Adventskalender – Spieglein, Spieglein an der Wand – Teil 17

„Daran könnte ich mich gewöhnen“, sagte David und biss von seinem Toast ab.

Gemeinsam saßen wir am Frühstückstisch.

„Jederzeit wieder“, meinte Angus, stand auf und holte sich noch einen Kaffee.

„Das habe ich jeden Morgen!“, grinste ich David an.

David legte seinen Toast auf den Teller.

„Du willst mich wohl neidisch machen…?“

„Sicher nicht, sorry…“

David grinste mich schon wieder an.

„Und warum wirst du dann rot?“

Ich griff nach meiner Wange und spürte deutlich, wie das Blut sich unter der Haut sammelte. Angus kam lachend zum Tisch zurück.

„David, ich habe Finn noch nie so schüchtern gesehen!“

David Kopf flog herum und er schaute wieder zu mir.

„Ich weiß, was mein großer Bruder denkt!“, sagte Angus und nippte an seinem Kaffee.

„Bist du Hellseher?“, meinte ich nur und bis von meinem Toast ab.

„Nein…, man kann es aber deutlich in deinem Gesicht sehen.“

„Und was siehst du da?“, fragte David.

„Ist doch klar! Dass er gerne jeden Morgen mit dir frühstücken will!“

*-*-*

Schweigend verließen wir beide den Fahrstuhl. Die anfängliche gute Laune, die wir hatten, als wir in den Wagen stiegen, war sehr gemindert worden, als David einem anderen Wagen ausweichen musste, der seinen Wagen geschnitten hatte.

Nicht dieser Fastunfall vermieste und die Laune, nein es war der andere Wagen selbst. Es war das gleiche Fahrzeug, wie das, welches gestern uns an der Tiefgaragenausfahrt ausgebremst hatte. Der Wagen von Thomas.

„Morgen…“, meinte wir beide fast gleichzeitig, als wir das Großraumbüro betraten.

Blair, die bereits auf ihrem Platz saß, sah zwischen uns hin und her.

„Ist etwas passiert?“, fragte sie, aber ich winkte ab.

Schnell waren ich die Winterklamotten los und saß auf meinem Stuhl. Als ich mein Programm öffnete, blinkte oben links schon das bekannte Chatfenster.

Was ist los?“, schrieb Blair.

Uns hat ein Wagen geschnitten, war ziemlich knapp“, antwortete ihr David, der ebenso gerade den Chat betreten hatte.

He, es ist Winter, das kann schon mal passieren!“

„Aber nicht, wenn der Wagen meinem Bruder Thomas gehört!“, schrieb ich zurück.

Blairs Kopf hob sich und sie schaute mich entsetzt an.

Woher weißt du, dass es dein Bruder war, dachte du hast ihn solange nicht mehr gesehen?“. fragte Blair.

Weil er uns gestern, als ich aus der Tiefgarage herausfahren wollte, die Ausfahrt versperrt hat!“, antwortete David.

„Spinnt der?“, entfleuchte es Blair laut, was wieder mal die Aufmerksamkeit der Kollegen auf uns zog.

Leicht panisch schaute sie zwischen uns hin und her.

„Jeder kann ein Angebot machen, die Firma ist eben zu teuer“, sagte David plötzlich und tippte etwas auf seiner Tastatur.

Blair versank förmlich hinter ihrem Monitor.

Ein kurzes „Danke“, erschien im Chatfenster und ich lächelte David an. Dann schwieg der Chat und ich konnte mich endlich meiner Arbeit widmen. Der Rest des Morgens hatte es aber in sich. Kaum schien eine Frage, oder ein Problem gelöst, tauchte etwas Neues auf.

Ich wusste nicht, wie oft ich mir die Haare raufte, aber ein Tippen auf meine Schulter ließ mich auf sehen. David stand neben mir.

„Keinen Hunger, es ist Mittagszeit.“

Ich schaute mich um und stellte fest, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie die meisten Kollegen bereits zum Mittagstisch gegangen waren.

„Wo gehen wir heute hin?“, fragte Blair und ich zuckte mit den Schultern.

„Zwei Straßen weiter, hat ein neues Restaurant aufgemacht“, antwortete David.

„Du meinst „The Table“? Ist das nicht etwas zu gehoben?“, wollte Blair wissen.

„Zum einen sind wir alle drei Ausgehtauglich gekleidet und das Essen soll dort sehr gut sein! Komm, ich lade euch ein!“

„Da sag ich nicht nein“, mischte ich mich in ihr Gespräch und stand auf.

Leider etwas zu schnell, den David stand noch dicht neben mir. Ich rempelte ihn an und er drohte nach hinten zu kippen. Schnell legte ich meinen Arm um ihn, damit er einen Halt hatte.

„Danke!“, hauchte mir zu.

Ich zerfloss regelrecht in seinen Augen.

„Ähm… nichts zu danken“, stammelte ich und ließ ihn wieder los.

„Man könnte gerade meinen, ihr zwei seid zusammen, so wie ihr euch beide begehrlich  anschaut“, meinte Blair, die gerade in ihren Mantel schlüpfte.

Da wir mittlerweile alleine im Büro standen, war mir das egal.

„Was ja nicht ist kann ja noch werden“, grinste mich David frech an.

Beim Vorbeilaufen drückte er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ließ einen verdutzten Finn und fassungslose Blair zurück.

*-*-*

„Wann wollte ihr beide mir das erzählen?“

Es erstaunte mich, dass Blair bis ins Restaurant geschwiegen hatte. Erst als wir bestellt hatten und die Bedienung uns alleine ließ, richtete sie die Frage an uns beide.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete David und legte seine Serviette neben den Teller.

Blairs Blick wanderte zu mir und ich hob abwehrend die Hände.

„Ich bin auch gerade etwas… wie soll ich sagen… verwundert?“, meinte ich nur.

„Das hat sich aber heute Nacht anders angefühlt!“, flüsterte David.

Blairs Kopf fuhr fragend herum.

„Ich habe heute Nacht bei Finn geschlafen, wusstest du das nicht?“

Mein Gesicht verschwand hinter meiner Hand und schaute zum Teller. Ich war froh, dass niemand in der Nähe saß, denn es war mir schon peinlich genug.

„Heute Nacht? Finn Lennox, ich verlange eine Erklärung!“

Meine Ohren fingen an zu rauschen. Womit hatte ich das verdient?

„Blair, mach ihn nicht schon verlegener, als er schon ist. Erst die Sache mit seinem Bruder, er wollte nicht nach Hause, dann sind wir zu mir gefahren. Dann hat Angus angerufen, aus Sorge um uns und mich zu Essen eingeladen.“

„Aha…“, war das einzige, was Blair dazu zu sagen hatte.

„Dann hatte Finn die Idee, dass ich doch bei ihnen übernachten könne, naja, wir haben Wein getrunken…“

„Recht viel scheint mir“, meinte Blair.

„Weiß ich nicht, auf alle Fälle hatte ich heut Morgen keine Kopfschmerzen, aber trotzdem kann ich mich nicht mehr erinnern, wie dieses komische Schlafarrangement zu standen gekommen ist.“

„Was für ein komisches Schlafarrangement denn?“

Blair neugierig wie immer.

„Ich hatte David im Arm und Angus schlief hinter mir…“, antwortete ich.

„Ein Sandwich?“, entfuhr es Blair laut.

Natürlich drehten sich alle Köpfe zu uns, einschließlich aller sichtbaren Bedienungen. Wir hatten Glück, dass niemand wusste, worüber wir gerade redeten.

„Es war nur Angus nackt!“, flüsterte David.

„Angus…, von dem sind wir ja das gewohnt?“

„Du weißt davon?“

„Lieber David, es gibt fast nichts, was ich nicht über Angus weiß!“

Die Getränke wurden serviert. Während David und ich Wasser hatten, trank Blair einen Saft. Der junge Mann verteilte die Gläser, schenkte erst Blair den Saft, dann uns das Wasser ein. Beide Flaschen ließ er in einen Sektkühler gleiten und verschwand wieder.

„Furchtbar vornehm“, meinte Blair, „etwas anderes…, wie soll das zwischen euch beiden weitergehen? Ein tolles Paar würdet ihr alle mal abgeben.“

„Ich weiß es nicht Blair. Lass uns einfach Zeit, uns besser kennen zu lernen“, antwortete ich.

David griff nach meiner Hand.

„Blair, ich wäre gerne mit Finn zusammen, aber er hat Recht, ich weiß so gar nichts über Finn, obwohl wir schon fünf Jahre zusammen arbeiten.“

Mit großen Augen schaute ich ihn an.

„Wann…, wann hast du deine Meinung darüber geändert?“, fragte ich erstaunt.

„Soll ich ehrlich sein?“

„Ja!“, kam es von Blair.

David grinste sie an.

„Heute Morgen…, als ich in deinen Armen aufgewacht bin…“

„…wie romantisch…“, unterbrach Blair, David und umarmte sich dabei selbst.

„Heute Morgen?“

Er nickte, weil wir wieder unterbrochen wurden. Er ließ meine Hand los, weil die Bedienung bereits mit unserem Essen kam. Schweigend beobachteten wir die Bedienung, wie sie die Teller servierte.

„Einen guten Appetit“, wünschte er uns und ließ uns wieder alleine.

„Du wolltest erklären warum“, sagte Blair neugierig.

„Lassen wir das Essen nicht kalt werden“, meinte David und begann zu essen.

Der Mann hatte völlig die Ruhe weg. Blair schaute mich entgeistert an. Ich gab ihr mit meinem Kopf und meinen Augen einen Wink, sie solle endlich anfangen zu essen. David kaute sein erstes Stück Fleisch.

„Mir ist nur bewusst geworden, was mir bisher gefehlt hat. Phillip ist ein gefühlsmäßiges Brachland…“

Die Offenheit Davids nahm mich gefangen. Es saß ein total anderer Mensch vor mir.

„In seinen Armen schlafen…, morgens gemeinsam frühstücken, oder Abends zusammen auf dem Sofa sitzen, das ist nicht Phillips Welt! Er mag es laut, er will immer Trubel um sich haben.“

Blair schaute ihn traurig an.

Eine Träne bahnte sich einen Weg über seine Wange.

„Ich dachte für mich, wenn das Liebe ist, dann will ich nichts mehr davon wissen, aber irgendwie, bin ich dann doch wieder bei Phillip gelandet… Er hatte nicht einmal sich die Mühe gemacht, die Affäre mit seinem Chef zu verheimlichen.“

„Das tut mir leid!“, sagte Blair.

Lustlos stocherte ich in meinem Gemüse herum.

„Und dann kommt da dieses Energiebündel“, er schaute zu mir, „…  eine Frohnatur und ich Idiot, habe nichts besseres zu tun, als meine Wut auf Phillip an ihm auszulassen…“

Das war also der Grund. Blair schaute mich durchringend an.

„Aber er…, er nahm sich meiner an, als ich nicht mehr weiter wusste. Er war für mich da, als ich es nötig brauchte… deswegen habe ich meine Meinung geändert“, erklärte er und schaute auf Blair.

Sie atmete tief durch und nahm ihr Glas.

„Auf bessere Zeiten!“, prostete sie uns zu.

„Ich habe irgendwie kein Hunger mehr… ihr?“, fragte David.

„Sollen wir fragen, ob sie es uns einpacken?“

Mir war zwar nicht zum Lachen zu Mute, aber ich musste grinsen.

„Blair, ich glaube kaum, dass dieses exklusive Restaurant, so etwas macht…“, meinte ich.

Nun grinste auch David.

*-*-*

Der Mittag hatte sich lange hingezogen und ich war froh, dass wir endlich im Wagen saßen. Als wir die Auffahrt zu Straße hinauffuhren, kam mir die Szene von gestern in den Sinn. Aber dieses Mal versperrte er uns keiner die Ausfahrt.

David ordnete sich in den Abendverkehr ein. Er schien wie ich im Gedanken zu sein, verbissen starrte er auf die Straße.

„Wenn du diesen…“, begann David plötzlich zu sprechen, ohne zu mir herüber zu schauen, „… diesen Anwalt fragst, ob es irgendwie eine Möglichkeit gibt, Thomas von dir Fern zu halten?“

„Du meinst ein Kontaktverbot erwirken, so in etwa, er darf sich auf weniger als hundert Meter nicht nähern?“

David schaute kurz zu mir herüber und nickte.

„Was soll das bringen? Meinst du Thomas würde sich an so etwas halten?“

„Ich kenne Thomas zwar nicht, aber bei einer weiteren Annäherung würde er sich strafbar machen.“

Da war etwas Wahres dran, aber Thomas würde sicher eine andere Möglichkeit finden, mir zu schaden, wie er schon einmal gemacht hatte.

„Was überlegst du?“

„Thomas hat mich schon einmal Krankenhausreif schlagen lassen, da müsste er nicht einmal dabei sein.“

Mir fiel Angus ein, was er mir anvertraut hatte.

„Dann…, dann ist da noch Angus, ich weiß nicht in wieweit er über Angus Bescheid weiß. Angus hat mir erzählt, als die Typen ihn damals missbrauchten, hat er den Nehmen Thomas gehört.“

„Der Typ ist echt krank! Finn, du musst etwas unternehmen, ich habe ja jetzt schon keine Ruhe mehr.“

Gerührt schaute ich ihn an.

„Du machst dir wirklich Sorgen um mich?“

Wieder schaute er kurz zu mir. Dann setzte er den Blinker und bei der nächsten Möglichkeit hielt er den Wagen an.

„Klar mach ich mir Sorgen. Du bist mir einfach zu wichtig, als dass ich zulasse, dass dieser Arsch dir etwas antut!“

Er griff nach meiner Hand. In seinen Augen bildeten sich Tränen. Draußen war der Regen in Schnee übergegangen. Der Scheibenwischer schob eifrig die dicken Flocken zur Seite.

„Ich will einfach nicht, dass dir das passiert… jetzt… wo ich anfange… mich in dich zu verlieben!“

Ich hob meine freie Hand, zog ihn an seinem Nacken zu mir und gab ihm einen Kuss. Beide rannen uns die Tränen über die Wangen. Es muss ein Bild für Götter sein. Zwei Männer die im Auto saßen und beide heulten.

*-*-*

David hatte kurzerhand, Paul und Glenda verständigt und um ein Gespräch gebeten. Als wir das Grundstück befuhren, war der >Platz vor dem Haus hell erleuchtet. Noch beim Aussteigen, öffnete sich bereits die Haustür und Glenda kam ins Blickfeld.

„Kommt rein Jungs!“, rief sie uns zu, „dass ihr bei dem Wetter noch unterwegs seid!“

„Es ist wichtig Glenda!“, meinte David nur und schob mich Richtung Haustür.

Er begrüßte Glenda mit einem Kuss auf die Wange, bevor wir beide das Haus betraten.

„Ich habe angewiesen, euch einen heißen Tee zu machen.“

„Glenda, im Auto war es nicht kalt, aber danke.“

Stumm entledigte ich mich meiner Winterjacke und stopfte den Schal innen in den Ärmel, so dass ich ihn später gleich wieder fand. Dann hängte ich sie neben Davids Mantel. Glenda lief voran und wir folgten ihr ins Wohnzimmer. Sie öffnete die Tür und trat ein.

„Paul, die Jungs sind da…“

„Sollen rein kommen“, hörte ich Pauls Stimme.

„Ich möchte, dass du dabei bist“, sagte David zu Glenda, die im Begriff war, das Zimmer wieder zu verlassen.

„Wenn du es wünscht gerne, auch wenn du weißt, dass ich mich nicht so sehr für geschäftliche Belange interessiere.“

„Es geht um nichts Geschäftliches!“

David griff nach meiner Hand und zog mich zur Couch. Natürlich sah ich die Blicke unseres Gastgebers und seiner Frau, wie sie auf unseren Händen ruhten. David drückte mich aufs Sofa und ließ sich neben mir nieder. Glenda schloss die Tür und ließ sich neben Paul auf dessen Sessellehne nieder.

„Was ist passiert, ihr beide macht so ernste Gesichter“, wollte Paul wissen.

„Darf ich?“, fragte mich David, ich war eh gerade nicht in der Verfassung, etwas zu erklären.

Es klopfte an der Tür und wurde geöffnet. Ein etwas älterer Herr trat herein, in der einen Hand ein Tablett.

„Mrs. Morris, der Tee…“

„Danke James!“

War der Name James ein Muss, um Butler zu werden? Ich verwarf diesen verrückten Gedanke gleich wieder. Glenda erhob sich und nahm diesem James das Tablett ab.

„Sie können sich dann zurück ziehen, ich kümmere mich um den Rest.“

„Ich wünsche den Herrschaften einen angenehmen Abend“, meinte James, verneigte sich und verließ das Zimmer fast geräuschlos.

„Ein Überbleibsel aus früherer Zeit. Er war schon bei Butler, als mein Vater noch lebte. Da er nicht wusste wohin, haben wir ihn einfach behalten“, erklärte mir Glenda und stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab.

„Du auch einen Darling?“, fragte sie ihren Mann, der nickte.

David wartete, bis Glenda den Tee verteilt hatte und sich wieder setzte.

„Warum wir gekommen sind…, es geht um Finn.“

Paul schaute kurz zu seiner Frau.

„Finn hat dir doch über seine Familienverhältnisse erzählt. Auch das ihn damals sein Bruder hat Krankenhausreif hat schlagen lassen.“

Paul nickte.

„Davon hast du aber nichts erzählt“, beschwerte sich Glenda.

„Finn hat mir das anvertraut, ich kann das doch nicht einfach weiter erzählen.“

„Es ändert aber nicht über die Tatsache, wie man leichten Ärger mit der Familie auslegt.“

Unwohlsein stieg in mir auf. Mir war es nicht recht, dass die zwei wegen mir jetzt Unstimmigkeiten hatten. Ich unterbrach den kleinen Zwist, in dem ich eine Hand hob und damit abwehrend winkte.

„Paul ich habe volles Vertrauen ins sie…, ich denke, sie wissen wem oder was sie über mich erzählen können.“

Davids legte seine Hand auf meine, die nervös auf meinem Knie ruhte, um meine zitternde Beine ruhig zu halten. Auch das blieb natürlich bei unserem Gegenüber nicht unbemerkt.

„David, darf ich sie etwas Persönliches fragen?“, kam es von Glenda.

Unsicher nickte ich ihr zu.

 

 

 

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