinte Jimin mir gegenüber, „man hat nicht jeden Tag jemand am Tisch sitzen, der einem Mordanschlag entgangen ist.“
„Einem?“, rutschte nun Hyun-Woo heraus, den ich darauf strafend anblickte, aber er nur verlegen grinste.
So gesehen hatte Hyun-Woo Recht. Die ganze Sache war so blöd und kindisch, dass man eigentlich darüber nur lachen konnte.
„Was meinst du?“, fragte Jimin.
Hyun-Woo blickte mich an.
„Er hat mich auf einem Campingplatz in eine Duschzelle eingesperrt und Feuer gelegt…“, begann ich einfach zu erzählen, „…, dann hat er versucht mich zu überfahren, was aber leider Jack abbekommen hat.“
„Deshalb der Stock?“, fragte Jin und Jack nickte.
„… und nachdem ich nach einem Stoß ins Hafenbecken von der Insel Jeju-do nicht abgesoffen bin, dachte er wohl, er müsse mir, seine Waffe direkt vors Gesicht halten.“
Ich wollte das ganze locker herüber bringen, zeigen, dass ich darüber stehe, aber in Wirklichkeit war ich total unsicher, dass niemand merkte, dass es mich noch sehr belastete. Mit weit aufgerissenen Augen sahen mich die anderen an.
„Das ist alles so passiert?“, wollte Jungkook wissen, der bisher noch nichts gesagt hatte.
Meine Freunde neben mir und ich nickten als Antwort.
„Wahnsinn…“, kam es von V, „und wie bist du da heraus gekommen?“
Ich zeigte auf Jack.
„Danke ihm…, er hatte eine Waffe bei sich…“
„Du hast in erschossen?“, fragte Jin entsetzt, mit viel zu hoher Stimme.
„Nein! Jack hat ihm gezielt in den Arm geschossen, damit In-Jook die Waffe fallen lässt“, verteidigte So-Woi sofort seinen Freund.
„Boah heftig, dann kannst du dich jetzt ja richtig entspannen“, meinte Jimin.
Darauf sagte ich nichts. Dass ich erneut in einen Schlamassel geraten war, wollte ich hier nicht breit treten und hoffte, dass die anderen auch nichts sagten. Ein Handy ging und war irgendwie meine Erlösung vor der Stille.
„Entschuldigt bitte“, meinte Jin, stand auf und verschwand hinter einer der vielen Türen.
„Aber das ist schon heftig, dass müsst ihr zugeben, oder?“, sprach Jimin einfach weiter.
Die anderen nickten.
„Wie bist du eigentlich dazu gekommen, für So-Woi neues Label Model zu stehen?“, wollte V wissen.
„Er hat mich einfach gefragt…“, antwortete ich lächelnd.
„Lucas hat eine besondere Ausstrahlung und ich fand er würde mit seinem Gesicht meine Firma würdig repräsentieren“, erklärte So-Woi, „und so hab ich ihn einfach gefragt. Aber er meinte auch gleich, dass mache er nur, weil ich sein Freund bin, beruflich will er das nicht machen.“
„Echt nicht? Das verstehe ich nicht“, kam es von V.
„Nein Modeling, oder alles was mit eurer Showbranche zu tun hat, ist mir irgendwie zu heftig. Ich bleibe lieber im Hintergrund und schau zu.“
„Respekt Alter, das hört man nicht oft“, meinte RM.
Ein lauter Schrei ließ nicht nur mich, sondern auch die anderen zusammen fahren. Es kam aus dem Zimmer, in das Jin gegangen war. Jack war sofort aufgesprungen und mit gezogener Waffe zur Tür gerannt.
„Die haben Waffen dabei?“, fragte J-Hope entsetzt.
Was ich nicht sehen konnte, auch Juen war aufgesprungen und erreichte kurz nach Jack die Tür, die er bereits aufgezogen hatte.
Natürlich waren wir alle aufgestanden und als Jack zurück kam, seine Waffe wieder hinter seinem Rücken verschwinden ließ, schauten wir alle gespannt auf ihn.
„Kommt mal bitte jemand…, Jin geht es nicht gut“, fragte Jack.
Jimin ging sofort ins Zimmer.
„Was ist denn passiert?“, wollte Jungkook wissen.
„Jonghyun… hat sich das Leben genommen…“
„Was?“, fragte V entsetzt.
„Sie haben ihn leblos in einem Studio gefunden, aber im Krankenhaus ist er dann verstorben.“
Plötzlich schaute jeder betroffen, hatte Tränen in den Augen. Suga und auch RM liefen zu Jin. Ich wandte mich an Hyun-Woo.
„Entschuldige, Hyun-Woo, wer ist Jonghyun?“, fragte ich leise, weil es mir peinlich war.
Er beugte sich zu mir.
„Du hast ihn schon kennen gelernt…, er ist… war in der gleiche Gruppe wie Minho… Shinee, du erinnerst dich?“
Ich nickte geschockt. Ob es Minho schon wusste, ich hoffte ihm ging es gut. Das war jetzt wirklich heftig. Wir standen da und wussten nicht was tun. V weinte, während J-Hope zu uns kam.
„Ich weiß…, es ist jetzt nicht passend, aber warum sind Jack und dieser Junge bewaffnet?“
Er schaute zwischen uns hin und her. Ich atmete tief durch und rieb mir durchs Gesicht, denn das alles war jetzt etwas viel.
„Lucas…?“, kam es von Hyun-Woo besorgt.
„Ich muss mich setzten…“, meinte ich nur uns lief zur Couch.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte J-Hope.
„Nein…, Lucas ist nur noch nicht ganz wieder hergestellt, das ist jetzt wahrscheinlich zu viel für ihn“, erklärte So-Woi, „es tut mir leid, wir hätten euch die Wahrheit sagen sollen…“
„Über was redet ihr“, fragte Jungkook, der etwas hilflos herum stand.
„Lucas…?“, sah mich So-Woi fragend an.
Ich nickte ihm zu, jetzt war so wieso alles egal, er konnte es ihnen ruhig erzählen.
„Durch einen dummen Zufall ist Lucas erneut in etwas hineingerutscht. Juen ist Polizist, deshalb die Waffe. Er wurde zum Schutz für Lucas abgestellt. Und mein Jack trägt immer eine Waffe bei sich, er ist oder war immerhin mein Bodyguard…“
„So schlimm?“, fragte J-Hope.
„Ich kann leider nur so viel sagen, dass Lucas durch sein indirektes Handel in die Schusslinie eines Kriminellen geraten ist.“
„Das verstehe ich zwar jetzt nicht, heißt das, wir sind hier alle irgendwie in Gefahr?“, fragte J-Hope besorgt.
So-Woi hob seine Hände und winkte abwehrend.
„Nein…, nein! Es ist rein nur eine Schutzmaßnahme für Lucas, damit ihm nicht geschieht. Zudem sind wir hier auf einem bewachten Gelände, da kommt ja wohl keiner rein, der hier nichts verloren hat.“
Ich saß nur still da und schaute zu den beiden. RM kam zurück.
„Ich habe den Arzt angerufen, Jin ist total von der Rolle“, sagte er.
J-Hope nickte.
„Es wäre vielleicht besser, wir gehen… oder?“, fragte So-Woi,
„Nein… bitte bleibt!“, kam es von V.
„Wollt ihr nicht lieber unter euch sein, nach… der Nachricht…?
V schüttelte den Kopf.
„Bleibt bitte hier…, okay?“
So-Woi schaute zu uns, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Er sollte entscheiden.
„Okay…, wir bleiben…“
„Danke…!“, meinte V lächelnd und klopfte So-Woi auf die Schulter.
„Alles klar mit dir?“, wollte Hyun-Woo neben mir wissen.
Er war ebenso die ganze Zeit bei mir gesessen und meine Hand gehalten.
„Entschuldige Schatz, ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich habe an die ganze Sache nicht mehr gedacht und war froh, dass sie nicht zur Sprache gekommen ist. Es war einfach nur schön und hat Spaß gemacht.“
„Und wir sollen wirklich nicht nach Hause fahren?“
„Nein, wegen mir bestimmt nicht. Nach der Nachricht über den Tod von Jonghyun habe ich weiche Knie bekommen…, ich musste mich einfach setzten.“
„Okay, aber wenn es schlimmer wird, sagst du bitte etwas.“
„Versprochen…“
Mein Blick war auf dem Tisch gefangen. Mir ging Minho nicht aus dem Kopf. Er war ein so lieber Kerl, immer ein Lächeln im Gesicht und nun das.
„An was denkst du?“
Typisch Hyun-Woo, mittlerweile wusste er sofort, was mit mir los war.
Ich schaute auf und blickte Hyun-Woo in die Augen.
„Ach, ich habe gerade an Minho gedacht…, er ist so eine Frohnatur. Er hat mich so lieb in den Kreis seiner Kollegen auf genommen, obwohl er mich nicht kannte. Und jetzt passiert so etwas.“
„Da hast du Recht, aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist immer schlimm, jemanden zu verlieren, der dir nahe steht.“
„Ich weiß…, ich war zwar noch klein, als meine Großeltern starben, aber es hat mich schon mitgenommen, als sie nicht mehr da waren. Aber das hier ist noch mal eine Spur heftiger, wenn sich jemand das Leben nimmt… hat denn niemand gemerkt, dass es ihm nicht gut ging?“
Es klingelte. Jungkook lief zum Eingang und kam wenig später mit einem Mann, der eine Tasche trug zurück. Beide verschwanden in dem Zimmer, in dem sich Jin befand. Kaum war er drinnen, wurde Jungkook von Jimin wieder heraus geschoben und schloss die Tür hinter sich.
„Was denn?“, beschwerte sich Jungkook.
„Es reicht, wenn Suga bei ihm ist“, kam es von RM und Jungkook war still.
Jimin legte seinen Arm um Jungkook.
„Komm, räumen wir ab, essen tut wahrscheinlich eh keiner mehr und so hilfst du Jin auch…, okay?“
Jungkook nickte.
„Sollen wir nicht auch helfen?“, fragte ich Hyun-Woo, „tut mir vielleicht gut.“
„Ich weiß nicht, du solltest dich eigentlich schonen…“
„Ach komm Hyun-Woo, ich komm mir blöd vor, wenn alle helfen und ich sitze als einziger hier auf dem Sofa.“
Mein Schatz schaute mich ernst an und atmete tief durch.
„Okay! Aber sobald du dich unwohl fühlst, setzt du dich wieder hin!“
„Ja Papa…“, grinste ich.
Hyun-Woo verdrehte die Augen und stand auf. Ich tat es ihm gleich und schaute zu Juen, der etwas hilflos in meiner Ecke stand. Fragend schaute ich ihn an.
„Was ist?“
Mit gesenktem Kopf schaute er mich an.
„Entschuldige, wenn ich schon wieder etwas falsch gemacht habe…, bitte sag es nicht deinem Onkel.“
Jetzt schaute ich dumm aus der Wäsche.
„Was sollst du denn falsch gemacht haben?“
„… das eben…, dass ich mit gezogener Waffe in das Zimmer gerannt bin…, wegen mir wissen jetzt alle was los ist.“
„Oh Juen“, meinte ich und legte meine Hand auf seine Schulter, „du bist Polizist und das steckt einfach in dir drin zu helfen, oder zu schauen, wenn etwas passiert ist. Und dass es jetzt alle wissen, ist egal. Wir sind hier unter Freunden, die werden sicher nichts nach draußen tragen. Und meinem Onkel werde ich das sicher nicht erzählen.“
„…öhm… wieso nicht?“
„Weil er nicht immer alles wissen muss…, okay?“
Ich war mir nicht sicher, ob Juen das verstand, aber auch das war mir jetzt egal. Ich schob ihn zu den anderen, die kräftig dabei waren, den Tisch zu räumen.
*-*-*
Mit meiner Tasse Tee in der Hand hatte ich mich etwas an Hyun-Woo gekuschelt. Wir alle saßen wieder auf der großen Couch. Sogar Jin war da. Er war in eine Decke gehüllt und saß zwischen Jimin und V.
„Ich verstehe das einfach nicht“, kam es von Jungkook, „wenn mir es nicht gut geht, dann geh ich zu einem von euch und rede mit ihm, dann geht es mir wieder besser.“
„Kookie, nicht jeder Mensch ist gleich“, meinte J-Hope.
Ich lächelte, Kookie war ein lustiger Name.
„Solche Menschen leiden oft an Depressionen und das auch dann länger. Sie werden mit ihrer Umwelt nicht mehr fertig und denken, es ist besser, wenn sie nicht mehr da sind“, sagte Juen plötzlich neben mir.
Fragend schaute ich ihn an.
„… das Thema war auch Teil meiner Ausbildung…“, sagte er leise.
In diesem Kerlchen steckte mehr, als ich bisher angenommen hatte.
„Es ist egoistisch!“, sagte Jin und schnäuzte sich die Nase, „… er hat nicht daran gedacht, was er damit anderen an tut.“
Tränen liefen über sein Gesicht. Ich räusperte mich.
Ich weiß nicht…, ob man das vergleichen kann, aber nach dem mir diese Dinge passiert sind, habe ich oft an mir gezweifelt, ob es nicht besser wäre, wenn ich wieder zurück nach Deutschland gegangen wäre…“
„Ich habe dir gesagt, du bist an nichts schuld, an dem was passiert ist!“, kam sofort der Einwand von Hyun-Woo.
„Auch nicht an meinem Unfall!“, protestierte Jack.
„Ja, ich weiß das hatten wir schon…, ich wollte auch nur versuchen zu erklären, was man denkt, wenn man verzweifelt ist…“
Mein Blick wanderte durch die Gruppe und blieb bei J-Hope hängen, der mich anlächelte. Fragend schaute ich ihn an.
„Ich sehe, du bist in guten Händen, um dich braucht man sich keine Sorgen zu machen, nach dem, was ich vorhin gehört habe.“
„Nein wirklich nicht, ich habe genug Aufpasser um mich herum, mir passiert schon nichts.“
„So ganz bin ich nicht deiner Meinung“, kam es von So-Woi, „du kennst dein Limit nicht und das wird dir immer wieder zum Verhängnis. Da können wir so viel aufpassen, wie wir wollen.“
Hyun-Woo, auch Jae-Joong und Jack nickten.
„Jetzt hör auf, so schlimm bin ich jetzt auch wieder nicht!“, protestierte ich, obwohl ich wusste, dass er Recht hatte.
„Schlimmer!“, entgegnete mir So-Woi, was die anderen zum Lächeln brachte.
„Limit? Was meinst du damit?“, fragte Jungkook.
„So wie du mit deinen Tanzübungen, du weißt auch nie, wann es genug ist“, kam es von Jin.
„Ich muss aber üben, ich will doch gut sein!“
„Du bist gut!“
Darauf sagte Jungkook nichts, nur seine Gesichtsfarbe wurde rot.
„Wie schon gesagt, Lucas ist immer für uns da gewesen, seit wir ihn kennen, ohne an irgendwelche Folgen zu denken“, sprach So-Woi einfach weiter.
„… unter anderem eben, dass er zusammen gebrochen ist, einmal sogar ins Krankenhaus musste.“
„He, ich kann nichts dazu, dass mein Körper einfach schlapp macht!“
„Doch, weil du es immer übertreibst, Schatz!“, kam es leicht ärgerlich von Hyun-Woo, „du nie weißt, wann du aufhören sollst.“
„UUUUUUUUUUh ist das süß“, rief J-Hope, „Schatz…!“
Jetzt musste ich doch grinsen, obwohl das Thema doch eher ernst war. Hyun-Woo hatte diese Mal auch nicht darüber nachgedacht, wie er mich öffentlich anredet. In der Familie oder unter unseren Freunden war es mittlerweile egal, da waren wir unter uns. Aber nun waren wir sozusagen an der Öffentlichkeit.
Jimin und V kicherten laut, während die anderen grinsten.
„Sorry, ich habe noch nie einen Jungen zu einem anderen Jungen Schatz sagen hören?“, verteidigte sich J-Hope sofort.
Ich winkte ab. Jeder im Raum lächelte wieder und wenn dieser Spaß auf mein Konto ging, war es mir egal, Hauptsache, die Laune der Allgemeinheit hob sich wieder.“
„Darf ich fragen, wie es ist einen Freund zu haben?“, fragte J-Hope neugierig.
„Darf ich fragen, wie s ist, eine Freundin zu haben?“, stellte ich die Gegenfrage.
J-Hope hob die Hände.
„Okay…, war eine blöde Frage.“
Ich grinste ihn an.
„Du hast doch gar keine Freundin“, kam es von Jungkook und alle lachten.
„Und wie habt ihr euch kennen gelernt?“, fragte nun V.
Das ich wieder mal der Mittelpunkt war, oder dieses Mal Hyun-Woo und ich, schien den anderen nichts auszumachen. Aber bevor ich antworten konnte, fiel mir Jae-Joong ins Wort.
„Bei mir! Hyun-Woo war Assistent meines Vaters und der hat ihn für Lucas abgestellt, dass er ihm immer helfen kann, wenn es nötig war.“
„Boah, kaum hier und gleich einen Assistenten, wir mussten am Anfang noch viel selber machen“, beschwerte sich RM.
„Halt, mir war das von Anfang an unangenehm, das habe ich auch versucht allen klar zu machen“, wand ich ein.
„Ja unser Lucas hat es nicht so mit unseren Regeln und Traditionen“, kicherte So-Woi.
Wieder ging ein Grinsen auf meine Kosten durch die Runde.
„In Deutschland ist halt alles anders, so bin ich eben aufgewachsen. Aber es ist nicht so, dass mir meine Mutter nichts beigebracht hat. Sie hat immer darauf geachtet, dass Mia und ich mit den Traditionen ihrer Heimat aufwachsen.“
„Mia?“, fragte Jimin.
„Seine süße jüngere Schwester, die er uns allen vorenthalten hat“, sagte Jae-Joong grinsend.
„Du hast eine Schwester, die ist auch hier?“
„Nein, die war nur mit meinen Eltern hier, aus familiären Gründen…“
„Ach so… schade.“
„An Weihnachten kommt sie wieder!“
„Jae-Joong!“
Alles fing an zu kichern. Wöllte Jae-Joong meine Schwester verkuppeln, oder was?
Der Türgong machte sich wieder bemerkbar.
„Nanu, erwarten wir noch jemanden?“, wollte J-Hope wissen.
„Nicht das ich wüsste“, antwortete RM und ging zum Eingang.
Wenig später kam er wieder zurück.
„Das war nur der Sicherheitsbeauftragte, der meinte, wir sollen heute Abend drinnen bleiben, weil sie eine unbefugte Person aufgegriffen haben und sie erst alles überprüfen wollen.“
Leicht panisch schaute ich zu Hyun-Woo.
Ich war wohl eingeschlafen, denn ein sanftes Rütteln weckte mich.
„Wir sind zu Hause“, nahm ich Hyun-Woos Stimme war.
Ich versuchte mich zu orientieren und stellte fest, dass ich noch im Wagen saß und wir in der Tiefgarage von So-Wois Haus waren. Ich rieb mir die Augen und kämpfte mich mühsam nach draußen.
Groß war die Tiefgarage nicht, aber es gab auch nicht viel Fahrzeuge. Außer ein paar Wagen konnte ich nur noch ein Motorrad entdecken. Ich musste zugeben, dass ich außer uns auch noch niemand anderen in diesem Haus gesehen hatte, das Wachpersonal natürlich ausgeschlossen.
Müde tapste ich Hyun-Woo hinter her, ohne weiter die Umgebung zu erfassen, direkt in den Aufzug. Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett. Der Tag erschien mir lang und anstrengend, fast so wie in alten Zeiten kurz vor den Prüfungen in der Schule.
„Lucas…“
„Mmm…?“
Ich schaute auf und blickte in grinsende Gesichter.
„Bis in die Wohnung wirst du ja noch durch halten, oder?“, fragte Hyun-Woo ebenso grinsend.
„Wiesooo“, fragte ich gähnend.
„Du schläfst ja fast schon ein.“
Das war mir jetzt alles egal. Was ich jetzt nur brauchte, war ein kuscheliges Kissen und eine Decke, mehr nicht. Selbst das Fahren im Aufzug schlug mir nicht auf den Magen. Nur gedämpft nahm ich war, wie der Fahrstuhl abbremste.
„Gute Nacht ihr drei“, hörte ich So-Woi sagen.
„Gut… Nacht…“, gähnte ich und wurde von Hyun-Woo aus dem Fahrstuhl gezogen.
„Ich bring noch schnell Lucas ins Bett, dann können wir reden“, kam es von Hyun-Woo, der mich gerade durch die Wohnungstür schob.
*-*-*
Ich drehte meinen Kopf zur Seite, als ich aufwachte. Hyun-Woos Seite war leer. Ein Blick zum Fenster sagte mir, dass es draußen bereits langsam hell wurde. Ich setzte mich gähnend auf.
Hatte ich die ganze Nacht durchgeschlafen? In der Wohnung war es still und so beschloss ich, erst einmal meinen gewohnten Gang ins Bad zu gehen. Eine gefühlte Ewigkeit später kam ich ins Schlafzimmer zurück und stellte fest, dass meine Sachen von vorigen Abend, fein säuberlich am Stuhl hingen.
So sehr ich mich auch anstrengte, konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern, wie ich ins Bett gekommen war. Ich kratze mich am Kopf und löste mich von dem leicht feuchten Handtuch, das ich um die Hüfte hatte.
Nackt wie ich war, lief ich zum Schrank und zog mir etwas zum Anziehen heraus. Da ich nicht wusste, was heute anstand, beließ ich es bei der Jogginghose und Shirt. Ich schlüpfte in meine Latschen und verließ das Schlafzimmer.
Im Wohnbereich fand ich meinen Schatz mit Juen vor. Während Juen in einer Zeitung lass, war Hyun-Woo am Herd zu Gange.
„Guten Morgen…“, sagte ich leise und musste mich räuspern.
Der berühmte Frosch im Hals hatte sich bemerkbar gemacht. Juen sah auf, stand sofort auf und verbeugte sich leicht.
„Guten Morgen Lucas.“
Ich blieb stehen und sah ihn schräg an.
„Juen…, tu mir bitte den Gefallen und sag ganz normal guten Morgen zu mir…, also keine Verneigerei oder so etwas… zudem bist du älter als ich!“
Es kam keine Antwort auf mein Gesagtes, so war ich zu Hyun-Woo weiter gelaufen.
„Morgen Schatz“, meinte ich nur und drückte meinem geschäftigen Schatz einen Kuss auf die Wange.
„Morgen Lucas, du bist schon früh auf…“, lächelte er mich an, „was macht deine Wange?“
Ich griff zu meiner Wange und musste gestehen, ich hatte die Kratzer zwar vorhin wahrgenommen, als ich vor dem Spiegel stand, aber es hatte nicht weh getan.
„Tut nicht mehr weh“, lächelte ich zurück und nahm den Geruch von herrlichem Essen war.
„Was kochst du da?“
„Doenjang Jjigae.“
„Hä was?“
„Sojabohnensuppe mit Tofu, Pilzen, Fleisch und geschnittenem Gemüse.“
„Sag das doch gleich“, grinste ich ihn an und zog mir eine Tasse aus dem Schrankfach.
Da die Maschine schon betriebsbereit war, stellte ich eine Pott darunter und drückte den Sensor. Nach Betätigung des Mahlwerks und einem leisen Surren, lief auch schon der gewünschte Kaffee in meine Tasse.
So bestückt, umrundete ich die Theke und ließ mich neben Juen nieder, der wieder in seine Zeitung vertieft war. Jetzt erst sah ich, dass mein erster Eindruck fast richtig war. Juen war dünn, sehr dünn!
Aber was man jetzt durch das hautenge T-Shirt sah, war eine gute Muskulatur. Ein Räuspern zog meine Aufmerksamkeit auf Hyun-Woo. Er hatte den Kopf schräg gestellt und die Augenbraun hoch gezogen.
„Was denn?“
„Du starrst andere Männer an“, meinte er und begann zu kichern, bevor er sich wieder seiner Suppe zuwandte.
Juen hob den Kopf und sah fragend zwischen uns hin und her.
„Ich habe nur gerade fest gestellt, dass unser Juen hier ein richtiges Muskelpaket ist, auch wenn er nach meinem Geschmack etwas dünn ist.“
Juen, der gerade etwas Tee trank verschluckte sich und begann zu husten, während Hyun-Woo herzhaft anfing zu lachen. Auch etwas, was er noch nicht lange tat. Ich klopfte Juen etwas auf den Rücken und er beruhigte sich etwas.
„Entschuldige Juen, daran solltest du dich vielleicht gewöhnen, Lucas kann sehr direkt sein“, meinte Hyun-Woo.
„Park Min-Chul hat mich schon vorgewarnt…“, meinte Juen verschüchtert.
„Wie…, Onkel Min-Chul hat dich vorgewarnt.“
„Er…, er meinte, dass du immer sagst was du denkst…, aber ich dachte da eher an andere Sachen, nicht an Komplimente…, die du mir machst.“
„Tja, das ist Lucas, wie gesagt, gewöhne dich schnell daran“, meinte Hyun-Woo.
Ich trank grinsend einen Schluck Kaffee. War mir gar nicht so bewusst, dass ich ihm ein Kompliment machte. Juen faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben sich.
„Es steht nichts großartig drin, nur eben dass Jonghyun am gestrigen Abend verstorben sei.“
„Ich habe dir gleich gesagt, das ist eine reine Nachrichtenzeitung, mit keinerlei Klatschspalten“, meinte Hyun-Woo, der eine dampfende Schale mit Suppe vor mir abstellte.
Mit einem Mal war der gestrige Abend wieder. Dieser Jonghyun hatte sich umgebracht und der restliche Abend war sehr ruhig verlaufen.
„Lucas…?“
Ich sah auf und schaute in Hyun-Woos besorgtes Gesicht.
„Alles klar…, mir ist nur wieder eingefallen, was gestern geschehen ist. Schlimme Sache, oder? Muss für die Angehörigen doch recht heftig sein, jetzt wo die Weihnachtszeit bald anfängt.“
„Nicht nur für die…“, kam es von Juen, „ in den Netzwerken redet man über nichts anderes. Das Warum ist immer noch eine große Frage, niemand weiß etwas, alle vermuten nur und stellen Spekulationen auf. Deshalb habe ich auch in der Zeitung nach gelesen.“
„Ich denke, Jonghyun ist denen als Mitteilung nicht so wichtig, wie das übrige Weltgeschehen“, sagte Hyun-Woo und stellte die anderen zwei Schalen ab, bevor er sich setzte.
„Komm, als Leeteuks Vater dessen Großeltern umgebracht hat und sich dann selbst erhängte, waren alle Medien voll davon.“
„Das war ja auch ein Mord…“
Geschockt sah ich die beiden an.
„Leeteuks Großmutter hatte Krebs, der Großvater war dement und damit ist der depressive Vater wohl nicht fertig geworden…“, sagte Hyun-Woo erklärend.
„Aber sie gleich umbringen? Das ist schon krass!“
„Wir sollten das Thema wechseln und du dich nicht wieder aufregen, das bekommt dir nicht, außerdem ist die ganze Sache schon über ein Weile her.“
„He, es geht mir gut, Schatz, ich finde das alles nur heftig. So schöne heile Welt, wie dieses Musik und Filmbusiness vermittelt ist es wohl auch nicht.“
*-*-*
Zu meiner Überraschung, fuhr ich nicht mit Hyun-Woo ins Geschäft, sondern wurde mit Juen zu Jae-Joong ins Auto verfrachtet und war nun zu meinen Großeltern unterwegs. Anfänglich war ich etwas enttäuscht, aber er hatte ja recht.
Es waren so viele Dinge geschehen und ich habe mein Familienleben dadurch vernachlässigt. Er meinte noch, dass wir ja später nachkommen könnten. So saß ich hinten alleine, während Juen vorne bei Jae-Joong im Wagen saß.
Die beiden unterhielten sich natürlich über den toten Jonghyun und deshalb schwieg ich zu der Unterhaltung, ich kannte diesen Typ eh nicht gut, eben eher nur von sehen. Mein Blick wanderte nach draußen, zu den Wägen, an denen wir vorbei zogen.
Auf der anderen Seite zog eine schwarze Limousine an uns vorbei und schnitt uns etwas. Jae-Joong fluchte und mir kam wieder dieser Medikamentenschwindel in den Sinn und alles was sich bisher zugetragen hatte.
Wenn ich recht überlegte, so musste ich eigentlich nur abwarten, bis alles aufgedeckt worden war und betreffende Personen verhaften wurden. Also stillhalten, bis alles vorbei war? Aber stillhalten und abschalten waren zwei völlig verschiedene Sachen.
Das Ganze hielt meinen Denkapparat schon auf Trab. Zu viele Fragen waren offen und wie es weiterging, das war noch einmal ein anderes Thema. So versuchte ich mich damit abzulenken, die Häuser richtig wahrzunehmen, an denen wir vorbei fuhren.
Wie immer konnte ich nicht sagen, wo wir waren. Sicher war, das Jae-Joong wahrscheinlich immer denselben Weg zu Großvater fuhr, wenn wir von So-Woi kamen. Großvater hatte ich einige Tage nicht gesehen und so richtig Zeit hatte ich auch nicht, mich mit ihm alleine zu unterhalten.
Wir waren ja auch nie richtig alleine und so gesehen würde ich nachher auch nicht alleine sein. Hätte mir am Anfang jemand gesagt, dass ich Großvater mal vermissen würde, hätte ich ihn ausgelacht.
Aber mittlerweile vermisste ich seine ruhige Art und das breite Lächeln, dass er immer zeigte, wenn er mich sah. Jae-Joong bog scharf links ab und es drückte mich gegen die Tür.
„Jae-Joong bitte, ich möchte heil ankommen. Die Bekanntschaft mit dem Teer gestern soll einmalig bleiben!“
„Tut mir leid Lucas, ich dachte uns folgt schon wieder ein Wagen, aber dem war nichts so, ich kann das Auto auf keinen Fall mehr entdecken.“
Automatisch sah ich nach hinten, sah aber nur eine große Menge Fahrzeuge, die in die gleiche Richtung fuhren, wie wir. Jae-Joong verlangsamte das Tempo, was mich aber nicht beruhigte, denn seit einer Weile schon wurde er immer wieder schneller und langsamer.
„Hätte jemand Lust auf einen Kaffee? Ich habe noch nicht gefrühstückt…“, sagte Jae-Joong.
„Warum hast du vorhin nichts gesagt? Hyun-Woo hatte sicher noch Suppe übrig.“
„Sorry, ich wollte nicht unhöflich erscheinen.“
„Was hat das mit Unhöflichkeit zu tun? Ach – egal, gibt es hier irgendwo ein Cafe oder so etwas?“
Jae-Joong antwortete nicht und ich sah, wie Juen den Arm hob und irgendwo hin zeigte. Mein alter Freund setzte den Blinker und das Tempo des Wagens verringerte sich schnell.
Da das Einpacken eines Wagens nicht gerade zu den interessanten Dingen des Lebens gehörte, hatte ich mein Handy heraus gezogen und nach geschaut, ob irgendwer eine Nachricht hinterlassen hatte, aber dem war nicht so.
Aber wie immer war das Fach leer. Juen schieg als erstes aus und öffnete mir die Tür.
„Danke“, sagte ich und krabbelte nach draußen.
Der Tag gestern steckte mir immer noch in den Gliedern und richtig wach war ich auch noch nicht, trotz des guten Frühstücks, das Hyun-Woo gezaubert hatte. Yuen ließ hinter mir die Tür zufallen und schaute sich um, während Jae-Joong den Wagen umrundete und schurrgerade in den Laden vor uns hineinlief.
Es war recht kühl, das konnte ich vorhin nicht wissen, da ich in der Tiefgarage eingestiegen war. Seit den Verfolgungsjagden in der Vergangenheit waren wir dazu übergegangen, die Tiefgarage direkt zu benutzten und nicht mehr den Wagen vor dem Haus wegbringen zu lassen.
So zog ich meinen Kragen enger, was aber nicht viel brachte. Was mir noch auffiel. Seit ich die neue Frisur hatte, starrten mich lange nicht mehr so viele Leute an, wie am Anfang. Ich sah eben normal aus.
Grinsend lief ich Jae-Joong hinter her und Juen folgte mir dicht. Kaum durch die Tür schlug mir frischer Kaffeegeruch und der Duft von Backwaren entgegen. Und vor allem, es war fiel wärmer als draußen.
Mein Blick fiel auf die Auslage vor uns. Man sollte meinen dass jetzt hier allerlei Süßkram die Theke füllte, aber so war es nicht. Da lagen Bretzel, Brötchen und Brote, wie ich es aus Deutschland kannte. Erstaunt sah ich Jae-Joong an.
„Habe ich durch Zufall entdeckt. Eine deutsche Bäckerei, mitten in Seoul“, sagte er lächelnd.
Da lagen sogar Berliner und irgendwie fühlte ich Hunger.
„Sie kennen Deutschland?“, fragte die Frau hinter der Theke.
„Er ist aus Deutschland und zu Gast hier“, erklärte Jae-Joong und zeigte auf mich.
„Einen Moment bitte“, meinte die Frau und verschwand nach hinten.
Wenig später tauchte sie mit einem Mann auf und zeigte auf mich. Der Mann begann an zu lächeln.
„Guten Morgen, herzlich willkommen in unserer kleine Bäckerei“, sagte dieser Mann im einwandfreien Deutsch.
„… äh guten Morgen“, erwiderte ich auf Deutsch, immer noch verblüfft, hier mitten in Seoul jemand Deutsch reden zu hören.
„Was darf ich ihnen anbieten?“
Yuen und Jae-Joong sahen mich fragend an, denn sie verstanden natürlich nichts.
„Einen Kaffee und einen Berliner“, antworte ich.
Die Frau sprach natürlich koreanisch, als sie die anderen Beiden nach ihren Wünschen fragte.
„Setzten sie sich doch“, meinte der Mann und zeigte Richtung der Tische, die sich zwischen dem Eingang und der Theke befanden, „ihre Bestellung kommt sofort.“
Ich nickte freundlich und setzte mich an den ersten Tisch neben mir. Meine beiden Begleiter folgten mir.
„Bin gespannt wie das schmeckt“, meinte Jae-Joong.
„Was hast du dir herausgesucht?“, wollte ich wissen.
„So ein gedrehtes Ding mit Streuseln drauf.“
Ich schaute Richtung Theke und wusste was er meinte.
„Du meinst eine Schneckennudel.“
Schneckennudel hatte ich auf Deutsch gesagt.
„Schne… was? Wie heißt das Ding?“
„Schneckennudel“, antwortete ich lachend, weil er es nicht aussprechen konnte.
Ich schaute zu Yuen.
„Was hast du dir ausgesucht?“
„Ich habe nur einen Kaffee…“
„Warum nur einen Kaffee?“
„… ähm ich weiß nicht, wie das schmeckt…“
Ich grinste.
„Vertraust du mir?“, fragte ich.
Er nickte.
„Süß oder salzig?“
„… ähm salzig…, wieso fragst du?“
„Ich muss ja wissen, welche Geschmacksrichtung du magst“, meinte ich und stand auf.
„Salzig.“
„Ja, das weiß ich jetzt“, lachte ich und lief zur Theke.
„Sie wünschen?“, fragte die Frau.
„Könnte ich noch eine „Bretzel“, für meinen Freund bekommen?“
Das Wort Bretzel hatte ich auf Deutsch gesagt, weil ich einen koreanischen Namen nicht kannte. Auf dem Preisschild stand auch Bretzel. Die Frau nickte, griff nach einer Zange und holte einer der Teile auf einen Teller.
„Danke.“
Der Mann kam zurück und sah mich an.
„Darf ich sie etwas fragen?“
„Aber natürlich“, antwortete der Mann.
„Wie kommt es, dass sie so gut Deutsch sprechen und hier deutsche Backwaren verkaufen.“
„Ich bringe ihnen die gewünschten Sachen an den Tisch, dann kann ich es ihnen erzählen.“
Wieder verbeugte ich mich leicht und ging zu den anderen beiden zurück. Yuen stellte ich den Teller mit der Bretzel vor die Nase.
„Was ist das?“, fragte er.
„Eine Bretzel…, probier einfach“, antworte ich und setzte mich wieder.
Vorsichtig nahm er das Teil in die Hand und schaute es an.
„Wir in Deutschland, essen immer erst die dünnen Teile, die sind schön knusprig. Am Schluss isst du dann den dickeren Teil, der ist ganz weich innen drin.“
„Aha…“, meinte Juen, hatte aber, wie es mir schien immer noch seine Zweifel.
Er brach sich das Kreuz in der Mitte heraus und biss hinein. Er kaute ein wenig darauf herum und plötzlich wurden seine Augen groß.
„Das schmeckt lecker!“, sagte er begeistert.
Ich lächelte ihn an.
„Darf ich?“, fragte Jae-Joong.
Juen nickte und er brach sich ein kleines Stück ab. Auch er war ebenso begeistert. Die Ladentür wurde hecktisch aufgezogen und ich schaute auf. Nun wurden meine Augen groß.
„Onkel Min-Chul? … wie kommst du denn hier her?“
Erstaunt sah ich meinem Onkel entgegen, der nun im Laden stand. Er begrüßte kurz die Leute hinter der Theke und gesellte sich dann zu uns.
„Hallo Lucas“, meinte er nur.
„Woher weißt du, dass wir hier sind?“
„Juen hat mir eine Nachricht zu kommen lassen.“
„Aha…“, war mal wieder meine Antwort, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
Mein Onkel nah mein Kinn in die Hand und drehte mein Gesicht leicht nach links.
„Sieht ja schon viel besser aus…, tut es noch sehr weh?“
„Nein…, aber warum bist du hier…?“
„Sagte doch schon Juen hat mir…“
„Onkel Min-Chul“, unterbrach ich ihn, „du hast genug Arbeit und kommst nicht einfach so hier her geeilt.“
„Darf ich nicht meinen Neffen sehen, wenn ich möchte?“
„Onkel…!“
Er atmete tief durch.
„Juen hat mir geschrieben, dass ihr mehrfach von einer schwarzen Limousine belästigt wurden seid.
Ich schaute zu den anderen beiden.
„Wie war das? Du hast dich getäuscht, wir haben keine Verfolger? Warum habt ihr mir denn nichts gesagt?“
Leicht angesäuert sah ich die beiden an.
„….Ähm… Hyun-Woo meinte, wir sollen jeglichen Stress von dir fernhalten“, antwortete Juen verlegen.
„Und nachdem“, sprach Jae-Joong, „was gestern alles passiert ist, insbesondere gestern Abend, sollten besonders auf dich aufpassen.“
Ich musste unbedingt mit Hyun-Woo reden, so ging das nicht weiter.
„Gestern Abend? Was ist da passiert?“, wollte Onkel Min-Chul wissen.
Jae-Joong setzte zur Antwort an, aber ich war schneller.
„Wir waren zum Essen eingeladen und während des Essens kam ein Anruf…, da wurde mitgeteilt, dass sicher dieser Sänger von Shinee umgebracht hat. Naja… da war die gute Stimmung futsch und als das Krankenahaus erwähnt worden war, fiel mir ein, was ich alles schon gehört hatte.“
„Und dann wurde dir wieder schlecht?“
„Nicht ganz… ich bekam nur weiche Knie und musste mich setzten.“
Onkel Min-Chul schüttelte den Kopf.
„Was denn Onkel. Wenn jemand stirbt, den du kennst, das geht jedem Nahe…“
Das stimmte zwar nicht ganz mit dem kennen, aber der Zweck heiligt die Mittel, wie man so schön sagt.
„Okay…, draußen ist ein Wagen in zivil, ein blauer, der euch dann folgt, wenn ihr weiter fahrt, das wollte ich euch nur sagen.“
Der Mann vom Laden kam mit unserer Bestellung und stellte sie ab.
„Kann ich ihnen etwas bringen?“, fragte er Onkel Min-Chul nun auf Koreanisch.
„Nein danke, ich wollte nur kurz meinen Neffen sehen und bin auch gleich wieder weg.“
Mein Onkel stand wieder auf und verbeugte sich leicht.
„Ihr sagt Bescheid, wenn irgendetwas ist.“
Jae-Joong und Juen nickten und verneigte sich beide.
„Dann wünsch ich noch einen schönen Tag“, meinte Onkel Min-Chul süffisant und verschwand wieder.
Die Ladentür fiel ins Schloss.
„Und wie schmeckt ihnen die „Bretzel“, fragte der Mann Juen.
„Das schmeckt sehr gut, danke.“
Ich schaute auf meinen Berliner und die gute Laune kam zurück.
„Der junge Mann wollte wissen, warum dies hier eine deutsche Bäckerei ist?“
Ich sah ihn an und nickte.
„Ich war in meinen jungen Jahren in Deutschland und wollte dort studieren, merkte aber schnell, dass das Studium nichts für mich war. Freunde dort meinten aber, ich solle doch in Deutschland einen Beruf lernen, dass das bezahlte Geld nicht ganz umsonst war. Und weil wir jeden Morgen in einer kleine Bäckerei frühstückten, entschloss ich mich Bäcker zu lernen, weil alles immer so gut schmeckte.“
„Und dann sind sie hier zurück gekommen und haben die Bäckerei aufgemacht?“
„Nicht ganz, die Bäckerei gibt es erst seit 2002.“
„Ich find es cool, all die Leckereien, die ich von zu Hause kenne. Sie können sicher sein, dass ich noch öfter hier her komme.“
„Danke schön!“
Der Mann verschwand wieder hinter seine Theke.
„Boah ist das gut“, kam es von Jae-Joong, der von seinem süßen Teil abgebissen hatte.
„Ich weiß“, grinste ich und biss in meinen Berliner.
*-*-*
„Hallo Lucas, das ist aber schön, dass du wieder mal bei uns vorbei schaust.“
„Ich hab schon ein schlechtes Gewissen, Tante Min-Ri, weil ich so wenig Zeit habe.“
„Red keinen Unsinn…, geh einfach durch. Großvater ist sicher in seinem Garten.“
„In dieser Jahreszeit?“
„Er hat immer etwas im Garten zu tun, selbst im tiefsten Winter“, meinte Tante Min-Ri lächelnd.
Sich verneigend folgte mir Juen in die hintere Hälfte des Hauses. Ich wollte gerade die Tür zum Garten öffnen, als ein Geräusch mich inne halten ließ. Ich sah Großmutter, wie sie gerade in einem Zimmer verschwand.
„Großmutter?“, rief ich laut.
Wenige Sekunden später erschien ihr kleiner rundlicher Kopf wieder an der Tür.
„Lucas? Das ist aber eine Freude…, warum hast du nicht angerufen, dann hätte ich dir Maejakgwa gebacken, die, die du so gerne isst.“
„Du musst dir wegen mir keine Umstände machen, Großmutter“, antwortete ich, „ich habe euch aber etwas mitgebracht. Jae-Joong hat eine deutsche Bäckerei hier in Seoul gefunden“, Jae-Joong nickte eifrig, „und ich wollte euch Backwaren von zu Hause probieren lassen.
Ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Plötzlich spürte ich ihre kleine Hand an meinem Kinn.
„Junge, was hast du denn da gemacht, deine Wange ist ja völlig mit Kratzer übersät.“
Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.
„Ach so das, entschuldige Großmutter, du weißt ich bin etwas tollpatschig und hingefallen.“
„Lucas, du musst mehr auf dich aufpassen! Jetzt wo extra der junge Mann bei dir ist, sollte dir so etwas nicht mehr passieren!“
Das war wohl das Stichwort für Juen, der die ganze Zeit wie Jae-Joong still da stand.
„Guten Tag Mrs. Yoon“, sagte er, verneigte sich tief und streckte seine Hand aus.
„Junger Mann, es wäre nett, wenn du wie all die anderen Großmutter sagst, sonst komme ich mir wie eine Fremde vor.“
Juen sah mich hilfesuchend an, aber ich nickte ihm nur lächelnd zu.
„Danke Großmutter“, meinte er dann nur und stellte sich wieder schräg hinter mich.
„Gut, ich werde Min-Ri bitten uns einen Tee zu machen, dann können wir deine Leckereien probieren.“
„Ist Großvater im Garten?“, wollte ich wissen.
„Nein Lucas, er hat sich etwas hingelegt, er fühlt sich nicht so wohl.“
„Hoffentlich nichts Ernstes“, fragte ich besorgt.
„Nein Lucas, keine Sorge, er ist einfach alt und braucht auch seine Ruhe. Aber lass ihn das ja nicht hören.“
„Was soll ich nicht hören?“
Großvater stand oben auf der Treppe und ich musste grinsen.
„Hallo Großvater“, rief ich und er lief langsam die Treppe herunter.
Großmutter nahm mir dir Tüte ab und verschwand in Richtung Küche.
„Hallo Lucas, schön dass du vorbei schaust.“
„Großmutter sagte, du fühlst dich nicht wohl?“
„Ach was, ich habe heute Nacht nur schlecht geschlafen und war etwas müde, mehr nicht. Du musst der alten Frau nicht immer alles glauben!“
„Das habe ich gehört“, rief es aus der Küche und ich musste mir ein kichern verbeisen.
Aber dass Opa nicht schlecht gelaunt war, sah ich daran, dass er nun lächelte.
„Hattest du eine Prügelei, oder warum ist deine Gesicht so zugerichtet?“
Er war mittlerweile unten angekommen, aber anstatt ihn zur Begrüßung zu umarmen, zog ich ihn in den Raum, wo der große Tisch stand.
„Nein, es gab ein Missverständnis und eine Sicherheitsperson hat mich zu Boden gedrückt, dabei habe ich mich verletzt.“
„Ein Missverständnis…“, sagte Opa genauso leise, wie ich.
„Der gute Mann hat mich nicht erkannt und für einen Fremden gehalten. Aber wenn wir nicht so viel aufpassen müssten, wäre das sicherlich nicht passiert.“
„Aber du hast doch jetzt den Kollegen von Min-Chul zur Seite, konnte er das nicht verhindern?“
Juen wollte sich wohl dazu äußern, aber ich redete einfach weiter.
„…wollte er, aber da hat wohl jemand seine Waffe gesehen und im nu war er von Sicherheitspersonal mit gezogenen Waffen umringt.“
„Bei euch geht wohl auch nicht auf die einfache Tour, oder? Wurden die Männer wenigstens für ihre Fehler gemaßregelt?“
„Ja Opa und der Mann daran schuld war, wurde sogar entlassen.“
„Gut so!“
„Tut mir leid Großvater, dass ich deine Ansicht nicht teile…, ich werde den Blick von diesem Mann nicht so schnell vergessen und für mein Wohlbefinden hat das auch nichts gebracht…, mir war nicht wohl dabei, dass jemand wegen mir entlassen wurde.“
Großvater wollte etwas darauf sagen, blieb aber still, weil Großmutter im Raum erschien.
„Warum steht ihr alle herum, setzt euch doch! Lucas hat etwas mitgebracht…“
Tante Min-Ri erschien hinter Großmutter und lächelte mir zu. Jae-Joong nahm ihr das Tablett ab, mit dem sie beladen war und ich konnte sie gebührend begrüßen.
*-*-*
Jae-Joong und Juen waren drinnen bei Großmutter geblieben, während ich mit Großvater in den Garten gegangen war. Seit ich das letzte Mal dagewesen war, waren viele kahle Stellen hinzu gekommen.
„Wie geht es dir mein Junge.“
Also war meine Annahme, dass er etwas auf dem Herzen hatte richtig. Ich atmete tief durch und strich mir durchs Haar.
„Wenn ich ehrlich bin, nicht sonderlich gut. Die ganze Sache mit diesem Medikamentenschwindel setzt mir doch etwas zu. Aber ich versuche das Beste daraus zu machen.“
„Gut so mein Junge, lass dich von denen nicht unterkriegen. Ich muss mich entschuldigen, dass ich die verrückte Idee hatte, das Haus auf dich schreiben zu lassen, sonst hättest du nie den Ärger bekommen!“
„Großvater, dafür musst du dich doch nicht entschuldigen, du hast das gemacht, was du für richtig empfunden hast, so wie ich es auch immer mache, da gibt es nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.“
„Danke Lucas, aber ärgern tu ich mich trotzdem darüber.“
„Wer tut das nicht.“
„Aber so wie dein Onkel redet, hat ja alles bald ein Ende.“
„Das hoffe ich doch sehr, ich hatte Aufregung genug und bald kommt Weihnachten, dass wollte ich ruhig angehen können.“
„Tae-Young und Un-Sook haben sich heute Morgen über einen jungen Mann unterhalten, der sich umgebracht hat, kennst du den auch?“
Ach so, an diesen Jonghyun hatte ich gar nicht mehr gedacht.
„Nein, nur vom sehen her…, schlimme Sache für die Verwandten und Freunden so kurz vor Weihnachten.“
Großvater blieb stehen und hielt mich an beiden Armen fest.
„Lucas, egal was du für Probleme du hast, du kannst immer zu uns kommen und mit uns reden…, komm bitte nie auf den Gedanken, so eine schlimme Sachen zu tun. Ich könnte es nie ertragen, die wieder zu verlieren!“
Er hatte Tränen in den Augen, was mich wiederum nicht ungerührt ließ.
„Großvater, darüber brauchst du dir keine Gedanken machen, ich habe weder Depressionen, noch habe ich je ein Gedanke an Selbstmord getan. Ich habe eine tolle Familie und Freunde, die mir immer mit Rat und Tat zur Seite stehen.“
„Gut mein Junge, das wollte ich nur gesagt haben!“
*-*-*
Still saß ich hinten im Wagen und dachte über Großvater nach. In hatte dieser Tod von Minhos Bandmitglied sehr mitgenommen. Ich war froh, dass wir zur Firma fuhren, denn ich wollte unbedingt Hyun-Woo um mich haben.
Ob er überhaupt Zeit hatte wusste ich nicht, aber das war auch egal, Hauptsache er war in der Nähe. Juens Hand kam vor mir zum Vorschein und reichte mir einen Ausweis mit Band zum Umhängen.
„Hat mir Jack gegeben, damit wir ungehindert ins Firmengebäude kommen“, meinte er nur, ohne nach hinten zu gucken.
Ich nahm den Ausweis entgegen und schaute mir das Bild an. Wo das gemacht wurde, wusste ich nicht. Es zeigte mich mit meinen schwarzen und kurzen Haaren, als0 musste es erst gemacht worden sein.
Aber ich konnte mich nicht erinnern, wann das gewesen sein sollte. Auch stellte ich fest, dass ich nicht direkt in die Kamera geschaut hatte. Über dem Bild war das Firmenloge gedruckt und darunter stand mein Name, wieder mit C geschrieben.
Ich stülpte mir das Band über den Kopf und ließ mich wieder in den Sitz zurück gleiten. Nachdenklich schaute ich weiter nach draußen, bis wir endlich an der Firma angekommen waren.
Alles war leer, nur eine winzige Gruppe von Mädchen, standen auf der gegenüber liegende Seite der Straße. Hatten die keine Schule oder so etwas? Jae-Joong bremste den Wagen ab und ein Mann kam auf seine Seite.
Er sagte zwar nichts, schaute aber ins Wageninnere, bevor er uns durch das Tor winkte. Jae-Joong parkte vor dem Haus und ich stieg aus. Jemand rief meinen Namen und ich schaute Richtung Zaun.
Es war die kleine Mädchengruppe, die ich aus dem Wagen heraus gesehen hatte. Sie winkten mir zu. Ich lächelte und winkte zurück, worauf die Damen anfingen zu gröhlen. Es war irgendwie verrückt.
Als niemand kam ich in diesem Land an, hatte viele verrückte Dinge erlebt und nun war ich so etwas wie berühmt oder bekannt, ich wusste nicht wie ich es beschreiben sollte. Die große Glastür wurde aufgezogen und ein junger Mann erschien, der sich auch noch verbeugte.
Ich wusste nicht wer das war, verbeugte mich ebenso und lief wie die anderen beiden an ihm vorbei. Ich folgte einfach Jae-Joong, der geradewegs zum Aufzug lief.
„Wenn du nichts dagegen hast, lauf ich nach oben“, meinte ich und zog die Tür zum Treppenhaus auf.
„Okay“, sagte Jae-Joong lächelnd und betrat den Aufzug.
Juen schaute zwischen Jae-Joong und mir hin und her.
„Du kannst ruhig mit ihm fahren, hier im Haus wird mir wohl nichts passieren“ meinte ich und lief einfach weiter.
Da ich sonst weiter keine weiteren Geräusche hörte, konnte ich davon ausgehen, dass Juen den Aufzug gewählt hatte. Im ersten Stock angekommen, hielt ich kurz inne und schaute durch das große Fenster nach draußen.
Der Innenhof sah öde aus. Die Bäume ohne Blätter und auch sonst alles recht grau. Ich schloss kurz die Augen, genoss die Ruhe und atmete tief durch.
„Lucas?“, hörte ich eine wohl vertraute Stimme und musste lächeln.
Ich nahm die zweite Treppe in Angriff und schon bald erschien Hyun-Woo in meinem Blickfeld. Lächelnd lief ich auf ihn zu.
„Jae-Joong sagte, du wolltest laufen, ist alles klar mit dir.“
„Ja, keine Sorge Schatz, ich hatte nur zum ersten Mal die Möglichkeit, den Aufzug nicht zu nutzen und habe es gleich umgesetzt.“
„Und dir geht es wirklich gut?“, fragte Hyun-Woo.
Mittlerweile war ich bei ihm angekommen und stand eine Stufe unter ihm, so dass sein Gesicht direkt vor meinem war. Ich zog ihn an mich heran und küsste ihn innig.
„So! Jetzt geht es mir gut!“
Hyun-Woo lächelte verlegen, griff nach meiner Hand und zog mich zur Tür.
„Ich habe eine gute Nachricht für dich, aber lass uns erst in mein Büro gehen“, sagte er.
Als wir das Vorzimmer der Büros betraten, ließ er meine Hand los. Dort sah ich, dass alle Schreibtische besetzt waren. Sofort standen die Damen und der Herr auf und verbeugten sich.
Bevor ich überhaupt reagieren konnte, wandte sich Hyun-Woo den Vieren zu.
„Darf ich Lucas vorstellen, das Gesicht unseres Hauses…“, meinte er kurz und schaute dann stolz zu mir.
An den Schreibtischen zu So-Woi standen zwei Damen, die nun zu mir kamen. Beide streckten sie ihre Hand aus und sagten ihren Namen, die ich auch locker auf ihren Namensschildern hätte lesen können.
Auf Hyun-Woos Seite waren eine Frau und ein Mann, die sich nun vorstellten. Hyun-Woo zog die Tür zu seinem Büro auf und ging hinein. Ich verbeugte mich noch einmal leicht vor den Vieren und folgte meinem Schatz. Im Büro angekommen, zog ich einfach die Tür hinter mir zu.
„Du hättest ruhig offen lassen können, ich habe vor meinen Angestellten keine Geheimnisse“, grinste er mich an.
„Also mache ich wieder auf und jeder kann zu sehen, wie wir beide uns küssen?“
Verlegen lächelte mich Hyun-Woo an. Er hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und ich machte es mir auf dem Sofa bequem.
„Eine andere Frage…, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt.“
Nun schaute mich Hyun-Woo erstaunt an.
„Bleibt die Fläche hinter dir leer, oder kommt da auch ein Bild hin?“
Hyun-Woo drehte sich und starrte auf die kahle Stelle.
„… ich weiß nicht, so richtig konnte ich mich nicht entscheiden…“
„Du willst also kein Bild von dir und mir aufhängen?“
„Von mir und dir?“
Seine Augen zwinkerten aufgeregt hinter seinen Brillengläsern. Ich nickte.
„Aber ich kann doch nicht einfach ein Bild von dir und mir aufhängen, ohne dich zu fragen… und zudem… gibt es leider kein Bild von uns gemeinsam.“
Das letztere war deutlich leiser gesagt, als der Anfang. Ich stand auf, ging zu ihm hin und lehnte mich an den Schreibtisch.
„Dann sollten wir das bald nach holen und ich habe sicher nichts dagegen, wenn ein Bild mit dir und mir dort an der Wand hängen würde.“
Ich beugte mich hinunter und gab ihm einen Kuss. Breit lächelte er mich an. Erst jetzt bemerkte ich den breiten Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch. Gleich zwei Bilder waren darin eingefasst.
Eins mit seiner Großmutter und Mutter und daneben prangte ich mit einem breiten Lächeln. Ich versuchte mich zu erinnern, woher diese Aufnahme herstamme, kam aber nicht darauf.
„… aber erst, wenn deine Wange verheilt ist.“
Wieder nickte ich und stand auf. Ich lief zur Tür und öffnete sie. Danach machte ich es mir auf der Couch bequem.
*-*-*
Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen aufmachte, lag ich auf dem Sofa und hatte eine Wolldecke auf mir liegen. Ich richtete mich auf. Schuhe hatte ich auch keine mehr an, die standen neben der Couch.
Hyun-Woo saß am Schreibtisch und war in irgendwelche Papiere vertieft.
„Ich bin wohl eingeschlafen… entschuldige Hyun-Woo.“
Er schaute auf und lächelte. Hyun-Woo stand auf und setzte sich zu mir.
„Weißt du, dass du wahnsinnig süß aussiehst, wenn du schläfst?“
Ich musste grinsen.
„Du bist der erste!“
„Erstens dachte ich, der Schlaf tut dir gut und zum zweiten… es macht Spaß dich beim Schlafen zu beobachten.“
Sein Lächeln wurde immer breiter.
„Möchtest du einen Tee, oder hast du Hunger?“
„Etwas zu essen könnte ich schon vertragen, aber du sollst dir keine Umstände machen, du hast sicher genug Arbeit auch ohne mich. Wo ist eigentlich mein Schatten?“
„Juen?“
Ich nickte.
„Der wird sicher noch bei So-Woi drüben sein. So-Woi wollte mit ihm einige Entwürfe durch gehen.“
„Ehrlich? Hat Juen überhaupt Erfahrung in solchen Sachen?“
„Du würdest dich wundern! Er hat sogar ein paar Vorschläge gemacht, die So-Woi sehr gefallen haben.“
„Juen? Wirklich? Ich stelle fest, dass ich überhaupt nichts über den Kerl weiß.“
„Wie denn auch, wir kennen ihn ja auch erst kurze Zeit. Ich finde aber, er ist eine richtige Bereicherung, für unsere heitere Runde. Und was das Essen betrifft, mache ich einfach eine Pause. Komm wir gehen hinüber zu So-Woi und fragen, ob sie auch Hunger haben.“
Eigentlich wollte ich lieber mit Hyun-Woo alleine bleiben, aber ich folgte einfach seinen Wünschen. So schlüpfte ich in meine Schuhe und folgte ihm ins andere Büro.
*-*-*
„Das war gut! Wenn das so weiter geht, kann ich bald Aufnahme für Mollige machen“, sagte ich und rieb mir über den Bauch.
„Du doch nicht“, lachte So-Woi.
Wir hatten uns einfach etwas kommen lassen und saßen nun mit Jack und Jae-Joong auf dem großen Sofa und leerten die Teller, die sich auf dem Tisch befanden.
„Da fällt mir ein, du wolltest mir doch etwas erzählen“, meinte ich verlegen zu Hyun-Woo, weil ich ja eingeschlafen war.
„Ja stimmt. So-Woi hatte ein längeres Gespräch mit deinem Onkel, der meinte, dass sie genügend Beweise hätten und ein Richter bereits Haftbefehle ausgestellt hat. So wie es aussieht, wird es auch Verhaftungen in den oberen Stellen geben.“
„Wirklich? Ich dachte nicht, dass das so schnell geht.“
„Dein Vater war übrigens eine große Hilfe“, sagte So-Woi.
„Mein Vater?“, fragte ich erstaunt.
„Ja! Mr. Ri hatte ihm doch die Liste mit den Medikamenten zukommen lassen. Er hat sich wohl schlau gemacht und heraus gefunden, dass mindestens die Hälfte der Medikamente auf der Liste, mittlerweile in Europa erhältlich sind. Zudem ist jetzt auch bekannt, welche Firmen daran beteiligt waren.“
„Wow…, gleich mehrere Firmen…“
„Ja leider…“
„Können wir dann endlich durch atmen…?“, fragte ich in die Runde.
„Ich denke…“, begann So-Woi, „… warten wir etwas, bis wir sicher wissen Das du wirklich außer Gefahr bist…“
Die anderen nickten.
„Was ganz anderes…“, sprach So-Woi weiter, „… ich wollte euch fragen, wer zu Jonghyuns Beerdigungsfeier mit geht?“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber dies war keine Frage für mich, natürlich würde ich mitgehen. Die Jungs von Shinee waren alle so nett zu mir.
„Entschuldige, wenn ich frage, aber gibt es bei Beerdigungen hier auch bestimmte Regeln, die man beachten muss?“
Hyun-Woo nahm meine Hand.
„Lucas, dafür musst du dich nicht entschuldigen…“
Die anderen schüttelten dieses Mal ihren Kopf.
„Wir fahren gemeinsam zum Beerdigungsinstitut und zeigen dort Jonghyun unsere letzte Ehrerbietung. Das ist in einem kleinen Raum, dort steht ein Bild von ihm. Vor diesem verneigen wir uns. Dann wendet man sich zur Familie, oder den engsten Freunden und verneigt sich auch vor ihnen. Am Eingang liegt ein Buch, in das man anschließend seinen Namen einträgt und zum Schluss zeigt man noch mal seine Achtung vor dem Verstorbenen, wenn man dabei ist, wenn der Sarg verladen wird, bevor er mit der Familie dann zum Friedhof fährt.“
„Das hört sich heftig an…, ich kann nicht garantieren, dass meine Augen trocken bleiben.“
„Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen, Lucas, dass wird wahrscheinlich hier jedem so gehen“, meinte So-Woi.
*-*-*
Als wir am Abend in die Wohnung zurück kamen, verschwand Juen sofort in seinem Zimmer. Ich setzte mich an die Theke, während Hyun-Woo irgendetwas im Kühlschrank suchte.
„Möchtest du noch eine Kleinigkeit essen?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein danke, Hyun-Woo, ich habe keinen Hunger mehr, aber vielleicht ein Wasser oder Tee…“
Hyun-Woo nahm den Wasserkocher und befüllte ihn mit Wasser, bevor er ihn anschaltete, dann gesellte er sich zu mir.
„Du warst den ganzen Mittag so ruhig…“
„Sorry, ich habe viel nach gedacht. Wenn du bei mir bist, dann habe ich irgendwie die nötige Ruhe dazu.“
Hyun-Woo lächelte.
„Ich will nicht lügen…, die ganze Sache mit dem Medikamentenschwindel setzt mir schon sehr zu und auch der Tod dieses jungen Mannes, gibt mir vieles zum Denken.“
„Lucas, wenn du nicht mitkommen möchtest, dass würde sicher jeder verstehen…“
„Nein, so war das nicht gemeint, Hyun-Woo, natürlich werde ich mit gehen…, es ist einfach viel, alles zu verarbeiten.“
Hyun-Woo sagte nichts darauf, nahm nur meine Hand und streichelte über meinen Handrücken.“
Dann schaute zu Juens Tür.
„Über ihn mache ich mir auch so meine Gedanken, ob dieser Job wirklich der Richtige für ihn ist.“
„Du meinst Juen? Warum?“
„Seine Augen… ich habe seine Augen gesehen, egal, wenn er lacht, oder über etwas Fröhliches redet, seine Augen sind immer traurig…, dass mit seiner Mutter muss ihm schon sehr zusetzten.“
„Wohl nur verständlich, Lucas…, aber deine Sorge in allen Ehren …, du musst mehr auf dich aufpassen! Für dich sind all die Dinge wichtig, aber auch du bist wichtig! Du musst wirklich lernen, wo dein Limit ist, damit du keinen Schaden nimmst…“
Ich ließ mich einfach in Hyun-Woos Arme fallen und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge.
„Wenn das so einfach wäre…“, flüsterte ich leise.
*-*-*
Die nächsten Tage verliefen ähnlich wie dieser. Die meiste Zeit war ich bei Hyun-Woo, wenn ich nicht gerade die Familie traf. Am Freitagmorgen ließ So-Woi die Firma geschlossen, Er hatte den neuen Mitarbeiter einen Tag früher ins Wochenende entlassen.
Grund war die Trauerfeier für Jonghyun. Dieses Mal war nichts mit Chic oder Glemmer. Ich hatte meinen einfachen Anzug an, den ich von zu Hause mit gebracht hatte. Wir fuhren mit unserem Van vor und stiegen gemeinsam aus.
Wieder standen eine Menge Fans hinter den Absperrungen, aber dieser Mal war es total anders. Kein Geschrei war zu hören und nur vereinzelt wurden Bilder gemacht. Ich folgte mit Hyun-Woo, So-Woi zum Eingang.
Es war eine drückende Stimmung, vereinzelt konnte man jemand weinen hören und ich konnte viele selbstgemachte Plakate sehen, auf fast allen Bildern von Jonghyun. Mittlerweile war auch ein Abschiedsbrief veröffentlicht worden
Seine Depressionen hatten ihn aufgefressen und er hatte einfach keine Kraft mehr weiter zu machen. Dieses Bild aufrecht zu halten, vor seinem Publikum, seinen Fans den Glücklichen zu spielen.
Das Kartenhaus, das er um sich errichtete, war zusammen gefallen und für ihn war es eben der einzige Weg zu gehen. Jin von BTS hatte schon recht, dass es eigentlich ein egoistisches Denken war, aber er hatte eben die Schwierigkeit an sich zu glauben und Hilfe zu erbitten.
Wie die anderen verneigte ich mich immer wieder leicht, bevor wir das Haus betraten. Hier standen nun die Journalisten, die auch ihre Bilder machten, Mit war es egal, ob das jemand fotografierte, ich griff mir einfach Hyun-Woos Hand.
Mit ihm an der Seite fühlte ich mich einfach sicher. An den Seiten standen Holzständer, an denen große Blumenkränze hingen. Aber wir liefen so schnell an ihnen vorbei, dass ich nicht lesen konnte, was auf den Bändern stand.
Wie Hyun-Woo schon vorher erzählt hatte, betraten wir einen Raum, an dessen Rückwand in einem großen Blumenmeer ein Bild von Jonghyun stand. Ich fragte nichts, sondern folgte einfach den anderen.
Ich machte einfach nach, was die anderen vor mir und um mich herum machten. Bevor wir den Raum verließen, stand ich neben Hyun-Woo, als er unserer beider Namen, in das Buch eintrug.
Ich war ihm nicht böse, eher das Gegenteil. Ich war froh es nicht tun zu müssen und mich eher im Hintergrund zu halten. Als So-Woi dann endlich Anstalten machte zu gehen, entdeckte ich Minho neben der Tür.
Seine Augen waren tief rot vom vielen Weinen. Ohne darüber nach zu denken lief ich zu ihm hin und umarmte ihn kurz, ohne eine Wort zu sagen. Wir nickten uns kurz zu, bevor ich dann gemeinsam mit den Anderen den Raum wieder verließ.
Wieder folgte ein Blitzlichtgewitter, aber da waren Leute, die versuchten uns irgendwie etwas abzuschirmen. Andere Trauergäste kamen uns entgegen, die ich vom Sehen her kannte, viele waren auch bei der Aftershowparty anwesend.
So verneigte ich mich leicht beim vorüber gehen und war froh, als wir endlich den Ausgang erreicht hatten. Aber es war nicht die gleiche Stelle, wo wir das betreten hatten, es war die Rückseite vom Haus.
Dort stand der Leichenwagen und auch wieder viele Reporter, die ihre Bilder schossen. Was war so toll daran, anderer Leute Trauer zu fotografieren, oder gar zu filmen. In m9ir stieg ein Unwohlsein auf.
Ich beugte mich leicht vor und flüsterte Hyun-Woo ins Ohr.
„Hyun-Woo, ich fühl mich nicht wohl…, ich geh zum Wagen…“
Erschrocken drehte er den Kopf.
„Soll ich nicht lieber mitgehen, ich kann dich doch nicht alleine zum Wagen gehen lassen. Was ist, wenn du Hilfe brauchst?“
Ich überlegte kurz.
„Ich nehme Juen mit…, der scheint sich hier auch nicht wohl zu fühlen.“
Besorgt schaute Hyun-Woo zwischen Juen und mir hin und her.
„Bleib du lieber hier bei So-Woi…, ich bräuchte nur dir Schlüssel zum Wagen.“
Er atmete tief durch und nickte.
„Okay…, warte einen Moment“, flüsterte er.
Mein Schatz drückte sich an So-Woi vorbei und flüsterte Jack etwas ins Ohr. Dieser nickte und griff in seine Jacke. Ein Schlüssel kam zum Vorschein, den er Hyun-Woo reichte. Er sagte noch etwas, aber Hyun-Woo schüttelte nur den Kopf.
Wenig später folgte mir Juen anstandslos zum Wagen. Dort angekommen gab ich Juen die Schlüssel und lehnte mich erst mal an den Wagen und atmete tief durch.
„Ist dir schlecht?“, fragte Juen besorgt.
„Nein, mich nimmt das nur sehr mit.“
„Warte, ich schließe den Wagen auf, dann kannst du dich rein setzten…“
Yuen nahm die Schlüssel und wollte den Wagen öffnen, als jemand von hinten einen Schlag mit einem Knüppel versetzte Er klappte einfach zusammen. Einen Augenblick war ich wie eingefroren, besann mich aber Besseres und wollte schreien, aber dazu kam ich nicht mehr.
Auch bei mir griff von hinten nach mir und drückte mir etwas auf den Mund. Mir wurde schwarz vor den Augen.
Jack
Die Suche nach den beiden hatte nichts gebracht. Nachdem man Lucas Handy und die Schlüssel vom Wagen gefunden hatte, war man sicher, dass die beiden entführt worden waren.
Verzweifelt saß Hyun-Woo in der Nähe des Parkplatzes auf einer Bank und hatte das Gesicht in seine Hände vergraben. Er machte sich Vorwürfe, weil er gestattet hatte, dass er die beiden alleine zum Wagen gehen lassen hatte.
Er war sich sicher, dass ohne seine Zustimmung nichts passiert wäre. Als er dann noch ins Krankenhaus fahren wollte, weil er sich Hundert Prozent sicher war, dass dieser Professor vom Krankenhaus etwas damit zu tun hatte, hielt ihn Police Officer Park Min-Chul zurück.
Lucas Onkel, der mit dem ganzen Aufgebot von Wägen ebenso eingetroffen war, fand seine Idee dort hinzufahren verrückt, zu dem würde er in laufende Ermittlungen eingreifen.
Nun saß er eben auf dieser Bank, zur Untätigkeit verdonnert und weinte. So-Woi, der die ganze Zeit bei Park Min-Chul gestanden hatte, schaute zu mir und nickte. Dann liefen wir gemeinsam zu Hyun-Woo.
Er zuckte zusammen, als So-Wois Hand plötzlich auf seinem Nacken zu massieren begann. Langsam schaute er auf und bemerkte So-Woi vor sich, der dort kniete.
„Hyun-Woo wir fahren nach Hause…“
„Aber…“
„Hyun-Woo es bringt nichts hier zu bleiben“, fuhr er So-Woi an, „wir können nichts machen. Grandma hat angerufen, wir sollen zu ihr kommen.“
Ich wollte So-Woi ausbremsen, weil ich den Ton unpassend fand, aber ließ es dann doch.
„Aber können wir nicht irgendwie nach Lucas suchen…?“, fragte Hyun-Woo verzweifelt.
Seine Tränen liefen ungehindert über sein Gesicht.
„Kannst du mit bitte schön sagen wo. Im Krankenhaus? Du hast Lucas Onkel gehört, wir können hier nichts ausrichten, du kommst jetzt und wir fahren zu Grandma.“
Jack zog mich hoch.
„… er hat sicher Angst…, wäre ich doch nur mitgegangen…“
„Und was dann?“, fragte So-Woi verärgert, „dann müssten wir wahrscheinlich auch nach dir suchen. Oder du würdest hier irgendwo mit zertrümmertem Schädel liegen. Zudem ist Juen bei ihm! Schon vergessen…, siehst du ihn hier irgendwo? Nein! Komm jetzt, bevor ich richtig sauer werde…, du bist nicht schuld daran, das Lucas entführt wurde!“
So aufbrausend hatte ich So-Woi schon lange nicht mehr erlebt, Das letzte Mal war es wegen Back In Jook. Grandma hatte einen Wagen geschickt, weil wir den Van natürlich nicht nutzen konnten. Der wurde nach Spuren untersucht.
Ich schob Hyun-Woo einfach auf den Rücksitz des Wagens und wartete bis mein So-Woi endlich eingestiegen war, bevor ich selbst vorne beim Fahrer meinen Platz einnahm. Als der Fahrer den Wagen in Bewegung setzte, bemerkte ich noch zwei weitere Wagen, die mit uns losfuhren.
Man hatte wohl Angst, uns könnte auch etwas passieren. Schniefend und zusammengekauert saß Hyun-Woo nun neben So-Woi und machte sich weiter Vorwürfe. Das Gewimmer hörte sich fast schon hysterisch an.
Plötzlich hörte ich ein klatschendes Geräusch und drehte mich nach hinten. Selbst der Fahrer neben mir zuckte zusammen. Hyun-Woo saß mit weit aufgerissenen Augen da und hielt sich die Wange.
„Ich weiß, dass das jetzt schlimm für dich jetzt ist, aber es bringt uns allen nichts, vor allem Lucas nicht, wenn du uns hier jetzt durchdrehst!“
Im Nachhinein überlegte ich, ob es gut war, die beiden nebeneinander zu setzten. Ich kannte So-Wois Temperament nur zu gut, wenn er sich aufregte, ich hatte es oft genug am eigenen Leib zu spüren gekriegt.
Das hatte sich erst gelegt, als So-Woi Lucas kennen gelernt hatte. Von diesem Zeitpunkt an, wurde So-Woi viel ruhiger. Aber es war nicht nur das, was sich geändert hatte. Er stand nun plötzlich für unsere Liebe ein, die wir bis dahin versteckt hatten.
Ich durfte So-Wois Liebe nur spüren, wenn wir ganz alleine waren. Sonst war ich sein Untergebener und hatte seinen Anordnungen zu folgen. Aber seit dem Gespräch mit seiner Grandma änderte sich das abrupt.
Das war für mich sehr gewöhnungsbedürftig, So-Woi öffentlich mit seinem Vornamen anreden zu dürfen, ebenso seine Grandma. Und wenn ich ehrlich war, fiel mir das jetzt immer noch schwer.
Deshalb hatte ich vorhin auch nichts gesagt, als er Hyun-Woo angefahren hatte. Aber nach meinem Empfinden ging das mit der Ohrfeige doch jetzt ein wenig zu weit. Ich nahm mir fest vor, später in einer ruhigen Minute, mit ihm darüber zu reden.
*-*-*
So-Wois Grandma
Ich stand am Fenster und sah die Wagen vorfahren. Gegen meine Gewohnheit war ich wieder aufgestanden, denn um diese Zeit schlief ich schon lange. Aber So-Woi hatte so verängstigt am Telefon geklungen, dass ich sofort hell wach war.
Ich atmete tief durch und lief zu meinem Sessel zurück. Als ich Platz genommen hatte, hörte ich Stimmen vor der Tür. Es klopfte leise und Mr. Ri schaute herein.
„Ihr Enkel ist eingetroffen…“
Ich nickte Mr. Ri zu, der meine Gäste anwies, einzutreten. Er selbst verschwand sofort wieder. Ich war mir aber sicher, dass er sich nicht weit entfernte. Aber dies war nicht wichtig, ich wollte mich jetzt um die Jungs kümmern, die alle drei sehr mitgenommen aussahen.
„Wo ist Jae-Joong?“, fragte ich, ohne die drei, wie üblich zu grüßen.
„Der ist bei Lucas Onkel geblieben, er wollte sich melden, sobald man etwas Neues weiß“, antwortete So-Woi, „hallo Grandma…“
Er umarmte mich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange. Mein Blick fiel auf Hyun-Woo, der wie ein kleines Häufchen Elend hinter Jack stand. Der Lebenspartner meines Enkels selbst verneigte sich nur kurz.
„Wie konnte dass nur passieren?“, fragte ich, bereute es aber sofort wieder.
Hyun-Woo fiel auf die Knie und entschuldigte sich weinend. Ich verstand fast keines seiner Worte.
„Jack, bitte tu mir den Gefallen und geht hinaus zu Mr. Ri. Der soll einen Arzt rufen, denn ich denke unser junger Freund braucht dringend ein Beruhigungsmittel!“
„Sehr wohl, Ce… Grandma“, meinte Jack, verneigte sich kurz und verließ das Zimmer.
Ich musste lächeln. Es fiel ihm immer noch schwer mich mit Grandma anzureden. Mein Lächeln verschwand aber sofort wieder, als mein Blick auf Hyun-Woo fiel, der nun in So-Wois Armen hing und bitterlich weinte.
Ich stand auf und lief zu So-Woi.
„So-Woi, komm versuchen wir, Hyun-Woo hinauf in das Gästezimmer zu bringen. Ich habe es herrichten lassen, weil ich mir schon fast so etwas dachte.“
„Aber Grandma, sollen wir nicht lieber auf den Arzt warten?“
Ich überlegte kurz, während Jack auch wieder ins Zimmer zurück kam.
„Der Arzt ist verständigt!“
Ich nickte und sah die beiden an.
„Ich glaube es ist besser, wenn Hyun-Woo im Bett liegt, wenn der Arzt kommt“, sagte ich.
Ohne etwas zu sagen, lief Jack zu ihm hin und hob ihn auf, als wäre Hyun-Woo ein Federgewicht, was er bei der Figur sicher nicht war. Ich war immer wieder überrascht, wie kräftig dieser junge >Mann doch war.
So-Woi lief zur Tür und öffnete sie und Jack trug Hyun-Woo nach draußen. Ich folgte langsam den drein und traf Mr. Ri im Flur an.
„Mr. Ri, wenn es möglich ist, könnten sie uns bitte oben einen Tee servieren…, vielleicht bringen sie noch einen Cognac mit, vielleicht brauchen die Jungs auch etwas Stärkeres. Ich weiß nicht recht…“
Etwas ratlos stand ich da und wusste nicht genau, was zu tun war. Sonst wusste ich immer genau, was ich wollte oder tat. Nun spürte ich aber, wie sehr dies an meinem Nervenkostüm zehrte. Ich schaute wieder zu Mr. Ri.
„Wenn der Arzt kommt, bringen sie ihn bitte umgehend nach oben.“
„Wie sie wünschen, Ceo“, meinte Mr. Ri und verschwand Richtung Küche.
Ich sah die Treppe hoch und konnte noch die drei erblicken, wie sie gerade um die Ecke verschwanden. Ich schloss kurz die Augen, bevor ich mich in Bewegung setzte, um den drein zu folgen.
*-*-*
Juen
Als ich erwachte, dachte ich, mein Kopf würde es zerreisen. Der stechende Schmerz nahm mir fast den Atem. Ich wollte nach meinem Kopf greifen, stellte aber fest, dass ich gefesselt war, auch an den Beinen.
Ich musste Husten, denn der Boden, auf dem ich lag, war dreckig und kalt. Ich versuchte mich in der Dunkelheit zu orientieren, konnte aber nichts richtig erkennen. Was das hier sollte, verstand ich nicht.
Jemand musste uns am Wagen aufgelauert haben. Ich konnte mich noch erinnern, dass ich den Wagen aufgeschlossen hatte und als ich mich zu Lucas umdrehen wollte, spürte ich einen starken Schmerz am Kopf und es wurde mir schwarz vor Augen.
„…Lucasss…?“, rief ich und fing wieder an zu husten.
Meine Stimme hallte nach, so war ich wohl in einem größerem Raum oder Saal. Ich lauschte in die Stille, konnte aber nichts weiter hören. Mühsam versuchte ich mich aufzurichten und es dauerte eine Weile bis ich endlich saß.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte schwache Schatten war nehmen, durch das wenige Licht, dass über die großen Fenster herein drang. Es musste also eine Halle oder Ähnliches sein, in der ich mich befand.
Da keine Geräusche von draußen herein drangen, war diese Halle, oder dieses Gebäude wohl etwas abgelegen. Ein leises Geräusch ließ mich zusammenfahren, dass von der linken Seite zu mir drang.
Ich blickte auf meine Hände, das hieß, ich schaute in die Richtung, wo sie lagen, sehen konnte ich sie nicht. Mir wurde plötzlich klar, dass der, der mich gefesselt hatte, wohl nicht sehr bewandert war.
Ungehindert konnte ich mich nach vorne beugen und mit den Händen an meinen Beinen entlang tasten, bis ich an den Füßen angekommen war. Das dicke Seil war verknotet und ich machte mich daran, diese mit meinen freien Fingern zu lösen.
Als ich das endlich geschafft hatte, strampelte ich etwas mit den Beinen, bis ich endlich frei war. Nun versuchte ich aufzustehen, was mit noch verbundenen Händen, sich als etwas schwierig heraus stellte.
Zwar versuchte ich durch drehen der Handgelenke und Arme, das Seil zu lockern, aber das gelang mir nicht. Ich drehte meinen Kopf und schaute in alle Richtungen. Bis auf die Fenster war alles stockdunkel.
Mein Kopf drehte sich in die Richtung, aus der ich das Geräusch gehört hatte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und rutschte mit dem linken Schuh etwas nach vorne, um zu ertasten, ob etwas vor mir stand oder lag.
So bewegte ich mich langsam nach vorne und die Hände nach vorne gestreckte, um ebenfalls sofort zu spüren, wenn ein Hindernis kam. Da meine Schuhe mühelos über den Boden rutschten, vermutete ich, dass dort Sand und kleinere Steinchen lagen.
Es hört sich auf alle Fälle so an. Trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen, schrie ich laut auf, als ich gegen etwas prallte.
*-*-*
So-Wois Grandma
Das Zimmer war leicht verdunkelt, als ich es betrat. Jack war gerade dabei, Hyun-Woo die Schuhe auszuziehen, um ihn anschließend zu zudecken. Mein Enkel dagegen, stand am Fenster und schaute in die Dunkelheit.
Er erinnerte mich stark an meinen Mann, wenn er so da stand, sie beide waren sich sehr ähnlich, als sein Großvater noch jung war. Langsam bewegte ich mich zu ihm hin und er drehte sich, als ich bei ihm ankam.
„Möchtest du dich nicht setzten, Grandma, du siehst etwas blass aus.“
Ich schaute ihm in die Augen und sah, dass sie feucht waren. So zog ich ihn an mich heran und umarmte ihn.
„Warum muss Lucas immer so etwas passieren, er hat doch niemand etwas getan?“
So-Woi vergrub dein Gesicht auf meiner Schulter und begann leise an zu weinen. Natürlich ließ mich das nicht kalt. Ich hatte So-Woi schon lange nicht mehr weinen sehen. Eher das Gegenteil.
Seit ich wusste, dass mein Enkel dem gleiche Geschlecht zugetan war und Jack als seinen Partner erwählt hatte, war er wie ausgewechselt. Ich hatte ihn lange nicht so viel Lächeln sehen.
„…wäre es nicht besser, wenn wir uns alle setzten?“, hörte ich Jacks Stimme hinter mir.
Ich schaute zu ihm und sah, dass er ebenso glasige Augen hatte. Er hob die Hände, Richtung So-Woi und so ließ ich meinen Enkel los und reichte ihn an Jack weiter. Er führte ihn zu der kleinen Couch, dass neben dem Bett stand.
Ich selbst ließ mich auf dem Sessel neben dem Fenster nieder. Ich zog meinen Morgenrock etwas zu recht, denn es war mir kühl geworden. Plötzlich stand Jack mit einer Decke vor mir.
„Wenn ich darf…?“, lächelte er mich an.
„Danke“, meinte ich nur und ließ meine Beine von im zudecken.
Danach lief er zu So-Woi zurück, setzte sich und nahm ihn in seinen Arm. Ein Geräusch ließ mich aufhorchen und ich sah, wie Jack versuchte etwas aus seinem Jacket herauszuziehen, ohne aber dabei So-Woi loszulassen.
Ein Handy kam zum Vorschein. Er tippte etwas ein und lass dann irgendetwas. Etwas später ließ er das Handy neben sich auf Sofa gleiten und sah dann zu mir.
„Jae-Joong schreibt mir, dass dieser Professor wohl heute Abend das Haus nicht verlassen hat und auch keinerlei Anrufe getätigt hat.“
„Woher weiß man, dass er nicht telefoniert hat?“, fragte ich nach.
„Er wird seit zwei Tagen überwacht und seine Telefone werden abgehört.“
Ich verstand und nickte. Das konnte aber alles heißen, wenn er jemand im Krankenhaus die Anweisung gab, hatte es niemand mitbekommen. So-Woi schien sich beruhigt zu haben, er wischte sich über seine Augen.
„Das verstehe ich nicht, er müsste doch irgendwie jemand Anweisungen gegeben haben, von seinen Leuten handelt doch niemand einfach so.“
„So-Woi, du weißt nicht wo und wann er den Befehl gegeben hat, Lucas zu entführen.“
„Doch Grandma, seit er überwacht wird, ist er fast keine Sekunde alleine, das hat mir Lucas Onkel versichert.“
Ich dachte kurz nach. Konnte man einen Menschen wirklich so lückenlos überwachen? Vor allem unbemerkt. Das Wimmern von Hyun-Woo hatte nach gelassen. Er schien wohl eingeschlafen zu sein.
Mir fiel der junge Mann ein, der Lucas beschützen sollte. Über ihn hatte noch keiner ein Wort verloren. Meine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet, denn ich war die einzige, die Bedenken hatte, den Kollegen von Lucas Onkel als Schutz abzustellen. Mir wäre ein richtiger Sicherheitsbeauftragter lieber gewesen.
Aber meine Zweifel wurden damit zerstreut, dass ein junger unauffälliger Typ wohl am besten dafür geeignet war. Ich hob meine Hand, denn ich musste gehen.
„Grandma, willst du dich nicht lieber zurück ziehen?“
„Nein mein Junge, lass mich noch kurz warten, bis der Arzt da war…“
Es klopfte an der Tür.
Juen
Mein Schrei hallte nach. Ich hatte mich nicht deswegen erschrocken, weil plötzlich vor mir etwas auftauchte, sondern, weil dieses etwas sich nach Haare angefüllt hatte. Vorsichtig hob ich die Hände und beugte mich langsam nach vorne. Jetzt konnte ich auch leichte Atemgeräusche hören.
„Lucas…?“, flüsterte ich leise, weil es eigentlich nur er sein konnte, der da vor mir war.
Es kam keine Antwort. Plötzlich spürte ich wieder die Haare und mein Puls beschleunigte sich nochmals. Das war ganz sicher Lucas, denn die Haare waren kurz. Der Kopf schien zur Seite zu hängen, denn plötzlich berührte ich ein Ohr.
Von der Höhe her musste Lucas auf etwas sitzen.
Meine Hände tasteten sich über das schief liegende Gesicht, bis ich an den Schultern angekommen war. Im Gegensatz zu mir, waren seine Arme nach hinten gezogen. Also hatte man seine Hände am Rücken zusammen gebunden.
Mehr noch, ein weiteres Seil war um seinen Körper gewickelt, also an einen Stuhl gefesselt. Er reagierte nicht, aber atmete. Langsam tastete ich mich wieder zum Gesicht und versuchte den Kopf aufzurichten. Ich war wohl mit meinem Gesicht so nah an Lucas, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren konnte.
„Lucas, hörst du mich?“, flüsterte ich leise und versuchte leicht seine Wangen zu tätscheln, was mir aber nicht so richtig gelingen wollte, weil ich dabei seinen Kopf nicht halten konnte. So richtete ich mich auf und stellte ich mich direkt neben ihm, damit ich seinen Kopf gegen meinen Bauch lehnen konnte.
Was sollte ich jetzt tun, solange Lucas nicht aufwachte, konnte ich nicht versuchen ihn los zu binden. Er würde mir vom Stuhl fallen. Und was wäre, wenn dann gerade dieser Professor zurück kommen würde.
Es war sicher dieser Professor, sonst würde niemand auf den Gedanken kommen, Lucas so etwas anzutun.
*-*-*
Jack
Nach dem der Arzt gegangen war, hatte sich Grandma ebenso zurück gezogen. Weil Hyun-Woo bereits schlief, als der Arzt eintraf, hatte er keine Beruhigungsspritze bekommen, der Arzt meinte, der Schlaf täte ihm gut.
Für den Fall, dass Hyun-Woo sich wieder aufregen sollte, hatte er ein paar Pillen da gelassen. Nun saß ich ans Bettende gelehnt und So-Wois Kopf ruhte auf meinen Schoss. Sanft streichelte ich durch seine Haare.
Auch er war endlich eingeschlafen. Die Verbindungstür zu Hyun-Woos Zimmer hatte ich offen gelassen, dass ich sofort hörte, wenn dieser Erwachen würde. Ich spürte leichte Müdigkeit in mir aufkommen, beschloss aber, wach zu bleiben.
Ich schloss einfach die Augen und lauschte, aber es war nichts zu hören. Ein Klopfen ließ meine Augen sich wieder öffnen und ich stellte fest, dass ich wohl so, wie ich da saß, eingeschlafen sein musste, denn draußen wurde es bereits hell.
So-Woi lag neben mich gekuschelt. Ich streckte meinen Kopf und drehte ihn etwas und spürte jeden Wirbel. Ich versuchte etwas die Schultern in drehende Bewegungen zu setzen, was auch nicht ohne Schmerzen ging.
Gegenüber wurde langsam die Tür aufgeschoben. Grandma erschien und ich löste mich vorsichtig von So-Woi. Etwas mühsam stand ich auf, weil ich jeden einzelnen Knochen spürte und lief zu Grandma.
„Hast du etwa so die ganze Nacht so dagesessen?“, fragte Grandma.
Ich nickte ihr lächelnd zu und rieb dabei meinen Nacken.
„Wie geht es Hyun-Woo?“
„Ich weiß es nicht, ich bin selbst erst eben aufgewacht, aber ich werde gleich nach ihm sehen“, antwortete ich.
„Wenn alles in Ordnung ist, kommst du bitte nach unten, ich möchte nicht alleine frühstücken“, meinte Grandma zu mir, „natürlich nur, wenn die beiden da fest schlafen?“
Ich nickte lächelnd und Grandma zog leise die Tür hinter sich zu. So schaute ich kurz zu So-Woi, bevor ich mich in das Nachbarzimmer bewegte. Auch Hyun-Woo schien noch fest zu schlafen, seine Atmung war ruhig.
Ich zog seine Decke zu recht, deckte ihn wieder zu und ließ ihn dann alleine. Als ich in unser Zimmer zurück gekehrt war, hatte sich So-Woi wohl gedreht, er hatte nun das Kopfkissen im Arm, an dem ich mich die ganze Nacht angelehnt hatte.
Vorsichtig beugte ich mich nach vorne, stütze mich am Bett ab und gab So-Woi sanft einen Kuss auf die Wange. Er wachte dabei nicht auf, aber deutlich zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab.
Langsam erhob ich mich wieder und ging zuerst ins Bad. Müde sah ich mein Spiegelbild an und fand, dass ich auch schon besser ausgesehen hatte. So drehte ich das kalte Wasser auf und befeuchtete mein Gesicht.
Ich griff nach der Seife, rieb meine Hände damit ein, bevor ich den Schaum in mein Gesicht verteilte. Mit viel kaltem Wasser, wusch ich den Schaum ab und griff ich nach dem Handtuch, das neben dem Waschbecken hing.
Im Normalfall hätte ich ja geduscht, aber so hätte Grandma länger auf mich warten müssen. Als ich ins Zimmer zurück kam, sah ich auf dem Stuhl Klamotten liegen. Irgendwer hatte sie wohl dort deponiert. Die Idee einige Sachen zum Wechseln bei seiner Großmutter zu lassen, war So-Wois Idee, so konnten wir hier jederzeit übernachten.
Ich entdeckte eine Jeanshose von mir und ein weiße Hemd. Vorsichtig zog ich es unter So-Wois Sachen hervor. Schnell entledigte ich mich von meinem Shirt du der Stoffhose. Beides legte ich über der Lehne ab.
Mein Blick wanderte zum Bett, weil So-Woi tief durchatmete. Schnell waren die Sachen angezogen und noch einmal schaute ich zu So-Woi, der aber friedlich schlief. Was für ein Glück ich hatte, so einen Menschen zum Freund zu haben. Lächelnd lief ich zur Tür und verließ das Zimmer.
*-*-*
Lucas
Ich musste husten, weil ich so einen bitteren Geschmack im Mund hatte. Was war geschehen? Nur wage konnte ich mich daran erinnern, dass Juen vor mir niedergeschlagen wurde, dann war da nichts mehr.
„Lucas…?!“
War das Juen? Langsam öffnete ich die Augen. Vor mir kniete Juen.
„..Juen…“
„Ja, ich bin es Lucas! Es tut mir leid…“
„Juen, bitte“, meinte ich leicht genervt, „keine Entschuldigen… boah mir tut alles weh…, meine Hände fühlen sich so taub an… Wo sind wir hier?“
„Ich weiß es nicht, Lucas, nur dass wir in einer alten Halle sind, wo die steht kann ich dir nicht sagen.“
„Hast du jemand gesehen?“
„Nein, als ich aufwachte, war hier alles dunkel…“
„Geht er jetzt nicht etwas zu weit, dieser Professor…?“
„Du denkt also auch, es ist der Professor?“
„Wer soll es denn sonst?“
Juen zuckte mit den Schultern.
„Weißt du, wie spät es ist?“
Mein gegenüber schüttelte den Kopf. Erst jetzt sah ich, dass Juens Hände zusammengebunden waren, als er versuchte, sich am Kopf zu kratzen.“
„Tut es sehr weh?“, wollte ich wissen.
„Es geht…“
„Der hat dir ganz schön eine übergezogen…, mit dem Knüppel.“
„Du hast ihn gesehen?“
„Ich habe JEMAND gesehen, nicht sein Gesicht. Bevor ich richtig reagieren konnte, hat mir jemand etwas auf den Mund gedrückt und mir wurde schwarz vor Augen.“
„Ich binde dich jetzt erst mal los…“
„Geht das denn?“
„Wieso, meine Beine konnte ich ja auch befreien…“
Juen drückte sich an meinen Knie nach oben und umrundete mich. Als er gerade anfangen wollte, mich loszubinden, hörten wir irgendwo her Stimmen.
„Scheiße“, hörte ich es hinter mir sagen, „Lucas tu so, als wärst du noch weggetreten…“
Yuen lief an mir vorbei und lief ein paar Meter, bevor er sich in den Dreck fallen ließ. Dort blieb er liegen.
*-*-*
Jack
„Hatte Lucas mit jemand anderem noch Probleme?“
Verwundert schaute ich Grandma Shin-Sook an.
„Nicht dass ich wüsste, aber warum fragst… du?“
Es fiel mir immer noch schwer sie so direkt anzusprechen.
„Ich hatte heute Morgen schon ein langes Gespräch mit Park Min-Chul. Es deutet nichts darauf hin, dass dieser Professor irgendetwas mit Lucas Entführung zu tun hat.“
„Wer jemand kaltblütig umbringen lässt, dem merkt man auch eine Entführung nicht an.“
„Du spielst auf diesen Arzt an?“
Ich nickte.
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ach ich weiß auch nicht mehr, was ich denken soll. Mir tun die Jungs nur so leid, ich hoffe es geht ihnen gut.“
Man sah ihr deutlich an, dass dies ihre Kräfte überstieg. Sie war recht blass und hatte die Nacht wohl nicht gut geschlafen. Die Tür ging auf und ich drehte meinen Kopf. So-Woi kam herein.
„Warum hast du denn mich nicht geweckt?“, fragte er mich vorwurfsvoll.
„Damit ich mit deiner Grandma alleine sein kann und ihr über deine Schandtaten erzählen kann… guten Morgen!“
Ich weiß nicht, was mich geritten hatte, dass zu sagen, denn So-Woi blieb auf der Stelle stehen und neben mir fing jemand an zu kichern.
„Was für Schandtaten denn?“, fragte er und lief weiter zu seiner Grandma.
„Guten Morgen Grandma“, sagte So-Woi und umarmte sie kurz, „… du bist etwas blass, geht es dir nicht gut?“
Es war ihm also auch aufgefallen.
„Ich habe schlecht geschlafen, das ist alles. Komm Setzt dich! Die Suppe ist noch heiß.“
„Danke.“
Er lief um mich herum und ich spürte kurz seine Hände auf meiner Schulter.
„Morgen, du Verräter…“, meinte er leise, küsste mich auf den Kopf, bevor er sich neben mir niederließ.
Sofort schoss mir Blut ins Gesicht. Noch nie hatte So-Woi solche Zärtlichkeiten vor jemanden anderem gezeigt, schon gar nicht vor Grandma. Sie aber lachte nur, gab keinen Kommentar zu dieser Aktion.
„Sollen wir Hyun-Woo nicht lieber wecken?“, wollte meine bessere Hälfte wissen.
„Ich denke, es ist besser, wir lassen ihn schlafen“, antwortete Grandma.
So-Woi nickte und schaufelte die Suppe in sich hinein.
„Man könnte meinen, du hast schon lange nichts mehr zu essen bekommen“, raunte ich ihm zu.
„Was denn? Bei Grandma schmeckt es eben gut!“
„Ah, mein Essen ist dir wohl nicht mehr gut genug…“
Ich wusste echt nicht, was mit mir los war, warum mir die Worte so leicht über die Zunge glitten. Auf alle Fälle fing Grandma laut an zu lachen und So-Woi schaute mich verwundert an.
„Natürlich esse ich gern dein Essen. Habe ich mich je beschwert?“
„Kinder, ihr werdet euch doch jetzt nicht streiten?“
„Nein Grandma, es macht nur Spaß ihn aufzuziehen“, rutschte mir heraus.
So-Wois Blick war tödlich.
„Du scheinst gut geschlafen zu haben“, war alles, was So-Woi darauf sagte.
„Das ist aber nicht nett, Enkel. Als ich vorhin nach euch schaute, saß Jae-Yun auf dem Bett und du hast ihn als Kissen missbraucht.“
So-Woi schaute zwischen Grandma und mit verwundert hin und her.
„Du…, du hast die ganze Nacht so da… gegessen?“
Ich nickte.
„Wow“, das einzige Wort, was So-Woi heraus brachte.
Mir wurde dieses Gespräch etwas peinlich und ich änderte einfach das Thema.
„Grandma hat mich gefragt, ob Lucas noch mit jemand anderen Ärger hat.“
„Wieso?“
„Weil Lucas Onkel mir am Telefon erklärte, dass der Professor, mit dieser Sache anscheinend nichts zu tun hat.“
„Wie kommt der denn…“
Mitten im Satz brach So-Woi ab und starrte auf den Tisch.
„So-Woi…?“
Er reagierte nicht, sondern zog sein Handy heraus. Wen um alles in der Welt wollte er jetzt anrufen?
„Hallo… hier spricht So-Woi… Eun Mi, kannst du mir sagen, ob dieser Gwang-jo, den wir entlassen haben, seine Papiere abgeholt hat?“
Grandma sah mich fragen an.
„Eun Mi ist eine seiner Sekretärinnen“, flüsterte ich ihr zu.
„Nicht…, wäre es möglich mir seine Adresse aufs Handy zu schicken… ja? Danke…, nein ich weiß nicht, wann wir in der Firma erscheinen werden, denn uns ist etwas Familiäres dazwischen gekommen…, wenn etwas ist einfach mich oder Hyun-Woo anrufen…, Jack ist ebenso erreichbar.“
Ich hatte echt keine Lust heut in die Firma zu fahren, Hyun-Woo und auch Lucas waren mir jetzt viel wichtiger.
„Danke… ach so… den müssen wir leider absagen, oder ihr überlegt euch etwas… ja… danke…bye!“
So-Woi drückte das Gespräch weg und legte sein Handy auf den Tisch.
„Alle Achtung, man könnte meinen, du machst dass schon eine Weile“, meinte Grandma.
Er lächelte.
„So gesehen ja…, früher habe ich meine Termine mit Jack abgesprochen, jetzt macht das die Sekretärin für mich.“
„Warum hast du nach Gwang-jo gefragt?“, wollte ich wissen.
„Das ist nur so eine kleine Idee. Jack, fährst du mit mir zu Lucas Onkel?“
„Was möchtest du denn von dem?“, fragte nun Grandma.
„Eine Idee aus diskutieren!“
Juen
Mein Schrei hallte nach. Ich hatte mich nicht deswegen erschrocken, weil plötzlich vor mir etwas auftauchte, sondern, weil dieses etwas sich nach Haare angefüllt hatte. Vorsichtig hob ich die Hände und beugte mich langsam nach vorne. Jetzt konnte ich auch leichte Atemgeräusche hören.
„Lucas…?“, flüsterte ich leise, weil es eigentlich nur er sein konnte, der da vor mir war.
Es kam keine Antwort. Plötzlich spürte ich wieder die Haare und mein Puls beschleunigte sich nochmals. Das war ganz sicher Lucas, denn die Haare waren kurz. Der Kopf schien zur Seite zu hängen, denn plötzlich berührte ich ein Ohr.
Von der Höhe her musste Lucas auf etwas sitzen.
Meine Hände tasteten sich über das schief liegende Gesicht, bis ich an den Schultern angekommen war. Im Gegensatz zu mir, waren seine Arme nach hinten gezogen. Also hatte man seine Hände am Rücken zusammen gebunden.
Mehr noch, ein weiteres Seil war um seinen Körper gewickelt, also an einen Stuhl gefesselt. Er reagierte nicht, aber atmete. Langsam tastete ich mich wieder zum Gesicht und versuchte den Kopf aufzurichten. Ich war wohl mit meinem Gesicht so nah an Lucas, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren konnte.
„Lucas, hörst du mich?“, flüsterte ich leise und versuchte leicht seine Wangen zu tätscheln, was mir aber nicht so richtig gelingen wollte, weil ich dabei seinen Kopf nicht halten konnte. So richtete ich mich auf und stellte ich mich direkt neben ihm, damit ich seinen Kopf gegen meinen Bauch lehnen konnte.
Was sollte ich jetzt tun, solange Lucas nicht aufwachte, konnte ich nicht versuchen ihn los zu binden. Er würde mir vom Stuhl fallen. Und was wäre, wenn dann gerade dieser Professor zurück kommen würde.
Es war sicher dieser Professor, sonst würde niemand auf den Gedanken kommen, Lucas so etwas anzutun.
*-*-*
Jack
Nach dem der Arzt gegangen war, hatte sich Grandma ebenso zurück gezogen. Weil Hyun-Woo bereits schlief, als der Arzt eintraf, hatte er keine Beruhigungsspritze bekommen, der Arzt meinte, der Schlaf täte ihm gut.
Für den Fall, dass Hyun-Woo sich wieder aufregen sollte, hatte er ein paar Pillen da gelassen. Nun saß ich ans Bettende gelehnt und So-Wois Kopf ruhte auf meinen Schoss. Sanft streichelte ich durch seine Haare.
Auch er war endlich eingeschlafen. Die Verbindungstür zu Hyun-Woos Zimmer hatte ich offen gelassen, dass ich sofort hörte, wenn dieser Erwachen würde. Ich spürte leichte Müdigkeit in mir aufkommen, beschloss aber, wach zu bleiben.
Ich schloss einfach die Augen und lauschte, aber es war nichts zu hören. Ein Klopfen ließ meine Augen sich wieder öffnen und ich stellte fest, dass ich wohl so, wie ich da saß, eingeschlafen sein musste, denn draußen wurde es bereits hell.
So-Woi lag neben mich gekuschelt. Ich streckte meinen Kopf und drehte ihn etwas und spürte jeden Wirbel. Ich versuchte etwas die Schultern in drehende Bewegungen zu setzen, was auch nicht ohne Schmerzen ging.
Gegenüber wurde langsam die Tür aufgeschoben. Grandma erschien und ich löste mich vorsichtig von So-Woi. Etwas mühsam stand ich auf, weil ich jeden einzelnen Knochen spürte und lief zu Grandma.
„Hast du etwa so die ganze Nacht so dagesessen?“, fragte Grandma.
Ich nickte ihr lächelnd zu und rieb dabei meinen Nacken.
„Wie geht es Hyun-Woo?“
„Ich weiß es nicht, ich bin selbst erst eben aufgewacht, aber ich werde gleich nach ihm sehen“, antwortete ich.
„Wenn alles in Ordnung ist, kommst du bitte nach unten, ich möchte nicht alleine frühstücken“, meinte Grandma zu mir, „natürlich nur, wenn die beiden da fest schlafen?“
Ich nickte lächelnd und Grandma zog leise die Tür hinter sich zu. So schaute ich kurz zu So-Woi, bevor ich mich in das Nachbarzimmer bewegte. Auch Hyun-Woo schien noch fest zu schlafen, seine Atmung war ruhig.
Ich zog seine Decke zu recht, deckte ihn wieder zu und ließ ihn dann alleine. Als ich in unser Zimmer zurück gekehrt war, hatte sich So-Woi wohl gedreht, er hatte nun das Kopfkissen im Arm, an dem ich mich die ganze Nacht angelehnt hatte.
Vorsichtig beugte ich mich nach vorne, stütze mich am Bett ab und gab So-Woi sanft einen Kuss auf die Wange. Er wachte dabei nicht auf, aber deutlich zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab.
Langsam erhob ich mich wieder und ging zuerst ins Bad. Müde sah ich mein Spiegelbild an und fand, dass ich auch schon besser ausgesehen hatte. So drehte ich das kalte Wasser auf und befeuchtete mein Gesicht.
Ich griff nach der Seife, rieb meine Hände damit ein, bevor ich den Schaum in mein Gesicht verteilte. Mit viel kaltem Wasser, wusch ich den Schaum ab und griff ich nach dem Handtuch, das neben dem Waschbecken hing.
Im Normalfall hätte ich ja geduscht, aber so hätte Grandma länger auf mich warten müssen. Als ich ins Zimmer zurück kam, sah ich auf dem Stuhl Klamotten liegen. Irgendwer hatte sie wohl dort deponiert. Die Idee einige Sachen zum Wechseln bei seiner Großmutter zu lassen, war So-Wois Idee, so konnten wir hier jederzeit übernachten.
Ich entdeckte eine Jeanshose von mir und ein weiße Hemd. Vorsichtig zog ich es unter So-Wois Sachen hervor. Schnell entledigte ich mich von meinem Shirt du der Stoffhose. Beides legte ich über der Lehne ab.
Mein Blick wanderte zum Bett, weil So-Woi tief durchatmete. Schnell waren die Sachen angezogen und noch einmal schaute ich zu So-Woi, der aber friedlich schlief. Was für ein Glück ich hatte, so einen Menschen zum Freund zu haben. Lächelnd lief ich zur Tür und verließ das Zimmer.
*-*-*
Lucas
Ich musste husten, weil ich so einen bitteren Geschmack im Mund hatte. Was war geschehen? Nur wage konnte ich mich daran erinnern, dass Juen vor mir niedergeschlagen wurde, dann war da nichts mehr.
„Lucas…?!“
War das Juen? Langsam öffnete ich die Augen. Vor mir kniete Juen.
„..Juen…“
„Ja, ich bin es Lucas! Es tut mir leid…“
„Juen, bitte“, meinte ich leicht genervt, „keine Entschuldigen… boah mir tut alles weh…, meine Hände fühlen sich so taub an… Wo sind wir hier?“
„Ich weiß es nicht, Lucas, nur dass wir in einer alten Halle sind, wo die steht kann ich dir nicht sagen.“
„Hast du jemand gesehen?“
„Nein, als ich aufwachte, war hier alles dunkel…“
„Geht er jetzt nicht etwas zu weit, dieser Professor…?“
„Du denkt also auch, es ist der Professor?“
„Wer soll es denn sonst?“
Juen zuckte mit den Schultern.
„Weißt du, wie spät es ist?“
Mein gegenüber schüttelte den Kopf. Erst jetzt sah ich, dass Juens Hände zusammengebunden waren, als er versuchte, sich am Kopf zu kratzen.“
„Tut es sehr weh?“, wollte ich wissen.
„Es geht…“
„Der hat dir ganz schön eine übergezogen…, mit dem Knüppel.“
„Du hast ihn gesehen?“
„Ich habe JEMAND gesehen, nicht sein Gesicht. Bevor ich richtig reagieren konnte, hat mir jemand etwas auf den Mund gedrückt und mir wurde schwarz vor Augen.“
„Ich binde dich jetzt erst mal los…“
„Geht das denn?“
„Wieso, meine Beine konnte ich ja auch befreien…“
Juen drückte sich an meinen Knie nach oben und umrundete mich. Als er gerade anfangen wollte, mich loszubinden, hörten wir irgendwo her Stimmen.
„Scheiße“, hörte ich es hinter mir sagen, „Lucas tu so, als wärst du noch weggetreten…“
Yuen lief an mir vorbei und lief ein paar Meter, bevor er sich in den Dreck fallen ließ. Dort blieb er liegen.
*-*-*
Jack
„Hatte Lucas mit jemand anderem noch Probleme?“
Verwundert schaute ich Grandma Shin-Sook an.
„Nicht dass ich wüsste, aber warum fragst… du?“
Es fiel mir immer noch schwer sie so direkt anzusprechen.
„Ich hatte heute Morgen schon ein langes Gespräch mit Park Min-Chul. Es deutet nichts darauf hin, dass dieser Professor irgendetwas mit Lucas Entführung zu tun hat.“
„Wer jemand kaltblütig umbringen lässt, dem merkt man auch eine Entführung nicht an.“
„Du spielst auf diesen Arzt an?“
Ich nickte.
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ach ich weiß auch nicht mehr, was ich denken soll. Mir tun die Jungs nur so leid, ich hoffe es geht ihnen gut.“
Man sah ihr deutlich an, dass dies ihre Kräfte überstieg. Sie war recht blass und hatte die Nacht wohl nicht gut geschlafen. Die Tür ging auf und ich drehte meinen Kopf. So-Woi kam herein.
„Warum hast du denn mich nicht geweckt?“, fragte er mich vorwurfsvoll.
„Damit ich mit deiner Grandma alleine sein kann und ihr über deine Schandtaten erzählen kann… guten Morgen!“
Ich weiß nicht, was mich geritten hatte, dass zu sagen, denn So-Woi blieb auf der Stelle stehen und neben mir fing jemand an zu kichern.
„Was für Schandtaten denn?“, fragte er und lief weiter zu seiner Grandma.
„Guten Morgen Grandma“, sagte So-Woi und umarmte sie kurz, „… du bist etwas blass, geht es dir nicht gut?“
Es war ihm also auch aufgefallen.
„Ich habe schlecht geschlafen, das ist alles. Komm Setzt dich! Die Suppe ist noch heiß.“
„Danke.“
Er lief um mich herum und ich spürte kurz seine Hände auf meiner Schulter.
„Morgen, du Verräter…“, meinte er leise, küsste mich auf den Kopf, bevor er sich neben mir niederließ.
Sofort schoss mir Blut ins Gesicht. Noch nie hatte So-Woi solche Zärtlichkeiten vor jemanden anderem gezeigt, schon gar nicht vor Grandma. Sie aber lachte nur, gab keinen Kommentar zu dieser Aktion.
„Sollen wir Hyun-Woo nicht lieber wecken?“, wollte meine bessere Hälfte wissen.
„Ich denke, es ist besser, wir lassen ihn schlafen“, antwortete Grandma.
So-Woi nickte und schaufelte die Suppe in sich hinein.
„Man könnte meinen, du hast schon lange nichts mehr zu essen bekommen“, raunte ich ihm zu.
„Was denn? Bei Grandma schmeckt es eben gut!“
„Ah, mein Essen ist dir wohl nicht mehr gut genug…“
Ich wusste echt nicht, was mit mir los war, warum mir die Worte so leicht über die Zunge glitten. Auf alle Fälle fing Grandma laut an zu lachen und So-Woi schaute mich verwundert an.
„Natürlich esse ich gern dein Essen. Habe ich mich je beschwert?“
„Kinder, ihr werdet euch doch jetzt nicht streiten?“
„Nein Grandma, es macht nur Spaß ihn aufzuziehen“, rutschte mir heraus.
So-Wois Blick war tödlich.
„Du scheinst gut geschlafen zu haben“, war alles, was So-Woi darauf sagte.
„Das ist aber nicht nett, Enkel. Als ich vorhin nach euch schaute, saß Jae-Yun auf dem Bett und du hast ihn als Kissen missbraucht.“
So-Woi schaute zwischen Grandma und mit verwundert hin und her.
„Du…, du hast die ganze Nacht so da… gegessen?“
Ich nickte.
„Wow“, das einzige Wort, was So-Woi heraus brachte.
Mir wurde dieses Gespräch etwas peinlich und ich änderte einfach das Thema.
„Grandma hat mich gefragt, ob Lucas noch mit jemand anderen Ärger hat.“
„Wieso?“
„Weil Lucas Onkel mir am Telefon erklärte, dass der Professor, mit dieser Sache anscheinend nichts zu tun hat.“
„Wie kommt der denn…“
Mitten im Satz brach So-Woi ab und starrte auf den Tisch.
„So-Woi…?“
Er reagierte nicht, sondern zog sein Handy heraus. Wen um alles in der Welt wollte er jetzt anrufen?
„Hallo… hier spricht So-Woi… Eun Mi, kannst du mir sagen, ob dieser Gwang-jo, den wir entlassen haben, seine Papiere abgeholt hat?“
Grandma sah mich fragen an.
„Eun Mi ist eine seiner Sekretärinnen“, flüsterte ich ihr zu.
„Nicht…, wäre es möglich mir seine Adresse aufs Handy zu schicken… ja? Danke…, nein ich weiß nicht, wann wir in der Firma erscheinen werden, denn uns ist etwas Familiäres dazwischen gekommen…, wenn etwas ist einfach mich oder Hyun-Woo anrufen…, Jack ist ebenso erreichbar.“
Ich hatte echt keine Lust heut in die Firma zu fahren, Hyun-Woo und auch Lucas waren mir jetzt viel wichtiger.
„Danke… ach so… den müssen wir leider absagen, oder ihr überlegt euch etwas… ja… danke…bye!“
So-Woi drückte das Gespräch weg und legte sein Handy auf den Tisch.
„Alle Achtung, man könnte meinen, du machst dass schon eine Weile“, meinte Grandma.
Er lächelte.
„So gesehen ja…, früher habe ich meine Termine mit Jack abgesprochen, jetzt macht das die Sekretärin für mich.“
„Warum hast du nach Gwang-jo gefragt?“, wollte ich wissen.
„Das ist nur so eine kleine Idee. Jack, fährst du mit mir zu Lucas Onkel?“
„Was möchtest du denn von dem?“, fragte nun Grandma.
„Eine Idee aus diskutieren!“
Jack
„Entschuldigung, wir möchten gerne bitte zu Police Officer Park Min-Chul“, sagte So-Woi.
Ohne erklärende Worte waren wir zur Polizeistation gefahren. Wie Grandma vorgeschlagen hatte, ließen wir Hyun-Woo schlafen. Grandma wollte sich um ihn kümmern.
„In welcher Sache, der Kollege ist im Augenblick mit einem Fall beschäftigt“, sprach der Polizist hinter der Glasscheibe.
„… wegen der Entführung seines Neffen?“
Ich fand den Ton, den So-Woi drauf hatte, etwas harsch.
„Okay…, wie ist ihr Name…?“
„Chung So-Woi!“
„Einen Moment bitte…“
Der Mann verschwand.
„… warum bist du so genervt?“, fragte ich ihn flüsternd ins Ohr.
„Weil es mir zu langsam geht.“
„Der Mann macht nur seine Aufgabe“, sagte ich und streichelte ihm dabei über den Rücken.
„So-Woi?!“, hörte ich eine mir bekannte Stimme.
Ich drehte mich um und sah Lucas Onkel auf uns zu laufen.
„Onkel Min-Chul“, kam es von So-Woi.
Wenigstens lächelte er wieder ein wenig.
„Was führt euch her, ihr hättet doch anrufen können.“
„Mir ist da etwas eingefallen, darüber wollte ich nicht am Telefon reden, nachher werden wir noch abgehört.“
„Junge, jetzt übertreib mal nicht. Wir wissen zwar immer noch nicht, wer da alles mit drin hängt, aber ich glaube kaum, dass die jetzt so weit gehen.“
„Deinen Neffen haben sie auch entführt“, warf ich nun ein.
Onkel Min-Chul sah mich wortlos an. Er hob die Hand und wies uns an zu folgen. Dann setzte er sich in Bewegung. Einmal den Flur runter und dann um die Ecke, dort blieb er vor einer Tür stehen.
Ich konnte „Vernehmungszimmer“ auf dem kleinen Schild lesen. Lucas Onkel schob uns hinein und schloss die Tür.
„Setzt euch bitte!“
Wir machten, was ums gesagt wurde und ich ließ mich neben So-Woi nieder.
„Da wir vermuten, dass auch hier in der Station eine undichte Stelle ist, haben wir es nicht an die große Glocke gehängt, dass Lucas mein Neffe ist. Es wird immer von einem deutschen Urlauber geredet…“
„Aber was ist mit Juen? Er ist auch verschwunden?“, fragte So-Woi.
„Es ist bekannt, dass Juen einen Spezialauftrag hat und deswegen nicht anwesend ist…, es vermisst ihn deswegen niemand.“
„Heißt das…?“
„Ja, nach Juen wird offiziell nicht gesucht.“
Ich glaubte nicht, was ich da hörte. Das war ihr Kollege und sie suchten nicht nach ihm? Waren sie nicht immer angestrengt, wenn ein anderer Polizist mit der Sache zu tun hatte. Ich verstand das nicht, aber schwieg weiter hin.
„Aber was ist der Grund, warum ihr hier seid?“
„Meine Grandma hat mir erzählt, dass ihr die Vermutung geäußert habt, dass der Professor nichts mit Lucas Entführung zu tun hat.“
„Ja, das ist eine ganz komische Sache. Ein Informant hat uns zu getragen, dass Professor Kim Byung-Hwan zurück gepfiffen wurde und bis auf weiteres dieser Medikamentenhandel eingestellt wurde.“
„Hä? Heißt das, ihr könnt ihn jetzt nicht festnehmen?“, fragte ich entsetzt.
„Nein! Wir werden nur länger brauchen alles aufzudecken, es fehlen immer noch ein paar Beweise.“
„Und dieser Informant hat gesagt, der Professor hat nichts mit der Entführung zu tun?“, kam es von So-Woi.
„Er hat nur angedeutet, dass dies nicht zu dieser Gruppe passen würde…, die würden gleich kurzen Prozess machen…“
Ich schloss die Augen. Ich wollte mir nicht ausmalen, was das für Lucas hieß. Meine Sorge um ihn verstärkte sich eher noch.
„Aber So-Woi, warum fragst du nach dem Professor? Habt ihr neue Informationen?“
„Nein, das nicht, ich habe da eher eine verrückte Idee.“
Onkel Min-Chul wollte etwas sagen, aber sein Handy meldete sich. Er zog es aus seinem Jacket und nahm das Gespräch an.
„Police Officer Park Min-Chul!“
„Onkel Min-Chul, hier spricht Hyun-Woo.“
„Hyun-Woo…“
Ich schaute auf, als ich Hyun-Woos Namen hörte. Lucas Onkel drückte eine Taste und legte das Handy vor uns auf den Tisch.
„Ich…, ich habe eben… habe eine Mitteilung bekommen… die wollen 130 Millionen Won(*) …, wenn ich sie nicht zahle…, sehe ich Lucas nie wieder…“
(*) ca. 100.000 Euro
„WAS?“
Ich fuhr etwas zusammen, als Onkel Min-Chul laut was rief. Er schloss die Augen und rieb sich die Stirn. Leise hörte ich Hyun-Woo weinen.
„Hyun-Woo hör mir zu…, versuch ruhig zu bleiben… wo bist du jetzt?“
„Immer noch bei So-Wois Großmutter.“
Wir nickten.
„Hyun-Woo, bist du alleine?“
„Ja.“
„Dann geh bitte zu So-Wois Grandma, oder zu Mr. Ri. Du sollest jetzt auf keinen Fall alleine sein!“
„Ja…“
„Wir kommen zu dir.“
Keine Antwort kam, nur schluchzen war zu hören.
„Hyun Woo?“
„…ja…?“
„Versuch dich bitte zu beruhigen und mach das was ich dir gesagt habe.“
„…okay…“
„Ich lege jetzt auf und wir sind gleich bei dir.“
„… okay…“
Lucas Onkel nahm sein Handy und drückte das Gespräch weg.
„Los kommt!“, kam es von ihm und er griff schon nach dem Türknopf.
„Halt“, rief So-Woi.
„So-Woi, wir müssen uns beeilen.“
„Ich wollte nur sagen, dass passt irgendwie zu meiner Vermutung.“
„Welche Vermutung?“
„Du hast ja sicher mit bekommen, dass wir Ärger mit unserem Sicherheitspersonal hatten.“
„Ja und?“
„Wir haben den Schuldigen entlassen…“
„Du glaubst also, dieser Typ will sich nun rächen, weil er wegen Lucas entlassen wurde.“
„Wer das so abwegig?“
Auch mich überraschte So-Wois Vermutung und musste zu meiner Schande gestehen, dass ich an diesen Kerl überhaupt nicht mehr gedacht hatte. Und jetzt wo So-Woi dies geäußert hatte, fiel mir auch wieder ein, dass der Typ, als ich ihn höchst persönlich zum Ausgang beförderte, rief, dass wir das bereuen würden.
Leider hatte ich dem Ganzen keine weitere Beachtung geschenkt. So-Woi schob mich ohne Worte zum Flur hinaus.
„Du fährst!“, meinte er nur.
*-*-*
Als wir ankamen, erwartete uns bereits Mr. Ri auf der Treppe.
„Wo ist Hyun-Woo Mr. Ri“, rief So-Woi schon beim Aussteigen.
„Bei ihrer Großmutter, Master So-Woi…, ich bringe sie zu ihnen. Police Officer Park Min-Chul…“
Er nickte Lucas Onkel zu. Ich verschloss den Wagen und folgten den Drei ins Haus. Grandma schien mit Hyun-Woo in der Bibliothek zu sein, denn Mr. Ri lief geradewegs zu dieser Tür, die offene stand.
„Ceo… ihr Enkel ist eingetroffen!“, hörte ich Mr. Ri sagen.
Er und So-Woi verschwanden mit Onkel Min-Chul im Zimmer. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich auf der Empore eine Bewegung und schaute nach oben. Dort konnte ich nur noch einen Rücken sehen, der verschwand.
Ich blieb abrupt stehen und rannte dann die Treppe hinauf, konnte aber niemanden entdecken.
„Jack?“, hörte ich Mr. Ri rufen.
Ich schaute hinunter und sah ihn am Ende der Treppe stehen. Ich schaute noch einmal den Flur hinunter und ging dann hinunter zu ihm.
„Mr. Ri, befindet sich jemand auf dem oberen Stockwerk?“
„Nicht dass ich wüsste…, oder doch, das Zimmermädchen vielleicht, dass die Zimmer reinigt. Warum fragen sie?“
„Ach nichts…“, meinte ich nachdenklich und betrat nun auch die Bibliothek.
*-*-*
Juen
Scheiße, das tat weh. Zu dem ärgerte ich mich, dass ich so wie ich lag, nicht zu Lucas sehen konnte.
„Juen“, hörte ich Lucas Stimme.
Ich hob vorsichtig den Kopf und schaute zu ihm.
„…das Seil…“
Ich wusste nicht, was er meinte.
„Das Seil bei dir.“
Mist, daran hatte ich nicht gedacht, aber ich konnte jetzt nichts tun, denn ich hörte Schritte und ließ wieder meinen Kopf sinken.
„Du bist sicher, sie sind wach?“, hörte ich jemand sagen.
„Das hat Gwang-jo behauptet“, sagte eine andere Stimme.
„Schau, die sind noch beide weggetreten.“
Die Schritte waren nicht mehr zu hören.
„Gwang-jos Bruder ist echt ein Arsch!“, war nun wieder die erste Stimme zu hören.
„Warum das denn? Lass das nicht Gwang-jo hören, du weißt doch, wie sehr er ihn immer in den Himmel hebt.“
„Er hat trotzdem nichts in der Birne. Du hast doch selber gehört, wie er geprahlt hat, dass er die Jungs ganz alleine gefesselt hat!“
„Ja und?“
„Schau, bei dem auf dem Boden liegt das Seil neben den Beinen. Was ist, wenn der aufgewacht wäre…, komm den fesseln wir richtig!“
Ich hörte die Schritte auf mich zukommen und hielt die Luft an. Unsanft wurde meine Beine hoch gerissen und ich hatte Mühe keinen Laut von mir zu geben. Dann spürte ich, wie das Seil um die Beine gewickelt wurde.
Aber nicht nur das. Jemand hob meine Arme und wurde mit den Beinen zusammen gebunden. Der Schmerz, der mir dabei in den Rücken fuhr, ließ mich aufheulen.
„Siehst du, er kommt wieder zu sich!“
Doch bevor ich die Augen richtig öffnen konnte, schlug mir der eine ins Gesicht und ich wurde ohnmächtig.
*-*-*
So-Woi
Hyun-Woo hatte sich etwas beruhigt und saß nun neben Jack auf der kleinen Couch. Als ich vorhin das Zimmer betreten hatte, war er mir weinend um den Hals gefallen. Ich stand bei Onkel Min-Chul und lass mit ihm die Mitteilung, die Hyun-Woo bekommen hatte.
„Die Nummer ist natürlich unbekannt“, meinte er und ließ das Handy sinken.
„Kann man die Nummer nicht heraus finden?“, fragte ich.
„Wir dürfen nur mit richterlichem Beschluss, Anrufe oder Mitteilungen nachverfolgen und das geht recht lange“, antwortete Lucas Onkel frustriert.
„Aber dennoch kann man es versuchen“, meinte Grandma.
„Ja…“
Min-Chul trat zur Seite und tätigte einen Anruf.
„So-Woi, was meinte vorhin Jack mit diesem Sicherheitsbeauftragten?“, fragte Grandma nun mich.
„Ach, das ist nur so ein Gedanke Grandma. Du weißt doch, dass einer von Jacks Leuten Lucas nicht erkannt hat und ihn zu Boden gedrückt hatte.“
„Lucas Verletzung an der Wange.“
„Ja. Jack hat ihn gefeuert.“
„Das ist auch recht so.“
„Ich gebe dir recht, Grandma…, mir kam nur der Gedanke, was ist, wenn dieser Gwang-jo sich jetzt an Lucas rächen will?“
„Aber daran ist doch Lucas nicht schuld“, kam es jammernd von Hyun-Woo.
„Hyun-Woo, dass wissen wir auch“, sagte Grandma.
„…aber weißt du, wie dieser Typ tickt?“, fügte ich noch an.
Hyun-Woo schüttelte den Kopf.
„Aber warum haben sie dann Juen mitgenommen?“, fragte Jack, „den hätten sie doch einfach wehrlos machen und zurücklassen können?“
Die Frage war berechtigt. An Juen hatte ich vor lauter Lucas überhaupt nicht mehr gedacht.
*-*-*
Lucas
„JUEN!“, schrie ich.
„Schau, der andere ist auch wach…, warte, dem werde ich schon das Maul stopfen!“, sagte der eine Typ und kam auf mich zu.
Ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich versuchte mich zu bewegen, bereute es aber sofort, denn ich kippte nach hinten. Hart schlug ich mit dem Kopf auf den Boden auf. Aber nicht nur das schmerzte, sondern auch, dass der Typ mich an den Haaren hochzog.
Ich schrie laut, was aber gleich unterbunden wurde, denn der Typ band mir einen Knebel um den Mund. Dann stieß er meinen Kopf zurück und schlug mir zum zweiten Mal den Kopf an.
Es trieb mir die Tränen in die Augen.
„Was machen wir jetzt?“, rief der andere.
„Nichts, wir sollen nur nach den beiden schauen.“
„Du willst wieder gehen?“
„Ich habe dir schon auf der Herfahrt gesagt, dass ich Hunger habe…, also komm!“
„ …du hattest recht Sang-Won ist echt ein Trottel!“
„Wieso?“
„Da liegt ein Handy neben dem Jungen.“
„Scheiße! Schau bei dem anderen, ob er auch sein Handy noch hat!“
Jack
Während Lucas Onkel von einer der Fahrer zur Polizeistation zurück gebracht wurde, saßen wir drei im Wagen Richtung Firma. Ich schaute mehrfach in den Rückspiegel, denn ich machte mir wirklich Sorgen um Hyun-Woo.
Ich hatte ihn noch nie so verzweifelt gesehen, vielleicht abgesehen, als ihm bei Jae-Joongs Vater gekündigt wurde. Ich kannte Hyun-Woo schon lange, wusste, dass er sehr loyal und hilfsbereit war.
Das Wort Nein gab es bei ihm nie, bis vielleicht Lucas auftauchte. Da taute er auf und zeigte sein wahres ich, dass nur wenige kannten. Ich hätte nie gedacht, dass er einen Menschen so lieben konnte, wie er das bei Lucas tat.
Nun saß er hinter mir, ein kleines Häufchen Elend und war nicht mehr wieder zu erkennen. Dass ihn So-Woi in die Firma schleifte, verstand ich nicht. Unsere Arbeit lenkte Hyun-Woi sicher nicht ab.
Ein Gutes hatte es vielleicht, so hatte ich ihn im Auge und er konnte keinen Blödsinn anstellen. Etwas anderes machte mir mehr Sorgen. Nicht nur dass keiner etwas über Lucas seiner Familie erzählen wollte, niemand schien sich Gedanken wegen Juen zu machen.
Der Junge war frisch von der Akademie gekommen und gleich mit so etwas großen beauftragt worden. Dass er sich wären konnte, wusste ich mittlerweile, aber trotzdem war die Entführung geschehen.
Es wurde ja auch nur für Lucas Lösegeld verlangt und Juen war mit keinem Wort erwähnt worden. Ich konnte nur hoffen, dass es beiden den Umständen entsprechend gut ging. Dieses zum Nichtstun verdonnert worden zu sein, machte mich fast zurück.
Ich war mir mittlerweile sicher, dass dieser Gwang-jo seine Finger drin hatte. Ihn anzustellen war ein Fehler. Ich hatte mich wahrscheinlich von seinem Bewerbungsbogen blenden lassen. Die Firma kam in Sicht und ich bremste den Wagen ab.
So-Woi neben mir schien ebenso in seinen Gedanken versunken zu sein. Er hatte nicht einmal den Blickkontakt gesucht, noch zu Hyun-Woo etwas gesagt. Die zwei Männer am Tor nickten mir zu, als ich es durchfuhr.
Der Wagen kam vor dem Haus zu stehen, das Brummen des Motors erstarb. Auch jetzt zeigte So-Woi keinerlei Reaktion. So stieg ich aus, öffnete Hyun-Woos Tür und zog ihn langsam aus dem Wagen.
„Möchtest du bei So-Woi bleiben…?“
„Nein, ich gehe in mein Büro…“
„So-Woi kommst du?“, rief ich ins Wageninnere.
„Hm… ja!“
Ich wusste nicht wo er mit den Gedanken war. Als So-Woi ausgestiegen war, verschloss ich den Wagen. Ich hielt beiden die Eingangstür auf und wartete bis beide im Aufzug verschwunden waren.
Als ich gerade mein Büro betreten wollte, kam Fu-Chen aus den Umkleideräumen.
„Ah Fu-Chen, gut dass ich dich treffe. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du doch mit diesem Gwang-jo zusammen trainiert.“
„Aber nicht lange Chef. Nach dem wir hier angefangen haben, mutierte er privat zum Arschloch…, Entschuldigung, wenn ich so offen spreche…, ich bin froh, dass er weg ist.“
„Kein Problem, deswegen wurde er ja auch entlassen.“
„Dann kann er ja jetzt seinen eigenen Sicherheitsdienst aufziehen, wie er immer angekündigt hatte. Die Stelle hier wäre nur zum Übergang, lange würde er nicht bleiben.“
„Für einen Sicherheitsdienst braucht man Leute, denen man vertraut.“
„Die hat er… seine Freunde und auch sein jüngerer Bruder, war auch oft beim Training dabei. Aber Chef, wenn ich ehrlich bin, ich habe mich dort in dem Fitnesscenter nicht mehr wohl gefühlt, deshalb habe ich auch gewechselt.“
Das war interessant zu hören. Fu-Chen verschwand in der Küche und ich schloss meine Bürotür hinter mir.
*-*-*
Lucas
Seit ich hier im Dreck lag, musste ich ständig husten. Warum der eine mir eine noch herunter gehauen hatte, verstand ich nicht. Meine Wange brannte fürchterlich und meine Tränen bahnten sich ungehindert ihren Weg durch das staubige Gesicht.
Juen lag auf meiner Rückseite, so konnte ich nicht sehen, wie es ihm ging. Rufen war auch unmöglich, der Knebel war einfach zu fest. Ein scharrendes Geräusch ließ mich zusammen fahren.
Kamen die Männer wieder zurück. Ängstlich schaute ich Richtung Steinmauer, hinter der sie verschwunden waren.
„Lucas…?“, hörte ich plötzlich Juens hustende Stimme.
Ich konnte ja nichts sagen, so sehr ich es auch versuchte, es kamen nur komische Geräusche heraus. Das scharrende Geräusch kam näher.
„Lucas, ist alles… hust… in Ordnung mit dir?“
Ich nickte.
„Ich versuche dich loszubinden…“
Wie wollte er das in dem Zustand machen? Mir war es ja jetzt schon ein Rätsel, wie er bis zu mir geschafft hatte, so gefesselt wie er war. Plötzlich wurde mein Kopf sanft nach vorne gestoßen.
„Boah ist das fest…“, hörte ich Juen direkt hinter mir.
Konnte er seine Hände doch noch so weit bewegen, dass er den Knoten aufbekam? Immer wieder wurde mein Kopf leicht nach hinten gezogen und Juen gab komische Laute von sich, immer wieder unterbrochen vom Husten.
Plötzlich lockerte sich der Knebel und ich schaffte es mit Mühe ihn aus zu spucken. Ich drehte meinen Kopf, soweit es mir möglich war nach hinten und sah Juen direkt mit seinem Kopf an meinem lag.
Sein Gesicht war voll Dreck und er hustete immer wieder.
„Wie hast du das jetzt hinbekommen?“
Er lächelte mich an. In diesem Zustand noch lächeln zu können, alle Achtung.
„Wie haben in der Akademie… hust… immer unsere Spielchen mit Entfesselungskünsten… hust… gemacht und darin war ich recht gut!“
In dieser Haltung tat mir schnell der Nacken weh und mein Kopf glitt wieder nach vorne.
„Du bist echt verrückt, weißt du das?“
„Vielleicht hat mich gerade deswegen… hust… dein Onkel für diese Stelle vorgeschlagen?“
Ich schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Der Kiefer tat weh und sonst auch alles an meinem Körper.
„Es tut mir leid, dass du da mit hinein gezogen wurdest, Juen.“
„Lucas, bitte, sag so etwas nicht.“
„Doch, doch! Du hast dir deinen Dienst bei der Polizei doch sicherlich anders vorgestellt?“
Wieder hörte ich die scharrenden Geräusche und schaute nach hinten. Yuen wand sich fast wie ein Aal und brachte es so fertig sich fortzubewegen. Er machte sich an den Fesseln an meinem Rücken zu schaffen.
„Und was machen wir, wenn die beiden zurück kommen“, fragte ich.
„Ich hoffe, dass wir dann weg sind!“
*-*-*
Hyun-Woo
Ich überflog die Aktennotiz und stellte fest, ich las zwar, aber verstand kein Wort was dort stand. Ich rieb mir durchs Gesicht und versuchte mich zu konzentrieren. Aber immer wieder sah ich Lucas ängstliches Gesicht vor mir.
Er hatte sicher Angst, davon war ich felsenfest überzeugt. Meine Tür zum Büro wurde aufgezogen und ich schaute auf. Dort tauchte Jack auf.
„Hyun-Woo kommst du bitte rüber zu So-Woi?“
Dann verschwand er wieder aus meinem Blickfeld. Mühsam stand ich auf und folgte ihm. Als ich So-Wois Büro betrat, stand Jack neben So-Woi und tippte irgendetwas an dessen Laptop ein.
„Ich habe mich etwas umgehört und von den Kollegen unten gehört, dass Gwang-jo den Plan hatte, einen eigenen Sicherheitsdienst aufzuziehen“, erklärte Jack.
Ich schloss hinter mir die Tür und gesellte mich zu den beiden.
„Dann habe ich noch mit Mr. Ri kurz geschlossen und etwas später erfahren, dass Gwang-jos Vater einmal eine Firma, die Sportartikel herstellte, am Rande der Stadt führte.“
„Nicht mehr?“, fragte So-Woi.
Ich hatte den Schreibtisch umrundet und stand nun auf der anderen Seite neben So-Woi. So konnte ich auch auf So-Wois Laptop schauen.
„Nein, der Vater ist gestorben und die Firma wurde geschlossen. Aber das Gebäude, oder besser gesagt, die Halle gibt es noch…“
Auf So-Wois Laptop erschien ein Bild dieser Firma aus besseren Tagen.. Jack zeigte auf einen Hallenkomplex, neben dem Hauptgebäude.
„Dort vermute ich, sind Lucas und Juen, denn das Grundstück gehört immer noch der Familie Jo. Gwang-jo hat wohl damit geprahlt, dort eine Sportschule eröffnen zu wollen.“
„Große Pläne, der gute Mann, die man mit dem Lösegeld verwirklichen könnte“, meinte So-Woi nachdenklich.
„Seid ihr euch wirklich sicher, dass es dieser Gwang-jo ist, der meinen Lucas entführt hat und hast du schon Onkel Min-Chul davon in Kenntnis gesetzt, was du heraus gefunden hast?“, fragte ich aufgeregt.
„Es passt alles irgendwie zusammen und von diesem Professor hast du deine Mitteilung nicht bekommen.“
Die Tür wurde aufgerissen und Jae-Joong kam herein gestürmt.
„Boah…, jeder frägt mich nach Lucas und ich muss ständig lügen…, gibt es schon etwas Neues?“
*-*-*
Lucas
Meine Arme waren lahm, ich konnte sie fast nicht bewegen. Da ich jedes Zeitgefühl verloren hatte, wusste ich nicht, wie lange ich gefesselt gewesen war. Juen hatte es doch tatsächlich geschafft, meine Fesseln am Rücken zu öffnen.
Er selbst lag immer noch zusammengeknotet. Trotz der Hände ohne Gefühl, machte ich mich daran, meine Beine loszubinden, damit ich mich wieder komplett bewegen konnte. Doch das erwies sich als schwieriger, als ich dachte.
Die tauben Finger gehorchten nicht so wie sie sollten, so dauerte es doch recht lange, bis ich irgendetwas lockerte. Die Angst, dass die Männer wieder kamen, trieb mich jedoch an und so war es ein cooles Gefühl, als der Druck auf meinen Waden endlich nachließ und ich mich auch von der letzten Fessel befreien konnte.
Sofort machte ich mich daran, Juen zu befreien.
„Lucas, hört mir bitte zu! Geh und versuch Hilfe zu finden!“
„Ich kann dich doch hier nicht alleine liegen lassen!“
„Doch du kannst!“
„Nein Juen, das kannst du nicht von mir verlangen! Entweder wir marschieren hier gemeinsam heraus, oder gar nicht!“
„Bitte Lucas…, sei doch vernünftig.“
„Ich bin vernünftig!“
Der erste Erfolg stellte sich ein und einer der zahlreichen Knoten ließ sich öffnen. Auch wich langsam das taube Gefühl der Finger. Juen streckte sich, obwohl Hände und Beine noch immer mit dem Seil umwickelt waren.
Woher dieser kleine Kerl seine Kraft nahm, wusste ich nicht. Als ich dann mit Mühe und Not auch seine Hände befreien konnte, hörte man draußen erneut einen Wagen. Wir beide sahen uns geschockt an.
„Lucas, geh!“, befahl mir Juen.
„Einen Teufel wird ich…“, fluchte ich und zog mit aller Kraft am letzten Knoten. Da auch Juen seine Freiheit fast wieder erlangt hatte, zogen wir gemeinsam an dem letzten Seil herum.
Das Wagengeräusch war verschwunden. Jede Sekunde würden die Männer sicher wieder auftauchen.
Yuen brachte es fertig die letzte Fessel an seinen Beinen zu lösen. Fast panisch zog ich an dem Seil, das seine Beine zusammenhielt. Nun waren Stimmen und Schritte zu hören und Juen endlich frei.
Aber wie ich, hatte er genauso kein rechtes Gefühl in seinen Beinen. So halfen wir uns gegenseitig aufzustehen.
„Da hinüber!“, flüsterte mir Juen zu und zeigte auf einen Mauervorsprung.
Gemeinsam wankten und humpelten wir Richtung Mauer.
Jack
Natürlich hatten wir sofort Lucas Onkel informiert, aber der verbot uns ausdrücklich dort auf eigene Faust hinzufahren, das wäre viel zu gefährlich. Wir brauchten nicht lange, um zu entscheiden, dass wir selbstverständlich dort hinfuhren und versuchten Lucas zu befreien.
Wie wir das anstellen wollten, darüber hatte sich keiner von uns Gedanken gemacht. Jeder wollte einfach nur Lucas wieder haben, so waren wir unüberlegt in den Wagen gestiegen und losgefahren.
„Jack, bitte übertreib es nicht“, mahnte mich So-Woi und ich ging etwas vom Gas herunter.
„Fehlt uns noch, dass wir von der Polizei wegen zu schnellen Fahren angehalten werden“, sagte Jae-Joong von hinten.
Mein Blick wandert ständig zum Navi, ob ich auch richtig war. Ich hoffte so, dass meine Überlegungen richtig waren. Was machten wir, wenn wir Lucas und Juen dort nicht fanden. Eine falsche Fährte.
Es musste dieser Gwang-jo sein, denn warum würde der Professor Lösegeld verlangen, er hatte wahrscheinlich genug Geld und hätte Lucas bestimmt um die Ecke gebracht. Bei dem Gedanken, lief es mir kalt den Rücken herunter und es schüttelte mich.
Ich spürte So-Wois Hand auf meinem Schenkel, fragend schaute er mich an. Ich lächelte ihn kurz an und sah dann wieder auf die Straße. Seine Hand verschwand wieder. Meine Gedanken wanderten wieder zu diesem Gwang-jo.
Egal in welche Richtung ich dachte, immer wieder kam ich auf ihn. Wenn Gwang-jo eins und eins zusammen zählen konnte, wusste er sicher, dass wir auf der Beerdigungsfeier von Jonghyun waren.
Uns dort aufzulauern war ein Leichtes. Er kannte unsere Wagen, musste also wissen, wo wir hinliefen. Das Lucas vor uns hinaus gegangen war, war reiner Zufall. Leider! Ich verstand Hyun-Woos Gedankenspiel, dass er sich für die Entführung von Lucas schuldig fühlte.
Auch mich beschlich langsam das Gefühl mit schuld zu sein. Bisher dachte ich immer, Juen war bei ihm gewesen, was hätte ich tun sollen? Auch dass ich mich so in Gwang-jo geirrt hatte. Dass ich mich von einem Menschen so hatte täuschen lassen.
Seit ich mit So-Woi zusammen war, hatte ich gelernt, Menschen richtig einzuschätzen und bisher war ich immer recht gut damit gefahren. Bei diesem Gwang-jo hatte ich mich aber ordentlich vertan.
Das Navi gab an, dass ich rechts abbiegen musste an der nächsten Kreuzung. Die Ampel schaltete aber gerade auf gelb und so gab ich wieder Gas. Mit quietschenden Reifen fuhr ich um die Kurve.
„Jack!“, rief So-Woi laut und von hinten spürte ich eine Hand.
Hinter mir saß Hyun-Woo.
„Jack, ich möchte ebenso wie du Lucas so schnell finden wie es geht, aber wenn wir einen Unfall bauen, bringt uns das gar nichts.“
Seine ruhigen Worte brachten mich wieder herunter. Ich atmete tief durch.
„Entschuldigt…“, meinte ich nur und versuchte mich weiterhin auf die Straße zu konzentrieren, ohne aber das Navi aus den Augen zu lassen.
*-*-*
Lucas
Ich dachte, dass mit Back In-Jook wäre der schlimmste Moment in meinem Leben gewesen, als ich in die Mündung seiner Waffe schaute. Dies hier war schlimmer. Wir waren gerade um die Mauer und dachte, sie haben uns nicht gesehen, wurde es laut hinter uns.
„Die versuchen zu türmen“, hörte ich jemanden schreien.
Juen hatte mich am Armgelenk gepackt und zog mich hinter sich her. Woher wusste er, wo es hinging? Oder lief er geradewegs einfach drauf los, ohne zu wissen, wo wir hinmüssen? Nach mehreren Biegungen hatte sich meine Orientierung verabschiedet.
Vor uns kam ein Treppenhaus und ohne groß zu überlegen, zog mich Juen die Treppe hinunter, immer noch die Geräuschkulisse unserer Verfolger im Nacken.
„Juen, weißt du, wo wir hinmüssen?“, fragte ich leise.
„Wie denn, schon vergessen, ich war vielleicht bewusstlos, als wir hier her gebracht wurden!“
Ich wollte stoppen, aber Juen zog mit einer Kraft, die das unmöglich machte. Als wir unten ankamen, stoppte Juen plötzlich und ich rannte voll auf ihn drauf. Er schaute sich um und zeigte dann auf das Licht am Ende der Halle.
Wenn ich mich nicht täuschte, war das mal eine Tiefgarage oder Lager gewesen. Juen setzte sich in Bewegung und ich ruckte nach vorne, weil es heftig war. Natürlich fiel ich hin. Ich verbiss mir einen Aufschrei, aus Angst, die anderen könnten uns hören.
„Sorry Lucas…, ist dir was passiert?“, fragte Juen und half mir auf.
„Es geht…“
„Komm!“, meinte er nur.
Das Knie tat mir weh und ich humpelte ihm hinter her, so schnell es ging. Plötzlich blieb Juen stehen.
„Ich nehme dich huckepack!“, meinte er nur und ging vor mir Stellung.
„Ich bin doch fiel zu schwer…!“
„Lass das mal meine Sorge sein!“, erwiderte er nur und zog mich zu sich.
Mühsam legte ich meine Arme über seine Schulter und er drückte mich nach oben. Er griff nach meinen Beinen und rannte los. War ich ein Leichtgewicht für ihn? Wieder kam die Frage auf, woher er diese Kraft nahm. Das Licht was wir eben gesagt hatten, schien eine Ausfahrt zu sein.
Langsam kamen wir näher und meine Hoffnung stieg wieder, dass wir es wenigstens nach draußen schafften, bevor uns unsere Verfolger einholten. Ich war mir auch nicht sicher, ob sie noch direkt hinter uns waren, so oft, wie Juen abgebogen war, konnte man uns eigentlich nur schwer folgen.
Es wurde immer heller und die Ausfahrt war schon zum Greifen nah, als ich hinter uns Stimmen hörte.
„Dahinten sind sie!“, schrie einer der Verfolger.
„Ganz ruhig, Lucas, wie haben es gleich geschafft!“, kam es von Juen.
Wie sollte ich ruhig bleiben, draußen würde man uns sicher weiter verfolgen, wenn da nicht schon irgendwer auf uns wartete.
*-*-*
Jack
Noch fünfhundert Meter, dann sollte die Firma kommen. Alles was ich aber sah, waren eine Mauer und dichtes Gebüsch. Sehr verwahrlost dachte ich für mich noch und hätte fast die Einfahrt verpasst, wenn So-Woi nicht geschrien hätte.
Hart stieg ich in die Bremse und kam zu stehen. Die Reifen quietschten erneut, als ich das Stück zurück setzte. Ich gab Gas und der Wagen machte einen kleinen Satz Richtung Einfahrt.
„Und wo sollen wir da jetzt suchen, das Gelände scheint riesig!“, kam es von Jae-Joong.
„Haltet einfach Ausschau, ob ihr irgendwo etwas Auffälliges seht, einen Wagen zum Beispiel“, antwortete ich.
Ich war über die Größe des Geländes genauso überrascht, wie die anderen. Auch hatte man keinen richtigen Blick in alle Richtungen. Überall wuchs wildes Gestrüpp und verhinderte die freie Sicht.
„Stopp Jack, ich glaube ich habe dahinten Rücklichter eines Wagens gesehen“, kam es von Hyun-Woo.
Wieder hielt ich an, setzte zurück und fuhr in die Richtung, die Hyun-Woo gezeigt hatte. Und er hatte Recht, da standen bei einer Halle zwei Wagen und wenn ich mich nicht täuschte, gehörte eines der Wagen Gwang-jo, denn es hatte die gleichen Aufkleber, wie sein Wagen.
Ich ließ den Wagen ausrollen.
„Und jetzt?“, fragte Jae-Joong leise.
Darüber hatte ich nicht nach gedacht. Fast gleichzeitig sahen wie weiter hinten an der Halle aus der Versenkung kam.
*-*-*
Lucas
„Juen lass mich runter… bitte“, rief ich, las er an der Auffahrt immer langsamer wurde.
Ich strampelte etwas, und Juen ließ mich endlich los. Das Knie tat nicht mehr so weh und so begann ich gleich selbst zu rennen.
Juen war klar aus der Puste, so zog ich ihn den Rest der Rampe nach oben. Ich kniff mir die Augen zu. Heute war die Wolkendecke aufgerissen und die Sonne suchte sich ihren Weg.
„Lucas“, hörte ich jemand schreien und schaute in die Richtung, aus der ich den Ruf vermutete.
Ich traute meinen Augen nicht. In einiger Entfernung stand ein Wagen und ich konnte Hyun-Woo, Jack, So-Woi und Jae-Joong entdecken. Wie die vier uns finden konnten, war mir ein Rätsel.
„Komm Juen!“, rief ich und zog ihn weiter.
„Ich kann nicht mehr“, jammerte Juen.
Verständlich, nach dem Kraftakt. Ich zog seinen Arm über meiner Schulter und versuchte ihn zu stützen. Die anderen riefen ständig unsere Namen und winkten wie wild mit den Armen. Aber ich hörte noch etwas anderes. Es waren Sirenen. Sirenen der Polizei.
Waren wir wirklich gerettet? Aber nicht nur vor uns, sondern auch hinter uns wurde es laut. Es fiel ein Schuss und ich zog automatisch den Kopf ein. Juen und ich stoppten fast gleichzeitig. Unsere vier Freunde waren ebenso in Deckung gegangen.
„Bist du verrückt? Woher hast du die Waffe?“, hörte ich es schreien.
„Die habe ich bei dem Kleinen gefunden“, sagte ein anderer.
Ich drehte den Kopf und konnte vier Männer ausmachen. Zwei konnte ich erkennen, die waren vorhin da gewesen. Einer der anderen beiden kam mir bekannt vor, bis mir einfiel, war das nicht der Wachmann, der mich vor So-Wois Firma zu Boden gerissen hatte.
Hatte er mich entführt? Warum? Ich verstand gar nichts mehr.
„Komm!“, sagte Juen neben mir.
„Er hat aber eine Waffe!“
Juen schien das überhaupt nicht zu interessieren. Er griff wieder nach meinem Handgelenk und zog mich Richtung unserer Freunde.
„Juen…?“
„Stehenbleiben!“, schrie es hinter uns und es fiel erneut ein Schuss.
Dann ging alles sehr schnell. Juen wirbelte herum, so dass er plötzlich hinter mir war. Dann ruckte er und fiel mit einer Wucht auf mich, dass es mich zu Boden riss. Ich hörte Hyun-Woo meinen Namen schreien und gleichzeitig kamen mehrere Polizeiwagen aus allen möglichen Richtungen.
Juen lag auf mir und ich mit dem Gesicht im Dreck. Ein Polizeiwagen raste dicht an uns vorbei und scherte direkt hinter uns aus, so dass wir vor unseren Verfolgern verdeckt waren, gleichzeitig hörte ich mehrere Schüsse und ich blieb so liegen, aus Angst auch getroffen zu werden.
Mein Gott, Juen war getroffen worden, wurde mir klar. Deshalb lag er auf mir und rührte sich nicht. Noch mehr Wagen rasten an uns vorbei. Meine Hand wanderte zu Juen und rüttelte an ihm.
„Juen…Juen, was ist mir dir?“, schrie ich.
Mühsam versuchte ich mich zu drehen und Juen kullerte von mir herunter.
„Juen, sag doch was!“
Meine Stimme versagte langsam. Ich versuchte Juen zu mir zu ziehen, rüttelte ständig an ihm. Tränen liefen über mein Gesicht.
„Juen… bitte.“
Ich bekam nicht mehr mit, was um mich herum geschah. Nur noch ein Gedanke schwirrte in meinem Kopf herum. Erst hatte Jack sein Leben für mich eingesetzt und war fast draufgegangen.
Das Bild mit dem blutenden Jack kam mir wieder in den Sinn. Und nun Juen. Er hatte sich vor mich gewuchtet und die Kugel abgefangen, die auf mich gerichtet war. Leblos lag er nun in meinen Armen.
Ich tätschelte sein Gesicht, sagte immer wieder seinen Namen, aber er rührte sich nicht. Wie durch Watte hörte ich jemand meinen Namen rufen. Um uns herum standen Polizeiwagen und auch hier hörte ich nur gedämpft Stimmen.
Jemand zog an mir, Hände tauchten vor mir auf, aber ich wollte Juen nicht loslassen. Immer wieder sagte ich seinen Namen und schluchzte laut.
Ich bekam nur noch am Rande mit, dass Juen hochgehoben wurde und jemand sich neben mich kniete und an mir rüttelte.
„Lucas…, Lucas, bist du verletzt“, nahm ich schwach Hyun-Woos Stimme war.
Ich drehte meinen Kopf und sah in die verweinten Augen meines Freundes. Ich brachte nur Juens Name heraus. Jemand tastete mich ab, bevor ich spürte, wie jemand unter meine Beine und Arme griff und mich hochzog. Benebelt sah ich Jack, der mich auf die Arme genommen hatte, dann knipste jemand das Licht aus.
*-*-*
Als ich wieder die Augen aufschlug, lag ich in einem Bett. Hyun-Woo saß neben mir und wischte mir mit einem Tuch sanft über das Gesicht.
„Lucas…?“
Ich war froh ihn zu sehen und lächelte. Doch dann kam die Erinnerung, war alles nur ein böser Traum? Entsetzt fuhr ich hoch, bereute es aber gleich wieder. Mir wurde schwindlig.
„Lucas nicht, der Arzt hat dir absolute Ruhe verordnet… bleib bitte liegen.“
Tränen rannen über seine Wangen. Ich fiel ihm in seine Arme und drückte ihn fest an mich.
„Sag mir, dass das alles nur ein böser Traum war… sag mir, dass Juen noch lebt…“
Nun fing ich selbst an zu weinen. Hyun-Woo drückte mich sanft von sich weg und sah mich merkwürdig an.
„Lucas, es war kein Traum…, aber wie kommst du drauf, dass Juen nicht mehr lebt?“
Verwirrt schaute ich ihn an.
„Er… er hat sich doch für mich die Kugel eingefangen…!“
Plötzlich fing Hyun-Woo an zu lachen. Was sollte das jetzt? Er schüttelte die Hände vor meinem Gesicht und versuchte zu sprechen.
„Tut… tut mir leid, Lucas… entschuldige, aber du hast da sicher etwas Falsches gesehen.“
Konnte man noch verwirrter sein? Hyun-Woo griff nach meiner Hand und die andere wanderte zu meiner Wange und strich sanft die Tränen weg.
„Ja, du hast gesehen, oder gemerkt, dass Juen getroffen wurde, aber das mit seiner eigenen Waffe.“
„Hä?“
„Schon vergessen, Juen hat eine Übungswaffe… mit Gummigeschossen…“
„Er ist nicht tot?“
Hyun-Woo schüttelte den Kopf.
„Aber woher wusste Juen das… er ist einfach weitergerannt… fragte mich noch warum.“
„Du erinnerst dich, wie nach dem ersten Schuss der eine rief, er habe dem kleinen die Waffe abgenommen?“
Ich nickte.
„Da wusste Juen, dass es sich um seine eigene Waffe handelte, die nur mit Gummigeschossen geladen war.“
„Aber auch das tut doch sicher schrecklich weh, von diesem Gummigeschoss getroffen zu werden.“
„Deshalb war Juen auch kurz weggetreten, der Schmerz hatte ihm einfach den Atem geraubt.“
„Aber wie konnte er wissen, dass die Waffe nicht mit richtiger Munition geladen war?“
„Die Waffe ist nur für Gummigeschosse ausgelegt, kann also keine Patronen transportieren. Zudem scheint der Benutzer kein helles Licht zu sein. Er war Bruder von Gwang-jo.“
„Gwang-jo?“
„Der Typ, der dich fälschlicherweise als Eindringling empfunden und zu Boden gerissen hat.“
Um diesen Satz Nachdruck zu verleihen, strich er sanft mit dem Daumen, über die fast verheilten Kratzer, die ich mir dabei eingefangen hatte.
„Jetzt erinnere ich mich auch wieder. Die zwei Männer haben sich über einen Bruder lustig gemacht, der vergessen hatte, uns unsere Handys ab zunehmen und Juen richtig zu fesseln.“
„Konntet ihr euch deswegen befreien?“
„ Nein, das war erst viel später. Da war Juen dann richtig gefesselt.“
„Wie konntet ihr euch dann befreien?“
„Frag mich nicht. Ich weiß nur, dass ich geknebelt worden war und diesen Knebel hatte Juen als erstes geöffnet, wie weiß ich nicht. Mein Stuhl war umgekippt und ich sah nicht, was er hinter mir machte. Nach und nach hat er mich dann befreit.“
„Das ist jetzt auch egal, Hauptsache du bist nicht verletzt… hast du Hunger, du hast doch schon seit einer Weile nichts mehr gegessen.“
„Durst habe ich… und irgendwie Hunger auch.“
„Dir scheint es wieder besser zu gehen.“
„Sag das nicht, mir tut irgendwie alles weh“, meinte ich sank etwas in mich zusammen.
„Kein Wunder.“
„Wie komme ich in unser Schlafzimmer?“
„Nachdem der Arzt dich kurz untersucht hat und nichts gefunden hat, haben wir uns entschlossen, dich hier her zu bringen, da wir mit dem Krankenhaus immer noch nicht sicher sind.“
„Wurde der Professor noch nicht verhaftet?“
„Weiß ich nicht, dein Onkel ist gleich wieder verschwunden, nach dem wir dich hier her gebracht haben. Er hatte es sehr eilig.“
„Und Juen, wo ist der?“
„Liegt in seinem Bett und ruht sich aus.“
„Ach so….meinst du, ich kann nicht doch etwas aufstehen?“
„Eigentlich nicht…“
Ich sah ihn durchdringend an.
„Bitteeeee…!“
Genervt verdrehte Hyun-Woo die Augen.
„Aber nur hier in der Wohnung, nicht mehr.“
Ich hob die Hand.
„Ich schwöre, ich werde die Wohnung nicht verlassen“, sagte ich lächelnd.
„Kindskopf!“, sagte Hyun-Woo und drückte mich an sich.
*-*-*
Ich lag auf der Couch und starrte zur Decke, während Hyun-Woo in der Küche stand und uns etwas zu essen machte. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ mich automatisch in die Richtung schauen.
Ich sah Juen aus seinem Zimmer kommen. Er trug nur eine Jogginghose und hatte ein Handtuch um den Hals hängen. Zum ersten Mal sah ich, wie muskulös Juen war. Das hätte ich unter seinen Klamotten nie vermutet.
„Wie geht es dir, Juen?“, hörte ich Hyun-Woo fragen.
„Besser, die Salbe von Jack vollbringt wahre Wunder, ich spüre fast nichts mehr.“
Ich setzte mich auf und wollte etwas sagen, aber Hyun-Woo kam mir zu vor.
„Du hast versprochen liegen zu bleiben!“
Juen grinste. Etwas genervt und die Augen verdrehend, legte ich mich wieder hin.
„Brav“, meinte Hyun-Woo und tätschelte mir den Kopf.
Danach lief er zu Juen und betrachtete sich dessen Rücken.
„Sollen wir noch mal von dieser Salbe drauf tun, es sieht immer noch kriminell aus…“
Von was redete er? Juen drehte sich etwas und erst jetzt saß ich den großen blauen Flecken auf seinem Rücken. Ich bekam ein schlechtes Gewissen und setzt mich abermals auf.
„Das tut mir so leid, Juen!“
Juen und Hyun-Woo sahen mich beide fragend an.
„Das hast du nur wegen mir…“
Juen hob seine Hände.
„Halt… Stopp! Bevor du irgendetwas Unsinniges sagst. Lucas, dass war von Anfang an mein Job auf dich aufzupassen und zu beschützen.“
„Aber du hast eine Kugel für mich eingefangen…“
„Gummigeschoss!“, berichtete mich Hyun-Woo und er hob den Finger.
„Jetzt lass den Unsinn!“
„Unsinn? Entweder du legst dich jetzt wieder hin, oder du wanderst wieder zurück in dein Bett!“
Da war kein Lächeln in seinem Gesicht, er schien das wirklich ernst zu meinen. Er kam zu mir und ging neben mir in die Knie.
„Lucas, bitte höre auf mich. Der Arzt meinte zu mir, du darfst nur mit nach Hause, wenn du dich strickt an die Ruhe hältst. Ich will dich nicht wieder ins Krankenhaus bringen.“
Sein Blick war traurig geworden. Ich griff nach seiner Hand.
„Entschuldige…“, sagte ich nur und machte es mir wieder bequem.
„Danke“, sagte Hyun-Woo, gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Er erhob sich und lief zurück in die Küche- Juen setzte sich auf den Sessel neben mir.
„He, du brauchst dir echt keine Gedanken machen, das vergeht wieder. Alle sind froh dass es dir gut geht, auch dein Onkel.“
„Großvater und Großmutter haben sich sicher viel Sorgen gemacht.“
„Nein, haben sie nicht…“, kam es von der Küche.
„Hä?“
„Dein Onkel und wir haben lange darüber gesprochen und uns entschlossen, deinen Großeltern und Eltern erst mal nichts zu sagen, weil wir ja auch nicht wussten, was passiert ist.“
Ich wollte mich gerade aufrichten und zu Hyun-Woo zuschauen, als Juen mit dem Zeigefinger Zeichen gab, dass ich liegen blieben sollte.
„Aber, die Presse hat doch sicher mitbekommen, was passiert ist…“
„Die wusste nur von einer Entführung, dein Name oder ein Zusammenhang mit uns, wurde nie erwähnt.“
Ich sagte nichts mehr dazu, denn ich realisierte, dass es vielleicht wirklich besser war.
„Willst du, dass deine Eltern wieder herkommen?“
„Nicht aus diesem Grund!“, antwortete ich.
„Und für die Gesundheit deiner Großeltern wäre das auch nicht gut gewesen, sie hätten sich nur aufgeregt.“
„Du hast ja recht… Wo ist Onkel Min-Chul?“
„Der hat noch einiges zu tun“, kam es von Juen, „ich bin leider nicht in die Ermittlungen eingeweiht, aber ich denke, es werden bald noch mehr Verhaftungen folgen.“
„Verhaftungen?“
„Ja dieser Sicherheitsmensch und sein Bruder und die zwei Typen wurden verhaftet. Ihnen droht eine Haftstrafe wegen Entführung und Mordversuch!“
„Mordversuch? Das war doch aber deine Waffe…?“
„Er muss erst mal beweisen können, dass er wusste, dass es eine Übungswaffe war.“
„Das ist verrückt… und das alles nur wegen Missverständnissen. Erst In-Jook und nun die…“
„Wieso Missverständnissen?“
„Wäre das nicht mit diesem Professor passiert, wären doch nie so viele Sicherheitsmänner da gewesen und wir hätten ungehindert aufs Firmengelände fahren können.“
„Lucas, die waren wegen der Fans da“, hörte ich Hyun-Woo sagen und Juen nickte.
Die ganze Sache war wirklich sehr verrückt und ich hoffte, dass alles bald ein Ende hatte.
„Kommen So-Woi und Jack noch herunter?“
„Die sind gar nicht da, die sind vorhin zu So-Wois Grandma gefahren.“
„Ach so…“
*-*-*
Die Nacht war eher unruhig. Immer wieder wachte ich auf, weil ich glaubte, irgendwelche Geräusche zu hören.
„Kannst du nicht schlafen?“, fragte Hyun-Woo neben mir.
„Ich weiß auch nicht, irgendwie bekomme ich letzte Nacht nicht aus meinem Kopf.“
„Das ist ja nur verständlich! Komm her…“
Ich kuschelte mich in Hyun-Woos Arme und schlief schnell wieder ein, aber ein Geräusch von draußen ließ mich wieder aufschrecken.“
„Das ist sicher nur Juen“, brummte Hyun-Woo neben mir.
Ich schaute in die Dunkelheit, konnte aber nichts entdecken. Ich spürte Hyun-Woos Hand, wie sie sanft über meinen Rücken. Irgendwann muss ich dann wirklich eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, war es bereits hell im Zimmer und Hyun-Woo verschwunden.
Ich schaute zu Uhr, es war bereits elf Uhr. So beschloss ich aufzustehen, denn es drückte meine Blase und ich hatte auch etwas Hunger. Nach den üblichen Aktionen im Bad, ging ich hinüber ins Wohnzimmer und fand nur Juen vor.
„Morgen Lucas“, lächelte er mich an.
„Morgen…, wo ist denn Hyun-Woo?“
„Der ist bereits in der Firma…“
„Er ist gar nicht da? Warum hat er mich dann nicht geweckt.“
„Du hast so fest geschlafen, da hat er es nicht übers Herz gebracht, dich zu wecken. Aber er meinte, wenn du ganz brav bist, kann uns Jae-Joong uns nachher in die Firma fahren.“
„Jetzt fang nicht auch noch an!“
„Ich halte mich nur an Hyun-Woos Anweisungen!“, lächelte mich Juen an.
„Was macht dein Rücken?“
„Besser!“
Ich lief in die Küche und ließ mir einen Kaffee heraus.
„Du auch einen?“, fragte ich.
„Nein danke, habe schon zwei.“
Ich drehte mich zum Herd, dort standen verschiedene Töpfe mit kleinen Zetteln drauf. Ich zog einen ab und lass die Mitteilung darauf.
Morgen Lucas, falls du Hunger hast, habe mehrere Sachen für dich vorbereitet, brauchst sie nur noch aufwärmen… liebe dich dein Hyun-Woo! Ich schaute mir die anderen Zettel an, aber überall stand das gleiche drauf.
Ich musste lächeln. Selbst wenn er weg da, war er im Gedanken bei mir. Ein Handy läutete.
„Meins“, kam es von Juen und hob es kurz in die Luft.
„Hallo?“
Er setzte sich auf.
„Guten Morgen Police Officer Park Min-Chul.“
Ich schaute auf.
„Nein, er ist wach…“
Juen stand auf, kam zu mir und reichte mir sein Handy.
„Dein Onkel möchte dich sprechen.“
Ich nahm das Handy entgegen.
„Hallo Onkel…“
Ich saß neben Juen in einem Polizeiwagen. Onkel Min-Chul wollte uns auf der Station sehen. Warum ich ein ungutes Gefühl hatte, wusste ich nicht, die Stimme meines Onkels hörte sich ernst an.
Juen telefonierte währenddessen. Erst kurz mit Hyun-Woo, damit er Bescheid wusste, wo wir waren, dann rief er Jae-Joong, der uns später auf der Station abholen sollte. Mir kam der Weg zum Arbeitsplatz meines Onkels heute kürzer vor, denn wir befuhren bereits den Vorhof.
Der Fahrer geleitete uns noch ins Haus, wo schon ein anderer Police Officer auf uns wartete. Der brachte uns dann zu Onkel Min-Chul, der in einer Art Großraumbüro mit Kollegen saß.
„Hallo Lucas!“, rief mein Onkel mir entgegen, stand auf und umarmte mich. Die anderen Herren trugen wie Onkel Min-Chul privaten Klamotten, die gerade alle Juen begrüßten und ihm auf die Schulter klopften.
Juen ging fast in die Knie dabei. Ich konnte ihm nach fühlen, dass ihm alles weh tat.
„Hallo Onkel Min-Chul, warum sollte ich her kommen?“
„… kommst du bitte mit mir.“
Yuen von seinen Kollegen abgelenkt, bekam nicht mit, dass ich meinem Onkel folgte. Er brachte mich zu einem hinteren Raum und öffnete die Tür. Er gab meinen Blick frei und ich sah dort eine großen Schreibtisch stehen, an dem sein Chef saß.
„Senior Police Officer Kim“, sagte ich und streckte artig die Hand aus, ohne zu vergessen mich etwas zu verbeugen.
„Hallo Lucas, freut mich dass du kommen konntest“, sagte er lächelnd und schüttelte meine Hand, „setzt dich doch bitte.“
Onkel Min-Chul schloss hinter sich die Tür. War etwas Schlimmes geschehen, oder warum benahmen die beiden sich so komisch. Ich ließ mich auf den angebotenen Stuhl nieder und schaute zwischen den beiden hin und her.
Während Onkels Chef sich wieder nieder ließ, lehnte sich Onkel Min-Chul mir gegenüber an den Schreibtisch.
„Lukas, wir wissen, dass du noch immer nicht fit bist“, begann der Senior Police Officer an zu reden, „aber trotzdem haben wir dich hier her gebeten, weil wir deine Hilfe brauchen.“
Fragend schaute ich zu Onkel Min-Chul. Er griff in die Ablage seines Chefs und zog ein Blatt herunter.
„Als wir heute Morgen zum Haus des Professors gekommen sind, war dieser ausgeflogen“, erklärte mein Onkel, „seine Bediensteten sagten, er wäre mit dem Wagen voller Gepäck früh morgens aufgebrochen. Wohin konnten oder wollten sie uns nicht sagen.“
„Er ist abgehauen?“
Der Senior nickte.
„Und wie kann ich euch da jetzt helfen? Ich habe diesen Mann noch nie gesehen.“
„Es wird schon nach ihm gefahndet, dafür brauchen wir dich nicht… Wir haben das Haus auf den Kopf gestellt und dabei etwas gefunden.“
Onkel Min-Chul reichte mir das Blatt. Ich sah eine Fotografie mit vielen Autos darauf.
„Fällt dir etwas auf?“, fragte er mich.
Ich schaute noch einmal etwas verwundert auf das Bild. Die Wagen waren alle schwarz und wenn ich es recht erkennen konnte, waren es Mercedes. Der Bruder meiner Mutter reichte mir ein weiteres Blatt, darauf war ein sehr altes Modell abgebildet, dass vorne etwas verbeult war.
Onkel Min-Chul erhob sich, beugte sich zu einer Kommode hinüber und zog dort eine Tasche herunter, die er dann vor mich legte.
„Fällt dir dazu etwas ein?“
Jetzt hatte es mein Onkel geschafft mich total zu verwirren.
„Onkel Min-Chul, ich steh gerade absolut auf der Leitung. Ich weiß nicht, was du möchtest.“
Ich reichte ihm die zwei Blätter zurück.
„Juen hat dich doch sicher über seine Familienverhältnisse informiert.“
Juen? Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Hatte er auch etwas angestellt?
„Ja hat er, als wir sein Gepäck abholten und auf seine Mutter trafen.“
Die beiden schauten sich kurz an.
„Du weißt also über Juens Mutter Bescheid, was ihr passiert ist?“
„… so ungefähr…, sie ist überfahren worden…, der Fahrer hat Fahrerflucht begangen.
Mein Onkel nickte.
„Mehr nicht?“
„Doch… sie wäre schwer verletzt worden, lag lange im Krankenhaus und lebt jetzt in ihrer eigenen Welt…, so hat es auf alle Fälle Juen ausgedrückt.“
„Das wissen wir.“
„Dass wusstest du? Und trotzdem hast du ihn auf mich angesetzt, also ich meine für meinen Schutz abgestellt? Wäre es nicht besser gewesen, ihn in seinem Elternhaus wohnen zu lassen, bei seiner Mutter?“
Ich hatte mich etwas in Rage geredet, weil ich mich ärgerte.
„Lucas, darum geht es jetzt nicht, darüber können wir noch später reden. Hat Juen noch etwas erzählt…, eventuell etwas über den Wagen?“
Konnte man jemand verwirrter angucken?
„… ähm stimmt… Juen hat etwas von einem schwarzen Merc…“
Ich brach ab, als Onkel Min-Chul erneut die Fotografien unter meine Nase hielt. Ein alter schwarzer Mercedes, der vorne am Kühler verbeult war. Wieder schaute ich zwischen den beiden hin und her.
„Aber… das ist… ist das der Fluchtwagen? Woher wisst ihr das?“
Onkel Min-Chul zeigte auf die Tasche.
„Mir wäre dieser Wagen nie aufgefallen, wenn die Erzählung über den Unfall von Juens Mutter nicht noch so frisch in meinen Gedanken gewesen wäre. Und dann ließ ich mir den Unfallbericht kommen.“
Interessiert hörte ich auf Onkel Min-Chuls Erklärung.
„Die Beschreibung der Augenzeugen passte. Aufmerksam wurden wir nur auf den Wagen, weil er als einziger abgedeckt war und wir Blutreste an der Stoßstange gefunden hatten. Und was in keinen der Berichte auftauchte, was wir nur wissen, dass am Unfallort sämtliche Sachen von Juens Mutter verschwunden waren…, unter anderem die Tasche seiner Mutter.“
Juen meinte doch, der Fahrer wäre mit hoher Geschwindigkeit davon gebraust, so hatten es Augenzeugen gesehen. Wie hätte er dann diese Sachen hätte klauen können. Aber ich verstand immer noch nicht, wobei ich hätte helfen können.
„Das ist toll, dass ihr den Schuldigen gefunden habt, aber ich verstehe immer noch nicht, was das alles mit mir zu tun hat?“
Onkel Min-Chul lehnte sich wieder an den Schreibtisch, aber dieses Mal viel dichter als vorher und er beugte sich ein wenig vor.
„Wie ich dich kenne Lucas, hast du dich mit Juen doch etwas angefreundet, oder?“
„Öhm, ja…, wir verstehen uns sehr gut.“
Er richtet sich auf.
„Wir werden Juen gleich herein bitten und ihm die Sachlage erklären und wir denken…“ er schaute kurz zu seinem Chef, „dass Juen, dies wohl nicht so gut verkraftet und es schön wäre, wenn er einen Freund an seiner Seite hätte.“
Ich sah die beide erneut verwundert an und zeigte auf mich.
„Mich?“
Die beiden nickten.
„Ich weiß, wir verlange viel von dir Lucas, aber wir brauchen für die Beweisführung die DNA von Juen und es wäre uns sehr hilfreich, wenn du uns unterstützen könntest.“
Dies hatte der Senior Police Officer gesagt und mich dabei sehr durchdringend angeschaut.
„Lucas“, kam es von meinem Onkel, „wenn du dich dem nicht gewachsen fühlst, verstehen wir dies natürlich, aber ich sagte zu meinem Chef, dass ich denke, dass wir mit dir rechnen können.“
Wieder blickte ich die beiden an. Das war wirklich viel verlangt. Ich war und bin ein Sensibelchen und das Ganze wird sicher nicht ohne Tränen ablaufen. Dies würde auf mein Gemüt schlagen.
Wenn Hyun-Woo wüsste, was hier gerade passierte, würde er auf die Barrikaden steigen. Andererseits mochte ich Juen, mittlerweile sehr und ich wollte ihn in so einer Situation nicht alleine lassen.
„Einverstanden…“, meinte ich und nickte.
„Danke“, meinte Onkel Min-Chul stolz und ging zur Tür.
„Police Officer Jo Juen! Ins Büro!“
Ich hörte wie sich die Kollegen über ihn lustig machten und wenige Sekunden später erschien Juen in der Tür.
*-*-*
Juen war natürlich nach dieser Mitteilung regelrecht zusammen geklappt. Er saß auf dem Boden und weinte. Während Onkel und sein Chef anstandshalber das Büro verließen, hatte ich mich neben Juen gekniet und ihn in den Arm genommen.
Es dauerte eine Weile, bis er sich etwas beruhigte. Er stand auf und lief zum Fenster.
„Und was soll mir das jetzt bringen“, meinte er verärgert, „das ändert den Zustand meiner Mutter auch nicht.“
„Aber du und dein Vater wisst, wer es war und das er zur Rechenschaft gezogen wird! Ist das keine Genugtuung für euch?“
Er drehte sich zu mir und schaute mich vorwurfsvoll an.
„Du hast nicht die letzten zehn Jahre mit ihr zusammen gelebt. Du wurdest nicht wegen ihr in der Schule gemobbt, von wegen durch geknallte Mutter und so. Du hast keine zehn Jahre ohne richtige Freunde verbracht!“
Er war laut geworden und plötzlich stand Onkel Min-Chul in der Tür. Ich hob die Hand und bremste ihn aus, bevor er etwas sagen konnte. Er nickte kurz und zog dann wieder die Tür zu. Ich ging zu Juen und nahm ihn in den Arm. Anfangs wehrte er sich noch, aber das ließ sehr schnell nach. Hatte ihn die Kraft verlassen, oder hatte er Scherzen?
„Juen, was die letzten zehn Jahre passiert ist, kann man nicht ändern…, du kannst nur versuchen, irgendwie damit zu leben…“
Mir wurde bewusst, dass dies so ein 08/15 Spruch war und Juen jetzt sicher nicht helfen würde.
„Aber wie soll ich das schaffen…?“, heulte er mir in den Pullover, „ich will nicht mehr zurück… ich ertrage das nicht mehr.“
Ich streichelte ihn sanft über den Rücken.
„Wer sagt denn, dass du zurück musst?“, wollte ich wissen.
Er hob seinen Kopf und sah mich mit seinen verheulten Augen an.
„Das ist doch von Anfang an klar gewesen. Wenn die Sache mit dem Professor gelaufen ist, dann muss ich wieder zurück. Ich kann doch nicht ewig bei euch wohnen bleiben…“
Daran hatte ich natürlich nicht gedacht. Er hatte Recht. War die Gruppe mit dem Medikamentenschwindel erst mal aufgeflogen, brauchte ich sicher keinen Schutz mehr. Ich überlegte kurz und sah ihn dann wieder an.
„Vertraust du mir?“
Er nickte, während ihn dicke Tränen über Wangen liefen.
„Wir finden irgendwie eine Lösung! Okay?“
Wieder nickte er.
„Und jetzt gehen wir zu meinem Onkel und machen das, was er verlangt. Ich bleibe die ganze Zeit an deiner Seite.“
„…danke!“
*-*-*
Ich war froh, als ich bei Jae-Joong im Wagen saß. Juen lag zusammen gekauert auf der Rückbank und wimmerte. Mein guter Freund Jae-Joong hielt zu meiner Überraschung dieses Mal seine Klappe.
Er schaute nur ab und zu mir herüber und auch zu Juen. Jae-Joong wusste genauso wie ich über die Sache Bescheid und so waren nur wenige Worte nötig ihm den Grund zu erklären. So war es im Wagen die ganze Fahrt über sehr ruhig, abgesehen von Juens Gewimmer.
Als wir das Grundstück der Firma befuhren, parkte dort ein großer schwarzer Van. Fragend schaute ich zu Jae-Joong. Der zuckte aber nur mit den Schultern. Er parkte unseren Wagen neben diesem Ungetüm.
An der Tür wurden wir von Jack begrüßt, der mich verwirrt anschaute, als ich einen heulenden Juen im Arm hatte. Ich winkte ab und lief an ihm vorbei. Trotz meines Unbehagens gegen den Fahrstuhl, bestiegen wir drei den Aufzug und fuhren nach oben.
Hyun-Woos Büro war leer. So führte ich Juen zur Couch.
„Du legst dich jetzt dahin und ruhst dich etwas aus. Ich suche schnell Hyun-Woo und bin gleich wieder da.“
„Mach dir wegen mir bitte keine Umstände“, sagte Juen traurig.
„He, versprochen ist versprochen!“
Er lächelte mich gequält an.
„Also, bin gleich wieder da!“
Er nickte.
Die Sekretärin von So-Woi hatte mich in Kenntnis gesetzt, dass er Besuch hatte und sie mich erst anmelden müsste, bevor ich sein Büro betrat. Ich fand das jetzt etwas lächerlich, bisher konnte ich auch immer zu So-Woi, wenn ich wollte.
Aber ich wollte niemand verärgern, so wartete ich schön artig im Vorraum. Es dauerte nicht lange und die Tür öffnete sich erneut, aber nicht die Sekretärin kam zurück, sondern Hyun-Woo.
„Hallo Lucas, alles in Ordnung mit dir?“
Es tat richtig gut meinen Schatz zu sehen und ich hätte ihn am liebsten umarmt. So strahlte ich nur über das ganze Gesicht und nickte. Er begann ebenso zu lächeln.
„Komm gehen wir in mein Büro.“
Er griff nach meiner Hand und zog mich zu seinem Raum.
„Ähm… da liegt…“, begann ich, aber Hyun-Woo zog bereits die Tür auf.
Juen lag auf der Couch und schien eingeschlafen zu sein.
„Du Hyun-Woo, kann ich dir kurz etwas erklären, hast du überhaupt Zeit?“
*-*-*
Hyun-Woo nahm sich dieses Mal einfach die Zeit. Wir waren aufs Dach gegangen, weil wir dort ungestört waren.
„So nun kennst du die ganze Geschichte…“, beendete ich meine Erklärung.
„Armer Juen, das tut mir so leid.“
„Er hat Angst, dass er jetzt wieder zurück muss, in dieses komische Haus.“
„Was sagt eigentlich sein Vater dazu?“
„Über seinen Vater haben wir uns noch nicht groß unterhalten, aber er hat ihn auch nicht viel erwähnt.“
Hyun-Woo schaute mich durchdringend an.
„Dich hat das auch etwas mitgenommen? Oder?“
„Ich müsste lügen, wenn ich nein sagen würde. Es tat weh Juen so weinen zu sehen. Ich würde ihm gerne helfen, weiß aber nicht wie…“
Hyun-Woo schien zu überlegen.
„Zumindest wird er uns einige Zeit erhalten bleiben, denn wie du gesagt hast, ist dieser Professor noch auf freien Fuß und solange er nicht verhaftet worden ist, bleibt Juen bei uns! Okay?“
„Danke Schatz.“
Ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an mich.
„Lucas, es tut mir leid, aber ich muss wieder hinunter.“
„Oh…, entschuldige, ich vergaß für einen Moment, dass du noch arbeitet musst. Wem gehört eigentlich dieses Monster von Auto unten.“
„Das würdest du nie erraten.“
„Wie soll ich das auch erraten, so viele Leute kenne ich hier nicht.“
„So-Wois Vater ist da…“
„Sein Vater? Aber wieso kommt der mit so einem Auto?“
„Das verstehe ich auch nicht, deswegen war ich froh, dass du gekommen bist und ich da raus konnte, mir schien, als würden die zwei sich gleich wieder in die Haare kriegen.“
„Du musst aber wohl wieder hinein?“
Hyun-Woo nickte.
„Kein Problem, ich bleib solange bei Juen und warte auf dich.“
„Das ist lieb von dir, Lucas.
*-*-*
Ich blätterte in einer der Hochglanzbroschüren, die auf dem Tisch lagen, als Juen erwachte.
„Na, wieder wach?“
Er rieb sich die Augen und streckte sich. Welche Frau ihn mal abbekam, konnte sich glücklich schätzen, denn jetzt sah er richtig süß aus. He Lucas, was machst du hier gerade, du hast einen Freund!
„Sorry, bin wohl eingeschlafen.“
„Du brauchst dich nicht entschuldigen, mein Vater sagte zu mir mal, wenn der Körper Ruhe braucht, dann holt er sich die.“
„Wie spät ist es?“
„Kurz nach drei.“
„Ich habe zwei Stunden geschlafen?“
„Ja, hast du? Füllst du dich wenigstens jetzt etwas besser?“
„Etwas…“, antwortete Juen und kratzte sich am Kopf.
„Aber in deinem Kopf herrschst immer noch Chaos…?“
„Woher weißt du?“, fragte er verwundert.
„Juen, meinst du mir geht es anders, nach dem was alles passiert ist, seit ich hier bin?“
„Ach so… verstehe.“
Die Tür wurde aufgeschoben und ein gestresst wirkender Hyun-Woo kam herein.
„Hallo Juen“, meinte er und zog hinter sich die Tür wieder zu.
Ich schaute ihn an.
„Wie ist es gelaufen?“
„Boah, frag nicht, ich hasse es, zwischen die Fronten zu geraten?“
„Zwischen die Fronten?“, fragte Juen.
Hyun-Woo schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank es in einem Zug leer.
„Du weißt wer So-Wois Vater ist?“, fragte Hyun-Woo.
„Irgendein hohes Tier bei KBS habe ich gehört.“
Ich lachte.
„Er ist das höchste Tier bei KBS. Nur noch So-Wois Grandma ist über ihm!“, erklärte ich Juen.
„Und sein Vater war gerade eben da und hat ein Kaufangebot gemacht.“
„Er will So-Wois Firma kaufen?“, fragte ich entsetzt.
„Ja, aber So-Woi hat ihm gleich gesteckt, dass die Firma unverkäuflich ist, schon gar nicht an seinen Vater!“
„Aber warum?“
„So-Wois Vater denkt wohl, diese Firma könnte sich zu einem lukrativen Geschäft entwickeln. Er ist nicht nur Chef von KBS, er hat auch in vielen anderen Dingen seine Hände im Spiel.“
„Geld zu Geld…“, hörte ich Juen leise sagen.
„Wo du gerade über Geld sprichst, Juen, ich hätte dir da ein Angebot zu machen. Wir müssen das zwar noch erst überprüfen, aber wir denken, das geht klar.“
„Ein Angebot?“
Hyun-Woo setzte sich neben mich auf die Lehne meines Sessels.
„Du kennst So-Wois Haus und in den unteren Stockwerken gibt es sogar kleine Wohnungen.“
„Die ich mir nie und nimmer leisten könnte, soviel verdiene ich bei der Polizei nicht.“
„Jetzt höre mir erst einmal zu. Wie Lucas mir erzählt hat, überlegst du, wie es nach deinem Einsatz mit Lucas weiter gehen soll?“
Juen nickte.
Bis zum Ende deines Einsatzes, bleibst du natürlich unser Gast und bleibst im Gästezimmer wohnen. Danach könntest du einer dieser Wohnungen beziehen, die sich unten befinden.“
„Wie gesagt, kann ich mir das leider nicht leisten.“
„Dafür wäre ja schon gesorgt…“
„Ähm, wie soll ich das verstehen.“
„So-Woi ist ein Träumer und er hat Ideen im Kopf, die manch anderer für merkwürdig halten würde. Er hat dir ja angeboten als Model für uns tätig zu sein, aber du darfst keinen weiteren Job mit Bezahlung ausführen.“
Wieder nickte Juen.
„Wie wäre es, das, wenn es dein Job bei der Polizei erlaubt, du für uns als Model arbeitest und du dafür in diese Wohnung für dich nutzen kannst.“
„Das ist eine coole Idee“, meinte ich.
„Ja, So-Woi hat immer gute Einfälle und so wäre jedem geholfen.“
„Du meinst…, ich kann in eurer Nähe bleiben?“, fragte Juen leise.
„Ja kannst du und sogar mit uns zusammen arbeiten.“
„Kann ich mir das noch mal überlegen?“
„Du willst da drüber noch groß nachdenken?“, gab ich erstaunt von mir..
„Abgemacht!“, kam es lächelnd von Juen.
„Hä…?“
„Ich wollte diesen Satz schon immer mal sagen“, meinte Juen leicht verlegen.
*-*-*
Müde liefen wir in Wohnung. Ich ließ mich auf die Couch fallen, während Juen und Hyun-Woo sofort in die Küche liefen. So-Woi und Jack wollten nach kommen. Er war einfach jetzt zu verärgert, um mit Jack oben alleine in seiner Behausung zu verweilen.
Möchtest du etwas trinken, Lucas?“, hörte ich Juen fragen.
Sehen konnte ich ihn nicht, da war die Lehne dazwischen. So richtete ich mich auf.
„Du ich kann mir es selbst holen, wenn ich Durst habe, aber danke Juen.“
So ließ ich wieder zurück fallen.
„Hast du schon deine Medizin genommen?“, wollte nun Hyun-Woo wissen.
Ich verdrehte meine Augen und richtete mich erneut auf.
„Muss ich die denn nehmen, mir geht es doch gut!“
„Lucas, du hast den Arzt gehört, das ist ein Aufbaupräparat und soll eine Woche lange genommen.“
Wieder ließ ich mich zurück fallen.
„Diese Deutschen sind anstrengend! Und wusstest du wie wehleidig Männer sein können“, sagte Hyun-Woo wohl zu Juen.
„Das habe ich gehört!“
Ich hörte noch etwas, nämlich Hyun-Woo und Juen kicherten. Boah auch noch frech werden. Schritte kamen auf mich zu. Hyun-Woo kam ins Blickfeld und hatte ein Löffel und Glas Wasser in Händen.
„Das ist aber so bitter.“
Hyun-Woo grinste frech.
„Medizin ist meistens bitter!“, meinte er und reichte mir den Löffel.
Artig steckte ich ihn in den Mund und wollte wie immer das Gesicht verziehen, aber dieses Mal war etwas anders.
„Das schmeckt ja gar nicht bitter.“
„Was ein bisschen Zucker aus macht“, grinste er schelmisch und reichte mir noch das Glas Wasser, während er mir den Löffel wieder abnahm.
Es klopfte an der Tür.
„Das wird wohl So-Woi sein, könntest du bitte aufmachen, Juen?“
„Kein Problem, Hyun-Woo.“
Seit Hyun-Woo ihm den Vorschlag gemacht hatte, war Juen wieder um einiges besser drauf. Ich hörte Schritte, die Richtung Eingangstür liefen. Kurz war das Gedudel des Sicherheitssystems zu hören und schon wurde die Tür geöffnet.
„Wenn er meint, er kann mich damit unter Druck setzten, soll er das ruhig machen, mal sehen, wer den längeren Atem hat!“, hörte ich So-Wois Stimme.
Was war denn jetzt schon wieder, hatte er sich immer noch nicht beruhigt? Ich überlegte schon, ob ich mich wieder aufrichten sollte, um den Geschehnissen besser folgen zu können, aber nun hatte ich keine Lust mehr.
„So-Woi, jetzt beruhige dich doch bitte. Wenn du dich so weiter ärgerst, hat dein Vater das erreicht, was er wollte“, kam es von Jack.
Da musste ich ihm recht geben und nach wie vor war mir So-Wois Vater unangenehm im Gedanken verankert. Bisher hatte ich über oder mit diesem Mann, keinerlei gute Erfahrungen gemacht.
Musste man so sein, um so einen großen Konzern zu führen? Ich war mir nicht sicher, aber war mir jetzt auch irgendwie egal. Ich sollte mich ausruhen und So-Woi war somit ein Störenfried und nicht sein Vater.
„Rutsch mal ein Stück!“, härte ich So-Woi sagen.
Ich fuhr zusammen.
„Mensch, erschreck mich doch nicht so!“, entgegnete ich und zog die Beine an.
Genau da, wo vorher noch bequem meine Füße lagen, ließ sich nun So-Woi nieder. Er schien sich umgezogen haben. Stoffhose, Hemd und Pullover waren gewichen und durch Shorts du einem langärmliges, großes Shirt gewichen.
Das war eine gute Idee. Raus aus den Klamotten. So erhob ich mich und wurde fragend von So-Woi angeschaut. Ich drängte mich lächeln an ihm vorbei und lief in unser Schlafzimmer. Schnell waren die Sachen ausgezogen, doch bevor ich in die Wohlfühlklamotten stieg, wollte ich mich doch etwas frisch machen.
Ich hatte schon die Klinke Der Badtür in der Hand, als sich die Tür zu unserem Schlafzimmer öffnete. Hyun-Woo schaute herein.
„Alles in Ordnung, Lucas?“
Ich lächelte ihn an.
„Ja, ich wollte mir nur etwas Bequemes an ziehen.“
Dass ich halb nackt vor ihm stand, war mir egal. Er kam auf mich zu und nahm ich in den Arm.
„Ich vergesse immer, was ich für einen gutaussehenden Freund habe!“
„Wie kann man so etwas vergessen?“, fragte ich weiterhin grinsend.
Er zuckte mit den Schultern und gab mir einen kleinen Kuss auf den Mund.
„Kannst du die da draußen nicht wegschicken und dich mit mir ins Bett legen?“
Nun grinste auch Hyun-Woo breit.
„Was soll So-Woi und die anderen von uns denken?“
„Na wenn schon, die sollen denken, was sie wollen.“
Ich erwiderte seinen Kuss und ging dann ins Bad. Etwas später, ebenfalls in Shorts, aber einen Pullover kam ich zurück ins Wohnzimmer. Hyun-Woo und die anderen beiden waren kräftig am Abendessen richten, während nun So-Woi auf dem Platz lag, wo ich vorhin ruhte.
„Mach mal Platz!“, sagte ich jetzt genauso harsch wie er vorhin, ohne aber mein Grinsen zu verstecken.
Er setzte sich auf, um aber gleich wieder, nach dem ich mich gesetzt hatte, sich wieder nieder zu lassen, sprich sein Kopf ruhte jetzt auf meinem Schoss.
„Etwas beruhigt?“
Er nickte, aber sagte ich nicht. Ich hob die Hand und kraulte ihm durchs Haar. Er schloss die Augen und lächelte. Ein Handy ging.
„Jack, ich bin für niemanden zu sprechen!“
„Hallo?“, hörte ich Jack sagen.
Dann war kurz Stille, niemand sagte etwas und ich setzte meine Kraulerei fort.
„So-Woi… entschuldige, das ist Minho.“
So-Woi öffnete die Augen und sah mir direkt ins Gesicht. Ich zuckte leicht mit den Schultern, als hätte er gefragt, was er nun machen sollte. Minho war im Augenblick ein Thema für sich. Er hatte einen Freund und Mitstreiter seiner Gruppe verloren, ich hatte das noch nicht vergessen.
Sprechen konnte ich ihn ja nicht mehr, weil mir diese blöde Entführung dazwischen kam. So-Woi streckte seinen Arm aus und Jack kam her und gab ihm das Handy. So-Woi drückte die Lauttaste und legte das Ding auf seinen Bauch.
„Hallo Minho, hier spricht So-Woi.“
„Hallo So-Woi…, entschuldige, wenn ich noch anrufe und störe.“
„Du störst nicht! Was hast du denn auf dem Herzen?“
„Könnte ich zu dir kommen? Mir fällt die Decke auf den Kopf! Taemin weint die ganze Zeit, ich ertrage es einfach nicht mehr. Ich weiß gerade keinen Ort, wo es ruhiger wäre, als bei dir.“
So-Wois Blick richteten sich auf mich, ich hob den Kopf und schaute zu meinem Freund. Der zuckte nur mit den Schultern und brummelte etwas, was ich nicht verstand.
„So-Woi“, hörten wir wieder Minhos Stimme.
„Ja, ich bin noch da“, antwortete So-Woi.
„Er soll kommen“, hörte ich die Stimme meines Schatzes.
„Hast du gehört Minho?“
„Seid ihr nicht alleine?“
„Nein, wir sind bei Hyun-Woo und Lucas unten.“
„Da will ich nicht stören! Entschuldige!“
„Minho, hör auf“, sagte ich, „schau dass du her kommst, dann kannst du mit uns Essen.“
„Lucas?“
„Ja! Und sag dem Sicherheitsbeauftragten, dass du zu uns willst, er wird dir den Weg weisen!“
„… okay…, dann bis gleich…bye!“
So-Woi drückte das Gespräch weg und ließ das Handy auf den Tisch vor uns gleiten. Währenddessen schaute ich wieder zu Hyun-Woo.
„Schatz, dir ist das doch recht, oder?“
Er schaute mich lange an und zuckte erneut mit den Schultern, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmete.
„Entschuldige“, meinte ich zu So-Woi und stand auf.
Leider etwas zu schnell, denn sein Kopf plumpste auf die Sitzfläche.
„Eeeh!“
Ich lief zu Hyun-Woo und nahm ihn in den Arm. Der wehrte sich etwas dagegen, ich ließ aber nicht locker.
„Was ist los?“
Er schaute mich nicht an.
„Entschuldige, dass ich nicht so begeistert bin, darüber.“
„Und was hast du dagegen, dass Minho herkommt? Weil wir in deiner Wohnung sind?“
„… in unserer…“
„In unserer… okay!“
Er schaute auf und blickte mir direkt in die Augen. Sie waren leicht glasig und zwinkerten aufgeregt hinter seiner Brille.
„Nein…, das ist es nicht. Lucas…, auch wenn ich dich damit nerve…, du bist immer noch nicht fit und wenn du dich erinnerst, nach der Beerdigungsfeier war dir nicht gut. Auch wenn ich jetzt egoistisch wirke, ich will einfach nicht, dass es dir wieder schlechter geht!“
Ich sagte nichts dazu und gab ihm einfach einen Kuss.
„Sorry, darüber habe ich nicht nachgedacht“, kam es von der Couch.
„Eure Anteilnahme in allen Ehren und ich meines das Ernst, es rührt mich wirklich, wie ihr euch um mich kümmert und für mich da seid. Aber Minho Braucht jetzt jemand! Er hat einen für ihn lieben Menschen verloren und ich kann nur erahnen, was nun in ihm vorgeht. Ich möchte einfach nur als Freund für ihn da sein, an den er sich anlehnen oder sprechen kann.“
Eine einzelne Träne rann mir über die Wange, die Hyun-Woo sanft wegwischte.
„Ich weiß, auch heute war wieder viel. Aber ich muss auch lernen, solche Sachen besser zu verkraften. Ich kann nicht ständig mit dem Gedanken herum laufen, kann ich das machen, oder ist nun gleich mein Limit erreicht. Und wie gesagt, ihr seid für mich da, auch du Juen, das gibt mir Kraft…!“
„Danke…!“, flüsterte Hyun-Woo und gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange.
„Mein Kissen fehlt!“, meckerte jemand auf der Couch, „und überhaupt, Lucas… wie kannst du dir erlauben, aufzuhören mich in den Haaren zu kraulen?“
Jack fing an zu kichern. Hyun-Woo schaute mich gespielt empört an und schob mich von sich.
„Was denn?“, spielte ich das Spiel mit.
„Geh zu deinem Spielgefährten und lass uns unsere Arbeit machen!“
Jack und Juen grinsten mich frech an, während es von der Couch her kicherte.
Ich atmete tief durch und schüttelte den Kopf, bevor ich wieder zu So-Woi ging und meinen Platz wieder einnahm. Das Kichern an der Küchentheke, verstärkte sich, hielt aber inne, als ich mich zu den drei Herren drehte, um durch ein Lachen ersetzt zu werden, als ich wieder mich So-Woi widmete.
Es dauerte eine Weile, bis sich der Türgong in Betrieb setzte, denn die Theke war bereits fertig gedeckt. So-Woi wollte sich erheben, aber ich hielt ihn davon ab.
„Bleib liegen! Das Volk kann öffnen“, meinte ich nur und So-Woi fing laut an zu lachen.“
„Jetzt hört euch unseren Prinzen an!“, hörte ich Hyun-Woo sagen und grinste.
Schritte liefen zur Tür.
„Ja?“, hörte ich Jack sagen, Okay, soll hoch kommen, ich erwarte ihn am Fahrstuhl.
Wieder war dieses Gepiepe von der Tür zu hören und Jack verließ die Wohnung. So-Woi wollte sich hoch drücken, aber ich hielt ihn einfach weiterhin fest.
„Lucas, was soll Minho von uns denken? Hör auf!“
Ich musste kichern.
„Was soll er schon denken? Da liegen zwei super gut aussehende Typen auf der Couch und haben sich im Arm!“
„Hört, hört!“, sagte Hyun-Woo und Juen fing wieder an zu kichern.
„Super gut…“, wiederholte So-Woi meine Worte, „aha.“
Ich grinste ihn an, beugte mich vor und küsste ihn auf die Nase. Gespielt empört, drückte er mich angeekelt von sich weg.
„Ihh, er hat mir einen Kuss gegeben“, gab So-Woi in ein paar Tonlagen höher von sich, dass Hyun-Woo und Juen anfingen, laut zu lachen.
„Und ich störe wirklich nicht?“, hörte ich plötzlich Minhos Stimme.
So-Woi setzte sich auf.
„Nein, die Kleinen spielen nur…“, kam es trocken von Jack und schloss hinter sich die Tür.
Fragend schaute uns Minho an, bis Juen sich nicht mehr zurück halten konnte und losprustete. Auch Hyun-Woo drehte sich weg und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Der Prinz und der Kleine…“, sagte ich verächtlich, bevor ich aufstand, um Minho zu begrüßen.
„Hallo Minho!“, sagte ich und umarmte ihn einfach, anstatt ihm die Hand zu schütteln.
So-Woi tat es mir gleich.
„Hallo… ich bin Juen…“, sagte unser kleiner Polizist und verneigte ich vor Minho.
„Hallo Minho“, kam es winkend von Hyun-Woo an der Theke.
„Hallo…“, kam es leicht verschüchtert von Minho.
Er fühlte sich anscheinend etwas unwohl.
„Komm, gib mir deine Jacke“, meinte ich, „und mach es dir bequem.
Ich sah seine rote Augen, lächelte ihn aber trotzdem an. Er entledigte sich seinem Schal und der Jacke und reichte sie mir.
„Setz dich“, wiederholte ich meine Aufforderung.
Während ich die Jacke zur Garderobe brachte, übernahm Hyun-Woo den Part des Gastgebers.
„Ich weiß nicht, ob du Appetit hast, aber setzt dich trotzdem zu uns“, hörte ich ihn sagen.
„Etwas könnte ich schon vertagen, ich habe heute noch nicht viel gegessen.“
Ich hängte die Jacke auf und lief zurück. Nichts mehr war von der Frohnatur zu sehen, die mit Minho bisher entgegen brachte. Aber es war auch verständlich. Während die anderen sich setzten, ging ich zu Hyun-Woo.
„Möchte jemand etwas zu trinken?“, fragte ich höflich, auch wenn ich nicht wusste, was wir da hatten.
„Setz dich Lucas“, meinte Hyun-Woo, „ich mach das schon.“
„Oookay…“, meinte ich, „der Prinz gehorcht und setzt sich.“
Während Juen hinter vorgehaltener Hand kicherte, grinsten Jack und So-Woi.
„Prinz…? Habe ich etwas verpasst?“, fragte Minho.
Ich umrundete die Theke und setzte mich zu ihm.
„Ich weiß nicht, was du von meinem Aufenthalt bisher mitbekommen hast?“
„Um ehrlich zu sein, nicht viel… man erzählt sich da so einiges, aber ob das alle wahr ist? Natürlich, das mit Back In-Jook, das weiß ich, dass hast du ja bei der Party kurz erzählt.“
„Ja, unser Lucas hat fast jedes Fettnäpfchen betreten, das er finden konnte!“
Ich lächelte So-Woi für seinen Kommentar schräg an.
„Ist ja auch egal, auf alle Fälle ist mir das alles nicht so gut bekommen. So werde ich hier von diesen Herren gepflegt und hegt, dass ich mich nicht zu sehr anstrenge.“
„Ein Prinzenleben?“, fragte Minho.
„So kann man es im weitesten Sinne nennen.“
„… und wenn der Prinz mit seinen Erklärungen fertig ist, können wir essen, es wird nämlich kalt!“, kam es von Hyun-Woo und begann Reis zu verteilen.
„Wie geht es den anderen?“, wollte So-Woi nun wissen.
„Den Umständen entsprechend…, nur Taemin verkraftet die ganze Sache nicht, wir hatten sogar schon einen Arzt da. Er weint die ganze Zeit.“
„Irgendwie verständlich. So etwas tut weh und die Frage nach dem „Warum?“ bohrt bei jedem.
„Das warum ist für uns klar…, wir dachten nur nicht, das Jonghyun zu so drastischen Mitteln greift“, meinte Minho traurig.
*-*-*
Der restliche Abend verlief eher ruhig. Ab und zu wurde gelacht, aber es gab auch traurig Abschnitte. Zu meiner Verwunderung ging es mir trotzdem ausgesprochen gut, auch wenn mich das ganze traurig stimmte.
Recht spät lag ich im Bett und Hyun-Woo lag in meinem Arm gekuschelt.
„Du kannst nicht schlafen?“, sagte Hyun-Woo leise.
„Ach ich weiß auch nicht, ich bin zwar total müde, aber in meinem Kopf ist einfach noch zu viel los.“
„Nur verständlich! Versuch doch an etwas Angenehmes zu denken, oder was du morgen machen möchtest, vielleicht schläfst du dann ein.“
„An etwas Angenehmes brauche ich nicht zu denken, wenn ich dich im Arm habe!“
Ich zog ihn noch dichter zu mir und gab ihm einen Kuss.
Der nächste Morgen begann eher beschwerlich. Die Entführung steckte mir noch in den Knochen. Es tat irgendwie alles weh. Wie schon am Vortag war Hyun-Woo ausgeflogen, sprich bei der Arbeit.
Aber auch Juen konnte ich nicht sehen, als ich aus dem Schlafzimmer kam. Vielleicht war er ja in seinem Zimmer. Als ich an die Theke kam, stand auch wiederein gerichtetes Essen da. Hyun-Woo muss wohl früh aufgestanden sein, wenn er Zeit hatte mir ein Frühstück zu machen.
Eher lustlos stocherte ich in meinem Essen herum, denn ich war es einfach nicht gewohnt, alleine zu frühstücken. Hyun-Woo meinte gestern, ich solle selbst entscheiden, was ich heute vor hatte.
Das dieser Professor sich abgesetzt hatte, war klar, aber ob er wirklich ganz untergetaucht war, daran glaubten sie nicht. Er könnte mir ja immer noch nachstellen. Ich war da anderer Meinung.
Er würde sicherlich nicht seine Freiheit aufs Spiel setzten, um sich irgendwie an mir rächen zu wollen, weil sein lukratives Geschäft mit den Medikamenten, indirekt durch mich, aufgeflogen war.
Aber es gab eben nie Hundert Prozent Sicherheit, wie Onkel Min-Chul sagte. Ein Restrisiko würde immer bestehen, solange der Professor nicht hinter Schloss und Riegel sitzt. So wäre ein alleiniges Weggehen, immer noch nicht möglich.
Ich, alleine wo hingehen? Seit ich hier in Korea war, hatte ich stets jemand um mich herum gehabt. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, alleine zu den Großeltern zu fahren. Da müsste ich mir schon ein Taxi holen, weil ich nicht wusste, wohin ich fahren sollte.
Trotzdem kam der Gedanke auf, was ich in nächster Zukunft machen wollte. Ich konnte nicht ständig bei Hyun-Woo in der Firma abhängen und den von der Arbeit abhalten. Mir kam Großvater in den Sinn, wie er jeden Tag in seinem Garten stand.
So gesehen stimmte es nicht, was ich erzählt hatte, dass ich keinen grünen Daumen hatte. Es fehlte bisher lediglich die Zeit, sich um so etwas zu kümmern, denn die Schule hatte bis zum Abschluss Priorität.
Aber das Interesse war da. Das hatte der Vater meines Vaters schon im Kindesalter geweckt, wenn er oft mit mir sparzieren war. Ich war immer fasziniert, wie er es fertig brachte, mich für irgendwelches Grünzeug am Wegesrand zu interessieren.
So wusste ich zwar, um was für Pflanzen es sich handelte, aber ich konnte mir nie all die Namen merken. Ich stand auf, ging zum Regal, wo ich gesehen hatte, dass Hyun-Woo mein Laptop abgestellt hatte.
Glücklich es gefunden zu haben, lief ich zum Teller zurück und öffnete es. Schnell war es hoch gefahren. Froh darüber, dass in Hyun-Woos Wohnung dasselbe Wlan wie oben bei So-Woi funktionierte, konnte ich auch hier ins Internet.
Als erstes rief ich meine Mails ab. Bis auf die vielen Werbungen, war eine Nachricht von Papa in der Mailbox. Er schrieb mir, dass ich doch wieder etwas von mir hören lassen sollte. Onkel Min-Chul schien in genau über die Vorkommnisse hier, zu unterrichten.
Er wusste über den Professor Bescheid, aber die Entführung stand dort nichts. So wurde wirklich Stillschweigen über die Sache verhängt. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wenn das publik geworden wäre.
Aber auch nur, weil wir so schnell frei gekommen waren. Wäre es länger gegangen, wäre es sicher aufgefallen. Ich schrieb ihm zurück, dass es mir so weit gut ginge und wir sicher uns bald wieder per Cam sehen würden. Ich schrieb noch einen Gruß an Mama und Mia hinzu und drückte auf Senden.
Danach öffnete ich das Internet und gab als Suchbegriff Pflanzen ein. Natürlich erschienen eine Vielzahl von Vorschlägen und so recht wusste ich nicht, wo und nach was ich genau schauen sollte.
Mir fiel ein Link zu einer in Seoul bestehenden Universität auf, wo man gut als Ausländer in Richtung Naturwissenschaftenstudieren konnte. Ich lächelte, denn als Ausländer würde ich nicht auffallen, da ich ja wie ein Asiate aussah.
Ein Geräusch ließ mich auf sehen. Juen kam aus seinem Zimmer und rubbelte sich die Haare trocken, also war er wohl duschen.
„Morgen Lucas, wie geht es dir?“
„Guten Morgen…, bis auf etwas Muskelkater, geht es mir gut. Was macht dein Rücken.“
„Meldet sich ab und zu, ist aber ertragbar. Was machst du?“
„Ich surfe etwas im Internet.“
Ich speicherte die Seite mit der Universität ab.
„Hast du schon etwas gegessen?“
„Ja, heute früh, habe mit Hyun-Woo zusammen gefrühstückt. Er war so freundlich, mir etwas zu richten.“
„Du hast Hyun-Woo noch gesehen?“
„Ja, ich bin Frühaufsteher“, lächelte Juen.
Das konnte ich von mir nicht sagen. Wenn ich nicht aufstehen musste, konnte es gut und gerne fast Mittag werden, bis ich aufgestanden war. Hier wachte ich von alleine recht früh für mich auf.
„Hast du schon etwas geplant?“, fragte Juen.
„Was meinst du?“
„Hyun-Woo meinte, wir beide sollen irgendetwas unternehmen, wonach uns der Sinn steht, um etwas auf andere Gedanken zu kommen.“
Andere Gedanken waren gut. Jede Bewegung meines Körpers erinnert mich schmerzhaft daran, was geschehen war. Aber etwas tun, was mir gefallen würde, war eine gute Idee. Ich schloss die Seite der Universität und klappte mein Laptop zu.
„Weißt du zufällig, ob es in Seoul etwas wie einen Blumenmarkt gibt?“
„Ja leider…“
„Leider?“
„Ja meine Mutter hat mich früher immer mit dahin geschleppt. Sie liebt Pflanzen und Blumen.“
Ops, da hatte ich ihn unbeabsichtigt an seine Mutter erinnert.
„Warum fragst du?“
Ich schaute mich in den Raum um. Er war immer noch sehr karg eingerichtet. Es fehlte irgendwie Dekoration, wie ich es von zu Hause gewohnt war. Keine Bilder und vor allem, gab es keine Pflanzen.
Und irgendwie waren Pflanzen ein Muss, es machte eine Wohnung erst gemütlich. Ob das Hyun-Woo recht war, wusste ich nicht, aber ich dachte, dagegen konnte er sicher nicht haben.
„Ich wollte mich eventuell nach Grünpflanzen für die Wohnung umschauen.“
„Grünpflanzen?“
„Ja, schaue dich doch hier um, hier ist nichts Grünes.“
„Entschuldige, ich habe es nicht so mit Pflanzen, bei mir gehen die Dinger immer ein.“
Ich grinste ihn an.
„Hat Hyun-Woo etwas gesagt, ob oder wann Jae-Joong heute vorbei kommt?“
„Der hat heute keine Zeit…“
Das hieß ein teures Taxi nehmen, oder hier in der Wohnung versauern.
„… aber wir können den Fahrdienst vom Haus nehmen.“
„Hier gibt es einen Fahrdienst? Warum habe ich das nicht mitbekommen?“
„Vielleicht habt ihr noch keinen gebraucht.“
„Stimmt, bisher ist immer Jack, Hyun-Woo oder Jae-Joong gefahren.“
„Wann möchtest du los?“
„Hm…, ich muss mich noch umziehen…“
„Okay, dann bestelle ich den Wagen für in fünfzehn Minuten, reicht dir das?“
„Mir schon, aber du bist auch noch nicht fertig.“
„Lass mal das meine Sorge sein“, grinste er mich an und verschwand wieder in seinem Zimmer.
*-*-*
Dieser Markt war riesig. Soweit ich schauen konnte, waren Pflanzen und Blumen zusehen. Und der Geruch, der in der Luft lag, ein ganz besonderer Duft, der stark an den Frühling erinnerte.
Nur war bald Weihnachten und ich wollte es mit dem Ausgeben nicht so übertreiben, da ich ja auch noch an Weihnachtsgeschenke denken musste. So lief ich einfach in die Halle hinein, dicht gefolgt von Juen.
Der Fahrer hatte versprochen draußen auf dem Parkplatz auf uns zu warten. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte, diese Farbenpracht übertraf alles. Es tat richtig gut, man konnte hier regelrecht auftanken.
Juen schien meine Euphorie nicht zu teilen, denn er schien sich hier eher zu langweilen. Hier und da entdeckte ich edle Kostbarkeiten, seltene Pflanzen, die irgendwo aus den Tropen stammen mussten.
An einem Stand mit verschiedenen Grünpflanzen war blieb ich hängen. Ich konnte vorzugsweise Zimmerpflanzen ausmachen, eigentlich genau dass, was ich suchte. Eine etwas größere Pflanze hatte es mir sofort angetan.
Die Blätter waren alle groß, dunkelgrün und mit hellgrünen Flecken überzogen. Mir fiel auch sofort ein, wo diese Pflanze gut hinpassen würde.
„Liefern sie auch?“, fragte ich die Frau, die da gerade die Pflanzen goss.
Die Frau nickte.
„Ich hätte gerne diese Pflanze“, und zeigte auf sie.
Sie nannte den Preis und ich fand sie recht günstig. Keine Ahnung, was sie sonst kostete.
„An welche Firma geht sie?“, fragte die Frau.
Woher wusste die Frau, dass ich sie zu Hyun-Woo schicken wollte? Juen tippte mir auf die Schulter und zeigte auf ein Schild. Langsam lass ich es und konnte es als „Keine Privatverkäufe“ entziffern.
Enttäuscht ließ ich meine Schultern hängen. Erneut hielt mir Juen eine Karte entgegen.
„Was ist das?“
„Das hat mir Hyun-Woo gegeben, falls du auf die Idee kommst, etwas Größeres zu kaufen.“
„Hyun-Woo?“
Er nickte. Ich nahm die Geldkarte entgegen und lass Firmenkarte drauf.
„Aber das geht doch nicht…“ Ich kann doch nicht einfach Geld von der Firma ausgeben.“
„Ich sage nur, was Hyun-Woo mir aufgetragen hat.“
Woher wusste Hyun-Woo, dass ich etwas kaufen wollte, ich hatte das doch gerade vorhin erst entschieden. Während ich der Frau die Geldkarte reichte, bekam sie von Juen eine weitere Karte gereicht.
„Was steht da drauf?“, wollte ich leise wissen.
„Das ist die Firmenkarte mit Anschrift, Logo und so. Wenn du gerne eine möchtest, ich habe noch mehr davon von So-Woi bekommen.“
Warum hatte ich keine bekommen? Da fiel mir ein, ich arbeitete ja offiziell gar nicht für So-Woi, vielleicht deswegen. Die Dame forderte mich auf zu unterschreiben, was ich dann auch tat.
Während ich mit Juen weiterlief und ihm die Kreditkarte zurück geben wollte, begann die Frau bereits die Pflanze einzupacken. Juen forderte mich auf, die Karte zu behalten. So steckte ich sie ein, obwohl mir nicht wohl bei der Sache war.
Weiter hinten in der Markthalle wurde ich erneut fündig. Dieses Mal überzeugte ich mich sofort, ob ich als Privatmensch dort einkaufen konnte. Sogar Juen fragte ich, ob ich hier normal Pflanzen besorgen durfte.
Als wir beide nichts fanden, begann ich in den Regalen zu stöbern und würde auch fündig. Nach einer halben Stunde hatte ich zehn Pflanzen zusammen. Ich zahlte artig, dieses Mal mit meiner Karte.
Was noch fehlte, dass ich auch Übertöpfe brauchte. Die Grundfarbe der Wohnung war weiß, also sollte es schon etwas Farbiges sein. Da fiel mir ein, dass Hyun-Woo blau mochte. Er hatte vieles in blau, sei es Klamotten, oder von seinen Möbeln.
„Kannst du hier irgendwo Übertöpfe sehen?“, fragte ich Juen.
„Ist mir bisher noch nicht aufgefallen, aber ich glaube am Ende der Markthalle gibt es so etwas.“
Wir hatten mit dem Mann ausgemacht, dass er sie zum Wagen hinausbrachte. Juen war so freundlich, den Fahrer davon in Kenntnis zu setzten. So machten wir uns auf die Suche nach blauen Übertöpfen.
*-*-*
Der Wagen war recht voll und Juen tat mir leid, die Rückbank mit Pflanzen teilen zu müssen.
Der Fahrer verlangsamte sein Tempo und Großvaters Laden kam in Sicht. Ich schaute zum Fahrer.
„Wäre es möglich, die Pflanzen zur Wohnung 3249, Cho Hyun-Woo zu bringen?“
Der Fahrer nickte.
„Vielen Dank!“
Der Wagen hielt und wir stiegen aus. Da hier genug Leute waren, die uns zurück fahren konnten, hatten wir uns entschlossen, den Fahrer zurück zu schicken. Ich bedankte mich fürs Fahren und verbeugte mich auch leicht.
Als der Wagen verschwunden war, trat Juen näher zu mir.
„Du musst dich nicht verbeugen“, flüsterte er leise, „dass sind Bedienstete.“
Ich schaute ihn mit großen Augen an.
„Juen, für mich ist das nicht selbstverständlich, dass er uns herum fährt und auch wartet, wenn wir etwas erledigen. Da ist es mir egal, ob mein Gegenüber gleichgestellt ist, oder eben „nur“ ein Bediensteter. Mein Dank kommt von Herzen, ich meine das Ernst!“
„Aha…“, meinte Juen verblüfft.
„Unser Lucas hat eben ein großes Herz!“
Ich fuhr herum und Großvater stand hinter uns.
„Hallo Großvater!“, sagte ich und umarmte ihn.
„Hallo mein Junge.“
Juen schüttelte er die Hand.
*-*-*
Großmutter freute sich wie immer über meinen Besuch. Sie nahm mich auch gleich in Beschlag. Wir saßen in der Küche an einem kleinen Tisch. Wo Juen war, konnte ich nur vermuten, denn plötzlich war er verschwunden.
„Was hast du die letzten Tage gemacht?“, fragte sie mich, während sie Karotten schälte.
„Nichts besonderes, ach ja, ich war auf einer Beerdigung…, ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, dass sich da ein junger Musiker das Leben genommen hat.“
„Davon haben mir die Kinder erzählt. Ich war doch sehr betroffen, dass ein so junger Mensch, nicht mit seinem Leben zu Recht kam. Aber es bringen sich so viele um, wie man immer in den Nachrichten hört. Kanntest du den jungen Mann?“
„Nicht direkt…, ich kenne einen Sänger aus seiner Gruppe und wir hatten beschlossen, deswegen an der Beerdigung teil zu nehmen.“
„Schlimme Sache und dir geht es gut?
„Ja Großmutter“, log ich, „keine Sorge, vielleicht etwas müde.“
„Hong-Sik ist auch immer müde, aber das liegt wohl daran, dass er immer so lange bis tief in die Nacht lernt.“
Na. Ob er wirklich lernt, oder seine Zeit vor dem Computer verbringt? Aber das war egal und ging mich nichts an.
„Ich habe ein paar Pflanzen gekauft für Hyun-Woos Wohnung auf dem Großmarkt.“
„Du warst auf dem Großmarkt?“
„Ja, mit Juen. Großmutter, du hättest die vielen Farben sehen sollen und wie das alles duftete, einfach herrlich.“
„Du hättest aber auch deinen Großvater fragen können, ob er nicht einen Händler kennt, der Grünpflanzen verkauft.“
„Entschuldige, daran habe ich gar nicht gedacht. Großvater redete immer nur von Gemüse, Obst und Kräutern, nie hätte ich damit gerechnet, dass Großvater sich auch mit Zimmerpflanzen auskennt.“
„Mit war soll ich mich auskennen?“
Großvater betrat mit Juen die Küche. Juen trug einen großen Karton vor sich.
„Zimmerpflanzen“, sagten Großmutter und ich fast gleichzeitig.
„Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in diesem Gebiet, nicht sehr gut auskenne, mich zieht es lieber nach draußen.“
„Hört. Hört!“, kam es von Großmutter, die darauf hin zu kichern begann.
Juen trat an mich heran.
„Ähm, Lucas, ich weiß du bist im Haus deiner Großeltern gut aufgehoben…, hättest du etwas dagegen, wenn ich dich etwas alleine lassen. Ich würde gerne zur Dienststelle fahren und gerne hören, wie es weiter geht.“
„Soll ich nicht lieber mitfahren?“, fragte ich leicht besorgt.
„Nein geht schon, also wenn es dir nichts ausmacht, verschwinde ich kurz.“
„Nein kein Problem und wenn etwas ist, dann melde dich, okay?“
„Ja, Großvater Sung-Min…, Großmutter Kil-Soon ich lasse ihren Enkel in ihren schützenden Händen“, meinte er und verneigte sich, bevor er uns verließ.
Mir war nicht entgangen, dass er leicht glasige Augen hatte.
„Netter Junge“, sagte Großvater.
„Stimmt“, pflichtete Großmutter ihm bei, „aber er sieht sehr traurig aus.“
Sie hatte es also auch gemerkt.
Ich setzte mich wieder.
„Das hat auch einen Grund…“, begann ich zu erzählen, „seine Mutter hatte einen schweren Unfall, sie wurde überfahren und lag lange im Krankenhaus. Der Typ, der sie angefahren hat, ist abgehauen und wurde nie gefasst.“
„Ach Gott, der arme Junge. Wie geht es seiner Mutter jetzt?“
„Körperlich ist sie genesen, aber geistig…, sie lebt noch in der Zeit bevor der Unfall passiert ist, also vor zehn Jahren. Ihr müsstet das Haus sehen, dort scheint die Zeit still zu stehen, alles ist dort, wie vor zehn Jahren…“
„Das muss hart sein für Juen“, sagte Großmutter nachdenklich.
„Und warum ist dieser Unfall jetzt so aktuell, hat man neue Spuren gefunden?“, fragte Großvater.
Ich schaute beide an.
„Das hat man wirklich. Wie ihr sicher mitbekommen habt, von Onkel Min-Chul, hat sich dieser Professor, mit dem ich Ärger habe, abgesetzt.“
„Was hat das mit Juen zu tun.“
„Dessen Haus wurde durchsucht und man fand eine Sammlung von Wagen…, darunter war versteckt unter einer Plane, der Unfallwagen, der Juens Mama angefahren hat. Man fand eine Handtasche, die Juens Mutter bei sich hatte und Blutspuren, die nachweislich von ihr stammten, an der verbeulten Stoßstange.“
„Das ist ja schrecklich!“, meinte Großmutter entsetzt.
„Dahat Juen ein schweres Päckchen zu tragen…“, sagte Großvater.
„Deshalb meine Frage, ob ich in begleiten sollte.“
Großmutter wischte ihre faltigen Hände ab und nahm mein Gesicht.
„Junge, du hast ein sehr großes Herz…, ich kann nur wiederholen, was dein Großvater sagte, bleib so wie du bist und lass dir nie von jemanden drein reden!“
Großvater nickte lächelnd.
*-*-*
Es tat richtig gut, hier zu sein. Nach dem tollen Mittagessen, war ich mit Onkel Sung-Ja und Tante Min-Sun. Sie waren dabei, den Laden etwas Weihnachtlich zu schmücken. Mir fiel auf, dass die Deko komplett neu und noch verpackt war.
„Du wunderst dich sicher, dass der Weihnachtsschmuck komplett neu ist“, sagte Tante Min-Sun, als ich mit einer Packung Kugeln da stand.
Mir war auch aufgefallen, dass im Haus nichts auf das baldige Weihnachtsfest hindeutete. Ich nickte ihr zu.
„Es ist das erste Mal, seit meine Schwester damals verschwunden ist, dass wir wieder schmücken.“
„Warum?“, wollte ich wissen.
„Dein Großvater…, er wollte es nicht und so wurde alles an Schmuck entsorgt.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Weihnachten ist das Fest der Liebe und Familie…“
„Und weil die Familie nicht komplett war, wollte er kein Weihnachten mehr feiern?“
„So ungefähr…, geblieben ist nur das Essen…“
Meine Tante schaute etwas traurig aus, während sie die glitzernde Girlande auspackte.
„Und jetzt, wo die Familie vereint ist, wird Weihnachten wieder gefeiert?“, fragte ich.
Ich stand neben Onkel Sung-Ja, der sich auf einer Leiter befand und rote Kugeln aufhängte, die ich ihm reichte.
„Ja, dir haben wir es zu verdanken, dass es so ist!“, meinte sie lächelnd.
Natürlich wurde ich verlegen.
„Wie soll es denn an Weihnachten eigentlich ablaufen? Ist da schon etwas geplant?“, versuchte ich vom Thema abzulenken.
„Also dein Vater meinte“, begann Onkel Sung-Ja, „sie werden am 23. Dezember ankommen.“
„Das wusste ich nicht, wir haben uns darüber noch nicht unterhalten.“
„Sonst ist noch nichts groß geplant…, wie habt ihr Weihnachten gefeiert?“, wollte Tante Min-Sun wissen.
„Also am 24ten, sind wir abends gemeinsam in die Kirche gegangen und hatten anschließend eine kleine Feier zu Hause. An den Feiertagen traf man sich dann mit der Familie meines Vaters, denn er hat ja noch zwei Geschwister und deren Familien.“
„Du hast noch mehr Onkel und Tanten?“
„Ja, mein Vater hat zwei Brüder, die aber nicht in derselben Stadt wohnen.“
„Und wie viele Kinder haben die?“
„Jeweils zwei Töchter…, aber wir sehen uns eigentlich nur zu den Geburtstagen und an Weinachten.“
„Das ist aber schade! „
„Ich weiß, hier bei euch ist alles sehr auf Familie, auch etwas, was ich erst später begriff, warum Mama an Weihnachten selten lächelte.“
Onkel und Tante schauten sich kurz an.
„Ich war richtig froh, dass ich hier zwei Cousins habe, es ist doch etwas anderes, wenn man nicht nur von weiblichen Familienmitgliedern umgeben ist.“
„Und dann behandelt dich der Sohn von Min-Ri so schlecht!“, sagte Jung-Sa.
„Das ist alles Vergangenheit und Hong-Sik und ich verstehen uns ja jetzt prima!“
Die Ladentür ging und ich drehte mich um.
„Hyun-Woo…“, sagte ich erstaunt.
„Hallo Lucas“, kam er mir lächelnd entgegen, „Tante Min-Sun…, Onkel Sung-Ja!“
Er verneigte sich leicht, wie die beiden auch.
„Was tust du denn hier?“, fragte ich.
„Du freust dich nicht, mich zu sehen?“
„Doch, aber ich dachte, du bist mit Arbeit eingedeckt.“
„War ich auch, aber da kam ein Lieferant und brachte eine riesen Palme für mein Büro vorbei. Ich dachte schon, das wäre eine Fehllieferung und wurde des Besseren belehrt. So habe ich mir den Mittag frei genommen.“
Onkel Sung-Ja war von der Leiter herunter gestiegen und nahm mit den Karton mit den Kugeln ab. Weil nun wirkliche Kundschaft den Laden betrat, ging ich mit Hyun-Woo nach hinten.
„Hyun-Woo, hallo“, begrüßte ihn Großmutter.
„Hallo Großmutter Kil-Soon“, sagte Hyun-Woo, streckte die Hand aus und verbeugte sie leicht.
Meine Großmutter nahm seine Hand und tätschelte seine Wange.
„Gut siehst du aus, hast du etwas abgenommen?“
Mein Schatz schaute an sich herunter und schüttelte den Kopf.
„Nicht dass ich wüsste.“
„Isst du auch genug?“
„Jeden Tag meine drei Mahlzeiten!“, meinte er lächelnd.
„Du wolltest sicher Lucas abholen?“
„Nein, ich wollte einfach den Mittag mit ihm verbringen, egal wo.“
„Dann werde ich mal in die Küche gehen und etwas für den Mittagstee machen.“
„Bitte keine Umstände wegen mir.“
Ich weiß doch, wie sehr Lucas mein Gebäck liebt, das sind keine Umstände.“
Und schon war sie verschwunden. Ich lächelte und jetzt wo wir alleine waren, nahm ich ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss.
„Nicht doch Lucas, wenn dein Großvater kommt.“
„Tut er nicht, oder siehst du ihn irgendwo. Außerdem wird er sich schon daran gewöhnen, weil mich gibt es nur mit meinem Schatz zusammen!“
Er lächelte wieder.
„Ich wollte mich noch einmal für die Palme bedanken, sie passt sehr gut in mein Büro.“
„Ah, wo du davon anfängst, Juen hat mir eure Firmenkarte gegeben…, ich fühle mich irgendwie unwohl Geld davon zu benutzten.“
„Das ist kein Firmengeld, das ist mein Konto in der Firma.“
„Ach so, dass wusste ich nicht, aber ist genauso komisch, weil es dein Geld ist. So gesehen hast du die Palme selbst bezahlt!“
„Ist doch egal Lucas. Ich habe jetzt genug Geld und es ist viel zu viel für mich alleine.“
Ich gab mich geschlagen, es brachte nichts, dagegen zu sein.
„Komm, setzten wir uns, mir ist da etwas eingefallen, wo ich dich darüber fragen wollte.“
„Was denn?“, wollte Hyun-Woo wissen.
„Weißt du schon, wie du Weihnachten verbringst?“
*-*-*
Hyun-Woo schaute mich etwas gequält an.
„Ich weiß es nicht so recht. Die vergangenen Jahre habe ich an Weihnachten immer gearbeitet.“
„Du hast Weihnachten nicht mit deiner Mutter und Großmutter verbracht?“
Er schüttelte den Kopf. Großmutter kam zurück und suchte etwas.
„Großmutter, hast du schon überlegt, wie wir Weihnachten dieses Jahr feiern?“
Sie hielt inne und drehte sich zu uns.
„Naja, bisher haben wir die letzten Jahre Weihnachten nie so richtig gefeiert…“
„Das kann man ja dieses Jahr ändern“, sagte ich fröhlich.
„Hast du dir da schon etwas überlegt?“
„Hm, wenn ich mir recht überlege, hätte ich da schon einen Vorschlag. An Heiligabend werde ich wohl den Abend mit meinen Eltern und Schwester verbringen, weil wir in Deutschland an diesem Abend immer feiern.“
„Das wusste ich nicht.“
„Ist auch nur bei uns in Deutschland so. Aber am nächsten Tag dachte ich, hier vielleicht mit der ganzen Familie und eventuell Freunden Weihnachten zusammen zu feiern.“
„Das wäre schön…“, sagte Großmutter.
War das wirklich ihre Meinung? Sie sah nicht gerade glücklich aus. Ich ging zu ihr hin und nahm ihre Hände.
„Was ist los Großmutter?“
„…seit dem Verschwinden meiner Tochter, deiner Mutter haben wir kein richtiges Weihnachtsfest gefeiert. Ich dachte, dass wir nie wieder das gemeinsam feiern werden.“
Tränen rannen über ihre Wangen, was mich nicht kalt ließ. Meine Augen wurden ebenso feucht.
„Großmutter, ich verspreche dir, dass wird das schönste Weihnachtsfest, dass du dir vorstellen kannst!“
„Danke mein Junge.“
Dann verschwand sie aus dem Raum. Ich wischte die Tränen weg und sah zu Hyun-Woo. Er kam zu mir und nahm mich in den Arm.
„Ich kann mich immer wieder nur wiederholen…, ich bin so stolz, dass ich dein Freund sein darf, ich liebe dich Lucas Dremmler!“
*-*-*
Die nächste Überraschung kam, als Hyun-Woo die Eingangstür zur Wohnung aufschob. Vor uns standen fein säuberlich verpackt, die Pflanzen, die ich am Morgen gekauft habe.
„Was ist das?“
„Für die Wohnung“, meinte ich, legte ab und schnappte mir die erste Pflanze. Langsam kam die Pflanze zum Vorschein, auch der blaue Übertopf, den ich dafür ausgesucht hatte. Das Papier ließ ich einfach fallen und stellte die Pflanze aufs Regal neben dem Fernseher.
„Das ist ein schönes Blau…“, sagte Hyun-Woo.
„Dir gefällt es?“
Er nickte und lächelte breit. Ich verteilte die restlichen Pflanzen und merkte schnell, ich hätte noch viel mehr kaufen können. Hyun-Woo stand in mitten des Raumes und drehte sich.
„Das ist sehr schön, Lucas! Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen.“
Ich nahm in den Arm und schaute mit ihm die neuen Bewohner in der Wohnung an.
„Vielleicht irgendwann, wenn es bei euch etwas ruhiger wird und du vielleicht mehr Zeit hast, darüber nach zu denken.“
„Du denkst, es wird irgendwann ruhiger?“
„Ist bei einer Neueröffnung nicht immer viel zu tun… Ich denke…, wenn ihr euch eingespielt habt, eure Leute eingearbeitet sind, dann wird es ruhiger und es kommt vielleicht auch ein bisschen Routine hinein.“
„Dein Wort in Gottes Gehörgang!“, meinte Hyun-Woo.
Ich zeigte ihm die Spitze meiner Zunge, worauf er durch meine Haare wuschelte.
„Gefällt mir immer besser…“
„Mein Haare?“
Er nickte.
„Die schwarzen kurzen Haare und die grünen Augen dazu…, da fällt mir nur magisch ein.“
„Du übertreibst!“
„Nein, das kommt aus der Tiefe meines Herzens.“
Für dieses Kompliment gab ich ihm einen Kuss auf die Nase.
„Möchtest du noch etwas essen, hast du Hunger?
„Eigentlich nicht. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne ins Bett gehen, aber wenn du noch etwas essen möchtest, leiste ich dir gerne Gesellschaft.“
„Ich habe ebenso kein Hunger und etwas früher zu Bett gehen, schadet mir auch nicht.“
Ich grinste ihn an. Eine Tonfolge ließ mich zur Wohnungstür gucken. Jemand gab den Code vom Schloss ein. Er knackte kurz und Juen betrat die Wohnung. Er sah nicht sonderlich gut aus.
„Hallo ihr beiden…“, meinte er und lief geradewegs zu seinem Zimmer.
„Hallo Juen, alles klar mit dir?“, fragte ich.
Er winkte ab und verschwand in seinem Zimmer. Ich schaute zu Hyun-Woo, der mit der Schulter zuckte. Mein Blick haftete nun auf der Zimmertür von Juen. Ich spürte Hyun-Woos Hand auf meinem Rücken, wie sie mich Richtung Tür schob.
„Jetzt geh schon, sonst hast du e keine Ruhe. Ich geh dann mal duschen.“
Ein kleiner Kuss auf die Wange und er verschwand im Schlafzimmer. Ich schaute wieder zur Tür, hinter der Juen verschwunden war. Ohne groß darüber nach zudenken, klopfte ich an.
„Ja?“, hörte ich es von drinnen.
„Ich bin es, Lukas, kann ich eintreten?“
Ich bekam keine Antwort. Sollte ich ihn in Ruhe lassen? Nein, ich hatte versprochen für ihn da zu sein. Ich drückte die Klinke hinunter und schob langsam die Tür auf. Juen saß auf seinem Bett und starrte zu Boden.
Seine Schuhe lagen im Zimmer verstreut und von seinem Hemd hatte er sich ebenso entledigt. Das hatte er einfach so über den Stuhl geworfen. Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Dann setzte ich mich neben ihn.
„Ist nicht gut gelaufen…?“
„…das ist es nicht…“
„Was bedrückt dich sonst?
Er schaute auf und atmete tief durch, dann rieb er sich über das Gesicht. Danach wanderte sein Blick zu mir.
„Ich…, ich weiß einfach nicht was das Ganze soll. Es bringt nur den Schmerz zurück!“
Also ging es um seine Mutter.
„Lucas, mein Vater war auch zugegen und es sah aus, als würde er alles mit Fassung tragen. Seine Augen sagten aber etwas anderes, innerlich verriss es ihn fast. Ich möchte nicht noch einmal durchmachen, was wir gemeinsam, nach dem Unfall durch gemacht haben!“
Das verstand ich, aber hieß es nicht, dass Wahrheit einem die innere Ruhe wieder schenkt. Ich nahm ihn in den Arm, weil mir nichts einfiel, was ich dazu sagen konnte. Er vergrub sein Gesicht in meiner Schulter und weinte.
Ja, weine… dachte ich für mich, das tut dir gut! Er wirkte jetzt so zerbrechlich, obwohl er älter war als ich. Ich tätschelte ihm auf den Rücken.
„… es wird alles wieder gut!“, sagte ich leise.
Ich legte mein Kinn auf seinen Kopf und starrte in die Lampe, die den Raum erleuchtete. Ob, wirklich alles wieder gut werden würde. Seine Mutter war krank und würde wahrscheinlich in diesem Zustand bleiben.
Ich hätte mal Young-Sung, Papas Freund fragen sollen, ob so etwas nicht behandelbar ist, denn jetzt wusste ich keinen Rat. So saß ich nur da, nichts sagend und tröstete ihn.
*-*-*
Als ich das Schlafzimmer betrat, lag Hyun-Woo bereits im Bett und hatte er irgendwelche Papiere in der Hand. Er schaute auf.
„Wie geht es Juen?“, wollte er wissen.
„Er ist eingeschlafen. Ich entledigte mich meiner Klamotten und lief nur in Shorts ins Bad. Wenig später, als ich zurück kam, hatte Hyun-Woo die Papiere zur Seite gelegt und schaute zu mir.
„Das alles nimmt Juen sehr mit. Dass die den Fall wieder aufrollen, bringt auch Erinnerungen zurück. Das schmerzt Juen sehr, auch seine Vater wieder so zu sehen.“
„Sein Vater?“
„Der muss wohl auch bei Onkel Min-Chul gewesen sein.“
„Den habe ich noch nicht kennen gelernt.“
„Ich auch nicht. Als Jae-Joong und ich zusammen Juens Sachen abholten, da war nur seine Mutter anwesend. Von seinem Vater hat er fast nichts erzählt.
„Ich verstehe, dass solche Erinnerungen schmerzhaft sein müssen und das heißt nur, Juen hat sie wahrscheinlich für sich noch nicht richtig verarbeitet.“
„Kann man so etwas überhaupt?“, fragte ich.
Ich krabbelte ins Bett neben Hyun-Woo und stückte meinen Kopf auf der Hand auf.
„Ich weiß noch, als mein Vater starb. Die Zeit für mich war schwer, denn ich wusste nicht, wie es ohne meinen Vater weiter gehen sollte. Ich habe auch das Bild noch im Kopf, wie sehr meine Mutter und auch Großmutter damals geweint haben.“
Als meine Großeltern starben, war ich noch zu klein und Mama meinte, die beiden sind jetzt im Himmel. Natürlich kann man bei einem Erwachsenen so etwas nicht mehr sagen. Aber man versucht auf andere Art zu trösten.
„Es ist immer noch präsent, aber es tut nicht mehr so weh wie früher. Ich weiß nicht wie lange es dauert, dass solche Gedanken einen schmerzen.“
„Bei Juen schon zehn Jahre.“
Hyun-Woo starrte zur Decke und nickte, danach drehte er den Kopf wieder zu mir.
„Großmutter war mir zu der Zeit eine große Hilfe. Sie hat viel mit mir geredet, obwohl sie ihren Sohn verloren hatte Aber diese Gespräche gaben mir die Möglichkeit, das Ganze anders zu verstehen“
„Aber dein Vater fehlt dir dennoch?“
„Klar fehlt er mir, aber wie gesagt, es tut nicht mehr so weh wie früher“, antwortete mir Hyun-Woo und lächelte.
Ich ließ mich nach hinten fallen.
„Komisch, seit ich hier bin, merke ich immer wieder, wie behütet ich bei meinen Eltern aufgewachsen bin. Erst hier ist so viel im Argen…“
„Ich hoffe, dass nimmt dich nicht zu sehr mit.“
„Es rührt mich natürlich und regt zum denken an. Aber irgendwie hat jeder ein Päckchen zu tragen, oder?“
Hyun-Woo beantwortete meine Frage mit einem Nicken.
„Wir sollten schlafen, damit du morgen fit bist!“
„Fit für was?“
„Ich weiß nicht, was für Ideen du morgen hast. Die Pflanzen auf alle Fälle gefallen mir gut!“
Hyun-Woo löschte sein Licht. Ich krabbelte unter meine Decke und machte ebenso meine Lampe aus und kuschelte mich an Hyun-Woo.
*-*-*
Am Morgen, gut ausgeschlafen, wachte ich früh auf. So hatte ich die Möglichkeit mit Hyun-Woo zu frühstücken. Es war eben doch etwas anderes, als später mit Juen zusammen zu sitzen.
Als er aufbrach, nahm ich ihn noch einmal in den Arm und küsste ihn innig. Das Schloss der Tür schnappte ein und es kehrte wieder Ruhe ein. Ich überlegte, was ich machen sollte.
*-*-*
Mir fiel Papa ein. Ich schaute auf die Uhr und rechnete aus, wie viel Uhr nun wohl zu Hause war. Ich war mir sicher, dass er noch nicht im Bett war, griff nach meinem Handy und schickte ihm eine Mitteilung, dass ich online ging.
Es dauerte etwas, bis er ebenso kam. Er lächelte, als er mich sah.
„Hallo Lukas, freut mich, dass du Zeit hast, dich zu melden.“
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite. Ist Mama in der Nähe?“
„Die ist schon zu Bett gegangen, sie war so müde.“
„Das ist schade. Sag ihr Morgen einen lieben Gruß von mir.“
„Ich weiß nicht, ob das gut ist“, grinste mir mein Vater auf dem Bildschirm entgegen.
„Wieso?“
„Wenn ich ihr erzähle, dass ich dich heute Abend auf dem Bildschirm hatte, wird sie sicher böse, dass ich sie nicht geweckt habe.“
„Sie wird es überleben, sie sieht mich doch in knapp zwei Wochen. Ihr kommt doch am 23ten.“
„Ja, der Flug ist gebucht.“
„Sind deine Geschwister nicht böse, dass ihr Weihnachten nicht da seid?“
„Warum sollten sie. Sie haben sich doch eh beschwert, die Feiertage mit den vielen Essen, wäre immer so anstrengend. So können sie es mal ruhig angehen und abnehmen!“
Ich musste lachen und hielt meine Hand vor den Mund.
„Ist Hyun-Woo nicht da?“
„Der ist schon zur Arbeit gefahren.“
„Und Juen?“
„Der schläft noch.“
„So lange…?“
„Papa, hier ist es kurz nach sieben, als früh und außerdem braucht Juen seinen Schlaf.“
„Wieso denn, ist etwas passiert?“
„Ich weiß nicht, wie viel dir Onkel Min-Chul über Juen erzählt hat.“
„Nicht viel, warum?“
„Juens Mutter hatte vor zehn Jahren einen Verkehrsfall, an dem sie bis heute psychisch leidet, der Schuldige ist mit dem Unfallwagen abgehauen und als Onkel Min-Chul mit seinen Kollegen das Haus des Professors, also der mit dem Medikamentenschwindel…“
„Ich weiß, wen du meinst“, unterbrach mich mein Vater.
„Also als sie das Haus durchsuchten, fanden sie eine Sammlung von verschiedenen Wagen und durch Zufall den Unfallwagen. Der Professor hat sie über den Haufen gefahren und auf der Straße liegen lassen…, er war also damals schon so kaltschnäutzig…“
„Armer Juen, der ist natürlich über diese Nachricht nicht erfreut.“
„Nein, genauso wie sein Vater.“
„Das tut mir leid.“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wo wir eben von Weihnachten gesprochen haben“, versuchte ich das Thema zu wechseln, „Stört es euch, wenn ich am ersten Weihnachtsfeiertag eine Weihnachtsfeier für die ganze Familie und ein paar Freunde organisiere?“
„Wird dir das nicht zu viel?“
„Nein, das macht Spaß!“
„Also meinen Segen hast du, solange es etwas Gutes zum Essen und Trinken gibt.“
Er lachte und das war ansteckend.
„Es tut gut dich so lachen zu sehen, freut mich. Dir scheint es wirklich gut zu gehen.“
„Wie soll es mir sonst gehen, außer gut? Ich habe so viele Freunde um mich herum und auch Familie, da kann es mir nur gut gehen“, log ich.
Onkel Min-Chul hatte wegen der Entführung anscheinend wirklich nichts erwähnt.
„So, jetzt werde ich aber zu Bett gehen, du weißt selbst, am Freitag ist die Praxis immer voll.“
„Dann mal gute Nacht Papa, freut mich, dass du Zeit hattest.“
„Geht mir genauso und dir einen schönen Tag.“
„Tschüss Papa!“
„Tschüss Lucas.“
Das Bild verschwand und Papa war offline.
*-*-*
Es war schon fast Mittag, als Juen aus seinem Zimmer kam. Ich hatte mir die Zeit am Laptop vertrieben.
„Guten Morgen“, brummelte er.
„Hm…, eher guten Mittag, hast du schon auf die Uhr geschaut?“
Er lugte unter seinem Handtuch hervor und schaute Richtung Uhr, die bei der Küchenzeile hing. Es war eine liebe Angewohnheit geworden, dass Juen morgens immer nur mit einer Shorts bekleidet und einem Handtuch auf dem Kopf aus seinem Zimmer kam. Mich störte es nicht weiter, er sah gut aus und ich mochte ihn.
„Du weißt schon, was du mir antust, wenn du fast nackt und gutaussehend, jeden Morgen vor mich trittst?“, zog ich ihn lächelnd auf.
Er stoppte abrupt und schaute mich entsetzt an.
„Ich… ich dachte… ich dachte du weißt ich steh auf Mädchen… und… und du bist mit Hyun-Woo zusammen“, stotterte er verlegen.
Ich konnte nicht anders und fing laut an zu lachen. Verwirrt guggte er mich an.
„Das war nur Spaß, Juen!“
Ein Durchatmen ging durch seine Körper.
„Du… du findest mich gutaussehend?“
„Klar, du siehst wirklich lecker aus!“
„Das hat noch keiner zu mir gesagt…“
Ich kicherte weiter.
„Hast du heute schon etwas geplant?“, fragte Juen.
Da wollte wohl jemand vom Thema ablenken, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich stand auf und ging zu ihm. Langsam fuhr ich mit meinem Finger über seine nackte Brust bis zum Bauchnabel.
„Wieso, hast du noch etwas vor?“, fragte ich süffisant.
Entsetzt schüttelte er seinen Kopf. Wieder musste ich lachen, aber nicht wegen seinem Verhalten, sondern weil sie in seiner Shorts deutlich etwas regte.
*-*-*
„Hallo?“
„Hallo Jae-Joong, bist du zu Hause?“
„Grad noch, du hast Glück, wolltest du vorbei kommen?“
„Jaein… kommen wollte ich später, eigentlich wäre ich mehr an deiner Mutter interessiert.“
„Meine Mutter?“, fragte Jae-Joong gespielt entsetzt, „ist sie nicht etwas zu alt für dich? … Aua.“
„Ich musste lachen.
„Du weißt wie ich das meine!“
„Meine Mutter nicht, die sitzt neben mir und hat mir eine Kopfnuss gegeben.“
Ich grinste.
„Kannst du sie mir kurz geben?“
„Einen Moment, ich sag schon mal bye.“
„Bye Jae-Joong!“
Es knisterte kurz.
„Hallo Lucas?“, hörte ich Hyo-Joo altvertraute Stimme.
„Hallo Hyo-Joo, schön, dass ich dich sprechen kann.“
„Was hast du auf dem Herzen?“
„Es geht um Weihnachten, Ich möchte eine Weihnachtsfeier organisieren und kenn mich da nicht so aus.“
„Und ich soll dir dabei helfen? Wie viele Personen sind es denn?“
„Ja, das wäre nett! Moment, lass mich nachrechnen…“
Ich klemmte das Handy zwischen Ohr und Hals und fing mit den Finger an, abzuzählen.
„Dreiundzwanzig mit euch drei sind es dreiundzwanzig.“
„Uns drei?“
„Ja, du, Jae-Joong und Kang-Hee. Das soll ein Fest der Familie und Freunde werden und da gehört ihr dazu.“
Da Mr. Choi eh nie anwesend war und in der Vergangenheit nicht gerade freundlich zu mir war, wollte ich ihn nicht dabei haben. Jae-Joongs Mutter schien das aber auch nicht zu stören.
„Das ist lieb von dir, Lucas. Was hast du dir denn vorgestellt?
„Das weiß ich eben nicht, deshalb wollte ich dich fragen, ob du mir zur Seite stehen kannst. Wann hättest du denn Zeit?“
Ich fragte erst gar nicht, ob sie es überhaupt machen wollte. Ich ging gleich in die Vollen.
„Heute Mittag wäre es mir Recht, Lucas, aber es wäre vielleicht gut, wenn eine oder beide deiner Tanten dabei wären.“
„Darum werde ich mich sofort kümmern, ich lasse dir dann eine Nachricht zu kommen, ob es in Ordnung ist.“
„Geht in Ordnung, Lucas, ich freue mich.“
„Ich mich auch, bis später, bye!“
„Bye!“
Schon war das Gespräch beendet. Ich schaute auf und sah dass Juens Tür offen stand.
„Juen?“, rief ich.
„Ja?“, kam es aus seinem Zimmer.
Plötzlich lugte sein Kopf heraus.
„Was ist?“
„Wäre es möglich den Fahrdienst zu informieren, dass ich gerne zu meinen Großeltern fahren würde.“
„Das ist kein Problem, Moment, ich rufe gleich an.“
Juen verschwand wieder in seinem Zimmer. Wenig später kam er fertig angezogen wieder heraus.
„In zehn Minuten steht der Wagen bereit!“
„Danke Juen, dann mache ich mich auch fertig.“
*-*-*
Das Gefühl, dass wir beobachtet werden, war nicht vergangen. Ich erwischte mich immer wieder, wie ich ab und zu nach hinten schaute.
„Alles klar, Lucas? Du wirkst so nervös.“
„Ach ich weiß auch nicht, ich habe immer noch das Gefühl, dass wir beobachtet werden.“
„Dir geht es genauso?“
Juen nickte.
„Solange dieser Professor nicht verhaftet ist, denke ich wird dieses Gefühl noch bleiben“, meinte er.
„Es ist aber nervig!“
„Das kann ich dir nachfühlen.“
Ich war froh, als der Wagen vor dem Haus meiner Großeltern vorfuhr. Ich bedanke mit beim Aussteigen artig beim Fahrer, der dann wieder umdrehte und zurück fuhr. Ich schaute nach oben.
Die Wolken waren so dick und dunkel, da würde es sicher bald anfangen zu regnen. Ich zog meinen Schal mehr ins Gesicht, denn ich fror auch. So lief ich zur Eingangstür vom Laden, Hauptsache schnell ins Warme.
„Hallo Lucas! Juen…“, wurden wir von meiner Tante Min-Ri begrüßt.
Ich begann mich erst einmal etwas zu entkleiden, denn hier war es um einiges Wärmer als draußen.
„Vater und Mutter sind hinten“, fügte sie noch an.
„Hallo Tante Min-Ri…“, Juen verneigte sich, „wollte ich zu dir und Tante Min-Sun.“
Etwas verängstigt schaute sie mich plötzlich an.
„Zu uns? Ist etwas passiert? Geht es meiner Schwester gut?“
Oh, da hatte jemand etwas falsch verstanden.
Ich schüttelte abwehrend meine Hände.
„Nein, so meinte ich das nicht. Meiner Mutter geht es gut, aber ich bräuchte die Hilfe meiner zwei Tanten trotzdem!“
Sie schaute mich fragend an, dann drehte sie sich von mir weg.
„Min-Sun, könntest du bitte kommen“, rief Min-Ri nach hinten.
„Komme!“, hörte ich sie rufen und wenige Sekunden später, tauchte sie auch schon auf. Juen neben mir verneigte sich leicht.
„Oh, hallo Lucas“, sagte sie überrascht, schaute dann aber zu ihrer Schwester.
„Lucas benötigt unsere Hilfe…“, meinte Min-Ri.
„Unsere Hilfe? Um was geht es denn?“, wollte Min Sun wissen.
Damit wanderte deren Blick zu mir.
„Ähm… ich würde gerne eine Weihnachtsfeier machen…, also für die Familie und engen Freunde.“
„Eine Weihnachtsfeier, das ist schön“, kam es von Tante Min-Ri.
„Und wie hast du dir das vorgestellt?“, wollte Tante Min-Sun wissen.
Ich verzog leicht gequält das Gesicht.
„Also… ich… dachte mir, ihre beide könntet mir vielleicht… helfen…, ich kenn mich da nicht so aus.“
Beide schauten mich an, aber sagten nichts.
„Wenn ihr beide heute Mittag etwas Zeit habt, würde Mrs. Choi vorbei kommen, sie würde auch gerne helfen.“
„Sung-Ja könnte meinen Dienst übernehmen“, sagte Min-Sun zu ihrer Schwester, die ihr zu nickte.
„Wir werden dir auch sehr gerne helfen“, sprach dann Min-Ri zu mir, „und wann möchte Mrs. Choi kommen?“
„Die richtet sich ganz nach uns, ich soll ihr dann Bescheid geben.“
„Dann würde ich zwei Uhr sagen, oder?“
Beide Tanten nickten sich zu.
„Okay, dann sende ich ihr eine Mitteilung.“
Ich schaute zu Juen, der den Daumen nach oben hielt.
*-*-*
„Wie viel von diesen Tischgrills werden wir dann brauchen?“, fragte ich.
„Drei oder vier“, antwortete Hyo-Joo.
„Und wo wollt ihr das machen?“, wollte Großmutter wissen.
„Sie hatte sich zu uns gesellt, weil sie neugierig war, was wir machen wollten.
„Ich dachte erst hier…“, sagte ich, „aber ich glaube, dass ist zu eng, oder?“
Die vier Damen um mich herum nickten. Tante Min-Sun kratzte sich am Kopf und verzog ihr Gesicht.
„Min-Ri, wenn wir das große Regal neben die Kasse stellen, müsste doch genug Platz sein für einen so langen Tisch.“
Auch Min-Ri überlegte kurz.
„Du hast Recht und dekoriert wäre ja auch schon.“
„Ihr meint im Laden?“, fragte ich verwundert, „geht das denn, hat da Großvater nichts dagegen.“
„Der soll sich mal beschweren, dann bekommt er Ärger mit mir!“, sagte Großmutter und wir begangen zu lachen.
„Kinder, ich übernehme einen Teil vom Nachtisch“, meinte Großmutter dann, „ich weiß wie gerne Lucas von meinem Gepäck ist.“
„Danke Großmutter, wird dir das auch nicht zu viel?“
„Ach was, mein Junge, das mache ich doch gerne.“
„Und was für eine Suppe nehmen wir vorne weg?“, fragte Jae-Joongs Mutter Hyo-Joo.
„Eine Suppe, wird das nicht zu viel?“, fragte ich.
„Suppe ist ein Muss bei uns in Korea, Lucas“, antwortete mir Hyo-Joo.
„Wie wäre es mit Kimchi Jjigae oder Deonjeng Jjigae?“, fragte Großmutter.
„Beides gut“, sagte Hyo-Joo, die anderen nickten.
Was ist das?“, fragte ich verlegen, weil ich mich mal wieder nicht auskannte.
„Das erste ist eine Scharfe Nudelsuppe mit Kimchi und Tofu“, erklärte Großmutter.
„Deonjeng Jjigae ist eine Sojabohnensuppe mit Fleisch Gemüse und auch Tofu“, kam es von Tante Min-Ri.
„Das glaube, habe ich schon mal gegessen. Aber da waren Anchovis und Garnelen dabei.“
„Es gibt je nach Region verschiedene Rezepte für Deonjeng Jjigae“, sagte nun Tante Min-Sun.
„Ach so, auf alle Fälle war die sehr lecker“, lächelte ich.
„Dann also eine Deonjeng Jjigae Suppe, das übernehme ich“, meinte Hyo-Joo und notierte etwas für ihren Zettel.
„Wegen mir jetzt?“, fragte ich erstaunt.
„Klar, du hattest ja auch die Idee zur Weihnachtsfeier!“, meldete sich Großmutter zu Wort.
„Das Gemüse nehme ich natürlich von hier“, sagte sie grinsend.
„Danke!“, sagte Min-Sun, „Lucas, hat dir meine Schwester eigentlich das Kochen beigebracht?“
Verlegen schaute ich die Damenrunde an.
„Nein…, ich denke da ist sie noch etwas altmodisch… die Frau muss kochen können, nicht der Mann.“
„Du hast keine Frau“, sagte Juen neben mir, was die anderen zum Lachen brachte.
„Ich weiß nur, wie man Bauernfrühstück macht, das ist das Lieblingsessen von meinem Vater.“
„Bauernfrühstück, was ist das?“, fragte Großmutter.
„Kartoffeln gekocht, in Scheiben geschnitten und angebraten… Speck dazu und Ei darüber!“
„Hört sich interessant.“
Ich lächelte Großmutter an.
„Möchte jemand einen heißen Tee?“, hörte ich plötzlich Sung-Jas Stimme hinter mir.
Alle drehten sich in seine Richtung und er stellte ein Tablett voll Tassen auf den Tisch.
„Mann, wenn du hier bist, wer steht dann im Laden?“, fragte Min-Sun.
„Du würdest staunen, kein anderer als Hong Sik.“
„Hong-Sik?“, riefen die Damen im Chor.
„Das will ich sehen“, meinte Tante Min-Ri und sprang auf.
Im Nu saßen Juen und ich alleine am Tisch.
„Wer ist Hong-Sik?“, flüsterte Juen mir ins Ohr.
„Mein Cousin“, antwortete ich in normaler Lautstärke..
„Dein Cousin, also ein weiterer Neffe meines Kollegen Min-Chul?“
„Genau, er hat drei Neffen und mit meiner Schwester sogar zwei Nichten.“
„Du hast eine Schwester? Entschuldige, dass wusste ich nicht.“
„Hast du dass nicht mitbekommen?“
„Ich kann dir es nicht sagen, dein Onkel hat mir so viel erzählt, ich blick da nicht mehr ganz durch. Ich bin auch nicht ganz auf der Höhe. Wirklich Entschuldigung!“
„Juen, du brauchst dich doch nicht entschuldigen! Wenn das jemand versteht, dann wohl ich. Wie du gerade Mitbekommen hat vielleicht, meine Tante Min-Ri ist die Mutter von Hong-Sik. Onkel Sung-Ja und Tante Min-Sun haben einen Sohn Tae-Young und eine Tochter Un-Sook.“
„Die habe ich hier noch nie gesehen.“
„Die sind in meinem Alter und studieren alle.“
„Ach so.“
„Und dann gibt es noch meine Mutter Min-Ja mit mir und meiner Schwester Mia, sie ist sechzehn und geht noch zur Schule.“
„Min-Ri, Min-Sun und Min-Ja… leicht zu merken.“
Mir war nicht entgangen, dass Juen glasige Augen hatte.
„Was ist los, Juen? Weil ich hier von der Familie Rede?“
Er schaute zu Boden und schüttelte den Kopf.
„Was ist es dann?“
„Ich dachte gerade an meinen Bruder, den ich seit acht Jahren nicht mehr gesehen habe.“
„Du hast einen Bruder?“
*-*-*
Onkel Sung-Ja hatte uns netterweise zu So-Wois Firma gebracht und war über deren Äußeres angenehm angetan. Er scherzte sogar, sich vielleicht auch einmal einen Anzug Maßschneidern zu lassen.
Juen lief dieses Mal mit mir die Treppe hinauf, verzichtete auf den Fahrstuhl. Als wir den Vorraum betraten, saßen alle an ihrem Platz und waren fleißig am Arbeiten. Keiner nahm mich so richtig war.
„Entschuldigung“, sagte ich, „ist Hyun-Woo beschäftigt?“
Der junge Mann auf Hyun-Woos Seite schaute zuerst auf.
„Hyun-Woo führt gerade eine Telefongespräch, aber ich denke, sie können ruhig hinein gehen Mr. Dremmler.“
Hoppla, was war das? Auf einmal kam ich mir unheimlich alt vor. Jetzt wurde ich schon mit Nachnamen angeredet.
„Lukas ist mein Name! So nennen mich alle.“
Mein Gegenüber wurde leicht verlegen.
„Ich weiß nicht, ob unserem Chef das recht ist, wenn wir Lucas sagen.“
„Ihr dürft und wenn er etwas dagegen sagt, dann schickt ihn zu mir!“
Der junge Mann und seine Kollegin daneben lächelten mich beide an. Ich nickte ihnen beiden noch einmal zu und schob dann Hyun-Woos Bürotür auf. Natürlich zog ich die Aufmerksamkeit meines Schatzes auf mich, als ich ins Büro trat.
„Ich melde mich dann in den nächsten Tagen! Danke!“
Er legte auf und verließ seinen Stuhl.
„Hallo Lucas!“, meinte er strahlend und umarmte mich.
Juen schob hinter sich die Tür wieder zu.
„Ich weiß nicht, ob das jemand mitbekommen darf“, meinte er verschüchtert.
Hyun-Woo entließ mich aus meinem angenehmen Gefängnis und wandte sich an Juen.
„Das ist kein Geheimnis!“
Erst jetzt fiel mir die große Fotografie hinter seinem Schreibtisch. Das waren wir von hinten im Sonnenuntergang. Arm in Arm.
„WOW, wo hast du das denn her? Wo wurde das gemacht?“, fragte ich verwundert.
„Von So-Woi. Erinnerst du dich an die Insel? So-Woi hat Bilder gemacht und das war, als wir dem Sonnenuntergang zu schauten.“
„Ich erinnere mich, aber ich wusste nicht, dass So-Woi Bilder geschossen hatte.“
„Die hat er mir auch erst vor kurzen gezeigt. Es gefällt dir?“
„Klar! Warum haben wir so etwas nicht in der Wohnung hängen?“
Hyun-Woo lächelte mich an.
„Was habt ihr den Tag über getrieben, ward ihr wieder einkaufen?“
„Getrieben haben wir es nicht, du weißt Juen steht auf Mädchen!“
Ups, das war mir jetzt so herausgerutscht. Hyun-Woo fing an zu lachen und Juen wurde feuerrot im Gesicht.
„Aber wenn du es genau wissen willst. Juen und ich waren heute sehr produktiv.“
„So? Was habt ihr denn gemacht?“
„Lucas plant eine große Weihnachtsfeier“, erzählte Juen.
„Das weiß ich, aber was meint Juen mit groß?“
„Ein mit der ganzen Familie und Freunden.“
„Freunden?“
„Ja, klar So-Woi und seine Großmutter und natürlich Jack, Jae-Joong mit seiner Schwester und Mutter…, Juen… und deine Mutter und Großmutter.“
Hyun-Woo hob seine Hand.
„Stop, das wird doch viel zu viel!“, meinte er besorgt.
„Ich habe viel Hilfe, ich mach nichts alleine.“
„Bist du sicher?“
Juen kicherte, was Hyun-Woos Aufmerksamkeit auf ihn zog.
„Er hat vier Damen um den Finger gewickelt, die jetzt alles für ihn machen.“
Hyun-Woo schaute mich mit großen Augen an.
„Gleich vier?“
Zu einer Antwort kam ich nicht mehr, denn Hyun-Woos Tür wurde aufgezogen und So-Woi kam herein.
Er lief an mir vorbei und bemächtigte sich der Fernbedienung. Wenige Sekunden später flammte der Fernseher auf. Dort kamen wohl gerade Nachrichten. Ich konnte gerade noch das Wort Übernahme lesen.
Ich schaute zu So-Woi und Hyun-Woo.
„Was stand da gerade?“, fragte ich besorgt, als ich deren Gesichter sah.
So-Woi schaute zu mir.
„Hallo Lucas…, mein Vater hat öffentlich gemacht, dass er meine Firma übernehmen wird.“
*-*-*
Im Büro war es für kurze Zeit ruhig, bis So-Woi deutlich hörbar tief durchatmete.
„Du hast ihm aber doch gesagt, ein Verkauf steht nicht zur Debatte!“, sagte mein Schatz.
„Ja, eigentlich hatte ich mich klar und deutlich ausgedrückt.“
Jack steckte sein Kopf in durch die offene Tür.
„So-Woi, Grandma auf Leitung drei!“
So-Woi nickte und ging zu Hyun-Woos Telefon, er drückte zwei Knöpfe.
„Hallo Grandma, hier ist So-Woi.“
„Hallo Junge, was erfahre ich da gerade in den Nachrichten?“
So-Woi hatte das Gespräch wohl auf Lautsprecher gelegt, denn ich konnte seine Grandma hören.
„Grandma, keine Sorge, dass ist eine Falschmeldung, ich habe Vater klipp und klar gesagt, dass ich niemals verkaufen werde, schon gar nicht an ihn!“
„Er war bei dir und wollte deine Firma kaufen? Jetzt hat er den Bogen überspannt! Wenn es dich nicht stört, dann werde ich die Sache in die Hand nehmen.“
„Grandma, dass musst du nicht tun.“
„Ich weiß, ich will es aber. Er hat sich dieses Mal einen Fehler zu viel geleistet, mir reicht es jetzt! Ich habe viel zu lange seine Eskapaden ertragen, aber nun ist Schluss damit!“
Ich hatte Grandma Shin-Sook noch nie so sauer erlebt. Ich schaute zu Hyun-Woo, aber der schüttelte leicht den Kopf.
„Das ist dein alleiniges Recht, Grandma…“, sagte So-Woi, „willst du gleich zu so harten Mitteln greifen?“
Was meinte So-Woi mit, nach solchen Mitteln greifen?
„Ich kann ihm nicht alles durchgehen lassen, gerade weil er dein Vater ist. Junge ich melde mich wieder, ich habe zu tun.“
„Okay Grandma.“
„Grüß mir die anderen schön“, hörte ich sie in einem wesentlich sanfteren Ton sagen.
„Das werde ich machen Grandma, danke.“
Ein Knacken war zu hören und das Gespräch war wohl beendet, denn So-Woi drückte erneut eine Taste am Telefon.
„Und jetzt?“, fragte Hyun-Woo.
„Wir arbeiten weiter, wie gewohnt, wie haben viel Arbeit!“
„Entschuldige, wenn ich frage“, mischte ich mich ein, „was hat deine Grandma vor?“
Er schaute mich an und sein kalter Blick erschreckte mich etwas.
„Sie wird wohl gerade in diesem Augenblick den Vorstand von KBS anrufen und dafür sorgen, dass mein Vater seinen Posten verliert.“
„Er wird rausgeschmissen?“
„Ja Lucas, sie kann das und mit meinen Wertanteilen an der Firma, hat sie das absolute alleinige Sagen und bräuchte nicht mal den Vorstand dafür! Das ist der höfliche Weg.“
Ich schüttelte den Kopf. Der höfliche Weg jemand zu entlassen.
*-*-*
Immer noch geschockt, saß ich still neben Hyun-Woo im Wagen auf dem Nachhauseweg. Auch Juen hatte schon über einer Stunde keinen Piep mehr von sich gegeben. Ich drehte den Kopf zu Hyun-Woo, der verbissen auf die Straße schaute.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich.
Er nickte.
„Ich verstehe das alles nicht…“
„Musst du auch nicht, Lucas. Du hast seinen Vater kennen gelernt und kannst dir vielleicht vorstellen, dass dieser Mann, wenn er etwas möchte, alle Register zieht, die ihm möglich sind.“
„Ja, aber doch nicht bei seinem eigenen Sohn“, sagte ich sauer.
Hyun-Woo schaute kurz zu mir herüber.
„Ich glaube, bei euch in Deutschland, gibt es dafür ein Sprichwort… „Geld verdirbt den Charakter!“
„Grandma Shin-Sook und So-Woi haben auch Geld und die sind doch auch voll in Ordnung.“
„Ausnahmen bestätigen die Regel.“
„Noch so ein blödes Sprichwort! Woher kennst du plötzlich so viele Deutsche Sprichwörter?“
„Ich habe mich etwas im Internet umgeschaut.
*-*-*
Juen stand bei Hyun-Woo und half ihm in der Küche. Er hatte anscheinend ebenso Erfahrung in der Küche. Leicht frustriert ging ich ins Schlafzimmer und zog mich gemütlicher an. Was konnte ich dafür, dass meine Mutter so eine altertümliche Meinung hatte und ich dazu nicht mal auf Mädchen stand?
Ich hatte meine Klamotten über den Boden verstreut, besann mich aber des Besseren. Hyun-Woo würde wieder hinter mir herräumen und das mochte ich nicht. So hob ich alles mit einem lauten Seufzer auf und legte es schon geordnet über den Stuhl.
Als ich zurück in den Wohnbereich kam, roch es verführerisch gut. So lief ich direkt zur Theke und ließ mich nicht auf der Couch nieder. Bevor ich aber alle diese Leckereien bewundern konnte, klingelte es.
Schweren Herzens ging ich an die Türsprechanlage und schaute auf den Bildschirm. Der Sicherheitsbeauftragte kündigte einen Polizisten an, aber im Hintergrund konnte ich Onkel Min-Chul entdecken.
„Onkel, komm doch rauf!“, rief ich und er nickte.
Das Bild verschwand und ich lief so wie ich war, an den Fahrstuhl. In Shorts und langem Pullover. Ich schaute hoch auf die Zahlen und freute mich, als die Zahl endlich bei der fünf stehen blieb und sie die Tür öffnete.
„Hallo Onkel Min-Chul“, begrüßte ich ihn und fiel ihm um den Hals.
Ich spürte Hände, die mir auf den Rücken klopften.
„Daran muss ich mich echt noch gewöhnen“, sagte er.
„An was?“
„Das mit dem Umarmen…, aber wenn ich ehrlich bin, es gefällt mir. Besonders, wenn es ein so gut aussehender junger Mann wie du bist.“
Gespielt entsetzt schaute ich ihn an.
„Onkelchen, da tun sich ja Abgründe auf, wenn die junge hübsche Männer gefallen!“
Er kicherte mit vorgehaltener Hand.
„Ein Kollege sagte mal, wenn man bi ist, hat man viel mehr Auswahl“, flüsterte er mir ins Ohr.
Ich konnte nicht anders und begann zu lachen.
„Muss ich mir jetzt um Juen Sorgen machen?“, fragte ich.
„Wieso, ist der auch…?“
„Schwul? Ich denke eher nicht…, wobei, wenn ich an heute Morgen denke…“
Ich erzählte ihm die Geschichte vom Morgen und so gingen wir beide lachend in die Wohnung, denn der Flur war etwas kalt. Hyun-Woo begrüßte Min-Chul ebenso mit einer Umarmung, nur Juen, der verneigte sich und war sichtlich rückhaltener als sonst.
Er setzte sich auch erst, als mein Onkel bereits Platz genommen hatte. Es stellte sich heraus, dass mein Onkel nur vorbei gekommen war, weil er mich sehen wollte. Nicht mit einem Wort wurde die Geschichte mit den Medikamenten erwähnt.
„Da fällt mir ein, dass ich noch etwas habe.“
Ich stand auf und ging zum Regal neben dem Fernseher. Dort entnahm ich einen Stapel Briefumschläge, lass die Namen, bis den Umschlag meines Onkels fand. Auch den von Juen und Hyun-Woo fand ich.
„Hier für dich“, sagte ich und streckte Onkel Min-Chul den Umschlag entgegen.
Auch Juen und Hyun-Woo erhielten einen.
„Was ist das?“, wollte mein Onkel wissen.
„Mach auf und du wirst es wissen.“
Wie die anderen beiden, öffnete auch er den Umschlag und zog eine Karte heraus. Er lass kurz und schaute mich dann an.
„Danke!“, meinte er nur stand auf und umarmte mich.
„Du weißt gar nicht, wie viel dies mir bedeutet!“
Ich konnte es mir gut vorstellen.
„Wann hast du die denn gemacht?“, wollte Hyun-Woo wissen.
„Och, ich hatte ein wenig Hilfe von Jack, der mir die Karten besorgte und mit Absprache meines weiblichen Fanclubs, ist schon alles für den Abend geregelt“, prahlte ich stolz.
„Aha, weiblicher Fanclub…, interessant“, kam es von Onkel Min-Chul.
„So und jetzt gibst du mir deinen Mantel und isst mit uns“, kommandierte ich ihn herum.
„Wenn mein Neffe das meint, muss ich das wohl machen.“
Er ließ den Mantel herunter gleiten. Ich nahm ihm den ab und legte ihn über die Sofalehne, bevor ich mich wieder zu ihm setzte. Juen hielt seine Einladung hoch.
„Danke…, bist du sicher?“
„Sicher mit was?“
„Dass du mich auch einlädst?“
„Warum soll ich dich nicht einladen, du gehörst doch auch dazu.“
Er ließ seinen Kopf sinken.
„Ich gehöre aber nicht zur Familie und weiß auch nicht, ob das deinem Onkel recht ist.“
Mein Onkel schwieg überraschenderweise, so übernahm ich den erklärenden Part, auch wenn ich nicht richtig wusste, was ich sagen sollte.
„Juen, es heißt ausdrücklich Familie und Freunde! Auch wenn du der Kollege meines Onkels bist, bist du auch mein Freund, warum soll ich dich dann nicht einladen sollen?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Setz dich!“, sagte plötzlich mein Onkel.
Unsicher umrundete Juen die Theke und setzte sich zu Onkel Min-Chul.
„Jetzt hör mir mal zu Juen. Ja, es stimmt, du bist mein Kollege und Partner. Ich weiß selbst, dass ich manchmal nicht sehr umgänglich bin und von den Kollegen oft als eigenbrötlerisch, starrsinnig bezeichnet werde und ab und wann sehr aufbrausend bin.“
Juens Augen waren groß und sein Kopf machte leicht nickende Bewegungen. Onkel Min-Chul legte seine Hand auf Juens Schulter.
„Ich bin nur so streng dir gegenüber Juen, weil du zu euphorisch bist. Ich weiß es ist toll, wenn man nach der Akademie seinen ersten Dienst antreten darf. Aber deine Euphorie bremst deine Aufmerksamkeit auf und die brauchst du in diesem Job. Ich versuche dich lediglich zu bremsen, damit du alles richtig machen kannst, in einer ruhigeren Gangart.“
Ich war über die Worte meines Onkels beeindruckt und diese Sichtweise nicht gewusst. Juen sagte immer noch nichts, sondern nickte nur.
„Ich habe wirklich nichts dagegen, dass du mit Lucas befreundet bist, je mehr Leute er hier kennt, umso besser ist es auch für ihn.“
„Heißt das, ich soll dich zur Begrüßung nun auch umarmen?“
Ich prustete los und fiel fast dabei vom Stuhl. Ab und zu fragte ich mich, war er so frech, oder war er ein Naivchen, das es nicht besser wusste. Onkel Min-Chul schüttelte resigniert den Kopf.
„Yuen, ich bin dein Vorgesetzter und Kollege, du begrüßt mich wie immer. Vielleicht wenn wir mit Lucas und den Jungs alleine sind, dann ist es etwas anderes, aber bitte nie vor den Kollegen…, die könnten sonst noch was glauben.“
Juen lief rot an und ging auf Abwehrstellung.
„Ich steh wirklich auf Mädchen, das habe ich schon heute Morgen Lucas gesagt!“
Bevor irgendwer etwas darauf erwidern konnte, meldete sich Hyun-Woo zu Wort.
„Das Essen wird kalt!“
*-*-*
Wir waren noch ein wenig auf der Couch gesessen und Onkel Min-Chul erzählte noch ein wenig von sich. Juen hörte aufmerksam zu und unterbrach ihn nicht. Danach konnte ich mir schon vorstellen, wie er sich fühlen musste, nicht mehr bei der Familie zu sein und wie wichtig es ihm jetzt war, wieder dazu gehören zu dürfen.
Ein Anruf unterbrach unsere heitere Runde und Onkel Min-Chul war schnell verschwunden. Juen half noch die Tassen zu spülen, während ich schon gähnend den beiden dabei zu sah.
„Ich sag dann mal gute Nacht“, meinte Juen, „ihr braucht mich ja nicht mehr.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein Juen, nun kann ich selbst auf meinen Großen aufpassen“, lächelte Hyun-Woo.
Juen verneigte sich leicht und verschwand in seinem Zimmer. Er war ein so lieber Kerl und doch hatte er so viel mit sich herum zu schleppen.
„Müde oder nachdenklich?“
„Beides!“
Und als wollte ich es unterstreichen, begann ich zu gähnen.
„Dann mal ab ins Bett mit dir, ich mach hier nur noch alles aus“, sagte mein Schatz und zog mich von der Couch herunter.
Am Morgen stand ich mit Hyun-Woo wieder gemeinsam auf. Es tat einfach gut, beim Frühstück zusammen zu sitzen und über alles Mögliche zu reden, oder etwas zu schmusen. Beides war schön.
Ich entschloss mich auch, heute mit in die Firma zu fahren, weil ich So-Woi und Jack noch ihre Einladung geben wollte. Zudem hatte So-Woi eine Nachricht hinter lassen, dass er noch meine Hilfe bräuchte, bei was auch immer.
„Meine Mutter hat sich gemeldet. Wenn wir vor Weihnachten noch Zeit fänden, sollen wir doch vorbei kommen, sie hätte da etwas für uns.“
„Du weißt was?“
„Nein.“
„Wird das nicht ziemlich knapp? Euer Terminplan ist so voll und ihr habt noch so viel zu machen, bis zu der großen Feier an Sylvester.“
„Das geht schon irgendwie. Mal sehen, was So-Woi von dir möchte, vielleicht können wir uns schon heute davon schleichen.“
„Das hört sich irgendwie romantisch an, davon schleichen.“
„Es wäre romantisch…, wäre da nicht ein winzig kleiner Grund, der uns davon abhalten könnte.“
Ich überlegte kurz.
„Juen…“
Mein Schatz nickte.
„Den könntest du jetzt wecken, wenn wir pünktlich fortfahren möchten. Ich kümmer mich solange um das Geschirr!“
„Okay!“
Während sich Hyun-Woo um das Geschirr unseres Frühstücks kümmerte, ging ich zu Juens Tür und klopfte.
„Juen? Aufstehen!“, rief ich, bekam aber keine Antwort.
Ich schaute zu Hyun-Woo. Der lächelte nur. Ich klopfte abermals, aber wieder kam keine Reaktion. So öffnete ich langsam die Tür und schaute in einen total dunklen Raum. Technik sein Dank, tastete ich neben der Tür die Wand ab. Aber nicht, um das Licht anzuschalten, sondern die Bedienung des Rollladen in Bewegung zu setzten.
Ritz für Ritz wurde sichtbar und es wurde langsam heller im Raum.
„Juen…“, sagte ich.
„Hm…?
„Aufstehen, wir möchten wegfahren.“
Keine weitere Reaktion kam. Der Rollladen war etwa ein Drittel hochgefahren, so stoppte ich das Ding und ging zu Juen ans Bett. Der Kleine lag doch tatsächlich fast nackt in seinem Bett und schlief fest. Sehr verführerisch. Ich stubste ihn an.
„Juen! Aufwachen!“
Aber anstatt aufzuwachen, griff er nach meiner Hand und zog sich heftig zu sich. Ich natürlich, verlor mein Gleichgewicht und landete auf ihm. Mein Gesicht direkt vor seinem. Er blinzelte mit den Augen.
„Guten Morgen Juen“, sagte ich süffisant.
Er schien noch nicht richtig mit bekommen zu haben, wer da auf ihm lag, denn ich spürte eine Hand auf meinen Rücken.
„Öhm, was soll das werden, wenn es fertig ist?“, hörte ich Hyun-Woos Stimme von der Tür her.
Ich begann zu kichern.
„Dass musst du Juen fragen, er hat mich auf sich gezogen… Juen, jetzt wach endlich auf!“, sagte ich laut.
Dies schien gewirkt zu haben, seine Augen öffneten sich nun ganz und er schaute kurz zu mir, dann zu Hyun-Woo, der mittlerweile neben mich getreten war. Seine Augen wurden immer größer und auch panischer.
Mit einem lauten Schrei drückte er mich von sich weg, was zur Folge hatte, dass ich vom Bett vor Hyun-Woos Füße purzelte. Das tat etwas weh. Hyun-Woo zog mich hoch und tätschelte mich am Hintern.
„Geh dich umziehen Schatz, ich kümmere mich um das hier“, meinte er nur und schob mich
Richtung Tür.
Zu gerne hätte ich gewusst, was Hyun-Woo jetzt gemacht hatte, aber das Umziehen war wichtiger. Etwas später stand ich frisch gestriegelt wieder im Wohnzimmer und fand dort Hyun-Woo mit Juen vor, der ebenso fertig angezogen war.
Naja, so halb angezogen, er zupfte immer noch an seinen Klamotten herum.
„Dann können wir ja endlich fahren…, ich komme sonst zu spät!“, meinte Hyun-Woo.
*-*-*
Es war schon komisch So-Woi und Jack mehr in der Firma zu sehen, als zu Hause, wo er gerade ein Stockwerk höher wohnte. Auch ihnen gab ich die Einladung zum Weihnachtsfest, was freudig begrüßt wurde.
Danach gab es dann Arbeit für mich. Neue Muster waren fertig und es hieß Anziehen und Ausziehen. Fotos wurden gemacht, nicht nur von mir, dieses Mal waren auch Klamotten für Juen dabei.
Er sah gut aus, verdammt gut! Nie würde jemand darauf kommen, dass dieses kleine Bündel voll Charme ein ganz normaler Polizist war. Ich wusste nicht mal ob ihm selbst bewusst war, wie er auf andere wirkte.
Jack schien dies ebenso bemerkt zu haben, denn nicht nur einmal erwischte ich ihn, wie er dieses kleine Muskelpaket beobachtet. Und einmal trafen sich danach unsere Blicke. Er grinste verlegen und wurde leicht rot.
Da die Wintersaison eigentlich gelaufen war, hatte So-Woi nur Dinge für den nächsten Sommer entworfen. So stand ich mal in einem Anzug mit kurzen Hosenbeinen vor der Linse, oder im legeren sportlichen Outfit.
So wie die ersten Entwürfe, gefiel mir durchweg alles, was uns da So-Woi präsentierte. Alles traf mein Geschmack. Diese Anprobe zog sich den ganzen Vormittag hin und ich war froh, als Jack mit dem Mittagessen auftauchte und endlich Pause war.
Noch voll geschminkt, saß ich nun am Tisch und machte mich hungrig über das mitgebrachte Essen her. Am Tisch war es seltsam ruhig, keiner sagte ein Wort, nur Essgeräusche drangen an mein Ohr.
Aber um ehrlich zu sein, ich genoss diese Ruhe im Kreis meiner Freunde. Keiner hatte mehr ein Wort über die Entführung verloren. Jeder benahm sich so, als wäre sie nie geschehen. Aber das war mir nur recht.
Aber etwas anderes kam mir wieder in den Sinn. Dieser Professor war noch immer auf freien Fuß. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob er sich wirklich abgesetzt hatte. Dagegen sprach, dass er nirgends aufgetaucht war.
Keinem Flughafen, Bahnhof oder Busstation. Er hatte genug Vorsprung, um einer dieser Dinge benutzen zu können. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Und gerade das beunruhigte mich ein wenig.
Wussten wir wirklich wie dieser Typ tickte? War er an der Ermordung dieses anderen Arztes real beteiligt, oder zog er nur die Fäden im Hintergrund, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen?
Alles Fragen, die unbeantwortet blieben. Und dies so kurz vor Weihnachten. Ich wollte den Gedanken nicht weiter folgen und versuchte mich abzulenken.
„Sind wir eigentlich fertig?“, fragte ich in die Runde.
„Die Fotos sind im Kasten, Änderungen wurden alle notiert, also von meiner Seite aus sind wir fertig“, antwortete So-Woi.
„Wie sieht es mit den Stoffen aus?“, fragte Hyun-Woo.
„Heute nicht mehr, dass wird selbst mir zu viel. Zudem wollte ich mit Jack nachher noch Grandma besuchen. Also eher morgen oder übermorgen.“
„Gut, ich werde sehen, wann die Zeit haben in der Stofffabrik.
„Stofffabrik?“, fragte ich.
„Ja, dort werden die Stoffe nach meinen Wünschen und vorlagen hergestellt“, antwortete So-Woi.
„Dürfte ich da eventuell mit, dass würde mich jetzt auch interessieren.“
„Sicher doch, da Hyun-Woo den Termin ausmacht, dürfte das kein Problem sein.“
Hyun-Woo nickte.
„Lucas, hast du heute Mittag noch etwas vor?“, fragte mein Schatz.
„Nichts besonderes, vielleicht wieder meine Großeltern besuchen. Aber wenn du einen besseren Vorschlag hast, bin ich ganz Ohr.“
Er lächelte mich breit an. So-Woi und Jack waren beide fertig und erhoben sich. Nach einem kurzen Abschied verschwanden beide. Eigentlich wäre ich gerne mitgefahren, nicht nur, weil ich Grandma Shin-Sook wieder sehen wollte.
Nein, mich interessierte es auch, ob sich bereits etwas ergeben hatte und So-Woi endlich Ruhe vor seinem Vater hatte. Wurde so etwas eigentlich an die große Glocke gehängt, oder einfach unter den Teppich der Verschwiegenheit gekehrt.
Ich fragte mich, ob Grandma Shin-Sook es sich vielleicht nicht doch noch mal überlegt hatte. Es war schließlich Weihnachten, das Fest der Liebe. Wenig später war ich Hyun-Woo und Juen alleine.
„Juen, wann warst du zum letzten Mal auf dem Land?“, fragte Hyun-Woo.
„Ich? Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Wenn höchstens als Kind mit meinen Eltern, aber das ist dann schon sehr lange her.“
„Lust auf eine Spritztour aufs Land?“
„Gerne, wo soll es denn hin gehen?“
„Das wirst du dann sehen. Ich werde mich noch kurz meinen Leuten ein paar Anweisungen geben, dann können wir los!“
Mein Schatz der Unternehmer. Ich war richtig stolz auf ihn und glücklich, dass man ihm so ein tolles Angebot gemacht hatte.
*-*-*
Wir fuhren zu Hyun-Woos Mutter, sie hatte gebeten, dass er vorbei schauen sollte und extra betont, dass ich dabei sein sollte und da ich ohne meinen Schatten nie etwas unternahm, war Juen natürlich mit von der Partie.
Seit unserem Gespräch war Juen viel ruhiger geworden, auch entspannter. Auch auf dieser Fahrt saß er ruhig auf dem Rücksitz. Das Gefühl, verfolgt zu werden, kam dieses Mal nicht auf, jedenfalls nicht bewusst.
Der Weg zu Hyun-Woos Mutter kam mir jetzt schon bekannter vor. An mehreren Stellen auf der Fahrt, konnte ich mich an Einzelheiten erinnern, die ins Blickfeld kamen. Aber eins war neu für mich.
Schon von weiten entdeckte ich, dass sich an Hyun-Woos Elternhaus etwas geändert hatte. Alles was wir beim letzten Besuch besprochen hatten, war bereits installiert worden. Das ging ja wirklich fix.
Da zeigte sich wieder mal, wie gut mein Schatz im Organisieren war. Ein Panel war aufs Dach montiert worden und hinter dem Haus, konnte ich einen Tank ausmachen, der vorher noch nicht dort gestanden hatte.
Natürlich war die Wiedersehensfreude groß und die Begrüßung dementsprechend. Auch ließ sich Hyun-Woos Großmutter nicht nehmen Juen genauer unter die Lupe zu nehmen. Später nahm uns Hae-Soon zur Seite und führte uns in einem Seitenraum.
Er war klein und mit Schränken vollgestellt. Einer dieser Schränke öffnete nun Hyun-Woos Mutter und zog ein Päckchen hervor.
„Setzt euch“, meinte sie und da hier weder Stühle oder Ähnliches waren, ließen wir uns auf dem Boden nieder. Hae-Soon tat es uns gleich und stellte das Päckchen zwischen uns.
„Dieses Paket ist von deinem Vater Hyun-Woo. Er wollte immer, wenn es an der Zeit ist, dass du das erhältst. Und ich finde, jetzt ist es an der Zeit, dass du es bekommst!“
*-*-*
Hyun-Woo nahm das Paket langsam in die Hand. Ich wusste nicht, was er dachte, hat er doch nie viel über seinen Vater gesprochen. Er legte das Paket auf seinen Schoss und schaute zu seiner Mutter.
„Hättest du etwas dagegen, wenn ich es erst an Weihnachten öffne?“, meinte er leise.
„Hyun-Woo, es ist dein Geschenk, dann kannst auch du entscheiden, wann du es öffnest!“
„Danke“, meinte Hyun-Woo.
„Lass und wieder hinübergehen, bevor deine Großmutter Juen völlig ausgequetscht hat.“
Zusammen liefen wir zurück und fanden die beiden recht still vor. Großmutter Eun-Jin hatte Juen im Arm der furchtbar weinte.
„Mutter, was hast du getan?“
„Ich habe gar nichts getan! Es wurde nur mal Zeit, dass der Junge sich mal richtig ausweint.
Hyun-Woos Mutter holte erneut Luft, aber Hyun-Woo hinderte sie daran, etwas zu sagen.
„Mutter, du kennst seine Geschichte nicht…“
Betrübt schaute sie die beiden an.
„Mutter Hae-Soon, ich habe gesehen, die Sonnenkollektoren sind bereits installiert, funktioniert denn das schon mit dem warmen Wasser?“
Ich wollte Hyun-Woo und seine Mutter einfach von den beiden ablenken. Sie hängte sich bei mir ein und zog mich in die Küche.
„Ja und ich hätte nie gedacht, dass man sich so schnell an das heiße Wasser gewöhnen kann. Meine Mutter hat zwar noch so ihre Schwierigkeiten damit, denn sie setzt immer noch heißes Wasser auf, wenn sie etwas putzen oder sich waschen will, aber ich bin sicher, sie wird sich auch noch daran gewöhnen.“
Die Küche hatte einen frischen Anstrich gekommen, was den Raum viel heller und freundlicher wirken ließ. Die neuen Rohre waren nicht zu sehen, sie waren in der Wand verschwunden.
Deshalb auch die Farbe. Nicht nur das war neu. Es stand auch ein neuer Tisch da, nun aber mit vier Stühlen und der alte Steintrog war einem Waschbecken mit Unterschrank gewichen. Lediglich der Herd mit der gusseisernen Platte war noch vorhanden.
„Schön, oder?“
Ich nickte Mutter Hae-Soon zu.
„Setz dich, ich will noch einmal heißes Wasser, für Tee aufsetzten.“
Ich tat wie geheißen und ließ mich auf einen der neuen Stühle nieder. Ich schaute zu Tür, ob uns Hyun-Woo folgen würde, konnte ihn aber nicht entdecken.
„Darf ich fragen, was in dem Paket für Hyun-Woo drin ist…, er schien sehr bewegt zu sein.“
Sie drehte ihren Kopf zu mir und lächelte.
„Dir kann ich es ja sagen, denn ich bin mir sicher, du wirst es nicht vorher sagen. Es ist ein seltenes Bild von seinem Vater, wo er Hyun-Woo auf der Schulter trägt und seine Geige in der Hand hält.“
„Hyun-Woos Vater spielte Geige?“
„Ja und das sehr gut. Er hatte immer davon geträumt in der Stadt mal in einem Orchester spielen zu können.“
„Was hat ihn davon abgehalten?“
„Das liebe Geld, Lucas… leider…! Er hatte eine Familie zu ernähren.“
„Das ist aber schade. Hätte ich das mal vorher gewusst mit der Geige. Hyun-Woo hat es mit keinem Ton erwähnt. Gibt es ein Lied, dass Hyun-Woo besonders gern hörte?“
Natürlich gab es das, aber sagen konnte sie es mir nicht, weil mein Schatz die Küche betrat. Er schaute sich wie ich, in der Küche um. Es gefiel ihm sehr gut und bekam von seiner Mutter als Belohnung einen Kuss. Hyun-Woo wurde tief rot.
„Junge, du sagtest, Juen hat seine Geschichte, was hat meine Mutter da ausgegraben, dass dieser arme Junge so weinen muss?“
Hyun-Woo schaute zu mir. Ich nickte.
„Juens Mutter hatte vor zehn Jahren einen schweren Verkehrsunfall und war danach lange im Krankenhaus. Körperlich ist sie völlig geheilt worden, aber ihr Geist ist schwer verletzt.“
„Die arme Frau…, ist sie denn jetzt in einem Heim?“
„Nein Mutter, das ist sie nicht, also sie ist nicht geisteskrank oder so. Sie hat…, wie soll ich das erklären…?“
„Sie lebt in der Zeit vor ihrem Unfall. Sie will die Zukunft nicht an sich heran lassen“, erklärte ich nun.
„Deshalb weint euer Freund? Er kann doch froh sein, dass sie noch lebt.“
„Mutter, dass ist es nicht“, meinte mein Schatz kopfschüttelnd.
„Die vergangenen zehn Jahre lebte Juen in zwei Welten. In der unseren und die von seiner Mutter. Das Haus, dass sie bewohnen, ist so geblieben, wie es vor zehn Jahren ausgesehen hat“, erklärte ich.
„Er hat nie Freunde gehabt, die er auch nie mit nach Hause nehmen hätte können. Er hat für sie alles erledigt, weil sie das Haus nicht verlässt“, sprach Hyun-Woo weiter.
„Gibt es denn keinen Vater?“
„Doch, den gibt es, aber der muss das Geld verdienen. Juens Ausbildung kostete ja auch“, antwortete Hyun-Woo seiner Mutter.
Sie schaute mich an und ich wusste, was sie dachte. Wie Hyun-Woos Vater musste auch Juens Vater arbeiten, Geld verdienen für die Familie.
*-*-*
„Habt ihr Lust essen zu gehen, ich lade euch auch ein?“, sagte Juen, der vorgebeugt im Auto zwischen uns vorschaute.
Er war genau das Gegenteil, wie auf der Herfahrt. Das Gespräch mit Großmutter Eun-Jin schien ihm gut getan zu haben, auch wenn ich nicht wusste, was die alte Dame ihm mit auf dem Weg gegeben hatte.
Ich schaute zu Hyun-Woo, denn ich wollte ihm die Entscheidung überlassen.
„Du brauchst uns doch nicht einladen“, meinte Hyun-Woo.
„Doch, ich will aber! Ihr beide habt so viel für mich getan und es geht mir so gut wie schon lange nicht mehr!“
Und dass sagt einer, der vor zwei Stunden noch halb Korea mit seinen Tränenfluten unter Wasser gesetzt hatte.
„Und wohin möchtest du uns entführen?“, wollte ich wie immer neugierig wissen.
„Magst du Street Food, Lucas?“
Ich schaute fragend zu Hyun-Woo.
„Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass wir noch nie mit Lucas auf dem Markt essen waren. Aber du weißt schon, der Gwangjang Markt hat um diese Zeit geschlossen.“
Zu Street Food fiel mir jetzt nur Currywurst oder Pommes ein, ich wusste nicht, von was die Beiden sprachen.
„Ich meine auch nicht den Gwangjang Markt, sondern den Seoul Bamdokkaebi Nacht Markt“, sagte Juen.
„Davon habe ich schon gehört, war aber noch nie dort gewesen.“
„Den kenne ich nur, weil mein Vater dort oft mit mir essen war, wenn wir für zu Hause Lebensmittel kauften. Ich denke, wir werden schon etwas finden, was Lucas Geschmack trifft.“
„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, da ist Lucas sehr pflegeleicht, er isst eigentlich alles.“
„Ähm, ihr wisst schon, dass ich anwesend bin?“, beschwerte ich mich und Juen fing an zu kichern.
„Dort bekommst du einfach alles, sei es koreanischen Tacos, über Steaks in einer Tasse, bis zu Hummerbrötchen und kubanischen Sandwiches und wenn du Glück hast gibt jemand ein Konzert. Dort stellen Künstler auch ihre Werke aus, die man käuflich erwerben kann!“
Juen sprudelte regelrecht über, so schwärmte er von diesem Markt.
„Dann bin ich mal gespannt!“
*-*-*
Zu meiner Überraschung war dieser Markt entlang des Han River, was dem ganzen ein schöner Hintergrund gab. Wir beschlossen erst mal an der Promenade entlang zulaufen, damit ich mir ein Bild machen konnte, was es da alles gab.
Aber spätestens am dritten Stand waren wir schon stehen geblieben, weil sich Juen irgendwelche Spieße kaufen wollte.
„Was ist das?“, fragte ich Hyun-Woo.
„Das ist Eomuk Tang, Fischkuchen am Spieß und einer Tasse heißer Suppe.“
„Das sieht lecker aus.“
„Möchtest du probieren“, fragte mich Hyun-Woo lächelnd.
Ich nickte. So bekam ich von dem Mann hinter dem Griff einen Spieß mit gewelltem Teig in die Hand gedrückt und in die andere eine heiß dampfende Tasse. Weil das Gedränge auf der Straße zu groß war, stellten wir uns an einen freien Tisch neben dem Stand.
„Oh schmeckt das herrlich“, meinte ich und nippte an der Tasse.
„Und das hast du Lucas vorenthalten?“, fragte Juen.
Hyun-Woo sagte dazu nichts, sondern bis nur vom Fischkuchen ab. Natürlich blieb das nicht die einzige Mahlzeit an diesem Abend. Da gab es frittierter Calamari, oder getrockneter Tintenfisch vom Grill.
Teile, die aussahen wir bei uns zu Hause die Maultaschen, wurden mehrfach angeboten, entweder mit Fleisch, Fisch oder nur Gemüse. Von den gegrillten knusprigen Krabbenbabys hätte ich mir fast noch einen zweiten Becher voll geholt, aber Juen überzeugte mich, dass ich noch unbedingt noch ein paar von den verschiedenen Spießen probieren sollte.
Ob Würstchen, Fleischbälle oder einfach nur in Marinade eingelegtes Fleisch, alles war vertreten. Ich konnte gar nicht alles probieren. Zum Schluss aß ich zum ersten Mal gegrillten, mit Käse überbackenen Hummer.
Den zahlte dann aber Hyun-Woo, weil drei Portionen für Juen einfach zu teuer gewesen waren. Total abgefüllt, liefen wir zurück zum Parkplatz. Ich war froh, dass der Weg nur halbseitig ausgeleuchtet war.
So zog ich Hyun zum dunklen Seite des Weges und nahm seine Hand. So Händchen haltend liefen wir weiter, was richtig gut tat. Es war zwar richtig kalt, dafür Hyun-Woos Hand richtig warm.
*-*-*
„Gehst du gleich ins Bett?“, fragte Juen mich, als wir die Wohnung betraten.
„Nein ich möchte noch versuchen meinen Vater zu erreichen.“
„Also ich geh ins Bett, wenn ihr nichts dagegen habt, ich bin total geschafft.“
Hyun-Woo zog hinter sich die Tür zu.
„Dann schlaf mal gut, gute Nacht!“, meinte Hyun-Woo und entledigte sich seiner Schuhe und Jacke.
„Gute Nacht ihr zwei“, meinte Juen und lief geradewegs zu seinem Zimmer, stoppte aber noch einmal.“
„Ach so, was steht morgen an? Soll ich wieder so früh aufstehen wie heute?“
„Ich kann dich gerne wieder wecken!“, meinte ich grinsend.
„Nein, nein, keine Umstände! Ich stell mir den Wecker.“
„Gute Nacht Juen!“, sagte ich und schon war er verschwunden.
„Ich muss kurz auf die Toilette, geh vielleicht auch gleich duschen Lucas…, dein Laptop steht im Regal“, meinte Hyun-Woo und gab mir kurz einen Kuss.
„Danke“, meinte ich und so war ich alleine im Wohnzimmer.
Ich pfriemelte mein Handy aus der Hosentasche und schickte meinem Vater eine Nachricht, ob er Zeit hätte, sich mit mir zu unterhalten. Auch eine große Bitte an ihn, mit dem Vermerk, falls Hyun-Woo zu gegen war, dies nicht zur Sprache zu bringen. Ich lief zum Regal und holte mir mein Laptop. Als ich es mir auf der Couch bequem gemacht hatte, bekam ich bereits Antwort.
Dort stand dann nur „Nur mit Mama“. Ich lächelte. Ich schrieb zurück, dass das kein Problem wäre, ich hätte ja schließlich keine Geheimnisse vor ihr. Das stimmte zwar nicht ganz, aber sie musste schließlich nicht alles wissen.
Wenig später baute sich die Verbindung auf und dass erst was ich sah, war Mia.
„Hallo Mia!“
„Hallo Bruderherz, ab morgen Abend, musst du mich wieder ertragen!“
„Wenn dass das einzige Problem ist, dann ertrag ich dich gerne“, lächelte ich.
„Ach du…“, meinte sie, „ich geh dann mal noch fertig packen und leg mich aufs Ohr, wenn wir heute Abend fliegen wollen.“
Wie immer hatte ich wieder vergessen, dass wir in total verschiedene Zeitzone waren.
„Papa kommt, ich bin dann mal weg“, meinte sie und Papa kam ins Sichtfeld.
„Hallo Sohnemann!“
„Hallo Papa“, strahlte ich.
„Du kannst es wohl nicht abwarten uns wieder zu sehen.“
„Ich doch nicht… ähm, wo ist Mama?“, versuchte ich abzulenken.
„Die holt sich noch etwas zu trinken…, bist du alleine.“
„Japp… noch.“
„Bist du sicher, dass wir die mitbringen sollen?“
„Ja, ich brauche sie für ein Weihnachtsgeschenk.“
„Du weißt aber schon, dass du über ein halbes Jahr das Teil nicht mehr genutzt hast!“
„Papa, so etwas verlernt man nicht!“
„Gut, dann werde ich sehen, wie wir ein weiteres Gepäckstück unterbringen.“
„Danke Papa!
*-*-*
Da Hyun-Woo mich bei meinen Großeltern absetzten wollte und eigentlich jeder dachte, dass ich dort sicher sei, erbat Juen einen freien Tag. Nach dem gestrigen Abend auf diesem Markt, hatte er sehr viel an seinen Vater denken müssen.
So hatte er sich entschlossen, seine Mutter zu besuchen. Wir hatten nichts dagegen und so war er noch vor uns Das Haus verlassen. Nun saß ich neben Hyun-Woo im Wagen und genoss meine Zweisamkeit mit ihm.
Kein Schatten der mir folgte, oder die ganze Zeit um mich herum war. Daran wollte ich mich gerne gewöhnen. Als wir bei meinen Großeltern ankamen, verabschiedete sich Hyun-Woo, denn er wollte gleich weiter fahren.
„Ich vermiss dich jetzt schon“, meinte ich und ließ seine Hand nicht los.
„Wir sehen uns doch später wieder, wenn wir die Weberei besuchen. Ich ruf dich vorher an, wann wir kommen und dich abholen.“
Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihn ziehen zu lassen. Kurz drückte ich ihm noch einen Kuss auf die Wange, bevor ich den Wagen verließ. Als der Wagen davon zog, winkte ich ihm noch hinter her.
Der Laden war voll, als ich ihn betrat. War auch kein Wunder, so kurz vor Weihnachten, wollte noch jeder seine Sachen holen. Mir taten meine Tanten und mein Onkel leid, weil sie nicht mal Zeit hatten, mich richtig zu begrüßen.
Während Onkel Sung-Ja den Leuten bei der Ware half, kassierte Tante Min-Su. Tante Min-Ri verpackte dann die Sachen. Ein eingespieltes Team dachte ich für mich. Aber zwischen dem Einpacken, verschwand Tante Min-Ri immer wieder und kam dann mit ein oder zwei Tüten voller Sachen zurück.
Da ich im Weg stand, lief ich nach hinten, um Großmutter oder Großvater zu finden. Dabei kam ich an einem Regal voller verpacktem Gemüse oder Obst vorbei. Jedes Päckchen war mit Namen versehen.
So war wohl vieles im Vorfeld bestellt worden und die drei hatten es gerichtet. Wann hatten sie das gemacht? Ich kam in den Raum mit dem großen Tisch und zog meine Jacke aus. Ich drehte mich gerade wieder Richtung Laden, als ich hinter mir meinen Namen hörte. Ich schaute zurück und sah Großmutter.
„Hallo Großmutter“, rief ich freudig und umarmte sie.
„Hallo Lucas, schön dass du da bist.“
„Großmutter, meinst du, ich kann nicht etwas vorne im Laden helfen…, es ist so voll.“
„Du kennst dich doch gar nicht aus, wie willst du denn da helfen?“
„Obst oder Gemüse werde ich ja noch einpacken können, oder?“
Großmutter lächelte mich an.
„Bevor du gehst, habe ich noch etwas für dich“, meinte sie.
Großmutter lief an eine Kommode und zog die oberste Schublade auf.
„Hier, damit du dich nicht dreckig machst!“, sagte sie und reichte mir etwas Grünes aus Stoff.
Ich faltete es auseinander und stellte fest, dass es sich um eine Schürze handelte. In Brusthöhe zierte der Name des Ladens.
„Park Sung-Min Gemüse und Obsthandel“, stand darauf.
Voller Stolz, zog ich das Teil an und merkte gleich, dass es doch recht knapp war.
„Du bist eben etwas größer als die anderen“, meinte Großmutter grinsend.
„Hauptsache es dient seinem Zweck“, entgegnete ich.
Großmutter half mir, den Bändel hinten zu einem Schlupf zusammen zu binden.
„Dann mal los du Aushilfeverkäufer und ging mit mir nach vorne.
*-*-*
Es waren bereits zwei Stunden vergangen, bevor der Laden das erste Mal richtig leer war. Mein Verpackservice war dankend von den Geschwistern meiner Mutter angenommen worden und ich war froh, dass ich helfen konnte.
Großvater war in den Laden gekommen und schaute ganz erstaunt, als er mich dort sah. Er ging dann zu Onkel Sung-Ja und half ihm so gut er eben konnte, für sein Alter. Immer wieder schaute er zu mir und lächelte.
Auch blieb mir nicht verborgen, dass da hin und wieder einige Damen zusammen standen und tuschelten, während sie immer wieder zu mir schauten. Dies schien auch Tante Min-Ri aufgefallen zu sein.
„Wir haben eben selten einen so gutaussehenden jungen Mann als Hilfe hier“, flüsterte sie mir grinsend zu.
„Ich sehe doch ganz normal aus“, flüsterte ich zurück.
„Ich sag nur grünen Augen.“
Auch das noch! Mein weiblicher Fanclub schien stetig zu wachsen. Nun war aber der Laden das erste Mal leer. Mein Onkel fing gleich an Waren aufzufüllen, während Großmutter mit Tee in den Laden kam.
„Oh, das kann ich jetzt gut gebrauchen“, meinte Tante Min-Su, „meine Stimme ist schon fast heiser, vom vielen reden.“
Großvater kam zu uns gelaufen.
„Und, wie macht sich mein Enkel?“, fragte Tante Min-Ri.
„Hervorragend! Scheint sich herum zusprechen, dass Lucas heute im Laden steht, da sind plötzlich Kundinnen, die ich hier noch nie gesehen habe.“
„Jetzt übertreibst du aber“, meinte ich verlegen.
Großvater lächelte nur stolz und klopfte mir auf die Schulter.
*-*-*
Nach einem viel zu ausgiebigen Mittagessen, stand ich später wieder mit Tante Min-Ri im Laden. Die Tür ging auf und mein Cousin Tae-Young kam in Sicht.
„Nanu ein neues Gesicht im Laden?“, fragte er grinsend.
„Ja, unsere neue Aushilfe“, sagte Onkel Sung-Ja.
„Macht er das auch richtig?“, versuchte mich nun Tae-Young aufzuziehen.
„Er macht das besser als du!“, bremste ihn seiner Mutter aus, „hinten steht dein Essen, wenn du fertig bist, kannst du deinem Vater helfen.“
„Aber Mama ich will…“
Sie hob ihre Hand und zeigte mit ihrem Zeigefinger auf ihn.
„Ich will, gibt es nicht, schon gar nicht einen Tag vor Heiligabend!“
Ich musste mir das Lachen verbeisen. Gab es ein Handbuch für Eltern übersetzt in allen Sprachen? Die Sprüche waren überall gleich. Ohne Widerworte verschwand Tae-Young in den hinteren Bereich.
„Bleibst du bis zum Abendessen?“, wollte Tante Min-Ri wissen.
Ich schüttelte den Kopf, während ich gerade zwei Stangen Lauch einpackte.
„Nein, ich habe noch etwas vor.“
„Wann kommen deine Eltern an?“
„Wenn ich Hyun-Woo richtig verstanden habe, kommt der Flieger so kurz nach zehn Uhr an.“
„Dann fahrt ihr sicher gleich ins Hotel und kommt nicht mehr vorbei.“
Etwas Trauriges klang aus ihrer Stimme, sie vermisste ihre Schwester wohl sehr.
„Das kann ich dir nicht mal sagen. Nach diesem langen Flug, bin ich mir nicht sicher, ob sie sich gleich ausruhen wollen, oder noch etwas unternehmen möchten.“
„Wir lassen uns einfach überraschen!“
Der Mittag zog sich etwas dahin, war aber keineswegs langweilig. Tae-Young und Hong-Sik standen nun beide im Laden und halfen mit. So hatte ich Zeit mir beide etwas genauer zu betrachten.
Während Tae-Young mit seinem grad geschnittenen Pony und der schwarzen Brille, eher wie ein Schüler wirkte, sah Hong-Sik mit seiner Fönfrisur interessanter aus. Er stand an der Ladentür und öffnete den kommenden und gehenden Kunden die Tür und wünschte ein schönes Weihnachtsfest. Während Hong-Sik im T-Shirt muskulöser aussah, war es doch der dünn wirkende Tae-Young im Hemd, der die schweren Kisten herum trug. Er ließ es sich auch nicht anmerken, wie schwer die Kisten waren.
Erst als er einen fünfundzwanzig Kilo Sack Kartoffeln hereintrug, verzog er das Gesicht. Aber was machte ich hier. Jetzt hielt ich schon Fleischbeschau bei meinen eigenen Cousins? Als letztes kam dann Un-Sook nach Hause. Ich musste lachen, als sie einen Knicks machte, während Hong-Sik ihr die Tür offen hielt. Aber nach ihr trat noch jemand ein.
„Juen?“, fragte ich überrascht.
„Du kennst ihn, ich dachte er käme mit Un-Sook… ein Studienkollege oder so“, sagte Hong-Sik.
„Nein, er alles andere als ein Student. Juen ist der neue Kollege deines Onkel Mim-Chul.“
Hong-Sik sah mich erstaunt an. Juen grinste breit und reichte Hong-Sik die Hand.
„Hallo ich bin Jo Juen, der Kollege deines Onkels.“
„Gibt es schon so junge Polizisten?“, fragte Hong-Sik verwundert.
„Ich bin vierundzwanzig“, meinte Juen.
Ich konnte nicht anders, als zu kichern. Die Gesichter meiner drei Cousins waren zum Schießen. Nacheinander vielen die Kinnladen nach unten. Es stimmte schon Juen war klein, schmal und hatte das Gesicht eines Schuljungen.
„Außerdem ist er ausgebildet an der Schusswaffe und kann einige Kampfsportarten sein eigen nennen“, setzte ich noch eins drauf.
Hong-Sik bekam kein Wort mehr heraus. Verblüfft zeigte er auf Juen und schüttelte den Kopf. So lustig das alles war, brannte mir eine Frage auf der Zunge.
„Warum bist du hier? Du hast doch deinen freien Tag“, wollte ich wissen.
„Naja…, es lief nicht so toll mit meiner Mutter. Mein Vater erklärte mir, dass sie eine Art von Alzheimer hat und Dinge, die erst geschehen sind, schnell wieder vergisst. Der Arzt meinte sie wissen nicht, vergisst sie es wirklich, oder verdrängt sie es.“
Ich legte meine Hand auf seine Schulter.
„Das tut mir leid Juen.“
„Danke, aber ich kenne es ja nicht anders…, naja vielleicht, dass sie mich öfter mit dem Namen meines Bruders angesprochen hat und nicht mit meinem…“
Ich schnappte mir Juen und zog ihn in den hinteren Teil des Hauses.
„Das tut mir wirklich so leid für dich Juen.“
Er wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Muss es nicht Lucas. So gesehen… bin ich jetzt frei…, sie wird natürlich immer meiner Mutter bleiben…, auch wenn sie nicht mehr weiß wer ich bin.“
*-*-*
Hyun-Woo war genauso erstaunt, Juen bei mit zu sehen, als er mich abholen wollte. Großmutter dankte sich noch mal im Namen aller, dass ich so fleißig mitgeholfen hatte. Ich meinte nur, dass wir das jederzeit wiederholen können.
Man sprach noch kurz über die Ankunft meiner Eltern und meiner Schwester, wie es die nächsten Tage ablaufen würde, danach hatte ich mich von allen verabschiedet, traurig darüber, dass mir jetzt sicher ein tolles Abendessen entging.
So saß ich nun mit Juen bei Hyun-Woo im Wagen und fuhren zu So-Woi. Wir wollten nur mit einem Wagen zu dieser Weberei fahren. Zu meiner Überraschung standen er und Jack unten vor dem Haus und warteten auf uns.
Wie eine Weberei funktionierte, wusste ich im Prinzip vom Fernsehn schauen, aber es real mit den eigenen Augen zu sehen, war dann doch noch einmal etwas anderes. Der Geschäftsführer veranstaltete extra wegen uns eine Führung.
Mir imponierten die großen Spulen mit den verschiedenen Fäden. Es gab sogar manuelle Webstühle, an denen ganz besondere Stoffe hergestellt wurden. Wenn man sah, wie viel Arbeit darin steckte, verstand man, warum der Preis so teuer war.
Das Stofflager war noch einmal ein Hingucker für sich. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Stoff auf einem Haufen gesehen, besonders nicht in dieser großen Farbauswahl.
„Der Stoff gefällt mir gut, der glänzt so schön“, meinte ich.
„Darin sind Silberfäden mit einwebt“, erklärte So-Woi.
„Lucas, wir wollen noch deine Eltern abholen…“
„Ja ich weiß, wir sind nur mit einem Wagen da.“
„Wir können auch ein Taxi nehmen“, meinte So-Woi.
„So viel Zeit wird ja noch sein, euch zu Hause ab zusetzten, bevor wir an den Flughafen fahren.“
„Wartet, ich hole schon mal den Wagen“, meinte Hyun-Woo.
„Ich geh mit“, kam es von Jack.
„Bleib hier, es reicht, wenn einer nass wird.“
Jack nickte lächelnd und Hyun-Woo verließ uns. Ich schaute So-Woi weiter zu, wie er noch ein paar Stoffe begutachtete, als es plötzlich einen lauten Knall gab und alles wackelte. Ich war schon irgendwie automatisch in Deckung gegangen.
„Was war das?“, fragte So-Woi.
„Das kam von draußen, da muss etwas explodiert sein“, mutmaßte Jack.
„Schauen wir nach!“, rief Juen und rannte los.
Wir drei folgten ihm und blieben, als wir draußen ankamen, wie angewurzelt stehen. Von unserem Auto war nicht mehr viel übrig, es brannte und lag auf dem Dach. Aber etwas anderes, Schlimmeres, kam mir in den Sinn.
Ich fiel auf die Knie.
„Hyun-Wooooo… neeein“, schrie ich.
Jack und Juen rannten zum Wagen, während So-Woi mich festhielt.
*-*-*
Mit einer Decke umwickelt, saß ich in einem Polizeiwagen. Juen stand vor der Tür. Ich hatte die Augen geschlossen und konnte nicht fassen, was da eben passiert war. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass Hyun-Woo gleich wieder auftauchte.
Er war nicht tot, nicht mein Hyun-Woo, mein Schatz, mein ein und alles. Nein das konnte und durfte nicht sein.
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf, mein ganzer Körper schüttelte sich. Nein! Nein! Nein! Das ist alles nicht wahr! Hyun-Woo lebt! Ganz sicher! Ich suche ihn einfach selber. Er war nicht in diesem Wagen.
Aber wo war er, wo war mein Hyun-Woo? Verzweifelt hob ich den Kopf und sah auf die Feuerwehrleute, die den Wagenbrand löschten. Die Tür neben mir öffnete sich. Ich schaute hin.
„Lucas…, deine… deine Eltern sind hier!“, sagte Juen leise.
Meine Eltern? Scheiße, die hatte ich völlig vergessen. Wieder fing ich an zu weinen und sah meinen Vater nur noch verschwommen, wie er vor mir auf die Knie ging.
„Mein Gott Lukas!“, hörte ich ihn sagen und spürte plötzlich seine Hände an mir.
Das veranlasste mich nur noch mehr zu schluchzen. Er nahm mich in seine Arme, was mein Drang zu weinen nur noch verstärkte.
„Komm… hier kannst du nicht bleiben.“
„… nein Papa!“, schrie ich, „…ich will… hier nicht weg… mein Hyun-Woo…“
Mehr brachte ich nicht heraus, eine weitere Weinattacke ergriff mich.
*-*-*
Juen
Lucas so zu sehen, tat so unheimlich weh. Ich musste mich beherrschen, nicht selbst mit zu weinen. Ich würde ihm so gerne helfen, wusste aber nicht wie. Zu meiner Überraschung war Jae-Joongs Mutter anwesend und hatte Mrs. Dremmler im Arm.
Jae-Joong stand hinter den beiden und sah ebenso traurig aus. Er hatte sich bereit erklärt, die Dremmlers von Flughafen abzuholen, nachdem das hier passiert war. Nun hatte er ein Mädchen im Arm, welches mir nicht bekannt war.
Konnte das Lucas Schwester sein, wie hieß sie doch gleich…, Mia glaube ich. Sie sah ihm sehr ähnlich.
„Wir haben eine Leiche gefunden?“, hörte ich es leise hinter mir.
Geschockt fuhr ich herum und sah wie jemand bei Onkel Min-Chul stand. Genau in diesem Augenblick schaute er zu uns herüber. Ich war hin und her gerissen. Sollte ich hinüber gehen, oder hier bei Lucas bleiben, denn ich hatte stricke Order bekommen, Lucas auf keine Fälle allein zu lassen.
Aber seine Familie und Jae-Joong waren bei Ihm und jede Menge Kollegen standen dicht beim Wagen. Lucas würde sicher nichts passieren. So lief ich von der Neugier getrieben zu Min-Chul. So-Woi und Jack konnte ich nirgends ausmachen.
Plötzlich wurde es bei dem Wagen, der immer noch vereinzelt brannte laut. Leute riefen durcheinander, aber ich konnte niemand verstehen. Als ich meinen Partner Min-Chul erreicht hatte, kam gerade ein Feuerwehrmann gerannt.
„Wir haben noch jemanden gefunden, am Hang unten und er lebt!“
Min-Chul bemerkte mich und schaute mich kurz an. Ohne etwas zu sagen, rannten wir beide an dem fast gelöschten Wagen vorbei und stoppten abrupt, als wir den Rand zum Hang erreichten.
Unter uns waren viele Taschenlampen zu sehen, aber nichts richtig zu erkennen. Es war einfach zu dunkel. Ein Motorengeräusch ließ mich zusammenfahren und ich drehte mich um. Ein Wagen kam genau auf uns zugefahren und ich zog meinen Partner zur Seite.
Unmittelbar neben uns kam der Feuerwehrwagen zum Stehen. Helle Scheinwerfer auf dem Dach wurden eingeschaltet und ich kniff meine Augen zusammen. Ein Feuerwehrmann kletterte aufs Dach und veränderte den Winkel der Scheinwerfer.
Ich schaute wieder den Hang hinunter und konnte nun Jack und So-Woi zwischen den Feuerwehrmännern und Polizisten erkennen.
Während Jack stand, kniete So-Woi am Boden. War er ausversehen den Hang hinunter gekullert? Mich hielt nichts mehr und setzte mich in Bewegung.
„Juen!“, rief Min-Chul hinter mir her.
Das war mir jetzt aber egal, ich wollte wissen, was da unten passiert war. Der Hang war rutschig, vom Regen durchnässt. Ich hatte viel Mühe nicht selbst auszurutschen. Als ich dann endlich näher kam, entdeckte ich, dass da noch eine weitere Person auf dem Boden lag, die ich vorher von oben, nicht gesehen hatte.
*-*-*
Lucas
Als mich Papa zum Wagen führen wollte, wurde es plötzlich laut hinter uns. Viele Leute schrien durcheinander und es entstand Hektik. Ich wollte einfach nicht gehen und wehrte mich.
„Lucas, sei doch vernünftig“, hörte ich Papa sagen, aber ich konnte hier nicht so einfach weg.
Ich schaute zurück und sah wie hinter dem noch brennenden Wagen ein Feuerwehrwagen abgestellt wurde und dessen Scheinwerfer angingen.
Komisch war nur, dass sie nicht den Wagen anleuchteten, sondern die andere Seite. Da war doch nichts. Und noch etwas konnte ich entdecken. Da standen Onkel Min-Chul und Juen, die schauten ebenfalls in die Richtung, in die, die Scheinwerfer ausgerichtet waren.
Ein Krankenwagen kam direkt neben uns zum Halten.
„Nehmt nur das nötigste mit, der Mann liegt unten am Hang, Halskrause nicht vergessen, wir wissen nicht wie schlimm die Kopfverletzung ist!“, rief der eine Sanitäter, der auf unserer Seite aus dem Wagen stieg.
Ich schaute Papa an. Redete der von Hyun-Woo. Mit letzter Kraft befreite ich mich aus seinen Armen und rannte den Sanitätern hinter her.
„Lucas, bleib hier!“, hörte ich meinen Vater schreien.
Aber ich wollte nicht hören. Die Decke nervte und so ließ ich sie einfach fallen. Onkel Min-Chul kam in Sicht, von Juen war nichts zu sehen.
„Onkel Min-Chul…“, rief ich laut.
Der drehte sich ruckartig um und griff gerade noch rechtzeitig nach mir, denn vor mir ging es steil den Hang hinunter.
„Lucas, was soll das?“, hörte ich meinen Vater hinter mir.
Er hatte mich anscheinend eingeholt.
„Hallo Min-Chul…!“
Man umarmte sich kurz. Ich schaute den Hang hinunter und sah plötzlich Jack und So-Woi. Um sie herum jede Menge Feuerwehrleute und Polizisten. Auch Juen war bei ihnen.
„Sie haben noch jemanden gefunden“, hörte ich hinter mir Onkel Min-Chul sagen.
Er ließ mich los und der Arm meines Vaters löste seinen ab.
„Ist das Hyun-Woo?“, fragte ich mit dünner Stimme.
„Wir wissen es noch nicht!“, antwortete mein Onkel.
„Ich muss da runter!“
„Gar nichts musst du“, rief Papa sauer, „es fehlt noch, dass du auch da runter stürzt!“
Ich war am Limit und konnte mich nicht mehr wehren. Mir fiel schon schwer halbwegs stehen zu bleiben, meine Beine waren total weich.
Juen löste sich von der Menge und versuchte wieder den Hang hoch zu kommen. Durch den Regen war wohl alles glitschig. Aber nicht das erregte meine Aufmerksamkeit, sondern dass Juen strahlte.
Schwer atmend kam er dann bei uns an. Anfangs konnte ich ihn gar nicht verstehen.
„…er lebt… hust… Lucas er lebt!“
Mit großen Augen schaute ich ihn an. Er stütze sich an mir ab und rann nach Luft.
„Dein Hyun-Woo lebt!“, sagte er dann deutlich.
Jetzt hielt mich nichts mehr, ich wollte da runter. Aber ich hatte keine Chance, mein Vater hielt mich eisern fest.
„Was ist passiert?“, hörte ich Jae-Joongs Stimme.
„… sie haben Hyun-Woo gefunden!“, antwortete Juen, „er lebt…, er hat sich nur etwas den Kopf angestoßen!“
*-*-*
Dick eingehüllt in einer Decke saß ich nun bei Großmutter. Wir waren alle so durchnässt, das Onkel Min-Chul und Papa entschieden hatten, allesamt zu den Großeltern zu fahren. So-Woi und Jack waren mit ins Krankenhaus gefahren, um Hyun-Woo beizustehen. Jae-Joong und Mama fuhren ins Hotel und zu uns nach Hause, um trockene Kleidung zu besorgen.
„Mein Junge, hört die Aufregung um dich denn nie auf?“, sagte Großmutter.
„Es tut mir so leid…“, weiter kam ich nicht, wieder fing ich an zu weinen.
„Steckt den Jungen oben ins Bett, er braucht Ruhe!“, hörte ich Großvaters strenge Stimme.
„Was ist denn jetzt genau passiert?“, sprach er deutlich leiser.
„Hyun-Woo hat ausgesagt, dass er den Wagen holen wollte und dazu das Fahrzeug umrunden musste. Dabei wäre er über etwas gestolpert und den Hang hinunter gerollt. Dabei muss wohl der Wagen in die Luft geflogen sein“, erklärte Onkel Min-Chul.
In dem Arm meiner Großmutter beruhigte ich mich langsam wieder.
„Und… und die Leiche?“, fragte Papa.
Onkel Min-Chul atmete tief durch.
„Wir vermuten, dass es der Bombenleger war… über dessen Beine Hyun-Woo gestolpert war… Glück im Unglück… wahrscheinlich hat dieser vor Schreck die Bombe selbst ausgelöst.“
Keiner sagte mehr etwas.
*-*-*
Am Morgen war ich erst einmal ein wenig desorientiert. Ich lag nicht wie gewohnt in meinem Bett und fand anstelle von Hyun-Woo, Juen neben mir. Plötzlich fiel mir alles wieder ein und wollte so schnell wie möglich zu Hyun-Woo.
Doch schon beim Aufstehen wurde es mir leicht schwindlig.
„Du sollst langsam machen!“, hörte ich es hinter mir.
Ich drehte den Kopf und sah in die verschlafenen Augen von Juen. Er setzte sich auf und rieb sich die Augen. Wie zu Hause hatte er auch hier nur eine Shorts an. Sein Vertrauen zu mir musste wirklich groß sein. Unweigerlich musste ich grinsen.
„So gefällst du mir schon besser“, sagte er und streckte sich, „wo willst du hin?“
Mein Lächeln verschwand.
„Blöde Frage, zu Hyun-Woo natürlich!“
„Nicht möglich!“
„Juen, das ist mir egal, wenn meine Eltern oder jemand anderes gesagt hat…, ich bleibe nicht hier.“
Yuen sah mich lange an.
„Du hast gestern wirklich nicht mehr viel mit gebekommen, oder?“
„Was meinst du?“
„Wenn du fit wärst, dann wüsstest du, dass Hyun-Woo gar nicht mehr im Krankenhaus ist, sonst sich mit Jack auf dem Weg zu seiner Mutter befindet!“
„Was?“
„Du hast mich schon richtig verstanden! Es läuft alles so, wie du geplant hast. An Heilig Abend ist jeder bei seiner Familie.“
Klar hörte ich Juens traurigen Unterton, darauf wollte ich aber nicht eingehen. Mir liefen Tränen die Wangen hinunter.
„Ich möchte zu Hyun-Woo…“, wimmerte ich und setzte mich wieder aufs Bett.
Juen kam von hinten und nahm mich in den Arm.
„Wenn alles normal gelaufen wäre, Lucas, dann wäre er doch jetzt auch zu Hause bei seiner Mutter und du im Hotel.“
„Ja, aber…“
„Nichts aber. Dein Opa hat beschlossen, dass alles so abläuft, wie du dir es gewünscht hast. Aber ich kann dir etwas verraten. Jack holt deinen Schatz heute Abend wieder ab und dann siehst du dich wieder. Du ziehst dich jetzt an, denn ich denke deine Großmutter wartet mit dem Frühstück auf uns.
*-*-*
Ich saß neben Onkel Sung-Ja im Wagen, der mich ins Hotel bringen sollte. Juen war nicht mitgefahren. Er war zusammen mit Onkel Min-Chul bei den Großeltern geblieben, weil die beiden noch etwas zu bereden hatten.
Als wir am Hotel vorfuhren, konnte ich Mia entdecken, die vor dem Eingang zum Hotel wartete. Sie sah lustig aus, mit ihrer rosa Zipfelmütze, die sie trug. Natürlich ließ es sich Onkel Sung-Ja nicht nehmen, sie noch kurz zu begrüßen, bevor er wieder nach Hause fuhr.
„Geht es dir gut?“, wollte Mia wissen.
„Es geht…“, antwortete ich.
Mia tat etwas, was sie schon lange nicht mehr getan hatte. Sie nahm meine Hand und lief mit mir gemeinsam ins Hotel.
„Komm Papa und Mama warten schon auf dich“, sagte sie, bevor wir den Aufzug besteigne wollten.
„Mia, hättest du etwas dagegen, wenn wir die Treppe benutzen?“
„Regierst du immer noch so empfindlich auf den Aufzug.“
Ich nickte.
„Okay“, meinte sie, ließ aber meine Hand nicht los.
So liefen wir Hand in Hand, wie ein Pärchen nach oben. Sie hätte vielleicht sagen sollen, dass ihr Zimmer sich im vierten Stock befand, denn dann hätte ich mich vielleicht breitschlagen lassen, den Aufzug doch zu benutzen.
Nun stand ich aber an der oberen Schwelle und hechelte nach Luft.
„Du bist wirklich nicht in Ordnung, früher hätte dir so eine Treppe nichts ausgemacht.“
Sie redete, als wäre ich schon ein uralter Mann. Aber sie grinste dabei, so gab ich keine Wiederworte. Wir liefen den Flur hinunter, bis Mia nun meine Hand losließ und vor einer der Türen stehen blieb.
Sie klopfte und etwas später wurde die Tür aufgezogen und Papa kam in mein Blickfeld.
„Hallo Lukas“, meinte er, während sich Mia an ihm vorbei drückte.
Papa zog mich herein und schloss hinter mir die Tür. Ich konnte nicht anderes und fiel ihm direkt in die Arme. Ich wollte gar nicht mehr loslassen. Das gestern hatte mir zu sehr zugesetzt.
„Hast du etwas schlafen können?“, hörte ich ihn fragen.
Ich löste mich etwas von ihm und nickte.
„Zieh erst mal deine Jacke aus und komm rein, deine Mutter wartet schon auf dich.“
Ich machte, wie befohlen und ließ wie gewohnt auch meine Schuhe am Eingang zurück. Danach folgte ich Papa durch den engen Flur. Sie hatten wieder eine Suite bekommen und so fand ich Mama im Wohnzimmer sitzend vor.
Als sie mich sah, stand sie sofort auf und nahm ich in den Arm.
„Hallo Lukas, ich hoffe dir geht es etwas besser?“
Ich versuchte etwas zu lächeln und nickte. Sie zog mich zur Couch und setzte sich mit mir hin. Meine Hand hatte sie bis dahin nicht losgelassen.
„Eigentlich wäre ich am liebste wieder abgereist, nach dem was gestern vorgefallen ist! Aber ich bin dank dir hier, um mit meiner Familie endlich wieder Weihnachten feiern zu können. Zudem hat dein Onkel angerufen und gesagt, dass du nun völlig sicher bist.“
„Wieso?“, fragte ich verwundert.
Papa hatte sich auf dem Sessel niedergelassen und eine Tasse genommen.
„Du erinnerst dich vielleicht, dass neben Hyun-Woo noch jemand gefunden wurde?“, fragte Papa.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Die Sehnsucht nach Hyun-Woo war nach wie vor groß.
„Ja…!“
„Dein Onkel erzählte, dass nach vorläufigen Untersuchungen, sich es mit aller Wahrscheinlichkeit es sich um den Professor handelte, den man bei dem Wagen gefunden hatte.“
„Wirklich…?“, fragte ich unsicher.
„Sein Mercedes wurde in der Nähe gefunden…“
„Ach so.“
„Du scheinst nicht richtig darüber glücklich zu sein, dass jetzt alles ein Ende hat?“
Ich schaute auf.
„Papa…, es tut mir leid, wenn ich nicht so reagiere, wie du dir das eventuell vorstellst. Wie kann ich glücklich sein, wenn ein weiterer Mensch gestorben ist…, selbst, wenn es der Professor war?“
„Schon gut Lukas…, ich verstehe.“
„Zudem habe ich immer noch die Bilder vom brennenden Auto vor Augen und dass ich…“
Ich brach ab und versuchte nicht wieder mit dem weinen an zu fangen.
„… dass du Hyun-Woo verloren hast.“
„Dem geht es gut“, mischte sich Mia ein, die aus ihrem Zimmer kam, „schau hier, das hat mir Jae-Joong vorhin geschickt.“
Sie hob mir ihr Handy unter die Nase. Auf dem Bild konnte ich Hyun-Woo sehen, umringt von So-Woi, Jack und Jae-Joong. Alle vier grinsten und machten das Peace Zeichen. Ich konnte nicht anders und musste ein wenig grinsen.
Hyun-Woo schien es gut zu gehen. Nur ein kleines Pflaster zierte seine Stirn.
„Kannst du mir das schicken?“, fragte ich meine Schwester.
„Bereist geschehen!“, antwortete sie und ließ sich auf der Lehne von Papas Sessel nieder.
Mama stand auf und lief zu dem kleinen Beistelltisch. Dort lag ein Geschenk, was sie nahm.
„Eigentlich wollte ich dir das zur Bescherung geben, aber ich glaube, dass brauchst du jetzt schon“, meinte sie und reichte mir das Geschenk.
„Wieso?“
„Du glaubst doch nicht, dass du so heute Abend mit uns Essen gehst!“
Stimmt, ich hatte eine an den Knien verrissene Jeans an und mein Wohlfühlpulover. Also bekam ich wieder mal etwas zum Anziehen an Weihnachten. Ich legte das Päckchen zur Seite.
„Mama, was hältst du von dem Vorschlag, dass ich mit Papa nach Hause fahre und mir dort einer meiner Anzüge hole. Wäre schade, wenn die nur im Schrank hängen würden.“
Ich nannte die Wohnung von Hyun-Woo schon ganz selbstverständlich mein zu Hause.
„Darfst du das denn?“
„Klar Mama, die sind extra für mich angefertigt worden, wer soll die sonst anziehen?“
„Also ich finde das eine gute Idee, so komme ich wenigstens noch etwas raus!“, sagte Papa.
Mama nickte, sagte nichts weiter dazu.
„Gut, dann werde ich mal unten anrufen und ein Taxi bestellen lassen“, meinte Papa.
*-*-*
Ich erschrak etwas, als ich die Tür zur Wohnung aufzog und drinnen alles hell erleuchtet war. Der Fernseher lief und zu meiner Überraschung stand da ein voll geschmückter Tannenbaum am Fenster.
Plötzlich tauchte Juens Kopf an der Couch auf.
„… Ähm… hallo Lukas, entschuldige, ich wusste nicht, dass du kommst.“
„Was tust du denn hier?“
„… ich wohne hier.“
„Das weiß ich auch, aber warum bist du hier?“
Verlegen schaute er sich um.
„Ich habe mit meinem Vater telefoniert…, er fragte, ob ich mir das nochmal an tun wollte. Das gestern hat mir schon so weh getan, dass mich meine eigene Mutter nicht erkennt und mich mit meinem Bruder verwechselt.“
„Soll das heißen du sitzt an heilig Abend hier alleine…?“
„Kein Problem“, versuchte Juen mir zu versichern, „dass ist in Ordnung…“
Papa, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, trat zur Seite und zog sein Handy heraus.
„Aber du kannst doch nicht hier alleine…“
„Doch Lukas! Das ist wirklich kein Problem!“
„Juen!“
Das war die Stimme meines Vaters, der gerade wieder sein Handy verschwinden ließ.
„… ähm ja?“
„Du gehst jetzt und holst dir etwas Gutes zum Anziehen…, heute Abend verbringst du mit uns!“
Ich lächelte Papa an.
„Aber ich kann doch nicht…“
„Doch kannst du! Ich habe eben mit meiner Frau gesprochen und sie würde sich freuen, wenn du heute Abend unser Gast bist.“
Juen sah mich hilflos an.
„Du hast meine Vater gehört“, lächelte ich ihn an.
Er zuckte mit den Schultern.
„Eine Frage noch? Woher haben wir diesen wunderschönen Tannenbaum?“
„…ähm, dass sollte für dich eine Überraschung von Hyun-Woo sein.“
„Die ist ihm gelungen!“
*-*-*
„Hallo Juen…“, begrüßte Mama ihn schon an der Tür.
„Danke Mrs. Dremmler, dass ich heute Abend ihr Gast sein darf.“
Komm herein und setze dich.“
„Danke, gerne.“
„Komm, gib mir deinen Anzug“, meinte ich und nahm ihm die Hülle ab.
Ich brachte meinen und seinen Anzug in das elterliche Schlafzimmer.
„Eure Schuhe stehen da vorne“, meinte Papa, als ich wieder zurück kam und er auf den Rucksack zeigte.
Ich nickte und gesellte mich zu Juen.
„Mein Sohn hat mir erzählt, dass deine Familie, deinen älteren Bruder vermisst?“, fragte Mama.
Ich wusste nicht, ob es jetzt gut war, Juen mit der Familie zu kommen.
„Ja, mein Vater denkt sogar, er wäre tot. Bei meiner Mutter bin ich leider nicht so sicher, sie denkt immer, er wäre auf einem Lehrgang.“
„Und was denkst du? Hast du noch nicht versucht, ihn zu finden?“
„Mama, es gestaltet sich sehr schwer, jemanden hier zu finden. Und falls er nicht gefunden werden will, gestaltet sich das noch schwieriger.“
„Aber Juen sitzt doch jetzt an der Quelle…, Min-Chul ist ihm sicher dabei behilflich.“
Da wäre ich mir nicht so sicher, auch wenn Onkel Min-Chul immer sehr hilfsbereit war, aber auch nur wenn es die Familie war. Ich konnte Juens Stimmungslage nicht deuten, sein Gesicht schien die ganze Zeit ausdruckslos. Einzig die Augen funkelten lebendig
„Hättet ihr eventuell etwas dagegen, wenn Juen und ich etwas spazieren gehen, bisher war ich heute nur drinnen.“
„Mama schaute zu Papa, aber der schüttelte nur den Kopf, sagte nichts weiter. Na toll, was sollte das jetzt heißen? Nein sie haben nichts dagegen, oder nein ihr geht nicht nach draußen.
„Aber achtet bitte auf die Zeit und kommt nicht so spät zurück, ihr müsst euch noch um ziehen“, sagte Mama.
„Darin haben wir Übung“, lachte ich und zwinkerte Juen zu.
*-*-*
„Es tut mir leid, dass meine Mutter von deinem Bruder angefangen hat.“
„Das ist nicht schlimm und irgendwie hat sie recht. Ich würde schon gern wissen, wie es ihm geht.
„Vielleicht ist er verheiratet und du schon Onkel.“
„Das glaube ich jetzt weniger, Joon war schon immer ein Einzelgänger, hatte wenig Freunde.“
„Menschen können sich ändern.“
Darauf sagte nun Juen nichts mehr und lief still neben mir her. Ich zog mein Handy heraus und schaute, ob ich vielleicht eine Nachricht von Hyun-Woo verpasst hatte, aber ich fand lediglich die Nachricht von Mia mit dem Bild.
Ich öffnete und musste wieder lächeln. Ich hielt es Juen hin, der es bisher noch nicht gesehen hatte. Auch er lächelte und ich ließ mein Handy wieder verschwinden.
„Du hast tolle Freunde…“
„Es sind auch deine Freunde!“
„Das ist ein seltsames Gefühl…, Freunde zu haben…, ich kenne das nicht.“
„War es wirklich früher so schlimm für dich?“
Wir liefen weiter.
„Wie soll ich es sagen. Kann man sich an so etwas gewöhnen? Irgendwann dachte ich nicht mehr darüber nach. In der Akademie hing ich mit den Typen zusammen, die auf meinem Zimmer waren, aber so ernste Gespräche führen, wie ich es mit dir mache, gabs da nie.“
„Wolltest du nie jemanden näher kennen lernen?“
„Wie gesagt, da habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Es gab nur zwei Gesprächsthemen, Mädchen oder die Ausbildung. Ich habe mich mehr auf die Ausbildung konzentriert.“
„Also kein Mädchen, für das du schwärmst.“
„Was heißt schwärmen? Klar gibt es da Berühmtheiten, die mir gefallen, aber irgendwie unerreichbar sind. Und seit ich euch kennen gelernt habe, sehe wie du und Hyun-Woo, oder Jack und So-Woi mit einander umgeht, erwische ich mich bei dem Gedanken, dass mir das auch gefallen könnte.“
„Du sagtest, du bist nicht schwul?“
„Muss man schwul sein, um einen Jungen zu mögen…? Wenn es nur einen Jungen gibt, der dich zum Beispiel interessiert, aber du sonst nur Mädchen magst, ist man dann schon schwul?“
Ich schüttelte den Kopf, weil ich diese Sichtweise nicht kannte.
„Also, wenn du dich zum Beispiel in Jae-Joong verlieben würdest, wäre nur er interessant sonst kein anderer Typ.“
„Jae-Joong ist schwul?“
„Nein“, lachte ich, „das war nur ein Beispiel.“
Er brauchte ja nichts von unserem gemeinsamen Duscherlebnis wissen.
„Ja, so ungefähr meine ich das. Aber genauso schwer es ist, eine Freundin zu finden, wird es auch mit einem Freund sein.“
„Wie sollte er sein, dein Freund, wie stellst du dir den vor?“
„Eigentlich wie bei den Mädchen auch. Verständnis und humorvoll, sollte er sein, kein Wirbelwind wie Jae-Joong, das wäre mir eine Nummer zu heftig.“
Ich musste wieder grinsen.
„Ich mag es ruhig und harmonisch. Ich bin ein Kuschelfanatiker! Aber wie ich eingangs schon sagte, so jemanden muss man erst finden.“
„Oder du wirst gefunden!“
„Mich? Mach dich nicht lächerlich! Schau uns beide doch an, wir sind das krasse Gegenteil von einander. Wenn ich vielleicht so groß wie du wäre, diese sanften Gesichtszüge und die tollen Augen, dann hätte ich vielleicht eine Chance. Du hast ja selbst gehört, auf andere wirke ich wie ein Schuljunge.“
„Soso, du findest meine Augen toll?“
„Von Anfang an. Grüne Augen sind selten hier, außer du trägst vielleicht eingefärbte Kontaktlinsen und dann kommt noch dazu, dass deine Augen irgendwie magisch sind.“
„Ich glaube, wir gehen langsam zurück, nicht dass meine Augen dich noch verzaubern.“
*-*-*
„Ist der neu?“, wollte Mia wissen, die in einem Kleid vor mir stand, welches ich selber noch nie gesehen hatte.“
„Ja, ein weiterer toller Entwurf von So-Woi nach meinem Geschmack.“
Schwarze einfach Schnürschuhe und eine körperbetonte schwarze Jeanshose. Weißes Hemd wie immer und darauf ein Jacket in schwarz, nur der Kragen, so wie die Taschenaufsätze, waren grün-schwarz kariert.
Juen erschien in einem anscheinend normalen schwarzen Anzug. Nur wenn man genau hinsah, war dieses schwarz nicht einfach schwarz, der komplette Anzug war mit verschiedenen Muster überzog.
Papa kam zurück, trug ein weißes Hemd mit Krawatte und Pullunder. Mama dagegen hatte wie Mia ein einfaches Kleid an. So konnte man sich sehen lassen. Natürlich erregten Juen und ich Aufmerksamkeit, als wir später das Restaurant im Haus betraten.
Etwas hatte ich mich schon daran gewöhnt, so beachtete ich die anderen Leute überhaupt nicht. Papa überraschte uns mit einem mehr gängigen Menü, welches später doch etwas schwer im Magen lag.
Wie immer hatte ich zu viel gegessen. Nach deutscher Manier, bestellte ich mir am Schluss einen Kaffee. Ich trank gerade, als ich hinter mir eine bekannte Stimme hörte.
„Guten Abend zusammen…“
Ich drehte mich um und Hyun-Woo stand vor mir. Meine Laune stieg ums tausend fache.
Er schüttelte jedem die Hand und blieb dann hinter mir wieder stehen. Natürlich spürte ich sofort, dass nun seine Hände auf meinen Schultern ruhten.
„Hallo Hyun-Woo, das ist aber schön, dass du noch vorbei kommen konntest, wie geht es dir?“
Mama natürlich wieder, neugierig wie immer.
„Gut…, vielleicht noch etwas wackelig auf den Beinen und auch der Schock, über das was passiert ist, sitzt doch noch tief.“
„Das kann ich mir gut vorstellen, komm setz dich zu uns.“
„Danke…“
Mia rutschte dichter zu ihrem Vater und so wurde noch ein Plätzchen frei.
„Möchtest du noch etwas essen?“
Er schüttelte abwehrend mit seinen Händen.
„Nein, meine Mutter hat gut und sehr viel gekocht. Sie hat mir auch genügend Essen mit eingepackt.“
„Und wie geht es deiner Großmutter?“
„ Sie ist voll genesen und sprudelt vor Tatendrang fast über.“
„Das freut mich zu hören!“, meinte Mama.
„Mia, was hältst du von einem kleinen Verdauungssparziergang, bevor wir nach oben gehen. Nur du und ich mit Mama?“
„Und die Jungs?“, fragte Mia.
„Ich denke, die werden langsam heim fahren, denn morgen ist ja auch noch ein anstrengender Tag.“
Ich spürte, dass es Mia gar nicht recht war. Sie wollte wahrscheinlich noch mit uns abhängen oder so etwas. Aber ich gab zu, dass Papa recht hatte. Morgen war ein langer Tag und ich sollte mich noch etwas ausruhen.
„Kann ich noch schnell eure Zimmerkarte haben, damit wir unsere Sachen holen können?“, fragte ich Papa.
„Ich gehe kurz mit hinauf, denn wir brauchen ja unsere Jacken, wenn wir noch etwas laufen wollen.“
„Und Schal und Handschuhe“, kam es von Mama.
„Würdest du dich so lange um die Damen kümmern, bis ich wieder komme?“, grinste ich Hyun-Woo an.
„Aber gerne doch!“
*-*-*
Wir wurden noch bis zum Wagen begleitet. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass Hyun-Woo seinen neuen Wagen verloren hatte. Dieser war sicher aus dem Fuhrpark von So-Woi.
„Was ist das für eine Tasche? Die hatten wir vorhin nicht dabei“, flüsterte mir Juen zu.
„Etwas, was mir mein Vater noch aus Deutschland mitgebracht hat.“
„Ach so.“
Hyun-Woo öffnete den Kofferraum und wir legten dort unsere Sachen ab. Danach hielt er mir wieder ganz Gentleman die Tür auf. Ich verabschiedete mich von meiner Familie und stieg ein.
Als wir abfuhren, winkten wir natürlich, bis die drei außer Sichtweite waren. Ich schaute zu Hyun-Woo. Bis jetzt hatten seit diesem Vorfall noch nicht miteinander geredet. Ich beschloss einfach ruhig zu sein und abzuwarten, bis wir zu Hause waren.
Die Erinnerung kam zurück und ich musste plötzlich mit den Tränen kämpfen. Mir wurde so richtig bewusst, dass ich fast meinen Hyun-Woo verloren hätte. Ich schaute nach draußen, merkte aber dennoch, dass Hyun-Woo nach meiner Hand griff.
„Es ist alles gut!“, sagte er leise.
Nun schaute ich doch zu ihm. Seine Augen glänzten ebenso.
„Es ist vorbei! Wir schaffen das gemeinsam! Okay?“, sprach er leise weiter.
Ich nickte.
„Es kann nur besser werden!“
*-*-*
Diese Nacht schlief ich schlechter als die Nacht zuvor. Immer wieder suchte ich in der Dunkelheit nach Hyun-Woo, ob er auch wirklich neben mir lag. Natürlich waren dicke Tränen nach unserer Ankunft in der Wohnung getroffen und ich wollte meinen Schatz auch gar nicht mehr los lassen.
Erst wollte uns Juen alleine lassen, damit wir Zeit für uns hatten, aber wir bekamen noch Besuch. So-Woi und Jack schauten och vorbei, als sie von Grandma Shin-Sook zurück kamen.
Wir saßen noch eine ganze Weile zusammen und redeten einfach. Hyun-Wo neben mir griff noch mir und zog mich eng an sich heran. Er legte den Arm um mich und wie ich es schon kannte, wanderte sein Bein über meine.
„Schlaf Lucas, du musst morgen fit sein“, brummelte er und war, wenige Augenblicke, später wieder eingeschlafen.
Am frühen Morgen tat sich ein neues Problem vor mir auf. Wie konnte ich meine Überraschung für später vorbereiten, ohne dass es Hyun-Woo bemerkte. Wie jeden Morgen umsorgte er mich und schon bald war mein Hunger gestillt.
„Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich nachher noch kurz zu So-Woi hinauf“, sagte mein Schatz und begann das Geschirr abzuräumen.
Das war vielleicht meine Chance.
„Kein Problem“, meinte ich.
Juen neben mir schob sich gedankenverloren den letzten Löffel voll Reis in den Mund. Ich musste wohl in den sauren Apfel beißen und Juen einweihen, ganz ohne seine Hilfe bekam ich das nicht hin.
So wartete ich geduldig, bis Hyun-Woo die Wohnung verlassen hatte und trat dann in Aktion.
*-*-*
Während Hyun-Woo zu seiner Mutter gefahren war, um sie und seine Großmutter abzuholen, führen Juen und ich mit Jack zum Haus meines Großvaters. Als wir dort eintrafen, sah ich, dass Grandma Shin-Sook wohl auch gerade angekommen war.
Der Begrüßungsmarathon konnte beginnen. Natürlich freute ich mich, sie wieder zu sehen, denn sie war schon fast sowas wie eine gute alte Freundin für mich. Nach und nach trafen auch die anderen ein. Ein kleiner Menschenpulk bildete sich vor dem Laden.
Durch die Begrüßung abgelenkt, konnte Juen, meine Überraschung unbemerkt an den anderen vorbei zu schmuggeln. Kurz darauf kamen Großvater mit Onkel Min-Chul heraus und baten uns freundlich, doch ins Haus zu kommen.
So viele Leute vor seinem Laden erweckte die Neugier der Nachbarn und das war ihm gar nicht recht. Nach und nach traten wir ein. Drinnen war ich erst einmal total von den Socken. Nichts erinnerte mehr an den Laden.
Das hatten sich meine Tanten wirklich etwas einfallen lassen. Die Kasse war abgedeckt und der Rest der Theke schaffte nun Platz für all die Getränke, die heute angeboten wurden. Wie besprochen stand diagonal zum Raum ein langer Tisch, an dem wir alle Platz fanden.
Als Hyun-Woo eintraf stand ich wieder auf, um seine Mutter und Großmutter zu begrüßen. Warum sich die Großmütter alle automatisch zusammen setzten, war mir ein Rätsel. Ich merkte schnell, dass da keine überschaubare Sitzordnung gab, sondern jeder setzte sich dort hin wo er wollte.
So saß das Jungvolk, also wir, wie ein Pulk am Ende des Tisches, während die Eltern eher in der Mitte vertreten waren, ganz am Schluss saß dann die ältere Generation, in einem gewissen Abstand.
Ich wusste nicht, ob das so geplant war, konnte mir aber auch egal sein. Onkel Sung-Ja kam zu mir und beugte sich vor.
„Lucas, du musste etwas sagen und den Abend eröffnen“, flüsterte er mir ins Ohr.
Ich zeigte auf mich.
„Ich?“, fragte ich entsetzt.
Er nickte fröhlich und ging zu seinem Platz zurück. Hyun-Woo kicherte hinter vorgehaltener Hand. So stand ich unsicher auf und schaute in die Runde, die aber nicht so recht mitbekam, dass ich etwas sagen wollte, naja eher sagen sollte!
Ich nahm eines meiner Stäbchen und klopfte damit vorsichtig ans Glas. Sofort kehrte Ruhe ein und ich hatte nun die volle Aufmerksamkeit.
„Onkel Sung-Ja meinte, ich solle diesen Abend eröffnen. Eigentlich dachte ich, das macht immer das Familienoberhaupt.“
Großvater lächelte mir zu, schüttelte leicht den Kopf und zeigte auf mich.
„Du hattest die Idee“, sagte Hyun-Woo leise neben mir.
„Stimmt!“, meinte und ein Grinsen ging durch die Runde.
„Wo soll ich anfangen…, am besten am Anfang denke ich.“
Ich räusperte mich kurz.
„… als ich vor einem Jahr mit dem Plan zu meinen Eltern kam, dass ich nach Korea möchte, waren die am Anfang nicht sehr angetan…, ich alleine in einem fernen Land. Doch dank meines Zeichenlehrers Park In-Jeu, konnte ich sie davon überzeugen, dass es etwas Gutes sei, hier her zu kommen.“
„Wenn wir das alles vorher gewusst hätten…?“, unterbrach mich mein Vater.
„Ach Papa, sein nicht so, oder willst du sagen, dir gefällt es hier nicht?“
Er grinste und hob seinen Daumen nach oben.
„Klar hat man irgendwelche Erwartungen, wenn man wo Fremdes hinkommt, aber alle meine Vorstellungen wurden schon am Anfang weit überboten. Die Kultur und Gastfreundschaft dieses Landes ist atemberaubend und kann ich nur weiter empfehlen!“
Alle fingen an kurz zu applaudieren, so musste ich warten, bis wieder Ruhe einkehrte.
„Es mag stimmen, dass ein paar wenig schönere Dinge, seit ich hier bin, geschehen sind, aber im Endeffekt habe ich dieses Land so kennen gelernt, wie es wirklich ist… das reale Korea. Was mich aber am meisten freut…, ich habe den Teil meiner Familie gefunden, der mir bis dato unbekannt war.“
Ich schaute kurz jeden der Familienmitglieder an, bevor ich weitere redete.
„Und es brachte mir noch eine Vielzahl von lieben Menschen, die ich kennen lernen durfte, gute Freunden, auf die ich immer zählen kann und natürlich einen liebevollen Freund, den ich aufrichtig liebe und er mich!“
Nun wurde es laut am Tisch. Jeder sprach durcheinander und es dauerte einige Zeit, bis ich weiter sprechen konnte. Ich nahm mein Glas in die Hand und hob es in die Höhe.
„Ich denke, egal wo man auf dieser Welt ist, gibt es eine Tradition, die alle teilen. Ein Trinkspruch!“
Nun nahmen alle ihre Gläser in die Hand.
„Möge dies nicht der letzte Abend sein, an dem wir so vergnügt beieinander sitzen und freuen uns auf das, was kommt. Geon-Bae! (Prost)
*-*-*
Ich hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht, wie bei diesem Essen. Niemand dachte mehr an Vorkommnisse, die geschehen waren. Was mir aber jetzt erst auffiel, unter dem Weihnachtsbaum, der in der Ecke stand, lagen auch Geschenke.
Und als hätte jemand meine Gedanken gelesen standen mehrere auf und liefen zum Weihnachtsbaum. Zuerst wurden die Großeltern beschenkt. Es waren kleine bescheidene Präsente, das hatte man im Vorfeld wohl so ausgemacht.
Auch meine Cousins und meine Schwester bekamen kleine Päckchen. Und so ging es weiter, bis fast jeder etwas hatte, außer Hyun-Woo und mir. Großvater kam zu mir und ich dachte schon, nun bekommst du auch etwas, aber er hatte nichts in seinen Händen.
Am Tisch wurde es automatisch ruhiger, als nun Großvater bei mir stand.
„Lieber Lucas, eigentlich ist das schönste Weihnachtsgeschenk für mich, die ganze Familie um mich zu haben und ich denke, jeder denkt so. Wir haben lange überlegt, was wir dir schenken könnten, es gab sogar einige Telefonate nach Deutschland. Aber so recht konnten wir uns nicht einigen, bis mein Enkel Hong-Sik…, wie sagt ihr… eine geniale Idee…“, alles kicherte, „… hatte. Wir haben das Glück für heute Abend jemanden gefunden zu haben, der nachher von uns allen, vor dem Haus ein Foto macht. So hast du eine Erinnerung an diesen Abend, wo alle Menschen vereint sind, die dich lieb haben!“
Alles begann zu klatschen und ich hatte Mühe, meine Tränen zurück zu halten.
„Du hast uns alle zusammen gebracht und ich danke dir herzlichst dafür!“
Wieder wurde das klatschen lauter und ich nickten allen zum Dank zu. Dann stand ich auf und umarmte meinen Großvater lange. Als er sich dann gesetzt hatte, ergriff ich nochmal das Wort.
„Einer hat noch kein Geschenk bekommen, der einen großen Anteil daran hat, wie ich mich jetzt fühle!“
Hyun-Woo wurde rot.
„…Lucas bitte…“, meinte er verschüchtert, aber ich sprach einfach weiter.
„Ich habe auch lange überlegt, was ich ihm schenken sollte…, die Ringe vielleicht, die ich für uns beide anfertigen ließ und schon ewig mit mir herumtrage…, oder etwas anderes… Nützliches…, aber von keinem war ich so richtig überzeugt. Wie wir alle wissen, ist dein Auto leider zerstört worden…“
„Du willst ihm ein Auto schenken?“, rutschte Mia heraus und alles fing an zu lachen.
Ich schüttelte langsam den Kopf und lächelte ebenso.
„Mit dem Wagen ist leider auch ein kleines Präsent verloren gegangen, ein Geschenk deines Vaters. Durch eine gute Quelle“, Hyun-Woos Mutter lächelte, „weiß ich, was drin war.“
Hyun-Woo sah mich erstaunt an.
„Es war ein kleines Bild, das dich mit deinem Vater zeigte. Er hatte dich geschultert und eine Geige in der Hand. Lieber Hyun-Woo, ich kann dir dieses Unikat nicht wieder bringen, aber ich kann dir etwas anderes geben, was dich an dein Vater erinnern wird.“
Ich nickte Juen zu, der darauf in den hinteren Bereich des Hauses kurz verschwand. Zurück kam er mit meiner Geige, die mir Papa, auf meinen Wunsch, aus Deutschland mitgebracht hatte.
„Du spielst Geige?“, fragte Großvater und So-Woi fast gleichzeitig.
Ich nahm mein Instrument entgegen und lächelte.
„Warum hast du das nicht erzählt?“, wollte nun Onkel Min-Chul wissen.
„Ähm…, es hat niemand gefragt…“
Wieder wurde am Tisch gelacht. Als ich den Bogen hob, kehrte wieder Stille ein.
„Leider habe ich nur wenig Zeit zum üben gehabt, als verzeiht mir bitte schon im Voraus, wenn ich einen Fehler mache.“
„Und du hast gesagt, dass ich träume“, kam es plötzlich von So-Woi, „…also habe ich, gestern doch eine Geige gehört!“
Jack drehte den Kopf weg und kicherte hinter vorgehaltener Hand. Da ich keinen Notenständer hatte, stand nun Juen neben mir und hielt mir die Noten vor die Nase. Ich setzte an und ließ den ersten Ton erklingen.
Ich spielte Stille Nacht, dass auf der ganzen Welt bekannt war. Es wurde ganz ruhig im Raum und jeder lauschte den Klängen meiner Geige. Hyun-Woo saß da und ich bemerkte, dass ihm Tränen über die Wangen liefen.
Aber er lächelte dabei. Er war anscheinend genauso glücklich wie ich und wie jeder hier im Raum. Ein schönes Weihnachtsfest, so wie ich es mir gewünscht hatte.
1 Kommentar
hi,
vieln Dank für die gesammelte Fassung der bisherigen Geschichte, ich hoffe das es weiterhin so spannend bleibt und es für unsere „Helden“ ein gutes Ende findet.
Ich freue mich auf die weiteren Teile und wünsche Dir und allen hier einen guten Rutsch ins neue Jahr 2019.
Gruß
sandro79