Regenbogenfamilie Teil 79 – Bewerbungsevent

Gegen elfuhrdreißig, am ersten Weihnachtsfeiertag läutet es an unserer Wohnungstür. Ich ging zur Tür und öffnete. Dort stand Familie Gebauer, die sich vor ihrer Rückfahrt nach München von uns verabschieden wollten. Ich bat sie kurz in die Wohnung zu kommen, damit sich alle Mitbewohner von ihnen verabschieden konnten.

Im Wohnzimmer meinte Heinz: „Ich möchte mich auch im Namen unserer Kids bei euch bedanken, für den außerplanmäßigen Kurzurlaub, den ihr ihnen ermöglicht habt. Wir werden langsam aufbrechen und nach Hause fahren.

Die Idee uns einzuladen, mit den Heimkindern und den Bewohnern des Gutshofes gemeinsam den Heiligen Abend zu verbringen, ist im Nachhinein betrachtet, die interessanteste Einladung, die wir bis heute erhalten haben. Unsere beiden Jungs haben mich heute Morgen gefragt, ob sie bei den Kids bleiben können und mit ihnen zusammen nach München zurückreisen können.“

Ich schaute Jason und Ronald an und wollte wissen, wieso sie hierbleiben wollten. Jason erklärte: „Zuhause ist doch tote Hose, hier gibt es jeden Tag etwas Neues zu erleben. Wir haben von den Kids erfahren, dass in den nächsten Tagen eine Brauereibesichtigung und ein Besuch des Salzbergwerks in Bad Reichenhall geplant sei. Heute und morgen wird das Turnier um den schnellsten und besten Rennfahrer an den Konsolen ausgetragen.“

Ich meinte, an uns sollte es nicht liegen, aber wollt ihr nicht lieber eure Großeltern an Weihnachten besuchen, das können die Kids aus dem Kinderheim nicht.

Thomas und ich gingen mit den Gebauers nach unten zu ihrem Auto. Wir wünschten eine entspannte und ruhige Heimreise nach München. Wir waren bereits wieder unterwegs ins Gutshaus, als Florian von hinten meinen Namen rief. Ich drehte mich um, während er sich weiter näherte. Er erklärte, ihr könnt gleich hierbleiben, Robert und seine Eltern werden in den nächsten zwei Minuten hier sein.

Kaum hatte er es ausgesprochen, näherte sich ein Fahrzeug mit österreichischem Kennzeichen den Parkplätzen vor dem Gutshaus. Wir gingen zurück zum Parkplatz und als die drei ausgestiegen waren, begrüßte ich sie herzlich. Während Robert sich mit Florian unterhielt, fragte ich, ob sie bereits eine Unterkunft hätten, da Florian mir gestern erklärt hat ihr würdet über Nacht bleiben.

Gitti stellte uns erst ihren Mann Robert sen. vor, bevor sie erklärte: „Gestern hatten wir das so besprochen, aber da für morgen ausgiebige Schneefälle angekündigt sind, haben wir beschlossen, doch nicht über Nacht zu bleiben, sondern spätestens heute Abend wieder nach Hause zu fahren.“

Ich sagte zu Florian: „Du kannst mit Robert gleich im Jugendhotel einchecken, danach kommt ihr beide zu uns in die Wohnung. Wir nehmen Roberts Eltern gleich mit zu uns nach oben. Wir sehen uns nachher.“

Robert holte seinen Koffer aus dem Kofferraum und die beiden Jungs gingen zum Gesindehaus. Robert sen. verschloss das Auto und folgte uns mit seiner Frau Gitti in unsere Wohnung. Beim Eintritt in die Wohnung kam uns Tobias entgegen und fragte sofort, wo Robert abgeblieben wäre.

Ich antwortete ihm: „Siehst du Robert nicht, er steht doch direkt neben mir.“ Gitti und Robert fingen zu lachen an und Gitti erklärte: „Vorsicht, Peter will dich aufs Glatteis führen, mein Mann hat den gleichen Vornamen wie unser Sohn. Robert ist mit Herrn Untersberger erst ins Gesindehaus, um einzuchecken und seinen Koffer ins Zimmer zu bringen, später kommen sie in Peters Wohnung.“

Ich schaute Gitte an und sagte: „Das will ich jetzt überhört haben! Du sprichst von Florian unserem Ausbildungsbeauftragten, als wäre er kein Mitarbeiter unseres Unter­nehmens.“

Gitti rechtfertigte sich: „Entschuldigung Peter, aber Robert hat immer nur von einem Herrn Untersberger gesprochen, wenn er von eurem Ansprechpartner für den Event Auszubildende gesprochen hat. Ich bin dann von einem externen freiberuflichen Eventmanager ausgegangen. Den Ausbildungsbeauftragten gab es im Sommer noch nicht am Gutshof.“

Ich lachte und sagte zu ihr: „Dann sei dir dein Fehltritt verziehen. Den Ausbil­dungsbeauftragten habe ich erst im Oktober eingeführt, nachdem uns damals bereits zwölf oder dreizehn Bewerbungen von Jugendlichen aus Jugendheimen in Hessen und Thüringen vorlagen.

 

Da diese Jugendlichen aufwendiger zu betreuen sind, habe ich diese Position neu geschaffen und direkt am Gutshof angesiedelt. Alle Jugendlichen aus den Kinderheimen werden in unseren Jugendhäusern während ihrer Ausbildung untergebracht und zusätzlich bis zur Volljährigkeit vom Jugendamt betreut.“

 

Sie schaute mich an und wollte wissen, ob das hauptsächlich Jugendliche waren, die am Zeltlager teilgenommen haben. Ich bestätigte ihre Vermutung, was sie erklären ließ, ich habe ein- oder zweimal mitbekommen, wie sich Jugendliche im großen Zelt über eure Ausbildungsmöglichkeiten unterhalten haben.

 

Ich erklärte, wir sind bereits zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Zusammenhang mit unserem Zeltlager besteht, viele der Bewerber hatten die Möglichkeit genutzt in unseren Unternehmen zu schnuppern. Das wir Richard für die Gärtnerei als Auszubildenden genommen haben, hat wahrscheinliche weitere davon überzeugt ihr Glück zu versuchen.

 

Plötzlich stand Martina im Wohnzimmer und drückte Thomas die bestellten Tortenstücke in die Hand. Zu den Jungs meinte Thomas, ihr könnt bereits den Tisch decken und ich koche inzwischen Kaffee. Mit ihm verschwanden David und Dennis ins Esszimmer.

 

Kurz nach dreizehnuhrdreißig klingelte es und Tobias rannte in den Flur, um Robert hereinzuholen. Als die drei, wie erwartet, das Zimmer betraten meinte er zu mir: „Florian ließ sich nicht abschütteln, er behauptet, er sei von dir auch zum Kaffee eingeladen worden.“

 

Ich lachte und sagte zu Tobias: „Logisch, ich habe ihn eingeladen mit uns zusammen Kaffee zu trinken. Wenn dir das nicht gefällt, ich zwinge keinen mit uns gemeinsam im Esszimmer an einem Tisch zu sitzen. Jedem steht es frei, daran teilzunehmen.“

 

Florian stellte sich zu uns, während Robert, Tobias und Felix es vorzogen bereits im Esszimmer zu verschwinden. Gitte lächelte Florian an und erklärte: „Du bist also der neue Ausbildungsbeauftragte für das komplette Unternehmen. Freut mich dich näher kennen­zulernen. Peter hat mir schon erklärt, dass auf dich große Aufgaben zukommen mit den Bewerberinnen und Bewerbern aus den Kinderheimen.“

 

Florian lachte und sagte: „Interessant, hat Peter auch erwähnt, dass achtzehn der Bewerbungen aus Kinderheimen sind und wenn ich seine beiden Jungs dazu zähle, sind zwanzig von siebenunddreißig Bewerbungen von ehemaligen und aktuellen Kinderheim­bewohnern.“

 

Gitti lachte und erklärte: „Mit so vielen Bewerbungen habe ich jetzt nicht gerechnet, wie viele Ausbildungsplätze stehen den Bewerbungen gegenüber?“

 

Bevor Florian antworten konnte, rief Thomas aus dem Esszimmer, dass wir zum Kaffee kommen könnten. Unterwegs erklärte ich: „Wenn ich das richtig im Kopf habe, sind es aktuell einunddreißig oder zweiunddreißig Ausbildungsplätze. Unser Problem liegt eher daran, dass wir für einzelne Berufe mehr als doppelt so viele Bewerber haben, während für andere Ausbildungsstellen keinerlei Bewerbungen vorliegen.

 

Wir werden deshalb versuchen, zumindest im kaufmännischen Bereich den Bewerberinnen und Bewerbern die Alternativen schmackhaft zu machen. Sollte das nicht möglich sein werden wir nur vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Ausbildungsverträge unterschreiben.“

 

Während des Kaffeetrinkens waren alle Themen, die etwas mit der Arbeit zu tun hatten für alle Tabu. Es wurde eher über private Themen gesprochen, während die Jungs bereits Pläne machten, was sie heute und morgen alles unternehmen wollen.

 

Irgendwann verabschiedete sich Dennis, da er wieder zum Dienst musste. Er meinte noch, die nächsten zwei Stunden bin ich drüben im Gesindehaus, heute Abend habe ich Dienst im Restaurant. Er meinte noch, wenigstens habe ich morgen meinen freien Tag, den ich mit euch verbringen kann.

 

Wir, die Erwachsenen gingen ins Gesindehaus, da Gitte unsere Kinderheimgäste kennenlernen wollte. An der Rezeption saß Dennis und grinste frech. Als ich ihn fragte, was so lustig sei, meinte er Florian und Robert teilen sich ein Zimmer. Ich schaute Gitte und ihren Mann an und fragte, ob sie sich vorstellen können, warum Robert sich für Florian entschieden haben kann.

 

Robert meinte, keine Ahnung, ich kann mir nur vorstellen, dass er die Entscheidung deshalb getroffen hat, weil die anderen Bewerberinnen und Bewerber erst in achtundvierzig Stunden anreisen. So hat er etwas Anschluss und ist nicht die ganze Zeit allein.

 

Dennis meinte: „Die Kids sind im Keller beim Zocken an den Konsolen, da unten ist ganz schön was geboten, wie ich vorher bei meinem Rundgang durchs Haus feststellen konnten. Du Peter, vorher war Tim mit einem der Jungs hier und hat für Florian die Bewer­bungsunterlagen vorbeigebracht.”

 

Wir gingen in den Keller und folgten nur dem Lärm, den die Meute verursachte. Als Michael uns entdeckte, bat er uns auf den Flur und sagte: „Den Vormittag haben die Kids genutzt um sich mit der Simulation vertraut zu machen. Nach dem Mittagessen wurden drei Gruppen mit jeweils zehn Teilnehmern ausgelost und vor knapp einer Stunde wurden die ersten Rennen gestartet. Stephan und Raphael wurden von den Kids eingeladen am Turnier teilzunehmen und Marion hat zugestimmt, dass sie mitmachen dürfen.“

 

Severin kam zu uns und meinte: „Ich habe nicht vermutet, dass unseren Kids das Turnier so viel Spaß bereiten kann. Ihr wisst wirklich, wie man seine Gäste begeistern kann.“

 

Gitte erklärte: „Das habe ich alles bereits im Sommer beim Zeltlager kennengelernt. Im Jugendhotel in Österreich arbeiten wir bereits daran, dieses Niveau zu erreichen. Wenn ich die ersten drei Wochen nach der Eröffnung bei uns so betrachte, sind wir auf dem besten Weg, das gesteckte Ziel zu erreichen.“

 

Wir schauten noch eine Weile dem Treiben der Kids bei den zu absolvierenden Rennen zu, bis Gitti mich fragte, ob wir Robert auch die Küche bei Sebastian zeigen könnten. Ich stimmte zu und wir gingen zurück ins Gutshaus und dort direkt ins Restaurant. Ich sagte Alexandra, dass wir gerne der Küche einen Besuch abstatten möchten, damit Robert sehen kann, wie das bei uns abläuft.

 

Alexandra lachte und meinte, ihr könnt ruhig in die Küche gehen, die Mannschaft ist bereits dabei für die Kids im Gesindehaus das Abendessen und auf den zu erwartenden Ansturm im Restaurant vorzubereiten. Ihr solltet nur aufpassen, dass er euch nicht mit Arbeit eindeckt.

 

Wir gingen weiter in die Küche, wo uns Sebastian aufs herzlichste begrüßte. Er sagte zu Gitte sofort: „Bist du hier, um uns zu helfen, ich könnte heute jede Hilfe gebrauchen. Wir haben für heute Abend im Restaurant so viele Voranmeldungen, wie schon lange nicht mehr. Der Gastraum und das kleine Nebenzimmer sind fast komplett ausgebucht.“

 

Ich erklärte Sebastian: „Wir sind nicht gekommen, um euch zu unterstützen, Gitte wollte ihrem Mann nur zeigen, wo sie sich im Sommer, während des Zeltlagers nützlich gemacht hat. Die beiden haben ihren Sohn Robert abgeliefert, der ab übermorgen am Event der Auszubildenden teilnehmen wird, da er sich für das Jugendhotel in Österreich als Koch beworben hat.“

 

Sebastian erwiderte: „Das hört sich doch gut an, ich lade ihn ein, gleich bei uns seine ersten Erfahrungen in der Küche sammeln zu können.“

 

Robert Senior mischte sich ein und meinte: „Soll ich ihn anrufen, dass er zu uns in die Küche kommen soll, damit er Sebastian kennenlernen kann. Dann kannst du ihn selbst fragen, ob er dich heute unterstützen will.“

 

Sebastian lachte und meinte, meinetwegen, wagen wir einen Versuch. Robert telefonierte mit seinem Sohn und keine fünf Minuten später, standen Robert, David und Tobias in der Küche. Er begrüßte die drei Jungs und sagte: „Schön, dass du so schnell erschienen bist und gleich noch zwei Helfer mitgebracht hast, die uns bei den Vorbereitungen auf den Ansturm der Gäste heute Abend im Restaurant unterstützen wollen.

 

Ich fing zu lachen an, als ich die Gesichter meiner beiden Jungs betrachtete. Es war ihnen deutlich anzusehen, dass sie von Sebastians Angriff völlig überrascht wurden. Tobias fing sich als erster und meinte: „Sebastian, wenn du es verantworten kannst, dass deine Gäste heute Abend schneller das Lokal verlassen als üblicherweise, dann kannst du es mit uns als ungeschickte Helfer versuchen. Wir übernehmen aber keine Garantie für unzufriedene Gäste.“

 

Sebastian lachte jetzt ebenfalls und meinte: „Ich sehe schon an Davids und Tobias Gesicht, dass die beiden nicht begeistert sind mir in der Küche zu helfen. Wenn ich dagegen Robert betrachte, habe ich eher den Eindruck, dass er nicht abgeneigt scheint, wobei wenn ich ihm erkläre, wie er uns helfen kann, wird er ganz schnell einen Rückzieher machen.“

 

Robert kicherte und erklärte: „Solange du mich nicht zum Spülen des schmutzigen Geschirrs abstellst, kann ich mir durchaus vorstellen, euch für zwei oder drei Stunden in der Küche zu unterstützen.“

 

Carsten, der in der Nähe stand und scheinbar mitgehört hatte mischte sich ein und meinte: „Du könntest mich zum Beispiel unterstützen bei der Vorbereitung des Gemüses, dass wir für heute Abend benötigen.“

 

Ich sagte: „Hallo Carsten, schön dich wieder einmal zu treffen, wie hast du dich inzwischen bei uns im Süden eingelebt. Hat es Sebastian bis jetzt noch immer nicht bereut, dass ich ihm einen Auszubildenden im zweiten Ausbildungsjahr vom Ostseehotels unterge­schoben habe, der kein Wort bayrisch spricht und nur wegen seines Freundes bei uns in Rosenheim seine Ausbildung fortsetzen wollte.“

 

Carsten lachte und erklärte: „Scheinbar nicht, sonst hätte er mich wahrscheinlich schon längst wieder an die Ostsee zurückgeschickt. Du Peter, ich hätte da eine Frage an dich, erlaubst du es, dass ich in den nächsten Tagen, solange Michael für den Ausbildungs-Event bei euch kaserniert ist, dass ich gelegentlich bei ihm übernachte.“

 

Ich schaute ihn an und antwortete: „Ich könnte das schon erlauben, aber ich bin mir dabei nicht so sicher, dass du überhaupt mit Michael und einem weiteren Jungen in einem Doppelzimmer übernachten willst. Habt ihr beide euch das reiflich überlegt? Übrigens, das heißt nicht kaserniert, wir haben keinen gezwungen an dieser Veranstaltung teilzunehmen oder verbieten ihm das Haus zu verlassen. Wir haben die Bewerberinnen und Bewerber im Gesindehaus untergebracht.“

 

„Ich werde später mit Dennis sprechen, vielleicht kann er Michael in eines der Doppelzimmer stecken, das sich das Bad mit einem Doppelzimmer teilt, in dem entweder Robert und Florian oder David und Tobias untergebracht sind. Das ist aber kein Versprechen, dass es ich dir geben kann.“

 

Da Robert sich dafür entschied, Carsten bei der Vorbereitung des Gemüses zu helfen, forderte Sebastian ihn auf, ihm zu folgen. Er würde ihn mit Kochbekleidung ausstatten, damit er seine Sachen nicht verschmutze. Bevor er ging, verabschiedete er sich von seinen Eltern und meinte noch, dann bis zum zweiten Januar, falls ihr mich abholen wollt, schickt mir rechtzeitig eine Nachricht.

 

Robert sen. erklärte uns kurz danach, dass sie beide langsam aufbrechen wollen, um nicht allzu spät nach Hause zu kommen. David und Florian begleiteten uns zum Parkplatz, wo sich Gitti und Robert verabschiedeten. Sie wünschten uns bereits einen guten Rutsch ins neue Jahr, was wir ihnen im Gegenzug auch wünschten und sie stiegen in ihr Auto. Während sie wegfuhren, winkten wir ihnen noch hinterher.

 

Weiter ging es ins Gesindehaus wo Thomas und ich noch einmal über den aktuellen Stand beim Renn-Turnier informieren wollten und wir uns noch etwas mit den Betreuern der Kinder und Jugendlichen unterhalten wollten. An der Rezeption fanden wir diesmal Felix vor, der mir erklärte, dass er Dennis abgelöst habe, da dieser seinen Dienst im Restaurant angetreten hat.

 

Er meinte zu mir: „Ich soll dir von Florian ausrichten, dass er noch mit dir sprechen will. Er ist momentan drüben in seinem Büro und kümmert sich um die Unterlagen von Alexander, dem Bewerber zum Forstwirt. Ich telefonierte kurz mit ihm und wir vereinbarten, dass ich in einer viertel Stunde in seinem Büro sei.

 

Wir gingen in den Keller, wo immer noch der Kampf um die Plätze beim Rennen tobte. Severin kam auf mich zu und meinte: „Heinz hat mich vor wenigen Minuten angerufen und mich gebeten, dich zu fragen, ob dein Angebot noch stehen würde, dass seine beiden Jungs ein paar Tage bei unseren Kids bleiben könnten. Wir haben am neunundzwanzigsten sowieso einen Betreuerwechsel. Dann würde Konstantin kommen und Veronika fährt zurück nach München. Konstantin könnte die beiden Jungs von Heinz mitbringen und sie würden bleiben bis wir nach München zurückfahren.“

 

Ich lachte und antwortete: „Haben die beiden Lausbuben es doch geschafft ihre Eltern über den Tisch zu ziehen. Meinetwegen können die Beiden ruhig kommen. Ich sage Dennis, dass er ab neunundzwanzigsten ein Zimmer bei euch im ersten Stock belegen soll. Ist das Zimmer, das mit deinem Bad verbunden ist, noch frei oder bereits belegt?

 

Er meinte, mach es einfacher, Veronika fährt doch nach Hause, dort zieht Konstantin ein, das Zimmer daneben ist noch frei, dort können die beiden Jungs untergebracht werden. Ich meinte, okay, dann machen wir das auch so und ich informiere Dennis davon.

 

Thomas ging mit mir ins Gutshaus, er wollte nach oben gehen um das Abendessen für uns vorbereiten, während ich zu Florian ins Büro ging. Er erklärt mir, ich habe jetzt noch einmal alle Daten überarbeitet. Tim und Jonas haben mir die Unterlagen über den Ausbildungsberuf Forstwirt zur Verfügung gestellt, ich habe ihn noch in die Präsentation mit aufgenommen.

 

Er stockte kurz und meinte zu mir: „Das ist aber nicht der Grund, warum ich dich sprechen wollte. Können wir uns morgen noch einmal kurz zusammensetzen und uns den Ablauf anschauen, bei jetzt doch sechsunddreißig Kandidaten, könnte unser ursprünglicher Zeitplan an manchen Stellen etwas eng werden, vor allen bei den Bewerbungsgesprächen. Wir sollten eventuell noch einmal anpassen.“

 

Ich überlegte kurz und meinte: „Deine Vermutung könnte zutreffen, ich schlage deshalb vor, dass wir uns morgen Nachmittag noch einmal zusammensetzen und uns den ganzen Ablauf noch einmal genauer anschauen. Was mir inzwischen mehr Sorgen bereitet ist die Unterbringung der Teilnehmer, da zur Gruppe der Kinderheimkinder am neunund­zwanzigsten zwei weitere Jungs dazukommen. Da sollten wir auch noch einmal nachjustieren.“

 

Anschließend schaute ich Florian direkt ins Gesicht und fragte ihn: „Kannst du mir erklären, warum du Robert als Teilnehmer am Event, in deinem Zimmer mit untergebracht hast? Hat das einen besonderen Grund?“

 

Florian lachte lauthals los und erklärte mir: „Robert hat mich gefragt, ob er sich mit mir ein Zimmer teilen könne, er habe sich ja für ein Doppelzimmer entschieden. Nachdem die Unterbringungssituation inzwischen eng ist, habe ich zugestimmt unter der Voraussetzung, dass von dir kein Einspruch kommt. Außerdem wäre er bis übermorgen allein in der zweiten Etage untergebracht gewesen.“

 

So gab ich meine Zustimmung und verabschiedete mich von ihm mit: „Wir sehen uns spätesten morgen Nachmittag um fünfzehn Uhr in meinem Büro, denk bitte daran Dennis oder Alexandra zu diesem Termin mit einzuladen, wegen der Belegungssituation.“

 

Mein nächster Weg führte mich nach oben in unsere Wohnung, wo ich Thomas bei den Vorbereitungen für das Abendessen helfen wollte. Er informierte mich, dass wir heute nur zu dritt seien, da David und Tobias mitgeteilt haben, dass sie im Gesindehaus mit den Kids essen würden. Dennis arbeitet und kommt erst gegen zweiundzwanzig Uhr nach oben, bleiben also nur wir Beide und Felix, die gemeinsam essen werden. Ich bin mit den Vorbereitungen so gut wie fertig, wir können essen, wenn Felix auftaucht.

 

Der Abend verlief dann so ruhig, wie schon lange nicht mehr. Felix war nach dem Abendessen wieder nach unten zu Dennis ins Restaurant gegangen und die beiden traten kurz nach zweiundzwanzig Uhr ins Wohnzimmer und wollten sich eigentlich gleich wieder in ihr Zimmer zurückziehen. Ich bat Dennis zu bleiben, da ich einiges wegen der Belegung im Gesindehaus mit ihm besprechen wolle.

 

Ich erklärte ihm, dass am neunundzwanzigsten zwei weiter Jungs zur Gruppe der Kids aus dem Kinderheim hinzukommen werden und im Zimmer neben Veronika unterzu­bringen sind. Veronika fährt zurück nach München und dafür kommt Konstantin. Könntest du Michael Gruber, von den Bewerbern, so unterbringen, dass er sich mit David und Tobias das Badezimmer teilt. Carsten, sein Freund hat angefragt, ob er bei seinem Freund im Gesindehaus übernachten könne, da er sonst allein bei Michaels Eltern wäre.

 

Dennis kicherte und erklärte mir: „Das lässt sich alles organisieren, für meine Mit­bewohner und meinen Kollegen, die auch auf Jungs stehen, mache ich doch fast alles möglich.“

 

 

Der zweite Weihnachtsfeiertag begann wieder mit einem sehr späten Frühstück für uns. Wir beschlossen, den Rest des Vormittags zu nutzen, um die Wohnung auf Vordermann zu bringen, da wir in den nächsten Tagen bis Neujahr wenig Gelegenheit dazu haben werden. Vorträge, Halbtagesausflüge, Bewerbungsgespräche mit sechsunddreißig Bewerberinnen und Bewerbern und dazu die Entscheidungsfindung, wen wir als Auszubildenden einstellen würden.

 

Mittags gingen Thomas und ich mit unseren vier Mitbewohnern zum Essen ins Restaurant im Gutshof. Als wir vor Alexandra standen, schaute sie uns fragend an und stellte fest, dass wir keinen Tisch vorbestellt hatten.

 

Ich fragte sie deshalb, ob es denn so voll sei, dass sie uns nicht unterbringen könne, dann würden wir in die Stadt fahren und Francesco mit unserer Anwesenheit nerven.

 

Alexandra lachte und erklärte, dass sie heute kaum Vorbestellungen hatten, aber trotzdem sehr viele Gäste unangemeldet zum Essen gekommen sind. Ich habe schon noch einen Tisch für euch, keine Sorge, ihr baucht nicht extra in die Stadt zu Sebastians Vater zu fahren.

 

Sie brachte uns zu einem der Tische für sechs Personen und fragte gleich nach unseren Getränkewünschen. Zum Essen bestellte ich mir eine Tagessuppe, die sich als Kürbiscremesuppe entpuppte und eine Ente mit Blaukraut und Kartoffelknödeln. Thomas orderte ebenfalls die Ente, jedoch wollte er vorher keine Suppe haben. Felix überlegte lange, bevor er sich ebenfalls für die Ente entschied. Währenddessen hatten Tobias und David ihr Schnitzel Wiener Art mit Pommes frites und kleinem Salat bestellt. Dennis bestellte für sich das Mitarbeitermenü und Alexandra erklärte ihm, dass es heute im Restaurant nur Speisen von der Tageskarte gebe. Er entschied sich für den Filetteller auf Spätzle mit Champignons in Sahnesoße, dazu einen kleinem Salatteller.

 

Bei einem Blick aus dem Fenster stellte ich fest, dass es inzwischen zu schneien angefangen hatte. Hatten Gitti und Robert doch recht behalten mit ihrer Aussage, dass es am zweiten Weihnachtsfeiertag schneien würde, warum sie auch am gleichen Tag noch zurückgereist sind.

 

Nach dem Essen erklärten die Jungs, dass sie sich jetzt ins Gesindehaus verkrümeln, um zum einen nach dem Rechten zu sehen und zum anderen, dass Dennis sich gleich noch um die Zimmerbelegung kümmern will, so wie wir das gestern Abend besprochen hatten. Sie waren nach oben gegangen, um sich winterliche Bekleidung zu holen, nachdem es immer noch schneite.

 

Wenige Minuten später stand Dennis wieder neben mir und schaute mich komisch an und meinte: „Peter, kann es sein, dass Florian mich auf den Arm nehmen will, er hat mir eine Nachricht zukommen lassen, dass ich um fünfzehn Uhr in deinem Büro erscheinen soll.“

 

Ich lachte und erklärte ihm: „Das hat schon seine Richtigkeit, wir brauchen deine Mithilfe bei den Überlegungen wie wir alle vernünftig im Gesindehaus unterbringen können und wollen mit dir abklären, was wir alles für unsere Vorträge an technischen Hilfsmitteln und sonstigem Material brauchen, damit du dich morgen darum kümmern kannst.“

 

Er meinte: „Okay, der letzte Countdown, damit beim Ausbildungsevent alles ohne Schwierigkeiten über die Bühne gehen kann. Ich werde um fünfzehn Uhr bei euch sein, soll ich vorsichtshalber Bernhard mitbringen, der kennt sich mit den technischen Dingen doch besser aus als ich.“

 

„Meinetwegen kann er mit dabei sein, aber sage ihm, dass er erst fünfzehn bis zwanzig Minuten später kommen soll, damit wir vorab die Unterbringung klären können und er nicht in der Zeit nur herumsitzen muss“ erklärte ich Dennis.

 

Er verschwand und ging mit den Jungs nach drüben ins Gesindehaus. Ich sprach mit Thomas über die Abholung der Jugendlichen aus den Kinderheimen, morgen Nachmittag, am Rosenheimer Bahnhof. Alejandro und Jorge haben sich bereit erklärt die Jugendlichen mit den beiden Ford Galaxy vom Bahnhof abzuholen.

 

Da jeweils nur sechs Personen zusätzlich zum Fahrer mitfahren können, passen dort elf von fünfzehn Jugendliche in die Fahrzeuge, weil Rafael ebenfalls mitfahren will. Damit verbleiben vier Personen, die immer noch nicht in einem PKW passen. Florian fährt seinem Auto mit zum Bahnhof und kann maximal drei Personen mitnehmen. Fährst du oder soll ich fahren, um den Rest abzuholen.

 

Thomas meinte, wenn du mich so lieb fragst, werde ich die die letzten ein oder zwei Jugendlichen einsammeln. Wann soll es denn losgehen? Der Zug aus München kommt um vierzehnuhrsiebzehn in Rosenheim am Bahnhof an. Am besten sprichst du mit Alejandro, wann ihr losfahren solltet.

 

Ich zahlte bei Alexandra und Thomas und ich gingen nach oben in die Wohnung. Wir kochten uns Kaffee und setzten uns ins Esszimmer. Während Thomas noch mit Alejandro telefonierte, war ich in Gedanken schon bei unserer Besprechung. Als er geendet hatte, erklärte er mir, dass sie gegen dreizehnuhrdreißig losfahren wollen, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein.

 

Kurz vor fünfzehn Uhr ging ich nach unten in mein Büro, wo mich auf dem Flur bereits Dennis und Florian erwarteten. Wir setzten uns in die Besprechungsecke und besprachen als erstes das Thema Unterbringung der Jugendlichen. Von den insgesamt siebenunddreißig Jugendlichen waren acht weiblich und der Rest männlich. Für die jungen Damen brauchen wir rechnerisch vier Doppelzimmer, für die Jungs sollten wir mit dreizehn Doppelzimmern auskommen, da die drei aus dem Münchner Kinderheim in ihren derzeitigen Zimmern verbleiben. Also insgesamt siebzehn Doppelzimmer die wir mindestens brauchen.

 

Dennis meinte, damit verbleiben uns rechnerisch noch maximal drei oder vier Doppelzimmer, kein großer Spielraum, um Einzelzimmer vergeben zu können. Ich finde wir sollten versuchen erst einmal alle in Doppelzimmern unterzubringen.

 

Inzwischen war auch Bernhard eingetroffen und wir besprachen als nächstes die technische Ausstattung im Konferenzraum. Für den ersten Abend brauchten wir nur den Beamer, dazu die Soundanlage und für jeden Teilnehmer Kugelschreiber und dünne Schreibblocks, damit sich jeder seine Notizen machen konnte. Ich meinte zu Dennis, dass er sicherheitshalber mindestens fünfzig Schreibblöcke und Kugelschreiber bereitstellen sollte, da nicht absehbar ist, wie viele sonstige Jugendliche aus dem Münchner Kinderheim daran teilnehmen wollen.

 

Für die geplanten Veranstaltungen an den Vormittagen bräuchten wir ebenfalls die Soundanlage und den Beamer, dazu vorsichtshalber ein Flipchart, damit wir dort zeigen konnten was nicht durch Folien abgedeckt ist. Damit war für diesen Bereich der Rahmen abgesteckt, was notwendig ist.

 

Bernhard fragte mich, ob die kleinen, am Körper getragenen Mikros zum Einsatz kommen sollen, damit der Referent jeweils seine Hände frei habe. Ich meinte, für Florian und mich wäre das vielleicht nicht schlecht, für alle anderen würden entweder die Tischmikrofone oder das Mikro am Rednerpult ausreichen.

 

Bernhard erklärte, dann brauchen wir einen Mitarbeiter, der am Mischpult immer die entsprechenden Mikrofone freigibt und wieder sperrt. Ich denke, da können sich Benjamin und ich uns abwechseln.

 

Meine nächste Frage zielte darauf ab, wie wir das an Silvester im Speisesaal halten wollen mit einer musikalischen Unterhaltung. Dennis meinte, soweit ich informiert bin, wird ab zweiundzwanzig Uhr ein DJ zum Tanz bitten, einer unserer Auszubildenden hat sich dafür angeboten. Florian bestätigte und ergänzte, dass es sich um Dimitro Petrov von den Handwerkern handelt. Er wurde uns von seinem Ausbilder Dennis Burgmüller vorgeschlagen, der ihn schon mehrfach als DJ erlebt hat.

 

Damit waren die Punkte, die die Technik betrafen aus meiner Sicht abgearbeitet. Ich fragte jedoch vorsichtshalber noch nach, ob wir vielleicht etwas übersehen haben. Florian versprach Bernhard, ihm den überarbeiteten Ablaufplan zu senden, damit er wüsste, wann die Technik zum Einsatz kommen wird. Damit war Bernhard bereits wieder entlassen und er verabschiedete sich von uns bis morgen Abend, wo er zum ersten Mal zum Einsatz kommen sollte.

 

Der nächste Punkt auf meiner gedanklichen Liste waren die Getränke für die Teilnehmer. Ich bat Dennis dafür zu sorgen, dass immer genügend Getränke und frische Gläser in den Besprechungsräumen zur Verfügung stehen. Er erklärte, dass er gleich morgen früh alle Bestände prüfen würde und notfalls Nachschub organisieren wird.

 

Der nächste und für mich letzte Punkt war der Zeitplan, den wir uns ursprünglich ausgedacht hatten. Ich erklärte: „Florian, du vermutest richtig, dass unser Zeitplan, den wir uns ursprünglich ausgedacht haben, bei der aktuellen Anzahl der Jugendlichen aus den Fugen gerät. Hier müssen wir gezielt darüber nachdenken, was wir verändern könnten. Hast du dir schon etwas überlegt?

 

Florian dachte wohl erst nach, was er mir sagen will: „Ich habe schon überlegt, welche Möglichkeiten wir haben. Mein Problem ist und bleibt, dass spätestens am dreißigsten Dezember mittags alle Vorstellungsgespräche durchgeführt sein sollten, damit am einunddreißigsten vormittags noch die Gespräche geführt werden sollen, mit denen, die eine der alternativen Ausbildungsplätze angeboten bekommen. Würden wir den Ausflug am Nachmittag wegfallen lassen, hätten wir genügend Zeit die Gespräche durchzuführen.“

 

Ich meinte zu ihm: „Ich habe auch nachgedacht, meine Lösung könnte vielleicht so aussehen. Wir bauen das ganze völlig um und gewinnen damit einiges an Zeit, die uns für die Gespräche bleiben. Wir haben am ersten Tag den ganzen Vormittag eingeplant für die Vorstellung des Unternehmens und sämtlicher angebotener Ausbildungen.

 

Wenn wir den zweiten Teil in kleinere Gruppen zerlegen und dieser Teil zeitgleich stattfindet in verschiedenen Räumen ersparen wir uns eine Menge Zeit. Die am nächsten Tag angesetzte Fragestunde lassen wir direkt anschließend ebenfalls in kleinen Gruppen ablaufen, was uns am zweiten Tag wiederum eine Zeitersparnis bringt.“

 

Florian schaute mich an und meinte: „So weit habe ich das schon verstanden, was mich interessiert wie viele Gruppen willst du bilden und wo sollen sie sich treffen.“

 

Ich erklärte ihm: „Ich denke, wir sollten fünf Gruppen bilden, die größte Gruppe, die kaufmännischen Berufe, bleiben direkt im Konferenzraum und die IT-Leute können in ihren neuen Konferenzraum ausweichen. Für die Handwerker würde ich den kleinen Konferenzraum im Gesindehaus vorschlagen. Alles, was mit Gastronomie zu tun hat, geht in den Besprechungsraum im Gutshaus. Für die kleinste Gruppe steht uns im Keller des Gesindehauses einer der Gruppenräume zur Verfügung. Da von Anfang an geplant war, dass jeder Teilbereich seine Vorstellung der Ausbildungsplätze selbst übernimmt, passt die Aufteilung ganz gut.“

 

Dennis schaute sowohl mich als auch Florian intensiv an und meinte: „Schön, wenn ihr umplant, wie soll das mit den Getränken in den einzelnen Räumen funktionieren, in der IT haben wir keinen Zutritt. Im Besprechungsraum des Gutshauses sollte es kein Problem sein, aus dem Restaurant versorgt zu werden. Hier im Haus wären das drei verschiedene Räume, die versorgt werden müssen. Das muss ich erst mit Alexandra abklären, bevor ich euch eine Zusage gebe.“

 

Ich erklärte Dennis, dass er das gerne mit Alexandra abklären kann, ich hätte das ansonsten selbst vorgeschlagen. An Florian gerichtet erklärte ich: „Auch bei den Bewerbungsgesprächen könnten wir eventuell etwas verändern, statt Einzelgesprächen, könnten wir jeweils die Bewerber eines Ausbildungsberufs zu einem Gruppengespräch einladen, wenn maximal drei Bewerber vorliegen. Diese Entscheidung können wir endgültig treffen, wenn nach der Abendveranstaltung am Anreisetag, einzelne Bewerber sich neu entschieden haben.“

 

Da Florian nicht antwortet erklärte ich: „Ich denke wir sollten für heute abbrechen, meine Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ihr solltet bis morgen mit Alexandra abklären, ob wir das so machen können. Noch etwas, ich bin dafür, dass alle Bewerbungsgespräche hier im Gutshaus im Besprechungsraum abgehalten werden. Damit verschaffen wir allen Kandidaten eine andere Umgebung, als wenn wir die Gespräche im Gesindehaus durchführen würden, hinzukommt, dass wir hier völlig ungestört arbeiten können.“

 

Wir gingen aus meinem Büro auf den Flur, wo sich die Beiden von mir verab­schiedeten und ins Gesindehaus gingen. Mein erster Weg führte mich nach oben in die Wohnung, wo ich wieder einmal nur Thomas vorfand. Er erklärte mir, dass Felix und unsere beiden Jungs, wie immer in den letzten Tagen im Gesindehaus seien und dort auch zu Abend essen würden.

 

Ich schaute ihn an und meinte: „Dann wollen wir uns doch den Luxus erlauben und heute Abend nur zu zweit ins Restaurant zum Essen gehen. Ich müsste nur vorher noch ins Gesindehaus, um die ersten Drei unseres Rennturniers zu ehren, sofern inzwischen bereits eine Entscheidung gefallen ist. Danach gehen wir beide Essen. Wir sollten nicht vergessen, David und Tobias daran zu erinnern, dass sie noch ihre Reisetaschen packen, für ihren kurzzeitigen Umzug zum Bewerbungsevent.“

 

Thomas grinste und erklärte mir: „Gut, dass du doch noch entschieden hast, dass beide, wie alle anderen, im Jugendhotel und nicht zu Hause übernachten. Ich empfinde es als normal, dass für die beiden keine Ausnahme gemacht wird, sonst hättest du auch den anderen Ortsansässigen, dasselbe Angebot unterbreiten müssen. So gilt für alle ohne Ausnahme, Übernachtung im Jugendhotel.“

 

Gegen achtzehn Uhr gingen wir nach unten und auf dem Weg ins Gesindehaus, bestellten wir bei Alexandra einen Tisch für zwei Personen nach der Siegerehrung. Sie meinte noch, Florian und Dennis waren schon bei mir, wegen deiner Änderungen am Ablauf der Veranstaltung. Sie meinte, sie hätte kein Problem mit den Änderungen, aber eine Bitte, die Bewerbungsgespräche mit den Kandidaten für die Küche und den Service, nach Möglichkeit am frühen Vormittag zu führen, was ich ihr versprach.

 

Im Jugendhotel angekommen, kam Dennis auf mich zu und meinte, Severin würde mich bereits suchen, er will die Siegerehrung noch vor dem Abendessen vornehmen. Ich meinte, sag ihm doch, dass wir hier sind und die Ehrung in wenigen Minuten im Speisesaal vorgenommen wird. Ich ging in Armins Büro, wo die drei Kuverts für die Sieger lagen, und nahm sie mit zur Preisverleihung.

 

So langsam füllte sich der Speisesaal und als sich alle gesetzt hatten, sagte Severin noch zu mir, außer den Betreuern kennt noch keiner das Ergebnis und drückte mir das verschlossene Kuvert mit den Namen der drei Gewinner in die Hand.

 

Ich hatte mir von Dennis das Mikrofon geben lassen und sagte: „Ich begrüße auch herzlich zur Siegerehrung von unserem Rennturnier, das wir in den letzten beiden Tagen veranstaltet haben. Bevor wir zur Übergabe der Preise kommen, muss ich euch noch etwas erklären.“

 

Inzwischen war es endlich ruhig geworden und ich sprach weiter: „Ich muss euch ehrlich gestehen, ich habe keine Ahnung, was sich in den drei Kuverts befindet. Ich kann euch nur mitteilen, dass Armin in den Wochen vor Weihnachten bei allen Mitarbeitern um eine Spende für diese Preise geworben hat. Ich hoffe trotzdem, dass den Gewinnern ihre Preise gefallen werden.“

 

Nach einer kurzen Pause meinte ich: „Euer Betreuer Severin hat mir vor wenigen Minuten den Zettel mit den Gewinnern in die Hand gedrückt, ich habe noch keinen Blick darauf werfen können. Dann wollen wir doch das Kuvert öffnen und sehen, wer von euch die glücklichen Gewinner sein werden.“

 

Ich riss das Kuvert auf und zog den Zettel heraus, bis ich den Namen der dritt­platzierten lesen konnte und meinte: „Der dritte Platz geht an Josie Ortner. Josie komm zu uns und hol dir deinen Gewinn ab.“

 

Als sie vor mir stand gratulierte ich ihr zu ihrem guten Abschneiden beim Turnier. Nach mir gratulierten Thomas und Severin ihr ebenfalls. Thomas hatte mir zwischenzeitlich das Kuvert für den dritten Platz gegeben und nach der Gratulation und dem Beifall der Kids übergab ich ihr das Kuvert.

 

Ich meinte, wenn sie will, kann sie das Kuvert öffnen und den anderen ihren Gewinn vorlesen. Sie öffnete das Kuvert, zog die Urkunde für den dritten Platz heraus und las sich den Zettel mit dem Gewinn kurz durch. Sie schaute mich an und erklärte mir, dass sie sprachlos sei und bat mich den Preis vorzulesen.

 

Ich überflog kurz den Zettel und war auch überrascht über das, was ich dort lesen konnte. Ich las den Kids vor was dort stand: „Liebe Gewinnerin, lieber Gewinner des dritten Platzes. Peter wird euch schon erklärt haben, dass wir bei der gesamten Belegschaft gesammelt haben, um für euch attraktive Preise zu haben. Dein Gewinn ist ein zweiwöchiger Urlaub während der nächsten Sommerferien für zwei Personen im Jugendhotel im Gutshof inklusive der Kosten für die An- und Abreise. Ich hoffe du freust dich über deinen Gewinn.“

 

Der laute Jubel der Kids der aufbrandete war nichts für schwache Nerven und Severin schaute mich nur fragend an. Ich zuckte mit den Schultern und lachte ihn an. Als sich die Meute langsam wieder etwas beruhigt hatte, sagte ich: „Lasst uns nun zum Zweitplatzierten kommen und der Überraschung, die auf ihn wartet.“

 

Ich zog den Zettel weiter aus dem Kuvert und meinte: „Den Gewinner des zweiten Platzes habe ich bereits persönlich kennenlernen dürfen. Adrian, du darfst dir die Gewinn­urkunde und den Preis bei uns abholen.“

 

Als er vor mir stand meinte er noch, das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass ich den zweiten Platz geholt habe. Wir drei gratulierten ihm zu seinem zweiten Platz und diesmal durfte Thomas das Kuvert übergeben.

 

Nachdem er es geöffnet hatte und gelesen hatte, welche Überraschung auf ihn wartete, schnappte er sich das Mikrofon und sagte: „Ihr werdet es nicht glauben, ich habe ebenfalls einen Urlaub für zwei Personen gewonnen und ich kann euch schon jetzt verkünden, wen ich mitnehmen werde. Alex komm zu uns, du darfst mit mir die Reise antreten und anschließend ziehen wir beide auf den Gutshof, um unseren Ausbildungsplatz anzutreten, sofern wir angenommen werden.“

 

Während Alex langsam auf uns zuging, beobachtete ich Severin, der mich immer noch staunend anblickte. Als Alex neben Adrian stand sprach Adrian weiter: „Alex, für uns beide geht es für zwei Wochen ins neue Jugendhotel Tirol. Ich freue mich schon auf unseren ersten gemeinsamen Urlaub.“

 

Was dann geschah wird mir jetzt keiner von euch glauben, die beiden umarmten sich und küssten sich vor der ganzen Meute. Ich hatte immer noch Severin im Blick und bemerkte, dass er genauso überrascht war, bei dem, was sich vor unseren Augen abspielte. Die beiden Jungs outeten sich vor allen anwesenden Kids des Münchner Kinderheimes und vor ihren Betreuern als schwules Liebespärchen.

 

Während die Beiden immer noch miteinander knutschten wurde es wieder richtig laut, alle klatschten begeistert und freuten sich für die zwei Jungs und ihren Preis. Langsam ebbte die Lautstärke wieder ab und ich sagte zu den Beiden. Severin und ich würden uns gerne nach dem Abendessen mit euch beiden Unterhalten, Wir treffen uns um zwanzig Uhr im Eingangsbereich des Gesindehauses. Ins Mikrofon sagte ich: „Kommen wir nun zum Sieger des Turniers in den letzten beiden Tagen.

 

Ich zog das Blatt vollständig aus dem Kuvert und verkündete: „Der Sieger des Turniers ist Felix Urban. Komm auch du zu uns und hol dir deine Siegerurkunde und deinen Preis bei uns ab.“

 

Ich war überrascht, als sich ein etwa zwölfjähriger Junge uns näherte. Die gleiche Prozedur wie vorher bei den beiden anderen Gewinnern, Gratulation durch uns und Übergabe des Kuverts, in diesem Fall durch Severin. Er öffnete das Kuvert und las sich seinen Gewinn durch. Er bat mich um das Mikrofon und sagte: „Okay, keine große Überraschung, ich habe ebenfalls einen Urlaub gewonnen. Ich darf für ganze drei Wochen im Jugendhotel in Tirol Urlaub machen und genau wie die anderen jemanden mitnehmen. Dafür hat sich der Kampf auf der Rennpiste, für mich auf alle Fälle gelohnt. Wobei, wenn ich ehrlich bin, mir hat das gesamte Turnier riesig Spaß gemacht.“

 

Erneut gab es einen grandiosen Beifall und anschließend wurden die Gewinner durch die anderen Kinder und Jugendlichen mit persönlichen Glückwünschen überhäuft. Severin zog mich am Ärmel aus der Masse und sagte zu mir: „Ich habe vorher mitbekommen, dass du Alex und Adrian später in meinem Beisein sprechen möchtest. Was mich aber mehr interessiert, ob du wirklich nichts von den Preisen gewusst hast. Wobei mir schon aufgefallen ist, dass du überrascht wirktest, als dir Josie den Zettel zum Vorlesen überreicht hat.“

 

Ich antwortete Severin: „Ja, ich war wirklich überrascht, ich wusste zwar von Armin, dass sie ein sehr gutes Spendenergebnis erreicht hatten, aber wie die Preise aussehen würden, hat er mir leider nicht verraten. Er hatte noch gemeint, ich solle mich einfach, ebenso wie die Gewinner überraschen lassen, was sie sich ausgedacht hatten. Wenn ich überschlägig rechne, müssen bei der Spendenaktion fast fünftausend Euro zusammengekommen sein.“

 

Ich meinte, ich werde mit Thomas jetzt zum Essen gehen, wir sehen uns um zwanzig Uhr und können dann noch weiterreden, wenn nötig. Ich schnappte mir Thomas und wir verschwanden in Richtung Restaurant. Unterwegs erklärte ich ihm, dass ich nachher noch ein Gespräch mit Severin und den beiden Jungs Adrian und Alex haben werde, wegen ihres Outings bei der Preisverleihung.

 

Während des Essens erklärte mir Thomas, dass er nach dem Essen direkt in die Wohnung hochgehen werde und dort auf mich warten würde. Thomas blieb noch bei Alexandra sitzen als ich wieder ins Gesindehaus ging. Im Eingangsbereich traf ich auf Severin und seine Kollegin Veronika, die mich sofort ansprach: „Hallo Peter, die drei Preise für das Turnier sind der absolute Hammer. Josie ist immer noch völlig geplättet von ihrem Gewinn. Severin hat mir schon erzählt, dass du nicht wusstest, welche Preise euer Eventmanagement in die Kuverts gepackt hatte.“

 

Bevor ich ihr antworten konnte, sah ich Alex und Adrian auf uns zukommen. Ich meinte, ich habe mit Severin und den beiden Jungs einen Termin, wir können uns entweder später noch unterhalten oder morgen, bevor die anderen Gäste ankommen.

 

Severin stellte sich neben mich und wir begrüßten die beiden Jungs. Severin erklärte, dass wir in einen der Gruppenräume gehen können, Dennis hat mir den Schlüssel für diesen Raum mitgegeben. Wir gingen gemeinsam ins Untergeschoß und Severin sperrte den Raum auf. Wir setzten uns an einen der Vierer-Tische.

 

Adrian und Alex schauten uns fragend an, so dass ich sagte: „Ich bewundere euren Mut, sich vor euren Mitbewohnern im Kinderheim, so einfach zu outen. Ich hatte während eurer Aktion immer den Eindruck, dass das in dieser Form, so nicht von euch geplant war. Wollt ihr uns erzählen, wie es dazu gekommen ist.“

 

Adrian sah Severin und mich an und bestätigte: „Peter, du hast das richtig beobachtet, als ich meinen Gewinn gelesen habe, ist bei mir so etwas wie eine Sicherung durchgebrannt. In meiner überschwänglichen Freude wollte ich meinen Gewinn mit demjenigen teilen, der mir das Liebste ist. Danach kam dann eines zum anderen, wir fielen uns in die Arme und knutschten miteinander.“

 

Nach kurzer Pause sagte Alex: „Wir hatten einen ganz anderen Plan, wir wollten beide bei euch im nächsten Jahr eine Ausbildung beginnen. Nach Ausbildungsbeginn hätten wir uns geoutet, durch den Besuch bei der schwulen Jugendgruppe am Gutshof. Der Plan ist durch Adrians Ankündigung unseres ersten gemeinsamen Urlaubs wie ein Luftballon zerplatzt. Sicher, ich hätte mich vielleicht anders verhalten können, in dem Moment war ich aber nur froh darüber, dass unser bisheriges sich zurückhalten und verstecken ein jähes Ende gefunden hat.“

 

Severin meinte: „Interessantes Vorgehen, dass ihr euch da ausgedacht hattet, aber was wäre euer Alternative, wenn nur einer von euch beiden genommen wird und der andere in München einen Ausbildungsplatz antreten muss. Alex, willst du wirklich Forstwirt werden, oder ist das nur ein Versuch mit Adrian zusammen am Gutshof unterzukommen?“

 

Alex schaute ihn an und erklärte Severin: „Nein, die Erkenntnis, dass ich Forstwirt werden könnte, kam mir erst bei unserem Waldspaziergang, als Jonas uns erklärte, welche Aufgaben ein Forstwirt, besser gesagt ein Waldarbeiter, wie er im üblichen Sprachgebrauch genannt wird, übernimmt. Mich fasziniert dabei am meisten, die Tatsache, dass er ein wichtiger Baustein für den Fortbestand des Waldes ist. Du weißt genau, dass mich Umweltthemen schon immer fasziniert haben, und als Forstwirt habe ich aktiv die Möglichkeit dabei mitzuwirken. Einen reinen Bürojob kann ich mir nicht vorstellen und in einem handwerklichen Beruf fühle ich mich nicht zu Hause.“

 

Ich mischte mich ein und erläuterte: „Die Diskussion bringt uns so nicht weiter, wir sollten vielmehr überlegen, wie es mit euch beiden weitergehen soll. Euer wichtigstes Ziel für nächstes Jahr wäre ein Ort, an dem ihr beide wohnen und eine Ausbildung durchlaufen könnt, wie ich heraushören konnte. Für dich Alex, stehen die Chancen gut, einen Ausbildungsplatz als Forstwirt zu bekommen. Bei Adrian kann ich das nicht so gut abschätzen, da er sich als Elektriker beziehungsweise als IT-Mitarbeiter beworben hat. Gibt es bei dir noch weitere Berufe, die dir gefallen könnten?“

 

Adrian überlegte und meinte: „Vorstellen kann ich mir vieles, es sollte nur auf Dauer nicht eintönig sein. Buchhaltung wäre zum Beispiel nichts für mich, dass stelle ich mir sehr langweilig vor. Ich wollte mir morgen Abend euren Vortrag über die vorhandenen Möglich­keiten anhören und anschließend mit euch über meine Vorstellungen sprechen.“

 

Ich wandte mich an Severin und fragte: „Kannst du mir sagen, wie es mit den beiden Jungs bei euch im Kinderheim weitergehen wird in den nächsten Monaten, bis sie euer Haus aus Alters- oder Ausbildungsgründen verlassen müssen oder dürfen?“

 

Severin schaute zuerst mich an, danach die beiden Jungs und sagte: „Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, euch jetzt kurz vor dem Schulabschluss in ein Wohnheim umzusiedeln, würde bedeuten, dass ihr vermutlich die Schule wechseln müsstet. Auf der anderen Seite, euer heutiges Outing wurde von allen gut aufgenommen, was darauf schließen lässt, dass im Heim kaum Probleme auf euch zukommen werden. Ich denke das nächste halbe Jahr, bis ihr die Schule beendet, können wir euch noch im Heim behalten.“

 

Er legte eine Pause ein und wartete auf eine Reaktion der Beiden. Da beide Jungs schwiegen sprach er weiter: „In den Ferien seid ihr für zwei Wochen im Jugendhotel in Tirol, danach steht definitiv für euch ein Umzug an. Wohin, das kann ich euch heute noch nicht sagen, da ihr bisher noch keinen festen Ausbildungsplatz habt.“

 

Ich meinte: „Ich sehe schon, wir kommen da heute nicht zu einem vernünftigen Ergebnis, wir sollten uns nach den Bewerbungsgesprächen und der Entscheidung, wer bei uns einen Ausbildungsplatz bekommt, noch einmal zusammensetzen und dann Nägel mit Köpfen machen.“

 

Da alle zu meinem Vorschlag nickten, erklärte ich unser Treffen als beendet. Die beiden Jungs gingen wieder nach oben zu den anderen Kids. Severin und ich blieben noch im Gruppenraum sitzen und ich fragte, ob noch etwas sei.

 

Er meinte, ja ich habe noch etwas, das wollte ich nicht im Beisein der beiden Jungs mit dir besprechen. Eigentlich sind es sogar zwei Angelegenheiten, die ich mit dir besprechen wollte. Soll ich mit der einfacheren Sache anfangen, oder erst die schwierige Angelegenheit vorbringen.

 

Ich meinte, egal welches du als erstes vorträgst, vermutlich brauchen beide eine Lösung. Such dir aus was dir wichtiger ist, mit dem fängst du an.

 

Severin meinte: „Okay, mein Problem ist, wir haben einen weiteren Jugendlichen, der auf den Geschmack gekommen ist und sich bei euch um eine Ausbildungsstelle bewerben will. Ich habe ihm bisher keine Zusage gegeben, ich habe ihm nur versprochen mit dir zu klären, ob er noch eine Chance bekommt sich zu bewerben. Er interessiert sich für eine Ausbildung in einem kaufmännischen Beruf, wobei der scheinbar flexibel ist, in welchem Bereich er eingesetzt wird.“

 

Florian wird mich erschlagen, wenn ich jetzt ja sage, deshalb fragte ich Severin, welchen Schultyp besucht der Kandidat und wie sind seine Noten.

 

Er überlegte kurz und sagte: „Er ist einer unserer Realschüler, der den kauf­männischen Zweig besucht, mit guten Noten in Deutsch, Englisch, Buchhaltung und in den Wirtschaftsfächern. Er ist im November siebzehn Jahre alt geworden und ist bei Aus­bildungsbeginn noch keine achtzehn Jahre alt.

 

Ich meinte, lass mich kurz mit Florian sprechen, dann bekommst du entweder grünes Licht oder eine Absage. Er nickte und so wählte ich die Nummer von Florian. Als er sich meldete, meinte ich, ich bräuchte seine Hilfe. Er meinte, wo steckst du, ich bin gleich bei dir. Ich erklärte ihm, ich sitze mit Severin im Keller im Gruppenraum Sommersonne. Er antwortete nur, ich bin in zwei Minuten bei euch.

 

Es klopfte und Florian trat in den Gruppenraum und setzte sich neben mich. „So Peter, wie kann ich dir und Severin helfen?“

 

Ich schaute Severin an und meinte, dass er doch Florian erzählen soll, was er mir vor wenigen Minuten erzählt hat. Er grinste mich an und meinte: „Ganz einfach, ich hätte noch einen Jugendlichen, dem sehr kurzfristig eingefallen ist, er könnte sich bei euch um einen Ausbildungsplatz im kaufmännischen Bereich bewerben.“

 

Florian lachte und meinte: „Ich hatte es schon befürchtet, nach der letzten Bewerbung für den Forstwirt. Peter, wir müssen uns wirklich überlegen, ob es noch Sinn ergibt weitere Bewerbungen anzunehmen. Mein Vorschlag für diesen Fall wäre, wir geben dem aktuellen Bewerber noch die Gelegenheit am Bewerbungsverfahren teilzunehmen. Ab sofort nehmen wir keine weiteren Bewerbungen mehr an. Severin, wie schnell kann ich an seine Unterlagen kommen, Bewerbungsschreiben und Lebenslauf. Spätestens morgen Mittag bräuchte ich die Unterlagen.“

 

Severin schaute Florian an und bat ihn, wenn möglich, mit ihm gemeinsam die Unterlagen vorzubereiten, er würde sich darum kümmern, dass das Zeugnis spätestens morgen Mittag vorliegen würde. Wenn du nach oben gehst, frag einfach nach Nico Steiger, und mach mit ihm einen Termin für vormittags aus.

 

Florian verabschiedete sich und ging nach oben, um Nico zu suchen. Ich fragte Severin, was nun der zweite Problempunkt wäre. Als er zu lachen anfing, wunderte ich mich doch etwas, aber nach kurzer Zeit erklärte er mir.

 

„Mein zweites Problem konnte ich vorher nicht bei den beiden Jungs ansprechen, die Lage, in der die beiden jetzt stecken, ist komplizierter als ich es vorher in ihrem Beisein geschildert habe. Normalerweise müssen wir in beiden Fällen die Betreuerin oder den Betreuer beim Jugendamt informieren. Der nächste Schritt ist die Umsiedelung der Beiden in ein Jugendwohnheim. Je nachdem wo und wann gerade freie Plätze vorhanden sind, kann das bedeuten, dass die Beiden getrennt werden.

 

Wir können die sofortige Umsiedelung nur verhindern, wenn wir dem Jugendamt eine vernünftige Lösung unterbreiten können. Wenn die beiden Jungs bei euch oder im Raum Rosenheim im Sommer eine Ausbildung starten können und eine Unterkunft vorhanden ist, bleiben sie bis dahin bei uns im Kinderheim und werden im Sommer umgesiedelt.“

 

Ich schaute Severin an und erklärte ihm: „Warum glaubst du habe ich erst mal eine Vertagung der Entscheidung vorgeschlagen. Ich habe inzwischen gelernt, wie das in den Kinderheimen abläuft, wenn sich einer als gleichgeschlechtlich zu erkennen gibt. Tobi war lange nicht geoutet, erst mit seiner Ankündigung sich aus dem Kinderheim abzusetzen, wegen seiner Liebe zu David, wurde das Jugendamt aktiv. Wir werden Anfang Januar besprechen, wie wir den Beiden helfen können. Wir finden sicher eine Lösung, egal wie die Bewerbungsgespräche ablaufen.“

 

Wir gingen wieder nach oben, nachdem Severin den Gruppenraum wieder ver­schlossen hatte, und trafen in der Lobby auf Florian und Nico, die bereits zusammensaßen und den Lebenslauf und das Bewerbungsschreiben erstellten. Ich verabschiedete mich von Severin und den beiden Jungs und ging ins Gutshaus.

 

Im Wohnzimmer erwartete mich Thomas mit unseren beiden Jungs. Er meinte, hat wohl doch etwas länger gedauert das Gespräch mit Severin, Adrian und Alex. Ich grinste und meinte, dass hätte keinesfalls so lange gedauert, Severin hat uns noch einen weiteren Bewerber für einen Ausbildungsplatz untergejubelt. Ich habe noch Florian zum Gespräch hinzugeholt und wir haben uns darauf verständigt, dass Nico Steiger der letzte sein wird, der von uns noch angenommen wird.

 

Tobias lachte und sagte: „Hat er sich jetzt doch noch getraut und mit Severin über dieses Thema gesprochen. Er hat mich gestern und heute ständig mit seinen verschiedenen Fragen zum Gutshof und den dazugehörigen Unternehmen gelöchert. Ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass er sich doch noch zu diesem Schritt durchringt.“

 

Ich fragte David und Tobias, ob sie schon ihre Reisetaschen gepackt hätten, da sie ab Morgen, für die nächsten Tage, mit den anderen Bewerbern und Bewerberinnen im Gesindehaus nächtigen würden. Sie schauten mich an und Tobias sagte: „Das ist jetzt nicht dein Ernst, wir können doch genauso gut hier schlafen und jeden Morgen ins Gesindehaus gehen.“

 

Wieder einmal war ich nicht der flotteste beim Antworten, so dass Thomas zu ihnen sagte: „Ich befürchte, es ist sein voller Ernst, soweit ich mich erinnern kann, war immer die Rede davon, dass alle Teilnehmer beim Bewerbungsevent im Gesindehaus bis zum zweiten Januar übernachten und eine Teilnahmepflicht an allen geplanten Veranstaltungen und Ausflügen besteht. Soweit ich informiert bin, gilt das auch für die Bewerber aus dem Raum Rosenheim. Warum sollte für euch Beide eine Ausnahmeregelung gelten?“

 

David grinste und antwortete: „Scheinbar stimmt das Sprichwort doch, dass wer lesen kann, klar im Vorteil sei. Ich hoffe es reicht noch, wenn wir morgenfrüh unsere Sachen packen, einchecken müssen wir doch erst bis sechzehn Uhr.“

 

Ich meinte zu unseren Jungs: „Stimmt, bis sechzehn Uhr muss eingecheckt sein. Ich hoffe dann für euch, dass ihr bis dahin eure Reisetasche mit allem gepackt habt, was ihr in den nächsten Tagen braucht.“

 

 

Der siebenundzwanzigste Dezember war angebrochen und unsere beiden Jungs versuchten hektisch ihre Reisetaschen zu packen. Nach dem Frühstück fing die Sucherei nach diversen Bekleidungsstücken an, bis unsere jungen Herren feststellten, dass die Sachen alle zum Waschen im Wäschekorb liegen.

 

Ich schaute sie an und meinte: „Dann müsst ihr eben andere Sachen zum Anziehen mitnehmen, hättet ihr gestern bereits eure Bekleidung zusammengesucht, wäre euch das da bereits aufgefallen und ihr hättet eure Wäsche noch waschen und in den Trockner legen können. Ich habe kein Mitleid mit euch deswegen.“

 

David meinte zu Tobias: „Komm wir waschen jetzt sofort unsere Wäsche, ich hoffe, dass sie noch rechtzeitig trocken wird, dann können wir sie in letzter Minute einpacken. Hauptsache alles andere ist bis dahin eingepackt.“

 

Kurz vor neunuhrdreißig klingelte es an unserer Wohnungstür. Ich bemerkte, dass Tobias bereits zur Tür unterwegs war und wartete, wer uns so früh stören würde. Nach kurzer Zeit kam er mit Florian ins Wohnzimmer und meinte, Peter, Florian will zu dir.

 

Florian sagte zu mir: „Peter, es gibt ein Problem. Ich habe vor wenigen Minuten einen Anruf vom Kinderheim in Gera erhalten, eine Kandidatin ist ausgefallen, sie liegt seit gestern Abend im Krankenhaus, der Rest ist heute Morgen pünktlich abgefahren und sollte planmäßig in Rosenheim ankommen.“

 

Ich schaute ihn an und meinte: „Hast du schon Informationen, ob wir sie streichen können aus den Bewerbungen oder ob wir mit ihr ein gesondertes Bewerbungsgespräch zu einem späteren Zeitpunkt nachholen können?“

 

Florian schaute mich verzweifelt an und erklärte: „Ehrlich, daran habe ich im ersten Moment überhaupt nicht gedacht. Ich denke, wir sollten zuerst die anderen Jugendlichen aus dem Kinderheim befragen, ob sie uns genauere Informationen geben können. Die Unterlagen von Nico habe ich bereits im System erfasst und das Bewerbungsschreiben und den Lebenslauf hinterlegt. Severin hat noch angedeutet, dass in spätestens einer Stunde auch das Zeugnis von Nico hier sein sollte.“

 

Er machte eine Pause und sprach danach weiter: „Wir haben deine Änderungen beim Ablauf in unseren Plan übernommen, Bewerbungsgespräche finden im Gutshaus in kleinen Gruppen statt. Ich habe alle Beteiligten von den Änderungen informiert, auch von der Aufteilung nach dem ersten Einführungsteil. Bisher hat sich noch keiner bei mir beschwert, wegen der vorgenommenen Änderungen.“

 

Er erklärte mir, dass er wieder ins Gesindehaus zurück geht, um mit Dennis die letzten Vorbereitungen zu treffen. Richy wird gegen dreizehn Uhr bei uns sein und uns bei den eintreffenden Jugendlichen zu unterstützen. Um dreizehnuhrdreißig werden uns die Heimkinder zu ihrem für heute geplanten Ausflug verlassen und gleichzeitig werde ich mit Alejandro und Jorge zum Rosenheimer Bahnhof fahren, damit wir dort die Bewerber aus Thüringen und Hessen einzusammeln.

 

Ich meinte zu ihm, ich werde euch nach dem Mittagessen ebenfalls zur Verfügung stehen, um euch das Einchecken und Aufteilen der Zimmer zu erleichtern. Falls in der Zwischenzeit noch etwas sein sollte, kannst du mich jederzeit am Smartphone erreichen.

 

 

Ich schaute zwischendurch nach David und Tobias, die immer noch damit haderten, dass sie sich nicht rechtzeitig um ihre Bekleidung für den Bewerbungsevent gekümmert hatten. Ich erklärte: „Ich erwarte von keinem Bewerber, dass er zum Bewerbungsgespräch mit Anzug und Krawatte auftaucht.

 

Darauf werde ich auch heute Abend noch einmal hinweisen. Wer trotzdem meint, dass er sich nicht daranhalten muss, den schicke höchstpersönlich in sein Zimmer zurück, um sich wieder umzuziehen. Dann fehlen ihm einfach die ersten Minuten des Vorstellungs­gesprächs, was meistens zu einer schlechteren Beurteilung führt.

 

Denkt daran, dass wir spätestens um zwölf Uhr beim Essen im Restaurant sind, ich bin danach im Gesindehaus, um alle Bewerber persönlich zu begrüßen. Ich ging zu Thomas ins Wohnzimmer und schilderte ihm, dass unsere beiden Jungs immer noch unzufrieden sind, obwohl sie selbst, die Situation heraufbeschwört haben.

 

Thomas lachte und meinte zu mir: „Macht überhaupt nix, vielleicht hilft es den Beiden zukünftig solche Angelegenheiten etwas ernster zu nehmen und sich dementsprechend eher darauf vorbereiten.“

 

Kurz vor zwölf Uhr ging es ins Restaurant zum Mittagessen, mit unseren Jungs und Felix. Zumindest bei den Jungs hatte sich die schlechte Laune inzwischen etwas gebessert. David meinte: „Wir haben nicht alles waschen und trocknen können, aber die wichtigsten Klamotten sind jetzt in unseren Reisetaschen, der Rest sieht eben aus wie Kinderheim, wir sind je nicht die Einzigen, die mit solchen Klamotten herumlaufen.

 

Da das Essen sehr schnell auf dem Tisch stand, konnte ich kurz nach dreizehn Uhr ins Gesindehaus gehen. Vor dem Gesindehaus standen bereits die beiden Galaxy. In Eingangsbereich fand ich Alejandro, Jorge und Rafael, die auf Florian warteten. Ich begrüßte die drei und wünschte ihnen viel Spaß beim Abholen unserer Gäste vom Bahnhof.

 

Richy kam auf mich zu und sagte zu mir: „So, jetzt wird es ernst, mit der Umsetzung meiner Anregung, die Jugendlichen aus dem Kinderheim gemeinsam zu den Bewerbungs­gesprächen einzuladen. Ich finde es sehr gut, dass du entschieden hast, alle Bewerber zu diesem gemeinsamen Spektakel gleichzeitig einzuladen.“

 

Ich schaute Richard an und erklärte ihm: „Richard, deine Anregung hat mich über den Vorgang, Einstellung von Auszubildenden, nachdenken lassen und hat im Grunde genommen dazu geführt, die gesamte Betreuung der Auszubildenden grundlegend neu zu regeln.

 

Der erste Schritt war die Schaffung der Position eines Ausbildungsbeauftragten, vor allem deswegen, weil mit der Einstellung von Jugendlichen aus Kinderheimen, ein erweitertes Spektrum der sogenannten Sorgfaltspflicht notwendig wird. Vor allem dann, wenn sie nicht aus Kinderheimen in der Umgebung des Ausbildungsplatzes kommen.“

 

Ich stoppte kurz, sprach dann aber weiter: „Nehmen wir dich als Beispiel, zum Ausbildungsbeginn warst du, wie auch jetzt noch, nicht volljährig und auch nicht aus einem Kinderheim in der unmittelbaren Nähe deines Ausbildungsplatzes. Überleg dir, welche Voraussetzungen notwendig waren, damit du bei uns deine Ausbildung antreten konntest!“

 

Richy lachte und antwortete mir: „Ich weiß es nicht so genau, aufgefallen ist mir nur, dass ihr, zum einen eine Unterbringungsmöglichkeit für mich gebraucht habt und zum anderen, dass ich vom bisherigen Jugendamt an ein ausbildungsnahes Jugendamt weiter­gereicht wurde.“

 

Inzwischen war es laut geworden, da die beiden Gruppen des Münchner Kinder­heimes, sich wegen ihres für heute geplanten Ausflugs, im Eingangsbereich versammelt hatten. Ich konnte ebenso beobachten, wie Florian und sein Abholteam, bestehend aus Alejandro, Jorge und Rafael, aufbrachen und nach draußen verschwanden. Wenige Minuten später hatten auch die Kids mit ihren Betreuern und Armin die Eingangshalle wieder verlassen und ich konnte mich wieder in normaler Lautstärke mit Richy unterhalten.

 

Dennis gesellte sich wenige Minuten später zu uns und meinte: „Der große Ansturm wird gegen fünfzehn Uhr sein, wenn die Kids aus den Kinderheimen ankommen. Ich kann nur für uns hoffen, dass die anderen Jugendlichen nicht alle zeitgleich mit der Gruppe hier eintrudeln.“

 

Ich schaute Dennis an und erklärte ihm: „Wenn alle zur gleichen Zeit ankommen, ist es einfacher die Aufteilung in die Doppelzimmer vorzunehmen. Vor allem musst du nicht jedem einzeln erklären, dass er sich einen Zimmerpartner auswählen soll.“

 

Kurz vor vierzehn Uhr stand ein Elternpaar mit ihren drei Kids im Eingangsbereich. Ich ging auf sie zu und begrüßte sie freundlich. Dennis war mir mit seiner Liste gefolgt und fragte die Eltern, nach dem Namen des Auszubildenden.

 

Der Vater meinte: „Wir sind Familie Heilmann aus Gera und bringen unseren Sohn Sebastian zum Einstellungsevent. Der Rest der Familie fährt weiter nach Österreich, wir machen dort eine Woche Ski-Urlaub und am dritten Januar geht es zurück nach Hause. Können sie mir sagen, ob wir unseren Sohn erst am dritten Januar auf der Rückfahrt einsammeln können, oder ob ich ihn bereits am zweiten Januar wieder abholen muss.“

 

Mein Radar schlug sofort an und signalisierte mir, dass hier irgendetwas eigentümlich ist. Ich wandte mich deshalb an Sebastian und fragte ihn: „Willst du die eine Nacht mehr überhaupt hier verbringen wollen?“

 

Er schaute mich an, danach ging sein Blick zu seinem Vater und er antwortete mir. „Im Grunde genommen ist es doch egal, wo ich diese eine Nacht schlafe, zumindest wäre es stressfreier, wenn ich hier übernachten könnte.“

 

Okay, die Antwort sagte mir alles. Deshalb meinte ich: „Du kannst gerne die eine Nacht länger bleiben, du bist auch nicht der einzige Übernachtungsgast im Jugendhotel.“

 

Dennis stellte fragend fest: „Du bist kein Heimkind aus dem Kinderheim in Gera. Ich verstehe nicht, warum dich Florian dann in der Liste der Heimkinder eingetragen hat.“

 

Ich wollte schon etwas sagen, aber Sebi kam mir zuvor: „Das Kinderheim ist nur rund einhundert Meter von meinem Zuhause entfernt. Da das Kinderhaus die Hausnummer neun hat und wir auf elf wohnen, könnte ich mir vorstellen, dass er von einem zweiten Eingang im Kinderheim ausgegangen ist.“

 

Sebastians Eltern und Geschwister verabschiedeten sich von ihm und gingen nach draußen zu ihrem Auto, um zu ihrem Urlaubsort weiterzufahren. Dennis erklärte ihm inzwischen, dass er noch hier warten müsse, bis weitere Bewerber eingetroffen seien, da wir allen die Möglichkeit geben wollten, sich ihren Zimmerpartner selbst auszusuchen.

 

Sebi lacht und erklärte: „Ich habe bereits vor Weihnachten mit meinem Mitschüler aus dem Kinderheim vereinbart, dass wir uns eines der Doppelzimmer teilen wollen. Ich muss also nur warten bis die Kids aus dem Kinderheim eintreffen.“

 

Wieder eine interessante Äußerung, die mich dazu brachte, ihn zu fragen, woher er unser Ausbildungsangebot kennen würde. Ich vermutete, dass er von seinem Mitschüler die Informationen erhalten hätte.

 

Sebi schaute mich an und meinte: „Okay Peter, ich war vor knapp sechs Monaten schon einmal hier am Gutshof. Ich war Teilnehmer an eurem Zeltlager mit der Jugendgruppe des THW aus Gera. Ich hoffe du erinnerst dich noch daran, dass ihr am ersten Abend nach Helfern gesucht habt, die mit Alejandro die Ablagen für die Handys bauen und in den Zelten anbringen. Ich war einer von den Kids, die Alejandro dabei unterstützt haben. Ich war fasziniert davon, wie ihr das Laden der Handys organisiert habt, bis alle Zelte mit eigenen Ladestationen ausgestattet waren.“

 

Er machte eine kurze Pause, bevor er weiter erklärte: „Dennis und Felix waren die beiden Jungs, die im Büro des großen Aufenthaltszeltes gearbeitet haben und Ansprech­partner bei Problemen waren. Bei eurem Angebot, Einblicke in verschiedene Berufe zu erhalten, habe ich mich beteiligt. Dort habe ich auch erfahren, dass ihr ab dem nächsten Jahr auch Kleinwohnungen und Appartements für auswärtige Auszubildende anbieten werdet.“

 

Ich schaute Sebastian an und meinte, mich würde viel mehr interessieren, warum er sich entschlossen habe, so weit weg von zu Hause, sich einen Ausbildungsplatz zu suchen und sich bei uns zu bewerben. Hinzu kommt, wie stehen deine Eltern zu deiner Entscheidung, dir einen Ausbildungsplatz im südlichen Bayern zu sichern.

 

Es dauert lange, bis er mir endlich antwortete: „Peter, die Fragen sind nicht so einfach zu beantworten. Um den zweiten Teil deiner Frage vorab zu beantworten, meinen Eltern ist es egal, wo ich meine Ausbildung absolviere. Dazu solltest du wissen, mein Vater wollte, dass ich das Abitur mache und Jura studiere, um seine Kanzlei eines Tages zu übernehmen. Ich habe mich immer geweigert, ich hatte meine eigenen Pläne und die deckten sich nicht mit den Wünschen meines Vaters.“

 

So langsam begriff ich, dass hier ein Vater-Sohn-Konflikt die Ursache für seine Pläne zur Flucht aus Thüringen der Auslöser sein könnte. Nur wie könnte ich da weiter vorgehen, darüber war ich mir in diesem Moment noch nicht so ganz sicher.

 

Bei meinem Blick in die Eingangshalle stellte ich fest, dass inzwischen weitere Teilnehmer eingetroffen waren. Ich stand auf und ging auf die kleine Gruppe zu, denen Dennis gerade erklärte, dass sie sich unter den anderen Teilnehmern ihren Zimmerpartner selbst aussuchen sollten. Als er geendet hatte, stellte er mich den Teilnehmern als Peter, Chef der Gutshofgruppe vor.

 

Einer der Teilnehmer schaute mich an und wollte wissen, wieso sie sich ihren Zimmerpartner selbst aussuchen sollten und nicht einfach von unserer Seite die Paarungen festgelegt werden. Dennis schaute mich bittend an, ich sollte das doch den Jungs erklären.

 

Ich antwortete: „Sicher könnten wir einfach die Pärchen in den Zimmern festlegen, aber im Grunde genommen ist das bereits eure erste Aufgabe beim Bewerbungsevent. Ihr müsst immerhin mit eurem Zimmerpartner die nächsten sechs Tage und Nächte verbringen. Ich erwarte ich von euch, dass ihr eigene Entscheidungen selbständig treffen könnt.“

 

Ich unterbrach mich kurz und hoffte auf eine Reaktion der Jungs. Nicht derjenige, der die Frage gestellt hatte, sondern ein dunkelblonder, etwa sechzehnjähriger Bewerber meinte dann: „Hallo Peter, ich bin Viktor Ortmann. Verstehe ich das richtig, wenn ich vermute, dass du damit feststellen willst, ob wir eigene Entscheidungen treffen und dann auch dazu stehen, selbst wenn es Probleme geben sollte.“

 

Ich lachte und erklärte: „Ja Viktor, so kann man das auch sehen, mir ist wichtig, zu erkennen, ob ihr zu euren Entscheidungen steht und nicht beim ersten leichten Gegenwind eure getroffene Entscheidung in sich zusammenbricht.“

 

Kurz vor fünfzehn Uhr stürmten plötzlich dreizehn Jugendliche den Eingangsbereich, vermutlich waren das die Bewerbungen, die aus den Kinderheimen kamen. Ich konnte beobachten, wie Sebi sich einem der Jungs näherte und ihn freudig begrüßte. Ich ging zu den beiden Jungs und wollte sie ansprechen, als Sebi meinte: „Darf ich dir Winfried Wiegand, auch Winni gerufen, vorstellen, mein Mitschüler, mit dem ich mir das Doppelzimmer teilen werde“

 

Plötzlich stand Florian neben uns und sagte: Peter, uns fehlt ein weiterer Teilnehmer aus Gera, der nicht mit dem Zug in Rosenheim angekommen ist. Auf der Fahrt zum Gutshof habe ich meine Beifahrer gefragt, ob sie einen Sebastian Heilmann kennen, der ebenfalls aus Gera mit ihnen hätte mitkommen sollen. Sie haben mir erklärt, dass sie keinen Sebastian Heilmann kennen, der bei ihnen im Kinderheim wohnen soll.“

 

Ich lachte lauthals los, Sebastian und Winfried grinsten sich an und als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, erklärte ich ihm: „Darf ich dir die beiden Jungs neben mir kurz vorstellen. Da haben wir zum einen Winfried Wiegand aus dem Kinderheim in Gera und Sebastian Heilmann, der ebenfalls in Gera lebt, nur eben nicht im Kinderheim.

 

Die beiden besuchen die gleiche Klasse in der Realschule. Sebastian war im Sommer mit der Gruppe des THW aus Gera bei uns und hat sich bei uns um einen Ausbildungsplatz beworben. Übrigens, Winni wohnt auf Hausnummer neun, Sebi lebt mit seinen Eltern und Geschwistern in Hausnummer elf in derselben Straße.“

 

Jetzt fing Florian zu lachen an und erklärte uns: „Okay, das erklärt meinen Irrtum, ich bin davon ausgegangen, dass die Hausnummern neun und elf zum Kinderheim gehören. Mich hat vermutlich auch die Tatsache in die Irre geleitet, dass die beiden in derselben Klasse der Realschule sind.“

 

Damit war zumindest der fehlende Bewerber vom Kinderheim Gera aufgeklärt und da die beiden bereits selbst entschieden hatten, dass sie sich ein Doppelzimmer teilen wollen, meinte ich, Florian soll die Beiden in eines der Zimmer einchecken.

 

So nach und nach trudelten die weiteren Teilnehmer ein und immer mehr Paare hatten sich gebildet und an der Rezeption bereits eingecheckt. Da bei den Mädchen eines ohne Zimmerpartnerin blieb, wurde auch sie von Dennis eingebucht. Kurz vor sechzehnuhr­dreißig standen nur noch neun Jungs im Eingangsbereich, die sich bisher nicht entscheiden konnten.

 

Ich trat zu ihnen, bat um Aufmerksamkeit und erklärte: „Ihr solltet euch so langsam entscheiden, mit wem ihr das Zimmer teilen wollt. Ich gebe euch noch fünf Minuten, wenn bis dahin von euch keine Entscheidung getroffen wurde, schlage ich vor, dass das Losglück entscheiden soll, wer sich mit wem ein Zimmer teilt.

 

Ich ging zur Rezeption und ließ mir neun kleine Zettel geben und beschriftete sie von eins bis fünf, wobei ich eine der Zahlen nur einmal vergab. Ich faltete sie fein säuberlich zusammen und legte sie in ein kleines Körbchen, dass ich mir von Dennis geben ließ. Als er wissen wollte, warum ich das mache, erklärte ich ihm, dass die Jungs, sofern sie sich nicht entscheiden können, je einen Zettel ziehen dürfen und damit ihren Zimmerpartner zugelost bekommen.

 

Er lachte und schaute zu den Jungs, bevor er zu mir sagte: „Soll also die Glücksgöttin entscheiden, wer sich mit wem ein Zimmer teilen darf. Wenn ich mir die Jungs so ansehe, warten sie bereits auf dich und deine Zettelwirtschaft.“

 

Ich ging wieder zu den Jungs und erklärte: Wie ich die Sache sehe habt ihr eine Entscheidung getroffen, die Glücksgöttin soll eure Zimmerpartner bestimmen. Jeder von euch zieht der Reihe nach einem Zettel, den er sofort öffnet. Diejenigen, die dieselbe Zahl auf dem Zettel haben gehen mit ihrem Partner zur Rezeption zum Einchecken bei Dennis.“

 

Der Erste, der einen Zettel aus dem Körbchen holte, hatte eine Vier erwischt. Der Zweite hatte eine Eins auf seinem Zettel. Beim Dritten und Vierten stand je eine Fünf auf ihrem Zettel. Ich schaute die zwei Jungs an und fragte, ob sie mit der Wahl ihrer Glücksgöttin zufrieden wären. Derjenige, der als Erster die Fünf gezogen hatte grinste und meinte: „Ich bin mehr als zufrieden mit dem Ergebnis, Bruno war sowieso mein Favorit unter den Jungs.

 

Die nächsten beiden zogen eine Zwei und eine Drei. Mit der nächsten Ziehung sollte damit das nächste Pärchen feststehen. Der nächste der zog, ein langer schlanker Kerl zog die Drei. Da hatte die Glücksgöttin zugeschlagen, die beiden größten unter den Bewerbern durften sich ein Zimmer teilen. Der vorletzte der jetzt mit seiner Ziehung fällig war, zog die Zwei. Und damit war das nächste Zimmer an die beiden vergeben.

 

Den letzten, der jetzt noch sein Glück herausfordern durfte, fragte ich, wer von den beiden Jungs sein Favorit wäre. Er meinte, im Grunde genommen egal, wobei er aber eher zur Eins tendiere. Ich ließ ihn den letzten Zettel nehmen und als er ihn geöffnet hatte, fing er zu grinsen an und sagte: „Die Glücksgöttin hätte geschummelt und seinen Zettel von einer Vier in eine Eins verwandelte.“

 

Ich fing zu lachen an und erklärte: „Nach dem ersten Los wusste ich, dass er der Kandidat fürs Einzelzimmer ist, denn die Vier hatte ich nur einmal ins Körbchen gelegt. Also wusste ich auch schon, dass du nur noch die Eins ziehen konntest. Damit hast du auch deinen Favoriten bekommen.“

 

Nachdem inzwischen alle Kandidaten nach oben in ihre Zimmer entschwunden waren, ging ich zu Florian, Dennis und Richie zum Tresen. Ich fragte nach, ob definitiv alle Bewerber angekommen sind. Florian bestätigte, dass kein Kandidat mehr vermisst wird. Ich meinte, kannst du mir eine alphabetische Namensliste aller Kandidaten und Kandidatinnen geben, ich bräuchte sie für unser erstes Zusammentreffen um neunzehn Uhr.

 

Als nächstes stand das gemeinsame Abendessen um achtzehn Uhr auf der Agenda. Gegen siebzehnuhrdreißig kamen die Heimkinder von ihrem Ausflug zurück. Ich sprach noch kurz mit Severin und bat ihn, seine Meute heute erst nach achtzehnuhrfünfzehn in den Speisesaal zu schicken, damit ich die Bewerberinnen und Bewerber für einen Aus­bildungsplatz in Ruhe begrüßen könne. Severin meinte, mit dem heutigen Ausflug ins Spaßbad, habt ihr meinen Kids eine riesige Freude bereitet. Normalerweise können wir uns solche Ausflüge für die Heimkinder nicht leisten.

 

Ich stand pünktlich vor der Gruppe der Auszubildenden in Lauerstellung und konnte feststellen, dass die vier Bewerber aus dem Münchner Kinderheim mit dabei waren. Ich bat um Ruhe und sagte: „Nachdem jetzt alle Bewerberinnen und Bewerber gut angekommen sind, begrüße ich euch alle recht herzlich und wünsche euch viel Glück in den nächsten Tagen, wenn es für euch darum geht, einen der begehrten Ausbildungsplätze zu erhalten.“

 

Ich schaute kurz in die Runde und erklärte weiter: „Ihr könnt euch gleich am Büffet bedienen und könnt in Ruhe euer Abendessen einnehmen, wie ihr dem Ablaufplan entnehmen konntet treffen wir uns um neunzehn Uhr im Konferenzraum gegenüber. Keine Angst, beim Büffet verhungert keiner, noch ist nicht alles angerichtet, vor allem kommen in wenigen Minuten die anderen Gäste im Jugendhotel ebenfalls zum Essen.“

 

„Ach noch etwas, für euch sind die Tische auf der rechten Seite des Speisesaals reserviert, ich wünsche euch einen guten Appetit, das Büffet ist eröffnet. Getränke findet ihr in den Kühlschränken“ fügt ich noch hinterher.

 

Bis die Kids aus dem Kinderheim auftauchten ging es Büffet noch einigermaßen gesittet zu, danach wurde es kurze Zeit doch etwas hektischer und lauter. Erst als wieder etwas Ruhe eingekehrt war, gingen Florian, Richy und ich zum Büffet und holten uns selbst etwas zu essen. Ich setzte mich an einen der Tische, die bisher nur mit fünf Personen besetzt waren, nachdem ich höflich gefragt hatte, ob ich mich zu ihnen setzen dürfe.

 

Rechtzeitig ging ich in den Konferenzraum und überprüfte, ob alles nach meinen Wünschen vorbereitet war. Auf den Tischen waren Konferenzgetränke aufgestellt und für jeden Teilnehmer ein Block mit Kugelschreiber bereitgelegt. Ganz vorne war die Tischreihe für Richard, Dennis, Florian und mich vorbereitet. Auf meinem Platz lag die alphabetische Liste der Teilnehmer und die wichtigsten Unterlagen für den heutigen Abend abgelegt.

 

Kurz vor neunzehn Uhr füllte sich der Raum so nach und nach und Punkt neunzehn Uhr eröffnete ich die Veranstaltung. Ich wies noch kurz darauf hin, dass wir einige Zaungäste als Zuhörer haben, die aus dem Münchner Kinderheim kommen, die erst in gut eineinhalb Jahren eine Ausbildung beginnen können, sich aber über unser Ausbildungsangebot infor­mieren wollen.

 

Ich stellte mich allen noch einmal kurz vor, danach durften sich Richard, Florian und Dennis noch offiziell vorstellen. Ich erklärte, die drei sind für euch in erster Linie Ansprechpartner, wenn es sich um nicht berufsspezifische Fragen handeln sollte, wobei Richy auch für Fragen zum Beruf des Gärtners, Dennis als Hotelkaufmann und Florian als Personalsachbearbeiter und für Ausbildungsfragen angesprochen werden können.

 

Im Anschluss daran arbeitete ich die Liste der Bewerber ab, die ich bat, kurz ihren Namen, wie alt sie seien und zumindest, was sie erlernen möchten, uns zu erzählen. Interessant war nur die Art, wie die Einzelnen ihre Vorstellung gestalteten. Das ging von herunterleiern der Fakten, über ausführlichere Darstellung bis hin zu kurz hingeworfenen Informationen.

 

Da sich alle vorgestellt hatten erklärte ich als nächstes, dass in allen Unternehmen der Gutshof-Gruppe keinerlei Diskriminierung oder Schubladen-Denken akzeptiert wird. Als Beispiele nannte ich die Diskriminierung von Schwulen und Lesben, sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu gehören auch Kinder und Jugendliche von ehemaligen Gastarbeitern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Ich meinte so beiläufig, dass Bewerber*innen, die dies nicht akzeptieren können oder wollen, gerne ihre Bewerbung zurückziehen dürften und vorzeitig die Heimreise antreten können.

 

Damit waren wir bei den bei uns angebotenen Ausbildungsmöglichkeiten ange­kommen. Ich startete mit den kaufmännischen Berufen, zu denen der Bürokaufmann, der IT-Kaufmann, der Hotelkaufmann, die Buchhaltungsfachkraft, Mitarbeiter in der Personal­verwaltung und zukünftig auch der Einzelhandelskaufmann und der Immobilienkaufmann gehören.

 

In dem Zusammenhang stellte ich fest, dass wir bei der Ausbildung für kaufmännische Berufe hauptsächlich Bewerbungen für die J. Graf GmbH als Bürokaufmann vorliegen haben. Wir suchen Bürokaufleute für die G. Bauer GmbH, für die Stiftungs­verwaltung, für die Handwerker, Buchhalter und Personalsachbearbeiter für die Gutshofver­waltung und Hotelkaufmänner für das Seminarhotel und das Jugendhotel. Weitere zwei Stellen sind in der Informationstechnologie als IT-Kaufmann vorhanden.

 

Bei den Handwerkern stellte ich die aktuell vorhandenen Ausbildungsberufe, Elektriker, Maler und Anlagentechniker SHK (Sanitär/Heizung/Klima) vor. In den Folgejahren werden hinzukommen Bäcker und Konditor, sowie vermutlich weitere Ausbildungsberufe in Berufen, die mit dem Bauhandwerk zusammenhängen.

 

Der dritte Bereich, den ich ansprach, war die Informationstechnologie, hier stellte ich den Netzwerktechniker, den Mediengestalter, den Supportmitarbeiter und den Programmierer vor. Vor allem in dem Bereich werden wir in der Zukunft verstärkt nach Auszubildenden suchen.

 

Eine weitere große Gruppe ist der Bereich Gastronomie/Hotellerie mit Köchen und Servicekräften, auch im Hinblick darauf, dass weitere Jugendhotels geplant sind.

 

Im letzten Teil stellte ich unsere sogenannten sonstigen Ausbildungsstellen vor, Gärtner, Landwirt und Forstwirt.

 

Danach kam das so beliebte Fragen und Antwortspiel zu den von mir bisher vorgetragenen Berufsbildern. Als erstes meldet sich eine junge Dame, der ich das Wort erteilte. Sie meinte: „Hallo, ich bin Marina Kaufmann, habe ich das vorher richtig verstanden, dass bei der J. Graf GmbH sehr viele Bewerbungen für den Bürokaufmann vorliegen, bei den anderen Bereichen kaum Bewerbungen vorliegen. Ich gehöre mit zu diesen Bewerbern. Kann ich mich noch umentscheiden und einen anderen Ausbildungsberuf im kaufmännischen Bereich oder einem anderen Teilunternehmen anstreben?“

 

Ich antwortete ihr: „Logisch ist das während des Auswahlverfahrens noch unkom­pliziert möglich, ihr solltet wissen, dass das kaufmännische Grundwissen in allen kaufmän­nischen Berufen fast identisch ist, sie unterscheiden sich nur im Fachwissen, das unterschiedlich ausfällt. Ich würde mich freuen, wenn die eine oder andere Stelle bei den kaufmännischen Berufen mit Wechselwilligen besetzt werden könnte.“

 

Zum nächste der den Arm hob, meinte ich dann raus mit deiner Frage. Der junge Mann stand auf und erklärte: „Ich bin Peter Niehaus, ich habe mich für eine Stelle als Elektriker beworben, könnte ich mich auch auf eine Stelle als Anlagenmechaniker SHK umorientieren?“

 

Ich meinte dazu: „Grundsätzlich ja, bitte bedenkt aber dabei, dass wir anhand der Bewerbungsgespräche mit euch, euch eventuell von uns aus, eine andere Ausbildung anbieten könnten, die besser zu euren Fähigkeiten und Wünschen passen würde. Ein kleines Beispiel dazu, ich habe einen Bewerber vor mir, der liebend gerne Hotelkaufmann werden will. Grundsätzlich würde der Beruf zu ihm passen, er hat jedoch Probleme mit der Tatsache, dass in dem Beruf Schichtdienst notwendig ist. In diesem Fall würde ich dem Jugendlichen raten, dass er mit einer Ausbildung mit geregelter Arbeitszeit besser dran wäre.“

 

Wieder ging ein Arm nach oben und ich erteilte dem Jungen das Wort. Er sagte: Ich bin Alexander Andersen, soll das bedeuten, dass ihr uns im Einzelfall eine völlig andere Ausbildung anbieten wollt. Muss ich euer Angebot annehmen oder kann ich bei meinem gewählten Ausbildungsberuf bleiben?“

 

Die Antwort wird nicht einfach, das war mir sofort klar. Ich meinte: „Grundsätzlich ist es nur ein Angebot, du musst es nicht annehmen. Wäre es dir lieber du bekommst keinen Vorschlag, mit der Konsequenz, am Ende eine Absage zu bekommen, weil andere Bewerber für diesen Ausbildungsplatz besser abgeschnitten haben. Gut, vielleicht hast du dich noch anderweitig beworben, aber wenn du dort auch keine Chance hast, was dann?“

 

Er schaute mich an, bis ein andere Junge meinte: „Ich würde sagen, dann hast du deine Chancen auf einen guten und interessanten Ausbildungsplatz vergeigt. Ich an meiner Stelle wäre froh, wenn mir etwas angeboten wird, dass eher meinen Fähigkeiten und Wünschen entspricht. Ein krasses Beispiel dazu, mein Vater wäre der Meinung ich soll Elektriker lernen, ein Beruf mit Zukunft. Wenn Peter mir erklären würde, dass zu mir besser ein IT-Beruf, vielleicht Programmierer passen würde. Ich würde mich dafür entscheiden, nicht um meinen Vater zu ärgern, sondern weil ich im Inneren fühle, dass ich mit der Entscheidung auf Dauer glücklicher wäre. Soll ich das Angebot dann ablehnen. Nein, ich erlerne einen Beruf für mich und nicht für meine Eltern.“

 

Es entbrannte eine heiße Diskussion um dieses Thema, bis ich eingriff und meinte: „Ich denke, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wir können nur eine Empfehlung aussprechen, wenn es aus unserer Sicht auch Sinn macht eine Alternative anzubieten und wir einen entsprechenden Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen können.“

 

Da es keine weiteren Fragen gab, wies ich noch darauf hin, dass morgen direkt nach dem Unternehmensüberblick die Gruppengespräche beginnen. Ich hoffe Florian hat euch informiert, wie der geänderte Ablauf ist. Ich sehe morgen früh alle, für die Vorstellung des Unternehmens, wieder hier im Konferenzraum. Danach teilen wir uns in fünf Gruppen auf, die sich in unterschiedlichen Räumen treffen, hier im Konferenzraum bleiben alle die einen kaufmännischen Beruf erlernen wollen.

 

Ich besprach mich noch mit Florian, ob das für morgen geplante getrennte Programm mit allen Abteilungen abgeklärt ist. Er meinte, alle haben zugesagt, statt der großen Veranstaltung für alle, sich direkt auf die eigene Gruppe zu konzentrieren. Morgen Nachmittag ist die Brauereibesichtigung zusammen mit den Kids des Kinderheims. Wir fahren mit zwei Bussen, ich konnte noch einige unserer Auszubildenden an Land ziehen, die uns auf diesem Ausflug begleiten.

 

 

Am nächsten Morgen frühstückte ich mit Thomas, Felix und Dennis gemütlich in unserer Wohnung. Gegen achtuhrdreißig gingen wir ins Gesindehaus, wo alle Hausgäste bereits beim Frühstück saßen. Für die Kids aus München war ab neun Uhr heute eine Führung durch den landwirtschaftlichen Bereich des Gutshofes vorgesehen.

 

Punkt neuen Uhr hatten sich alle Auszubildenden in Lauerstellung im Konferenzraum versammelt und ich konnte mit meinem Vortrag über die Gutshofgruppe starten. Ich erzählte über den Start der Aktivitäten vor rund zweieinhalb Jahren nach dem Tod meines Vaters. Von unseren ersten Schritten mit dem Umbau des Gutshauses und den neu geschaffenen Wohnungen für die Familien. Der erst größere Schritt war die Übernahme der Gemüse­gärtnerei der Familie Winter.

 

Rund eineinhalb Jahre dauerte es, bis sich die ersten großen Veränderungen ein­stellten. Vor gut einem Jahr hatte mir mein ehemaliger Chef die Übernahme J. Graf GmbH angeboten, was wir auf der gemeinsamen Weihnachtsfeier den Mitarbeitern verkündeten. Damit brach eine Lawine über uns herein, mit der keiner gerechnet hatten. Innerhalb von zwei Wochen kamen zwei weitere kleinere Unternehmen dazu, die ebenfalls integriert werden mussten. Parallel wurde die Stiftung in Deutschland gegründet und die von meinen Eltern gegründete spanische Gesellschaft integriert.

 

Noch im alten Jahr wurde der Stiftung eine Erbschaft angeboten, die unter anderem das Seminarhotel und Immobilien in Millionenhöhe mit sich brachte. Die ersten zwei Monate wurden intensiv genutzt, um die Integration voranzutreiben, als sich wieder eine Erbschaft für die Stiftung ankündigte. Dieses Mal war die geerbte Summe um ein Mehrfaches höher als die erste Erbschaft. Es handelte sich um das jetzige Jugendhotel in Österreich, eine Immo­bilienverwaltung in München und weitere Immobilien für über eine viertel Milliarde Euro.

 

Der nächste Schritt war noch im Spätfrühling die Übernahme der E. Obermeier GmbH und die Erweiterung des bisherigen Unternehmens von Elektro, Sanitär, Heizung und Klima, auf alle Gewerke, die im Zusammenhang mit Immobilien benötigt werden.

 

Unsere nächste große Herausforderung stürzte Ende Mai auf uns herein. Wir hatten die Vergabe der Ferienplätze für benachteiligte Kinder und Jugendliche dem Rosenheimer Jugendamt übertragen, die das mit ihren Kollegen bei den anderen Jugendämtern organisieren sollten. Zu dem Zeitpunkt fiel beim Jugendamt auf, dass sie das Gesindehaus in der Zeit von Ende Juni bis Mitte September wochenweise mehr als überbucht hatten.

 

Damit wir den Kindern und Jugendlichen keine Absagen schicken mussten, wurde die Idee des Zeltlagers verwirklicht. Ich bestand jedoch darauf, dass das Zeltlager auch für andere Gruppen geöffnet wird. Es beteiligten sich Gruppen vom THW, vom Roten Kreuz, von einem Münchner Fußballverein, einer schwulen Jugendgruppe, die uns gleichzeitig als ehrenamtliche Helfer unterstützten.

 

Ende September wurde uns als weitere Erbschaft ein älteres Hotel an der Ostsee angeboten, das in den nächsten eineinhalb Jahren als Jugendhotel umgebaut werden soll. Wir werden alle Auszubildenden des Ostseehotels während des Umbaus nach Rosenheim holen, damit eine lückenlose Ausbildung gewährleistet wird. Deswegen stellen wir auch für kommendes Jahr im Bereich Hotel und Gastronomie kaum neue Auszubildende ein, da uns diese Auszubildenden bis Sommer des übernächsten Jahres verstärken.

 

Ebenfalls im September haben auf dem Gutshofgelände die Bauarbeiten für acht Wohngebäude begonnen, von denen drei Gebäude Kleinwohnungen und Appartements für Jugendliche in Ausbildung enthalten, die sowohl für unseren auswärtigen Auszubildenden als auch vom Jugendamt in Rosenheim für die Unterbringung von Jugendlichen aus Kinder­heimen genutzt werden können. Leider ist es bei uns so, dass Jugendliche, die in Kinder­heimen leben und volljährig werden, aus dem Kinderheim ausziehen und anderweitig untergebracht werden müssen. Die restlichen Gebäude werden als Sozialwohnungen und für Mitarbeiter errichtet.

 

Ich beendete meinen Rückblick über die Entwickelung der Gutshofgruppe, die ich mit Grafiken, Statistiken und Bildern bereichert hatte. Ich fragte nach, ob es dazu noch Fragen gäbe oder etwas nicht verstanden wurde. Eine Hand ging nach oben und ich sagte, er solle doch seine Frage stellen.

 

Er erklärte: „Hallo, ich bin Sebastian Heilmann, ich bin einer der Teilnehmer am Zeltlager. Ich war mit meiner Gruppe vom THW Gera für zwei Wochen im Juli hier und mir hat es hier sehr gut gefallen. Ich habe mich hier beworben, weil hier auch eine Unterbringung der Auszubildenden mit angeboten wird. Ich brauche den Abstand zu meinen Eltern, die der Meinung sind, ich solle Abitur machen und Jura studieren, um später die Kanzlei meines Vaters zu übernehmen. Ich will aber lieber etwas im Bereich der Informationstechnologie lernen.

 

Ein Mitschüler von mir, der in Gera im Kinderheim lebt, hat sich ebenfalls um einen Ausbildungsplatz bemüht, weil hier sichergestellt ist, dass er sofort in eine der Wohnungen einziehen kann, selbst wenn er nächstes Jahr erst Siebzehn wird. Woanders würde er erst in ein Kinderheim in der Nähe seines Ausbildungsplatzes kommen und mit seiner Volljährigkeit ein weiters Mal umziehen in eine Jugendwohnung.“

 

Als er geendet hatte schaute ich ihn an und meinte, dass das jetzt aber keine Frage gewesen sei, sondern eher eine Feststellung. Er lachte und erklärte: „Richtig, ich wollte nur in Ergänzung zu deinem letzten Punkt, erklären, dass es andere Gründe geben kann, warum man in eine vom Arbeitgeber bereitgestellte Unterkunft einziehen will, ohne gleich ein Heim­kind sein zu müssen. Bei meinem Mitschüler ist es doch auch so, dass er sofort einziehen kann, ohne volljährig zu sein.“

 

Ich erklärte: „So einfach wie du dir das vorstellst ist die Sache leider nicht. Sicher es ist richtig, dass die Auszubildenden dort einziehen können. Die Jugendlichen aus dem Kinderheim werden bis zum Abschluss ihrer Ausbildung vom Jugendamt weiter betreut, egal ob volljährig oder nicht, für sie ist es ein erster wichtiger Schritt in die Selbständigkeit. Bei dir kommt es auf deine Eltern an, mit der Volljährigkeit bist du theoretisch auf dich allein gestellt, deine Eltern müssen dir nur noch die Wohnung finanzieren und einen Beitrag zum Lebensunterhalt leisten, bis du deine Ausbildung beendet hast.

 

Hinzu kommt für alle Auszubildenden, dass bis zum achtzehnten Geburtstag der Betreiber des Jugendwohnheims dafür Sorge tragen muss, dass mindestens einmal täglich eine warme Mahlzeit angeboten wird. Da wir über eine eigene Kantine am Gutshof verfügen und den Minderjährigen auch abends eine volle Mahlzeit angeboten werden kann, erfüllen wir die Voraussetzungen, dass noch nicht volljährige Jugendliche in die Appartements einziehen können.

 

Eine weitere Voraussetzung für minderjährige Jugendliche schreibt vor, dass rund um die Uhr ein Sozialarbeiter als Ansprechpartner für alle möglichen Probleme der minder­jährigen Jugendlichen vor Ort sein muss. Dies ist bei uns dadurch gewährleistet, dass wir zwei Sozialarbeiter beschäftigen, die ihre Dienstwohnung im Dachgeschoß des Jugendhotels haben. Also nur einfach Wohnungen zur Verfügung stellen, damit ist es nicht getan. Es ist auch Teil der Fürsorgepflicht, die jeder Ausbildungsbetrieb gegenüber seinen minderjährigen Auszubildenden zu erfüllen hat.“

 

Sebastian schaute mich und die anderen Jugendlichen an und sagte nur noch: „Ich habe weder gewusst noch geahnt, dass ein Ausbildungsbetrieb eine Fürsorgepflicht hat, geschweige denn, dass die Unterbringung von minderjährigen Auszubildenden mit jeder Menge Auflagen verbunden ist, die zu beachten sind. Mich würde interessieren, warum ihr als Ausbildungsbetrieb diesen Aufwand betreibt.“

 

Ich überlegte kurz und erklärte: „Ein Teil der Kosten wird von der Stiftung für benach­teiligte Kinder und Jugendliche übernommen. Das Jugendamt finanziert eine Sozialarbei­terstelle, die sie anderswo auch haben würden. Da wir die Küche sowohl fürs Restaurant als auch für die Kantine und unsere Gäste haben, fallen keine Extraaufwendungen für das Personal an. Die Wohnungen werden durch die Stiftung erreichtet und müssen nur zu einem kostendeckenden Betrag vermietet werden, weil sie dem satzungsgemäßen gemeinnützigem Zweck der Stiftung entsprechen, und deswegen kein Gewinn für diese Appartements erwirtschaftet werden muss. Der Mehraufwand für mich als Arbeitgeber ist so minimal, dass er kaum ins Gewicht fällt.

 

Für mich als Arbeitgeber ist die soziale Komponente gegenüber allen Mitarbeitern wichtiger als der Gewinn, der für das Unternehmen angehäuft wird. Bei uns gibt es keine Aktionäre oder Geldgeber, die jährlich eine möglichst hohe Dividende für ihr eingesetztes Kapital erwarten.“

 

Nach diesen Ausführungen gab es weder einen Kommentar noch weitere Fragen, so dass ich erklärte, wir machen jetzt eine Pause und um zehnuhrdreißig treffen sich alle Gruppen in den für ihre weiteren Gespräche reservierten Räumen.

 

Pünktlich waren alle, die sich für einen kaufmännischen Beruf beworben hatten wieder im Konferenzraum. Ich meinte, nachdem die Gruppe inzwischen viel kleiner ist, darf ich euch bitten vorne Platz zu nehmen oder sollen wir die Sitzordnung grundlegend ändern. Da sich alle für eine Änderung aussprachen, stellten wir acht Tische im Quadrat auf. Die sechzehn Sitzplätze waren für alle ausreichend.

 

Meine erste Feststellung war dann auch: „Ihr wisst bereits, dass sich Acht von euch um einen Ausbildungsplatz zum Bürokaufmann bei der J. Bauer GmbH beworben haben. Wir haben insgesamt sechs Ausbildungsplätze zum Bürokaufmann zu vergeben, jeweils zwei bei J. Graf GmbH und der E. Obermeier GmbH und je einen bei der G. Bauer GmbH und in der Stiftung Sonneneck.

 

Des Weiteren bieten wir je zwei Ausbildungsplätze zum Hotelkaufmann und zum IT-Kaufmann an. Dazu kommt noch je ein Ausbildungsplatz in der Buchhaltung und in der Personalverwaltung für den Bereich Betreuung der Auszubildenden. Wer von euch könnte sich vorstellen seinen Ausbildungsplatz in einem der anderen Unternehmen oder einer anderen Ausbildungsrichtung vorstellen?“

 

Es meldete sich Martin Bauernfeind und meinte: „Mich würde zum einen der IT-Kaufmann reizen, andererseits könnte mir auch der Bürokaufmann bei den Handwerkern gefallen. Vielleicht nicht so langweilig wie der allgemeine Bürokaufmann.

 

Als nächste meinte Yvonne Wippler: „Ich habe mich als Bürokauffrau bei euch beworben, da ihr auch jemanden für die Buchhaltung sucht, würde ich gerne meine Ausbildung als Buchhalterin bei euch machen. Dass ist eigentlich mein Traum gewesen, aber ich habe nirgends eine Ausbildungsstelle für die Buchhaltung gefunden, deshalb habe ich mich für die Bürokauffrau bei euch entschieden. Jetzt kann ich doch noch meinen Traumberuf erlernen.

 

Damit begann die Diskussion, welche Vor- oder Nachteile die einzelnen kauf­männischen Berufe mit sich bringen können. Ich hörte eine ganze Reihe von Vorurteilen zu den einzelnen Berufsbildern. Vor allem es wurde viel durcheinandergeredet, so dass ich fast den Eindruck hatte, man versuche sich gegenseitig den Ausbildungsplatz auszureden.

 

Nachdem ich dem mir das eine Zeitlang angehört hatte, erklärte ich: „Ich habe jetzt viel Unfug von euch gehört, was die einzelnen Berufsbilder der kaufmännischen Berufe anbetrifft. Ich denke wir sollten langsam zu einer sachlichen Diskussion zurückkommen.“

 

Nachdem es endlich ruhig wurde meinte ich: „Wie ich euch bereits erklärt habe, sind bei allen kaufmännischen Ausbildungen die Grundlagen gleich, bei allen geht es um die Grundzüge der Buchhaltung, kaufmännische Grundwissen, wie Kalkulation, wirtschaftliche Aspekte und noch so einiges mehr. Die Berufsbilder unterscheiden sich erst wenn es in die fachspezifischen Bereiche geht. Darüber sollten wir reden und die Unterschiede heraus­arbeiten.“

 

„Ich gebe euch ein Beispiel, der Bürokaufmann bei einem Handwerksbetrieb hat im Fachbereich, Aufgaben wie Angebote erstellen, Kalkulation, Mitarbeiterplanung, Material­disposition von der Bestellung über die Einlagerung bis hin zur Lieferung auf die Baustelle. Beim Hotelkaufmann finden wir die Mitarbeiterplanung wieder, aber ansonsten kämpft er mit der Zimmerbelegung, dem Wohl des Gastes, und erstellt die Übernachtungsrechnung.“

 

Ich erklärte: „Da sind jetzt nicht alle Aufgaben aufgezählt, und einige Aufgaben gibt es auch in anderen Bereichen, wie uns die Mitarbeiterplanung zeigt. Trotzdem gibt es einige Unterschiede in den Berufsbildern.“

 

Siegfried Schachtner meldete sich zu Wort und erklärte: „Ich will Hotelkaufmann werden, weil ich in diesem Beruf sehr viel mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun habe. Das fasziniert mich dabei besonders und trifft nur auf wenige andere kaufmännische Berufe zu. Sicher, wenn ich in der Personalverwaltung arbeite, habe ich auch mit Menschen zu tun, aber das sind alles Kollegen.“

 

Ich mischte mich wieder einmal ein und meinte: „Wir suchen zwar einen Auszubil­dende oder einen Auszubildenden für den Bereich Personalverwaltung, aber mit dem Schwerpunkt Auszubildende. Ich denke dazu kann euch Florian sicher einiges erklären.“

 

Florian schaute mich an und erklärte dann: „Als Peter mir vor drei Monaten den Job eines Ausbildungsbeauftragten anbot, dachte ich im ersten Moment er sucht einen Mitarbeiter für eine langweilige Verwaltungsaufgabe, die keiner gerne übernehmen will. Als er mir jedoch erklärte, dass das mit Sicherheit keine langweilige Aufgabe sein wird, habe ich ihm zugesagt. Ich habe den Schritt bis heute nicht bereut.“

 

Er nahm einen Schluck von seinem Wasser und sprach weiter: „Meine erste Aufgabe bestand darin, alle Bewerbungen für das kommende Ausbildungsjahr in der Azubi-Verwaltung anzulegen und mit Peter den Einstellungsevent vorzubereiten. Inzwischen habe ich alle Auszubildenden aus dem Raum Rosenheim, egal in welchem Ausbildungsjahr in meine Verwaltung übernommen.

 

Im Januar kommen in einem weiter Schritt die Auszubildenden des österreichischen Jugendhotels dazu. Ebenfalls in diesem Monat werden alle Auszubildenden des zukünftigen Jugendhotels an der Ostsee in meinen Verwaltungsbereich übergeben. Dies ist besonders wichtig, weil alle Auszubildenden des Hotels an der Ostsee, während der Umbau- und Renovierungsmaßnahmen für neun bis zwölf Monate ihre Ausbildung hier in Rosenheim fortsetzen.“

 

Da er eine kurze Pause einlegte fragte Nico Steiger: „Bedeutet das, dass wenn wir mit unserer Ausbildung im September starten, sämtliche Auszubildenden aus dem Ostsee­hotel mit uns ihre Ausbildung absolvieren? Warum werden sie in dieser Zeit hier ausgebildet und nicht einfach in anderen Hotels in ihrer Heimat.“

 

Ich sah zu Florian und deutete an, dass ich das gerne beantworten würde: „Ja Nico, dass wird so sein. Zu deiner Frage, warum hier und nicht an der Ostsee, gibt es eine einfache Antwort. Theoretisch wäre das möglich, als Unternehmer hat man jedoch gewisse Verpflichtungen seinen Mitarbeitern gegenüber. Gerade bei Auszubildenden gibt es vieles zu beachten, das ist auch einer der Gründe, warum immer weniger Betriebe ausbilden.

 

Wenn ich in so einer Situation Auszubildende an einen fremden Betrieb ausleihe, muss ich trotzdem Sorge dafür tragen, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Ich bin der Meinung, eine gleichbleibende gute Ausbildung kann ich nur im eigenen Unternehmen gewährleisten. Wir haben hier zwei Hotels, bei denen die Ausbildung durchgeführt werden kann, warum also auf andere Hotels zugreifen. Außerdem lernen sie gleich, welche Ände­rungen sich gegenüber den bisherigen Abläufen in einem Touristenhotel ergeben.

 

Als ich vor knapp drei Monaten bei einer Personalversammlung die Ankündigung des Ortswechsels verkündigte, waren alle Auszubildenden begeistert von dieser Idee. Selbst bei den Eltern gab es keine großen Widerstände gegen dieses Vorgehen.“

 

Damit übernahm Florian wieder und sagte: „Als Ausbildungsbeauftragter bist du im regelmäßigen Informationsaustausch mit allen Ausbildern. Bisher sind das in der Hauptsache alle Ausbilder im Raum Rosenheim, ab nächstem Jahr kommen die Ausbilder des Jugendhotels in Österreich und an der Ostsee hinzu.

 

Ein weiterer regelmäßiger Kontakt besteht mit dem Jugendamt für alle Auszubildenden, die in einem Kinder- oder Jugendwohnheim leben. Wenn die Einstellungsgespräche gelaufen sind, geben wir dem Jugendamt in Rosenheim die Informationen, welche Jugendliche aus welchen Kinderheimen eingestellt wurden. Da es sich in diesem Jahr zumindest nicht um Einzelfälle handeln wird, sondern bis zu achtzehn Personen sein können, hat Peter mit Frau Wegmann vom Jugendamt abgesprochen, dass wir die Kandidaten rechtzeitig bekannt geben.“

 

Wieder war es Nico, der eine Frage stellte: „Ich dachte, das läuft über das Kinderheim und das zuständige Jugendamt, das den Jugendlichen abgibt. Warum meldet ihr das direkt eurem Jugendamt?“

 

Wieder war ich derjenige, der die Frage beantwortete: „Das ist ganz einfach erklärt, Ausbildungsplätze die weit vom Wohnort der Jugendlichen entfernt liegen, gibt es nicht so häufig. Normalerweise pro Jahr maximal ein oder zwei Jugendliche, die vom Jugendamt abgegeben oder übernommen werden.

 

Da es bei uns in diesem Jahr bis zu achtzehn Jugendliche sein können, die nach Rosenheim am Ende des Schuljahres abgegeben werden, sollte das Jugendamt möglichst früh wissen, wie viele Neuzugänge bei ihnen aufschlagen, um entsprechen planen zu können. Im Gegenzug erwarten wir, dass ein Mitarbeiter des Jugendamtes alle Auszubildenden betreut, damit wir am Ende nicht fünf oder sechs verschiedene Ansprechpartner beim Jugendamt haben.“

 

Nico meinte dazu: „Okay, verstanden, damit willst du sicherstellen, dass deine Mit­arbeiter einen Ansprechpartner für alle Auszubildenden haben und sich nicht mit verschie­denen Personen herumschlagen müssen. Eigentlich clever von dir, ich hoffe das läuft auch so wie du dir das vorstellst.“

 

Beim Blick auf meine Uhr stelllte ich fest, das es inzwischen bereits kurz vor zwölf Uhr war. Ich schaute in die Runde und erklärte: „Leute, wir müssen an dieser Stelle abbrechen, ihr solltet so langsam zum Mittagessen gehen, ich will nicht schuld daran sein, wenn ihr nachher den Bus zur Brauereibesichtigung verpasst. Abfahrt ist um zwölfuhrfünfundvierzig vor dem Haus.“

 

Bis auf Nico hatten bereits alle den Raum verlassen, als er zu mir sagte: „Hättet ihr David und Tobias auch adoptiert, wenn sie nicht schwul gewesen wären?“

 

Ich schaute ihn intensiv an und überlegte kurz bevor ich ihm antwortete: „Ich denke schon, beide haben spontan und von sich aus entschieden bei uns als Pflege­kinder zu bleiben. Das war für uns der entscheidende Punkt. Zusätzlich haben sich beide innerhalb weniger Tage bestens in die Familie integriert, was uns die Entschei­dung erleichterte.“

 

Gemeinsam gingen wir in den Speisesaal, wo bereits der größte Teil der Gäste beim Essen saßen. Wir stellten uns zu den anderen in der Warteschlange der Essensausgabe.

 

Während des Mittagessens besprach ich mit den Ausbildern, wie ihre Veranstaltungen gelaufen seien. Im Grunde genommen waren alle zufrieden mit den Gesprächsrunden, meinten aber, dass sie zu wenig Zeit hatten, um alle Fragen zu beantworten. Ich schlug deshalb vor heute Abend, nach dem Essen, noch eine extra Gesprächsrunde einzulegen, diesmal mit allen Bewerbern.

 

Wir einigten uns darauf, uns mit allen noch einmal zusammenzusetzen und ihre Fragen zu beantworten. Ich meinte noch, dass ich das gleich vor der Abfahrt in den beiden Bussen ankündigen werde.

 

 

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