Carsten
Fabian lag wie in Trance auf dem Sofa. Wir anderen saßen neben ihm und Fastrick versuchte per Handy mehr über den Zustand von Fabi’s Eltern heraus zu bekommen.
„Also ich finde, wir sollten Fabian jetzt nicht alleine lassen“, meinte Gabriella, „ich rufe zu Hause an, ob ich hier bleiben kann.“
„Das ist eine gute Idee“, meinte Marcel.
„Alles besser, als noch einen einzigen Tag alleine mit meinem Bruder verbringen zu müssen“, kam es von Thomas.
„Komm, so schlimm wird er auch nicht sein“, rutschte mir raus.
Thomas schaute mich einige Sekunden schockiert an und meinte dann:
„Schlimmer!“
Marcel kicherte.
„Na ja, meinte Eltern wissen ja, dass ich hier bin und ich sollte eigentlich bis heute bleiben“, sprach ich weiter.
„Ist das von euren Eltern angezettelt worden, damit ihr euch wieder vertragt?“, fragte Marcel.
Ich schüttelte den Kopf.
„Warum bist du dann hier?“
Gabriella räusperte sich und schaute mich an. Ich sah fragend zurück. Sie nickte.
„Bist du sicher?“, fragte ich laut.
Marcel und Thomas schauten neugierig zwischen ihr und mir hin und her.
„Ja, wenn schon, denn schon. Die beiden sich schließlich auch Fabians Freunde und sollten das wissen.“
Also atmete ich noch einmal tief durch, griff an den Hals und zog meinen Regenbogenanhänger heraus.
„Du hast Fabians Kette an?“, fragte Marcel verwirrt.
Gabriella fing an zu kichern.
„Nein, das ist meine“, antwortete ich genervt und sah aus dem Augenwinkel heraus Fastrick ins Zimmer kommen.
„Du bist auch schwul?“, fragte Marcel, der das noch nicht mitbekommen hatte, laut.
Mein Gesicht füllte sich in sekundenschnelle mit Blut. Fastrick stand da und schaute mich verwirrt an.
„Öhm ja“, sagte ich leise und wäre am liebsten in das nächste Mausloch verschwunden.
‚Warum grinst Fastrick jetzt so? Oh Gott, was muss ich noch alles erleiden?‘
„Und du bist jetzt mit Fabian zusammen?“, fragte Thomas, welcher ebenso nicht bemerkt hatte, dass unser Lehrer hinter ihnen stand.
„Nein!“, klang es leise neben mir, „aber vielleicht bald, wenn ihr weiter so blöd fragt.“
Unsicher schaute ich Fabian an, der mich daraufhin leicht anlächelte.
„Hallo, ich habe gute Nachrichten“, sagte plötzlich Fastrick und meine Klassenkameraden fuhren erschrocken herum.
Auch Fabian fuhr hoch, sein Gesicht fast wo weiß wie die Wand. Er war so ängstlich, dass er sich an mir festhalten musste.
„Meine Eltern…?“
„… denen geht es soweit gut. Deiner Mutter ist wohl nichts passiert und dein Vater hat einen Bänderriss, der aber bereits operiert und im Gips ist.“
Ich spürte wie Fabian sich entspannte und ein wenig in sich zusammen fiel. Er lehnte sich an mich und ich legte den Arm wieder um ihn. Es tat gut ihn zu spüren. Ich wusste nicht warum, aber wenn Fabian bei mir war, fühlte ich mich plötzlich so stark.
Fabian
War ich froh, dass die beiden unversehrt waren. Fastrick hatte mich gebeten, etwas für die Nacht einzupacken, da beide noch einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben sollten. Ich lief auf meinen wackligen Beinen die Treppe hinunter, wo Fastrick schon auf mich wartete.
„Hast du alles gefunden?“, fragte er mich.
„Ja, ich denke schon. Sagst du bitte meinen Eltern einen ganz lieben Gruß von mir und dass Mum mich vielleicht anruft, wenn sie kann?“
„Mach ich Fabian“, sagte Fastrick und wuschelte mir durchs Haar.
„Danke Dirk“, sagte ich und fiel ihm um den Hals.
„Das wird schon Kleiner“, erwiderte er und streichelte mir über den Rücken.
Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich Carsten an der Küchentür stehen.
„Und zudem bist du ja gut versorgt, habe ich bemerkt. Du eine Frage habe ich noch.“
„Ja?“
„Ich weiß zwar jetzt nicht die Hintergründe, aber wird das zwischen dir und Carsten etwas Ernstes?“
Wenn ich bisher noch blass gewesen war, so änderte sich das nun schlagartig in ein sehr gesundes Tomatenrot und Dirk grinste sich eins weg.
„Ich möchte das langsam angehen, auch wenn ich inzwischen etwas für Carsten empfinde. Und es ist ganz egal, was vorgefallen ist, das habe ich abgehakt.“
„Das finde ich gut. Ich wünsche euch viel Glück dabei und immer reden, wenn etwas ansteht. So ich verschwinde dann, wenn etwas ist, ruf an du hast meine Nummer.“
„Danke Dirk… noch mal“, meinte ich und geleitete ihn zur Tür.
Kalte Luft drang herein und als er das Haus verlassen hatte, schloss ich die Wohnungstür sofort wieder.
„Dirk? Seit wann darfst du Fastrick mit Vornamen anreden?“, hörte ich hinter mir Carsten sagen.
„Eigentlich schon seit ich sprechen kann.“
Carsten sah mich verwirrt an.
„Dirk ist ein guter Freund des Hauses.“
„Ach so. Trinken wir noch einen Kaffee? Du bist noch etwas blass um die Nase.“
„Gute Idee, aber ich hab mich auch derart erschrocken, als Dirk das von sich gegeben hat.“
„Verständlich“
„Lass uns die anderen fragen, ob sie auch einen möchten.“
„Mein Engel… immer nur die anderen im Kopf.“
Ich musste grinsen.
*-*-*
Gabriellas Idee, dass alle hier bleiben sollten, war schon irgendwie verrückt. Genauso verrückt war aber auch, dass die Schneefälle einfach nicht weniger werden wollten. Gegen acht Uhr abends waren wir alle fünf noch einmal draußen gewesen, um den Gehweg zu räumen, was natürlich in einer Schneeballschlacht endete.
Gabriellas Mutter hatte uns mit einem tollen Abendessen überrascht und obwohl ich eigentlich keinen richtigen Hunger hatte, aß auch ich etwas davon. Nun lagen alle fünf in meinem Zimmer. Zwar war es etwas eng, aber trotzdem auch irgendwie schön.
Ich musste leicht lächeln, weil Thomas so dicht bei Gabriella lag. Ob sich da noch etwas anbahnte? Die zwei verstanden sich gut und irgendwie fand ich, sie passten auch gut zueinander. Carsten schlief bereits, was mir seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten.
Thomas und Marcel flüsterten beide miteinander, aber richtig verstehen konnte ich es nicht, dafür waren sie einfach zu leise. Langsam spürte ich, wie meine Augenlider schwerer wurden und irgendwann war ich weg.
Carsten stand mit dem Schraubenschlüssel vor mir.
„Was hast du gemacht?“, fragte ich entsetzt.
Er lachte dreckig.
„Ich nehme dir alles, was dir lieb ist und als erstes sind deine Eltern dran.“
„Nein! Warum hast du das getan?“, schrie ich.
„Du hast mein Leben zerstört und ich zerstöre nun deins!“
Ich schreckte auf und schnappte nach Luft. Wieder so ein seltsamer Traum. Die anderen schliefen friedlich, während ich zitternd im Bett saß. Nach einiger Zeit rückte ich etwas näher zu Carsten und kuschelte mich bei ihm ein.
Er brummte etwas Unverständliches und legte seinen Arm um mich. Obwohl ich mich Irgendwie nicht traute, die Augen zu schließen, überkam mich dann doch irgendwann der Schlaf.
*-*-*
Wie ich dieses ätzende Geräusch hasste. Ich holte mit viel Schwung aus und schlug auf meinen Wecker. Aber wie sonst auch immer kaltes Plastik zu erwischen, spürte ich etwas Warmes und Weiches und kurz darauf schrie jemand *Aua*.
Ruckzuck war ich hellwach und saß aufrecht im Bett. Vor mir kniete Marcel und hielt seine Hand fest.
„Entschuldige, aber…“
„Man, musst du so drauf hauen?“, meckerte er.
Da klingelte plötzlich das Telefon.
„Wer ruft denn jetzt schon an?“, murmelte Gabriella verschlafen, während ich aus dem Bett sprang.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich noch und versuchte, so schnell wie möglich über die anderen hinweg zu steigen.
„Aua, pass doch auf!“, brüllte Thomas, dessen Bein ich erwischt hatte.
„Oh man, normalerweise liegt bei mir niemand auf dem Boden rum“, schimpfte ich im Hinausgehen.
Ich raste die Treppe hinunter und nahm den Hörer aus der Station.
„Fabian am Apparat…“, meldete ich mich total wirr.
„Hallo Fabian, hier ist Dirk, ich wollte dir nur sagen, dass die Schule heut noch mal ausfällt.“
„Oh, danke Dirk, das wird die anderen sicher freuen.“
„Sind sie wirklich alle bei dir geblieben?“
„Ja, haben alle in meinem Zimmer geschlafen, oder tun es noch.“
„Wann deine Eltern nach Hause kommen, weiß ich nicht genau. Und ob hier der Krankenwagen fährt, bei dem Wetter weiß ich auch nicht.“
„Mum wird sich sicher bei mir melden.“
„Okay und wie schon gesagt, wenn was ist, ruf mich an.“
„Mach ich Dirk. Bye!“
„Tschüss!“
Ich stellte den Hörer zurück in seine Station. Lust darauf, gleich hoch zu laufen hatte ich nicht, also entschloss ich mich dazu in die Küche zu gehen und mir einen Kaffee zu machen. Die anderen konnten ja ruhig weiter schlafen.
Schnell war der Kaffeeautomat heiß und das braune Nass tröpfelte in meine Tasse. Meinen Spruch könnte ich bei der Gelegenheit auch gleich holen. So suchte ich das 16. Türchen und öffnete es.
Die Liebe vereinigt Himmel und Erde.
„Warum bist du alleine hier unten und weckst uns nicht?“, hörte ich Carstens Stimme hinter mir und zuckte etwas zusammen.
„Dirk hat angerufen, dass die Schule erneut ausfällt. Naja, da habe ich gedacht, ich lasse euch noch schlafen.“
„Neuer Spruch?“, fragte Carsten und zeigte auf meine Hand.
Ich nickte und gab ihm den Zettel Er las es und reichte ihn mir zurück.
„Was immer damit gemeint ist, ich verstehe es nicht.“
„Willst du auch einen Kaffee?“, fragte ich, um von dem Thema abzulenken.
„Danke gerne.“
Ich holte erneut eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter die Kaffeemaschine. Nachdem ich den Knopf gedrückt hatte, surrte die Maschine laut und schon wenig später floss der erste Kaffee in die Tasse.
„Zwei Stück Zucker und etwas Milch, stimmt das?“
„Das hast du dir gemerkt?… Danke“, meinte Carsten mit einem seligen Lächeln.
„Das ist mir ein Leichtes… ich trinke ihn nämlich genauso.“
Carsten kicherte und kam näher an mich heran. Seine Augen funkelten und sein Gesicht kam immer näher. War ich bereit dazu? Der Abstand zwischen unseren Mündern verringerte sich und Carsten schloss bereits die Augen.
Mein Verstand riet mir, wegsperren und den Schlüssel wegwerfen, aber mein Bauchgefühl drängte mich, ihn zu küssen. Also beugte auch ich mich weiter vor.