Carsten
„Och nein, nicht ihr auch noch”, hörte ich plötzlich Marcels Stimme.
Fabian und ich fuhren auseinander. Mist verdammter, ich war so nah dran gewesen.
„Was?”, fragte Fabi verwundert.
„Ach, Gabriella und Thomas da oben.”
„Die küssen sich?”
„Das habe ich nicht gesehen. Die haben sich nur aneinander gekuschelt und kein Wort mehr mit mir geredet und da ihr beide nicht mehr im Bett ward, dachte ich mir, ich geh runter in die Küche.”
Fabian grinste mich verlegen an.
„Willst du auch einen Kaffee?”, fragte ich.
„Nein, eine heiße Schoko wäre mir lieber.”
Etwas ratlos schaute ich zu Fabian.
„Milch heiß machen, Kaba drunter rühren – fertig.”
„Ach so.”
„Di… öhm Fastrick hat übrigens angerufen, dass die Schule heute wieder ausfällt”, erzählte Fabi, während er einen Pott Milch in die Mikrowelle stellte.
„Cool, aber ich sollte nachher so langsam mal nach Hause und mich wieder blicken lassen”, meinte Marcel.
Fabian nickte.
*-*-*
Fabian
Bis auf Carsten waren alle gegangen. Gespannt saß ich am Küchenfenster und wartete, dass meine Eltern gebracht wurden.
„Mein Vater ist in einer halben Stunde da und holt mich ab”, meinte Carsten hinter mir.
„Schon?”, fragte ich.
„Du bist gut, ich bin jetzt schon seit Freitag da.”
„Hm, stimmt. Hab mich irgendwie schon daran gewöhnt… neben dir aufzuwachen. Ist ein schönes Gefühl.”
Carsten nickte, kam zu mir und zog mich an meinen Händen zu sich. Dann legte er seine Arme um mich.
„Ich… wollte dir noch einmal… danke sagen.”
„Für was?”
„Du bist gut! Dass du mich erträgst… dass du das Machorindvieh besänftigt hast.”
„Treffender Ausdruck”, lächelte ich.
„Darf ich mir weiter Hoffnungen machen?”
Ich schaute ihm in die Augen, schloss die meinen dann und drückte ihm als Antwort meine Lippen auf seinen Mund. Tausend Funken durchfuhren meinen Körper. Seine Lippen fühlten sich so schön weich und sanft an.
Etwas außer Atem löste ich mich wieder von ihm.
„Antwort genug?”, fragte ich.
Er lächelte.
„Ich weiß nicht. Könntest du diese Antwort wiederholen?”
Ein weiterer Kuss folgte und ich vergaß kurzzeitig alles, was sich um mich herum abspielte. Ein Geräusch an der Haustür ließ mich aus meinen Träumen zurückwandern.
„Fabian?”
„Mum?”, rief ich und rannte zur Haustür.
„Ja, wir sind wieder da!”
Ich fiel Mum um den Hals und begann zu weinen.
„He mein Großer, ist doch alles wieder gut!”, meinte Mum und streichelte mir über den Kopf.
Dad kam vorsichtig auf Krücken hereingehumpelt. Ein Sani half ihm dabei und trug auch die Tasche herein.
„Hallo Fabian”, meinte er und stütze sich gegen die Wand.
„Hallo Dad”, meinte ich und fiel auch ihm um den Hals, „erschreckt mich bitte nie wieder so …”
„Wir hätten uns das auch gerne anders ausgesucht.”
Dad würde die nächsten Tage unten auf dem Sofa schlafen, bis er mit seinem Gips besser zurecht kam.
*-*-*
In den Nachrichten wurde gemeldet, dass die Schneefälle aufhören würden und Mum meinte, dass morgen sicher wieder Schule sei, deswegen ging ich auch relativ früh zu Bett.
In selbigem lag ich abends und vermisste Carsten.
Die Nacht verlief traumlos, trotzdem wurde ich manchmal wach, weil da einfach niemand mehr neben mir lag. Das fehlte mir sehr und ich wunderte mich noch darüber, wie schnell sowas gehen konnte.
Am nächsten Morgen hatte ich das erste Mal sein Langem wieder richtig ausgeschlafen und keine Schwierigkeiten mit dem Aufstehen. Wenig später saß ich bei Dad am Küchentisch und schlürfte mein Kaffee.
„Und wie ist das mit dem Auto dann?”, fragte ich.
„Das weiß ich auch noch nicht genau. Auf alle Fälle bekommen wir einen Leihwagen, bis wir wieder etwas Eigenes haben.”
„Und wenn du jetzt zum Arzt musst, wie kommst du da hin?”
„Mit dem Taxi natürlich… wird alles der andere Fahrer zahlen müssen.”
„Und dem ist nichts passiert?”
„Nein, keine einzige Schramme und wie das mit der Bezahlung wird, weiß ich auch nicht. Der Typ hatte doch tatsächlich noch Sommerreifen drauf. Ob da die Versicherung den Schaden übernimmt?”
„Der hat ja echt Nerven. Ist das dann nicht vorsätzlich, was er da gemacht hat?”
„Wie meinst du das?”, fragte Dad.
„Wenn ich mit Sommerreifen bei Schnee fahre, dann muss ich doch von vorne rein wissen, dass es gefährlich werden könnte.”
„Da hast du Recht.”
„Ich werde noch meinen Kalender aufmachen und dann muss ich auch schon los.”
Ich suchte die Siebzehn und wurde auch schnell fündig. So viele Türen waren ja nicht mehr verschlossen.
Unruhig ist mein Herz
bis ich Ruhe finde
in dir.
Ich musste lächeln, denn der Spruch stimmte.
„So, ich bin dann weg”, meinte ich und krallte mir den Rucksack.
Draußen stand eine Gabriella, die von einem Bein auf das andere hüpfte.
„Noch fünf Minuten länger und ich wäre angefroren”, schallte mir entgegen.
„Auch guten Morgen liebe Gabriella.”
Ich schaute sie so lange grinsend an, bis auch sie grinste.
„Guten Morgen.”
„Wo ist dein Anhang?”, wollte ich wissen und lief in Richtung Bushaltestelle los.
„Welcher Anhang?”
„Och, ich hatte so das Gefühl zwischen dir und Thomas ist etwas mehr…”
„Du und dein Gefühl… wir… wir verstehen uns halt gut.”
„Gut verstehen… aha!”
Als wir an der Bushaltestelle ankamen, musste ich dann noch mehr grinsen. Da stand einsam und alleine die gewisse Person, mit der sich Gabriella „halt gut verstand”.
„Guten Morgen Thomas, wurde eure Haltestelle dicht gemacht, oder warum steigst du bei uns ein?”
Diesen Satz hätte ich mir wohl verkneifen sollen, denn wenige Sekunden später hatte ich einen spitzen Ellenbogen in meinen Rippen.
„Aua!”
Gabriella grinste fies.
„Morgen Fabian… guten Morgen… Gabriellaaaa.”
Oh je, da guckte jetzt aber jemand sehr verliebt.
„Morgen Tom.”
Aha, man war schon bei einem vertrauten Tom. Ich konnte nicht anders und kicherte. Ein böser Blick seitens Gabriella ließ mich aber sofort verstummen, der eben ankommende Bus rettete mich vor weiteren Ellbogenattacken.
„Wie geht es deinen Eltern?”, fragte Thomas.
„Den Umständen entsprechend, aber soweit gut.”
„Die haben ja wirklich Glück gehabt.”
„Ja, das haben sie!”
*-*-*
Dass zwei Stunden Englisch so nervend sein konnten. Wir waren ohne Umschweife nach dem Unterricht unterwegs in die Cafeteria und dass Carsten mit uns lief, war für mich normal, aber den Blicken der anderen zu urteilen nicht in Ordnung.
„Hallo Carstenmaus, habe gehört, du hast dich umorientiert. Hach, ist das schön. Wieder ein Schnuggel mehr auf unserer Seite.”
Thorsten. Na toll, woher wusste der das jetzt. Da außer Carsten auch noch Thomas sehr rot wurde, konnte ich mir aber ganz schnell denken, wer da Informationsgeber gespielt hatte. Carsten sagte nichts und lief mit uns weiter.
Thorsten schien das aber nicht weiter zu stören und hängte sich bei mir ein.
„Meinst du nicht, der wäre was für mich?”, fragte mich Thorsten.
„Falls Carsten auf zickige Schminktucken steht, warum nicht?”, erwiderte ich und löste mich aus seiner Annäherung.
Thorsten sah mich böse an, aber das war mir egal. Thomas und Marcel fingen laut an zu lachen und so kehrten wir in die Cafeteria ein.
„Du Carsten”, fing Thomas leise an, „es tut mir Leid, das ist mir gestern bei Thorsten rausgerutscht.”
Carsten sah Thomas eine Weile an und ich dachte schon, er tickt irgendwie gleich aus, aber ich wurde eines Besseren belehrt.
„Irgendwann kommt es eh raus, dass ich mit Fabi zusammen bin, oder? Gut, dein Bruder hätte es aber nicht sein müssen…”
„Ach der, der rennt sicher nach der Schule zu seinen Tuckenschwestern und weint sich aus.”
Ich grinste.
*-*-*
Die Schule war für meine Verhältnisse viel zu schnell vorbei heute. Dass Carsten den ganzen Tag neben mir gesessen hatte, wurde anscheinend akzeptiert. Nun liefen wir beide nebeneinander zur Bushaltestelle.
„Telefonieren wir heute Mittag?”, fragte Carsten.
„Gerne”, lächelte ich.
„Sind sie nicht süß?”, hörte ich Thorstens Stimme hinter uns und wir drehten uns um.
Nun verstand ich, was Thomas vorhin mit Tuckenschwestern gemeint hatte. Mehrere seltsam gekleidete… ähm Jungs? … standen um ihn herum. Irgendetwas in mir braute sich zu seinem sehr unguten Gefühl zusammen.
„Der Kleine da meinte, wir wären zickige Schminktucken”, meinte Thorsten zu seinen Freunden.
„Spinnt der?”
Carsten
Irgendwie war mir nicht nach Lachen zu mute. Die Herren bauten sich um uns herum auf und bevor ich richtig reagieren konnte, sah ich, wie bei Fabi eine Faust in dessen Magen tauchte.