Vor mir stand eine Kanne mit Tee und eine Tasse. Caitlin hatte sich zu mir gesetzt. Sie hatte die ganze Zeit von Vater erzählt, über Dinge, die ich nicht gewusst hatte. Auch dass Papa bis zum Verschwinden seiner Mutter, zwar beliebt bei der Dienerschaft, aber für jeden Streich zu haben war.
Aber nachdem ein Teil der Eltern die Familie verlies, änderte er sich rapide. Er wurde ruhig, verschlossen und in sich gekehrt. Das hatte sich dann erst geändert, als er Mum kennen gelernt hatte.
Das Verhalten von Papa wunderte mich doch sehr, war der Kontakt zu seiner Mutter doch nie abgebrochen, was die Briefe bewiesen und auch das Konto mit dem Geld.
„Ich… ich glaube…, ich hab einen riesen Fehler gemacht!“
„Fehler kann man bereinigen“, meinte Caitlin ruhig.
Ich befüllte meine Tasse mit Tee und warf einen Cantiszuckerwürfel dazu, danach begann ich zu rühren.
„Ich weiß nicht wie…“
„Wie wäre es mit einer Entschuldigung?“
Gedankenverloren schaute ich in die Tasse.
„Wenn ich eins in meinem Leben gelernt habe Jack, ist es, immer über alles zu reden. Schweigen ist zwar Gold, wie man immer so schön sagt, aber es bringt auch viel Missverständnis und Leid mit sich.“
„Aber… meine Mutter denkt doch jetzt sicher, dass ich ihr vorwerfe, dass wir kein schönes Leben geführt haben und das haben wir doch!“
„Wenn du es ihr nicht sagst, könnte sie das vielleicht denken… ja.“
Tränen sammelt sich in meinen Augen und Caitlin drückte meine Hand.
„… ach hier bist du…, ich hab mir schon Sorgen gemacht!“
Mum. Mit großen Augen schaute ich Caitlin an, die aber nur lächelte und aufstand.
„Ich glaube, ich habe etwas im Keller zu tun“, meinte sie und verschwand aus der Küche.
„Jack… Es tut mir leid, wenn du…“
Ich sprang auf und fiel ihr um den Hals.
„Ich hab das nicht so gemeint…“, schluchzte ich, „ich habe nur schöne Erinnerungen mit dir…, ich hab mir nie viel Gedanken darüber gemacht, dass wir nicht viel Geld hatten. Wir hatten doch…alles, waren… bisher glücklich!“
„Ist ja gut, Jack, pssst!“
Sie streichelte mir über den Kopf.
„Ich wollte dich… nicht beleidigen, oder so etwas.“
Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und drückte es von sich weg, so dass sie mir in die Augen schauen konnte. Mit den Daumen wischte sie mir Tränen weg.
„Jack, du hast mich nicht beleidigt! Es kam nur alles irgendwie von damals wieder hoch, die Erinnerungen an diesen Abend, als plötzlich die Polizei vor der Tür stand, um mir mitzuteilen, dass dein Vater verunglückt sei.“
Ich konnte gegen das Zittern meines Körpers nichts tun, auch liefen die Tränen ungehindert die Wangen hinunter.
„An die Beerdigung, an den nur ein paar wenige Freunde deines Vaters teilnahmen…“
„… du sagtest…“, ich wischte nur meinerseits die Tränen aus den Augen, „… dass Tante Abigail da war.“
„Deine Tante war zwar da, aber sprach kein Wort mit mir…“
„Oh…“
„… und weil keiner von seiner Familie sich hat blicken lassen, hatte ich beschlossen unter allem einen dicken Schlussstrich zu ziehen. Das schließt auch das Geld seiner Mutter ein. Ich wollte denen keinerlei Angriffsfläche bieten!“
Mum hatte mich losgelassen.
„Ich hatte Angst, dass sie dich mir vielleicht wegnehmen könnten… Geld und Macht hatten sie schließlich dazu.“
„Sie haben es nicht getan!“, meinte ich.
„Nein…“, meine Mum setzte ein seltsames Lächeln auf, „ich denke, wir waren ihnen schlichtweg egal.“
Ich fuhr mir übers Gesicht und strich mir durch die Haare.
„Meinst du wirklich?“
„Jack, ich habe damals die Wohnung aufgelöst, für dich und mich etwas Neues gesucht und auch gefunden. In all der Zeit hat uns aber nie jemand behelligt, geschweigen denn besucht.“
Ich atmete tief durch.
„Und was wird jetzt mit dem Geld?“
Mum zuckte mit den Schultern.
„Was soll schon mit dem werden…, es bleibt da wo es ist!“
*-*-*
Als ich wieder in meinem Zimmer war, klopfte es gleich von zwei Seiten. Genervt stand ich auf, rief ja und lief an die Zimmertür. Davor fand ich Sabrina. Als ich ohne Worte mich wieder umdrehte, kam Jayden in mein Zimmer gelaufen.
„Was war denn vorhin los, warum bist du nicht mehr zum Frühstück gekommen?“
Ich schaute Jayden nur an und ließ mich dann wieder auf mein Bett fallen.
„Ach Jayden, lass ihn, er zickt mal wieder, hat er früher öfter!“, kam es von Sabrina, die hinter sich die Tür geschlossen hatte.
„Zicken? Ist das nicht Mädchensache!“
Ich musste grinsen. Wenn Jayden sich da mal nicht, sein eigenes Grab geschaufelt hat.
„Was soll das denn bitte schön heißen?“, plusterte sich Sabrina auf.
Jayden ließ sich ganz gemächlich auf meinen Schreibtischstuhl nieder.
„Zicken kommt von Zicke und Zicke ist weiblich!“
Ich musste mich beherrschen, nicht laut loszulachen. Sabrina stürmte auf Jayden zu und packte ihn am Kragen.
„Jayden Baron of Newbury, das will ich mal überhört haben! Jungs können genauso zicken!“
Sabrinas Stimme war so schrill, dass ich mir die Ohren zu hielt.
„Warum seid ihr hier?“, fragte ich, als wäre nichts gewesen.
Sabrina ließ Jayden los und lief schnaufend zum Fenster.
„Wir…“, Jayden schaute Sabrina ängstlich hinterher, „wir wollten nur fragen, ob du nicht mit… ausreiten gehst.“
Ich setzte mich auf.
„Gerne…, ich muss mich nur kurz umziehen.“
Jayden nickte und schaute immer noch zu Sabrina. Ich blickte zwischen den beiden hin und her.
„Ihr bleibt so?“, fragte ich scheinheilig, mit dem Versuch, nicht loszulachen.
„Ähm… ich mach mich auch fertig!“, meinte Jayden und verschwand wieder durch die Badezimmertür.
Sabrina dagegen lief schnaufend an mir vorbei und ließ meine Zimmertür hinter sich zu knallen.
*-*-*
Eine viertel Stunde später und gut eingepackt, kam ich am Stall an. Mein Taylor hatte wohl viel zu tun, denn nun standen da alle fünf Pferde, so dass er mich gar nicht bemerkte.
„Hallo Schatz!“, hauchte ich direkt hinter ihm.
„AAAAHH…“, entfleuchte es Taylor, drehte sich erschrocken herum und landete auf dem Hosenboden.
Die Pferde trieben etwas auseinander.
„Man Jack, musst du mich so erschrecken?“
„Wieso erschrecken, hast du mich nicht kommen sehen.“
„Nein!“, meinte er schwer atmend, mit der Hand auf der Brust.
„Das tut mir leid, Schatz, und ich dachte, du freust dich, wenn ich mitkomme.“
„Tu ich ja!““
Ich half ihm auf, dicht standen wir aneinander.
„Alles klar mit dir, deine Augen sind ganz rot“, flüsterte er.
„Geht schon…, erzähl ich dir später.“
Ich spürte seine Hand auf der Wange.
„Jack, wenn irgendetwas ist, du kannst jederzeit zu mir kommen, oder wenn das nicht geht, mich anrufen.“
Ich gab ihm einen Kuss auf den Mund.
„Das ist lieb von dir, aber ich möchte jetzt nichts erzählen, weil die anderen gleich kommen.“
Kaum hatte ich den Mund verschlossen, als es vom Haus aus her laut wurde. Es schien, als hätte Sabrina, Jayden immer noch nicht verziehen.
Schrill, wie immer, drang ihre Stimme zu uns und Taylor sah mich fragend an. Ich gab ihm noch mal einen Kuss, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und gesellte mich dann zu Tiara. Als die drei anderen sich dann dem Stall näherten, verstummte Sabrinas Stimme abrupt.
Ähnlich wie bei Gregory, erklärte mein Schatz, Sabrina, alles zum Pferd, was sie jetzt wissen musste. Man merkte aber Sabrina an, dass sie immer noch ängstlich ihrem Pferd, das sie reiten sollte, gegenüberstand.
Als nach langen Hin und Her, Sabrina stock steif auf ihrem Pferd saß, nahm Taylor wieder die Führungsleine, um sie aber dann Jayden zu geben.
„Was soll ich damit?“, kam es verwundert von meinem Cousin.
„Deine Freundin führen!“, grinste ihm Taylor entgegen.
*-*-*
Wir waren schon eine Weile geritten und Sabrina hatte sich etwas entspannt. Sie schien sogar etwas Gefallen daran zu finden. Ich ritt mit Taylor neben mir, Molly und den anderen zwei einfach hinter her.
So merkte ich auch nicht, welchen Weg wir genommen hatten, denn plötzlich kamen wir am roten Haus vorbei. Dieses Mal war es wohl geöffnet, denn es standen ein paar Autos auf dem Parkplatz vor dem Cottage. Die Fenster waren erleuchtet.
„Oh, ob man da eine heiße Schokolade bekommt? Mir ist etwas kalt!“, hörte ich Sabrina rufen.
Taylor schaute zu mir, als wollte er etwas sagen.
„Dann lass uns einfach mal hineinsehen“, kam es von Jayden, der sein Pferd schon Richtung Zaun steuerte.
Ohne mich zu fragen, ob ich auch wollte, waren die drei bereits abgestiegen; Sabrina mit Hilfe von Jayden. Eigentlich wollte ich nicht, hatte ich doch noch unser letztes Treffen hier im Sinn.
Aber der Drang meine Großmutter wieder zu sehen, obwohl die drei nichts wussten, war größer. Auch Taylor war abgestiegen, um Tiara zu halten, während ich mich vom Pferd gleiten ließ.
„Meinst du, das ist eine gute Idee?“, flüsterte mein Schatz mir zu.
„Weiß ich nicht, aber wir sind ja auch nur fünf junge Leute, die eine heiße Schokolade wollen.“
„Ähm…, ich habe kein Geld dabei.“
Ich verdrehte die Augen.
„Kommt ihr endlich!“, hörten wir Sabrina rufen, die sich bereits vor dem Eingang befand.
„Dann lass dich einfach von deinem Freund einladen“, meinte ich und drückte ihm erneut einen Kuss auf den Mund.
„Kommt endlich!“
Taylor machte sein Pferd noch fest und zusammen folgten wir den anderen zum Eingang. Sabrina hatte die Tür bereits schon aufgezogen. Als ich mit Taylor gemeinsam eintrat, kam uns angenehme Luft entgegen.
Wie mein Schatz, zog ich als erstes meine Mütze und den Schal aus. Natürlich machte unser kommen, die anderen Gäste an den Tischen auf uns aufmerksam. Der Raum war feierlich geschmückt, überall auf den Tischen und wo man sonst Kerzen aufstellen konnte, lag alles im Kerzenschein.
Auch einen kleinen Weihnachtsbaum konnte ich entdecken. Von unseren Jacken und den Rest befreit, nahmen wir an einen der freien Tische Platz. Kaum saßen wir, kam auch schon jemand.
„Ihr wünscht?“, hörte ich die Stimme und wusste wer da hinter mir stand.
Emily. Ich traute mich plötzlich nicht, mich umzudrehen.
„Wäre es vielleicht möglich eine heiße Schokolade zu bekommen?“, fragte Molly.
„Weiße oder braune Schokolade?“, fragte Emily.
Ihre Stimme klang wesentlich freundlicher, als bei unserem letzten Treffen.
„Also ich hätte gerne braune Schokolade“, meinte Jayden und Molly nickte.
„Ich bitte weise“, kam es von Sabrina.
„Und die jungen Herren?“
Die Frage war wohl an mich und Taylor gerichtet, denn Sabrina und das Geschwisterpaar sahen uns erwartungsfroh an. So drehte ich mich um.
„Ähm…“
„Du?“, kam es von Emily.
Ich versuchte Emily freudlich an zu lächeln.
„Ja… ich.“
„Ihr kennt euch?“, fragte Sabrina, neugierig wie immer.
Verlegen nickte ich.
„Ich… ich war schon mal hier…“
„Davon hast du uns gar nichts erzählt.“
„Ähm…das war in den Herbstferien…“
„Sind das alle…?“, fragte nun Emily, aber brach ihre Frage plötzlich ab.
„Ähm nein… Taylor kennen sie ja schon… und das ist Sabrina, eine Schulfreundin und meine Cousine Molly und Cousin Jayden.“
„…. und ihr seid wegen…“
Ich fiel ihr ins Wort.
„Nein, nur wegen der heißen Schokolade…., ich hätte gerne braune Schokolade…“, mein Blick wanderte zu Taylor, „du auch, Schatz?“
Oje, jetzt war mir auch noch Schatz heraus gerutscht. Was würde sie nur von mir denken. Taylor nickte und ich traute mich wieder nicht, mich zurück zu Emily zu drehen.
„Okay, dann viermal braune und einmal weiße Schokolade. Kann ich sonst noch etwas für euch tun?“
„Nein danke“, meinte Molly lächelnd.
Dann verschwand Emily wieder und alle Augen waren auf mich gerichtet. Sabrina beugte sich leicht über den Tisch.
„Kannst du mir mal sagen, was heute mit dir los ist? Erst verschwindest du heute Morgen vom Frühstückstisch, kommst nicht wieder und jetzt sitzt du da, als wolle dir jemand an die Gurgel gehen.“
Ich hob abwehrend die Hände. Doch bevor ich etwas sagen konnte, kam Emily zurück und stellte einen Teller Gebäck auf den Tisch.
„Bedient euch Kinder…, alle selbst gebacken!“, meinte sie und schaute mich an.
„Wäre es möglich…, mit mir kurz an die Theke zu kommen?“
Alle schauten mich verwundert an. Ich fühlte mich langsam unbehaglich.
„Ähm ja, meinte ich, stand auf und folgte ihr.
Zwischen den anderen Gästetischen hindurch, war die Theke schnell erreicht. Ich blickte mich um, konnte Grandma aber leider nirgends entdecken. Emily war hinter die Theke getreten.
„Das ist alles wahr, was du in deinem Brief geschrieben hast?“
„Der Brief ist schon hier?“, fragte ich erstaunt, „sie haben ihn auch gelesen?“
„Natürlich habe ich ihn gelesen. Sophie und ich haben keine Geheimnisse voreinander.“
Verschüchtert nickte ich.
„Ähm, ja… alles stimmt…, was ich geschrieben habe.“
„Und warum seid ihr dann hier, wollt ihr etwa zu Sophie?“
„Nein, bitte sie müssen wir glauben, außer Taylor weiß niemand von denen, wer Großmutter ist.“
„Dann hast du wohl auch nicht deinen Onkel Henry hergeschickt?“
Mit großen Augen schaute ich sie geschockt an.
„Das…, das tut mir leid, das wollte ich alles nicht…“
Emily schaute mich durchdringend an.
„Komm mal mit“, sagte sie und drehte sich zu eine kleinen Tür hinter hier.
Wieder folgte ich ihr und betrat wohl die Küche.
„Sophie, hier ist jemand, der dich sehen möchte“, rief Emily.
Erschrocken schaute ich mich um, konnte aber meine Grandma nicht entdecken.
„Ich bin hier beim Plätzchen machen“, hörte ich ihre Stimme.
Emily schaute mich komisch lächelnd an und lief dann Richtung, woher die Stimme kam. Hinter einem großen Küchenschrank kam ein Tisch in mein Blickfeld, an dem auch Grandma saß. Sie schaute auf.
„Jack? Das ist aber eine Freude…, damit habe ich gar nicht gerechnet!“
Sie versuchte sich zu erheben, doch Emily war schneller, sie packte mich am Arm und drückte mich auf den Stuhl neben Grandma.
„… ähm hallo…, das war auch nicht so geplant…“
„Ich geh mal die heiße Schokolade machen“, sagte Emily und verschwand.
Grandma hatte sich mittlerweile meiner Hand bemächtigt und ließ sie auch nicht mehr los.
„Ich wollte dir schreiben…, nun kann ich mich aber persönlich für deinen Brief bedanken und auch sagen, dass mir das alles furchtbar leid tut… entschuldige bitte!“
Ihr Blick war traurig geworden. Ich hatte Grandma alles geschrieben, seit ich Grandpa kennen gelernt habe.
„Du musst dich nicht entschuldigen, Grandma, dafür kannst du nichts!“
„Wenn ich die Kinder nicht im Stich gelassen hätte, dann…“
„… dann wäre es vielleicht genauso gelaufen!“
Sprachlos schaute sie mich an. Ich nahm nun ihre Hand in beide Hände.
„Grandma, niemand kann wissen, was passiert wäre! Und du bist vor allem nicht schuld daran!“
Sie schien zu überlegen, dass sah man ihr deutlich an.
„Was meintest du, es war nicht geplant herzukommen?“
„Ich bin mit Taylor, den du schon gesehen hast, Sabrina, einer Schulfreundin und Molly und Jayden…, deinen Enkeln ausreiten. Ich habe nicht mitbekommen, dass wir hier her geritten sind und Sabrina war kalt und wollte eine heiße Schokolade.“
„Molly und Jayden sind auch da?“
Ich hatte schon wieder vergessen, dass Onkel Henry auch da gewesen war und natürlich von seinen Kindern erzählte. Ich nickte.
„Kann ich sie sehen?“
Verwundert schaute ich meine Grandma an, warum fragte sie mich nach Erlaubnis. Ich stand auf und bot ihr meinen Arm an. Strahlend griff sie danach und erhob sich. Wir liefen den gleichen Weg zurück, den ich gekommen war und standen wenig später am die der anderen.
„Darf ich euch eure Großmutter Sophie vorstellen?“